Blutrote Rosen von Yami_no_cookie ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Chris… Immer wenn ich die Augen schloss, sah ich ihn vor mir. Er war bei mir geblieben, die ganze Zeit. Er hatte mir Tee gekocht und hatte mir zugehört, als ich ihm alles erzählt hatte. Ich hatte über die Ritzereien gesprochen, über meine Selbstmordgedanken, dass ich ausgeschlossen wurde… Auch den Teil mit Kalle und Fiddi, aber ich hatte ihre Namen verändert. Ich wollte nicht, dass man sie irgendwie mit mir in Verbindung bringen konnte. Nicht, weil ich nichts mit ihnen zu tun haben wollte, sondern weil sie vermutlich mich nicht mehr sehen wollten. Verständlich nach dem, was vorgefallen war. Dann hatte Chris nach Hause gemusst. Er hatte mir seine Handynummer da gelassen. „Und wenn irgendwas ist“, hatte er gesagt „egal was es ist, ruf an!“ Und ich war glücklich gewesen. Glücklich wie nie zuvor. Verschlafen setzte ich mich im Bett auf und starrte auf die Leuchtanzeige meines Weckers: Halb Acht. Ich wollte mich wieder zurück sinken lassen und weiter pennen, aber an schlafen war jetzt nicht zu denken. Ich konnte nur noch durch den Mund atmen. Meine Nase war komplett zu – und nebenbei bemerkt eiskalt -, mein Hals tat weh und mein Kopf schmerzte auch höllisch. Ich fröstelte. Darum rollte ich mich wie ein Fötus zusammen. Aber die Kälte blieb und das ewige durch den Mund atmen war zu anstrengend, um wieder einschlafen zu können. Also stand ich auf, drehte die Heizungen auf Fünf und kramte in meiner Schublade nach Nasentropfen. Ich fand keine, dafür aber eine Packung Aspirin und sogar noch eine Halsschmerztablette. Nach dem Einnehmen legte ich mich wieder hin. Irgendwann hörte ich, wie meine Zimmertür mit einem leisen Knarren aufschwang. Meine Mutter kam ins Zimmer. „Fabian, bist du wach?“ „Hmm“ „Ich wollte dir ein frohes neues Jahr wünschen, weil wir uns ja Gestern nicht gesehen haben und– … Man ist das warm, hier drin!“ Ich grummelte etwas Unverständliches. Sofort war sie an meinem Bett. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ „Nein“, krächzte ich wahrheitsgemäß. Meine Stimme klang nicht mehr wie meine Stimme. „Ich glaub ich hab ne’ Erkältung!“ Ich glaubte es nicht nur, ich wusste es. „Oh“, meine Mutter setzte eine Miene auf, die wohl alles darüber aussagte, was sie dachte. Oh mein Gott, interpretierte ich, Ich bin an der Krankheit meines Sohnes Schuld! Ich hätte zu Hause bleiben müssen! Ja sicher doch… Ich verdrehte innerlich die Augen. Meine Mutter setzte sich auf meine Bettkante. „Soll ich heute nicht arbeiten gehen und zu Hause bleiben, Spatz?“ Bloß nicht! „Nein danke Mama, mach dir keine Umstände! Ich komm schon allein zurecht.“ „Meinst du wirklich, dass das in Ordnung geht?“ Warum sagte sie nicht einfach, dass sie keinen Bock hatte zu Hause zu bleiben? Ich wollte es ja auch nicht. „Nee, ist wirklich in Ordnung Mama! Es kommt gleich noch ein Freund vorbei, der wird sich schon um mich kümmern. Sie lächelte mich mitleidig an. „Ok“, sagte sie. „Ruh dich aus“ Und mit diesen Worten stand sie auf und verließ mein Zimmer. Keine zehn Minuten später, hörte ich, wie unten die Haustür ins Schloss fiel. Ich atmete erleichtert auf. Endlich allein! Die Notlüge mit dem Freund hatte sein müssen. Zwar glaubte ich, dass Mama diesen Trick durchschaut hatte, aber ich denke, jeder Grund, doch nicht bei mir bleiben zu müssen, war ihr recht. Ich kuschelte mich zurück in meine Decke und schaffte es trotz meiner verstopften Nase irgendwie einzuschlafen… Die nächsten zwei Tage lag ich flach, hatte keine Stimme und konnte Chris folglich auch nicht anrufen. Dann ging es mit meiner Gesundheit bergauf. Ich lag gerade in meinem Bett und war in so eine Art Halbschlaf versunken. Der Wecker zeigte halb neun als Uhrzeit an. Mir kam es vor, als hätte ich durchaus kürzer geschlafen. Die Haustürklingel schrillte. Ich schreckte auf. Wer konnte das sein? Ich überlegte, ob ich mich überhaupt dazu bequemen sollte, meine kalten Beine aus dem warmen Bett zu befördern, tat es dann aber doch – Wenn auch widerwillig. Vielleicht war es ja ein wichtiges Paket, oder Ähnliches. Ich warf mir einen Bademantel über und wankte nach unten. Im Vorbeigehen erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild. Ich sah zum Fürchten aus! Unwillkürlich musste ich grinsen. Wenn es die Zeugen Jehovas waren, die vor der Tür standen, dann würden sie wohl vor Angst Reißaus nehmen. Vielleicht war das ja gar nicht mal so schlecht… Ich öffnete die Tür. Davor stand kein Zeuge Jehovas! Auch kein Postbote! Sondern Chris! Ein wohliges Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus. Als er mich sah, riss er die Augen auf. „Fabi, hallo! Wie geht’s dir? Man, du siehst ja echt schlimm aus!“ Ich ließ ihn eintreten. „Danke“, grummelte ich mit dem Rest der mir von meiner Stimme geblieben war. „Nein, ich meinte schlimm im Sinne von Du siehst aus als hättest du Fieber!“ Die Sorge in seinen Augen war echt. Ich freute mich richtig, dass er da war. „Mir geht’s gut“, piepste ich um ihn zu beruhigen, runzelte die Stirn und räusperte mich. „Ich meine, ich bin in Ordnung!“, wiederholte ich, aber ich brachte wieder nicht mehr als ein leises Fiepen heraus. Chris starrte mich an. „Was hast du gesagt?“, fragte er in leicht verwirrtem Tonfall. Ich streckte ihm die Zunge raus. „Ach, leck mich doch“, quietschte ich. Chris’ Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen. Er senkte den Kopf um nicht laut los zu lachen. Ich drehte mich um und stapfte gespielt beleidigt in mein Zimmer. Chris folgte mir. „Sorry“, prustete er. „War nicht so gemeint… Nur… Du klingst so lustig!“, er kicherte erneut. „Und du klingst wie ein Mädchen.“ Ich ließ mich auf mein Bett fallen, schnappte mir meine Wasserflasche und trank einen Schluck. „Warum bist du hier?“, presste ich mit halbwegs normaler Stimme hervor. Chris sah mich an. „Soll ich wieder gehen?“, fragte er unverwandt. Ich schüttelte heftig den Kopf. Zu heftig, denn meine Kopfschmerzen setzten wieder ein. „Nee“, sagte ich. „Wollte nur wissen warum“ „Naja“, er zuckte mit den Schultern. „Du hast dich nicht gemeldet… Und ich hab mir Sorgen gemacht, also bin ich vorbei gekommen!“ „Woher willst du wissen, dass ich dich überhaupt noch sehen will? Und hast du keine Angst, dich anzustecken?“ „Ach, du bist gemein. Aber ich ehrlich gesagt auch gar nicht drüber nachgedacht“, gab er zu. „Woher sollte ich auch wissen, dass du krank bist?“ „Das war ja eigentlich nicht anders zu erwarten, nach dem Abend“ Ich senkte den Blick. „Warum hast du nicht einfach angerufen?“, fragte ich. „Ich hab deine Nummer nicht!“ „Telefonbuch?“ „Hast du mal nachgeguckt wie viele Maurer da drin stehen? Ich hab keine Ahnung wie deine Eltern heißen… Hätte ich alle fünfzig anrufen sollen?“ Ich grinste. „Es stehen höchstens fünf drin, aber wenigstens hast du dir meinen Namen gemerkt!“ Chris errötete leicht. „Na, gesund genug zum Scherzen bist du ja! Übrigens: Falls du es noch nicht gemerkt haben solltest: Euer Name steht auf eurem Klingelschild.“ „Ha, erwischt!“ Ich schnippte mit meinem Finger vor seiner Nase. „Da steht nicht Maurer sondern Meyer drauf!“ „Ok, ich gebs’ zu: Ich wollte dich sehen… Ein Anruf war mir zu unpersönlich! Moment mal… Wieso Meyer?“ Mein Herz klopfte laut, ein dicker Kloß saß in meinem Hals. Ich wollte dich sehen… Hatte er das wirklich gesagt? „He! Erde an Fabi! Wieso Meyer?“ Chris fuchtelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. „Huh?“ Ich wurde abrupt aus meinen Gedanken gerissen. Dann realisierte ich seine Frage. „Achso“, sagte ich. „Weil mein Vater so hieß!“ „Hieß?“, fragte Chris erstaunt. Ich seufzte. „Ja, der Mistkerl ist vor einem halben Jahr einfach abgehauen!“ „Oh“ Chris sah mich mitleidig an. „Das tut mir Leid für dich!“ Wut wallte in mir auf. „Muss es nicht“, sagte ich verbittert. „Der Kerl war ein riesiges Arschloch…“ Ich wollte jetzt beim besten Willen nicht darüber reden. Irgendwie schien Chris das bemerkt zu haben. Er wechselte schnell das Thema. „Was… Was macht dein Handgelenk?“, fragte er und kaute nervös auf seiner Unterlippe, wie ich es schon so oft bei ihm beobachtet hatte. Ich wickelte wortlos den Verband ab. Er zuckte erschrocken zusammen und zog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. Ich selber fand den Anblick kein bisschen erschreckend. Im Gegenteil: Es war gut verheilt! Die blau-violette Färbung hatte sich in eine grün-braune verwandelt, der Schnitt war von einer Kruste überzogen, war deutlich kleiner geworden und der Eiter war verschwunden. „Ach du meine Scheiße“, keuchte Chris. Ich ließ schnell den Ärmel meines Schlafanzuges über die Wunde rutschen… „Sah mal schlimmer aus“, versuchte ich mich rauszureden. Chris nickte. „Scheiße“, fluchte er. „Scheiße, Fabi, mach bloß nicht weiter mit dem Müll!“ Ich hatte nicht die Absicht gehabt weiter zu ritzen. Nicht so lange Chris für mich da war. Trotzdem sah ich erstaunt auf. „Was?“ Chris musterte mich lange. „Ich will nicht, dass du irgendwann mal Drogen nimmst oder so…“ „Wieso sollte ich?“ Er schwieg für einen Moment. „Naja“, sagte er dann. „Mein Bruder hat das auch mal durchgemacht!“, flüsterte er. „Mit ihm hab ich dich auch an Weihnachten verwechselt. Er hat die gleiche Jacke wie du!“ Er lachte auf, aber es klang nicht echt. „Dabei seht ihr euch nicht mal annähernd ähnlich…“ „Oh“, machte ich betroffen. Chris lächelte schwach. „Kein Problem“, sagte er. Dann stockte er kurz. „Du, ich hab dir ein paar CDs mitgebracht! Ich wusste nicht, was du gerne hörst, also hab ich einfach mal alles eingepackt!“ Damit war das Thema für ihn erledigt und ich fragte auch nicht weiter nach. Den Rest des Tages verbrachten wir damit, Salbei-Bonbons zu futtern („Die sind gut für deinen Hals Fabi!“), uns über diverse Kleinigkeiten zu unterhalten und Chris’ CDs zu hören. Chris hatte eigentlich einen recht guten Musikgeschmack, auch wenn ich sein Faible für asiatische Bands nicht so ganz nachvollziehen konnte. Der Tag verging wie im Flug. Mir ging es wieder viel besser. Doch dann sah Chris auf die Uhr. „Mist“, rief er und sprang auf. „Ich muss nach Hause!“ Ich begleitete ihn zur Tür und drückte ihm einen Zettel mit meiner Telefonnummer in die Hand. „Ruf an, okay?“, bat ich. Chris strahlte. „Versprochen“ sagte er und umarmte mich kurz. „Man sieht sich!“ Ich sah ihm nach, wie er die Straße entlang lief. Mein Magen kribbelte leicht. Dann schloss ich die Tür und seufzte laut. Ja, ich war glücklich! Endlich hatte ich jemand, mit dem ich reden konnte. Ich ging in die Küche, kochte mir einen Kaffee und beobachtete das Schneetreiben draußen. Ich schloss die Augen und freute mich auf den nächsten Tag. Wenn es doch nur immer so gewesen wäre wie jetzt… Wenn ich doch nur immer so glücklich gewesen wäre… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)