Septembermond von Sunrisepainter (SethxOC) ================================================================================ Kapitel 15: Seelenverwandt -------------------------- Seelenverwandt »Seth!«, hauchte ich und sprang dann mit hochrotem Gesicht auf meine Beine. »Äh ja, so heiße ich«, sagte er langsam und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Ich musste mich beherrschen ihm nicht stürmisch um den Hals zu fallen. Schon allein die Tatsache, dass er gekommen war, verursachte bei mir eine Welle von Glücksgefühlen. Doch dann fiel mir ein, was heute morgen passiert war und wie verletzt er ausgesehen hatte. Es war wie ein Schlag in die Magengrube und ich fragte stumpf: »Was machst du hier?« In Gedanken verfluchte ich mich selbst für diese selten dämliche Frage. Manchmal war ich echt gut darin die blödesten Fragen zu stellen. Und dann erzählen sie einem im Kindergarten immer, dass es keine blöden Fragen gibt, sondern immer nur blöde Antworten. Lüge! »Ich hab dir doch heute morgen erzählt, dass meine Jungs und ich ab und zu bei solchen Veranstaltungen vorbei schauen. Die anderen sind da drüben«, ich folgte seinem Fingerzeig und nickte Wayne zu, der zum Gruß grinsend die Hand hob. »Und du? Ich dachte du wärst mit deinem Freund hier«, seine Stimme hatte einen seltsamen Unterton und ich wurde auf der Stelle rot. Emma sah merkwürdig zwischen uns beiden hin und her, so als wüsste sie etwas, was wir nicht wussten. »Ja...also....weißt du...«, stammelte ich und wich gekonnt seinem Blick aus. Au weia! Wie sollte ich ihm diesen Kuss mit Daniel eigentlich erklären? »Ich geh mal eben wieder zu Shirley. Sie ist immer noch alleine mit Montella, die Arme«, erklärte Emma. Zwinkerte mir zu und war dann verschwunden. »War das Emma Crowley?«, fragte Seth und blickte ihr hinterher. Ich nickte bloß und sah ihn immer noch nicht an. Der Indianer seufzte vernehmlich und zog mich dann mit sich zu einer Stelle, die etwas abseits von den anderen lag und man ungestört reden konnte. Ich gab einen überraschten Laut von mir, doch er beachtete das gar nicht. »Hör zu, Maddy«, er hob meinen Kopf an, sodass ich dazu gezwungen war ihm in die Augen zu blicken, »dass ich heute morgen ohne ein weiteres Wort abgehauen bin, war nicht richtig. Es tut mir wirklich Leid. Es geht mich nämlich wirklich nicht an, mit wem du zusammen bist oder nicht. Und du hast mir schon einmal gesagt, dass du diesen Jungen magst, also...« »Okay! Stopp!«, unterbrach ich ihn und hielt meine Hand hoch. Widerstandslos schwieg er und schaute mich fragend an. Dieser Blick hatte so viel Ähnlichkeit mit einem traurigen Welpen, dass ich ihn beinahe gestreichelt hätte. Schnell schüttelte ich mir diesen absurden Gedanken aus dem Kopf. Und dann tat ich das, was viele Mädchen in meiner Situation tun würden. Ich wurde aufbrausend. »Du bist so ein Idiot!«, zischte ich, »so ein verdammter Idiot!« Geschockt ließ er mich los und zog etwas den Kopf ein. »So ein...arg...«, ich schlug ihm auf den Arm und bereute das gleich wieder. Es bereitete mir mehr Schmerzen als ihm. »Warum muss du immer nur so verständnisvoll sein?«, jammerte ich und hielt mir die schmerzende Hand. »Wie bitte?«, verwirrt blinzelte er. »Du hast schon richtig gehört!«, ich piekste mit dem Zeigefinger in seine Brust, »egal wie sauer du auf mich bist oder was ich tue, du...du gibt’s die Schuld immer dir selbst und entschuldigst mein Verhalten. Das macht mich wahnsinnig! Ja, ich geb's zu: Daniel hat mich geküsst, aber es war nicht meine Idee und er ist auch nicht mein Freund und wird es auch nie sein! Er und Melanie passen viel besser zusammen, aber das habe ich erst vor kurzem kapiert. Und Gloria diese blöde Kuh! Ich könnte sie umbringen! Sie muss ja immer gleich alles herum posaunen nur um mich schlecht da stehen zu lassen. Du hast sicher gedacht ich bin eine Schlampe, die jeden Jungen küsst, der ihr über den Weg läuft. Doch das war das erste Mal und ich hab dabei rein gar nichts gefühlt...und du...du Idiot...warum bist du immer so verständnisvoll!?!« Teilweise wusste ich gar nicht, was ich da redete und warum ich versuchte den Kuss mit Daniel zu rechtfertigen. Und Seth schien erst auch gar nicht zu kapieren, was ich mir gerade da zurecht gestammelt hatte. Für einen Moment war er wirklich sprachlos und ich war drauf und dran mich umzudrehen und zu flüchten. Doch dann tat er etwas, was ich nun am wenigsten erwartet hätte: Er zog mich in eine feste Umarmung. Mein Unterkiefer krachte gegen seine muskulöse Brust und die Hitze, die von ihm ausging, war einfach unerträglich. Ich war viel zu überrascht, um zu protestieren. »Maddy, du weißt gar nicht wie froh ich bin!«, lachte er. »Wie bitte?«, verwirrt blinzelte ich. »So froh«, wiederholte er ohne mich zu beachten. »Seth«, jammerte ich, »mir wird warm!« Das tat es wirklich und das sicher nicht nur wegen seiner bizarren Körpertemperatur. »Sorry!«, er lachte und endlich konnte ich mich aus seiner Umklammerung befreien. Peinlich berührt sah ich mich und beruhigte mich etwas, als ich mir sicher war, dass niemand auf uns geachtet hatte. »So, und jetzt erkläre mir doch mal, worüber du dich so freust?« Ich stemmte forsch meine Hände an die Hüften und blickte ihn an wie eine Mathelehrerin, die ihren Schüler gerade nach der dritten binomischen Formel gefragt hatte. Grinsend fuhr er sich durch das dunkle Haar. Seine Augen blitzen, aber vielleicht war es auch nur die Spiegelung des Feuers. »Na ja, weißt du. Eigentlich mag ich es ja gar nicht, wenn du irgendwie sauer auf mich bist, aber in diesem Fall bin ich einfach nur erleichtert. Ich...«, er beugte sich etwas zu mir vor und schien wirklich mit den Worten zu ringen, »ich dachte schon, du redest nie wieder ein Wort mit mir.« Ich legte meinen Kopf schief und schaute ihn mit großen Augen an: »Ich nicht mit dir? Ich dachte es wäre eher anders herum.« Er seufzte und fuhr sich erneut durch sein Haar. Aus irgendeinem Grund hatte diese Geste etwas an sich, dass sich in meinem Inneren kurz etwas zusammen zog. »Nie wieder ein Wort mit dir reden zu dürfen, wäre das schlimmste was mir je passieren könnte, Maddy«, er sprach jetzt so leise, dass ich ihn kaum nicht verstanden hätte. Ich erstarrte. »Du hast gar keine Ahnung wie das für mich wäre«, seine Stimme zitterte und für einen Augenblick war ich in seinen Worten gefangen. Sie waren ein Netz aus unausgesprochenen Gefühlen, dass ich nur noch entwirren brauchte. Doch es fiel mir schwer und deshalb wurde ich daraus nicht schlau. »Ja, für mich wäre es sicherlich auch schlimm«, überlegte ich laut und ein kleines Lächeln erschien in seinen Mundwinkeln. Und auf einmal traf es mich, frontal von vorne. Ich wurde bestimmt blass wie die Wand, denn Seth musterte mich besorgt und legte seine Hand auf meine Stirn. Dort wo seine warme Haut meine berührte, kribbelte es seltsam. »Alles in Ordnung?« Ich machte meinen Mund auf, um etwas zu sagen, doch es kamen keine Wörter heraus. Das, was ich gerade gemerkt hatte, haute mich einfach zu sehr um. Ich blickte Seth an und dann hinüber zu Emma und Tyler, die gerade mit einander herum tollten. Der junge Mann hatte schützend seinen Arm um seine Schwester gelegt und zwickte sie in die Seite. Emmas Lachen hallte bis zu uns hinüber. »Maddy?«, Seth Schütteln an meiner Schulter brachte mich zurück in die Realität. Für einen Moment starrte ich ihn sprachlos an, dass Bild der Crowley – Geschwister im Hintergrund. Und dann breitete sich ein wildes und erleuchtetes Grinsen auf meinem Gesicht aus. »Das ich das schon nicht früher kapiert hab«, stöhnte ich und klatschte mir die Hand gegen die Stirn, »ich bin manchmal blöd.« »Was ist denn?«, fragte der Indianer verwirrt. Ich konnte ihm nicht verübeln, dass er nicht verstand, was gerade in mir vor ging. »Ich verstehe es jetzt, Seth«, aufgeregt zupfte ich an seinem weißen T- Shirt herum, »du bist immer so lieb zu mir und willst nicht, dass mir etwas passiert.« »Ja, natürlich, will ich das nicht«, meinte er sanft und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, »du bist...« »Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ich ihn, »wir kennen uns noch nicht lange, aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass du schon immer in meinem Leben warst. Verstehst du, was ich meine? Als ob es so eine übernatürliche Bindung zwischen uns beiden geben würde.« Auf einmal ließ er mich los und schaute mich überrascht an: »Was meinst du damit? Hat einer der anderen dir was erzählt?« Ich zog meine Augenbrauen zusammen: »Wo von redest du, bitte? Mir hat niemand was erzählt.« Irrte ich mich oder lag so etwas wie Erleichterung in seinem Blick? Ich konnte nicht mehr darauf eingehen, denn ich hatte etwas viel wichtigeres zu sagen. »Am Anfang konnte ich dich nicht wirklich leiden, dass geb ich zu«, sein Gesicht zuckte, als würde er sich nur ungern an unser Kennenlernen zurück erinnern, »aber dann hast du mir gezeigt, was für ein klasse Typ du bist. Du warst für mich da und hast mich getröstet. Und dafür danke ich dir. Dein Vertrauen und alles andere hat uns zu Freunden gemacht. Zu richtigen Freunden«, ich strahlte über ganze Gesicht und er nickte, während er meine Hand drückte, als würde er diesen Satz unterstreichen wollen, »doch wenn ich ehrlich bin, dass sind wir keine Freunde.« Ich konnte regelrecht sehen wie ihm seine Gesichtszüge entglitten. Doch ich drückte seine Hand fester und lächelte ihn an, »wir sind mehr als das...« »Wie bitte?«, seine Stimme klang mindesten vier Oktaven höher als gewöhnlich. Und wenn ich nicht gewusst hätte, dass seine Haut schon von Natur aus rötlich war, dann hätte ich schwören können, dass seine Ohren geradezu glühten vor Verlegenheit. Ich schlang meine Arm um seinen rechten Arm und lehnte mich gegen ihn. Im ersten Moment schien er etwas überrascht über meine plötzliche Nähe zu sein, doch dann entspannte er sich und ich konnte sein Herz genauso wild schlagen hören wie meines. Ein unregelmäßiger Takt. »Du bist viel, viel mehr für mich Seth«, sagte ich jetzt so leise, dass es nur er hören konnte, »es mag vielleicht kitschig klingen, aber: Du bist mein Fels in der Brandung. Bei uns ist es wie bei Winnetou und Old Shatterhand, Sasuke Uchiha und Naruto Uzumaki, ja sogar wie bei Tyler und Emma Crowley. Wir sind Seelenverwandte. Geschwister im Geiste. Seth, du bist wie ein großer Bruder für mich.« So jetzt war es heraus und ich fühlte mich befreiter denn je. Vor Freude und Übermut hätte ich tanzen können. Ich hätte die ganze Welt umarmen können, doch da musste ich wohl mit meinem „Bruder“ Vorlieb nehmen. Glücklich schlang ich die Arme um ihn und störte mich diesmal nicht an der aufsteigenden Hitze. Es war einfach ein zu schönes Gefühl. Als Seth nicht reagierte und mich ebenfalls drückte, wurde ich nervös. Fragend hob ich meinem Kopf und blickte ihm ins Gesicht. Er wirkte sehr verstört und überaus verletzt. Ich fragte mich, ob ich etwas falsches gesagt hatte, deshalb ließ ich los als hätte ich mich an ihm verbrannt. »Tut mir leid, wenn ich dich überrumpelt habe. Ich...« Damit drehte ich mich peinlich berührt von ihm weg und wagte es nicht ihm in die Augen zu sehen. Ich hätte es wissen müssen, dass er nicht genauso empfand wie ich. Immerhin kam nicht jeden Tag ein kleines Mädchen zu ihm, dass ihn zu ihrem Bruder machte. »Madison«, flüsterte er meinen Namen und es klang schon fast ein wenig wehleidig. Ich wagte es nicht mich zu ihm umzudrehen. Ich konnte diesen enttäuschten Blick, den er immer trug nicht weiter ertragen. Doch er zog mich zu meiner Verwunderung wieder zurück in seine Arme. Er klammerte sich an mich, als wäre ich sein Rettungsring in einem Ozean voller Gefahren. »Danke«, flüsterte er in mein Ohr und meine Haut kribbelte, als sein warmer Atem über sie hinweg strich. Ich war eben sehr empfindlich. »Wofür?«, mehr brachte ich nicht hervor. »Das du mich wie einen Bruder siehst, ist mehr als ich mir im Moment erhoffen konnte.« Irgendetwas an diesem Satz störte mich, doch ich wusste nicht was genau. Ich runzelte meine Stirn und fragte mich ernsthaft, was er damit meinte. Mehr als er sich erhoffen konnte? Was meinte er damit? Doch anstatt zu antworten schwieg ich lieber und widerwillig ließ er mich wieder los. Mein Gott, was war heute nur los mit mir? Ein Wechselbad der Gefühle und auf einmal fühlt ich mich völlig erschöpft. Müde ließ ich mich auf einen Stein sinken. »Was ist los?«, sofort kniete sich Seth besorgt vor mich. Ich schüttelte nur meinen Kopf und lächelte leicht. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht«, flüsterte ich und atmete tief die salzige Seeluft ein. Die Geräusche um mich herum vermischten sich miteinander und wurden zu einem Strudel, der sich immer weiter von mir entfernte. Ich fühlte mich wie bei einer wilden Achterbahnfahrt. Alles begann sich zu drehen, so als würde ich mich gerade um meine eigene Achse drehen. Und plötzlich fand ich mich in einem großen Ballsaal wieder. Um mich herum waren Spiegel und über mir hing ein gigantischer Kronleuchter. Es war ein Traum. Ganz bestimmt ein Traum. Ehe ich herausfinden konnte, wo genau ich war, begann leise Musik zu spielen. Ich erkannte das es eine ruhige Melodie war. Sie war weich und angenehm und deshalb ging sie auf mich über. Automatisch begann ich den Takt mit zu wippen. Hin und her. Sie umhüllte mich wie einen Schleier und mein Gehirn setzt vollkommen aus. Ich drehte mich im Kreis und spürte wie sich das Glück in meinen Adern ausbreitete. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen und die Musik und ich waren eins. Wie immer, wenn ich tanzte. Oh, wie sehr ich das vermisst hatte! Es kam mir vor, als hätte ich seit Ewigkeiten nicht mehr getanzt. Ich war so in meinen Tanz vertieft, dass ich erst nicht den Schatten bemerkte, der sich vor mir schob. Ich drehte noch eine Pirouette und kollidierte beinahe mit etwas massiven. Geschockt hielt ich in meiner Bewegung inne und starrte auf Brust eines Mannes. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, um sein Gesicht sehen zu können. »Seth«, murmelte ich überrascht, als ich ihn erkannte. Er war es wirklich. Mitten in diesem seltsamen Ballsaal. Doch er sah gar nicht aus wie Seth. Jedenfalls nicht wie mein Seth. Er wirkte ernst und kalt. So als würde ihm gar nicht gefallen, was ich gerade getan hatte. »Seth«, wiederholte ich und streckte meine Hand nach ihm aus, nur um zu sehen, ob er echt war. Doch er schüttelte nur den Kopf und drehte sich von mir weg, so als hätte ich etwas Unverzeihliches getan. Und es riss mir fast das Herz aus der Brust. Was konnte so schlimm sein, dass er mich verachtete? »Seth!«, rief ich und setzte mich in Bewegung, um ihn hinterher zu laufen. Er verschwand durch eine dunkle Tür. Sie schloss sich hinter ihm und verzweifelt rüttelte ich an ihrem Knauf. Doch sie ging nicht auf. Sie war verschlossen. Während immer noch im Hintergrund die Musik dudelte, lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Tür und ließ mich auf den Boden sinken. Was war hier nur los? Warum fühlte ich mich auf einmal so verlassen und einsam? Warum klang die Musik auf einmal schrecklich in meinen Ohren? So als ob jemand mit einem Nagel über Blech kratzen würde? Ich schluchzte laut auf. Wieso hatte er mich alleine gelassen? Hatte er nicht eben noch gesagt, dass er mich auch mochte? Das ich auch so etwas wie eine Schwester für ihn war? Ich verstand gar nichts mehr. Überhaupt nichts. Gesichter begannen sich um mich herum zu drehen. Szenen. Bilder. Melanie, die mit Daniel tanzte. Shirley und Emma, die mich vorwurfsvoll anblickten. Glorias blutende Nase. Meine Eltern, die sich gegenseitig anschrien. Mein Vater stieg in ein Flugzeug. Seth. Seth, der durch die dunkle Tür ging und mich alleine ließ. Alleine mit der Musik und den bösen Gedanken. »Maddy«, erklang eine vertraute Stimme. Ich wollte sie nicht hören. Ich wollte nichts mehr hören und sehen. Nie wieder. »Nein!«, keuchte ich und hielt mir die Hände auf die Ohren, während die Bilder weiter durch meinen Kopf wirbelten. Ich begann zu weinen. Das durfte alles nicht sein. »Maddy!«, ertönte es erneut und ich spürte, wie mich jemand schüttelte. »Nein!«, rief ich und schlug einfach blind um mich. Meine Faust traf einen Widerstand und ein lautes Keuchen ertönte. Meine Augen öffneten sich und ich blinzelte einige Male. Um mich herum war es dunklen, doch irgendwo musste ein Feuer flackern. Ich lag auf etwas weichem. Sand. Wo war der Ballsaal geblieben? Mein Herz schlug wild und ich spürte den Schweiß auf meiner Stirn. Mein Atem ging schwer, so als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. »Mensch, du bist ja gemeingefährlich«, erklärte die Stimme, die meinen Namen gerufen hatte. Emmas grinsendes Gesicht schob sich in mein Blickfeld. Sie hielt sich ihre Wange. »Was ist passiert?«, krächzte ich und richtete mich auf, doch schnell würde ich wieder von etwas starkem zurück gedrückt. Überrascht gab ich ein Quieken von mir. »Bleib du lieber schön liegen«, Seth Gesicht schob sich von der anderen Seite über meines. »Seth?«, verwirrt blinzelte ich. »Ja, Seth«, Emma verdrehte die Augen, »das müsstest du doch wissen, denn immerhin hast du seinen Namen ziemlich oft gesagt. Sag mal, was hast du da eigentlich geträumt? Ich dachte du hättest einen elliptischen Anfalls oder so.« Ich wurde rot. Ich hatte seinen Namen gesagt? Peinlich. Doch ich wusste immer noch nicht, was genau eben passiert war. »Mir war plötzlich so schwindelig«, murmelte ich. »Hast du heute vielleicht nicht genug gegessen?«, hakte Seth besorgt nach, »wenn du willst, dann hole ich dir was.« Wie der Blitz sprang er auf, doch ich schüttelte meinen Kopf. »Nein, nein, ich weiß auch nicht woran es lag. Es kam ganz plötzlich.« »Vielleicht solltest du doch lieber nach Hause gehen«, meinte Emma, »ich sage sofort Tyler Bescheid, damit er dich bringt.« Ich wollte protestieren, aber Seth kam mir zuvor. »Ich bringe sie schon, dann könnt ihr noch etwas länger bleiben.« »Aber ich will doch auch bleiben«, nörgelte ich, doch die beiden beachteten mich einfach nicht. »Wirklich?«, Emma war pures Misstrauen, »wahrscheinlich noch auf deinem Mofa, was?« Er lachte: »Quatsch! Einer der Jungs kann mir seinen Wagen leihen.« Emma sah zwischen uns beiden hin und her. »Ich brauche nicht nach Hause. Echt nicht. Mir geht’s wieder gut«, startete ich einen zweiten versuch, doch auch dieses Mal wurde ich einfach übergangen. »Also gut«, nickte meine beste Freundin schließlich, »aber wehe ihr passiert etwas, dann bist du Hackfleisch, Clearwater!« Er grinste nur. »Hallo? Werde ich gar nicht gefragt?«, maulte ich. »Nein«, sagten meine beiden sogenannten „Freunde“ gleichzeitig, die sich anscheinend gegen mich verschworen hatte. »Tja Pech, ich bewege mich jedenfalls keinen Zentimeter von der Stelle«, eingeschnappt verschränkte ich meine Arme und schaute sie herausfordernd an. »Komm sei doch nicht so stur«, schimpfte Emma und raufte sich ihre dunklen Haare, »sonst rufe ich deine Mutter an, dass sie dich abholen soll.« »Nicht nötig«, meinte Seth lässig. Er grinste mich an und im letzten Moment konnte ich das Funkeln in seinen Augen sehen. Dann verlor ich plötzlich den Boden unter den Füßen und schwebte mindestens einen Meter über dem Erdboden. Ich kreischte auf und klammerte mich panisch an seinem T - Shirt fest. Wie eine Braut hatte er mich auf seine Arme gehoben und trug mich einfach davon. Ich spürte die belustigten und überraschten Blicke der Menschen um uns herum und wurde bis zum Haaransatz rot. »Was soll das, Seth?«, zischte ich, »siehst du nicht wie uns alle anglotzen?« Er lachte und dabei vibrierte sein Brustkorb. Es war ein angenehmes Gefühl. Es verursachte bei mir Herzklopfen und Bauchschmerzen. Es war so gewaltig, dass mir schon wieder schwindelig wurde. Oh mein Gott! Ich würde doch nicht wieder in Ohnmacht fallen oder? Bitte nicht schon wieder. Nicht ausgerechnet jetzt. Doch ich wurde nicht ohnmächtig. Leider, müsste ich am Ende sagen. Denn dann hätte ich nicht mehr mitbekommen, was danach noch alles passierte. Er trug mich nämlich direkt auf eine Gruppe Jungen zu, die alle aus dem Reservat kamen. Unter ihnen Wayne und Jacob. Als sie uns kommen sahen drehten sie sich zu uns um und starrten uns einfach nur fassungslos an. Vor Scham wäre ich am liebten im Boden versunken. Ich vergrub so gut es ging mein rotes Gesicht in meinen Händen, doch das brachte mir auch nicht mehr fiel. Ich konnte trotzdem die blöden Sprüche hören. »Hey Seddy, wo hast du denn deine kleine Freundin aufgegabelt?«, grölte einer von ihnen und sie alle fingen an zu lachen. »Halt die Klappe, Paul«, knurrte Seth und sein Körper wurde noch wärmer, als er sowieso schon war. Ich begann richtig zu schwitzen. »Hey, warum versteckt sie ihr Gesicht? Ist sie so hässlich?«, lachte ein anderer. Ich wollte nichts als nur weg. Ich wünscht mir nichts sehnlicher. Seth schien zu spüren, was in mir vorging. Er drückte mich noch fester gegen sich, sodass ich seinen lauten und wilden Herzschlag hören konnte. Es war ein schönes Geräusch. Es gab mir das Gefühl nicht alleine zu sein und gleichzeitig verwirrte es mich. »Jake? Kann ich deinen Wagen haben? Maddy geht es nicht gut.«, fragte er leise und ignorierte das Gekichere der anderen um sie herum. »Ihr geht’s nicht gut? Hast du sie so fertig gemacht, Alter«, lachte wieder dieser Paul, den ich mehr und mehr nicht leiden konnte. »Halt die Fresse oder ich poliere sie dir mal ordentlich!«, drohte eine andere Stimme, die mir wirklich sehr vertraut vorkam. Wayne. »Ach Kleiner, willst du dich wirklich mit mir schlagen? Dann komm nur her!« »Hört jetzt auf, Leute«, meinte Jake so resolut, dass sogar ich zusammen zuckte. Sie klang so anders als sonst. So befehlend und kalt. »Klar kannst du meinen Wagen haben. Pass aber auf. Ich hab ihn gerade neu lackiert«, meinte Jacob Black, wie mit seiner normalen Stimme. Ich hörte das Klimpern, als er Seth seine Autoschlüssel in die Hand drückte. »Also bis nachher Leute«, meinte Seth und raste davon als ginge es um sein Leben, dabei drückte er mich so fest gegen seine Brust, dass ich kaum noch Luft bekam. Jake besaß einen alten Truck (taten das eigentlich alle in La Push?), der sich jedoch aufgrund seiner feuerroten Farbe von den anderen Fahrzeugen abhob. Ohne mich hinunter zu lassen, schloss Seth geschickt die Türen auf und platzierte mich so sanft wie möglich auf dem Beifahrersitz. Als er mich dann auch noch anschnallen wollte, reichte es mir endgültig. »Das schaffe ich auch noch alleine«, zischte ich und riss ihn mit milder Gewalt den Anschnaller aus der Hand. Er sagte nichts, sondern schloss wortlos die Tür und joggte um den Wagen herum, um selbst hinter das Steuer zu steigen. Sobald ich angeschnallt war, verschränkte ich meine Arme und starrte mit ausdrucksloser Miene durch die Frontscheibe. Durch die Spiegelung meines Gesichtes in ihr konnte ich sehen, dass meine Wangen immer noch leicht gerötet waren, während der Rest meines Gesichtes unnatürlich blass war. Seth startete den Motor und lenkte den Wagen vorsichtig vom Parkplatz. Ich wusste nicht, was ich sagen wollte. Einerseits war ich immer noch beleidigt, dass er mich gegen meinen Willen nach Hause brachte, aber andererseits fand ich es angenehm mal mit ihm alleine zu sein, ohne dass uns die Leute misstrauisch oder neugierig anstarrten. Das Schweigen hielt an bis mir etwas sehr seltsam vorkam. Eigentlich hatten wir an der letzten Kreuzung abbiegen müssen, jedoch stattdessen fuhr er weiter geradeaus. Erst sagte ich nichts, denn vielleicht kannte er noch einen anderen Weg als ich. Nach einiger Zeit jedoch, war ich mir sicher, dass dieser Weg in keinem Fall zu unserem Ziel führte. Ich räusperte mich leicht und er blickte mich stirnrunzelnd an. »Wir fahren in die völlig falsche Richtung. Da müssen wir eigentlich hin«, erklärte ich nüchtern und verwies in die Richtung, in der ich ungefähr mein Haus vermutete. »Ich weiß«, grinste er und lachte leise. Wütend zog ich meine Augenbrauen zusammen und fragte mich, ob er mich eventuell auf dem Arm nehmen wollte. Gerade wollte ich den Mund aufmachen, als er mir zuvor kam. »Ich fahre dich ja auch nicht nach Hause.« Mein Mund blieb weiterhin offen und ungläubig starrte ich ihn an. Sein Grinsen wurde breiter, als er seinen Blick wieder auf die Straße richtete. »Eigentlich hättest du jetzt fragen muss, wohin wir dann fragen«, erklärte er mir so langsam, als wäre ich ein Kleinkind. Als hätte ich einen Fehler gemacht. »Schön, wohin fahren wir dann?«, meine Stimme klang ruppiger als ich wollte. »Zu einem Arzt.« »Einem Arzt? Warum das denn?«, mein Blick wurde panisch. Ich brauchte nicht zu einem Arzt. Ich war doch völlig gesund. Mal abgesehen davon, dass ich vor wenigen Minuten eine Art Schwächeanfall gehabt hatte. »Das wirst du schon noch herausfinden. Er ist nicht irgendein Arzt, sondern der beste«, meinte er geheimnisvoll. Nun war ich völlig verwirrt. Das Fragezeichen musste geradezu auf meiner Stirn prangen und doch gab er mir keine expliziten Auskünfte. »Toll das immer nur alle über meinen Kopf hinweg bestimme, als wäre ich ein Baby«, nuschelte ich zu mir selbst. Seth hörte es trotzdem. Warum musste ich auch ausgerechnet mit einem Übermenschen befreundet sein? »Wo sind wir hier«, ich lehnte meinen Kopf so weit nach vorne, dass meine Stirn mit der Fensterscheibe kollidierte. Den Schmerz spürte ich kaum, da ich viel zu sehr von dem großen Haus abgelenkt war, auf das wir zusteuerten. Es sah vornehm aus. Eine Villa versteckt zwischen Bäumen. Mit großen Glasscheiben, auf denen das fahle Mondlicht reflektiert wurde. Das alles war bestimmt nicht gerade billig zu bekommen. Um zu erstaunter war ich, als wir die lange Einfahrt hinauf fuhren. Nervös rutschte ich in meinem Sitz hin und her und machte große Augen, als ich die noblen Schlitten sah, die da geparkt waren. Freiwillig kannte ich mich mit Autos überhaupt nicht aus, aber man sah sofort das sie Tausende von Doller wert waren. Natürlich, wenn das ein Arzt war, den wir besuchten, dann musste er sicher reich sein. Jedoch verstand ich immer noch nicht, was wir hier wollten. Wir passten hier genauso sehr hin wie Jacobs alter Truck neben den schwarzen Porsche. »Seth«, murmelte ich, nachdem er gehalten hatte, und zupfte ihm am T-Shirt, »ich glaube, dass dein reicher Arzt an einem Freitagnacht etwas besseres zu tun hat, als ein labiles Mädchen zu behandeln.« »Du bist doch nicht labil«, meinte er und klang wirklich empört, »außerdem ist dieser Arzt nicht wie andere.« »Das glaub ich dir ja, aber es ist schon ziemlich spät. Sicher wecken wir ihn...« Irrte ich mich oder lachte Seth? Irritiert blickte ich ihn an, während er hinter hervor gehaltener Hand kicherte. »Maddy, du hast echt immer noch keine Ahnung von wem ich spreche, oder?« Ich runzelte meine Stirn und ließ schließlich meinen Blick nochmal über die teuren Sportwagen wandern. Zwei davon kamen mir irgendwie bekannt vor. Es war ja nicht so, dass sie von vielen in Forks gefahren wurden, deshalb ging mir plötzlich ein Licht auf. »Verdammt Seth! Ich habe keine Lust mich mit den Blutsaugern auseinander zusetzten. Ich...ich bin noch nicht bereit dafür.!« Verdattert starrte mich Seth an: »Woher weißt du das?« »Ich hab es mir selbst zusammen gereimt«, ich zuckte mit den Schultern und verzog dann das Gesicht, »und auch wenn du mir noch so oft erzählst, dass sie harmlos sind. Ich glaub das nicht. Nein, mich kriegen keine zehn Pferde in dieses verfluchte Haus!« Nächstes Kapitel: Herzenswunsch Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)