Blood Deal von -Amber- (Even if saving you sends me to heaven) ================================================================================ Kapitel 83: Licht und Schatten ------------------------------ Ragnar Als Ragnar an diesem Morgen seinen Wecker hörte, schien es ihm, als wäre er gerade erst eingeschlafen. Gut, er war erst gegen halb vier ins Bett gekommen, aber eigentlich brauchte er nie mehr als sechs Stunden Schlaf. Es war eher der Alkohol, der ihm heute das Aufstehen schwerer machte, als sonst. Seitdem er diese verdammte SMS losgeschickt hatte, war er nervös. Und er hasste diesen Zustand. Gestern war er froh gewesen, dass Cole nicht ins Lady-Dream kommen würde, denn der bemerkte es immer, was er mühsam zu unterdrücken gedachte. Cole kannte ihn wahrscheinlich einfach zu gut. Zumindest hatte Costello dafür gesorgt, dass er abgelenkt wurde. Denn dieser wütete irgendwann durch das Lady-Dream, alle und jeden anschnauzend, die es wagten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Offensichtlich schien er Cole heute dringend zu brauchen, und dieser hatte es offensichtlich geschafft, ihm abzusagen. Ragnar war mehr als glücklich darüber, aber Costello jedenfalls nicht, weshalb er alle zur Schnecke machte. Das Problem war dabei nie, dass nicht jeder genau wusste, dass der Wutanfall bald vorbei war. Es waren die Dinge, die Costello einem an den Kopf warf, die bitterlich schmerzten und entmutigten oder Angst verbreiteten. Dieser Mann schaffte es immer, den wundesten Punkt stets weiter bluten zu lassen. Ragnar war letztlich für Cole eingesprungen und war mit zu einem Treffen gefahren, das um eine Neuverteilung der Rollen ging. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass verschiedene gefährliche Aspekte untereinander aufgeteilt wurden, damit die führenden Clans sich gegenseitig entlasteten und die Polizei zudem verwirrten. Und an diesem Tag war eine Sitzung einberufen worden, die vorsah aus gegebenem Anlass einige Dinge umzustrukturieren. Eigentlich ließ Costello gerne Cole auf die Leute los, wissend, um seine Eloquenz, sein Auftreten, seine Aura. Perfekt herangezüchtet für diesen Job. Heute musste Ragnar ran. Und dass er kein adäquater Ersatz war, bekam er deutlich zu spüren. Aber ihm war das letztlich egal. Costello konnte ihm nichts. Es war alles komplett egal. Dennoch war an diesem Abend angesichts des beschissenen Clan-Treffens und dem bevorstehenden 'Date' die Whiskeyflasche sein bester Freund. Wieso hatte er sich überhaupt auf dieses verfickte Date eingelassen? Er wusste doch, dass das Ganze nicht funktionieren würde. Allerdings könnte er doch ein wenig mehr von Cole gelernt haben. Wieso also nicht ein wenig Sex haben, und dann beenden, was ohnehin irgendwann beendet wird. Eine Dusche, zwei Aspirin und drei Kaffee später fand er sich auf dem Weg zur Christopher Street wieder. Warum hatte er sich auch noch ausgerechnet die Schwulenszene New Yorks ausgesucht, um Nathan zu treffen? Dabei war er alles andere als einer von denen, die jeden Tag dort herumhingen. Gut, er war hin und wieder dort, weil es einfach gut tat, diese andere Luft zu schnuppern, diese Normalität zu genießen. Er ging auch gerne in die Buchläden, schaute eigentlich immer gerne in der Saftbar vorbei und kaufte auch hie und da etwas zum Anziehen dort. Aber eigentlich hatte er hier wenig verloren. Denn er war nicht selten frustriert, wenn er diese Männer dort sah. Männer, die auch durchaus Interesse an ihm zeigten, die er aber immer vor den Kopf stoßen musste. Ein wenig genervt stieg er aus der U-Bahn und bahnte sich seinen Weg zum Treffpunkt, an dem er einigermaßen pünktlich ankommen würde, nicht damit rechnend, dass Nathan schon da sein würde - wenn er denn überhaupt käme und nicht doch noch einen Rückzieher machte. Was sollte er überhaupt mit Nathan hier machen? die Ausstellung würde ihn vielleicht wirklich interessieren. Ein bekannter Fotograf stellte Aktphotographien in Schwarz-Weiß aus. Und dann? Was sollten sie reden? Ragnar konnte ja nichts über seinen Beruf sagen, oder weshalb er nur mittags Zeit hatte, sich mit jemandem zu treffen. Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich auf die Bank neben die zwei versteinerten Lesben. Wieso man diese Skulpturen 'Monument' nannte, war ihm nicht so recht klar. Aber an sich, waren die Figuren sehr schön, sowohl das Lesbenpärchen, als auch die beiden schwulen Männer, die davor standen. Kurz schloss er die Augen und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Er legte den Kopf zurück und atmete langsam den Rauch in die Luft. Ob er früher an AIDS oder an Lungenkrebs sterben würde? Nathan Völlig entgegen seines Zeitplans schloss er seine Bürotür viel zu spät hinter sich und stieg in den bereits wartenden Aufzug. Diese Frau! Wie viel konnte ein einzelner Mensch eigentlich sprechen, ohne irgendwann einfach blau anzulaufen und umzufallen? Wie er jetzt wusste, sehr, sehr viel. Unfassbar, dass man dieses Wesen mit der Ausrichtung dieses Balles beauftragt hatte, denn die Eröffnungsrede konnte er sich jetzt schon vorstellen. Sie wäre nur mit Ohrenstöpsel erträglich. Kein Wunder dass seine Partnerin ihm diesen Auftrag übergeben hatte, obwohl diese sich eigentlich liebend gerne um Bälle und den ganzen romantischen Mist drum herum kümmerte. Nathan zog es vor, die richtig großen Events vorzubereiten. In Rockbands fand er zum Beispiel immer wieder eine Herausforderung. Aber wie dem auch sei, er hatte nur noch wenig Zeit gehabt sich umzuziehen, seine Haare zurecht zu zupfen und sich deshalb kurzfristig für ein Taxi entschieden. Bis zur U-Bahn Station zu hechten kam jetzt gar nicht mehr in Frage. Er verließ das Gebäude, immer mal wieder verschiedenen Leuten zunickend, die ihn ein wenig perplex musterten, das Ganze dann jedoch erwiderten. Ja, er hätte sich auch lieber zuhause in die lockere Jeans, die am Hintern jedoch perfekt saß und das dunkelgraue Shirt mit dem langgezogenen V-Ausschnitt geworfen doch das sah der Zeitplan nicht mehr vor. Trotzdem wäre das alles wohl kein Problem gewesen, auch wenn man ihn hier sonst nur im Anzug sah, wenn er - normalerweise absolut Stressresistent - nicht ganz deutliche Anzeichen von eben jenem gezeigt hätte. Was nicht nur am Zeitdruck lag. Nathan war sich immernoch nicht ganz klar was er sich von heute erwartete oder erhoffte. Ob er das überhaupt noch tat? War es Mitleid dorthin zu gehen? Aber nein, das wohl kaum. Er war interessiert an dem Mann, den er kennengelernt hatte, aber war er das auch am Gesamtpaket? Vor allem wo er doch wusste, was dort mitgeliefert werden würde? Gnah! Am liebsten hätte er sich die Haare gerauft, doch das würde zum einen seiner Frisur schaden und zum anderen war er aus dem Alter lange raus. Er würde es also einfach auf sich zukommen lassen. Müssen. Als das Taxi endlich am Zielort hielt warf er einen Blick auf die Uhr und nickte. Der Verkehr war ihm ausnahmsweise wohlgesonnen, war es doch erst zehn Minuten über der Zeit. Das sollte doch jetzt kein Problem darstellen, immerhin hatte er es angekündigt. Er gab dem Fahrer das Geld und stieg, sich umsehend aus. War Ragnar doch schon wieder verschwunden? Oder am Ende gar nicht aufgetaucht? Doch dann sah er ihn, neben den beiden Steinfrauen sitzen und musste lächeln. Natürlich war der andere Mann noch da. Warum auch nicht? Er hätte Ragnar nicht so eingeschätzt sich nicht an die Dinge zu halten die er von sich gab. Ein wenig über sich den Kopf schüttelnd hielt er auf die vier Figuren und Ragnar zu, sich nur nebenbei darüber wundernd, woran man eigentlich erkennen wollte, dass die beiden Männer schwul waren. Im Grunde könnten es auch nur zwei Freunde sein, die da vor dem lesbischen Paar standen, aber da er sich darüber jedesmal wunderte, hielt das nicht lange an und er stand vor Ragnar. "Hey, schön dich zu sehen", begrüßte er diesen und lächelte dann etwas entschuldigend, seinen Blick über den anderen gleiten lassend. Gut, er hatte sich nicht getäuscht, der Kerl war tatsächlich sehr schön anzusehen. Auch ohne Neonlicht, Nebel und alles was einen im Club noch so täuschen konnte. "Tut mir leid, dass ich mich ein wenig verspätet habe, aber die Frau wollte nicht aufhören zu reden. Was mich zu meiner Frage führt: Hast du etwas dagegen einzuwenden Essen zu gehen? Ich könnte jetzt ein wenig Nahrung wirklich gut gebrauchen", fragend sah er Ragnar an und wunderte sich ein wenig über sich selbst. Dafür dass er sich im Vorfeld stellenweise ziemlich verrückt gemacht hatte, fühlte er sich momentan ziemlich locker. Vielleicht weil es jetzt für alles andere sowieso erst einmal zu spät war. Er war hier und jetzt würde er das auch genießen. Ragnar Ragnar blickte dem Mann entgegen, dessen geschmeidige Bewegungen dafür sprachen, dass es jemand war, der wusste, was er wollte. Nun, einen anderen Eindruck hatte er auch im Savoy nicht gehabt. Er schien zielstrebig zu sein. Sonst wäre er nicht noch einmal zu ihm gekommen, nachdem Ragnar ihn hatte auf der Tanzfläche stehen lassen. Und als er vor ihm stand, und er zu ihm aufblickte, sah er auch wieder, wir unglaublich hübsch dieser Mann war. Nicht nur sein Körper, der durch die Jeans und das Hemd gut zur Geltung kam, sondern auch diese unglaublich blauen Augen und das schöne Gesicht, das durch die markanten Augenbrauen und die schwungvoll geschnittene Kinnpartie bestach. Ragnar musste sich eingestehen, dass dieser Mann absolut dem entsprach, was er einfach mochte, was er anziehend fand. Ja, dieser Mann war in seinen Augen eine Augenweide und er würde ihn sicher nicht von der Bettkante stoßen. Und was würde er jetzt dafür geben, durch diese Haare zu streichen, die so aussahen, wie weiche Federn. Ragnar stutzte bei dem Gedanken. Wie kam er auf Federn? Egal, sie sahen jedenfalls viel zu gut aus für ihn. Ragnar stand auf und erwiderte das Lächeln halbherzig. Noch war er nicht ganz da, noch hatte er unterschwellig schlechte Laune, auch wenn sein Gegenüber gut aussah. Mal sehen, vielleicht würde sich ja der Märchenprinz doch in einen Frosch verwandeln, wenn er unter die Fassade blickte. "Hey", entgegnete er. "Du bist nicht zu spät. Du hast gesagt, dass du nicht genau kommen kannst. Und da du offenbar ein schwerbeschäftigter Mensch bist, ist es doch in Ordnung. Zumal ich froh sein kann, dass du überhaupt gekommen bist." Ragnar war zwar selbst ein pünktlicher Mensch, forderte das aber von niemandem sonst ein. Schon gar nicht, wenn man es angekündigt hatte. Dass der letzte Satz sich sowohl auf die Tatsache bezog, dass er schon oft umsonst gewartet hatte, als auch darauf, dass Nathan ja auch zu viel zu tun gehabt haben könnte, war ihm bewusst. "Frauen neigen oft dazu, nicht auf den Punkt zu kommen", lächelte er und steckte seine Zigarettenschachtel, die er in der Hand hatte, in die Hosentasche, seiner dunkelblauen Jeans. "Essen klingt gut. Ich habe zu viel Kaffee intus und mein Magen beschwert sich bereits bitterlich." Kurz überlegte er und blickte die Christopher-Street hinunter. Italiener war zu spießig, amerikanisch zu normal, griechisch zu fleischlastig, auf chinesisch hatte er keine Lust... "Ich wäre für den Ägypter", überlegte er dann. Das Restaurant wurde von einem muslimischen Schwulen geführt, der gerne davon predigte, dass es im Islam durchaus möglich war, schwul zu sein. Das Restaurant war ziemlich gemütlich eingerichtet und man saß dort auf großen Kissen am Boden und durfte, wenn man wollte, mit der Hand essen. Fragend blickte er Nathan an und kurz darauf gingen sie die Christopher Street hinunter. Und was redete man jetzt? Ragnar war noch immer nicht ganz bei sich. Er war kein unhöflicher Mensch, ganz im Gegenteil, aber der leichte Kater, den er hatte, und diese Unruhe in ihm machten ihn ein wenig schweigsam. "Ich hoffe ich halte dich wirklich nicht von wichtigen Dingen ab. Ich arbeite nur leider meistens abends und dafür bis spät in die Nacht, so dass ein Treffen zu 'normalen' Zeiten für mich nicht wirklich in Frage kommt", erklärte er, nachdem er sich vorgenommen hatte, einfach als Beruf das anzugeben, was er ja auch tat - Geschäftsführer in einem Nachtclub sein. Mehr würde Nathan nicht interessieren und mehr würde er auch nicht wissen müssen. Es war zum Glück nicht weit, so dass sie das Restaurant bereits betraten, bevor Nathan antworten konnte. Von einem sehr femininen jungen Mann wurden sie zu einem Tisch gebracht und kaum hatten sie sich auf die Kissen sinken lassen, stand bereits eine Kanne Pfefferminztee und die dazugehörigen Gläser vor ihnen und zudem zwei Speisekarten, die aus einem einfachen Blatt Papier bestanden, da es hier üblich war, dass es jede Woche etwas anderes gab. Ragnar überflog die Karte und wusste bereits jetzt, dass er Couscous essen würde. Er mochte das Zeug, egal in welcher Form. Und so schenkte er ihnen Tee ein und sah zu Nathan, der sich noch zu entscheiden schien. "Ich kann dir alles empfehlen, was sie hier aus Lamm machen, und die Couscousgerichte sind auch genial..." erklärte er und setzte pustend das Glas an die Lippen den anderen ansehend. Nathan Nathan stimmte dem Ägypter zu, vor allem weil er es selbst noch nie bis zu einem geschafft hatte und mit neuen Essensvariationen konnte man ihn immer locken. Etwas das besonders Sascha aufstieß, da er selbst so gut wie keine Probleme damit hatte, sich so zu ernähren wie ihm gerade der Sinn danach stand. Eine Stunde Laufband und alles war wieder erledigt. Er selbst hatte auch kein Problem damit, wenn sie sich gegenseitig nicht sofort mit irgendwelchen 'lustigen' Anekdoten überfielen, denn auch wenn er sich jetzt locker fühlte, im Grunde war es ein eher ungewöhnliches Date und das ließ sich nicht so einfach vom Tisch wischen. Und als Ragnar schließlich doch sprach, kam er nicht sofort zum Antworten, denn er musste sich hier erst einmal umsehen und feststellen, dass er es sehr gemütlich fand. Das stilechte Sitzen auf den Kissen entlockte ihm ein amüsiertes Grinsen, bevor er sich eben dort niederließ und das Blatt Papier dankend entgegen nahm. Hm, was davon klang jetzt wirklich ansprechend? Nathan hob den Blick auf und sah zu Ragnar, bevor er schmunzelte und die Karte schulterzuckend weglegte. "Dann werde ich dem Experten wohl vertrauen", erwiderte er, schenkte dem Tee jedoch erstmal nur einen kurzen Blick. Tee musste für ihn schon fast wieder kalt sein, so trank er ihn am liebsten. Schließlich sah er Ragnar wieder an. "Wenn wirklich etwas wichtiges angestanden wäre, hätte ich unser Treffen verschoben, also mach dir da bitte keine Gedanken", erklärte er und lächelte dann offen. Tatsächlich war Elisa fast vom Stuhl gefallen als er sich den Nachmittag frei genommen hatte. Nicht, weil ihre Arbeit dann nicht mehr zu bewältigen war, sondern weil es intern den Witz gab, dass selbst ein Erdbeben nur eine fünfzig Prozent Chance hätte, Nathan vor Feierabend aus dem Büro zu locken. Er mochte seine Arbeit eben, na und? Kein Grund gleich so maßlos zu übertreiben. "Auch wenn ich mich zugegebenermaßen ein wenig über die Zeit gewundert habe, aber es klingt nur logisch wenn du nachts arbeiten musst." Damit nahm er das Gehörte für sich an und erklärte die Sache als abgehakt. Gerade er, der ja vom Savoy wusste wie lange seine Leute teilweise arbeiten mussten, wäre da der letzte dem es seltsam vorkommen würde. Als der junge Mann wieder kam bestellte er sich das erstbeste Gericht mit Lamm von der Karte und trank dann einmal probeweise von dem Tee. Stelle ihn dann jedoch wieder zurück. Noch viel zu warm. "Ich hab mich ein wenig über die Ausstellung informiert, die du erwähnt hast, und ich denke das klingt ganz interessant. Wenn du also noch Lust hast, können wir sie uns gerne ansehen?", er ließ es fragend klingen, denn es könnte ja durchaus sein, dass Ragnar es sich inzwischen anders überlegt hatte. Was zwar schade, aber nicht zu ändern wäre. Und wer wusste schon, wo es sie sonst noch hin verschlagen könnte? Insofern wäre Nathan für alles offen, da er im Grunde sowieso ein sehr spontaner Mensch war. Zumindest wenn man ihn von seinen Terminen und Zeitplanungen einmal losriss. Er suchte Ragnars Blick und stelle für sich fest das dessen Augen immer noch diese schöne Farbe hatten. Eine Tatsache, die ihn fast schon glücklich stimmte, aber er konnte es nicht ändern. Braune Augen waren für ihn das, was für andere Kerle superenge Hosen waren: Super faszinierend und anziehend. Zudem bei seinem Gegenüber ja nicht nur die Augen Bonuspunkte erbrachten. Dieser Mann hatte eine tolle Ausstrahlung und Intelligenz. Wobei man gerade über letzteres unbedingt verfügen musste, um Nathan nicht innerhalb von 30 Minuten total zu langweilen. "Ich muss dich allerdings vor einem Tick von mir warnen", setzte er schließlich an, nachdem er den anderen eine Weile einfach nur angesehen hatte. "Es kann sein, dass meine Aufmerksamkeit hin und wieder abgelenkt wird. Das hat dann nichts damit zu tun, dass mich deine Gesellschaft langweilt, sondern dass ich nach dem Büro immer eine Weile brauche, um wieder umzuschalten. Ich bin Eventmanager und daher immer auf der Suche nach neuen Ideen und gerade hier in der Gegend spricht mich so manches an, das ich dann in ein wenig abgewandelter Form selbst anwende. Wobei man es den Kunden dann natürlich um Gottes Willen nicht sagen darf, aus welcher Szene die Ursprungsidee dafür stammte." Er grinste. "Nicht dass die Gäste dadurch noch ans andere Ufer wechseln." Ragnar Ragnar war zufrieden, dass Nathan nicht neugierig zu sein schien, in welchem Nachtclub er arbeitet oder überhaupt Genaueres darüber wissen wollte. Das sparte ihm Halbwahrheiten auszusprechen. Als der Kellner kam bestellte er sich das Couscous mit Huhn und trank weiter an seinem Tee. Er hatte sich im Schneidersitz hingesetzt und lehnte sich an die Wand, die mit einem Teppich verhangen war. Den Tee stellte er, das er noch recht warm war, auf seinem einen Knie ab und hielt das Glas nur am Rand oben, um sich nicht zu verbrennen. Als sein Gegenüber erzählte, dass er sich über die Ausstellung informiert hatte, blickte er ihn überrascht an. "Ich mag den Fotograf", erklärte er dazu. "Er versteht es fantastisch seine Modelle in eine interessante Konstellation zu ihrem Umfeld zu setzen. Dabei spielt er auf erstaunliche Art und Weise mit Licht und Schatten. Ich habe schon einige Ausstellungen von ihm gesehen. Zumal ich natürlich immer gerne nackte Männer ansehe." Er lächelte den anderen an. "Und die Modelle sind zwar selten wirkliche Schönheiten, haben aber meist eine unglaubliche eigene Ausstrahlung." Auch in Europa war er in den verschiedenen Städten immer auf der Suche nach guten Fotoausstellungen gewesen. Es faszinierte ihn, auch wenn er selbst viel zu wenig zum Photographieren kam. "Es würde mich also freuen, wenn wir gemeinsam hingehen." Langsam aber sicher kehrte Leben in ihn und seine Augen zurück. Die Aussicht, auf die Ausstellung zu gehen, munterte ihn sichtlich auf. "Ein Tick?", fragte er im ersten Moment und blickte Nathan aufmerksam an. Dann musste er lächeln. Nun, die Frage, was jener arbeitete, konnte er sich also sparen. Er bekam sie allein beantwortet. 'Eventmanager', nun das waren kreative Menschen, die immer im Stress waren. Dafür sah Nathan jedoch ziemlich entspannt aus, bewundernswert. "Das klingt so, als seist du Vollblut-Eventmanager", sagte Ragnar und musterte das schöne Gesicht des anderen interessiert. "Und dass man bei einem solchen Beruf seine Augen nach guten Ideen und interessanten Locations offen hält ist klar. Aber gut, dass du mich vorwarnst, nicht dass ich denke, dass du neben mir einschläfst, weil ich dich anöde, dabei bist du nur gerade in Gedanken bei einem möglichen Ort für eine Hochzeit, oder was auch immer du da planst." Er grinste leicht. "Schade nur, dass du deinen Kunden nicht sagen kannst, woher du die Ideen hast - und ich kann das verstehen, dass du das lieber nicht tust - aber manch ein Gast auf deinen Events wäre sicher begeistert, wenn er endlich seine wahre Natur entdecken könnte." Der Gedanke bereitete ihm sichtlich Freude. "Welche Events planst du alles? Oder sagen wir, welche planst du am liebsten?" Er stutzte. "Hm", überlegte er dann. "Wenn du nicht über deine Arbeit reden möchtest, dann lassen wir das Thema unter den Tisch fallen. Du sagtest ja, dass du nicht leicht abschalten kannst. Da sollten wir mit solchen Gesprächen dich lieber nicht davon abhalten, doch anzuschalten." Nathan Schmunzelnd lauschte er den Ausführungen und bemerkte erfreut das scheinbar begeisterte Auffunkeln der schönen Augen. Sah so aus als wäre es nicht die schlechteste Idee gewesen, die Ausstellung zu erwähnen. "Mir sagt der Fotograf gar nichts, aber ich hoffe du kannst mich dann auf besondere Lichtspiele aufmerksam machen und hast kein Problem, dort mit einem Laien hin zu gehen." Er rückte sich ein wenig auf dem Kissen zurecht. "Aber es ist definitiv ein Bonus, dass er seine Kunst mit, beziehungsweise über nackte Männern inszeniert, so etwas sieht man sich selbst doch gerne an. Da gebe ich dir uneingeschränkt recht." Er erwiderte das Lächeln des anderen. "Zudem Schönheit ja Ansichtssache ist und darauf ankommt, ob man sich rein auf die Äußerlichkeiten konzentriert oder eventuell auch auf das, was es darstellen oder vermitteln soll. Was man ja irgendwie auch von der Kunst weg und auf alles andere auch umwälzen kann. Sie liegt eben doch im Auge des Betrachters." Leider kam er selbst nur selten dazu, sich Ausstellungen anzusehen. Höchstens jene, bei denen sie mitgewirkt hatten, aber zu diesen Zeitpunkten hatte man seine Aufmerksamkeit meistens woanders und nicht auf der ausgestellten Kunst. Doch dann lachte er. "Keine Sorge, ich bin und werde weit davon entfernt sein einzuschlafen oder an irgendwelche Hochzeitsplanungen zu denken. Zudem dieses überromantische Zeug auch zumeist meine Partnerin übernimmt." Seine Augen leuchteten belustigt auf, doch sein Lachen war ein ehrliches gewesen, keines um Ragnar auszulachen. "Ich habe es in den Anfängen hin und wieder einmal zugegeben und dafür keine besonders tollen Resonanzen erhalten, weshalb ich es inzwischen einfach nicht erwähne, sondern nur sehr geheimnisvoll lächle, wenn ich danach gefragt werde. Sollen die Leute sich denken was sie wollen und von den meisten dort würde man sowieso nicht wollen, dass sie ihre wahre Natur entdecken." Diesmal war er es, der frech grinste. "Zumindest nicht die von irgendwelchen sehr konservativen und ebenso langweiligen politischen oder Herrenclub Veranstaltungen." Nathan unterbrach sich, als ihr Essen an den Tisch gebracht wurde und musterte sein Essen neugierig, bevor er einen guten Appetit wünschte und erst einmal probierte. Zufrieden nickend stellte er fest, dass man es durchaus essen konnte. "Es war eine gute Idee hierher zu kommen", beschied er Ragnar und trank dann von seinem endlich kühler gewordenem Tee. "Und von meiner Arbeit kann ich lange und vorallem viel erzählen, also solltest du laut Stopp schreien, wenn ich beginne dich zu langweilen." Er sah von seinem Teller auf und zwinkerte Ragnar inzwischen bestens gelaunt zu. "Wir planen im Grunde alles was die Kunden wollen. Von den von dir bereits erwähnen Hochzeiten, zu Rosenbällen, zu Wahlveranstaltungen, Wohltätigkeitsbälle, Sportevents, Kulturausstellungen und meinen persönlichen Favoriten: Festivals." Er nahm den nächsten Bissen und schloss die Augen kurz um den Geschmack besser wirken lassen zu können. Es ließ sich nicht ändern, bei solchen Dingen war er ein Genießer. Die einzigen Mahlzeiten, die er schneller in sich hineinschichtete, waren die kurzen Besuche bei Fastfoodketten. "Ich bin normalerweise für die Letztgenannten zuständig, während meine Partnerin eher erstere übernimmt. Es ist eine gute Arbeitsteilung und gibt uns die Möglichkeit, einen großflächigen Bereich auf dem Markt abzudecken. Zudem ich ja noch die Möglichkeit habe, viele meiner Ideen für Festivals im Savoy zu testen, bevor ich es wirklich an einen Kunden übergebe." Hier war es an ihm kurz zu stocken. Mist. Irgendwas hatte Ragnar an sich, das ihn fast zu entspannt werden ließ. Die 'Kleinigkeit' mit dem Savoy verschwieg er meistens, da er sich ganz seltsamerweise danach kaum noch vor den Anmachen der anderen Person schützen konnte. Aber das wäre hier schon nicht der Fall. Richtig? Hoffentlich. "Jetzt quatsche ich dich doch ziemlich zu, hm?", er lächelte über sich selbst und räusperte sich. "Ich gelobe Besserung." Ragnar Ragnar war erstaunt, wie Nathan von der Aktphotographie einen Bogen zu der Definition von 'Schönheit' schlug. "Natürlich habe ich kein Problem damit, mit einem 'Laien' hinzugehen. Und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass du ein wirklicher Laie bist. Denn du bist sicher ein kreativer Mensch, der auch für seine Events einen besonderen Blick haben muss. Daher glaube ich, dass du einiges sehen wirst, wenn du dir die Bilder ansiehst. Und wie du treffend sagst, liegt Schönheit immer im Auge des Betrachters. Und jedes Foto ist nicht ein Kunstwerk, mit dem der Künstler etwas darstellen möchte, sondern es ist eine Situation, wie sie der Betrachter sieht. Deswegen liebe ich die Photographie, denn sie hält Momente so fest, wie man sie selbst gesehen hat, ohne dass das bedeutet, dass alle anderen das gleiche sehen können. Es..." Er stockte und lächelte dann. "Es ist schwierig das zu umschreiben." Letztlich fotografierte er auch hin und wieder gerne bei Treffen von Photographen oder auch so, um Momente in seinem vergänglichen Leben aufzunehmen. Ragnar trank einen Schluck Tee und schenkte sich dann noch etwas nach. Hoffentlich würde gleich das Essen gebracht. Er hatte nicht nur Kopfschmerzen und Schwindelgefühle sondern auch immer ziemlichen Durst, seitdem er die HAARTs schluckte. Als das Essen endlich kam, wurde auch ein Krug Wasser und zwei Gläser dazu gestellt. Er trank gleich, versuchte sich ein wenig zu zügeln, auch wenn er das Glas am liebsten gleich ausgetrunken hätte. "Dann bin ich ja beruhigt", schmunzelte er. "Und die Männer aus irgendwelchen Herrenclubs würde ich wirklich sehr ungern in der Szene sehen, wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass sich hinter ihrer Verachtung für uns, immer ein gewisses Verlangen steht. Aber das ist ein anderes Thema..." Er lächelte den anderen an. "Freut mich, dass es dir hier gefällt. Ich gehe gerne hierher, es ist entspannend und entführt einen immer in gewisser Weise in eine andere Welt." Während Nathan ihm ein wenig von seiner Arbeit erzählte, begann Ragnar sein Couscous zu essen. Und er würde den anderen sicher nicht unterbrechen, wenn dieser mit diesem Strahlen in den Augen sprach. Nathan schien jemand zu sein, der seine Abreit liebte. Und das war generell keine schlechte Sache. Allerdings war das auch meist damit verbunden, dass er viel Zeit damit verbrachte, mehr als normal. Manche würde das stören, Ragnar aber nicht. Er arbeitete selbst gerne und viel, und könnte es nicht leiden, wenn man ihn deswegen kritisierte. Als er sah, wie Nathan auch das Essen genoss, war er wirklich zufrieden damit, ihn hierher genommen zu haben. Und vielleicht war es doch keine schlechte Idee gewesen, sich zu verabreden. Denn im Moment wirkte alles so unverbindlich und entspannt. Andererseits könnte das auch bedeuten, dass Nathan nur hier war, um sein Gewissen zu beruhigen. Auch das kam immer mal wieder vor. Sie kamen aus Mitleid, weil sie glaubten, er habe sonst niemanden, und wenn er begann sie ein wenig anzuflirten, zogen sie sich schneller zurück, als er schauen könnte. Ob das bei Nathan auch so war, würde sich sicher spätestens bei der Ausstellung herausstellen. Seine Augenbrauen zogen sich einen Moment irritiert zusammen, als der Mann mit den strahlenden Augen etwas erwähnte, das so klang, als habe dieser auch geschäftlich mit dem Savoy viel zu tun. "Festivals?", Ragnar dachte darüber nach. "Das ist sicher ziemlich stressig, aber das könnte ich mir auch sehr interessant vorstellen." Kurz zögerte, ob er dort noch einmal ansetzten sollte, aber warum auch nicht. "Und wenn du deine Ideen im Savoy testen kannst, ist das ja eine tolle Sache. Geht das denn so einfach? Wahrscheinlich arbeitest du generell mit dem Inhaber zusammen... oder so." Er blickte Nathan kurz fragend an. "Und du musst dich nicht 'bessern'", fügte er noch hinzu. "Du quatschst mich nicht zu. Ich finde deinen Beruf interessant und bewundernswert. Ich hätte sicher nicht die Stresstoleranz und die Zielstrebigkeit, die du zu besitzen scheinst." Nathan Er lauschte Ragnars Ausführungen zur Photographie aufmerksam und nickte hin und wieder, während er sich sein Lamm weiter schmecken ließ. "Es gibt einen himmelweiten Unterschied zwischen meinem Blick auf die Dinge und den von jemandem, der sich mehr damit befasst. Das ist aber auch nur meine Einstellung dazu, denn sonst würde dieses Hobby oder auch Beruf seinen Sinn verfehlen. Wobei ich froh bin, dass wir uns Photos ansehen werden, denn es gibt nur wenige Bilder, die die Welt verändern oder aufrütteln können, während das mit Photos deutlich häufiger gelingt. Sie tragen und vermitteln ganz andere Emotionen, da es doch Einblicke aus dem echten Leben sind. Nichts, das vom Künstler erdacht und umgesetzt wurde. Und ich werde deine Meinung bestimmt später bestimmt häufiger erfragen." Er lächelte. "Was allerdings auch daran liegen könnte, dass ich deinen Ausdruck mag, wenn du davon sprichst." Schließlich mit seinem Teller fertig, schob er diesen ein Stück von sich und griff nach dem Tee, um zu trinken. Nathan fühlte sich angenehm gesättigt, ohne dass es allzu schwer im Magen lag, doch es würde dann bestimmt nicht schaden, sich ein wenig zu bewegen. "Ein gewisses Verlangen?", hinterfragte er und hob eine Augenbraue. "Darauf sich doch einmal an Männern zu versuchen? Ich hielte das in diesem Fall vielmehr für ein Spiel um Dominanz. In diesen zigarrenverseuchten Hinterzimmern geht es doch nur darum, besser und stärker und reicher als der andere zu sein. Wie könnte man sich diesen Hengststatus noch besser beweisen, als einen anderen Mann zu toppen?" Damit würde Ragnar auf jene Seite von ihm stoßen, die seine Freunde inzwischen gerne ignorierten. Manche Dinge sah er einfach ziemlich zynisch und wenn sich die Gelegenheit bot, brachte er das auch an den entsprechenden Stellen an. Was ihm nicht nur Freunde oder gar mehr Aufträge verschaffte, aber eine gewisse Befriedigung mit sich brachte. Als er sah, dass Ragnar ebenfalls mit seinem Essen fertig war, ließ er sich die Rechnung bringen und zahlte für beide, wo er auch nichts anderes gelten ließe, schließlich hatte er um das Treffen gebeten. Wieder auf der Straße brauchten sie nicht lange, um am Oscar Wilde Bookshop anzukommen. Doch diese Zeit nutzte Nathan für sich, um ihr Gespräch fortzuführen. "Stressig sind solche Events immer, besonders wenn verschiedene Künstler oder Bands auftreten sollen und jeder andere Extrawünsche hat. Entweder man ist irgendwann dagegen resistent und hat die benötigte Courage, um irgendwann einmal einen Riegel vorzuschieben oder man geht sowieso mit den ganzen kleinen Agenturen in der Menge unter." Er zuckte mit den Schultern. "Mir wurde das sozusagen in die Wiege gelegt. Das ist nichts was ich mir erarbeitet habe oder mühsam lernen musste." Bei der Frage nach dem Savoy zögerte er inzwischen schon gar nicht mehr, sondern beantwortete sie einfach während sie auf einen der Ausstellungsräume zuhielten. "Ja, man könnte sagen, dass ich mit dem Inhaber zusammenarbeite", bestätigte er und hielt auf die erste Photographie zu, bevor er stoppte und sich Ragnar zuwandte. "Der Club gehört mir, weshalb ich dir den Zeitansager das letzte Mal auch ganz wunderbar spielen konnte. Wenn du also Verbesserungsvorschläge hast, bist du bei mir an der richtigen Adresse." Er lächelte, beobachtete Ragnar jedoch genau. Oder vielmehr dessen Reaktion. Inzwischen war er sich sicher, dass es durchaus nicht nur Zufall war, sich hier zu befinden. Sein erster Eindruck von dem anderen hatte ihn nicht betrogen und möglicherweise würde er das auch auf andere Ebenen verlegen wollen, weswegen er sich ja überhaupt erst über dessen Krankheit informiert hatte. Aber wenn etwas noch abschreckender als das für ihn war, dann wären das Goldgräber. Und ja, die gab es durchaus in jeder Szene und in jedem Erdteil dieser Welt. Sollte der gute also jetzt den sehr guten Eindruck den Nathan von ihm hatte revidieren, wäre es das gewesen. Selbst für den Sex. Da kannte er keine Gnade. Ragnar "Ja, wobei die Fotos, die wir ansehen Kunstphotographien sind, keine journalistischen Bilder. Aber du hast recht. Wie wirken dennoch ganz anders auf den Betrachter, als Gemälde, weil es reale Orte, reale Menschen, reale Gegenstände sind, die darauf zu sehen sind. Und ich unterbreite dir gerne meine Meinung", lächelte er schließlich. "Und dann musst du aufpassen, dass ich dich nicht zulaber, ok?" War das eine kleine Anmache gewesen? Wenn, dann hatte sie ihre Wirkung jedenfalls nicht verfehlt. Denn es freute ihn zu hören, wenn jemandem seine Augen, sein Ausdruck gefiel. Wer würde sich da nicht freuen? Und dass er Nathan auffiel, war ein gutes Zeichen. "Hm", überlegte er und schob seinen Teller auch zur Seite. "Das ist ein interessanter Aspekt. Und ich gebe dir da vollkommen recht. Aber manchmal scheinen diese Menschen auch genau das Gegenteil zu suchen. Und sie lassen sich in Lack und Leder anketten und auspeitschen..." Er grinste leicht. "Ich habe da einige interessante Dinge von einem Freund erfahren. Da tun sich wirklich Abgründe auf." Der Zynismus, mit dem Nathan über diese Menschen sprach gefiel Ragnar. Er selbst wurde gerne zum Zyniker. Besonders wenn es um die Verlogenheit der Menschen ging, egal in welchem Bereich. Ragnar trank noch sein Glas leer, und bevor er etwas sagen konnte, hatte Nathan sein Geldbeutel gezückt und gezahlt. Ragnar wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, sagte aber nichts, musterte Nathan nur kritisch. Wenn sich Nathan dazu verpflichtet sah, für ihn zu zahlen, sollte er es tun. Aber es machte ihn ein wenig misstrauisch. Nun, es würde sich sicher die Gelegenheit ergeben, dass er auch einmal zahlte. "Haben diene Eltern auch schon in dieser Branche gearbeitet?", fragte Ragnar nach, als jener davon sprach, dass er es in die Wiege gelegt bekommen hatte. Gemeinsam betraten sie den Buchladen und Ragnar blickte sich kurz um, bevor er Nathan zum ersten Bild folgte. Er betrachtete das Photo noch nicht. Er redete ungern über etwas anderes, wenn er ein Bild betrachtete. Als Nathan ihm offenbarte, dass er der Inhaber des Savoy war, wanderten seine Augenbrauen nach oben. "Das überrascht mich jetzt", gab er ehrlich zu. "Aber wenn du mir die Möglichkeit gibst, was die Verbesserung des Clubs betrifft, mache ich doch gerne davon Gebrauch." Er grinste den anderen an. "Ich wäre begeistert, wenn ihr den Kondomautomat auf der Toilette eher in Richtung Darkroom installieren könntet, denn auch wenn groß überall Schilder hängen, dass man nicht auf den Toiletten ficken soll, macht es jeder, weil es der kürzere Weg ist, wenn man vorher am Automaten vorbei musste." Er lächelte den anderen an. Jener schien älter zu sein, als er aussah, oder? Schließlich besaß man nicht mit Anfang 20 einen solchen Laden. Aber ihm konnte das egal sein. "Ansonsten kann ich dir nur ein Lob aussprechen. Ich gehe gerne ins Savoy. Du scheinst also was von deinem Job zu verstehen, - woran ich aber auch nie gezweifelt habe." Ragnar zwinkerte dem anderen zu. "Aber jetzt lass uns die Fotos ansehen...", murmelte er dann und drehte sich zu den gerahmten Bildern, vor dem sie standen. Die Fotographien gefielen ihm. Ragnar betrachtete sie in Ruhe, schweigend, legte hin und wieder den Kopf schief. Und auch wenn sie nicht sprachen, so war ihm die Anwesenheit des anderen Mannes nicht unangenehm. Besonders zwei Bilder gefielen ihm mehr als gut. Sicher würde er heute wieder den neuen Photoband des Künstlers mitnehmen. Nathan Er hatte herzlich gelacht bei der Vorstellung von den teilweise doch sehr alten Herren, wie sie da in Lack und Leder am Kreuz hängen würden, oder dem Peitschenschwinger die Stiefel leckten. Dieses Bild würde er sich im Gedächtnis behalten und wieder aufrufen, wenn er eines dieser tödlich langweiligen Events zu planen hätte. Damit hatte sich der Ausflug doch schon mehr als gelohnt. Doch auf die Frage nach seinen Eltern reagierte er ausweichend. "Jein, das haben sie nicht. Aber trotzdem habe ich es von meinen Eltern schon von klein auf gesehen was es heißt zu planen." Nathan war ebenfalls mehr als zufrieden mit Ragnars Reaktion, auch wenn er zuerst ein paar Mal blinzeln und dann leise lachen musste. "Es gab einen im Darkroom, doch der überlebte nicht lange bevor er heruntergerissen und ausgeräumt wurde", erzählte er. "Aber das ist auch schon wieder zwei oder drei Jahre her, vielleicht wäre es Zeit für einen neuen Versuch. Auch wenn ich es ganz ehrlich bezweifle, dass sich etwas an der Toilettensituation ändern würde. Man kann die Jungs gar nicht so schnell da rauszerren wie sie wieder reinspringen." Seine Stimme schwankte zwischen Bedauern und Amüsement. "Aber Dankeschön für das Lob, ich werde es gerne an das Team weitergeben, die ja doch den Löwenanteil stemmen." Nathan nickte auf den Wunsch hin, sich die Fotos anzusehen und blieb dann vor einem länger stehen, um es zu betrachten. Er mochte die Wasserreflektion auf dem Rücken des Mannes, auch wenn ihm dessen Proportionen ein wenig seltsam vorkamen. Und im Grunde war ihm der Hintergrund auch zu langweilig, aber trotzdem hielt ihn irgendwas hier und ließ ihn das Foto anstarren. Doch schließlich schüttelte er den Kopf über sich selbst, sah sich nach Ragnar um und trat dann ein wenig schräg versetzt hinter diesen und betrachtete das Bild, das sich der andere gerade ansah. Doch der nackte Oberkörper konnte seine Aufmerksamkeit nicht lange auf sich ziehen, da er Ragnars schönen Nacken gerade interessanter fand. Nackte Männer auf Fotos waren nicht falsch, aber anziehende Männer in Ton und Farbe zog es zu jeder Zeit vor. Trotzdem streckte er die Hand nach dem anderen aus als dieser sich wohl gerade zum nächsten Foto aufmachen wollte und legte seine Hand auf dessen Arm um ihn aufzuhalten. "Warte. Erklär mir bitte was genau dich an diesem Foto fasziniert. Du hast hier länger als an den beiden Vorgängern gestanden und ich würde gerne wissen warum." Er hätte nichts dagegen, den anderen näher zu sich zu ziehen, aber er löste die Berührung. Zum einen weil er wusste wie Ragnar das letzte Mal reagiert hatte und es deshalb überhaupt sehen wollte, ob das wieder so wäre, und zum anderen um Ragnar nicht zu sehr von den Bildern abzulenken. War es diesem doch deutlich anzusehen, wieviel Spaß er daran hatte. Und das gab ihm wiederum die Chance, diesen Mann in aller Ruhe zu betrachten als ob jener einer der ausgestellten Kunstwerke war. Er nickte zu dem Foto. "Für mich ist das zwar ein durchweg schöner Oberkörper, vor einem rauen, schönen Hintergrund aber das einzige, das meine Aufmerksamkeit hier länger auf sich gezogen hat, ist der Ring den er am Daumen trägt. Zudem es mich irgendwie stört, dass man sein Gesicht nicht sieht. Darum ziehe ich den Joker und befrage den Experten." Er lächelte und blickte den anderen Mann ein wenig fragend, aber auch ein wenig neckend an. Ragnar Ragnar versank vor den Bildern in seine eigene Gedankenwelt. Und so merkte er gar nicht, dass er vor diesem Bild so lange stehen geblieben war. Er wurde erst wieder ins hier und jetzt zurückgezogen, als er Schritte hinter sich hörte. Er dachte nicht darüber nach, ob das nun Nathans waren, oder jemand anderes kam, aber langsam sollte er wohl zum nächsten Bild gehen, wenn er noch etwas mehr sehen wollte, bevor es Nathan vielleicht langweilig werden würde. Und so zuckte er leicht zusammen, aus seinen Gedanken aufschreckend, als er die Hand an seinem Arm spürte, und drehte sich abrupt um, um zu sehen, wer ihn festhielt. Zu seiner Erleichterung blickte er in die hellen blauen Augen seines Begleiters, der zum Glück seinen Arm auch gleich wieder losließ. Er lächelte kurz, dann lauschte er den Worten und warf dem Bild erneut einen Blick zu. "Es ist schwierig, das zu beschreiben", begann er ausweichend. "Bilder erzählen mir immer Geschichten. Und dieses Bild hat mir die Geschichte seines Mannes erzählt, der für die Polizei arbeitet." Unsicher blickte er Nathan an. "Das klingt jetzt vielleicht albern für dich, aber ich lausche diesen Geschichten, die natürlich nur ein Hirngespinst von mir sind, aber so sehe ich diese Bilder jedenfalls." Suchend, ob er Belustigung in den Augen des anderen sah, blickte er diesen an und drehte er sich schließlich wieder dem Bild zu. "Jedenfalls ist es wichtig, dass er kein Gesicht hat, denn er arbeitet im Untergrund. Niemand darf wissen, wer er ist. Er braucht viel Kraft, denn sein Job ist verdammt hart und gefährlich. Deswegen trägt er auch stets eine Waffe bei sich. Wenn du dir den Schatten genau ansiehst könnte man meinen, dass dieser Schatten hier - Ragnar deutete auf die Brustmukulatur - ein wenig die Form eines Pistolenhalfters hat. Und der Ring, ja der Ring ist ein Erinnerungsstück an seine Familie, von der er niemals lässt, auch wenn er sonst komplett entblößt ist." Ragnar betrachtete noch einen Moment das Bild. "Ich glaube du hältst mich jetzt für verrückt", stellte er dann nüchtern fest. Dann lächelte er Nathan an. "Aber das würde ich wohl auch von mir denken, wenn ich mich so reden hören würde…" Er fuhr sich verlegen durch die Haare. Er war gerne ehrlich, auch wenn Nathan sicher nicht verstehen würde, was sich hinter diesen Gedanken zu dem Bild verbarg. "Ich bin nicht wirklich ein Experte. Ich bin nur interessiert. Und ich habe eben meine ganz eigene Art, Bilder zu betrachten, wobei mir bei weitem nicht jedes Bild etwas sagt. Das dort drüben zum Beispiel, das spricht mich nicht an, das erzählt mir nichts. Es ist mir zu... Ich weiß nicht. Der Körper ist mir zu sehr mit Anabolika vollgepumpt." Kurz schüttelte er den Kopf, das Bild musternd. Dieses Bild war nicht für ihn. "Und auch der Gesichtsausdruck ist langweilig. Dieser Kerl würde mich komplett anöden, wenn ich ihm begegnen würde. Ich wette er denkt gerade darüber nach, ob er lieber fernsehen, oder DVD anschauen sollte an diesem Abend. Seine Augen sind tot." Er blickte Nathan an. "Du hast zum Beispiel Augen, die vor Leben nur so sprühen. Ich wette es wäre verdammt schwierig, dich zu photographieren und genau das einzufangen, diese Vielschichtigkeit." Ragnar stutzte. "Ich glaube ich rede zu viel." Er lächelte entschuldigend. "Ich sagte dir ja, dass ich bei Photos dazu neige, dich zuzutexten." Er blickte sich im Raum um. Er hatte die Bilder alle gesehen. "Wenn du möchtest können wir gehen. Ich werde mir nur noch kurz den Photoband kaufen." Nathan Hm, die Reaktion war nicht ganz so heftig wie im Savoy aber sie war erkennbar. Damit wäre das dann wohl auch getestet, richtig? Nur ob er darüber jetzt erleichtert oder vielmehr frustriert sein sollte, das ließ sich noch nicht ganz bestimmen. Ragnar war definitiv eine Klasse für sich und das ganz offensichtlich in jeder Hinsicht. Sich ein paar Haare aus der Stirn streichend wandte er seinen Blick wieder auf das Bild und versuchte die kleine Geschichte damit überein zu bekommen und als er merkte das Ragnar am Ende des Satzes ein wenig unsicherer wurde warf er ihm einen beruhigenden Blick zu. In Nathans Augen gab es keinen Grund für Unsicherheit, denn gerade solche Geschichten machten ein Foto spannend. Das Problem war nur, dass ihm selbst dazu keine einfallen wollten. Langsam schüttelte er den Kopf. "Nein, ich halte die nicht für verrückt. Vielmehr für einen Menschen mit gesunder Fantasie." Damit widersprach er Ragnar und lächelte dann. "Es würde auch erklären, warum er sich an einen solch unwirklichen Ort für sein Sonnenbad zurückzieht. Vielleicht braucht er die raue, unmodelierte Natur um sich herum, damit er von dem ganzen Stress einmal abschalten kann. Und deine Erklärung mit dem Ring finde ich plausibel. Vielleicht hilft er ihm auch, nicht den Überblick zu verlieren. Nicht zu vergessen wer er eigentlich ist und was er darstellt." Er nickte und lächelte Ragnar dann an. "Wenn du dich selbst für verrückt hältst, dann musst du mich jetzt auch für verrückt halten und das gleicht sich dann wieder aus." Er merkte kaum wie er die Hand hob, bis er sie in sein Sichtfeld bekam. Stirnrunzelnd ließ er sie wieder sinken. Was war das? Wollte er gerade über die Wange des anderen streichen, weil ihn dessen Lächeln anzog wie Honig die Fliegen? Der Zug war weder ein noch wieder abgefahren. Dieser Zug schien überhaupt nicht auf den Gleisen gewesen zu sein und er sollte diese Wünsche respektieren. Das war ja sonst auch immer sein Motto. Oder war Ragnar vorher nur erschrocken? Diese Krankheit ließ Nathan sich stellenweise wieder wie 17 fühlen. Die übliche Normalität war nicht gegeben, in der man notfalls eben eine deutliche Abfuhr einfuhr. Aber hier konnte er nicht ganz hinter sich selbst stehen. War es das? Weil er sich von dieser Krankheit verunsichern ließ, obwohl ihm doch inzwischen mehr als deutlich klar geworden war, dass ihn Ragnar nicht nur ansprach sondern stellenweise auch anmachte? Es war zum aus der Haut fahren! Wie sollte er vorgehen? Und viel Zeit blieb ihm eventuell nicht mehr, um das mit sich selbst auszumachen. Zwar lauschte er den Ausführungen Ragnars zu dem anderen Bild und nickte an den richtigen Stellen, doch in Wahrheit haderte er zum ersten Mal seit sehr langer Zeit mit sich selbst. Doch dann merkte er auf und warf Ragnar einen prüfenden Blick zu. "Es ist schwer, lebende Personen mit für die Ewigkeit abgelichteten Menschen zu vergleichen. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass ich den Großteil meiner Aufmerksamkeit nicht auf den Bildern hatte. Und ich habe mich durchaus gefragt, ob ich dich auch so gern betrachten würde, wenn du hier abgelichtet gezeigt werden würdest. Aber ich befürchte die Antwort darauf ist Nein…" Kurz wurden seine Augen nachdenklich bevor er abwinkte. "Du hast mich nicht zugetextet. Schließlich habe ich gefragt, oder etwa nicht?" Dann nickte er. "Ist in Ordnung, ich geh schon mal raus. Hier sollte man wohl besser nicht rauchen." Kaum draußen angekommen, zog er sich das silberne Etui aus der Gesäßtasche, öffnete es und zog sich eine der wenigen Zigaretten heraus. Nathan rauchte nicht häufig, aber jetzt könnte ein wenig Nikotin nicht schaden. Er fragte einen der vorbeilaufenden Männer nach einem Feuer, bedankte sich, als er es bekommen hatte, und wandte sich schon ab, als jener ihm anbot etwas trinken zu gehen. Nathan schüttelte den Kopf. "Sorry, kein Interesse", murmelte er und zog dann erstmal genüsslich an der Kippe, den Rauch tief inhalierend bevor er ihn langsam wieder ausstieß. Zeit für ein paar Fakten. Er fand Ragnar auch im Tageslicht gut und hatte bisher auch Spaß gehabt. Nein, das war falsch. Eigentlich hatte er immer noch Spaß, das Problem war nur, dass er fest davon ausging, dass Ragnar sich jetzt verabschieden würde. Denn das war ebenfalls ein Fakt: Fehlende Zeichen whatsoever. Der nächste Fakt war der, der den vorherigen so bedeutsam machte, nämlich AIDS. Solche Personen 'überfiel' man nicht einfach so und das aus vielerlei Hinsicht, denn auch wenn er, jedesmal wenn er in diese Augen sah, diesen Fakt als kaum hinderlich abstempeln konnte, so ließ es ihn unterschwellig zögerlich agieren. Und verdammt, er war kein Typ für zögerlich! Wenn Ragnar rauskäme müssten sie das klären, vorrausgesetzt die ersten Worte, die er zu hören bekäme, waren nicht so etwas wie: 'Jo, war ganz nett, ich geh dann jetzt mal.' Ragnar Ragnar atmete tief durch, als er bei den Photobänden stand. Hatte er sich diese Hand nur eingebildet, oder hatte der andere ihm tatsächlich ins Gesicht langen, vermutlich über die Wange streicheln wollen? Und warum hatte er es nicht getan? Hatte Nathan so viel Respekt vor der Krankheit, vor dieser tödliche, gottverfluchten Krankheit? Wieso verdammte Scheiße hatte er sich dann mit ihm getroffen? Um es zu testen? Um seine Courage zu testen? War er also doch auch nur einer von denen, die Mitleid hatten? Die ihn trafen, um ihm zu zeigen, dass er ja noch nicht tot war, aber wehe er kam ihnen nahe? Dann stand diese verfickte Krankheit zwischen allem. Ragnar war es verflucht leid, Zeit zu investieren, Gedanken zu investieren, das Flirten zu investieren und unter dem Strich mit nichts heraus zu kommen. Und daher investierte er nicht mehr viel. Ein Glück, dass Nathan wenigstens das Essen bezahlt hatte. Denn, wenn jener sich gleich dort draußen verabschieden würde, dann hätte er wenigstens bei diesem Date nichts bezahlen müssen. Außer dem Buch natürlich, das er sich wahrscheinlich früher oder später ohnehin gekauft hätte, und für das er jetzt gleich 80$ ausgeben würde. Doch erst musste er sich wieder sammeln. Es war doch immer und immer wieder das gleiche. Die Menschen hatten Angst, und das zu Recht. Aber konnten sie nicht vorher sich ihrer Angst bewusst werden, bevor er sie ein wenig kennenlernen durfte, bevor er das Gefühl hatte, dass die Augen schön waren, dass der andere mehr als ansprechend war. Und vor allem, bevor er erkannt hatte, dass Nathan auch sehr intelligent war, dass man sich gut mit ihm unterhalten konnte, ohne immer nur auf Oberflächlichkeiten herumreiten zu müssen. Seine Betrachtung von dem Bild war sehr interessant gewesen, hatte Ragnar eine andere Perspektive noch aufgezeigt. Und dann? Dann machte er ihm ein indirektes Kompliment, dass er eben jene wunderschöne Augen hatte, und was geschah? Nathan schien es bewusst zu ignorieren und klatschte ihm lieber vor den Latz, dass er ihn sich nicht gerne ansehen würde, wenn er hier auch fotografiert worden wäre. Oder hatte er da etwas falsch verstanden? Wo hatte jener seine Aufmerksamkeit gehabt, wenn nicht auf den Bildern? Auf ihm? War das tatsächlich so gewesen und er hatte es nur nicht bemerkt? Und was hieße das dann jetzt, dass er ihn lieber lebend betrachtete? Aber wieso hatte er ihn dann nicht berührt? Weil er erschrocken war vorher? Weil er damals im Savoy überreagiert hatte? Hätte er mehr flirten sollen? Hätte Ragnar ihm mehr zeigen sollen, dass er kein Problem damit hätte? Er seufzte tief und blickte raus. Ob er überhaupt noch da war, oder nur einen Vorwand gesucht hatte, zu verschwinden? Weg von diesem kranken, todbringenden Menschen? Doch durch das Spiegelbild in der Eingangstür sah er ihn, wie er ein paar Worte mit einem anderen wechselte, der dann weiter lief. Nathan sah verdammt gut aus. Wieso sollte sich so ein Mann, der erfolgreich war, sicher nicht ganz arm war, der gut aussah und voll Leben strotze, sich mit etwas wie ihm einlassen? Es gab keinen Grund. Ragnar bezahlte das Buch und erhielt eine Tüte, damit er es tragen könnte. Wenn er jetzt da raus gehen würde, musste er eine Entscheidung getroffen haben. Entweder er folgte der Idee, jener habe ihm andeuten wollen, dass er ihn beobachtet hatte, und würde das als Zeichen sehen, dass Nathan vielleicht doch an mehr interessiert war, oder er würde sich nun verabschieden. Er wusste nicht, was er tun sollte. Und so trat er raus zog dabei selbst die Zigarettenschachtel aus seiner Hosentasche und stellte sich zu Nathan. Er nahm die Zigarette in den Mund und blickte den anderen an. Kurzentschlossen hob er die Hand, legte sie Nathan auf die Wange, dessen Kin mit seinem Daumen fixierend, und führte nun seine Zigarette an dessen Glut, um seine zu entzünden. Einen Moment blickte er den anderen in die Augen. Doch er konnte sie zu wenig lesen, kannte ihn zu wenig. Was ging wohl in ihm vor? Schließlich löste er sich wieder von dem anderen. "Ich wollte noch ins 'chateau disc', um nach ein paar neuen CDs zu suchen", sagt er und sah Nathan fragend an. Nun würde es sich entscheiden, ob jener wirklich Interesse hatte, oder sich verabschieden würde. Nathan Er warf Ragnar einen Blick zu als jener sich zu ihm gesellte und hielt mehr vor Überraschung als vor Gefälligkeit still als dieser ihm die Hand an die Wange legte, ihn damit ruhig hielt und sich seine Zigarette anzündete. Und mit dieser Geste, vorallem aber mit diesem weiteren Blick in die schönen Augen wurde seine eben gefällte Entscheidung noch einmal gefestigt. Und mit der Wärme, die Ragnars Hand auf seiner Haut hinterlassen hatte. Sie würden das klären. Jetzt. Er schüttelte den Kopf auf die wohl versteckte Frage. "Noch nicht, denn wir zwei Hübschen werden jetzt etwas ein und für allemal klären", fing er an und angelte dann nach Ragnars Hand, um diesen mit sich zu ziehen. Nicht sehr weit, in die nächste, ruhigere Seitengasse. Wo er den anderen auch wieder losließ und ruhig musterte. Jetzt, wo er sich einmal entschieden hatte war es wieder da, jenes Selbstbewusstsein, das ihm durch sein tägliches Leben begleitete. Wäre ja auch noch schöner, wenn es ihn gerade in dieser Situation im Stich lassen würde. "Im Savoy mag ich etwas voreilig gewesen sein, auf ein weiteres Treffen bestanden zu haben", fing er an, sprach dann jedoch schnell weiter als er die Veränderung in Ragnars Blick bemerkte, "aber ich hatte Zeit zum Nachdenken und mich zu informieren. Und Ragnar, das habe ich getan. Sehr gründlich sogar. Und ich bin nicht hierhergekommen, um mich auch mal 'offiziell' mit jemanden zu treffen der AIDS hat." Hier sprach er etwas leiser, auch wenn sie momentan alleine waren, so wollte er nicht so wirken, als würde er damit auf der Straße hausieren gehen. "Ich bin hierhergekommen, um mich davon zu überzeugen, dass ich mich im Savoy nicht getäuscht habe. Ob du mich tatsächlich weiterhin interessieren könntest und ob du dich im Tageslicht nicht doch in etwas Langweiliges verwandelst. Aber das hast du nicht." Hier lächelte er kurz. "Du hast dich in meinen Augen bei deinem Geständnis nicht verwandelt und du hast dich in auch in den letzten Stunden nicht verwandelt. Tatsächlich hält sich mein Interesse nicht nur, es steigert sich. Das Problem daran ist nur, das mich diese Krankheit tatsächlich ein wenig unsicher agieren lässt. Aber nicht aus Angst davor, mich anzustecken, wenn ich dich berühre, sondern vielmehr weil ich jetzt bereits zweimal Reaktionen von dir erhalten habe, die mich eher zurücktreten lassen. Und da ist dieser Gedanke im Hinterkopf, der mich darauf Rücksicht nehmen lässt. Vielleicht zu viel Rücksicht. Und darum werde ich das jetzt ausloten, genau wie du das für dich tun solltest, denn so leid es mir tut und so ungewohnt das für mich ist, aber ich fühle mich nicht in der Lage deine Zeichen zu deuten." Hier schnipste Nathan seine achtlos heruntergebrannte Zigarette weg, trat einen Schritt näher auf Ragnar zu, den Blick des anderen suchend, bevor er seine Hand - ganz ähnlich wie vorher im Buchladen - hob und diesmal tatsächlich an die Wange des anderen legte. "Es tut mir leid wenn ich jetzt eine Grenze überschreite, aber ich werde noch wahnsinnig, wenn ich das jetzt nicht tue", murmelte Nathan leise und überwand dann den letzten Abstand, um Ragnar zu küssen. Ein sanfter, vorsichtiger Kuss, bei dem er momentan noch mehr auf die Reaktion des anderen wartete, der sich erst zu versteifen schien. Nathan schon erwartete von ihm gestoßen zu werden, doch vielleicht war heute der Tag der Wunder, denn anstatt ihn von sich zu stoßen begann Ragnar den Kuss zu erwidern. Was Nathan dazu brachte, gegen die Lippen des anderen zu lächeln und seine freie Hand um die Hüfte des anderen zu legen und ihn näher zu sich zu ziehen. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann tat er gerade das, was er schon ab dem Moment hatte tun wollen, als er Ragnar das erste Mal gesehen hatte. Was es nicht weniger reizvoll oder gut machte, denn sein Herz schlug automatisch ein bisschen schneller und das warme Gefühl, das seine Unsicherheit und wohl auch Aufregung ablöste, war absolut nicht unwillkommen. Und obwohl das alles durchaus nach mehr schrie - gerade weil Ragnar auch ausgesprochen gut roch und schmeckte - löste er den Kuss schließlich und suchte den Blick des anderen. "Damit hätten wir das Kapitel mit der Unsicherheit auch hinter uns." Das Lächeln schlich sich ganz unbemerkt aber nicht unwillkommen auf seine Lippen. "CDs waren als nächstes auf der Tagesordnung, wenn ich mich nicht täusche?", so wirklich hatte er Ragnar nicht zugehört, als dieser gemeint hatte noch woanders hin zu wollen. Ragnar Einen Moment sträubte sich in Ragnar etwas, sich einfach so mitziehen zu lassen. Was wollte Nathan mit ihm klären? Weshalb er ihn jetzt stehen lassen würde? Dass er zu viel Angst hatte vor dem Virus? Nun, er würde es gleich sehen. Das war ja mal etwas Neues, dass er für eine Abfuhr in eine Seitengasse gezogen wurde. In ihm machte sich bereits der Igel breit, der er pflegte zu werden, um nicht wieder innerlich getroffen zu werden. Es war sehr hilfreich gewesen, umschalten zu können, damit diese ganzen beschissenen Erfahrungen einfach an ihm abprallten und ihn nicht wieder in jene Depressionen stürzten, die er hoffte, hinter sich zu haben. Und deswegen wurden seine Augen nur kalt, als er hörte, dass Nathan wohl voreilig gewesen war. Nun, da haben sie es ja schon. Was gab es also noch zu klären? Kurz war er versucht, dem anderen ins Wort zu fallen, aber jener sprach plötzlich anders weiter als das übliche: ‚Es tut mir furchtbar leid, du bist ja so ein netter Kerl. Du siehst so gut aus, schade eigentlich, dass du bald stirbst.‘ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, kritisch musterte er Nathan, als er davon sprach, dass er sich informiert hatte, dass er sich mit der Krankheit auseinandergesetzt hatte. Er war also nur danach getestet worden, ob er langweilig war, ob er sich doch in ein graues Mäuschen verwandeln würde, im normalen Alltag? Ragnar wusste noch nicht so recht, was er davon halten sollte. Wahrscheinlich, weil der Igel in ihm zu präsent war. Doch langsam sickerte durch, dass Nathan ihm gerade mitteilte, dass ihm die Krankheit scheißegal war, dass es ihm nur wichtig war, nicht jemanden zu treffen, den er nach einer halben Stunde wieder vergessen haben würde. Und er erklärte ihm, dass er unsicher war. Nun wer war das bei dieser Krankheit nicht? Aber die Ursache dafür war bei Nathan offensichtlich eine andere. Er war unsicher, weil er, Ragnar, keine eindeutigen Zeichen aussandte? Er war müde, was das betraf. Und er war schon zu oft enttäuscht, tief verletzt worden. Sein eher kühler Blick wurde ruhiger, ein wenig wärmer. Ja, er hatte keine eindeutigen Zeichen geschickt, nur kleine Komplimente, die aber wahrscheinlich so alltäglich waren, dass sie nicht erkannt werden konnten. Während dieses Gedankens spürte er plötzlich eine Hand an seinem Gesicht. Ragnar blickte auf, sah in diese unglaublichen Augen, hörte diese leise, leicht raue Stimme, die ihn erschauern ließ. Und noch bevor Ragnar etwas tun konnte, spürte er die Lippen des anderen auf den seinen. Kurz verspannte er sich. Kurz meldete sich noch einmal diese Stimme, die ihn warnen wollte, doch dann entspannte er sich. Dieser Kuss war so vorsichtig, so zärtlich, dass er gar nicht anders konnte, als ihn zu erwidern. Und daher schloss er die Augen, und schmeckte in den Kuss hinein, der ein wenig nach Zigarette und nach Unsicherheit schmeckte. Und kaum erwiderte er den Kuss, spürte er die Erleichterung des anderen. Eine ehrliche Erleichterung, die Ragnar wissen ließ, dass jener die Wahrheit gesprochen hatte. Und so wurde er zu jenem gezogen, in dieses Lächeln hineingezogen. Gerne, dachte sich Ragnar, mehr. Es war so verdammt lange her, dass er einen ehrlichen Kuss bekommen hatte. Als Nathan den Kuss sanft löste öffnete er seine Augen wieder und blickte Nathan an. „Das freut mich“, murmelte er hinsichtlich dessen, dass Nathan nun hoffte, seine Unsicherheit überwunden zu haben. Und er erwiderte das Lächeln des anderen, nicht zurückweichend. „Ja, CDs sind der nächste Einkaufsposten…“, antwortete er auf die Frage des anderen, doch seine Gedanken waren gerade woanders. Seine Augen hingen an den Lippen des anderen. Und kurz darauf zog er Nathan noch einmal zu sich, um ihn noch einmal zu küssen. Nur kurz, dafür intensiver. „Entschuldige, aber ich wollte nur noch einmal testen, ob ich mir das jetzt nicht eingebildet habe, und ob das kein böses Erwachen gibt“, schmunzelte Ragnar nun und sah Nathan an. „Aber der Märchenprinz scheint sich auch nach dem zweiten Kuss nicht mehr in einen Hasen zu verwandeln, wie all die anderen Frösche, die mir über den Weg gelaufen sind.“ Kurz zögerte er. „Entschuldige, wenn ich dir keine klaren Zeichen geben kann, aber ich habe schon zu viel Scheiße erlebt.“ Das sollte reichen, erst mal. Nathan würde irgendwann einmal nachfragen, vielleicht. Aber im Moment sollte das als Erklärung reichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)