Motte vs. Bastard von Karma (Leon x Frankie) ================================================================================ Halloween --------- So, und hier ist auch der erste der angekündigten One-Shots. Diejenigen unter euch, die auch Welcome to my life lesen, können ja mal die Parallelen zum fünfzehnten Kapitel suchen. Dürften nicht allzu schwer zu finden sein. Viel Spaß! Karma ~*~ "Och nee, oder? Sag mir bitte, dass wir heute Abend nicht schon wieder nur hierher gekommen sind, weil dieser Kerl auch da ist!" Micah, mein Cousin und wohl auch so was wie mein bester Freund, funkelt mich wütend an und hält mich am Arm fest, als ich seinem Blick auszuweichen versuche. "Verdammt, Frankie!", motzt er, denn mein Gesichtsausdruck ist ihm offenbar Antwort genug. "Das ist doch bescheuert! Vergiss diesen Drecksack endlich und such Dir lieber nen vernünftigen Kerl – einen, der Dich auch zu schätzen weiss. Dieser Penner ist es einfach nicht wert." Auf diese Worte reagiere ich nur mit dem trotzigen Verschränken meiner Arme vor der Brust, was Micah wiederum ein resigniertes Seufzen entlockt. "Du bist echt nicht mehr zu retten", bescheinigt er mir und fährt sich mit beiden Händen durch seine braunen Haare, als ich einfach nur mit den Schultern zucke. "Das weiss ich selbst. Aber ich kann doch auch nichts für meine Gefühle", murmele ich leise und hoffe, dass meine Worte in der Musik untergehen. Micahs schräger Blick macht mir allerdings klar, dass er sie durchaus gehört und auch verstanden hat. Allerdings sagt er nichts mehr, sondern schüttelt nur noch einmal den Kopf und verschwindet dann in der Menge, um sich zur Bar durchzukämpfen. Ich sehe ihm nur ganz kurz nach, ehe ich meinen Blick durch den Club schweifen lasse auf der Suche nach demjenigen, wegen dem ich heute – mal wieder, wie Micah jetzt anmerken würde, wenn er noch neben mir stünde – hier bin. Lange muss ich ihn nicht suchen. Ich habe einfach einen eingebauten sechsten Sinn, wenn es darum geht, Leon – so heisst mein persönlicher Traummann, der zugleich Micahs absoluter Alptraum ist – zu finden. Wie meistens steht er in der Nähe der Bar, die hier die ganze Wand einnimmt – Micah ist ans andere Ende verschwunden; er würde nie im Leben freiwillig mehr Zeit als unbedingt nötig in Leons Nähe verbringen, weil er ihn auf den Tod nicht ausstehen kann – und gestikuliert lebhaft auf die Leute ein, mit denen er meistens abhängt. Das Mädchen, das links neben ihm steht, piekt ihm gerade mit dem Zeigefinger gegen die Brust und als er daraufhin anfängt zu lachen, kann ich mir ein Seufzen nicht verkneifen. Ich würde jetzt zu gerne da drüben bei Leon und seinen Freunden stehen und einfach nur mit ihm reden. Aber noch lieber wäre ich derjenige, dem er jetzt so einen Arm um die Schultern legt, wie er das gerade bei dem Mädchen macht. Nicht, dass hier jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Sie ist nicht seine Freundin. Geht auch gar nicht. Leon kann in sexueller Hinsicht mit Mädchen genauso viel anfangen wie ich – nämlich gar nichts. Ja, genau, er ist schwul. Und ich auch. Aber nur weil wir beide zufällig auf unser eigenes Geschlecht stehen, heisst das noch lange nicht, dass er deshalb auch automatisch auf mich steht. Mein Pech. Ich stehe nämlich auf ihn. Ziemlich sogar. Okay, zugegeben, das ist schon wesentlich mehr als nur "Ich steh auf ihn". Das ist "Ich bin total in ihn verliebt und ihm absolut rettungslos verfallen", und zwar in Reinkultur. So richtig schön mit Herzflattern, feuchten Händen und der obligatorischen Ameisenfarm im Magen, wenn ich ihn sehe. Ätzend, aber echt. Und noch ätzender ist es, dass ich absolut nichts dagegen machen kann. Oh, und dass ich nicht die geringste Chance bei ihm habe, weil ich nämlich absolut nicht sein Typ bin, ist einfach nur die Krönung des Ganzen. Sozusagen das Sahnehäubchen auf dem Scheisshaufen der Verliebtheit. Ganz geil, echt. "Mann, ey, Dein langes Gesicht ist ja echt nicht zu ertragen. Hier." Damit drückt Micah, der inzwischen von seinem Ausflug zur Bar zurück ist, mir eine Flasche in die Hand, die ich nur zu gerne annehme, als ich sehe, wie Leons Blick sich auf einen Typen heftet, der wesentlich mehr seinem Beuteschema entspricht. Klein, niedlich, naiv, zierlich und am besten auch noch unschuldig. Genau so müssen die Jungs sein, die Leons Aufmerksamkeit haben wollen. Dummerweise trifft eigentlich keins der gerade genannten Kriterien auf mich zu. Ich bin zwar kleiner als er, aber der Größenunterschied beträgt nicht mal zehn Zentimeter und fällt deshalb auch nicht wirklich ins Gewicht. Naiv war ich mit zwölf – also vor fünf Jahren – vielleicht mal, aus den Definitionen "zierlich" und "niedlich" bin ich schon eine ganze Weile rausgewachsen und unschuldig bin ich seit ungefähr zwei Jahren auch nicht mehr. Versteht man, warum ich deprimiert bin? "Scheint, als hätte Dein Lampion für heute Nacht schon wen zum Heimleuchten gefunden", macht Micah mich auf das Opfer von Leons neuester Baggerattacke aufmerksam und ich seufze erneut, ehe ich meinem Cousin mit etwas Verspätung gegen den Oberarm boxe. "Lass dass!", fauche ich ihn an, aber das ignoriert er einfach. "Was denn? Ist doch so. Ausserdem waren das Deine Worte, mein lieber Frankie", erinnert er mich und ich genehmige mir einen tiefen Schluck von meinem Bier, um ihn nicht gleich wieder zu schlagen. "So hab ich das nie gesagt!", stelle ich danach richtig und Micah wirft mir einen bösen Blick zu. "Nein, natürlich nicht. Du hast nur so widerlich schmalziges Zeug von Dir gegeben, dass ich dachte, ich müsste das Laminat in meinem Zimmer danach putzen, um den ganzen Schleim wieder wegzukriegen. "Ich bin die Motte und er ist mein Licht." Bah, das klingt so ekelhaft kitschig, dass ich kotzen möchte!", ätzt er und ich ramme ihm nun doch meinen Ellbogen in die Rippen. Allerdings ist er das von mir gewohnt, also stört er sich nicht daran, sondern nippt stattdessen nur an seinem eigenen Bier. "Was denn? Ist doch wahr. Jedes Mal, wenn Du von diesem Arschloch sprichst, klingst Du wie ein dreizehnjähriges, liebeskrankes Schulmädchen", beschwert er sich weiter und ich seufze, widerspreche aber nicht. Er hat ja Recht – auch mit dem, was er über Leon sagt. "Ich weiss ja selbst, dass er ein egoistischer Bastard ist", gebe ich zu, aber das, was mir sonst noch so durch den Kopf geht – "Aber verdammt noch mal, er ist nun mal der verfickt geilste Bastard, den ich kenne!" –, behalte ich lieber für mich. Das muss ich allerdings auch gar nicht laut aussprechen. Micah versteht mich auch so. Einerseits kennt er mich inzwischen wirklich lange und gut genug, um mir meine Gedanken am Gesicht ablesen zu können, und andererseits habe ich ihn mit meinen Schwärmereien und meinen Depri-Anfällen gleichermaßen schon so oft zugelabert, dass es beinahe an ein Wunder grenzt, dass ihm die Ohren davon noch nicht abgefallen sind. Ich genehmige mir noch einen Schluck von meinem Bier, um mir das Seufzen zu verkneifen. Allerdings schaffe ich es zu meinem Leidwesen nicht, meinen Blick von Leon und seinem neuen Spielzeug für heute Nacht abzuwenden. Ich muss zugeben, der Kleine ist wirklich süß – auch wenn er gerade kuckt wie ein verschrecktes Reh. Ein Teil von mir hasst den kleinen Mistkäfer aus tiefstem Herzen, einfach weil er mühelos Leons Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat, während ein anderer Teil von mir ihn genau darum beneidet. Mir ist es noch nie gelungen, Leons Aufmerksamkeit zu bekommen. Dabei gehen wir sogar auf die gleiche Schule. Er ist in der Stufe über mir und muss auf dem Weg zu seinem Klassenraum im ersten Stock zwangsläufig an meiner Klasse vorbei. Mein Klassenraum liegt nämlich im Erdgeschoss, gleich neben der Tür zum Schulhof. Ich sehe Leon also jeden Tag, aber er sieht mich grundsätzlich nie. Jedes Mal, wenn er an mir vorbeigeht, komme ich mir so unsichtbar vor, dass ich am liebsten laut schreien würde, aber ich glaube, selbst dann würde er mich nicht ansehen. Es hat ja nicht mal was genützt, dass ich mir die Haare gefärbt habe. Für Leon bin und bleibe ich einfach unsichtbar. Er sieht nur die Jungs, die ihn interessieren. Alle anderen sind Luft für ihn. "Sieht aus, als hätte Dein Herzallerliebster gerade nen Korb gekriegt", holt Micah mich wieder aus meinen Gedanken und nach kurzem Blinzeln stelle ich fest, dass er Recht hat. Der Kleine, an dem Leon eben noch so energisch rumgebaggert hat, hat gerade die Zunge eines anderen Typen im Mund und ich kann nichts gegen das Grinsen tun, das sich bei diesem Anblick auf meine Lippen stiehlt. In den fast sieben Monaten, in denen ich mich jetzt schon in schöner Regelmäßigkeit selbst damit foltere, mir jedes Wochenende Leons Baggerattacken auf irgendwelche süßen kleinen Schnuckelchen mit anzusehen, hat Leon meines Wissens nach ganze drei Mal eine Abfuhr gekriegt. Das hier ist also erst das vierte Mal, dass es nicht so läuft, wie er sich das vorstellt. Normalerweise kriegt er eigentlich immer, was – oder vielmehr wen – er will. Das muss ein ganz schöner Schlag für sein Ego sein. Und es ist zugegebenermaßen eine Wohltat für meins. Ich weiss zwar, dass Leon ein schlechter Verlierer ist und sich jetzt gleich das nächste Uke-chan zum Angraben suchen wird, aber trotzdem ist es für mich ein Triumph sondergleichen, dass er eben nicht gleich beim Erstbesten zum Zug kommt. "Was ein Pech für ihn", kann ich mir nicht verkneifen und fange mir aufgrund meines hämischen Tonfalls einen schiefen Seitenblick meines Cousins ein. "Das bringt Dir doch auch nichts. Der reisst sich jetzt einfach nen Anderen zum Vögeln auf und fertig. Was hast Du also davon? Gar nichts", weist er mich zurecht und ich schlage halbherzig nach ihm, muss ihm aber zu meinem Leidwesen trotzdem Recht geben. Mir bringt der Korb, den Leon gerade gekriegt hat, wirklich absolut nichts. Immerhin rennen hier noch jede Menge hübsche Jungs rum, die genau seinem Beuteschema entsprechen. Super. Abgrundtief seufzend lehne ich mich mit dem Rücken an die Hallenwand. Der kalte Stein so nah an meiner Haut – ich trage nur ein dünnes, am Hals schon ziemlich ausgeleiertes Shirt, das mir beim Schlag nach Micah halb von der Schulter gerutscht ist – lässt mich frösteln, aber trotzdem verharre ich in meiner Position und leere erst mal mein Bier. Dabei drehen sich meine Gedanken unablässig um das "Gesülze", das ich Micahs Worten zufolge im Bezug auf Leon so von mir gebe. So schmalzig das, was ich da vor ein paar Monaten abgelassen habe, auch klingen mag, es ist trotzdem die Wahrheit. Leon und ich sind wirklich wie die Motte und das Licht. Wo auch immer er ist, bin ich meistens nicht allzu weit. Sieht man ja heute Abend mal wieder ganz deutlich. Er zieht mich eben einfach magisch an, aber dummerweise sind es immer Andere, die er mit zu sich nach Hause nimmt und auszieht. Aber was erwarte ich eigentlich? Motten sind eben hässlich. Wer will so was schon? "Meine Fresse, Frankie, jetzt lass Dich doch wegen diesem Arschloch nicht immer so hängen! Der Kerl ist es einfach nicht wert! Für so einen bist Du viel zu schade. Du hast was Besseres verdient als den!" Micahs Stimme klingt abwertend und ich kann ihm das nicht mal verübeln. Er meint es ja nur gut, aber trotzdem schüttele ich stur den Kopf. "Ich will aber keinen Anderen", beharre ich und jetzt ist es Micah, der abgrundtief seufzt. "Dir ist echt nicht mehr zu helfen", bescheinigt er mir und schüttelt seinerseits kurz den Kopf, ehe er mir genau in die Augen sieht. "Wie lange willst Du Dich wegen diesem Scheisskerl eigentlich noch dauernd selbst fertig machen? Das führt doch zu nichts", versucht er es jetzt auf die Vernunfttour und zieht erstaunt eine Braue hoch, als ich auf seine Worte nicht wie sonst mit irgendwelchen Ausreden oder Möchtegern-Argumenten reagiere, sondern stattdessen mit einem zustimmenden Nicken. "Du hast Recht", verblüffe ich meinen Cousin. "Das führt wirklich zu nichts. Und genau deshalb ist damit jetzt auch endgültig Schluss." Mit diesen Worten drücke ich dem völlig perplexen Micah meine leere Bierflasche in die Hand und stoße mich dann von der Hallenwand ab, um mich durch die Menge zu drängeln. Meine Augen halte ich dabei fest auf mein Ziel – Leon – gerichtet. Alles andere blende ich einfach aus. Heute ist Schluss mit der verfluchten Untätigkeit der letzten Monate. Heute Abend werde ich dafür sorgen, dass er mich endlich mal wahrnimmt. Sobald ich Leons Clique erreicht habe, halte ich mich nicht lange mit Vorgeplänkel auf. Es ist mir vollkommen egal, dass er gerade in ein Gespräch mit dem Mädchen von vorhin vertieft ist. Ich mache mir auch nicht die Mühe, irgendetwas zu sagen oder mich ihm und seinen Freunden erst noch großartig vorzustellen. Stattdessen packe ich Leon an der Schulter, drehe ihn zu mir herum und sobald er mich etwas verdutzt ansieht, nehme ich ihm die Zigarette aus dem Mund und schnappe mir dann den Kragen seines Shirts. Daran ziehe ich ihn zu mir nach unten und presse meine Lippen energisch auf seinen Mund. Er ist davon offensichtlich so überrumpelt, dass er nicht reagieren kann, und diesen Umstand nutze ich aus, um meine Zunge zwischen seine Lippen zu schieben und ihn richtig zu küssen. Auch darauf geht er nicht ein, aber ich erlaube mir auch nicht, das Ganze allzu lange dauern zu lassen. Vier, fünf Sekunden gönne ich mir nur das Gefühl von seinen Lippen auf meinen, dann lasse ich wieder von ihm ab, gebe ihm seine Zigarette zurück, sehe ihn noch einmal kurz von unten herauf an und tauche dann schnell in der Menge unter, ehe er sich von seiner Überraschung erholen kann. Zu meiner eigenen Sicherheit verkneife ich es mir, nach dieser Aktion zurück zu meinem Cousin zu gehen. Wenn Micah gesehen hat, was ich gerade getan habe – und das hat er mit Sicherheit; er ist ja nicht blind –, bringt er mich eiskalt um, sobald er mich in die Finger kriegt. Ich mache also einen großen Bogen um ihn und schlängele mich durch die Menge der Feiernden zum Ausgang der Halle. Dort hole ich mir einen Stempel, damit ich nachher wieder rein kann – zahlen muss ich jetzt noch nichts, das Bier vorhin ging auf Micahs Rechnung –, und verlasse dann die Halle, um erst mal ein bisschen frische Luft zu schnappen. Draussen ist es arschkalt, aber das merke ich nur am Rande. Ich friere auch nicht wirklich. Im Gegenteil. Eigentlich ist mir gerade sogar ziemlich warm. Habe ich Leon – Mr. Egoistischer Bastard persönlich – eben wirklich geküsst? Ich muss vollkommen verrückt geworden sein. Oder da war irgendwas in dem Bier drin, das ich neuerdings nicht mehr vertrage. Was es auch ist, ich kann mich einsargen lassen. Definitiv. Wenn Leon mich für diese Aktion, die ich mir da gerade geleistet habe, nicht höchstpersönlich kaltlächelnd umbringt, dann wird Micah das mit Freuden für ihn übernehmen. Ich bin also auf jeden Fall am Arsch. Allerspätestens am Montag in der Schule kann ich mich von meinem Leben verabschieden. Ich sollte jetzt am besten nach Hause fahren und schon mal mein Testament aufsetzen. Dabei wollte ich meinen achtzehnten Geburtstag eigentlich noch erleben. Aber das habe ich mir wohl gerade selbst gründlich vermasselt. Allerdings stört mich das Ganze nicht mal halb so sehr, wie es mich eigentlich stören sollte. Immerhin weiss ich jetzt, wie Leons Lippen sich anfühlen, also kann ich wenigstens als glücklicher Vollidiot sterben. Ein erfülltes Leben sieht zwar anders aus, aber heisst es nicht: "Nur die Besten sterben jung"? Wenn man es so betrachtet, dann muss ich wohl ziemlich gut sein. "Sag mal, was sollte das denn eben?", holt eine Stimme, die ich nur zu gut kenne, obwohl ihr Besitzer gerade zum ersten Mal das Wort direkt an mich richtet, mich wieder aus meinen Gedanken darüber, wie meine Beerdigung wohl aussehen wird. Verwirrt und auch etwas erschrocken drehe ich meinen Kopf in Richtung des Sprechers und merke gleich, dass ich eindeutig keine akustischen Halluzinationen hatte. Vor mir steht tatsächlich Leon und an der Art, wie er seine Brauen zusammengezogen hat, kann ich deutlich erkennen, dass er ziemlich angefressen ist. Da ich allerdings mittlerweile absolut nichts mehr zu verlieren habe, beantworte ich seine Frage nur mit einem vagen Schulterzucken. "Was schon? Ich steh auf Dich. Und es kotzt mich einfach ganz tierisch an, wenn ich ständig mit ansehen muss, wie Du mit Anderen rummachst." So, jetzt ist es raus. Jetzt muss er mich nur noch dafür auslachen, dass ausgerechnet jemand wie ich ihm so was sagt, dann haue ich ab nach Hause und prügele in meinem Zimmer eine Weile auf mein Kissen ein, um bloß keinen Heulkrampf zu kriegen. Und dann kann Micah mich auch getrost umbringen, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Dann habe ich es wenigstens gleich ganz hinter mir und muss Leon nie wieder unter die Augen treten. Sehr zu meiner Überraschung lacht Leon allerdings nicht über mein blödes und auch ziemlich peinliches Geständnis, sondern mustert mich stattdessen erst mal gründlich und ziemlich abschätzig von oben bis unten. Unter seinem Blick fühle ich mich nackt und ausgeliefert, muss aber halb zu meinem Entsetzen, halb zu meiner Belustigung feststellen, dass mich diese Musterung alles andere als kalt lässt. Ich bin eindeutig bekloppt. Aber hey, wer kann mir das verdenken? Das hier ist immerhin das erste Mal, dass der Typ, auf den ich schon seit einer Ewigkeit stehe, mich wirklich richtig ansieht. Ich müsste schon tot sein, um darauf nicht zu reagieren. Und noch fühle ich mich eigentlich ganz lebendig. "Du bist nicht mein Typ", teilt Leon mir mit, als er seine Musterung abgeschlossen hat, und ich grinse freudlos. Seine Worte sind wie ein Tritt in den Magen, aber das lasse ich mir nicht anmerken. Er muss schliesslich nicht wissen, wie weh es tut, eben nicht seinem Beuteschema zu entsprechen. "Ach, sag an. Wirklich nicht?", frage ich deshalb ironisch und verdrehe dann die Augen. Für wie blöd hält er mich eigentlich? Glaubt er wirklich, ich hätte nicht schon längst gesehen, auf was für Typen er eigentlich steht? Blind bin ich noch nicht, danke. "Hätte ich nie gemerkt, echt." Damit will ich eigentlich an ihm vorbei und wieder zurück in die Halle gehen, aber er hält meinen Arm fest, dreht mich wieder zu sich um und im nächsten Moment liegen seine Lippen auf meinen und seine Zunge drängt sich in meinen Mund. Der Kuss schmeckt ein bisschen nach Bier, ein bisschen nach der Zigarette, die er vorhin geraucht hat, und ganz viel nach Leon – so sehr, dass ich mich haltsuchend in seinem Shirt festkrallen muss, um nicht umzukippen. Heilige Scheisse, das passiert doch gerade nicht wirklich, oder? Wenn das ein beschissener Traum ist, dann will ich verfickt noch mal nie wieder aufwachen! "Wenn hier jemand jemanden küsst, dann bin ich das, klar?", fragt Leon, nachdem er wieder von mir abgelassen hat, und ich kann nur noch nicken. Noch immer habe ich seinen Geschmack im Mund und mein einziger Gedanken ist: Mehr! Ich will verfickt noch mal mehr davon! Verdammt, der Kerl macht süchtig! Und ich gehe jede Wette ein, dass er das nicht nur ganz genau weiss, sondern dass er genau das bei jedem seiner süßen kleinen Uke-chans auch beabsichtigt. Aber was, verdammt, verspricht er sich bitteschön davon, mich halb besinnungslos zu knutschen? Ich bin immerhin alles, aber keiner dieser niedlichen kleinen Jungs, die er sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit abschleppt und vögelt, also was sollte das werden? Oder war das einfach nur die Rache dafür, dass ich ihn eben in der Halle praktisch überfallen und geküsst habe? Falls ja, dann ist diese Rache ein voller Erfolg. Diesen Kuss werde ich sicher bis an mein Lebensende nicht mehr vergessen können. Und jetzt weiss ich auch, warum die ganzen Uke-chans ihm ohne Ende nachrennen, obwohl er eindeutig zu der "Einmal ficken, weiterschicken"-Fraktion gehört. Wenn seine Kusstechnik ein Indikator dafür ist, wie gut er im Bett ist, dann gute Nacht. Allein der Gedanke daran macht meine Knie ganz weich und lässt dafür einen anderen Teil meiner Anatomie so hart werden wie nie zuvor. Ach Du heilige Scheisse! "So, und jetzt noch mal: Was sollte der Quatsch da vorhin?", reisst Leons Stimme mich wieder aus meinen eindeutig nicht mehr ganz jugendfreien Gedanken und ich schüttele leicht den Kopf, um diese Bilder schnellstmöglich wieder loszuwerden. Die sind jetzt gerade ganz und gar nicht förderlich für die Durchblutung meines Gehirns, weil sie stattdessen für einen Blutstau ein paar Etagen weiter südlich sorgen. "Gegenfrage: Wann hast Du das letzte Mal nen Blowjob gekriegt?", kontere ich und grinse wesentlich selbstsicherer, als ich mich gerade fühle. "Trauen Deine kleinen Uke-chans sich überhaupt, Deinen Schwanz in den Mund zu nehmen?", schiebe ich noch hinterher und ziehe fragend eine Braue hoch. Dabei frage ich mich innerlich, ob ich jetzt gerade endgültig durchgedreht bin. Viel deutlicher kann man sich ja wohl nicht mehr anbieten, oder? Aber hey, er ist immer noch da. Und er sieht tatsächlich so aus, als würde er ernsthaft über die Frage nachdenken, die ich ihm gerade gestellt habe – und auch über das Angebot, das meine Worte zweifellos auch in seinen Ohren darstellen. "Ach, und Du würdest das also tun, ja?", weicht er einer direkten Antwort aus, aber das genügt mir vollauf. "Ja, würde ich", gebe ich selbstbewusst zurück und recke das Kinn, um ihm besser in die Augen sehen zu können. "Kannst es ja drauf ankommen lassen", biete ich an und streiche ihm mit zwei Fingern einmal kurz und provozierend über den Schritt. "Natürlich nur, wenn Du Dir zutraust, auch mit jemandem fertig zu werden, der keins von Deinen kleinen, harmlosen Uke-chans ist." Insgeheim wundere ich mich zugegebenermaßen ein wenig darüber, dass ich hier gerade solche Reden schwinge. An dem einen Bier vorhin kann das eigentlich nicht liegen. Gut, ich bin sonst auch nicht unbedingt prüde oder verklemmt, aber so habe ich mich bisher noch nie angeboten. Andererseits, geht es mir durch den Kopf, als Leons Augen aufgrund meiner Worte und meiner Hand in seinem Schritt merklich dunkler werden, ist das doch eigentlich scheissegal. Die Hauptsache ist doch, dass ich heute Nacht kriege, was ich will. Mir ist durchaus klar, dass Leon meine Gefühle nicht erwidert und sie auch nie erwidern wird, aber darüber kann ich mir auch morgen noch Gedanken machen. Heute gönne ich mir erst mal das Zweitbeste: Sex mit dem geilsten Bastard, den ich kenne. "Soll das etwa ne Herausforderung sein?" Leon grinst sein selbstzufriedenes Ich-werd-mit-allem-fertig-Grinsen und ich nicke sofort. "Klar. Was denn sonst?", gebe ich schulterzuckend zurück und sein Grinsen bekommt etwas Wölfisches, das mir einen Schauer über den ganzen Körper jagt. Dieser Kerl ist einfach der absolute Wahnsinn! Dagegen ist sogar Pascal, mein Ex und ein absolut egoistisches, selbstverliebtes Arschloch – ja, ich stehe auf solche Typen –, ein Dreck. "Okay, dann fahren wir zu mir", beschliesst Leon kurzerhand und macht sich auf den Rückweg zur Halle, um seine Jacke zu holen. Ich folge ihm, löse meine ebenfalls aus und krame dann mein Handy aus der Tasche, um meinem Cousin schnell eine SMS zu schicken. ››Bin weg. Bis morgen.‹‹, informiere ich ihn knapp und schalte das Handy dann gleich aus. Ich kann gut darauf verzichten, dass Micah mich anruft, sobald er meine Nachricht gelesen hat. Und das wird er auf jeden Fall versuchen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber damit, meinem Cousin zu erklären, mit wem ich die heutige Nacht zu verbringen gedenke, kann ich mich auch morgen noch befassen. Jetzt gerade gibt es Wichtigeres als Micah. Frankie, die Motte, wird jetzt erst mal ihrem persönlichen Licht hinterher flattern. "Sag mal", unterbricht Leon meine Gedanken, sobald wir die Halle hinter uns gelassen haben. Ich sehe ihn an und finde mich mit einem fragenden Blick konfrontiert, der mich total umhaut. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass ich es überhaupt noch schaffe, geradeaus weiterzulaufen. Nach Monaten der vollkommenen Ignoranz ist so viel geballte Aufmerksamkeit fast zu viel für mich. "Wie heisst Du eigentlich?", kommt dann, als wir die Ecke mit den Taxis erreicht haben und gerade in eins einsteigen wollen, schliesslich die Frage, auf die ich eigentlich schon die ganze Zeit warte. Endlich, endlich, endlich interessiert Leon sich wirklich für etwas, das mit mir zu tun hat! Anstatt ihm allerdings einfach nur meinen Namen zu nennen – was ja nun wirklich nicht allzu schwer sein sollte –, schaffe ich es natürlich ausgerechnet jetzt, mich doch noch vollends zu blamieren. "Motte", haue ich nämlich raus und Leon, der gerade die hintere Taxitür geöffnet hat, dreht sich halb zu mir um und sieht mich erst verdutzt an, ehe sich ein eindeutig auf meine Kosten gehendes, amüsiertes Grinsen auf seine Lippen legt. "Motte?", hakt er nach und mein erster Impuls ist ein Nicken, das ich nur mit allergrößter Mühe unterdrücken und in ein Kopfschütteln abwandeln kann. "Äh... nein. Frankie. Ich heisse Frankie", haspele ich mir zurecht und beisse beinahe in die Gummidichtung der Taxitür, als Leon daraufhin leise lacht. "Na, dann steig mal ein, Motte", fordert er mich auf, aber ich bin viel zu wuschig, um mich über diese Anrede zu beschweren. Ich klettere einfach nur brav auf die Rückbank des Taxis und schnalle mich an. Leon rutscht neben mich, nennt dem Fahrer seine Adresse und grinst mich dann gleich wieder an. "Motte also. Das ist ja witzig", findet er, beugt sich zu mir und küsst mich, ehe ich protestieren oder nach dem Grund für seine Belustigung fragen kann. Und in dem Moment, in dem er meine Zunge mit seiner anstupst, werden diese Gedanken vollkommen nebensächlich. Soll er ruhig darüber lachen, wenn er will. Das ist mir egal. Hauptsache, er küsst mich weiterhin so, dass ich halb mit den Polstern verschmelze. Scheisse, er kann definitiv mit mir machen, was immer er will. Ich weiss jetzt schon, dass ich mich über nichts beschweren werde. Garantiert nicht. Die Fahrt bis zu ihm nach Hause vergeht für meinen Geschmack viel zu schnell. Aber wahrscheinlich ist das auch besser so. Als das Taxi anhält, merke ich nämlich, dass meine Hände gerade dabei sind, den Reissverschluss von Leons Jeans zu öffnen. Den Knopf muss ich wohl unterwegs schon aufgefummelt haben, aber das macht Leon scheinbar nicht das Geringste aus. Er schliesst den Knopf jedenfalls nicht wieder, sondern grinst einfach nur, drückt dem Fahrer zwei Scheine in die Hand und steigt dann aus. Ich beeile mich, ihm zu folgen, und blicke mich erst mal neugierig um. Immerhin bin ich zum ersten Mal hier. Leon steuert währenddessen schon auf ein kleines Einfamilienhaus mit Garage zu, geht aber nicht zur Eingangstür, sondern zu einer Treppe, die an der Garage nach oben führt. Ich laufe ihm einfach hinterher und finde mich kurz darauf auch schon in einer kleinen Einliegerwohnung wieder, die gleich über der Garage liegt. Ganz offenbar lebt Leon alleine hier. Sicher nicht unpraktisch für seinen liebsten Zeitvertreib, wenn er seine Spielzeuge nicht immer an seinen Eltern vorbeischleusen muss. Besonders ordentlich ist seine Wohnung nicht, stelle ich mit einem kurzen Rundblick fest, aber das ist mir eigentlich egal. In meinem Zimmer sieht es schliesslich nicht anders aus, wenn Micah nicht regelmäßig vorbeischneit und meiner Ma dabei hilft, mich zum Aufräumen zu zwingen. Von alleine würde ich das nämlich in hundert Jahren nicht tun. Vor allem nicht freiwillig. Ich mag mein kreatives Chaos – auch wenn ich da schon ein paar Mal versehentlich irgendwelche neuen Lebensformen gezüchtet habe. "Schicker BH. Pink steht Dir bestimmt gut." Grinsend ziehe ich ein Stück pinkfarbener Spitze, das sicher diesem blonden Mädchen gehört, mit dem er immer rumhängt, aus einem der Klamottenstapel und wedele damit in Leons Richtung. Das Grinsen vergeht mir allerdings ziemlich schnell, als er sich einfach nur kommentarlos sein Shirt über den Kopf zieht und es dann achtlos auf den Boden fallen lässt. Das ist zwar nicht das erste Mal, dass ich ihn so sehe – ja, ich gestehe, beim Sport habe ich hin und wieder schon mal gespannt, wenn seine Stufe auch auf dem Sportplatz war –, aber so aus der Nähe ist das doch ein ganz anderes Erlebnis. Und der Anblick sorgt dafür, dass ich gleich noch ein ganzes Stück härter werde. So langsam wird meine Jeans echt unbequem. Wird Zeit, dass ich sie loswerde. "Bist Du zum Reden hier oder zum Ficken?" Leons Stimme klingt provozierend und ich schlucke schwer. Heilige Scheisse! Der Kerl weiss auf jeden Fall, was er will. Und er weiss auch eindeutig, dass ihm so gut wie keiner widerstehen kann, wenn er es ernsthaft darauf anlegt. Ich muss wirklich vollkommen bekloppt sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass es gerade diese selbstsichere, arrogante und fast schon arschige Art ist, die mich an ihm so fasziniert und die mich zuverlässiger geil macht, als es selbst der beste Porno könnte? "Zum Ficken", antworte ich rau und lecke mir über meine trocken gewordenen Lippen. Dabei kann ich meine Augen einfach nicht von Leon abwenden. Der Kerl ist einfach der absolute Wahnsinn. "Na dann... Mein Bett ist nebenan. Oder willst Du's gleich hier auf dem Boden machen?", fragt er und grinst schon wieder dieses Ich-hab-Dich-in-der-Hand-und-Du-bist-mir-hilflos-ausgeliefert-Grinsen, das mich gleich noch ein bisschen härter und williger macht. "Ist mir scheissegal", gebe ich deshalb zurück und sein Grinsen wird noch etwas breiter. "Dann rüber mit Dir. Ich hab's gerne bequem." Damit versetzt er mir einen Schubs in die gewünschte Richtung, hält mich aber fest, ehe ich mich überhaupt richtig in Bewegung gesetzt habe. "Das brauchst Du nicht mehr. Jedenfalls vorerst nicht", raunt er gegen meine Lippen und zupft dabei am Kragen meines Shirts. Etwas benebelt von seiner Nähe und dem Beinahe-Kuss hangele ich daraufhin nach dem Saum des Kleidungsstücks, ziehe es mit einer fliessenden Bewegung aus und schnappe dann nach Leons Lippen. Ungefähr eine Sekunde lang lässt er mich gewähren, dann übernimmt er die Kontrolle und schiebt mich während des Kusses so lange rückwärts, bis ich schliesslich hintenüber kippe und rücklings auf seinem Bett lande. Sofort ist er wieder über mir, aber ehe ich ihn für einen weiteren Kuss zu mir ziehen kann – ich bin eindeutig süchtig nach seinen Lippen und seinen Küssen –, hält er meine Handgelenke mit einer Hand über meinem Kopf fest und drückt sie in sein Kissen. Der Zeigefinger seiner anderen Hand wackelt dabei vor meiner Nase herum und ich kann mir nur mit Mühe ein Aufstöhnen verkneifen, als ich sein Grinsen sehe. "Nicht so eilig, Motte", ermahnt er mich. "Erinnerst Du Dich noch, was Du mir angeboten hast?", will er dann wissen, aber ich gebe ihm keine Antwort darauf. Jedenfalls keine verbale. Stattdessen schnappe ich einfach nur nach seinem Zeigefinger und sauge spielerisch daran. Diese Aktion quittiert er mit einem überraschten, aber eindeutig angetan klingenden Keuchen, das mir ein triumphierendes Grinsen entlockt. Durch die Nähe unserer Körper kann ich mehr als deutlich fühlen, dass ihn das, was ich hier tue, nicht kalt lässt, und das macht mich wiederum gleich noch mehr an. "Wenn Du mehr davon willst, wirst Du mich wohl oder übel loslassen müssen", mache ich ihn aufmerksam und sobald er meine Handgelenke wieder freigegeben hat, setze ich mich auf und schubse ihn rücklings in die Laken. "Und jetzt mach Dich auf was gefasst!", drohe ich ihm dann grinsend und gehe blitzschnell auf Tauchstation, um den Reissverschluss seiner Jeans mit den Zähnen zu öffnen. Dabei lasse ich ihn nicht eine Sekunde aus den Augen und die Tatsache, dass er mich ebenso beobachtet wie ich ihn, lässt meine eigene Jeans endgültig zu eng werden. Kurz verschaffe ich dem Abhilfe, dann konzentriere ich meine Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf Leon, der mir mit einem dreckigen Grinsen auf den Lippen zwei Kondome entgegenhält. "Kirsch oder Erdbeere?", fragt er anzüglich und ich erlaube mir ebenfalls noch ein kurzes Grinsen, ehe ich ihm beide Gummis abnehme. "Sowohl als auch", antworte ich dabei, reisse die erste Verpackung auf und mache mich dann daran, mein Versprechen von vorhin in die Tat umzusetzen. Alle Gedanken an das, was morgen sein wird, schiebe ich dabei energisch beiseite. Heute ist heute. Morgen ist noch weit. Heute Nacht gehört er mir allein und das will ich voll und ganz auskosten. Heute Nacht ist Leon ganz allein mein Bastard, also scheiss auf morgen. Als ich am Sonntagmorgen aufwache, brauche ich einen Moment, bis mir wieder einfällt, warum ich weder in meinem noch in Micahs Bett liege. Als mich die Erinnerung an die vergangene Nacht jedoch frontal mit der Geschwindigkeit eines ICEs erwischt, ruckt mein Kopf erst hoch und dann nach rechts. Tatsächlich, da liegt Leon, ebenso nackt wie ich, und schläft noch tief und fest. Seine Brust hebt und senkt sich regelmäßig, seine Augen sind geschlossen und er wirkt selbst im Schlaf noch vollauf zufrieden mit dem Verlauf der letzten Nacht. Aber das bin ich auch, das kann ich nicht leugnen. Der ganze Blödsinn, den ich da gestern Abend gelabert habe, hat sich auf jeden Fall gelohnt. Am liebsten würde ich mich jetzt ein bisschen an Leon kuscheln und noch eine Runde weiterschlafen, aber das verkneife ich mir. Davon würde er unter Garantie wach werden und das muss nicht sein. Normalerweise schmeisst er seine One-Night-Stands nämlich am nächsten Morgen gleich raus und darauf kann ich echt verzichten. Es reicht mir schon, dass die letzte Nacht die ganze Sache mit meinen Gefühlen für ihn eindeutig eher verschlimmert als verbessert hat. So leise wie möglich, um meinen persönlichen Bastard nicht versehentlich doch noch zu wecken, rappele ich mich aus dem Bett hoch, ziehe scharf die Luft ein und fluche dann lautlos vor mich hin. Wir haben es in der vergangenen Nacht eindeutig ein bisschen zu wild getrieben. Aber das ist nicht Leons Schuld. Jedenfalls nicht nur. Klar, er hat sich ordentlich an mir ausgetobt, aber da ich ihm selbst gesagt habe, dass er sich nicht zurückhalten soll, habe ich mir das wohl selbst zuzuschreiben. Und genau betrachtet bereue ich es ja auch nicht. Die letzte Nacht war fantastisch und so ein paar kleine Nachwehen werden mich schon nicht umbringen. Allerdings stakse ich auf der Suche nach meinen Klamotten ziemlich steifbeinig durch die Wohnung und auch das Anziehen ist nicht unbedingt die reine Freude für mich. Trotzdem gelingt es mir tatsächlich irgendwie, keinen Krach zu veranstalten und Leon so nicht zu wecken. Nachdem ich mich auch noch in meine Jacke gekämpft habe, bleibe ich ungefähr eine Minute lang unschlüssig im Wohnzimmer stehen. Soll ich ihm noch einen Zettel schreiben, bevor ich abhaue? Irgendwas wie Danke, war nett mit Dir oder Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn Du mal Bock auf ne Wiederholung haben solltest oder so? Oder soll ich ihm einfach nur kommentarlos meine Handynummer dalassen? Nein, beschliesse ich nach kurzem Nachdenken, ich werde nichts von alledem tun. Wenn ich das nämlich doch tue, dann mache ich mir nur unnötige Hoffnungen. Und wenn er sich nicht meldet oder mich sogar komplett ignoriert, dann macht das alles nur noch viel schlimmer. Es ist besser für mich, wenn ich die letzte Nacht als das sehe, was sie nun einmal war: Sex. Nur ein bisschen unverbindlicher Spaß für uns beide, mehr nicht. "Wir sehen uns morgen in der Schule, Bastard", murmele ich leise in Richtung Schlafzimmer, ehe ich langsam aus der Wohnung hinaus und die Treppen hinunter eiere. Die Tatsache, dass draussen auf der Straße vor dem Haus Bahnschienen sind, zeigt mir, dass irgendwo in hoffentlich nicht allzu weiter Ferne auch eine dazugehörige Haltestelle sein sollte. Da ich die halbe Nacht... schwer beschäftigt war, habe ich nicht sonderlich lange geschlafen. Ich will also nur noch in mein eigenes Bett und am besten gleich bis morgen früh durchpennen. Tatsächlich finde ich innerhalb der nächsten Viertelstunde eine Haltestelle und schaffe es sogar mit Mühe und Not, die Bahn noch zu erwischen. Die Fahrt verbringe ich stehend – setzen ist gerade eine ganz schlechte Idee – und halb schlafend und bin froh, als ich nach dreimaligem Umsteigen und einer ziemlich holprigen Busfahrt als krönendem Abschluss endlich heimatliche Gefilde erreiche. Inzwischen vollkommen fertig schliesse ich die Haustür der Doppelhaushälfte, in der ich mit meiner Ma wohne, auf, hänge meine Jacke unten an die Garderobe und krieche dann mit letzter Kraft die Treppe in den ersten Stock hoch, wo mein Zimmer liegt. Meine Ma ist wie jeden Sonntag drüben bei meinem Onkel und meiner Tante, also muss ich ihr jetzt keine lästigen Fragen beantworten. Zum Glück. Darauf kann ich auch gut verzichten. Ohne einen Blick für mein Chaos übrig zu haben, wanke ich auf mein Bett zu und lasse mich bäuchlings und vollständig bekleidet hineinfallen, nur um gleich darauf mit einem seligen Seufzen meine Augen zu schliessen und mich unter die Bettdecke zu wühlen. Endlich zu Hause! Jetzt kann ich in aller Ruhe schlafen und mich für den Unterricht morgen wenigstens schon mal ein bisschen erholen. Nur gut, dass wir erst am Donnerstag Sport haben. Morgen würde ich das garantiert nicht überleben. Mein Plan, mich einfach nur auszuschlafen, klappt in der Theorie wirklich gut. In der Praxis jedoch lässt der laute Knall, mit dem meine Zimmertür keine fünf Minuten nach meiner Heimkehr aufgestoßen wird, mich zusammenzucken und beinahe aus dem Bett fallen. Kraftlos drehe ich meinen Kopf zur Seite und wünsche mir gleich darauf, ich hätte es nicht getan. Micahs Gesicht ist wutverzerrt und ich würde ihn am liebsten rauswerfen, aber dazu fehlt mir nach der letzten Nacht die Kraft. Und so, wie er gerade aussieht, würde er sich auch nicht einfach so rauswerfen lassen – jedenfalls nicht, bevor er nicht das losgeworden ist, was er mir zu sagen hat. "Frankie, Du verdammter Sack, wo bist Du gewesen?", werde ich auch gleich angeblafft. Mir liegt eine patzige Antwort auf der Zunge, aber ich schlucke sie herunter und verkneife es mir auch, meinen Cousin darauf hinzuweisen, dass ich inzwischen siebzehn bin und ganz sicher keinen Babysitter mehr brauche. Die Zeiten, in denen ich heulend an seinem Shirt gehangen habe, sind lange vorbei. Gut, vielleicht noch nicht so wahnsinnig lange – immerhin jammere ich ihm immer noch die Ohren voll, wenn es bei mir mal nicht ganz rund läuft –, aber trotzdem muss er sich nicht so aufspielen, als ob ich überhaupt nicht alleine klarkäme. "Dir auch einen guten Morgen, Micah", nuschele ich, um meinen Cousin nicht noch mehr aufzuregen und mir Stress zu ersparen. Dabei versuche ich, mir das Gähnen zu verkneifen, aber das gelingt mir nicht so recht. "Ich hab Dich was gefragt, verdammt!", motzt Micah mich daraufhin an, kommt näher zum Bett und zieht am Halsausschnitt meines Shirts. Von meinem Versuch, seine Hand wegzuschlagen, lässt er sich dabei in keinster Weise beeindrucken. "Du hast da Knutschflecke", teilt er mir mit, was ich selbst schon wusste. Immerhin hat Leon sich letzte Nacht wirklich nicht zurückgehalten. Ich sehe sicherlich mindestens genauso ramponiert und zerschunden aus, wie ich mich fühle. Aber hey, ein guter Fick muss sichtbare Spuren hinterlassen. Das gehört sich einfach so. "Und zwar jede Menge. Ausserdem stinkst Du nach Sex", wird mir weiter vorgehalten und im nächsten Moment werde ich unsanft auf die Seite gedreht, so dass ich Micah zwangsläufig ins Gesicht sehen muss. Diese Aktion seinerseits quittiere ich mit einem schmerzerfüllten Ächzen, aber davon zeigt mein herzallerliebster Cousin sich vollkommen unbeeindruckt. "Wo warst Du letzte Nacht, Frankie?", fragt er stattdessen. "Und von wem hast Du Dich durch die Laken jagen lassen?" "Von Leon", nuschele ich müde und beisse gleich darauf die Zähne zusammen, als Micahs Griff in meine Schulter sich verstärkt. "Was?!", explodiert er förmlich und ich wünschte, ich hätte meine vorlaute Klappe gehalten. Eigentlich hätte ich mir doch denken können, dass er nicht besonders begeistert auf diese Eröffnung reagieren würde. Immerhin hasst er Leon. "Bist Du noch bei Trost? Du schreibst mir so eine absolut nichtssagende SMS und gehst dann mit zu diesem Typen, um Dich von dem die ganze Nacht durchziehen zu lassen? Du bist ja wohl völlig gestört! Wer weiss, was der Kerl für Krankheiten hat! Der könnte Dir alles Mögliche angehängt haben und Du..." "Wir haben Gummis benutzt", unterbreche ich Micahs Redeschwall und im nächsten Moment bekomme ich von ihm eine Kopfnuss verpasst. "Das ist ja wohl auch das Mindeste!", grollt er, schiebt mich ein Stück beiseite und lässt sich dann neben mich in mein Bett fallen. "Und jetzt?", will er dann etwas ruhiger wissen und ich gebe ihm die einzige Antwort, die ich ihm geben kann: Ein diffuses Achselzucken. "Nichts jetzt", murmele ich dann, drehe mich auf den Rücken und verziehe kurz das Gesicht, ehe ich meinen Cousin wieder ansehe. "Wir haben zwar miteinander gevögelt, aber ich hab ihm nichts von meinen Gefühlen erzählt. Ich bin ja schliesslich nicht völlig verblödet – auch wenn Du das wahrscheinlich anders siehst." Micahs gegrummeltes "Allerdings, Du Volltrottel!" überhöre ich galant. Ich bin im Augenblick weder in der Stimmung noch in der Verfassung, um mich mit ihm zu streiten. "Jedenfalls bin ich gleich abgehauen, als ich wach geworden bin. Er hat noch gepennt und ich wollte ihm keine Gelegenheit geben, mich so rauszuschmeissen wie seine anderen kleinen Spielzeuge. Ich hab ihm nicht mal ne Nachricht hinterlassen. Soll er sich selbst zusammenreimen, was das zu bedeuten hat", fahre ich stattdessen fort und boxe Micah gegen den Oberschenkel, als er zu lachen anfängt. "Du bist echt einfach so abgehauen? War er etwa so schlecht im Bett?", fragt er prustend und ich schüttele seufzend den Kopf. "Im Gegenteil. Das war der beste Sex, den ich je hatte. Dagegen ist Pascal eine echte Lusche", nuschele ich und seufze erneut, ehe ich mir ein schiefes Grinsen ins Gesicht zwinge. "Aber mir war von Anfang an klar, worauf ich mich eingelassen hab. Ich wusste, dass es ihm nur um das Eine ging, und ich kann damit umgehen", gebe ich dann im Brustton der Überzeugung von mir. Micah mustert mich eine Weile skeptisch und ich bin mir sicher, dass er mir kein einziges Wort glaubt, aber zu meinem Erstaunen gibt er sich schliesslich doch einfach so geschlagen. "Du machst ja eh, was Du willst. Wenn man versucht, Dir was auszureden, was Du Dir in den Kopf gesetzt hast, kann man genauso gut gegen eine Wand quatschen", seufzt er und streicht sich kurz durch die Haare, ehe er kopfschüttelnd wieder von meinem Bett aufsteht. "Ich lass Dir jetzt erst mal ein Bad ein. Du siehst aus, als könntest Du's gebrauchen. Und Du riechst auch so", teilt er mir dann mit, rümpft demonstrativ die Nase und fängt mit Leichtigkeit das Kissen ab, das ich nach ihm werfe. Grinsend drückt er es mir kurz ins Gesicht und macht sich dann auf den Weg ins Badezimmer. Ich überlege einen Moment lang, ob ich ihm das Kissen hinterherwerfen soll, verzichte schlussendlich aber doch darauf und stopfe es stattdessen lieber zurück unter meinen Kopf. Ich lausche eine Weile, wie mein Cousin im Bad hantiert, dann schliesse ich seufzend die Augen und erlaube es meinen Gedanken, zurück zur letzten Nacht und damit auch zu Leon zu wandern. Ich bin mir voll und ganz der Tatsache bewusst, dass er nach wie vor ein egoistischer Bastard ist. Er wird sich ganz bestimmt nicht ändern, nur weil er ein einziges Mal Sex mit jemandem hatte, der weder klein noch zierlich, naiv oder unschuldig war. Nein, Leon wird ganz sicher auch weiterhin süßen kleinen Jungs wie dem Putzi von gestern Abend hinterherlaufen. Und ich, das weiss ich ebenso sicher, werde weiterhin ihm hinterherlaufen. Aber das ist schon okay, versichere ich mir selbst. Ich kann damit umgehen – auch wenn ich nach der letzten Nacht jedes dieser Uke-chans noch mehr dafür hassen werde, dass sie das kriegen, was ich blöderweise nicht dauerhaft ganz für mich alleine haben kann. So ein verdammter Scheissdreck aber auch. ~*~ Und das war's auch schon wieder - zumindest fürs Erste. Zu diesem Schmuckstück hier existiert bereits eine Fortsetzung, die zwar noch nicht ganz fertig ist, aber wahrscheinlich trotzdem innerhalb der nächsten Tage on gehen sollte. Wenn ihr also wissen wollt, ob und wie es mit Motte und Bastard weitergeht, dann haltet Ausschau nach Schmetterlingsfänger. Würde mich freuen zu erfahren, was ihr von der Story haltet. ^____^ Bis bald! Karma Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)