Septembermond von Sunrisepainter (SethxOC) ================================================================================ Kapitel 11: Legenden -------------------- Legenden »Du musst etwas essen, Kind.« »Ich hab aber keinen Hunger«, erwiderte ich leise und stützte meinen Kopf auf die Hände. Die ältere Krankenschwester schüttelte nur mitleidig den Kopf, doch ich beachtete sie nicht mehr, sondern stürmte direkt auf die große Person zu, die gerade die Mensa des Krankenhauses betrat. »Wie geht es ihm?« Der dunkle Junge grinste breit: »Bestens. Er kann sogar schon wieder Witze reißen!« Ich wollte sofort los stürmen, doch er hielt mich an der Jacke fest. »Was soll das Jacob! Ich will zu ihm!«, fauchte ich, doch mein Gegenüber schüttelte den Kopf, »seine Mutter und Leah sind bei ihm. Es wäre nicht gut, da jetzt rein zu stürmen.« Mein Gesicht verzog sich und ich verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. »Willst du es wirklich mit gleich zwei Furien aufnehmen«, Wayne, der genauso alt war wie ich, tauchte hinter Jacob auf und grinste mich frech an. Ich verdrehte die Augen und warf mich zurück auf einen Stuhl. Ungeduldig begann ich mit meinen Fingern zu spielen. Immer diese verdammte Wartezeit. Die beiden Jungen wechselten einen Blick und setzten sich dann schweigend zu mir. Obwohl ich sie gerade mal seid knapp fünf Stunden kannte mochte ich sie sehr gerne. Besonders Wayne. Sein Gesicht hatte ich als erstes gesehen, als ich aus meiner Ohnmacht erwacht war. Vielleicht lag es daran, dass sie mich zu ihm nach Hause gebracht hatten, weil er gleich in der Nähe wohnte. Mit sie meine ich niemand anderen als die anderen Werwölfe aus La Push. Sie waren alle sehr freundlich zu mir gewesen, deshalb hatte ich auch keine Angst vor ihnen gehabt. Keine Zeit für Erklärungen war nicht geblieben, weil ich sofort zu Seth wollte. Jacob, anscheinend ihr Rudelführer, hatte mich beruhigt und mir versichert, dass mein Freund sofort ins Krankenhaus gebracht worden war. Und Wayne hatte mir erklärt, dass Wunden bei ihnen viel schneller heilen würden als bei normalen Menschen. Mir war nichts anderes übrig geblieben als ihnen zu glauben. Ein anderer namens Embry hatte angeboten mich nach Hause zu bringen, aber ich verlangt hatte vorher ins Krankenhaus zu dürfen. Ohne groß zu Fragen oder zu Widersprechen hatte er genickt und gemeint er würde mich auch dort hin fahren. Wayne und Jacob waren mit gekommen, während die anderen Jungen im Reservat blieben. Während Jacob und Wayne, zwischen denen ich auf der Rückbank des Wagens hockte, miteinander scherzten und sich über Embrys Fahrstil mokierten, brachte ich kein Wort über die Lippen. Doch eine die Antwort auf eine wichtige Frage hatte mir noch gefehlt, aber ich hatte viel zu viel Angst sie auszusprechen. Die ganze Zeit überlegte ich hin und her wie ich sie am besten stellen sollte und war bis wir am Krankenhaus ankamen immer noch zu keiner Idee gelangt. Doch jetzt, da uns sowieso nichts anderes übrig blieb als zu warten, beschloss ich, dass es der richtige Zeitpunkt dafür war. »Sagt mal...«, begann ich leise und sofort lenkten sie ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu. Zögerlich blickte ich auf die Tischplatte und tippte schüchtern meine Zeigefinger zusammen. »Bitte?«, fragte Jacob freundlich. Ich hob meinen Kopf wieder und beugte mich etwas zu ihnen vor. Nervös sah ich mich um, ob uns jemand hören konnte und flüsterte dann: »Was ist eigentlich mit dem Vampir geschehen?« Das Lächeln der beiden Werwölfe erfror und sie wechselten wieder einen besorgten Blick. Ich biss mir auf die Unterlippe und beobachtete ihre Reaktion. Wayne zog fragend eine Augenbraue hoch und Jacob nickte fast unmerklich, bevor er sich mit ernster Miene wieder mir zu wendete. »Einige von uns...konnten ihn töten.« Er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Zwei Gefühle mischten sich gleichzeitig in mir. Das eine war Erleichterung. Erleichterung darüber, dass die Gefahr vorbei war, dass meine Freunde und meine Familie in Sicherheit waren, aber andererseits entstanden auch Bilder in meinem Kopf, die mir zeigten wie das dunkle Wesen sein Ende gefunden hatte. Immerhin hatte es ausgesehen wie ein Mensch. »Gibt es noch mehr von ihnen?«, meine Stimme zitterte und diesmal hatte ich wirklich Angst vor seiner Antwort. Jacob nickte und lächelte dann nervös: »Ja. Aber sie sind nicht alle so wie er.« Fragend runzelte ich die Stirn und blickte zwischen ihm und Wayne hin und her. Jacob seufzte und rieb sich dann die Schläfen: »Wie wissen wie verwirrend das alles für dich sein muss. Ich meine es schon ein ganz schöner Brocken zu wissen, dass es wirklich so etwas wie Werwölfe und Vampire gibt, aber du musst uns versprechen niemanden davon zu erzählen. Wenn die Menschen wüssten, dass es uns gibt, dann wären wir nicht mehr sicher. Wir alle nicht. Verstehst du das?« Ich nickte. Natürlich wusste ich was er meinte. Menschen waren unheimlich wissbegierig und wenn sie wüssten, dass es überirdische Wesen gab, würden sie diese bis aufs kleinste Detail erforschen. Mir gefror das Blut in den Adern als ich daran dachte wie Seth, Wayne, Jacob und die anderen in Käfige gesperrt wurden. Oder schlimmeres. Ich öffnete meinen Mund, um eine weitere Frage zu stellen, doch Jacob schüttelte den Kopf: »Verschieben wir das auf später. Ein Krankenhaus ist wirklich nicht der richtige Ort um über so etwas zu reden.« Er grinste schief und mir blieb nichts anderes übrig als zu nicken. »Hast du vielleicht Lust auf 'ne Runde Skat?«, wechselte Wayne abrupt das Thema und zog breit grinsend ein Kartenspiel aus seiner Hosentasche. Nach drei Runden hatte ich schließlich die Schnauze voll und sah den beiden nur noch beim Spielen zu. Es frustrierte mich im Gegensatz zu Wayne überhaupt nicht, dass Jacob immer wieder gewann, aber ich merkte, dass ich mich damit auch nicht ablenken konnte. Und dann begann ich mir Vorwürfe zu machen. Eigentlich wusste ich, dass ich nichts dafür konnte, dass wir von einem Vampir angegriffen worden waren. Trotzdem. Wäre ich nicht heulend zu Seth gekommen und hätte nicht bei ihm übernachtet, hätte er mich am nächsten morgen nicht nach Hause fahren müssen. Dann wäre alles nicht passiert. Ich hätte mit dem Bus fahren sollen. Ich hätte ihn dazu überreden müssen. »Was ist los, Maddy?«, fragte Wayne leise. Ich zuckte zusammen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sich mein ganzer Körper verspannt hatte und meine Hände zitterten. Auch Jacobs Gesichtsausdruck wurde nervös, dabei hatte er sich noch gerade über seinen erneuten Sieg gefreut. Ich senkte meinen Blick. »Sag nicht, dass du dich schuldig fühlst«, stöhnte Wayne und warf den Kartenstapel auf den Tisch. Ich sagte nichts. »Das ist das letzte was du tun solltest«, hörte ich Jacob sagen, »was hattest du denn machen sollen? Dich dazwischen stürzen?« Ich zuckte mit den Schultern. »Seid ihr die Freunde von Mr. Clearwater?«, piepste jemand. Wir drehten uns um und sahen eine junge Krankenschwester hinter uns stehen. Sie war knallrot im Gesicht und versuchte unseren Blicken auszuweichen. »E-er h-hat na-nach euch ge-gefragt«, stammelte sie und umklammerte ihr Klemmbrett. »Super, dann gehen wir sofort zu ihm«, Jacob grinste sie breit an und die Ärmste wurde noch röter. Schnell murmelte sie einen Abschiedsgruß und war schneller verschwunden als man „Danke“ sagen konnte. »Wenn Seth nach uns fragt, dann muss seine Familie schon weg sein. Wahrscheinlich hat ihm seine Mutter wieder mal die Hölle heiß gemacht, weil er das zweite Mal in diesem Monat im Krankenhaus ist«, kicherte Wayne. Ich schluckte. Die drei und auch die anderen Wölfe schienen ein gefährliches Leben zu führen. »Weiß sie was er ist?«, flüsterte ich, während wir durch die belebten Gänge liefen. Zum Glück hatte sich Jacob schon Seth' Zimmer erkundigt, sonst wir uns erst noch durchfragen müssen. Der Ältere nickte: »Ja. Sie ist eine der wenigen die eingeweiht ist. Leah und Seth sind auch beide sehr froh darüber. Wenigstens haben sie einen Grund einfach zu verschwinden, im Gegensatz zu anderen von uns.« »Leah? Du meinst Seth Schwester ist auch eine von euch?«, fragte ich überrascht. Wieder nickte er, doch diesmal lag eine tiefe Falte auf seiner Stirn, als würde ihm irgendetwas Sorge bereiten. Ich wollte lieber nicht danach fragen. Erstens ging es mich überhaupt nichts an und zweitens erreichten wir das entsprechende Zimmer. Ich hatte jetzt andere Gedanken im Kopf. »Wollt ihr nicht hinein gehen?«, fragte ich verwirrt, als beide Jungen vor der Tür stehen blieben. Sie wechselten wieder mal einen Blick und langsam ging mir ihre nonverbale Kommunikation schrecklich auf die Nerven. »Wir dachten du willst vielleicht erstmal alleine gehen«, meinte Jacob und lehnte sich gegen die Wand. Wayne tat es ihm gleich. Ich sah zwischen beiden hin und her. War das ihr ernst? »Aber ich kenne ihn doch nicht so lange wie ihr«, murmelte ich. »Glaub mir. Ich bin mir sicher, dass Seth es gar nicht abwarten kann dich zu sehen«, Wayne zwinkerte mir zu und ein Rotschimmer legte sich über meine Wangen. Jacob stieß ihm hart in die Seite, doch auch er grinste wissend. Ich verdrehte die Augen, seufzte resigniert und legte dann unsicher meine Hand auf die Klinke. Mit einem Ruck drückte ich sie hinunter und spähte vorsichtig in den Raum. Der Fernseher, der gegenüber an der Wand hing, spielte irgendeinen zweitklassigen Western. Die Revolverhelden brüllten unschöne Ausdrücke bevor sie sich gegenseitig von den Pferden schossen. Jemand hatte die Vorhänge halb vor das Fenster gezogen, sodass nur spärlich Licht in den Raum fiel. Das einzige was man erkennen konnte war ein Tisch, einen Stuhl und ein Waschbecken. »Maddy!«, kam eine raue Stimme vom Bett. Seth setzte sich sofort aufrecht in seinem Bett auf und strahlte sie an, als wäre gerade die Sonne aufgegangen. Nervös ging sie etwas weiter auf ihn zu. »Hi«, lahm hob sie den Arm, »geht es dir besser?« »Besser? Mir ging es noch nie schlecht«, schnaubte er grinsend. Sie verdrehte bloß die Augen: »Vorhin sah das ganz anders aus.« Sie schluckte und drehte schnell den Kopf weg, damit er ihre Tränen nicht sah. Das Bild, wie er verletzt auf dem Waldboden lag, würde sie nie aus ihrem Kopf bekommen. »Quatsch. So schnell haut mich nichts um«, prahlte er, »du weißt doch: Muskeln aus Stahl.« Um das zu demonstrieren hob er seinen nackten Arm und spielte mit seinen Muskeln. Ein leichter Rotschimmer legte sich über meine Wangen, was er mit einem Grinsen zur Kenntnis nahm. »Mach ich dich nervös?«, fragte er hinterhältig und anzüglichem Grinsen. »Hättest du wohl gerne!«, zischte ich und ärgerte mich über meine leicht zu lesenden Gesichtszüge. Er kicherte. »Setz dich doch«, meinte er und klopfte auf seine Bettdecke. Ich rümpfte die Nase und zog mir einen Stuhl an das Bett heran. »Und ich dachte, die Tage deines Widerwillen hätten wir hinter uns«, obwohl in seinen Augen verletzt drein blickten, grinste er. Ich zog es vor nicht zu antworten. Ich war viel zu beschäftigt damit erschrocken auf seinen Arm zu starren, auf dem vor Stunden eine große Fleischwunde gewesen war. Sie war fast vollkommen verschwunden. Man sah nur noch das die Haut an dieser Stelle etwas rötlicher schimmerte. Ich war nicht blöd. Ich wusste, dass eine Heilung selbst in unserer fortgeschrittenen Medizin nicht so schnell ging. »W-wie konnte das so schnell heilen?« Er richtete sich etwas in seinem Bett auf, sodass er mit mir auf einer Augenhöhe war. »Tja, das Wunderheilmittel aus dem Orient hat wirklich gewirkt«, witzelte er, doch als er sah, dass ich das überhaupt nicht lustig fand, seufzte er. »Ich schätze mal, dass ist der Punkt, an dem ich dir so einige zu erklären habe, was?« »Allerdings.« Mit verschränkten Armen lehnte ich mich gegen die Stuhllehne. »Also, was haben dir die anderen bis jetzt erzählt?«, wollte er wissen. »Nur, dass ihr euch in Werwölfe verwandelt, um euer Dorf zu beschützen«, meinte ich achselzuckend. »So ungefähr. Wir sind nicht direkt Werwölfe, sondern so genannte Gestaltenwandler, dass heißt das wir uns in Wölfe verwandeln ist reiner Zufall. Es hätte theoretisch auch jedes andere Tier seinen können. Dieses Phänomen lag eigentlich schon immer in unseren Familien. Die Magie liegt den Quileuten im Blut, sozusagen. Sie war schon da bevor wir uns verwandeln konnten. Früher gab es in unserem Stamm nur Geisterkrieger, die ihren Körper zurück ließen und konnten als Geist zum Beispiel in den Körper eines Tieres schlüpfen, um Feinde zu vertreiben. Es gab einmal einen Geisterkrieger namens Utlapa, der sich in dem Körper des Häuptlings Taha Aki, nachdem dieser ihn verlassen hatte. Utlapa gab sich als Taha Aki aus und verhängte eine Verbote, unter anderem, dass niemand mehr seinen Körper verlassen durfte. Das war seine Sicherheitsmaßnahme, dass niemand zu Taha Aki sprechen konnte. Taha Aki schlüpfte in den Körper als Wolfes, als er merkte, dass er in seinen alten nicht zurückkehren konnte. Er versuchte seinen alten Körper mithilfe des Wolfes zu töten, doch traf stattdessen einen anderen Krieger, der den falschen Häuptling beschützte. Eigentlich wollte Taha Aki sich wieder von dem Wolf trennen, doch dieser hatte so viel Mitleid mit ihm, dass er ihm erlaubte auch noch weiterhin in seinem Körper zu bleiben. Schließlich schafften sie es einen der Quileute davon zu überzeugen, dass er der wahre Häuptling war. Als dieser wieder zum Geisterkrieger wurde, um mit Taha Aki zu sprechen, konnte er nicht mehr zurückkehren, da Utlapa seinen Körper tötete. Da wurde Taha Aki so wütend, dass er sich vor den Augen seine Stammes wieder zurück in einen Menschen verwandelte. Er konnte den falschen Häuptling töten und lebte danach weiterhin in Menschengestalt. Jedoch mit dem Unterschied, dass er sich immer zurück in einen Wolf verwandeln konnte, wenn seinem Volk Gefahr drohte. Diese Gabe wurde an seine Söhne weitervererbt und immer so weiter bis heute. Das ist der Grund, warum wir uns ebenfalls verwandeln können. Wir alle stammen von Taha Aki ab. Das heißt wir sind so gut wie unverletzbar, also unsere Wunden heilen schneller als die der normalen Menschen. Außerdem sind wir zehnmal so stark und unsere Haut ist viel heißer..« Danach war es ruhig im Zimmer. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum und versuchte zu begreifen, was er mir gerade erzählt hatte. Eigentlich hatte ich mich noch nie wirklich für Geschichte erzählt, aber diese Legende war wirklich spannend. »Das war natürlich nur eine kleine Zusammenfassung, außerdem kann Billy, Jakes Vater, das viel besser erklären«, meinte Seth, nachdem ich immer noch nicht reagiert hatte. »Jake?« »Na, Jacob Black. Du hast ihn doch schon kennen gelernt.« »Ach so«, murmelte ich und strich mir über die Hose. Dann hob ich meinen Kopf und blickte ihn lange an, bevor ich den Mund wieder öffnete: »Hat dieser Tahaki oder wie der heißt es allein durch seine Wut geschafft wieder ein Mensch zu werden?« »Er heißt Taha Aki. Nein, nicht nur. Es muss auch die Liebe zu seinem Volk gewesen sein. Der Wunsch es vor diesem hinterlistigem Kerl zu beschützen.« »Irgendwie klingt das ganze ziemlich unglaubwürdig«, bemerkte ich. »Findest du? Das ist doch besser als jeder Harry – Potter – Film«, grinste er. »Ja, aber da behauptet auch niemand das es wirklich passiert ist. Woher wollt ihr das alles wissen?« »Hallo? Ich kann mich in einen Werwolf verwandeln? Hast du je so große Leute wie uns gesehen? War das heute ein Vampir oder ein Vampir? Ich finde, dass ist doch Beweis genug, oder etwas nicht? Soll ich mich etwa nochmal verwandeln, damit du mir glaubst?«, meinte er herausfordernd. Kleinlaut zog ich den Kopf ein und murmelte: »Okay, ich glaub dir ja schon. Kein Grund ausfallend zu werden.« »Ich kann verstehen, dass es auf einmal ein bisschen viel für die ist.« »Irgendwie schon«, gab ich zu, »aber irgendwie habe ich es schon geahnt.« »Das ich ein Werwolf bin?« »Nein, aber das es Vampire und Werwölfe in unserem Wald gibt. Dann sind doch die Meldungen in der Zeitung alles wahr, oder?« »Zum Teil. Die Journalisten denken sich gerne noch etwas dazu aus.« »Dann hat mein Vater also sich doch nichts ausgedacht«, lachte ich und fühlte mich auf einmal sehr befreit. Doch meiner Freude wurde schnell einen Dämpfer verpasst, als mir einfiel, was in den letzten zwei Tagen alles passiert war. Meine Eltern hatten sich zerstritten und ich stand zwischen ihnen. Außerdem war heute Samstagnachmittag, dass hieß ich hatte bereits mein Tanztraining verpasst. Dabei brauchte ich das doch ganz dringend, wenn ich nach New York wollte. »Was hat dein Vater jetzt damit zu tun?«, unterbrach Seth meine Gedanken. Er zog verwirrt eine Augenbraue hoch. Ich blickte ihn nachdenklich an und stand dann auf einmal auf, was ihn noch mehr durcheinander brachte. »Es tut mir Leid, aber ich muss gehen. Da sind noch ein paar Dinge, die ich unbedingt klären muss«, meinte ich entschuldigend. »Jetzt schon?«, fragte er enttäuscht. Ich nickte nur. Dann drehte ich mich um und wollte das Zimmer verlassen, doch eine große Hand griff nach meinem Handgelenk. Erschrocken wirbelte ich herum und wäre fast gegen Seth nackte Brust geknallt. »Bist du verrückt? Leg dich sofort wieder hin! Verdammter Idiot!«, fluchte ich, um meine Unsicherheit zu überspielen. Doch er dachte gar nicht daran. Bevor ich es realisieren konnte, hatte er mich auch schon in eine sanfte Umarmung gezogen. Es war so, als hätte er Angst mich zu zerbrechen. Wahrscheinlich könnte das auch passieren. Die Hitze, die von seinem Körper ausging, kroch meinen eigenen hinauf und ich lief knallrot an. »Danke!«, hörte ich seine sanfte Stimme ein meinem Ohr. In diesem einen Wort steckten so viel Emotionen, dass es mir fast den Atem raubte. »W-wofür?«, stammelte ich unbeholfen. »Einfach dafür, dass du hier bist und keine Angst vor mir hast«, murmelte er. »A-ber- «, ich wollte etwas erwidern, doch im selben Moment krachte die Tür auf. »Genug Privatsphäre«, flötete Waynes Stimme. Als hätte ich mich verbrannt ließ ich Seth los und brachte vier Schritte Sicherheitsabstand zwischen uns. »Oh, ich hoffe wir haben bei nichts gestört«, grinste Jacob süffisant, als meine geröteten Wangen und Seth' ärgerlichen Gesichtsausdruck sah. »Nein, aber natürlich nicht«, brachte dieser zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und blitzte seine beiden Freunde an. »Ähm, ich gehe jetzt dann«, meinte ich verlegen und wagte es keinen der drei anzublicken. »Aber doch nicht wegen uns«, meinte Wayne. »Ich hatte sowie so vor zu gehen«, erklärte ich und ließ fast fluchtartig den Raum. »Tschüss, Maddy«, gröhlten Wayne und Jacob im Chor. Das letzte was ich hörte, war Seth leises »Hoffentlich bis bald!«, dann lief ich etwas betäubt hinaus ins Sonnenlicht. Meine Füßen trugen mich automatisch zu Dads Redaktion. Mein Training konnte ich sowieso vergessen, deshalb blieb mir nichts anderes übrig als zuerst mit ihm zu sprechen. Die Dame am Empfangstresen begrüßte mich freundlich und ließ mich ohne etwas zu sagen passieren. Normalerweise brauchte man einen Termin, aber sie kannte mich und Familienmitglieder durften unangemeldet auftauchen. Ich kannte das Gebäude in und auswendig. Als ich noch kleiner war, hatte ich in den Gängen getobt und nicht wenige missbilligende Blicke kassiert. Heute war das anders. Jeder, der mich kannte begrüßte mich mit einem Lächeln. Der Weg zu Dads Büro kam mir unendlich lang vor, obwohl es gerade mal in der untersten der vier Etagen lag. Als ich es schließlich doch noch erreichte, klopfte ich vorsichtig gegen die Tür. Obwohl es sich um meinen Vater handelte, wollte ich nicht einfach so herein platzen. »Herein!«, hörte ich seine dunkle Stimme und betrat mit einer fließenden Bewegung das Zimmer. Mein Dad saß hin seinem gewaltigen Schreibtisch und beugte sich tief über seine Aufzeichnungen. Die Rollläden waren halb hinunter gelassen und ihr der rechten Ecke summte der alte Steinzeitcomputer, mit dem er seine Artikel schrieb. Das Messingschild mit seinem Namen blitze mehr denn je und seine Sammlung von Kugelschreiber, Bleistiften, Büroklammern, Lochern und Notizzetteln lag kreuz und quer verteilt auf der Tischplatte. Ich hatte das Büro schon immer gemocht. In der Luft lag immer ein Geruch von Kaffee, Druckerschwärze und dem After Aftershave meines Vaters. »Setzten Sie sich, ich bin gleich für Sie da«, murmelte er ohne aufzusehen. So leise wie möglich schloss ich die Tür wieder hinter mir und ging langsam hinüber zu der grünen Couch. Sie erinnerte mich immer an die, auf die sich die Patienten eines Psychiaters legen mussten. Nur das auf dieser eine Decke und ein Kissen lagen, was mich den Schluss ziehen ließ, dass er wirklich hier geschlafen hatte. Das bestätigte sich zusätzlich durch den geöffneten Koffer, der gegen einer Wand lehnte. Ich schob das Bettzeug zur Seite und ließ mich aufs Sofa fallen. Die Federn quietschten etwas, aber das kannte ich. Ungeduldig rutschte ich hin und her und beobachtete meinen Vater, der auf seinem Stuhl vor und zurück wippte und sie nachdenklich die Nase kratzte. So wie ich immer, wenn ich bei einer Matheaufgabe nicht weiter kam. Die Minuten verstrichen und das einzige, was man hörte war das Ticken der Wanduhr. Dann sah er endlich auf und entdeckte mich. »Maddy? Was machst du denn hier?« Seine Überraschung über meine Besuch schlug aber schnell in Freude um. Er legte seinen Stift weg und lächelte mich an. Doch ich sah, dass seine Gesichtsmuskeln im Probleme bereiten. In seinen Augen lag absolute Trauer und die Art wie sich sein Mund verzog, sagte mir, dass etwas nicht in Ordnung war. Dreimal dürft ihr raten! »Hallo, Daddy«, sagte ich heiser, »wie geht es dir?« »Soweit ganz gut. Schickt dich deine Mutter?« Der letzte Teil klang ein wenig misstrauisch. Ich schüttelte schnell meinen Kopf und sah ihn forschend an: »Es sieht aber nicht so aus, als ob es dir gut geht.« Er seufzte und rieb sich die Schläfen. Dann stand er auf, zog die Rollläden hoch und stellte zwei Gläser und eine Flasche Wasser vor mich auf den Tisch. Angespannt setzte er sich neben mich. »Dir kann ich wohl nichts vormachen, was?« Er grinste gezwungen und schenkte uns beiden etwas zu Trinken ein. Einige Sekunden saßen wir wieder schweigend nebeneinander und wussten nicht wirklich worüber wir reden sollten. Dann hielt ich es nicht mehr aus. »Ist das nicht ungemütliche?«, fragte ich und klopfte auf das Polster. »Immerhin besser als auf dem Boden zu schlafen und es ist ja nicht für lange«, erklärte er zögernd. »Kommst du wieder nach Hause?«, fragte ich hoffnungsvoll und blinzelte einige Male. Dads Miene blieb unergründlich, als er den Kopf schüttelte und alle meine Hoffnungen zerbarsten wie ein Spiegel. »Ich werde wahrscheinlich für einige Zeit nach Europa gehen. Das Angebot habe ich schon vor einigen Monaten erhalten und abgelehnt, aber jetzt da sich so viel verändert hat, glaube ich das das richtig wäre.« Nachdenklich beobachtete ich eine Fliege, die erst um mein Gesicht herum summte und es sich dann auf dem Rand meines Glases gemütlich machte. »Wie lange?« »Ich weiß es noch nicht«, antwortete er und sah mich betrübt an, »aber das heißt doch nicht, dass du nichts mehr von mir hörst. Ich werde dir jeden Tag schreiben und wir können ja einmal in der Woche webcamen.« Ich senkte meinen Kopf, damit er meine Enttäuschung nicht sah. »Ist das endgültig? Ich meine, dass Mom und du... dass ihr....« Daraufhin schwieg er und aus dem Augenwinkeln sah ich seine steinerne Miene. Und in diesem Moment wusste ich es: Es würde nie wieder sein wie früher. »Hör mir mal zu, Maddy«, meinte er ernst und legte seine Hand auf meine, »alles, was passiert ist, ist nicht im geringsten deine Schuld. Hast du das verstanden? Du kannst nichts dafür, dass Mom und ich uns gestritten haben.« »Aber wäre ich nicht mit der Tanzsache gekommen, dann... « Natürlich sagte er, dass es nicht meine Schuld war. Er war mein Vater. Eltern wollten nie, dass sich ihre Kinder schuldig fühlten. »Wir hatten schon vorher immer kleine Meinungsverschiedenheiten. Entweder wegen Geld oder Arbeit. Das es in diesem Fall so enden musste, tut mir Leid. Manchmal machen Eltern etwas ohne das sie wissen, was sie ihren Kindern damit antun. Und wenn ich es vorher gewusst hätte, hätte ich es nie so weit kommen lassen«, redete er auf mich ein und ich hörte wie schuldig er sich ebenfalls anhörte. Ich nickte und spürte wie etwas armes meine Wange hinunter lief. »Keine Angst, wir kriegen das schon irgendwie hin und werde auch nicht für immer in Europa bleiben, wenn du willst, dann kannst du mich jederzeit besuchen kommen.« Ich nickte und er zog mich in eine feste Umarmung. Ich war so froh, dass er nicht böse auf mich war. »Und jetzt hör auf zu weinen«, lachte er und küsste mir auf meinen Haarschopf. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und versuchte mich wieder zu beruhigen. »Und egal, was deine Mom oder irgendwer sagt: Ich weiß, dass du dieses Casting schaffen kannst. Du wirst einmal die beste Tänzerin sein, die der Broadway je gesehen hat.« »Danke, Dad. « Ich war so froh. So froh, dass es wenigstens noch einen Menschen gab, der an mich glaubte. Nächstes Kapitel: Mutterliebe Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)