All the Wrong Reasons von Xynn (... are they the Right Decisions?) ================================================================================ Kapitel 14: Jenseits der Wahrheit --------------------------------- „Ryuzaki, Sie wirken unkonzentriert. Gönnen Sie sich eine Pause.“, sprach der alte Mann fürsorglich, welcher eine frische Tasse Kaffee auf dem Couchtisch bereitstelle, ebenso wie einen Pott voller Zuckerwürfel, welcher zuvor auf einem Tablett geruht hatte. Sofort öffnete der Angesprochene den Behälter, holte einige Würfel heraus und ließ sie in die heiße Brühe fallen. „Nein. Es ist alles ausgezeichnet, machen Sie sich keine Sorgen.“ Eine glatte Lüge, was auch Watari nicht entging. Alleine da der Detektiv mehr Zuckerwürfel in seinen Kaffee fallen ließ als gewöhnlich deutete auf Unruhe hin. Nicht, dass es sonst ein normaler Rahmen wäre, jeder andere Mensch hätte diesen Kaffee niemals angerührt, jedoch war es ein weiteres Zeichen dafür, dass L etwas beschäftigte. Und wie üblich sprach jener nicht darüber. Aber es schien etwas zu sein, dass ihn intensiv zum Denken anregte. Auch nahm L mehr Fälle entgegen, wie eine Flucht vor anderen Dingen. Sein Vertrauter kannte den Detektiven lange genug, um zu wissen, wann ihm was plagte. Nur war es selbst für ihn nicht zu erklären was es war. „Was... ist los?“, war eine müde Stimme zu hören. Direkt drehte Watari seinen Kopf zur Türe, in der Shaelyn in ihrem Nachthemd stand und gähnte. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Shaelyn redete wieder und alleine das hatte er L zu verdanken, dieser starr sitzen blieb und an seinem Kaffee lautstark schlürfte. „Nichts Besonderes.“, warf der Detektiv tonlos ein, während er noch die Tasse am Mund hatte. „Möchtest du etwas essen, Shaelyn?“ Die Schwarzhaarige schien daraufhin zu überlegen, schüttelte dann allerdings den Kopf. „Ich glaube, ich habe schon genug von heute Morgen gehabt.“ Ihre Stimme war voller Freude, konnte man sie seit jenem Abend nicht mehr stoppen. Das waren nun gute zwei Tage her und sie hatte sich in der Zeit bei ihrem Großvater entschuldigt, ihm ihre Angst geschildert. Seine Reaktion war erleichternd. Offensichtlich hatte er sich große Sorgen gemacht und war nun außerordentlich erfreut, dass sie wieder mit ihm sprach. Diese Nachricht und auch, dass sie sich so einiges von der Seele geredet hatte, hatte ihr mehr als gut getan. Dennoch blieb sie in derselben Wohnung, zum Einen da sie viel Hilfe brauchte und zum Anderen, weil sie gern bei L war. Dieser seltsame junge Mann gab ihr Sicherheit. Ein Grund mehr, dass sie bei ihm blieb. Allerdings war ihr etwas nicht entgangen: Rue verhielt sich deutlich distanzierter. Wenn sie ihm wieder einmal auf den Pelz rückte war seine Haltung abweisend. Hatte sie etwas Falsches getan? Shaelyn verstand es nicht recht und solange er ihr dafür keinen triftigen Grund gab, blieb sie ebenso hartnäckig an ihm dran, wie er versuchte sie abzuwehren. „Rue?“, drang ihre Stimme in seine Ohren und ihm schwebte nichts Gutes vor. Denn war ein gewisser Unterton vorhanden gewesen. „Was ist es diesmal?“ „Du bist ganz schön gemein geworden...“, merkte sie skeptisch an, denn gefiel ihr nicht, welchen Ton er verwendet hatte. Geradeso als wäre sie ein Störfaktor. „Das war sicher nicht das was du wolltest.“, kommentierte er schlicht und trank das Zuckergetränk aus. Watari stand leicht konfus zwischen den Fronten. Hatte er sich nun schon einmal an diesem Tage diese Art von Diskussion anhören müssen. Und es bereitete dem alten Herren Sorgen. Selbst ihm war es unerklärlich weshalb Ryuzaki sich so benahm. War er doch in den letzten Tagen so hilfsbereit gewesen, wies er Shaelyn nun seit zwei Tagen ab. Irgendetwas war vorgefallen und vielleicht war genau dies der Grund, weswegen L in dieser Art Zustand war. Watari kehrte aus seinen Gedanken zurück, als Shaelyn sich vom Türrahmen weg bewegte, geradewegs auf den Sessel zu, dabei wirkte sie konzentriert. Sie musste versuchen den Weg genau abzupassen, hatte eventuell sich die Schritte gemerkt. Als sie dann gegen den Sessel sachte lief, wandte Rue ihr den Kopf zu, musterte sie, bekam aber gleich ihre Hand am Kopf zu spüren. Urplötzlich zuckte er stark zusammen, gab einen kleinen gequälten Laut von sich. Shaelyn hatte an seinem Ohr gezogen, was sie zu packen bekam und das absichtlich. „Unhöflicher Kerl. Ich wollte nur wissen wie spät es ist, aber es ist wohl an der Zeit dir zu zeigen, dass ich mir von dir nichts gefallen lasse. Nur weil ich dir gesagt habe, dass du für mich jetzt wie ein Bruder bist, heißt es nicht, dass du machen kannst, was dir passt und ich nichts dagegen sage. Hab mal ein paar mehr Manieren.“ Ihr Ton war herrisch, belehrte den Meisterdetektiven und Shaelyn stemmte sogar als Verdeutlichung die Hände in die Hüfte. Unterdessen hielt er sich mit einer Hand sein gepeinigtes Ohr und starrte zu ihr hoch. „Das hat weh getan.“ „Sollte es auch und mehr hast du dazu nicht zu sagen?“ „Nein.“ „Soll ich dich wieder küssen, damit du nicht mehr so frech bist? Hat dir ja anscheinend gefallen letztens.“ Jetzt war Watari mehr als irritiert. Was sollte das bedeuten? „So? Hat es das?“ „Willst du es bestreiten?“ „Ich spreche mich deutlich dagegen aus.“ „Ach? Aber du hast danach ziemlich... schüchtern gewirkt! Jawohl! Du hast nicht mal richtig aussprechen können was du danach sagen wolltest. Komisches wirres Zeug.“ „...“ Punkt für Shaelyn, was ihm nicht gut bekam. „Na? Wieso höre ich denn nichts?“ „Es gibt dazu nichts zu sagen. Finde ich deine Spekulation reichlich herbeigezogen.“ „Komm gibs' zu, du magst mich.“ „Warum sollte ich das zugeben? Dafür gibt es keinen Grund. Und jetzt sei bitte so nett und unterlasse das.“ Falsche Aussage von ihm, was ihm gleich bewusst wurde, als sie, statt sich zu entfernen, über die Sessellehne kletterte. L jedoch hatte nicht vor das Spielchen mitzumachen und wich dementsprechend zurück, hatte aber nicht damit gerechnet, dass sie weit nach vorn griff, als wüsste sie, dass er ausweichen würde. „Feigling. Feigling.“, lachte sie kindisch und erwischte seine Schulter. Und als kindisch konnte man es tatsächlich beschreiben, fand nur L das Ganze weniger amüsant. „Du solltest wieder zur Vernunft kommen, Shaelyn.“ Folgend ergriff er ihre Hand an der Schulter. „Sag mal, bist du kitzlig...?“ L riss seine Augen weiter auf, nachdem sie dies so hinterlistig ausgesprochen hatte, auch zierte ihr Mund nun ein Grinsen. „Nein!“, verteidigte er sich augenblicklich aus einem Impuls heraus. Panik wog umgehend auf. Wollte er nicht überall von ihr berührt werden. „Soso... verdächtig! Lass uns doch mal ausprobieren... wo soll ich anfangen? An der Seite? Am Nacken? Am Bauch? Oder doch tiefer...?“ Tiefer. Berühren. L stoppte in seinen Gedanken, ehe er von ihrer Hand abließ und vom Sessel sprang als habe ihn etwas gestochen. Untypisch von ihm solch eine Reaktion zu zeigen, was dem alten Herren selbstverständlich auffiel und ihn erstaunte. Shaelyn bemerkte, dass ihr Opfer fort war und sich in Sicherheit gebracht hatte, setzte sie sich also normal auf den Sessel. „Es wird nicht besser, wenn du flüchtest. Ich kriege dich so oder so, dann bist du dran. Das wirst du nicht vergessen, dafür werde ich sorgen.“, drohte sie gelassen mit einem fiesen Grinsen im Gesicht, dabei überkam L ein Schauer, der in einmal durchschüttelte. Dennoch, er hatte gesiegt, zumindest für den Moment. „Das ... werden wir sehen.“, erwiderte er dunkel. Somit war die Herausforderung angenommen. L musste ab nun auf sich acht geben. Und Watari konnte nur mit dem Kopf schütteln. Sie benahmen sich tatsächlich wie Kinder. Genau dies tat der Meisterdetektiv. Achtete er peinlich genau auf ihre Bewegungen, beschäftigte sich im Endeffekt mehr mit ihr als ihm lieb war. Das nun schon seit weiteren vier Tagen, seitdem die Herausforderung angenommen war. Schnell hatte sie verstanden, dass das Heranschleichen nichts nutzte, ebenso wenig mit unerwarteten Attacken. L durchschaute sie. Egal was sie vorhatte, er war ihr einen Schritt voraus, was sie immer weiter ärgerte und sich stärker angespornt fühlte. Durch diese Aktionen lernte sie auch rasch die Wohnung besser kennen. Prägte sich Schritte ein, bestimmte Geräusche, schulte ihre Ohren. Noch konnte sie nicht sehen, was auch noch auf sich warten lassen würde, aber alleine die Tatsache nicht für immer blind zu sein, reichte aus um ihr ein gutes Lebensgefühl zu vermitteln. Und Rue half ihr ein gutes Stück dabei nicht in einen Trott zu verfallen. Alleine da sie sich dazu verpflichtet fühlte ihm zu zeigen, dass sie am Ende gewinnen würde. Shaelyn wollte L beweisen, dass sie Recht hatte. Er sollte ihr sagen, dass er sie mochte und er sollte etwas anderes. Lachen. Rue sollte lachen. Irgendwo musste sich ein schwacher Punkt befinden und diesen würde sie finden! „Shaelyn, ich werde für ein paar Tage nicht hier sein.“, begann ihr Großvater als er die Küche am frühen Abend betrat. Besah dieser auch gleich was Shaelyn versuchte. Sie wollte sich ein Brot schmieren. Ganz alleine. Würde er nun auch fragen ob er helfen sollte, bekäme er eine klare Absage. Seit den vergangenen Tagen wollte sie so gut wie alles selber schaffen und sie war keineswegs mehr nur am Schlafen. Alles entdeckte sie in der Wohnung für sich neu. Sicher, es war nach wie vor nicht angenehm, dennoch arrangierte sie sich mit sich. Alleine dass sie wieder so viel Kraft besaß war für Watari beeindruckend. So hoffte er, hatte sie die schlimmen Ereignisse verarbeitet. Denn bisher wollte sie auch nicht vor die Türe. „Oh, wirklich? Schade... wann bist du denn wieder da?“, fragte sie betrübt und hatte in ihrem Tun inne gehalten und sich automatisch zu der Stimme gewandt. „Wenn alles gut verläuft am Sonntag.“ „Hm... also in fünf Tagen...“ „Ryuzaki wird sich solange um deine Belange kümmern.“ „Das heißt, er wird etwas zu Essen besorgen? Der verlässt doch nie das Haus. Fast nie.“ „Ryuzaki ist vielseitiger als du denkst, Shaelyn. Er hat die letzte Zeit die Wohnung deinetwegen nicht verlassen.“ Erstaunt über diese Worte hielt sie inne, überlegte kurz, dann allerdings meldete sich Watari erneut zu Wort: „Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe. Keine Sorge und nur Mut.“ Auch wenn Shaelyn ihren Großvater nicht sehen konnte, wusste sie, dass er gerade lächeln musste. Das tat er immer, wenn er in dieser weichen Tonlage sprach, das war ihr bereits früh aufgefallen. „Mach dir lieber keine Sorgen mehr um mich. Ich mache schon so genug Probleme.“ „Gut, dann werde ich jetzt abreisen. Ein Hinweis noch. Der Schrank im Gästezimmer, er ist Ryuzaki sehr wichtig. Guten Abend noch.“ „... Ja, bis dann...“ Die Schritte verrieten, dass ihr Großvater gerade davon gegangen war, allerdings hatte er einige Fragen bei ihr hinterlassen. Wieso sagte er ihr so etwas? Was für ein Hinweis sollte das gewesen sein? Der Schrank im Gästezimmer? Besonders, wieso sollte Rue wegen ihr nicht die Wohnung verlassen? Er ging sonst auch nie vor die Türe... oder irrte sie sich in diesem Punkt? Offenbar kannte sie so vieles noch nicht von ihm. Während sie in Ruhe ihr Brot aß und auf dem Küchenstuhl saß, dachte sie angestrengt nach. Da war etwas mal gewesen mit einem Schrank. Urplötzlich fiel es ihr ein. Aber natürlich damals zu Weihnachten. Die unzähligen Süßigkeiten die sich darin befunden und Rue nicht zuletzt selbst begraben hatten. Zuvor stand dieses Möbelstück jedoch im Schlafzimmer. Es musste für sie um geräumt worden sein. Aber inwiefern konnte ihr dieser Hinweis dann nützlich sein? Es musste auf jeden Fall von Bedeutung sein. Verwirrend... „Darf ich fragen, was du da machst?“ Augenblicklich fuhr sie zusammen, biss sich dabei auf ihre Zunge, jammerte dann auch schon auf. „Ach verdammt! Mach dich doch bemerkbar!“, lispelte sie umgehend, schmeckte dabei den metallischen Geschmack. „Habe ich. Oder hast du meine Frage eben nicht verstanden?“ Die Schwarzhaarige grummelte vor sich her. Sie hatte ihn überhaupt nicht kommen gehört. Vielleicht auch kein Wunder, so wie sie mit ihren Gedanken beschäftigt war. „Ich esse. Sieht man das nicht?“ „Nein, ich sehe nichts davon und du hast ziemlich abwesend gewirkt. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“ Überrascht griff sie auf den Tisch vor sich. Tatsächlich ihr Brot war weg. Ach, sie hatte doch vorhin den letzten Bissen genommen. So gedankenverloren war dies gar nicht aufgefallen. „Ja, gibt es. Sag ich dir aber nicht.“ Demonstrativ verschränkte sie die Arme vor der Brust, blickte starr in seine Richtung. „Oh, das macht nichts.“ Er hörte sich absolut nicht beeindruckt an und auch nicht sonderlich interessiert, was sie nun doch skeptisch stimmte. Zur Abwechslung wollte er mal nicht wissen was sie so beschäftigte, besonders wenn es so seltsam klang? Träumte sie? Gerade als sie fragen wollte was er eigentlich in der Küche suchte, klirrte das Geschirr leise. Er ging wieder seiner Sucht nach, das auch gar nicht mehr ungewöhnlich war, zumindest für sie. Und was hätte er auch anderes suchen wollen an diesem Ort? Ein kleines Seufzen kam über ihre Lippen und sie lockerte die Arme vor der Brust. „Weißt du eigentlich, dass du alles nur schlimmer machst?“, sprach sie leise, stützte ihren Kopf nun am Küchentisch an der Hand ab. „Was?“ „Ach, das weißt du doch genau. Sag mir lieber was so schlimm daran ist. Was ist denn los?“ „Ich schätze... ich habe mich in dich verliebt.“ Eine Stille entstand. So ruhig, dass man sogar in der Küche noch den Nachbar hörte, wie dieser im Hausflur hustete. Kurze Anspannung war zu spüren, welche sofort wieder abklang. „Red' nicht so einen Unsinn, Rue. Damit spaßt man nicht. Also, wieso?“, folgte es gleich von Shaelyn, welche nicht sonderlich gerührt wirkte. „Du hältst es für Unsinn? Weshalb?“ Nun doch etwas Konfus blinzelte sie automatisch einige Male. „Na, es ist schon ein Wunder, wenn du sagen würdest, du magst mich. Wieso sollte ich dir jetzt diesen Mist abnehmen? Du lügst ja nur wieder. Außerdem kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass dir so etwas je passieren würde. Ist nicht böse gemeint, aber du bist dazu viel zu kühl und abweisend. Wenn etwas auch nur einen Hauch von Gefühl beinhaltet, lässt dich das unberührt. Zudem ist Liebe etwas was sich nicht erklären lässt und so wie ich dich kenne muss bei dir alles logisch sein. Passt alles Vorne und Hinten nicht. Und wir sehen mal davon ab, dass du mir so was niemals sagen würdest, falls es denn wirklich so wäre.“ „Hmh... verstehe. Und was ist, wenn ich schon wüsste, dass du so reagierst und es in Wirklichkeit doch der Wahrheit entspricht, weil du gerade annimmst ich lüge?“ Tiefe Falten bildeten sich auf ihrer Stirn, auch verzog sie den Mund. Und ehe sie genug Zeit zum Nachdenken fand, sprach Rue weiter: „Mal angenommen ich spräche die Wahrheit, du gehst von einer Lüge aus, wäre es dann nicht eine schöne Gelegenheit zu erfahren wie mein Gegenüber darüber denkt? Und wann gehst du von der Wahrheit aus? Was müsste ich tun damit du dir sicher sein kannst, dass ich nicht lüge?“ „Stopp. Du verwirrst mich! Also... heißt das... äh... du wolltest nur wissen wie ich darüber denke? Du weißt doch was ich von dir halte, da musst du mir nicht ein gefaktes Liebesgeständnis machen. Außerdem... wann ich es glauben würde? Keine Ahnung, du zeigst ja keine Gefühle, würde ich dir auch einen Kuss nicht abkaufen.“ „Folglich... würdest du es mir niemals glauben?“ „Ja.“ „... gut, du hast natürlich Recht. Selbstverständlich war es eine Lüge. Ich habe dich nur testen wollen.“ „Ja, sag ich doch. War aber echt unnötig.“ Und was wäre, wenn dieser Satz von ihm eine viel größere Lüge war? War dies nicht genau von L zu erwarten? Dann wäre die Lüge eine Lüge. Die Wahrheit in der Unwahrheit? Oder hatte er sie wirklich nur testen wollen? „Aber... wenn du wirklich was von mir wollen würdest, würde ich dir einen Korb geben. Du bist für mich wie ein Bruder geworden und ich könnte mir nicht vorstellen so einen Gefallen an dir zu finden. Also, nicht falsch auffassen, aber du bist in diesem Sinne überhaupt nicht mein Typ. Außerdem der Gedanke daran... du und ich … zusammen.“ Shaelyn überkam ein kurzer Schauer. Es war nicht der Ekel, aber eine unvorstellbare Sache. Und bizarr würde es alle Male aussehen. Alleine die Vorstellung eines Kusses überstieg ihre Fantasie. „Lassen wir das... kommen wir auf den Ursprung zurück. ICH KRIEG DICH NOCH!“, rief sie dann plötzlich siegessicher aus. „Du hast eine Schwachstelle und die werde ich finden... und dann wirst du für den Rest des Tages Bauchmuskelkater haben! Ich gebe nicht auf!“ Sie riss sich von Stuhl hoch, stemmte die Hände auf den Tisch. „Ich gehe dann besser mal.“, war es gelassen zu hören und gleich darauf seine patschenden Schritte über die Fliesen. Hatte er sie überhaupt gehört?! „Nimm meine Drohung gefälligst ernst!“, warf sie ihm beleidigt nach. „Warum?“, kam es monoton zurück und sie stieß in einem Mal die Luft aus der Nase, genau wie ein wütender Bulle. Rue Ryuzaki würde verlieren und wie er das würde! Später, um genau zu sein am späten Abend, saß Shaelyn auf der Couch, hörte wie Rue allerhand Süßes in sich stopfte und auch den Fernseher, den sie eingeschaltet hatte. Ja, sie konnte nicht sehen was passierte, aber wenigstens hören und was sollte sie sonst schon tun? Also versuchte sie ihre Fantasie ein wenig zu benutzen. Nur schwer, wenn nicht viel gesagt wurde und praktisch Stille herrschte. „Ach ist das ein Mist, was sieht man denn da?“, beschwerte sie sich schlecht gelaunt und deutete in Richtung Bildschirm. „Ich würde sagen.... Einen Fernseher.“, folgte es von der Seite nüchtern. „... Danke für die unglaubliche Beschreibung.“, meinte sie sarkastisch und nahm schnell die Fernbedienung in die Hand und schaltete das Gerät aus. Als es dann erneut ruhig wurde, seufzte sie. „Wie spät ist es?“ „Kurz vor Mitternacht.“ Gequält stöhnte sie auf, doch sog sie in einem Mal die Luft ein. Ein leises Rauschen drang in ihre Ohren, welches rasant zunahm. Es hatte begonnen zu regnen und ganz wie es sich anhörte war es ein Platzregen. Einige Minuten lauschte sie einfach nur dem Regen. Ein tiefer Wunsch erfüllte sie. „Rue?“, durchbrach sie das Schweigen schließlich und wartete auf seine Reaktion, welche auf sich Warten ließ. „Was ist?“ „Würdest du mit mir nach draußen gehen...?“ Ihre Frage hinterließ bei L einen konfusen Gesichtsausdruck. Um diese Uhrzeit, bei diesem Wetter? „Dir ist klar, dass es draußen regnet?“ „Ja gerade deshalb. Ich mag den Regen wirklich gern.“ L schien sich seine Antwort gut zu überlegen, was sie natürlich bemerkte. „Ich kitzel dich auch nicht, versprochen... obwohl es eine tolle Chance wäre. Aber ich würde halt gerne raus. Würdest du also mit mir raus in den Regen gehen? Bitte... ja?“ Ein kleines Seufzen war zu vernehmen, welches zweifellos von Rue stammen musste. „... In Ordnung. Aber zieh dich bitte ausreichend an.“ Denn falls sie krank werden sollte, würde er nichts Gutes von Watari zu hören bekommen, immerhin hatte der Schwarzhaarige die Aufsicht über sie. „Darf ich mich an dir festhalten? Ich hab' Angst zu fallen.“, nuschelte sie ängstlich. Shaelyn stand im Flur, die Kapuze ihrer Jacke schon aufgezogen und hielt sich gut am Geländer fest. Allerdings wusste sie nicht wie viele Treppen es waren und stolpern wollte sie nicht. Nicht zu wissen was sich vor einem befand, war eben beängstigend. Als trat man an eine Klippe, wovon man nicht wusste wie tief sie war und nur ein kleiner Pfad führte sicher hinunter. Somit war seine Hilfe notwendig. Shaelyn wollte gerade nachfragen, da fühlte sie seine kühle Hand an der ihren. Er musste vor ihr stehen, schon die erste Treppenstufe genommen haben, da er sie langsam hinunter zog. Schritt für Schritt nahm sie jede einzelne Treppe, trottete Rue hinterher, der sie weiter an der Hand hielt und vorging. Insgesamt zählte sie 110 Stufen, als sie sicher unten ankamen. Zehn Treppenstufen für eine Etage, was leicht zu merken war. Zufrieden lächelte sie, auch aus Erleichterung es geschafft zu haben. Sicherlich hatten sie auch einige Zeit gebraucht. Nachdem Rue seine Hand zurückzog, dachte Shaelyn jedoch nicht im Geringsten daran ihn los zu lassen. Schließlich wusste sie noch immer nicht wie viele Schritte es hinaus waren und draußen verhielt es sich nicht anders, demnach griff sie nach seiner Jacke am Rücken, an welcher sie zog. Der Detektiv beschwerte sich nicht. Nicht ein Ton verließ seinen Mund, auch nicht als er die Türe öffnete, allerdings merkte man deutlich, dass er auf seine Schritte bedacht war. „Weißt du Rue, ich finde es wirklich süß von dir.“, flüsterte sie verschämt in die Nacht hinaus, was im lauten prasseln des Regens unter gegangen war. So dachte sie zumindest, da von seiner Seite nichts erwidert wurde. Oder vielleicht wollte er darauf nicht antworten. Die Frage erübrigte sich von selbst als er stehen blieb, mitten im Schauer. Abrupt stieß sie gegen seinen Rücken, spürte die Nässe in ihrem Gesicht, da sein Rücken schon genug durchgeweicht war, dabei waren sie nicht einmal weit gelaufen. Es schüttete tatsächlich wie aus Eimern. Wie eine Sintflut, auf die man Jahre lang gewartet hatte und nun endlich das Land heimsuchte. Direkt nahm sie wieder ein wenig Abstand. „Was?“ Seine dunkle Stimme klang seltsam, was Shaelyn verunsicherte. Hatte sie denn etwas Falsches gesagt? „Na... dass du mit mir rausgehst und so... eben...“ „Nein, du siehst es falsch.“, antwortete er augenblicklich ohne einen Ausdruck von Gefühl. „W-wie meinst du das?“ „Ich bin Watari gegenüber verpflichtet. Meine Aufgabe ist es über dein Wohl zu entscheiden. Es hat also wenig damit zu tun, dass ich es aus Gefälligkeit mache.“ Diese Worte warten hart und trafen Shaelyn ebenso. Sollte das bedeuten er tat es nur weil er musste? Wie viel hatte er nur aus Pflichtgefühl getan? Alles? War Rue so herzlos? Shaelyn löste ihren Griff von seiner Jacke, stand wie verloren auf dem Gehweg. Sie fühlte sich plötzlich unglaublich einsam und verletzt. War alles nur geheuchelt gewesen? Zu seinem Zeitvertreib und Spaß? Hatte sie sich doch so tief täuschen lassen? „Du... magst mich also kein Bisschen? W... w-war ich für dich bisher immer nur ein Klotz am Bein, welchen du gerne loswerden wolltest?“ Sie begann zu weinen, fühlte den Regen kaum noch, der auf sie niederging. Und dieser war das einzige was sie hörte. Rue antwortete ihr nicht, so als stände sie alleine dort. „Es war also alles eine Lüge? Du hast nur mit mir gespielt? …“, hauchte sie fassungslos unter Tränen, welche vom Regen direkt fortgetragen wurden. Shaelyn spürte keine Wut. Einzig das Gefühl der Trauer, Enttäuschung und Resignation blieb zurück. War gerade dieser Mensch, den sie so lieben gelernt hatte wie einen Bruder, solch ein Monster? Ein Monster ohne nur den Hauch von Skrupel, von Gefühl und auch nur ein Funke Menschlichkeit? Es tat so furchtbar weh in ihrer Brust. Alles zog sich schmerzhaft zusammen, nahm ihr die Luft zum Atmen. „Ein Objekt. Ich bin nur ein störender Gegenstand in deinem Leben, dem du Aufmerksamkeit gibst, weil es ein Muss ist. Ich bin ein Nichts für dich. … I-ich habe nie wirklich für dich existiert.“ Jedes weitere Wort riss die Wunde tiefer und wurde zur Klarheit. Shaelyn war nichts wert. Alles Erlebte war eine Lüge. Ihre Rettung, als er seinen Kopf für sie riskierte. Die Worte mit der er sie aufgeheitert hatte als sie nicht redete. Kein einziges Wort war wahr. Weder zu Weihnachten, noch bis zum heutigen Tag. Und auch seine Sorge war nie echt gewesen. Nicht einmal hatte er sich um sie gesorgt. Nie hatte sie sich verletzter gefühlt. Von einem Menschen so enttäuscht zu werden den sie so sehr mochte und ihr wie kein anderer näher stand. „Du bist ... ein ... ein Monster...“ Es hörte sich wie eine Erkenntnis an, jene fast atemlos über ihre zittrigen Lippen kam. Kein Augenblick länger wollte sie bei diesem Mann stehen. Nichts wünschte sie sich mehr, nur den Tod. Einsam, blind und zutiefst gekränkt. Shaelyn setzte Schritte zurück, während ihre Tränen sich weiter mit dem Regen vermischten. Das Wetter, ihr Umfeld, die Gedanken an den Morgen. Dies alles war vergessen. Auch wenn sie ihren Weg nicht kannte und jeder weitere Tritt ihr Leben kosten könnte, ging sie rückwärts. Stolperte sie auch gleich über eine Kante, die sie mit dem Rücken auf die Straße fallen ließ. Die Hände stark zerschürft vom Asphalt, stützte sie sich auf. Sie musste ganz alleine auf dieser Welt sein. Es lähmte ihren Körper, wie ihren Verstand. Nur noch eins wollte sie. Nach Hause. Ihrem richtigen Zuhause. Die Welt, in der alles in Ordnung war. „Shaelyn, komm von der Straße! Schnell!“ Seine hastigen Worte drangen nicht zu ihr durch, ebenso wenig wie ein lautes Hupen. Alles was blieb war der Regen, der jegliches fort spülte, selbst das Blut auf der Straße. Hosted by Animexx e.V. 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