Das Maleficium von Rahir ================================================================================ Kapitel 64: VOR-letztes Kapitel :-) ----------------------------------- Dorian konnte den Frontverlauf deutlich erkennen. Ein Gewimmel aus metallisch schimmernden Gestalten herrschte auf einer langen Linie. Er sah die Wege, die sie genommen hatten, sowie die Fuhrwerke, die Mensch und Material in diesen Krieg gebracht hatten. Der Kampf schien gerade zu ruhen, nur schwarze Flecken im hellen Gras zeigten die Stellen an, an denen Soldaten gefallen waren. Sie schwebten jetzt still in der Luft, einige hundert Schritte über dem Erdboden. Die ersten Soldaten blickten zu dem fliegenden Apparat am Himmel über ihnen empor. Die Luke stand offen, kalter Wind drang in das Innere des Flugschiffes ein. „Was machen wir jetzt?“ schrie Dorian gegen den Wind an. „Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu stoppen“, antwortete Sarik, dessen Stimme über den Wind nur schwer zu verstehen war. „Er ist der Gott des Krieges, er wird einer Herausforderung nicht ausweichen.“ „Doch nicht etwa, was ich glaube?“ rief Brynja. Sie stand hinter ihm und blickte über seine Schulter in den blaugrauen Himmel, in dem die Kreatur jeden Moment sichtbar werden musste. „Ich kann von euch nicht verlangen, mir dabei zu helfen.“ Alle blickten sich an. Brynja antwortete zuerst. „Sie können uns aber auch nicht davon abhalten“, sagte sie mit einem verwegen, liebenswerten Lächeln. „Dieses Ding mit den Flügeln…“, begann Hargfried und zog die Nase kraus. „Ich werde das Gefühl nicht los, es hat etwas mit den Mördern meines Vaters zu tun. Ich werde an Eurer Seite kämpfen“, fügte er mit der Gelassenheit des Irrsinns hinzu. „Ich wollte schon immer etwas erleben“, rief nun Dorian in den lebhaften Wind, der in dieser Höhe ging. „Zwar nicht unbedingt das hier… Aber braucht es denn immer einen Grund, jemanden zu helfen?“ Über Sariks Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, das seine ernsten Züge mit milder Wärme überzog. „Gut gesprochen, Junge. Ich danke euch allen…“ Dann wandte er sich dem blaugrauen Horizont in der Luke zu, den sie alle voller Erwartung betrachteten. „…endlich kann ich es zu Ende bringen.“ Dorian horchte bei diesen Worten auf: Sie erstaunten und beunruhigten ihn zugleich, doch bevor er diesen Gedanken ergründen konnte, erblickten sie das Wesen aus dem Maleficium. Zuerst nur als kleiner, dunkler Punkt mit Flügeln sichtbar, gewann es schnell an Größe und näherte sich schließlich rasend schnell. „Es ist soweit. Ihr bleibt besser da“, sagte Sarik zu Iria und Nadim. Dann kletterte er ins Freie, und alle, die eine Waffe und einen Escutcheon trugen, folgten ihm. Der Wind an der Oberseite des Flugschiffes war noch stärker als von der Luke aus zu spüren war. Dorian rang mit dem Gleichgewicht. Nicht leichter hatten es die anderen. Wie sollen wir kämpfen, dachte er hier, mehrere hundert Schritte vom Boden entfernt, wenn wir schon kaum stehen können? Das Metall des Flugschiffes unter seinen Füßen vibrierte, und über sich sah er die Unendlichkeit des Himmels. Vor ihm lag das Land wie eine Karte ausgebreitet, und er wusste nun, wie sich ein Vogel fühlen musste. Dies alles hätte er wunderschön gefunden, wäre nicht eine Höllenkreatur, der Gott des Krieges selbst, auf Kollisionskurs mit ihnen. „Ich werde den Kampfdom aktivieren“ schrie Sarik in den Wind. „Er wird dem nicht ausweichen.“ „Haben wir denn überhaupt eine Chance?“ fragte Dorian. Im nächsten Moment war er wiederum froh, dass der starke Wind diese Frage geschluckt hatte, die wohl kaum zu ihrer aller Zuversicht beigetragen hätte. Sein Blick glitt über seine Mitstreiter, die alle mit Waffen in Händen dastanden und etwas erwarteten, das sich von ihnen niemand vorstellen konnte. Die Kreatur wurde immer größer, und nun erst erkannte Dorian ihre enorme Geschwindigkeit. Wie ein Pfeil schoss sie auf sie zu. Der Gedanke Er schafft das nie! schrillte wie eine Warnglocke in seinem Kopf. Sarik, sein Schwert in beiden Händen, blickte der Kreatur, die sich mit beängstigender Geschwindigkeit näherte, entgegen. Dorian hingegen fühlte den immer stärker werdenden Impuls, sich flach hinzuwerfen und die Augen fest zu schließen. Er sah schon das Ungeheuer in das Flugschiff hineinkrachen, das wie durch ein Wunder tatsächlich das Unglück gehabt hatte, dessen Flugbahn genau zu erraten und zu versperren. Der gleiche Reflex, der Dorian angesichts ihn treffender Faustschläge zusammenzucken hatte lassen, setzte nun ein. Im selben Bruchteil des Augenblicks öffnete Sarik mit seinem Escutcheon den Kampfdom. Dorian hatte die Augen fest zusammengekniffen: So sah er nicht, wie sich der Kampfdom auf Sariks Willen hin öffnete und schnell an Größe gewann. Ein Windstoß riss ihn im nächsten Moment von den Beinen. Kein Windstoß der Luftströme, die in dieser Höhe flossen; etwas anderes löste ihn aus, und Dorian ahnte die Ursache. Das Flugschiff neigte sich gefährlich, Dorian begann zu rutschen. Gerade noch fand er Halt an einer Unregelmäßigkeit in der metallenen Oberfläche, dann kam der Apparat wieder ins Gleichgewicht. Er blickte nach oben. Und zwar mehr aus dem Reflex, der einen Ertrinkenden sich nach der Wasseroberfläche über ihm recken lässt, denn aus Absicht. Da sah er es. Langsam, ganz langsam senkte sich die Kreatur auf sie herab. Der Kampfdom hatte gewaltige Ausmaße erreicht, die Flügelspitzen des Wesens erreichten fast den Rand. Dorian sah die ausgebreiteten Flügel, den verkohlten, mit glänzenden Streifen, wie von zerronnenem Metall überzogenen Leib, und das Gesicht, das es auf die Menschen unter ihm richtete. Außer ihm standen nur Sarik und Hargfried aufrecht. Brynja kam gerade auf die Beine, und der nackte Reflex, um sein Leben zu kämpfen, zwang Dorian ebenfalls in die Senkrechte. Dorians Blick wurde gefesselt von der grotesken Kreatur, und der Gedanke, sie zu bekämpfen, schien ihm lächerlich und sinnlos zugleich. Erst Sariks Angriff gegen die Kreatur riss ihn aus seiner Starre. Sarik schwang seine Waffe gegen das Wesen, das knapp über dem Apparat schwebte. Seine Klinge schnitt mit einem Geräusch gleich brechenden Holzes durch dessen Körper, doch das Wesen zeigte keine sichtbare Reaktion. Hargfried beteiligte sich ebenfalls an der Auseinandersetzung, doch auch seine Waffe schien nur tote Materie zu treffen, die weder Schmerzen zu empfinden noch die Bedeutung des Begriffes ‚Tod‘ zu kennen schien. Dorian beobachtete fassungslos, wie seine Mitstreiter das bizarre Wesen angriffen. Es kostete Dorian schon genug Mühe, sich auf den Beinen zu halten und nicht von seiner Furcht übermannen zu lassen. Viel weniger noch verspürte er die Kraft in sich, dieser diabolischen Kreatur etwas entgegenzusetzen. Er sah nur das Gesicht, das auf so abscheuliche Weise menschlich und doch wieder das eines Ungeheuers war, und das zu sprechen schien: Tut nur! Euer Verderben ist besiegelt! Und tatsächlich schwebte es in ihrer Mitte, nahm die Angriffe hin und ließ seinen Blick mit einer erheiterten Gleichgültigkeit über sie schweifen gleich einem Baumriesen, der auf die Ameisen, die an seiner Rinde entlangkrabbeln, herabschaut. Hargfrieds Schwert glühte auf, als läge es wieder unter den Hammerschlägen jenes Schmiedes, der es einst geschaffen haben musste, und entlud sich in einer Attacke. Der Lichtblitz pflanzte sich durch den Kampfdom fort, Dorian sah für einen Moment nichts mehr. Als er die Augen wieder öffnete, war die Kreatur nach wie vor unverwundet, und nun erhob sie ihre Stimme: „Kämpft nur, ihr Menschen! Huldigt mir, dem Gott des Krieges, der eure Gebete nur zu gern entgegennimmt! Euer Opfer soll nicht abgewiesen werden, und eure streitbaren Seelen sollen für immer im Feuer meines Paradieses glühen!“ Mit der Kraft des Donnerhalls, der den Himmel erschüttert, wogten diese Worte durch den Kampfdom. Dorian und seine Mitstreiter gingen unter diesen Worten, die wie Hammerschläge ihre Gehörgänge trafen, in die Knie. Das Wesen erhob sich wieder, der Kampfdom breitete sich noch weiter aus. Auch veränderte er nun seine Farbe. Die blauglühenden Linien wechselten zu Grün und Rot, immer schneller, bis der Flugapparat in einem Globus aus nervös flackernden Linien gefangen war, die dasselbe Farbenspiel wie ihre Escutcheons zeigten. Die Kreatur, die in ihrem bizarren Körper, halb Mensch, halb Ungeheuer, die Seele des Kriegsgottes trug, bewegte sich unter anmutigen Flügelschlägen vor dem Flugapparat in die Tiefe, bis es in geringer Entfernung darunter schwebte. Dorian, in dessen Ohren immer noch die Worte der Kreatur schmerzhaft widerhallten, trat mit wackligen Knien an den Rand des Apparats, unter dem das Wesen schwebte. „Ihr kämpft tapfer, und das gefällt mir! Der Tod ist euer Begleiter, seit ihr meine Verfolgung begonnen habt, und jedes der Opfer, die ihr mir dargebracht habt, ehrt mich! Deshalb will ich euch den Blick in die Zukunft gönnen, die ich dieser Welt bringen werde! Ein Paradies soll hier entstehen, ein ewiges Reich des Krieges, in dem meine Jünger für mich beten und sterben sollen!“ Dunkelheit erfüllte den Kampfdom, und das einzige verbliebene Licht war der Gott des Krieges. Ein rotes Licht trat aus seinem Schlund aus, das sich ausdehnte und zu einem Mahlstrom wurde. Ein Mahlstrom gleich einem Strudel, der alle vorüberziehenden Schiffe in die Tiefen des Ozeans reißt. Tatsächlich begann ihr Flugschiff dem Strudel entgegenzusinken, der ein Paradies des Krieges in sich trug, in dem die Seelen nur leben, um sich gegenseitig zu bekämpfen und auf diese Weise Ares Tribut zollen. Das Schiff neigte sich immer mehr. Dorian stürzte und rutschte auf den Rand zu. Sein Schwert verlor er dabei, und es fiel in den Schlund des Ares, der wie ein Orkanwirbel alles einsaugte. Das Schiff neigte sich noch stärker, und er sah, wie Brynja und Hargfried neben ihm an Vertiefungen in der Hülle des Metalls hingen. Unter ihren baumelnden Füßen gähnte der Mahlstrom aus rotem Licht. Jetzt sah er Sarik, der mit einer Hand an einer Leitung hing. Er hielt sich mit einer Hand, seine zweite war aber frei und hielt das Schwert. Der Blick seines gesunden Auges traf ein letztes Mal Dorian. „Jetzt werde ich beenden, was ich vor zweihundert Jahren begonnen habe.“ Seine Stimme war leise, doch Dorian verstand die Worte über das Tosen des Mahlstroms geradeso, als wären sie direkt in seinem Kopf entstanden. Dann ließ sich Sarik fallen und stürzte mit seiner Waffe voran in den Schlund des Ares. Das Sinken des Schiffes wurde zu einem Absturz. Alles um Dorian vermischte sich zu einem Wirbelsturm aus knirschendem Metall, den Schreien seiner Mitstreiter und dem Strudel aus rotem Licht, der sie wie ein Meer aus Feuer verschlang. Dorian klammerte sich an seinen Halt und presste die Augenlider aufeinander. Einen kurzen Moment glaubte er, die Hilferufe von Iria und Nadim zu hören, die im Inneren des Schiffes waren. Die Aussicht, sie in jener Welt, in der sie nun versinken würden, wiederzusehen, erfüllte ihn mit einer Zuversicht, die die Dunkelheit um ihn herum mit einem Funken der Hoffnung schwach erhellte. Er spürte die Hitze des Mahlstroms auf der Haut, und sein unheilvolles rotes Licht brannte ihm durch seine geschlossenen Lider hindurch. Auch spürte er, wie die Schwerkraft, die an seinen Füßen zerrte, nachließ. Er ahnte, dass sie in eine Welt hinabglitten, in der sich alle Naturgesetze den Geboten von Krieg und Kampf unterwerfen mussten. Eine Welt, in der dieses Wesen herrschte, das ihrem verzweifelten Ringen von seinem Thron aus zusehen würde, um sich bis in die fernste Ewigkeit an ihrem Leid zu ergötzen- Doch es geschah nicht. Das Brennen des Lichts um ihn herum wurde für einen Moment unerträglich stark, bevor es sich auflöste und in alle Richtungen wegstrebte, so wie ein Kessel unter Hitze birst. Die Schwerkraft hatte sie wieder, ebenso wie das Blau des Himmels. Dorian schrie aus Angst, wegen jener, die sich verflüchtigte, und wegen jener, die die andere nun ablöste. Dorian schrie, und zwar vor allem deshalb, weil er immer noch am Leben war und in keinem Höllenreich der ewigen Verdammnis gelandet war. Er schrie, ohne aufzuhören, und sog dabei gierig die Luft jener Welt ein, in der er noch einige Momente verbringen durfte. Dann öffnete er die Augen. Was er sah, war der Erdboden, dem sich ihr abstürzendes Schiff mit rasender Geschwindigkeit näherte. Alle Soldaten im weiten Umkreis, galdorianische ebenso wie mosarrianische, legten ihre Köpfe in den Nacken und beobachteten mit offenen Mündern das Ereignis am Himmel. Keiner von ihnen konnte glauben, was er sah, und manche legten, trotz der Nähe des Feindes, die Waffen weg und staunten wie Kinder. Ein fliegender Apparat, der sich gegen alle Naturgesetze in der Luft hielt, schwebte über ihnen. Eine geflügelte Kreatur, von der schrecklichen Erscheinung eines Dämons, kam auf den Apparat zu, um dann in einem Kampfdom hängen zu bleiben. Das war das Schauspiel, das sich ihnen bot. Ebenso wie das unheilvolle rote Glühen am Himmel, welches das Schlachtfeld mit einem blutigen Dunst überzog, das sich aber in einer grellen Detonation wieder auflöste. Übrig blieb der Apparat, der unter den Blicken tausender Soldaten dem Erdboden entgegenstürzte, um sich erst im letzten Moment wieder zu fangen. Dies alles geschah an jenem Frühlingstag, eine Woche nachdem das Maleficium auf mysteriöse Weise aus dem Palast der Stadt Galdoria verschwunden war. Am selben Frühlingstag, an dem auch der Krieg zwischen Galdoria und Mosarria in einen Waffenstillstand mündete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)