All the Wrong Reasons von Xynn (... are they the Right Decisions?) ================================================================================ Kapitel 34: Illusion -------------------- Der Wind strich sachte die weißen langen Gardinen des Wohnzimmers und kühlte schwach die nächtliche Luft. Grillen zirpten und verrieten, dass ein heißer Tag vorbei gezogen war. Und obwohl es tiefe Nacht war, saß niemand im Wohnzimmer vor dem Laptop, welcher schwach den großen leeren Raum erhellte. L hatte leise die Türe aufgedrückt und stand regungslos einige Sekunden im Dunkeln. Seine Augen ruhten auf Shaelyn, welche friedlich in ihrem Bett schlief. Schon oft besuchte er des Nachts ihr Zimmer. Und wie an diesem Abend konnte er nicht umhinkommen sie zu sehen. Behutsam schloss er die Türe hinter sich und trat an ihr Bett. Dieser Abend war anders. Es war der erste Besuch nach dem Ausflug, der ihm viel offenbart hatte. Und es war auch das erste mal, dass er seine Finger nach ihrem Gesicht ausstreckte und sanft mit seinen Fingerkuppen über ihre warme Wange strich. Nur um Anschließend für einen Moment ihre leicht geöffneten Lippen zu berühren. Shaelyn bewegte sich etwas und L zog seine Hand zurück. Sie würde nicht aufwachen, das wusste er bereits. Sie besaß einen sehr festen Schlaf, den sie ihm allerdings derzeit raubte. Sah er doch immer wieder ihr Gesicht wenn er die Augen schloss. L konnte nicht dagegen ankämpfen. Sein Ich verlangte nach ihr. Und dennoch fand er etwas Kraft sich erneut zurückzuziehen. Es war nicht seine Aufgabe. Nicht sein Leben. Shaelyn würde nie wissen wer er war. Sie würde nie seinen wahren Namen flüstern. Interessiert blätterte Shaelyn am Nachmittag in der Zeitschrift, die sie erst heute morgen mit Emma in der Stadt gekauft hatte. Das Titelbild hatte sie auf magische Weise angezogen, welches eine wunderschön verzierte Torte zeigte. Sie dachte sich, dass sie vielleicht einige Tricks lernen konnte. Und natürlich neue Inspiration finden würde. So wurden nicht nur Rezepte für Torten gezeigt, sondern auch für Backwaren im Allgemeinen. Sie machte sich fleißig mit einem Stift Kreuze an die Köstlichkeiten, die sie sicherlich bald mal ausprobieren würde. Ein Klopfen ließ sie von ihrer Zeitschrift zur Tür ihres Zimmers aufsehen. Ihr Großvater trat mit einem milden Lächeln ein und schloss hinter sich die Türe. Direkt setzte Shaelyn sich auf ihrem Bett auf. „Opa.“, begrüßte sie ihn freudig. „Was ist denn?“ Als sie das Magazin beiseite legte hörte sie ihren Großvater räuspern. Sie wusste nicht genau weshalb, aber es sagte ihr, dass es etwas Ernstes sein musste. Das bestätigte sich mit seinem Gesichtsausdruck der sich daraufhin einstellte. „Ich muss dir leider mitteilen, dass ich eine sehr lange Zeit verreisen muss.“ Überrascht zog sie ihre Augenbrauen zusammen und rutschte vom Bett, sodass sie vor ihm stand. „Ja,... okay. Wie lange?“ „Das kann ich zum derzeitigen Punkt leider nicht sagen.“ Prompt schluckte Shaelyn. Das klang nach einer langen Zeit. Ehe sie dazu eine Frage stellen konnte, sprach ihr Großvater weiter. „In England gab es einen Vorfall und ich muss einige Dinge klären.“ „Das Waisenhaus?“ Sie konnte beobachten wie ihr Großvater die Stirn runzelte. Nur wenige Augenblicke später nickte er. „Okay, kein Problem. Ich verstehe schon.“ Sie lächelte zögerlich. „Wann musst du los?“ „Leider unverzüglich, Shaelyn.“ Überrascht senkte sie den Kopf. Es musste etwas wirklich Schlimmes passiert sein, wenn er so abrupt abreisen musste. „Es gibt noch etwas.“ Direkt blickte sie erneut auf. Es lag ein seltsames Lächeln auf den Lippen ihres Großvaters. Es sah so aus, als freute er sich insgeheim für etwas. Der alte Herr griff in seine innere Jacketttasche und holte etwas hervor, das ihre Augen weiten ließ. Es war ein Fotostapel. „Ryuzaki bat mich darum dir diese auszuhändigen.“ Als sie schon danach die Hand ausstreckte, ergriff ihr Großvater erneut das Wort. „Du sollst sie für das nehmen, wofür sie gedacht sind.“ Irritiert sah sie zu ihrem Großvater auf. „Für... Erinnerungen?“ Er nickte bestätigend. Hastig nahm sie die Fotos an sich und lächelte freudig. „Dann muss ich ja morgen ein Album kaufen und sie alle einsetzen und beschriften!“ Ein Räuspern ließ sie aufmerksam werden. „Ich habe noch ein weiteres Foto.“ Ein einzelnes Foto? War es vielleicht...? Nein, das konnte nicht sein! Rue hatte vor ein paar Tagen so ausdrücklich gesagt, dass er es nicht hergeben würde. Dennoch stieg ihre Aufregung – sowie Hoffnung. Bevor sie sich dazu einen weiteren Gedanken bilden konnte, holte ihr Großvater das Gesagte hervor. Mit heftigem Herzklopfen nahm sie das letzte Foto entgegen. Und es ließ sie verträumt lächeln. Es war das Bild von Rue, das sie gedacht hatte nie zu bekommen. Behutsam strich sie mit ihren Fingern über das Foto. Ja, sie hatte ihn im perfekten Moment für immer festgehalten. Sie blickte auf. „Wie...? Ich dachte, …“ Der alte Herr zog eine Augenbraue an. „Er wollte, dass du es bekommst.“ Shaelyn schüttelte sachte ihren Kopf. Wieso gab er das Bild plötzlich her? Natürlich, es machte sie unendlich glücklich. Aber es hinterließ auch ein seltsames Gefühl. Warum entschied er sich doch anders? Nichtsdestotrotz seufzte sie zufrieden und drückte das Foto an ihre linke Brustseite. „Wieso auch immer. Ich werde es auch für das nehmen, wofür es gedacht ist.“, lachte sie leise. Doch auch ohne dieses Bild würde sie sich immer an ihn erinnern. Er saß tief in ihrem Herzen. Mit einem Lächeln verabschiedete sich Shaelyn von ihrem Großvater, der daraufhin den Flur hinabging. Sie würde ihn vermissen. Außerdem machte sie sich etwas Sorgen. Was wohl passiert war? Sie hoffte inständig, dass es nichts Furchtbares war. Als sie die Türe schloss, kam sie ins Grübeln. Wie lange ihr Großvater wohl weg sein würde? Wenn er selbst sagte, dass es eine lange Zeit sein würde, wie lang wäre das tatsächlich? Bisher war er nie länger als zwei Wochen fort gewesen. Das Haus erschien leerer in jener Zeit. Natürlich war Rue da. Aber ihr Opa war ebenso unersetzlich wie Rue. Ob sie Rue fragen sollte was in England passiert war? Besser sie tat es nicht. Denn wenn schon ihr Großvater nichts Wirkliches darüber verriet, würde es Rue ganz sicher auch nicht verraten. Shaelyn seufzte. Wieso gab es so viele Geheimnisse? Sie verstand es nach wie vor nicht. Auch wenn sie sich damit abgefunden hatte, so blieb immer ein mulmiges Gefühl zurück. Konnte sie sich vollkommen angenommen fühlen, wenn ihr Großvater und vor allem Rue solche Geheimnisse führten? War sie dann nicht immer ein Stück abseits? Sie wollte so gern alles von Rue wissen... . Traurig begann sie zu lächeln. Vielleicht war es doch besser, dass sie nicht alles wusste. Denn wer wusste schon was das für Geheimnisse waren. Shaelyn atmete einmal tief durch. Was brachte es schon, wenn sie über all die Dinge nachdachte. Natürlich hoffte sie darauf, dass man ihr eines Tages verriet was vor sich ging. Und eventuell hatte der Vorfall in England gar nichts mit den Geheimnissen hier zu tun. Denn wenn sie an das Gespräch eben zurückdachte, hatte sie gar keine Frage zum Geschehen gestellt. So gesehen hatte ihr Großvater auch nichts verschwiegen. Ja, sie wagte doch einen Versuch bei Rue … oder? L trank wie gewohnt von seinem Kaffee, stellte die Tasse anschließend zurück und naschte von der Süßigkeitenschale. Es störte ihn absolut nicht, dass Shaelyn schon eine ganze Weile, annehmend versteckt, an der Tür zum Wohnzimmer stand. Er wusste, dass sie da war und was sie wollte – und sie traute sich nicht herein zu kommen, oder sich gar zu zeigen. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie genug Mut fasste. Oder sollte er sie gleich zu sich rufen? Nein, er war sich sicher, dass sie bald zu ihm kam. L wandte seinen Oberkörper zur Wohnzimmertür und blickte diese an. Ein paar schwarze Haarsträhnen lugten am Türrahmen hervor. Plötzlich hatte er eine bessere Idee. Leise hob er sich aus dem Ledersessel, begab sich ebenso leise zur Türe, an welcher er kurz vor dem Durchgang stehen blieb. Er streckte seine Hand nach den wenigen Haarsträhnen aus und nahm sie zwischen die Fingerspitzen – und zog einmal beherzt daran. Was folgte war ein leiser Aufschrei und eine ruckartige Bewegung. Prompt fasste sie nach dem Grund ihrer Schmerzen und fand seine Hand. Shaelyn zeigte sich mit einem entsetzten Gesichtsausdruck, welchen er mit einem emotionslosen konterte. „Das hat weh getan!“ „Ah. Du bist das, Shaelyn. Ich fragte mich eine Weile was das Seltsames an der Türe ist.“, sagte er mit dem Daumen am Mund und betrachtete ihre Regung mit einem unschuldigen Ausdruck. Shaelyn verengte ein Auge misstrauisch. „Du hast die ganze Zeit gewusst, dass ich da bin?“ L nahm seinen Daumen vom Mund. „Könnte man annehmen.“ „Wieso machst du das dann?“ „Einfach nur so.“ „'Einfach nur so'?“ „Ja.“ „Kommen wir hier weiter im Gespräch, oder geht das so weiter?“ „Das kommt ganz darauf an.“ Shaelyn seufzte entnervt auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Manchmal frage ich mich wirklich was ich eigentlich von dir will.“ L hob eine Augenbraue sowie einen Finger. „Eine Liaison.“, klärte er sie auf, was sie plötzlich erröten ließ. „Und? Hast du was dagegen?“ Sie grinste ihm breit entgegen. „Obwohl ich es keine 'Liaison' nennen würde. Das klingt so, als würde ich nur … mit dir... mit dir ins Bett wollen.“ Das zu sagen hatte ihr Überwindung gekostet. Und damit begann sie das kleine Spiel, also spielte er amüsiert mit. Er stellte er den Kopf schief. „Willst du nicht?“, fragte er neugierig, woraufhin ihre Wangen zu glühen begannen. „I-Ich...! … Wieso soll ich dir das sagen?! Und wieso sprichst du so was an?! Wie zur Hölle kannst du dabei nur so ruhig bleiben?!“ „Ist das ein Grund nervös zu werden?“ „Ja!“ Als L erneut seinen Mund öffnete, schnitt sie blitzschnell dazwischen. „Komm mir jetzt nicht mit dem Natürlichkeits-Ding!“ Also schloss L seinen Mund wieder. „Es macht mich nun mal nervös. Vor allem wenn ich mit dir darüber reden... soll. Lass uns das Thema wechseln. Ich wollte mit dir über etwas anderes reden.“, gab sie zuletzt selbstsicher von sich. Sein Ausdruck veränderte sich - er wurde ernst. Shaelyn war gefasst und sie war von ihrem Vorhaben nicht gewichen, weshalb es jetzt wohl doch an der Zeit war mit ihr über Watari sein Ausbleiben zu reden. L steckte seine linke Hand in die Hosentasche, hob seine rechte an und trat zur Seite. „Setz' dich doch.“, bot er ihr unmittelbar an. Es war beklemmend als Shaelyn sich auf das Sofa setzte. Vor allem da Rue direkt neben ihr platz nahm. Verwirrt blickte sie demnach kurz auf seinen Stammsessel. Warum setzte er sich jetzt neben sie? Mit einem unguten Gefühl nahm sie den Blick vom Sessel und stellte unmittelbar fest, dass sie beobachtet wurde. Sein starrer Blick registrierte jede ihrer Bewegungen. Schnell wich sie ihm aus. „Was gibt es?“, drang es an ihr rechtes Ohr. „Du weißt es doch schon längst.“, gab sie zögerlich von sich. Natürlich musste er es wissen. Er wusste immer alles. „Ja.“ Es war ein seltsam ruhiger Ton, der sie dazu brachte doch zu ihm zu schauen. Seine Augen waren klar, seine Regung unberührt. Was hatte das zu bedeuten? Seine Mimik war verändert. Es war kein üblicher regungsloser Ausdruck. Irgendetwas war daran anders. „Opa wird wohl eine lange Zeit nicht hier sein. Warum?“ Rue wendete seinen Blick ab und richtete ihn vor sich, während er nach etwas Süßem in einer Schüssel griff. War er ... nervös? Shaelyn war sich nicht sicher, allerdings war das immer ein Anzeichen, dass ihn etwas stark zum Nachdenken anregte. „Die Umstände sind kompliziert.“, führte er an, was sie schwach nicken ließ. Sie mussten kompliziert sein, wenn ihr Großvater für eine unbestimmte Zeit fort musste. Aber was genau war passiert? Was bedeutete das alles? „Was ist vorgefallen? Ist jemand zu Schaden gekommen?“ Rue wandte sich ihr zu und gleich musste sie schlucken. Diesmal konnte man eine Regung erkennen. „Du hast Recht. Es ist jemand zu Schaden gekommen und ich fürchte, das wird Konsequenzen haben.“ Ihr Herz setzte für einen Moment aus und sie senkte betroffen den Kopf. Hieße das, dass ihr Großvater in Schwierigkeiten steckte? Würde ihm etwas zustoßen?! Direkt sah sie wieder auf. „Opa wird doch nichts passieren, oder?“, fragte sie direkt besorgt. Ihm durfte nichts passieren! Er war doch ihre Familie. Alles was ihr geblieben war... L zögerte. Shaelyn hatte bereits feuchte Augen. Ihre Sorge war groß – doch war es nicht Watari, worum sie sich sorgen sollte. Der Vorfall in England stand mit ihm, L, in Verbindung – in jeder Hinsicht. In Zukunft hatte die Sicherheit Vorrang, da es ungeklärt war, welche Folgen es genau nach sich zog. Doch eines wusste L. Shaelyn war ein sehr interessantes Ziel, weshalb er sie um jeden Preis beschützen würde. „Nein, deinem Großvater wird nichts passieren.“, sagte L und legte sachte seine linke Hand auf ihren Kopf. Überrascht blinzelte Shaelyn ihre Tränen aus dem Augenwinkel. „Wirklich?“ „Ja.“, gab er ruhig von sich, woraufhin sie ihm ein Lächeln schenkte. Als er seine Hand von ihrem Kopf ziehen wollte, griff sie sanft danach. Für einen Moment blickte sie ihm stumm mit einem Lächeln entgegen. Ihre Hand war warm und weich. Kurz strich sie liebevoll mit ihrem Daumen über seinen Handrücken „Danke.“, sprach sie leise. Und da war es wieder. Sein Herz hatte begonnen wild zu klopfen. Nachdem L sich vergewissert hatte, dass Shaelyn schlief, gab er Watari das Zeichen sich umgehend zu melden. Es dauerte nicht lang und der Bildschirm seines Laptops verzeichnete einen Anruf. Schnell hockte sich L auf seinen Sessel und nahm den Anruf entgegen. „Wie ist die Lage?“, fragte der Detektiv umgehend, während er eine Hand zum Mund führte. „Leider muss ich Ihre Vermutung bestätigen.“ Direkt biss sich L auf seinen Daumen. Das waren äußerst schlechte Nachrichten. Angestrengt versuchte L seine Möglichkeiten einzuschätzen. „Da gibt es noch etwas.“, kam es unerwartet von Watari, sodass L verwundert aufsah. „Er hat eine direkte Nachricht hinterlassen. Ich schicke Ihnen das Bild.“ Eine direkte Nachricht... . Der Detektiv konnte sich bereits vorstellen, wie diese Nachricht gestrickt war. Er kannte diese Person nur zu gut. Kaum wenige Sekunden später traf das Bild ein, welches L sofort öffnete – Und es ließ keinen Zweifel. Die Herausforderung war an L selbst adressiert. L hatte einen Gegenspieler – jener ohne Skrupel sein Ziel verfolgte und versuchen würde jeder seiner Schwächen aufzudecken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)