Blood Deal von -Amber- (Even if saving you sends me to heaven) ================================================================================ Kapitel 61: Der Tritt in den Hintern ------------------------------------ Ragnar Er wollte gerade ansetzen, einen Schluck seines Whiskeys zu trinken, als er erstaunt das Glas sinken ließ. Ragnar hob die Augenbrauen und sah Tayra überrascht an. Dann musste er leise lachen. „Nein“, erklärte er und beugte sich zu ihr herüber, „ich bin genauso anders…“ Er lächelte vielsagend, als er zurückwich und sie ansah. Doch bevor er auf Tayras erste Frage etwas antworten konnte, musste er erst einmal nachdenken, schaute ihr zu, wie sie ihren Wodka trank, lächelte zu ihren Erklärungen. Wie sollte er ihr erklären, was Cole wohl tun wird? Zumindest vermutete er das. Innerlich seufzend trank er seinen Whiskey und blickte erst wieder zu ihr, als sie ihre Idee mit den Hämmern vorbrachte. Er nickte zustimmend. „So könnte es gewesen sein“, murmelte er, noch immer in Gedanken. „Das könnte gut möglich sein.“ Schließlich trank er den Whiskey leer und blickte sie an. „Und was Cole betrifft.“ Er suchte noch einmal kurz nach Worten, bevor er mit gedämpfter, ruhiger Stimme sprach, so dass nur Tayra es würde hören können. „Ich kann dir in der Kürze nicht alles erzählen, was sein Leben geprägt hat. Fakt ist jedoch, dass ich Angst habe, dass er Antonin nicht mehr so nahe an sich heranlässt, wie es einmal war. Er... Scheiße, wie soll ich das erklären… er hat, was Gefühle betrifft, erstens keine Ahnung was Liebe bedeutet – und ich bin mir ziemlich sicher, dass er etwas Vergleichbares empfindet – und zum anderen hat er furchtbare Angst vor solch einem großen Gefühl. Er redet sich schon sein Leben lang ein, dass er ein gefühlloses, kaltschnäuziges Arschloch ist, das mit Gefühlen nichts anfangen kann. Und er lebt eben dieses Arschloch auch perfekt, indem er fast jede Nacht loszieht und sich einen anderen aufreißt. ‚Ein Schrei nach Liebe‘ würde ein Therapeut sicher sagen. Gleichzeitig besitzt er in dieser Hinsicht auch zu wenig Selbstwertgefühl. Er hat mir gegenüber angedeutet, dass er Antonin nicht mehr in seine ach so schlimme Welt ziehen möchte, dass er ihn nicht mehr in Gefahr wissen möchte. Ich fürchte deswegen wird er ihn früher oder später vor den Kopf stoßen. Soweit ich weiß, hat er Antonin alles gesagt, was er wusste, nicht aber, dass die beiden schon mehr als eine Nacht miteinander verbracht haben. Das beruht zwar nur auf Vermutungen, aber ich kenne Cole schon sehr lange, daher mutmaße ich, dass er Antonin schon sehr tief in sein Herz geschlossen hat, ohne es sich jemals zugeben zu können. Und in seiner Unwissenheit, wie man mit so etwas umgeht, möchte er Antonin schützen, vor sich selbst.“ Er schüttelte den Kopf. „Cole ist sein Idiot, aber er ist alles andere als gefühllos. Er ist nur einfach überfordert. Und im Zweifelsfall sucht er die Fehler immer bei sich selbst. Dann möchte er es besser machen und macht genau das Falsche.“ Er sah Tayra an. „Ich glaube - aber auch das ahne ich nur mehr, als dass ich es weiß - ich glaube Cole war jede Nacht im Krankenhaus und hat gesehen, wie es Antonin geht. Jede Nacht…“ Doch weiter kam er nicht, als er Antonin mit einem Mal sah. Ragnars Stirn zog sich zusammen. „Ich fürchte es ist schon passiert. Ich hätte nicht geglaubt, dass er es so schnell macht…“, murmelte er und sah Antonin an ihnen vorbeirennen. Dann blickte er Tayra an. „Geh du zu Cole und verpass ihm bitte einen mächtigen Tritt in den Arsch. Ich kann das nicht. Ich schau nach Antonin, dass er keine Dummheiten macht…“ Damit folgte er Antonin in einigem Abstand nach draußen, beobachtete die Szene an jenem Auto aus sicherer Entfernung. Er würde bestimmt nicht zu ihm hingehen, denn nicht er war es, den Antonin nun brauchte, von dem er eine Entschuldigung und eine warme Umarmung benötigte. Cole Cole sackte in sich zusammen, als er die Tür ins Schloss fallen hörte, und es fühlte sich an, als sei ihm gerade sein Herz aus dem Leib gerissen worden. Seine Hand glitt zu jener Stelle an der Brust, unter der sich dieses elendig pochende Etwas befand, das er sich zu gerne wirklich herausreißen würde. Seine Hand verkrallte sich in seinem Hemd, während sein Kinn auf seine Brust rutschte, er sich zum Sessel schleppte, um sich dort hinzusetzen. Was war geschehen? Er hatte schon beim Sprechen die Veränderung bemerkt, die man in Antonin wahrnehmen konnte. Seit er ihm gesagt hatte, dass er erst gesund werden solle, bevor er hier wieder arbeiten könne, schien sein Blick in weite Ferne, in schmerzliche Ferne gerückt zu sein. Doch Cole hatte einfach weitergeredet. Nun, wie man es eben tut, als Arschloch. Aber er hatte es ja nicht so gemeint, wie es wahrscheinlich rübergekommen war. Er wollte Antonin doch nur schützen… Er wollte ihn doch nur vor dieser beschissenen Welt bewahren, konnte jener das nicht verstehen? Cole schauderte erneut, als er dieses Lachen sich wieder ins Gedächtnis rief. Dieses ungläubige, verachtende Lachen, das jener verlauten hatte lassen, als er ihm erklärt hatte, dass er glücklich zu sein schien. Und dieses Lachen war die erste große Ohrfeige gewesen, die Antonin ihm verpasst hatte. Die zweite war sein Blick gewesen. Der Blick eines angeschossenen Rehs, das vorm Jäger davon lief. Nein eher vor einem Wolf, einer Bestie, einem gefühllosen Arschloch, das nicht fähig war, ihm Schutz zu bieten, weil er selbst die größte Gefahr war. Das war er doch oder? Er selbst, Cole, stellte doch die größte Gefahr für Antonin da, oder? Er war es doch, vor dem der andere geschützt werden musste. Er war es doch, der ihm nur verderben brachte, der ihn immer nur verletzt hatte. Genauso wie jetzt. Antonin war gegangen, er war weg. Und eigentlich müsste er doch froh sein darüber, oder? Er hatte doch endlich erreicht, was er gewollt hatte. Ihn vor sich selbst zu schützen… Der Schmerz in seiner Brust ließ nicht nach, vielmehr sorgte sie dafür, dass ihm Tränen in die Augen stiegen, heiße, brennende Tränen, die herunterliefen, ohne weggewischt zu werden, die Cole kaum ertragen, doch auch nichts dagegen tun konnte. Denn er sah dieses verzweifelte, zutiefst in Verzweiflung gestürzte Gesicht des anderen. Und Cole wusste, dass es nicht wegen der Charaktereigenschaften war, die er ihm erzählt hatte und die Antonin vielleicht nicht ertragen konnte. Es war, weil er ihn von sich gestoßen hatte. Nun er hatte das doch vorgehabt, und er hatte es doch als richtig empfunden. Antonin war weg und er würde nicht mehr wieder kommen. Er würde ein besseres Leben führen können. – Warum um alles in der Welt fühlte es sich nur so verdammt schmerzhaft an? Warum??? Cole schlug die Hände vors Gesicht, spürte etwas, was er noch nie erlebt hatte - nein -, was er sehr sehr sehr lange nicht mehr erlebt hatte. Sein ganzer Körper wurde geschüttelt, als er aufschluchzte und zu weinen begann, geschüttelt von Weinkrämpfen, die seinen Magen sich zusammenziehen ließen. Das letzte Mal, dass er so hatte weinen müssen, war vor 16 Jahren gewesen. Damals war jemand gekommen und hatte ihn verprügelt, und ihm klar gemacht, dass er nie wieder weinen dürfe. Und nun? Was würde jetzt geschehen? Nur ein bisschen… nur ein bisschen Weinen… Es wird sicher gleich vorbei sein. Tayra Tayra seufzte lächelnd. "Mir kann es ja egal sein, aber es ist wirklich kein Wunder, dass es so viele Singlefrauen gibt. Die ganzen wirklich hübschen Kerle sind alle außer Reichweite", gab sie Ragnar das Kompliment, das ihr schon geraume Weile auf der Zunge gelegen hatte, und hörte dann wieder aufmerksam zu. "Du denkst wirklich er war da? Und es tut mir leid, also dass er es scheinbar so schwer hatte und ich glaube dir als seinen Freund, wenn du sagst, er weiß nicht wie es mit Gefühlen umgehen soll. Aber den Part mit dem Arschloch bekommt er auf den ersten Blick wirklich gut hin. Nicht dass ich mir da ein Urteil wirklich erlauben könnte, als Antonin langsam bereit war, mir die Dinge zu erzählen, war es im Grunde auch schon zu spät." Tayra lächelte Ragnar an und griff wieder zu ihrem Bier. "Ich wusste nicht einmal, dass sie scheinbar schon Nächte miteinander verbracht haben. Aber es beweist nur, dass diese Gefühle auf Tonis Seite definitiv da sind, denn bis auf kurze Quickies auf dem Klo, ließ er niemanden an seinen Körper heran. Vermutlich auch nicht an sich selbst. Und 'juche', jetzt dürfen wir auch noch die Aufpasser spielen. Aber das ist kein Problem, auch nicht wenn Cole sich durch die ganze Stadt schläft. Wenn er Antonins Herz fickt, dann ficke ich ihn." Was leider auch genau der Moment war, als Antonin an ihnen vorbei stürzte. Fassungslos sah sie ihm nach und wollte schon hinterher, als sie Ragnar wieder hörte. Und dann verdüsterte sich ihr ganzer Ausdruck, während sich ihre Hand um die Bierflasche verkrampfte. Was jetzt? Im Grunde schrie alles in ihr danach, ihrem besten Freund beizustehen, aber da war noch das Gespräch. Die Gedanken von Ragnar, dass Cole tatsächlich etwas für Antonin zu empfinden schien und das Ganze aus lauter Angst vor seinen Gefühlen unterband. "Na warte Freundchen...", murmelte sie düster, trank ihr Bier in zügigen Schlucken aus und stand auf. Sich in die Richtung haltend, in die Antonin und Cole vorher verschwunden waren. Dort hielt sie zwar ein Kerl auf, aber sie sah den Penner, der sie jetzt aufhalten würde, nur finster an und meinte, dass sie zu Cole gerufen worden war, woraufhin er sie durchließ. Was für eine lasche Sicherheit diese großen, ach so gefährlichen Kerle doch darstellten. Hätte sie eine Waffe dabei, könnte sie Cole töten. Oder glaubten die das nur nicht, weil sie eine Frau war? Aber da würde gleich jemand anderes merken, zu was Frauen alles fähig waren… Ruckartig riss sie die Tür auf, trat ein und begann zu sprechen, noch bevor sich die Tür wieder ganz hinter ihr geschlossen hatte. "Jetzt pass mal gut auf du Arschl...", sie hielt im Wort inne und kurz klappte ihr Mund voller Überraschung auf, bevor er sich mit einem hörbaren aufeinanderprallen ihrer Zähne wieder schloss. War sie hier in Twilight Zone gelandet? Sie spürte eine ganze Welle Mitleid in sich aufsteigen. Mitleid für zwei Männer, deren Idiotie kaum größer sein konnte. "Wo ist eigentlich das Problem, Cole?", fragte sie schließlich und stemmte die Hände in die Hüften. "Ich rate dir jetzt einmal, mir gut zuzuhören, denn es könnte schmerzhaft werden wenn ich dir meine 9 Zentimeter langen Absätze langsam in den Arsch schiebe, sobald ich das Gefühl habe, dass du es nicht tust", erklärte sie mit fester Stimme und griff nebenbei zu ihrer Handtasche, um eine Packung Tempos hervor zu holen und auf den Schreibtisch zu werfen. "Erstens, wisch dir die Tränen aus dem Gesicht, atme tief durch und denk mal stark nach, warum du hier jetzt so sitzt", befahl sie und trat äußerlich sehr gelassen näher. Umrundete den Schreibtisch, bis sie auf Coles Seite stand, und lehnte sich neben diesem an die Kante. "Zweitens, zieh deinen Verstand aus dem Arschloch, in dem er drin steckt, und betrachte die ganze beschissene Situation mal aus einem anderen Blickwinkel. Weißt du, was ich aus meinem Blickwinkel sehe?", fragte sie und streckte die Hand nach der unbeachteten Packung Tempos aus, zog eines hervor und hob es dem Mann neben sich hin. "Ich sehe zwei Idioten. Wobei du, Gratulation dazu übrigens, der deutlich größere bist momentan. Weißt du auch warum, Cole? Weil du es in der Hand hättest, es nicht soweit kommen zu lassen. Weil du dich ganz genau an die Dinge erinnerst, die Antonin vergessen hat. Und ja… ja alleine dieser Gedanke schmerzt. Er schmerzt mich als beste Freundin, dass er so vieles aus unserer Zeit nicht einmal mehr ahnt. Es schmerzt Nicholas als seinen Bruder und es schmerzt dich als... ja als was? Als was siehst du dich hier in dieser Geschichte? Als der große böse Wolf, der die Großmutter verschlingen will? Oder hast du vielleicht doch eine Ahnung als was Antonin dich sehen würde?" Sie lehnte sich ein Stückchen vor und fuhr ihn dann unerwartet an. "Ich glaube, er würde dich Arschloch als den Kerl bezeichnen, der ihm sein Herz gestohlen hat! Und du bist gerade dabei es zu zerstören!" Räuspernd lehnte sie sich wieder zurück und fuhr ungeachtet jeglicher Reaktion einfach weiter fort. "Drittens, werde ich dir jetzt mal etwas erzählen und wenn du danach immer noch keine Ahnung hast, was du gerade so erfolgreich aus der Tür gejagt hast, dann kann man dir nicht mehr helfen und dann werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass du Antonin nie, nie, niemals wieder in deinem gesamten Leben wiedersiehst. Du wirst nie wieder sein Lächeln sehen, oder seine funkelnden Augen, wenn er dich in eine hitzige Diskussion verstrickt. Du wirst nie wieder erleben, wie er für dich da ist, wie er dir eine Stütze ist. Wie er dich genauso auffängt, wie du es jetzt tun solltest. Du wirst keine Ahnung davon haben, wie es ihm geht, oder ob er sich vielleicht mehr als unterschwellig doch noch erinnert." Und hier senkte sie die Stimme zu einem fast beruhigenden Flüstern. "Denn das tut er Cole. Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen nicht unerheblichen Teil in ihm gibt, der sich erinnert. Denn nur du, und nur du ganz alleine, hast ihn aufgehalten, aus dem Krankenhaus zu verschwinden. Dich hat er nicht von der Polizei abführen lassen. Dir hört er zu. Dir widmet er seine gesamte Aufmerksamkeit, sobald du die Bildfläche betrittst. Dir ist es zu verdanken, dass er seine Medikamente nimmt, obwohl er sie verabscheut. Und das Fantastische daran ist, dass er dir keine Schuld gibt. Er wird auch jetzt die Schuld wieder bei sich suchen. Er wird sich fragen warum, und hier muss ich leider raten aber ich vermute recht zu haben, du ihn aus deinem Büro, aus deinem Leben getrieben hast. Und ist das wirklich was du willst, Cole?" Sie stieß sich vom Schreibtisch ab und trat wieder um ihn herum. "Und wenn dir irgendetwas von dem beschriebenem Szenario weh getan hat, dann verfluchte Scheiße nochmal: Steh auf! Steh auf und mach endlich einmal etwas richtig!" Und jetzt hieß es abwarten. Auch wenn es schwer war, auch wenn sie diesen Menschen am liebsten gleichzeitig noch viel mehr beschimpfen, aber auch in den Arm nehmen wollte. Ein tiefes Seufzen entkam ihrer Kehle. Männer.. Cole Cole erschrak fast zu Tode, als er die Tür so schwungvoll aufgehen hörte und er starrte Tayra fassungslos an. Seine Augen nahmen die Person letztlich nur schemenhaft wahr, da sie von Tränen schwammen, doch ihre Stimme war unverkennbar. In Cole zog sich alles zusammen, seine Miene verhärtete sich kurzzeitig, seine Muskeln spannten sich an und hastig wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, sich leicht streckend, damit er nicht ganz so zusammengefallen wirkte, was eher bewirte, dass er wie ein angeschossenes Reh auf dem Sprung aussehen musste. Sein Blick wurde von den Taschentüchern auf seinem Schreibtisch angezogen, dann blickte er wieder zu Tayra auf, die vor ihm stand und ihn ansah. Nur langsam drangen die Worte zu ihm durch. Nur langsam wurde er wieder in das hier und jetzt zurückgezogen aus der Tiefe, in die er sich selbst gestürzt hatte. Er fühlte sich gebeutelt, durchgekaut, wieder ausgespuckt und zermanscht. Sein Kopf schmerzte vom Weinen, sein Magen war verkrampft, wie immer, wenn ihm etwas auf die Nieren schlug, seine Augen brannten durch ungewohnt viel salzige Flüssigkeit, die noch immer nicht recht wieder aufhören wollte zu fließen. Scheinbar meinten seine Tränen, dass sie nun, da sie endlich mal zum Einsatz kamen, auch nicht gleich wieder aufhören wollten zu fließen. Cole schniefte, spürend, wie unangenehm ihm die Situation war. Noch einmal beutelte es ihn, ohne dass er es wollte. Doch gar nicht so unangenehm, wie es gewesen wäre, wenn jemand anderes hier hereinspazieret gekommen wäre. Kraftlos musste er lächeln, fast ein wenig scheu, als Tayra ihm befahl zuzuhören, wenn er nicht wollte, dass sie zu drastischen Mitteln greife. Er konnte ihr nicht ins Gesicht blicken, konnte sie nicht ansehen, aber er hörte ihr aufmerksam zu. Und so leistete er ihren Worten sogar Folge und wischte sich tatsächlich die Tränen aus den Augen, atmete tief durch, sich langsam aber sicher wieder in den Griff bekommend. Warum er hier so saß? Und ohne sich zu belügen antworten: Er weinte, weil er gerade Antonin von sich gestoßen hatte. Und erst jetzt bemerkte er, welch großer Verlust das für ihn war, welche Schmerzen ihm dieser Zustand zufügten. Er blickte auf, als Tayra vor ihn trat und die Packung Taschentücher nahm. Das Taschentuch, das er gereicht bekam, nahm er dankbar an und schnäuzte sich leise, weiter lauschend. Er war ein Idiot? In dieser Situation würde er das sogar anstandslos unterstreichen. Er war ein Idiot, denn er hatte soeben die wohl wichtigste Person seines Lebens aus seinem Leben geschickt. Und das, was Tayra im Weiteren ansprach waren wahre Gedanken. Es schmerzte ihn ungemein, dass Antonin sich nicht an ihre gemeinsamen Stunden erinnerte, dass er sich nicht an ihre Verbundenheit erinnerte. Aber war es nicht besser so? Überrascht sah er zu Tayra auf, als sie ihm erklärte, dass Antonin ihn als den Mann betiteln würde, der ihm sein Herz gestohlen hatte? Ungläubig wurden seine Augen, zweifelnd. Was hatte er getan? Nichts hatte er dafür getan. Im Gegenteil. Woher sollte sie das wissen? Schließlich hat er sich doch gar nicht an ihre Zweisamkeit erinnert... Als Tayra weitersprach begann Cole mit seinem Taschentuch in der Hand zu spielen, unruhig, um sich abzulenken von dem erneuten Schwall an Schmerzen, der seinen Körper durchzog. Keine funkelnde Augen, kein Lächeln, keinen Hitzkopf mehr, keine Stütze, keiner der ihn aus einer tödlichen Situation zieht, der mit ihm Harakirisituationen einging, um einfach bei ihm zu sein. Keiner, der mit ihm am Strand liegen, mit dem er entspannen konnte. Keiner, der einfach da war, wenn er ihn brauchte. Keiner, der mit ihm telefonieren konnte, der ihm zuhörte. Keiner, der nicht auf ihn einstürmte, um alles über ihn zu wissen. Keiner mehr, der einfach nur ehrlich zu ihm war, bei dem er keine Angst haben musste, dass er ihm ein Messer in den Rücken rammt... Die Tränen schienen erneut zu fließen, wieder ungestümer. Die Übelkeit in seinem Inneren verstärkte sich. Ob er sich wirklich noch erinnerte? Unterschwellig? Stimmte das was Tayra sagte? Cole blickte auf, suchte in ihren Augen die Wahrheit, verwirrt, zutiefst verunsichert. Sie ist fest davon überzeugt, dass er sich erinnert? Die Argumente, die sie hervorbrachte waren teilweise sehr überzeugend, doch was, wenn dem nicht so war? Cole schluckte schwer und er merkte, dass sein Hals ihm weh tat. Erneut schnäuzte er sich, entnahm ihr noch ein Taschentuch und trocknete sich die Tränen. Leicht schüttelte er den Kopf, als Tayra ihn fragte, ob er das wollte. Nein, er wollte das nicht. Er wollte Antonin weiter bei sich haben, wollte ihn an seiner Seite wissen, ihn in den Arm nehmen können, in seinen Armen liegen können. Scheiße, er wollte ihn nicht verlieren. Und wenn Tayra wirklich recht hatte, dann würde das Antonin doch auch nicht wollen... Er blickte wieder auf, als Tayra um den Tisch ging und ihm erklärte, dass er seinen Arsch bewegen solle. Er schluckte erneut. „Meinst du, er ist noch da?“, fragte er unsicher und stand auf, strich sich noch einmal über das Gesicht, die Haare aus der Stirn, atmete noch einmal tief durch. Er wollte nicht so verheult, er konnte doch nicht... Was interessierten ihn eigentlich die anderen? Er ging zur Tür, drehte sich noch einmal kurz um. „Danke“, flüsterte er tonlos, nickte Tayra kurz zu. „Danke.“ Mit eiligen Schritten ging er durch den Saal, niemand schien ihn wirklich zu beachten. Als er vor die Tür trat, schlug ihm eisige Luft entgegen. Er blickte sich um und erblickte Ragnar, der ihn zu sich winkte. Er blickte ihn fragend an, wissend, dass jener seine verquollenen Augen sehen würde, doch es störte ihn nicht. Ragnar blickte ihn lächelnd an. „Du bist ein Idiot…“, wisperte er und strich Cole über die Wange. „Jetzt musst du einiges gut machen...“ Cole nickte und lächelte, küsste Ragnar kurz auf die Stirn. „Danke“ Irgendwie schien es ihm so, als müsste er sich für die letzten Jahre bedanken, die Ragnar immer bei ihm war. Doch jener schüttelte nur den Kopf und drückte ihn in Richtung Antonin, wohin er eiligen Schrittes ging. Antonin lehnte gegen das Auto, das dort stand, sein Handy neben ihm liegend. Cole kniete sich neben ihn hin, blickte ihn erschrocken an, als er die leeren Augen sah, die so ohne Leben zu sein schienen. Cole wurde erst jetzt bewusst, was er dem anderen angetan haben musste, sah die Tränen, die jenem die Wange hinunterliefen. Und bevor er irgendetwas sagte, umarmte er den anderen, zog ihn zu sich, sein Gesicht in dessen Haare, seinem Hals vergrabend. „Es tut mir so leid, Antonin“, flüsterte er heiser. „Es tut mir so furchtbar leid... Ich weiß gar nicht, ob ich das jemals wieder gut machen kann. Es tut mir so unendlich leid. Bitte, bitte... bitte geh nicht weg von mir. Ich brauche dich so sehr an meiner Seite, ich möchte nicht mehr ohne dich sein. Es tut mir leid, dass ich dich vorhin von mir gestoßen habe. Es... Ich... Es gibt keine Entschuldigung, aber ich dachte ich könnte dich so schützen. Ich weiß, dass ich ein Idiot bin. Ich hoffe du kannst mir das verzeihen...“ Cole redete hastig, leise flüsternd, wie ein Gebet, das er vor sich hinmurmelte. Er drückte Antonin an seine Brust, spürte, wie kraftlos jener war, wie sehr die Geschite den ja immer noch nicht ganz gesunden Mann mitgenommen haben musste. Sacht löste er sich von Antonin und blickte ihm ins Gesicht, dieses mit seinen Händen einrahmend. „Hör zu, Antonin, ich möchte, dass du bei mir bist. Egal was kommt. Ich möchte...“ Doch weiter sprach er nicht, sondern er küsste den anderen, zärtlich, vorsichtig. Küsste ihn sanft auf die Lippen, einmal zweimal, bevor er ihm die Tränen aus den Augen küsste, ihn auf die Stirn küsste. „Bitte verzeih mir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)