All the Wrong Reasons von Xynn (... are they the Right Decisions?) ================================================================================ Kapitel 16: All about the right time ------------------------------------ Nachdem Shaelyn sich die Stiefel angezogen und sich ihre Jacke übergezogen hatte, wartete sie bereits mit gemischten Gefühlen an der Türe. Etwas beunruhigte sie zunehmend. Bisher hatte sie es keinem gesagt und sie hoffte wirklich, dass sie es auch nicht müsste. Aber wenn es soweit war, musste sie es wohl sagen, egal wie peinlich es ihr war. Wahrscheinlich verstand man sie einfach nicht, so hatte sie früh aufgehört sich zu erklären. Hoffentlich ging alles gut. Immerhin, sie konnte dem nicht ausweichen, wenn sie es nicht sah. Jetzt bekam sie doch Panik. „Gibt es ein Problem?“, riss es Shaelyn aus den Gedanken. Sofort gluckste sie erschrocken auf. Rue hatte sie offensichtlich erschreckt, woraufhin er sie skeptisch anblickte. „Nein, nein, alles okay. Bist du fertig?“, lenkte sie mit einem Lächeln ein und griff an die Türklinke. „Es kann losgehen, es sei denn... du hast einen Grund nicht zu gehen.“ Verwundert ließ sie von der Klinke ab. „Warum? Es ist doch schön draußen. Es gäbe eher keinen Grund um nicht zu gehen.“ Shaelyn gab sich Mühe gefasst und fröhlich zu klingen, doch überhörte L ihre Unsicherheit nicht. „Warum dann so angespannt?“ „Trottel.“, antwortete sie prompt launisch und öffnete die Türe. Ratlos kratzte sich der besagte Trottel am Hinterkopf. Hatte er sich falsch ausgedrückt, oder warum reagierte sie dermaßen gereizt? Unten im Hausflur zögerte Shaelyn für einen Moment. Die Treppen waren nun nachdem sie diese einmal bezwungen hatte, kein Problem mehr, aber Draußen war es etwas vollkommen anderes. War es wirklich in Ordnung, wenn sie die Hand von Rue ergreifen würde? Gerade noch hatte sie ihn beschimpft, obwohl sie das gar nicht wollte... dabei hatte sie nur Angst ihm von ihrer Panik zu erzählen. Bestimmt war er nun beleidigt. Nervös stand sie dort und wusste nicht recht wohin mit ihren Gedanken. Aber sie hatte doch keine andere Wahl. Das wüsste doch auch Rue wissen, oder? „Du... Rue?“, begann sie leise, während sie an ihrer offenen Jacke nestelte. Der Angesprochene hatte sich ihr Minenspiel bereits mit angesehen, so war ihm klar, dass sie etwas beschäftigte und ganz wie man es vermuten konnte, wusste L bereits worum es sich handelte. Zumindest dieses Mal, da ihm die Situation von nicht all zu langer Zeit noch Rätsel gab. „Reich' mir deine Hand.“, forderte L sie tonlos auf. Sofort lächelte sie ihm entgegen, auch löste sie ihre Rechte vom Geländer, welche sie ihm entgegen streckte. Für einen Augenblick starrte er auf ihre kleine Hand, ehe er sie zaghaft mit seinen Fingerspitzen berührte. Wieder einmal bemerkte er wie zart sich ihre Haut anfühlte, besonders nachdem er sie lange nicht mehr berührt hatte. Shaelyn umschloss seine Hand sachte, setzte sie auch gleichzeitig einen Schritt auf ihn zu. „Du weißt immer was ich möchte. Das ist irgendwie unheimlich.“ Shaelyn lächelte vergnügt. Ihr Gesicht war entspannt und spiegelte die Freude wider. Dann legte sie den Kopf etwas schief, da sie keine Reaktion von ihm erhielt. Hätte er nicht normalerweise direkt ein Kommentar losgelassen? Vielleicht hatte er aber einfach nur keine Lust? „Ist etwas?“ „Nein, nichts.“ L wandte sich auf der Stelle um und verließ mit Shaelyn an der Hand das Hochhaus. Viel zu lange hatte er ihr Gesicht betrachtet, so als habe er jeden Fleck genau verinnerlicht. Nicht, dass er das sonst nicht auch tat, jetzt hingegen war er aufgefallen. Er wurde unaufmerksam. Hatte L nun die starke Vermutung nicht alles kontrollieren zu können. Diese Feststellung verstimmte ihn weiter. Ein angenehmer Windzug erfasste sie, der schon den Duft von Frühling mit sich trug. Auch spürte sie gleich die wohlige Wärme der Sonne auf sich. Doch ließ sie sich nicht irritieren und blieb stehen. „Warte mal!“, rief sie aus, nachdem sie das Gebäude gerade verlassen und sie an seine Hand gezogen hatte, woraufhin L abrupt stoppte und sich zu ihr umsah. „Wieso sagst du nicht, wenn dich etwas bedrückt? Ist es was Schlimmes? Deine Hand hat ganz kurz gezittert. Vielleicht fühlst du dich besser, wenn du es mir verrätst?“ Die Sorge in ihren Worten war nicht zu überhören, auch ihr Gesicht zeigte es ebenso. Zur Abwechslung wollte sie ihm helfen, wenn er mal Kummer hatte. Bisher war sie immer das Sorgenkind gewesen und andere mussten sich ihr Leid anhören. Diesmal war Rue an der Reihe, da er doch offensichtlich komisch reagierte. Er verstellte sich meist perfekt, nur diese kleine, winzige Körperreaktion hatte ihn gerade verraten. Jetzt wollte sie auch wissen was ihm Kummer bereitete. „Komm schon. Man sagt sich unter Freunden so etwas. Ich bin doch für dich da, so wie du es für mich bist.“ Shaelyn meinte es nur gut, leider hatte sie die falschen Worte gewählt. L schwieg zu ihrer Aussage, starrte ihr nur weiterhin ins Gesicht, jenes traurig wirkte. Ausgeschlossen. L blieb bei seinem Entschluss, auch wenn er selbst bemerkte wie sehr das alles Einfluss auf ihn ausübte. Das nannte man dann wohl damit, dass man nicht mehr man selbst war. Ein misslicher Umstand. „Kein Grund zur Sorge. Es hat alles seine Richtigkeit.“ „... wirklich?“ Sie war sich unsicher, zumal es so klang als steckte mehr dahinter. „Ja.“ L blockte sie ab, wartete er auf keine Antwort ihrerseits und lief weiter, zog sie dabei für ein Stückchen hinter sich her, sodass sie erst einmal kurz stolperte, weil es so schlagartig passierte. Shaelyn war wirklich niedergeschlagen. Rue vertraute ihr überhaupt nichts an. Vertraute er ihr überhaupt? Den Rest des Weges war die Schwarzhaarige still geblieben. Es war eine bedrückende Stimmung, weshalb sie sich nicht recht konzentrieren konnte. Der Traum kam ihr in den Sinn, welchen sie vor ein paar Wochen erlebt hatte. Noch immer war sie sich nicht sicher, ob es nicht doch real war. Augenblicklich war ihr zum Heulen zumute. Das war richtig verletzend gewesen. So viele Dinge schwirrten ihr durch den Kopf, dabei bemerkte sie nicht, wie die Luft immer mehr von herrlichen Gerüchen zunahm. Dann hörte man Kinderlachen und schließlich stoppte Shaelyn, da langsam die Eindrücke zu ihr durchdrangen. „Wir sind im Park, oder?“ „Richtig.“ „Schön...“, schwärmte sie mit einem sanften Lächeln und sog die Luft stärker ein, doch dann horchte sie genauer in die Umgebung. Nur ein Anzeichen und sie würde türmen. Ihre Anspannung nahm erneut zu, was dem Detektiven nicht entging. Irgendetwas stimmte hier nicht. Und seine Spürnase täuschte ihn nie. „Wirst du das Mädchen fressen?“, war es plötzlich von einer Jungenstimme zu hören, daraufhin folgte ein Mädchengekicher. Shaelyn legte den Kopf schief. War die Frage an sie und Rue gerichtet? „Nein...“, antwortete L zögerlich und deutlich verstört starrte er auf die kleinen Kinder vor sich. „Und warum hast du dann so große Augen? Genauso wie der böse Wolf?“ Shaelyn brach in schallendes Gelächter aus und L stand ein paar Sekunden ratlos dar, ehe er ganz verstand. „Damit ich besser sehen kann.“, gab er mit einem Grinsen von sich und hielt dabei seinen Zeigefinger hoch. Der Junge versteckte sich direkt hinter dem Mädchen, was nicht beeindruckt schien. „Den bösen Wolf gibt es nicht!“, warf sie selbstbewusst ein. „Wohl! Da ist er doch! Und er nimmt Rotkäppchen mit!“ Der Junge weinte, daraufhin stellte Shaelyn sich ganz zu Rue. „Sieh mal her.“, meinte sie schlicht und Ruhe kehrte ein, sodass sie sicher sein konnte, dass sie die Aufmerksamkeit des Jungen hatte. L blieb still, war auch überfordert mit der Situation. Schon ließ sie seine Hand los, tastete vorsichtig an seinem Arm hoch, bis hin zu seinen Ohren, die sie von seinen strubbligen Haaren freilegte. „Hat er große Ohren?“ „... Nein.“, folgte es mit einem kleinen Schluchzen. Schon nahm sie wieder seine Hand, hielt sie hoch. „Hat er große Hände? Größer als die von deinem Papa?“ Wieder folgte ein Widerspruch und schließlich fasste sie mit ihrem Zeigefinger an seine Unterlippe. „Hat er ein großes Maul?“ „Nein.“ Schon hörte sich der Junge selbstsicherer an, jedoch immer noch leicht verängstigt. „Und wenn man das macht...“ Plötzlich fasste sie mit ihrem zweiten Zeigefinger an seinen Mund und verzog seine Mundwinkel. „dann kann er sogar lächeln, macht er nur nicht. Der ist ist wirklich ungefährlich, er zeigt es halt eben nicht.“, kicherte schließlich Shaelyn und L stand einfach nur dar, ließ sie gewähren, so als ob nichts passierte. Wie eine Puppe, die frisiert wurde. Kinderlache drang in ihre Ohren und sie nahm ihre Hände herunter, lächelte dennoch amüsiert. „Elias! Cathlyn! Kommt wieder her, ihr sollt die Leute nicht einfach so ansprechen!“ Eine ältere Frau rief den Kindern nach. Diese war weiter vorne auf dem Gehweg und wartete nun darauf, dass die beiden schnell wieder aufschließen würden. „Wir müssen gehen, sonst ist Mama böse.“, sagte das kleine Mädchen mit einem Schmollgesicht. Der Junge nickte zustimmend, ehe die beiden los rannten. L hatte dem Schauspiel keine Beachtung mehr geschenkt, sondern versuchte seine Eindrücke zu ordnen und zu analysieren, weshalb er gewohnheitsmäßig begann an seinem Daumennagel zu knabbern. Natürlich waren ihre Berührungen nicht ohne Spuren an ihm vorbeigezogen. „Süße Kinder...“, meinte Shaelyn schließlich und holte jemanden damit aus den Gedanken. „Findest du? Warum?“, hakte L neugierig nach und besah die Schwarzhaarige, während er weiter an seinem Daumennagel nagte, welcher nun ein kleines Knacken von sich gab. „Ich mag Kinder. Und...“ Shaelyn fasste sich an die Wange und neigte ihren Kopf. „... in ein paar Jahren hätte ich selbst gern welche. Kinder sind etwas wunderschönes.“, schwärmte sie gelassen. Still beobachtete er ihre Regung und bedachte ihre Worte, dann blickte er in den wolkenfreien Himmel hinauf. „Wahrscheinlich“, murmelte der Detektiv nachdenklich. Shaelyn musste automatisch lächeln. „Du hast noch nie darüber nachgedacht, stimmt's?“ Sicherlich nicht, so wie sie ihn kennengelernt hatte. Alles was mit Familie, Beziehungen und Kontakt zu tun hatte, war praktisch nicht für ihn existent. Konnte man so durchs Leben gehen? Rue war sehr klug. Warum sah er dann nicht selbst, dass seine einsame Art zu leben nicht gut war? Was machte ihn so … schon fast menschenscheu? „Nein, dazu gab es keinen Grund. Außerdem fehlt es mir an einer Frau, um das umzusetzen.“ Seine Worte erheiterten sie ein wenig, sodass sie kichern musste, woraufhin sie sich einen konfusen Blick von ihm einfing. Was war daran witzig? „Pass auf Rue. Stimmt, du bist wirklich seltsam... nein, echt grotesk. Aber schon einmal daran gedacht, dass gerade das das Einzigartige an dir ist? Sicher gibt es genug Frauen, die dich so nehmen würden wie du bist.“, sagte sie offen heraus und begann dann plötzlich zu grinsen. „Okay... du bist dreist, frech, gemein, sarkastisch, furchtbar nervig und ein Süßigkeiten-Freak,...“ Shaelyn hatte ihre Hand gehoben und zählte die Punkte an ihren Fingern ab, dann holte sie aber tief Luft und ein sanftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen: „aber ich habe auch gesehen wie nett du sein kannst. Du hast mir so oft geholfen, mich regelrecht beschützt, das mit deinem Leben und ohne eine Gegenleistung. Man muss dich kennenlernen, und obwohl ich so wenig von dir als Person weiß – weil du mir ja nichts von dir erzählst – mag ich dich sehr. Ich würde auch gern mehr von dir wissen, das aber nur mal nebenbei. Was ich dir sagen will ist einfach. Egal wo auf dieser Welt, irgendwo ist auch die Richtige für dich, die dich so liebt wie du bist. Dann wird die Frage nach Kindern ganz einfach beantwortet, versprochen.“ Shaelyn sprach alles aus was sie dachte und wovon sie überzeugt war. Und all das hörte sich L aufmerksam an. Seine Meinung dazu war jedoch recht nüchtern: Ihre Sicht traf nur nicht auf ihn zu. Selbst wenn er die Richtige fand, hatte er kaum eine Wahl. Sein Job, dem er sich verschrieben hatte, würde im Konflikt stehen. Somit war auch der Gedanke an Kindern einfach nicht relevant. Es war von Beginn an eine Entscheidung. Bewusst hatte er auf all das verzichtet. Jedoch musste er zugeben, dass er zu dieser Zeit nicht wusste, was es bedeutete. Bedeutete, seine Gefühle ganz zu unterdrücken. Und es schien immer schwieriger zu werden dieses eine Gefühl abzuwehren. Diese eine Empfindung, welche er nie dachte zu erfahren und ihn praktisch erdrückte. Beeinflusste und sogar lenkte. Schon lange konnte er keinen richtigen Gedanken mehr führen und das war heikel. Wie lange würde es noch andauern? „Aber weißt du was?“, begann die auf einmal erheitert. „Was?“, folgte es entnervt, da er diese Spielchen nicht unbedingt mochte. „Wenn ich wieder Sehen kann, dann kauf ich mir einen Haarreif.“ Ratlos, wie sie auf diesen Gedanken kam, bildeten sich tiefe Falten zwischen seine Augenbrauen. Dem Gedankensprung konnte er ihr nun nicht folgen. „Aha und du wirst damit was tun?“ „Na was wohl. Ich bastel' dir Wolfsohren und setz' sie dir auf! Muss fantastisch aussehen! Obwohl ich ja weiß, dass du ein ganz lieber bist. Nicht, dass du etwas mit einem Wolf gemein hättest...“ Dann würde sie sicher schreiend davon rennen. Die Ohren machten ihn noch lange nicht zu einem Wolf. „... Sicher?“ Umgehend stutzte sie. „Was ist... wenn ich angeleint werden müsste? Würdest du es tun?“, verließ es listig seinen Mund, den er kurz darauf zu einem Grinsen formte. Ein paar Augenblicke lang passierte rein gar nichts, ehe sie scharf die Luft einzog. Hatte er sie gerade angemacht? Ein seltsames Bild kroch vom Unterbewusstsein hoch, sodass sie schlucken musste. Im nächsten Moment spürte sie etwas Raues an ihrer Hand und die darauf folgende Nässe. Geschockt zog sie ihre Hand zurück und verzog angewidert das Gesicht. „Was... zum...“ „Jerry, komm zurück!“, schrie ein Mann in der Ferne und Shaelyn erstarrte. „.... W-was ist... das?“ Sie fürchtete keine Luft mehr zu bekommen und stotterte deutlich vor sich her. Die Situation vor nicht allzu langer Zeit war wie weggefegt. „Ich fürchte Sabber.“, schlussfolgerte L rational, nachdem er sich mit ansah, - und dafür hatte er sich extra weiter gebückt - wie ein Hund auf einen bestimmten Geschmack gekommen war. Ein Schäferhund, der seinen Spaß suchte und etwas gerochen haben musste. Sofort schrie Shaelyn los und nicht nur der Hund duckte seinen Kopf ein wenig. Ihr Aufschrei ließ den Detektiven zusammenschrecken. Gleich auch schon weitete er seine Augen, als sie panisch begann zu weinen. „Mach es weg! Mach es weg!“, wiederholte sie unter Tränen, während ihr ganzer Körper bebte. „Was?“ L war sich nicht sicher was sie meinte. War es nun der Speichel, oder der Hund? Da stürzte sie sich schon in seine Arme und verkrallte sich in seinem Shirt. Was ging hier vor sich? „Das Ding! Mach es weg!“ Perplex starrte L erst auf Shaelyn an sich hinunter, ehe er den Hund musterte. Sie hatte Angst vor Hunden? Irgendwie passte es nicht zusammen, da doch eben die Unterhaltung zeigte, dass sie es nicht schlimm fand? Sagte sie deshalb noch, dass er nichts mit einem Wolf gemein hätte und harmlos wäre? L war doch etwas konfus. War seine Anspielung doch nicht klug gewesen? „Beruhige dich.“, redete er auf sie ein und schloss sie zaghaft aus einem Instinkt heraus in seine Arme, woraufhin sie sich weiter an ihn drückte. „Der wird mich anspringen und beißen! Hilf mir!“ Der Hund stand nur da, wedelte mit seinem Schwanz und legte den Kopf schief. Es war wirklich kein Grund von ihr so zu reagieren. Als der Hund dann näher kam, da er es wohl für ein Spielchen hielt, und sie an einem Bein mit seiner Pfote leicht kratzte, sprang sie augenblicklich mit einem Aufschrei hoch, sodass der Schwarzhaarige sie auffangen musste, was ihn kurz ins Schwanken brachte. Direkt umschloss sie mit ihren Beinen seine Hüfte und klammerte sich an ihn, während sie weiter laut schluchzte. Das war definitiv keine normale Reaktion. Nicht einmal annähernd. „Jerry!“ Der Besitzer war hinzugetreten, besah sich die kuriose Szene und nahm seinen Hund an die Leine, zog diesen zurück. „Entschuldigen Sie... er muss wohl etwas Leckeres gerochen haben.“ Der Mann lächelte beschwichtigend. „Er tut wirklich nichts. Er ist ganz harmlos.“ „Hier gilt eine Leinen- und Maulkorbpflicht. Halten Sie sich bitte daran.“, erwiderte der Detektiv zurechtweisend und bedachte den Mann mit einem ernsten Blick, welcher recht befremdlich wirkte durch die Szenerie. „Es ist gar nichts passiert, da müssen Sie sich nicht aufspielen.“, kam es unverfroren vom Besitzer. „Sollte nach Ihrer Meinung nach erst etwas passieren, bevor Sie sich daran halten?“, erwiderte L selbstsicher. „Sicher nicht, aber die Reaktion ist übertrieben. Genauso die Ihrer Freundin. Ich werde meinen Hund dann anleinen, wenn es nötig ist.“, meinte nun der Besitzer gereizt und L beugte sich leicht zu Shaelyn hinunter, woraufhin er ihr ins Ohr flüsterte: „Der Hund ist an der Leine, du kannst dich wieder auf den Boden stellen.“ Kaum stand sie wieder, schob L sie vorsichtig hinter sich, sodass sie sich verschanzte, sich aber noch immer an ihn festhielt. „Sie sind im Unrecht. Da meine Freundin Panik vor Hunden hat, wird sie nie den Park betreten können, wenn alle Hundebesitzer so denken und handeln wie Sie. Daher finde ich Ihre Reaktion reichlich unreif. Halten Sie sich an die Bestimmung und es wird keine Probleme diesbezüglich geben.“ Seine Stimme hatte einen dunkleren Ton angenommen und er maß den Mann mit einem eisernem Blick. „Drohen Sie mir?“, folgte es nun ernsthaft verärgert, während er dem stechenden Blick standhielt. „Aber nicht doch. Ich habe Sie nur darum gebeten sich an die Gesetze zu halten.“ „Verarschen Sie mich nicht! Sie haben mir eindeutig gedroht!“ Die Situation spitzte sich weiter zu und schien so schnell kein Ende zu finden. „Wie wäre es, wenn Sie nun nicht einfach weitergehen? Das wäre jedenfalls die klügere Wahl.“, sprach L nachdrücklich, passte es dem Mann nur immer weniger. Die ganze arrogante Art, damit auch die Tonwahl, gefiel dem Mann nicht. „Sie drohen mir wieder. Das gibt es doch nicht!“ Die Wutfalten auf die Stirn des Besitzers nahmen zu und wurden zu richtigen Furchen. „Ich verstehe Ihr Problem nicht. Gehen Sie doch einfach und halten Sie Ihren Hund an der Leine.“ „Gleich brech' ich Ihnen Ihre hässliche Nase!“ Augenblicklich verengte der Detektiv seine Augen, gefasst auf eine körperliche Handlungsweise. „Das sollten Sie vermeiden. In diesem Falle werde ich mich zu verteidigen wissen.“ Das waren keinesfalls leere Worte. L mochte von Außen hin einen schwachen Eindruck machen, wusste er nur zu gut, dass es nicht stimmte. Man sollte ihn nicht unterschätzen. Der Hund begann sich einzumischen, da er laut zu bellen anfing. Shaelyn zuckte deutlich zusammen und kniff angestrengt die Augen zu. Der Hund machte ihr Angst und dann war Rue dabei sich mit dem Mann anzulegen. Sie wollte doch nur ihre Ruhe. Und vor allem wollte sie nicht, dass Rue wegen ihr Probleme bekam. Dann unerwartet wurde sie am Arm gegriffen. Er hatte ihre steigende Unruhe bemerkt, weshalb er entschied besser zu gehen. Auch wenn es wie eine Niederlage war. Rue hatte sich umgewandt und zog sie mit sich, sodass sie vom Weg auf das Gras gelangten. Selbst als sie ein paar Minuten, so wie es ihr vorkam, gelaufen waren hörte sie noch schwach ein Bellen in der Ferne. Und jetzt noch raste ihr Herz. Urplötzlich hielt Rue inne, sodass sie in ihn hinein lief. Er hätte sie ruhig warnen können. „Alles in Ordnung?“, wollte L auch gleich wissen, nachdem er sich zu ihr wandte. Beschämt senkte sie den Kopf. „Ja, geht schon. … Das tut mir leid.“ „Es war nicht dein Fehler. Aber es wäre nur von Vorteil gewesen, wenn du mir von deiner Angst berichtet hättest.“, folgte es etwas dunkel. Ja, er hatte Recht. Dann wäre es bestimmt nicht dazu gekommen. „Ich dachte... dann machst du dich vielleicht darüber lustig.“, nuschelte sie bedrückt. Das hatte sie wirklich gedacht und es hatte sie belastet, weshalb sie auch auf seinem Spruch vorhin nicht reagiert hatte. „Weshalb sollte ich das tun?“ „Ich weiß nicht. Damals wurde ich deswegen immer ausgelacht... jeder sagte, dass Hunde doch total lieb sind und so was...“ L weitete etwas seine Augen. Also war der Ursprung ihrer Angst eine schlechte Erfahrung. Sofort fiel ihm die Narbe ein, die er damals beim Umziehen bemerkt hatte. „Kommt daher die Narbe an deiner Hüfte?“, fragte er achtsam und erhielt als Antwort ein zögerliches nicken. „Angeblich wollte der Hund ja nur spielen... Da war ich sieben Jahre alt und lag eine Woche im Krankenhaus.“ Shaelyn hob ihre rechte Hand und fasste sich an die Stelle, knapp über dem Oberschenkel. „Das Vieh hat mich seitlich erwischt und die Ärzte sagten, ich habe einen guten Schutzengel gehabt. Naja... seitdem habe ich eben solche panische Angst und ich verstecke auch die Narbe immer. Ein Bikini kann ich leider nicht tragen. Es sieht total ekelhaft aus.“ Ein müdes Lächeln zeichnete sich auf ihre Lippen ab. „Ich bin da anderer Meinung. Es sind nur minimale Kerben, die allerdings sonst nicht weiter im Gesamtbild stören.“, kam es nachdenklich von ihm, woraufhin sie sofort den Kopf anhob. „Wirklich?“, hakte sie begeistert nach und griff an sein Shirt am Oberkörper, sodass sie knapp bei ihm stand und fast mit ihrem Kopf an den seinen stieß. „Ja.“ L verzog seinen Mund. Sie kam ihm wieder viel zu nahe. Das vorhin hatte schon merklich gereicht. Direkt fasste er ihr zeitweilig an die Handgelenke, sodass er sie von sich löste und nahm ein Stück abstand. „Warum machst du das schon wieder?“ Umgehend stellte sie ihm traurig diese Frage. Shaelyn verstand nicht wieso er sie wieder von sich wies. Und ehe er zu etwas ansetzen konnte, stieß sie ihn einfach mit einem heftigen Ruck. Begleitet mit einem kleinen Aufschrei landete der Detektiv im Gras und wurde gleich von Shaelyn in Besitz genommen, indem sie sich auf ihn setzte. Ihre Hände drückten ihn weiter ins Grüne und ihr Gesicht sah verärgert aus. L rührte sich nicht, war er noch schockiert wie es so rasant passieren konnte und nicht zuletzt wie sie auf ihm Platz nahm. Damit hatte er definitiv nicht gerechnet. „Los, sag mir was dir wieder im Kopf rumschwirrt!“, forderte sie ihn forsch auf und beugte sich ein Stück nach unten, sodass ihre Haare nach vorn fielen und das fast auf sein Gesicht. Ihr Ausdruck verriet Ärger. Sie hatte es satt, dass er nichts sagte! Dann musste sie halt grob werden. Unvermittelt sog der Schwarzhaarige mehr die Luft ein und weitete seine Augen stark. Dafür gab es zwei folgende Gründe: Erstens drückte sie ihm mit ihren Händen auf den Brustkorb, also auf die Lungen und letzteres, ausschlaggebenderes, hatte er einen schönen Einblick, der ihm weiter den Atem nahm. „Ich habe einen guten Einblick.“, sagte er unverblümt und nahm auch nicht seinen Blick von jenem. Shaelyn bewegte sich nicht, auch ihre Mimik veränderte sich nicht. „Und? Du hast eh alles gesehen. Und ist das wirklich das Einzige was dir durch den Kopf geht? Mein Busen? Bist du bescheuert?“ „Sagen wir es so: Es wäre zumindest das Einzige, was gegenwärtig ist.“, entgegnete er engelsgleich. „Fein. Da wir auf das tolle Gesprächsthema gekommen sind, kann ich auch gleich fragen. Gefällt dir was du siehst?“ „Ich kann mich nicht beklagen.“ Shaelyn seufzte und setzte sich auf, sodass ihm natürlich kein weiterer Blick gewährt wurde. „ … Das muss man dir erst einmal nachmachen. Du bist echt DREIST! Und versuchst wieder vom Thema abzulenken... und dann auch noch wie. Ziemlich geschmacklos. Man schaut einer Frau nicht in den Ausschnitt und dann auch noch zugeben. Kannst du nicht wie alle anderen Kerle auch dir eine Ausrede einfallen lassen?“ L musste unwillkürlich grinsen. Interessant. Sie benutzte also im Zusammenhang mit ihm das Wort Kerl. Außerdem wunderte es sie nicht. Ihr war also tatsächlich bewusst, dass er ein Mann war und nicht ihr Bruder. Ein Bruder würde derartiges nicht tun, wenn es der Normalfall wäre. L hatte infolgedessen seine gewünschte Reaktion erhalten. „Also gut... dann,...“, begann zunächst nachdenklich, ehe er unschuldig fortfuhr: „blieb mir leider keine andere Wahl, du hast dich mir förmlich aufgedrängt. Ich konnte nicht anders.“ Kurz war es still, dann begann Shaelyn zu lachen und hielt sich den Mund. Auch L amüsierte sich darüber, weshalb er breiter grinsen musste. „Das war eine so typische Männerausrede. Alle Achtung, Rue. Dabei dachte ich, du bist jemand, der nicht auf solche Dinge achtet. Also doch ein kleines Schwein?“ „Wenn du mir keinen Anlass gibst, bin ich auch keines.“ Jetzt stand ihr der Mund offen. Wie frech! Als ob sie Schuld wäre! „Ich suche Vergeltung!“, rief sie plötzlich aus und er blickte entgeistert zu ihr hoch. Was sollte das bedeuten? Das erfuhr er schneller, als ihm lieb war. Ohne Vorwarnung bückte sie sich rasch und probierte das offensichtliche. Sie wollte ihn kitzeln! Schließlich hatte sie es ihm schon angedroht, wenn auch länger her. Jetzt war der optimale Zeitpunkt gefunden und ihr Opfer schlug jäh die Augen ganz auf, als sie unter die Jacke strich und mit ihren kalten Fingern über seine Haut am Unterbauch fuhr. Augenblicklich keuchte L etwas auf und drückte seinen Rücken schwach durch. Nicht nur, dass es kühl war, sondern fühlte es sich wie ein elektrischer Stoß an. Welcher durch seinen ganzen Körper jagte und massives Herzklopfen verursachte. Und es wurde nicht besser, da sie den Weg weiter über seine nackte Haut suchte. Hinterließen ihre Berührungen eine heiße Spur, obwohl ihre Finger eisig waren. War jede noch so kleine Stelle die sie streifte ein wohliger Schauer. Ja, er hatte schon vorher bei ihren Berührungen bemerkt, was es alles für Auswirkungen hatte, aber nie in diesem Ausmaß. Es löste eine ganze Lawine voller Eindrücke und Empfindungen. Dinge, die ihm vorher fremd waren. Und die Gier nach mehr stieg. Das Bedürfnis herauszufinden wie es erst wäre, wenn mehr geschehen würde. Schon jetzt war sein Kopf überfüllt. Alles drehte sich. „Hey, alles okay?“ Shaelyn hielt inne und horchte auf. Rues Körper zitterte stark, wehrte er sich auch nicht. War sie zu weit gegangen? Gelacht hatte er jedenfalls nicht, auch wenn sie noch gar nicht richtig dazu gekommen war. Und trotzdem schnaufte er angestrengt, senkte und hob sich seine Brust schnell. Ging es ihm nicht gut? Hatte er vielleicht Schmerzen? Wie gelähmt lag er unter ihr, hatte er sich einfach nur noch komplett angespannt. Völlig handlungsunfähig probierte er Ruhe zu bewahren, was jetzt besser gelang, da sie ihre Hände zurückzog. Dann jedoch bettete sie ihren Kopf an seine Brust und schien zu horchen. Schon roch er den Duft, der von ihren Haaren stammte. Süße Kirschen... „Großer Gott, kriegst du gleich einen Herzanfall?! Ich wusste ja nicht das dich das so mitnimmt!“ Shaelyn war voller Sorge. Wahrscheinlich hatte er deswegen immer so reagiert? Mochte er das so wenig? Er musste nicht gleich Panik bekommen und wenn, dann hätte er es ruhig sagen können. Sie nahm ihren Kopf von seinem Brustkorb und lächelte gequält. „Weißt du, du hättest ruhig sagen können, dass du es nicht magst, wenn ich dich berühre. Tut mir leid, dass ich dich bisher damit so belästigt habe...“, folgte es betrübt und mit demselben tristen Lächeln. „I-ich dachte nur,..“ Unbeholfen begann sie zu stottern, hielt allerdings inne. Irgendetwas zupfte leicht an ihren Haaren. L hatte seine Hand gehoben und berührte vorsichtig ihre langen Haare an der Schulter, nahm sie zwischen die Fingerkuppen. Er hatte sie einfach anfassen müssen, nachdem er wahrgenommen hatte, wie sie gerochen hatten. Und es fühlte sich weich an. Ein fasziniertes Grinsen bildete sich auf seinen fahlen Lippen. Ein stiller Moment, der abrupt endete, als er ihre zittrigen Lippen sah. „Ist... da was im Haar? Bitte sag mir es ist kein Käfer...“ Verdutzt starrte er in ihr Gesicht, zog seine Hand zurück, während er sich aufsetzte. Jetzt war ihr Gesicht kaum eine Handbreit entfernt. Nah genug um ihren Atem auf der Haut zu spüren. Jeder noch so kleine Punkt wurde von seinen leeren schwarzen Augen studiert, bevor er an ihrem Mund hängen blieb. „Ist es was Schlimmeres?! Eine Spinne?! Jetzt sag doch was!“ „Es ist kein Käfer und auch keine Spinne.“ „Was? Wirklich?...“ Erleichtert atmete sie aus und bemerkte just diesen Augenblick, dass Rue ihr so nahe war. Kurz überrascht, zog sie die Stirn in Falten, dann lächelte sie glücklich. Er war ihr von sich aus näher gekommen, also musste sie sich nicht fürchten, dass er es nicht mochte. Oder? Auch saß sie weiterhin auf seinem Schoß, was im Übrigen recht bequem war. Und zum ersten Mal kam ihr die Frage in den Sinn, ob das auch wirklich normal für Freunde wäre, so zu sitzen. Unsicher hob sie ihre Hände, nahm auch schon sein Gesicht in diese. Seine Wangen waren wohlig warm. „Was war es denn dann?“, wisperte sie schwach und fühlte dabei seinen Atem immer deutlicher. „Die Jugend von heute hat keinen Anstand mehr!“ Diese Worte rissen den Detektiven aus der Versuchung, die er beinahe erliegen wäre. Sofort starrte er zur Seite woher der verärgerte Ausruf stammte, musste dann seinen Kopf etwas nach oben drehen, was ebenso erschrocken Shaelyn tat. Eine alte Frau stand dort, mit einem großen Hut und stützte sich mit einer Krücke. Ihr Gesicht zeigte reine Empörung. „Wir sind hier in einem Park. Benehmen Sie sich, junger Mann!“ Schon stupste die alte Dame L mit ihrer Krücke in die Seite. Sie ignorierte vollkommen Shaelyn, als sei nur L daran schuld. Dabei war an dieser Situation nichts Anstößiges. Das Stochern in die Seite wiederholte sie, ehe Shaelyn reagierte und sich schnell aufstellte. Ihr Gesicht war vor Scham ganz rot. Tausend Dinge rasten durch ihren Kopf. „Machen sie das Zuhause mit ihrer Freundin, unsittlicher Bengel! Hier sind Erwachsene und Kinder anwesend!“, äußerte sie ungehalten. „Entschuldigen Sie.“, kam es betonend über seine blassen Lippen und stand somit ebenfalls auf. Er gab der alten Frauen ihren Willen, und das, obwohl er sich keiner Schuld bewusst war. „Ja und achten Sie in Zukunft auf ihr Benehmen!“ Die Alte machte kehrt und L verfolgte sie mit seinen schwarzen Pupillen ein paar Sekunden, bevor er seine angebliche Freundin von der Seite ansah. Diese hielt sich ihre eigenen Wangen nun vor Verlegenheit. Warum hielten sie alle für ein Paar? Auf dem ganzen Trubel hin, griff L erst einmal in seine Hosentasche und holte sich ein paar Bonbons heraus. Zucker sollte die Nerven beruhigen. Das war wirklich nötig. „Gib mir bitte auch welche...“, kam es leise von ihr und streckte zögerlich ihre Hand aus. Sie hatte gehört, wie er sich wieder Bonbons auspackte. Das Rascheln war einfach unverwechselbar und verriet den Zuckersüchtigen. Momentan brauchte sie auch etwas Süßes. Das musste alles verarbeitet werden. Denn irgendwas war komisch an der ganzen Sache. Nachdem er ihr ein paar Bonbons in die Handfläche legte, setzte sie sich einfach ins Gras zurück, woraufhin er sich zu ihr, in einem gewissen Abstand, hockte. Für eine Weile schwiegen beide, ehe Shaelyn ihren Mund öffnete: „Wie sieht der Himmel heute aus?“, fragte sie auf einmal und fing sich einen schrägen Blick vom Detektiven ein. Wie kam sie plötzlich darauf? „Er ist blau.“, antwortete er trocken. Für diese Feststellung musste er nicht einmal nach oben sehen. Gleich auch seufzte sie laut. „... Tatsächlich? Ich dachte er wäre grün!“ „Nein, blau.“ „Sagst du noch mal nur blau, komm ich rüber und hau dir auf den Hinterkopf! Ich will wissen was genau für eine Farbe. Ist er dunkelblau? Babyblau? Marineblau? Und sind viele Wolken am Himmel?“ L verstand nicht ganz den Sinn des Ganzen. Über all diese Dinge hatte er nie nachgedacht und nicht darüber spekuliert welche Farbe genau es war. Schließlich hob er doch den Blick an und besah sich die unendliche Weite vor sich. „Ich würde sagen,... Babyblau. Und es sind ein paar Wolken aufgezogen.“, grübelte er hörbar und lutschte weiter lautstark am Süßen im Mund. „Und wie sehen die Wolken aus?“ „... Sie-“ „Jetzt sag mir bloß nicht welche Farbe... Ich weiß, dass sie weiß sind.“, unterbrach sie ihn direkt und L schloss seinen Mund wieder, starrte sie stattdessen nur mit seinen großen Augen an, so als habe sie ihm gesagt Aliens wären auf der Erde gelandet. „Benutz' deine Fantasie. Welche Form könnten sie haben? Vielleicht ein Tier? Ein Gegenstand?“, fragte sie ihn nun mit einem Lächeln und legte sich auf den Rasen, genoss dabei die angenehmen Sonnenstrahlen. Es war tatsächlich ziemlich warm geworden, was sie erfreute. Wenn es so weiter ging, dann brauchte man bald keine Jacken mehr. Schließlich ging der Frühling auch schnell vorüber. Hoffentlich wurde es im Sommer nur nicht zu heiß. „Eine … Erdbeere.“, kam es nachdenklich von der Seite, woraufhin Shaelyn ihren Kopf zur Seite neigte und das Gras sie an der Nase kitzelte. „Eine Erdbeere?“ Überrascht von seiner Äußerung, zog sie die Augenbrauen an. „Wie kann denn eine Wolke wie eine Erdbeere aussehen?“ Ein seltsames Bild formte sich in ihrem Kopf. Irgendwie passte es nicht, weshalb sie anfing zu kichern. „... und ein Dount.“ Seine nachdenkliche und arglose Stimme, und viel mehr das Gesagte, brachte sie nun kurz zum Lachen. „Warte mal, halt!“, lachte sie noch halb. „Wie geht denn das? Ist da ein Loch in der Mitte?“ „Nein, ich würde sagen, es ist ein gefüllter Donut. Höchst wahrscheinlich... mit Erdbeergelee.“, kombinierte er geschickt. Jetzt hielt sie gar nichts mehr. Laut prustete sie los und musste sich den Bauch halten. Das gab's nicht! Selbst jetzt dachte er nur an Essen. L grinste und beobachtete ihren Lachkrampf. Er hatte nur das getan, was sie verlangt hatte. L benutze seine Fantasie und was dabei heraus kam, waren nun einmal solcherlei Dinge. Langsam verebbte ihr Lachen und sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Jetzt schmerzt mein Bauch!“, beschwerte sie sich mit einem breiten Grinsen. „Aber kann es sein, dass du hungrig bist?“ „Ja,... möglich.“, gab er zum Besten und Shaelyn winkte nur wissend ab. „Klar, warum frag ich überhaupt. Du isst ja eh immer und am Liebsten Erdbeertorte. Mich wundert es also, dass du das nicht gesagt hast.“ „Du weißt... was ich am Liebsten esse?“, fragte er neugierig und legte seinen Zeigefinger an die Unterlippe. „Natürlich, Rue. Mir ist das aufgefallen, auch wenn ich nicht Sehen kann. Oft genug hab ich was probiert und irgendwie war es viel häufiger Erdbeertorte, als was anderes. Wobei du gern diese Lutscher hast... ständig hängst du an denen. Besonders wenn ich immer mal wieder auf der Couch aufgewacht war, hab ich dich daran lutschen gehört. Bonbons kaust du auch gern mal, aber die Lutscher werden immer brav geschleckt.“, führte sie entspannt aus, lächelte dabei stets sachte. Und es verblüffte L außerordentlich, so sehr, dass man es ihm sogar ansehen konnte. Dazu fehlten ihm nun die Worte. „Und es gibt noch so viele andere Dinge, die ich von dir weiß, und welche, die du bestimmt nicht einmal selbst weißt.“ Diesmal grinste sie und kicherte für einen Augenblick. Neugierig geworden, achtete er genau auf ihre Stimme. Es gab nichts, was er nicht wusste. „Ich höre.“, forderte er sie schließlich auf, als es ihm nicht schnell genug ging. Sie musste diese Pause absichtlich machen. „Na... neugierig und ungeduldig?“, zog sie ihn direkt auf und seine Vermutung wurde bestätigt. Entnervt formte sich sein Mund zu einem Strich und seine Augenlider senkten sich zur Hälfte über die Augen. „Ja. Könntest du also fortfahren?“ „Könnte ich...“ Sie machte sich daraus einen Spaß. Endlich war sie diejenige, die mal auf die Folter spannte. „Unter einer Bedingung.“ Ihre Stimme enthielt eine gewisse Tonlage, die ihm gar nicht gefiel. „Welcher?“, folgte es mit einem kleinen zeitlichen Abstand und äußerst misstrauisch. „Du musst herkommen. Ich flüstere es dir nur ins Ohr.“ Ob dahinter eine List steckte? War es das wert ein Risiko einzugehen? „Unter diesen Umständen muss ich passen.“ „Okay, dann eben nicht.“ Ihre Antwort folgte prompt und machte es nur verdächtiger. Jedoch stieg in diesem Falle das Interesse weiter. Ein Glucksen war zu hören. Sie kämpfte mit sich nicht gleich in Lachen auszubrechen. Shaelyn war bewusst, dass sie ihn nur noch wissbegieriger machte und er es unbedingt hören wollte. Im Moment benahmen sie sich wie Kinder. „Was spricht dagegen es mir so zu verraten?“ L probierte es noch einmal, was sie allerdings nur lustiger fand und über beide Ohren grinste. „Egal wie oft du noch fragen wirst: Ich flüstere es dir nur zu. Und was spricht dagegen nicht einfach herzukommen?“ Eine Frage, die er ihr nicht beantworten konnte. „Ich beiß' dir dein Ohr schon nicht ab.“, fügte sie amüsiert hinzu. Rue stellte sich aber auch wirklich an. Sie hatte ja gelernt, dass sie ihn nicht überfallen sollte. Bekam er fast einen Herzinfarkt. Da horchte sie genau hin, als sie etwas Rascheln hörte. Rue musste sich bewegt haben und das auf sie zu und ganz wie sie ihn kannte auf allen Vieren. Als sie dann seine Haare im Gesicht spürte, kicherte sie zeitweise auf. „Deine Haare kitzeln mich, Rue.“, meinte sie anschließend. „Das war sicher nicht das was du mir sagen wolltest.“ „Stimmt. Also hör genau hin.“ Shaelyn hob ihre Hand und strich ihm die wirren Haaren vom Ohr, damit sie sich weiter zu ihm lehnen konnte. „Hin und wieder murmelst du etwas vor dich her, wenn du schläfst. Und ich merke daran, dass du schläfst, weil es ganz still im Raum ist.“, sprach sie leise und ließ seine Haare zurückfallen. Zeitweilig verharrte er in der Position, ehe er stockend Abstand nahm. „Hast du verstanden, was ich gemurmelt habe?“, hakte er nun ernst nach. „Hm... also meistens ist es undeutlich. Dann war da aber eine Stelle... die fand ich seltsam.“ Es klang sehr nachdenklich, auch legte sie den Kopf ein wenig schief. „Irgendwie fiel ein Wort öfter. War aber schnell vorüber, musste also richtig hinhören.“ „Welches?“ L verengte die Augen. Das klang sehr bedenklich. „El. Oder war nur der Buchstabe gemeint? Also L? Ich weiß nicht, war furchtbar undeutlich.“ Für eine winzige Sekunde zuckten seine Augenwinkel, begann er auch gleich wieder damit seinen Daumennagel zu verkleinern, ungeachtet davon, dass es schon fast nicht mehr ging. „Was meinst du könnte das bedeuten? Ich versteh es nämlich nicht.“ „Ich schätze es war etwas Belangloses.“, wandte er ruhig ein und beobachtete ihre Mimik genau. „Hm... hast bestimmt Recht. Wenn man eben im Schlaf murmelt, kann es ja nur was Verrücktes sein.“, pflichtete sie ihm bei. Und damit war das Thema für sie erledigt, für den Detektiven allerdings nicht. Das hatte er tatsächlich nicht von sich gewusst und es war riskant. Vielleicht würde so seine Tarnung auffliegen. „Aber … meinst du nicht, dass du vielleicht mehr schlafen solltest?“ Shaelyn war besorgt um seine Gesundheit. Das konnte doch nicht gesund sein, auf Dauer so wenig und dann in immer in dieser Sitzhaltung. „Ich komme gut damit aus.“ Wie eh und je eine sachliche Antwort. Irgendwie hatte sie fest mit dieser Reaktion gerechnet. „Ich mache mir nur Sorgen um dich.“ Nun sah sie mit leerem Blick in seine Richtung, auf ihren Lippen lag ein trauriges Lächeln. „Ich möchte noch was von dir haben... auch möchte ich, wenn ich wieder Sehen kann und wegziehe, mit dir Kontakt haben. Denkst du, das wäre möglich?“ Es fühlte sich einsam an. Der Gedanke, dass wenn alles geregelt war, sie fort müsste. Auch mit anfänglichen Schwierigkeiten, fühlte sie sich jetzt geborgen. Sicher, als ob ihr nichts passieren könnte. Dabei war es nicht einmal ihr Großvater, der ihr so viel Schutz gab. Natürlich, Watari steuerte auch viel dazu bei, aber... Rue war eine Ausnahme. Vielleicht lag es einfach daran, dass er so viel aufs Spiel gesetzt hatte, als er selbst kam um sie aus dem Alptraum zu retten. So viel hatte er gewagt. Ihn hätte eine Kugel treffen können, oder was wäre gewesen, wenn man sie einfach eingesperrt gelassen hätte? Noch heute wusste sie nicht, dass L besondere Maßnahmen getroffen hatte. Auch dafür, dass wenn er nicht mit ihr fliehen hätte können. „... Ja.“ Direkt seufzte die Schwarzhaarige. Da fiel ihr ein großer Stein vom Herzen. Wusste sie nicht, dass diese Antwort eine glatte Lüge war. „Wir sollten gehen. Es wird spät.“ „Wirklich? Geht die Sonne schon unter?“ Hatten sie so lange im Gras gesessen und geredet? Obwohl, sie wusste nicht wann sie genau losgegangen waren. „Ja.“ Gleich schon bemerkte sie seine kühle Hand an der ihren, welche auf dem Boden geruht hatte. „Ich möchte noch nicht zurück...“, sagte sie betrübt, ließ sich dennoch von Rue auf die Beine ziehen. „Warum?“ „Es ist so schön hier mit dir. Wenn wir zurückgehen bist du wieder vor deinem Laptop. Ich würde gerne mehr Zeit mit dir verbringen.“, nuschelte sie ein wenig beschämt. Sie wollte nur ehrlich sein und ihm deutlich zeigen, dass sie ihn gern hatte. Die Erinnerung an die Zeit vor Weihnachten, als sie ihn kennenlernte, war ihr in den Sinn gekommen. Ihr Benehmen war furchtbar gewesen. Nun, Rue war ihr auch nicht sonderlich sympathisch rüber gekommen. Seine ganze Aufmachung nicht. L fehlte es an passenden Worten. Was sollte er dazu äußern? Shaelyn verbrachte gerne die Zeit mit ihm und sie offenbarte ihm, dass sie es bedauerte nicht mehr mit ihm erleben zu können. Sie sagte ihm Dinge, mit denen er nicht umzugehen wusste. Auch nicht mit dem was er fühlte. Ein tiefer Stich ins Herz, den sie ihm mit ihren Worten versetzte. War er überhaupt fähig das alles auf sich zu nehmen? Hatte er sich zu viel zugemutet? Sogleich fasste er sich an die linke Brustseite. Er spürte wirklichen Kummer. „Rue?“, fragte sie leise und drückte seine Hand sachte. Viel zu lange war es still. So hob sie ihre andere Hand und streckte sie in seine Richtung aus, bekam daraufhin seine Schulter zu fassen. Vorsichtig fuhr sie an seinem Schlüsselbein entlang, hoch zum Hals und legte ihre Handfläche behutsam auf seine Wange. L blickte ihr daraufhin ins Gesicht. „Weißt du, ich merke doch, dass etwas nicht stimmt. Gibt es wirklich nichts, was du dir von der Seele reden willst?“ L starrte in ihre trüben Augen, nahm auch schon ihre Hand von seiner Wange und hielt diese von sich weg. Er war viel zu nachgiebig zu ihr gewesen. Stünde sie ihm nicht so nahe, hätte er niemals nur das Kleinste durchblicken lassen. Diese Tatsache machte ihn wütend. Wütend auf sich selbst. „Es wird kalt, wir sollten jetzt gehen.“ L überging ihre Worte, so als hätten sie sie nie gegeben. „Guten Abend, Shaelyn. Wie hat dir der Park gefallen?“, fragte auch gleich ihr Großvater, nachdem sie das Wohnzimmer betrat. Ein müdes Lächeln zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. „Es war schön...“, entgegnete sie leise und verblieb am Türrahmen. Rue hatte nichts mehr gesagt. Hatte er sie überhaupt gehört? Oder waren es nur ihre Gedanken und sie dachte sie wären nur ausgesprochen gewesen? Und wenn er sie gehört hatte, warum antwortete er dann darauf nicht? Es machte ihr noch mehr Sorgen, da es für sie so offensichtlich war. Die Ironie an allem war, dass es ihr eventuell gar nicht aufgefallen wäre, wenn sie hätte Sehen können. Sein Blick war immer derselbe. Ausdruckslos, ohne jegliche Gefühlsregung. Aber da sie ihn nur hörte, fand sie das Fehlende, bemerkte das Leise, etwas was ihr nicht aufgefallen wäre, hätte sie in seine starren Augen gesehen. Es hätte sie abgelenkt und seine Aussagen bestärkt. Sie hatte gelernt auf alles genau zu achten, da ihr es sonst fehlte etwas zu bemerken. „Das freut mich. Möchtest du etwas essen?“ „Gern.“ Ihr Lächeln blieb, wirkte es nur weiterhin abgekämpft. Ob es Watari auffiel, wusste sie nicht und wenn es ihm klar war, dann fragte er bewusst nicht nach. Möglicherweise bemerkte er es selbst, das hier etwas nicht stimmte. Hielt er sich heraus? Shaelyn nahm wahr, wie ihr Großvater das Zimmer verließ und Schritte in die Küche getan wurden. Der günstige Zeitpunkt war gekommen. So betrat sie das Wohnzimmer, setzte sich Richtung Tisch in Bewegung. War es ihr nicht entgangen, wie es gleich wieder Papier raschelte und er sich am Süßem bediente. „Rue?“ Ihre ernste Stimme ließ den Detektiven zu ihr herumfahren, stand jedoch noch leicht seitlich, hielt dabei eine Schale in der Hand, gefüllt mit reichlich Bonbons. „Was gibt es?“ Aufgrund seiner Stimme konnte sie ungefähr orten wo er sich befand, wurde auch gleich von ihm am Arm gefasst, als sie drohte in ihn hineinzulaufen. Jetzt wusste sie wo er sich genau befand. Shaelyn nahm einen tiefen Atemzug: „Egal was du sagen wirst und es noch tun wirst. Ich weiß, dass dich etwas bedrückt. Wenn du irgendwann dazu bereit sein wirst: Ich werde dir zuhören.“ Kaum hatte sie dies ausgesprochen, stellte sie sich auf ihre Zehenspitzen. Und L riss seine Augen Sekunden später vollkommen auf. Geschirr klirrte, darauf folgend ein Rasseln. Bunte Kugeln verteilten sich quer über dem Boden und die Schüssel hatte einen großen Sprung. Das interessierte jedoch in diesem Raum niemand. Nur eines war von Wichtigkeit: Shaelyns Lippen, welche die von L berührten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)