Blood Deal von -Amber- (Even if saving you sends me to heaven) ================================================================================ Kapitel 25: Nie verheilende Wunden ---------------------------------- Antonin Antonin folgte Cole in sein Wohnzimmer und setzte sich neben diesen, als der den Plan vor ihm entrollte. Aufmerksam lauschte er den Ausführungen und nickte hin und wieder, um anzuzeigen, dass er zuhörte. Das ganze klang auf den ersten Blick wirklich durchdacht und so zog er sich das gute Stück näher und beugte sich darüber. Das Gebäude im Geiste vor sich aufbauend und versuchend die toten Winkel zu finden, die bei solchen Dingen immer problematisch wären. "Drei Stunden...", murmelte er und lief das Gehörte mit dem Finger auf dem Bauplan ab. Stellte sich vor, wie viele Leute dort wären und wo Cole sie positioniert hatte. Schließlich nickte er zufrieden und deutete auf einen weiteren Punkt. "Wenn mich nicht alles täuscht, hätte man von dort oben noch einen relativ strategischen Blick auf das Wichtigste, aber wirklich nötig scheint es nicht zu sein. Du hast dir das gut überlegt", gab er zurück und erstarrte dann. Was zum Henker?! Langsam wandte er den Kopf ein Stück zur Seite und bekam tatsächlich noch zu sehen, wie Cole seine Hand zurückzog. Von Antonins Haut zurückzog! Von seinen verfickten Narben! Weder drang Coles Feststellung wirklich zu ihm durch, noch taten das die Worte, die jener wieder in Richtung des Planes sagte. Dieser Hurenbock dachte also mal eben so alle, wirklich ALLE von Antonins mehr als deutlich abgesteckten Grenzen übertreten zu dürfen und er würde das so hinnehmen? Antonin bekam für sich selbst nie mit, wie seine Augen völlig außer Kontrolle gerieten, wann immer man ihn direkt mit diesem Teil seiner Vergangenheit konfrontierte. Auch nicht wie leer sie dazwischen immer mal wieder wurden. Ein Messer, das mit fast schon chirurgischer Sicherheit zum wiederholten Mal seinen Arm entlang nach unten gezogen wurde. Gerade genug, um die vorsichtig verheilte Haut wieder aufplatzen und das Blut hervortreten zu lassen. "Du...", zischte er, inzwischen vor unkontrolliertem Zorn bebend. "Du hältst dich für den Tollsten, oder?" Noch wandte er Cole den Kopf nicht zu. Noch versuchte er wenigstens zum Teil unter Kontrolle zu bleiben. Noch war da das leise Stimmchen, das ihm davon erzählte, wer der andere war: Sein Ziel. Sein Bossmann. Diesmal war die Haut nicht verheilt und außer Schmerzen fühlte Antonin kaum noch etwas anderes. Der harte Stuhl, von dem er nicht aufstehen konnte, war ihm inzwischen mehr Halt als alles andere. Die lachenden Stimmen rauschten in seinen Ohren, während sie den größten Spaß zu haben schienen, das Blut seiner abermals aufgeschnittenen Wunden über seine Arme zu schmieren. Rot... alles war nur noch rot. Antonin sprang auf. Alles war jetzt besser als zu sitzen! Und diesmal wandte er sich zu Cole herum, betrachtete dessen Gestalt, wenn auch nur verschwommen. Und das Gefühl jenem die gleichen Schmerzen zuzufügen, wie ihm zugefügt worden waren, kam in einer großen Welle. Ruckartig beugte er sich zu Cole, mit der bebenden Hand kaum zielsicher genug dessen Hemd zu packen, doch er schaffte es. "Du hast kein Recht meine Grenzen zu überschreiten und trotzdem machst du es immer wieder! Reize ich dich denn so sehr, Cole? Soll ich dich wieder wie einen Fremden behandeln? Einen Fremden, dem ich nicht das Leben gerettet habe? Einen Fremden, dessen Leben nicht von mir geschützt wird? Willst du das, Cole?" Ganz anders als im Krankenzimmer war da kein ruhiger Zorn in ihm. Das war rohe Wut, rohe Verzweiflung über seinen eigenen Zustand und das rohe Verlangen danach, Schmerzen zuzufügen. Und er würde diese Schmerzen zufügen, wenn der andere Mann ihm jetzt auch nur den kleinsten Hinweis auf Widerstand geben würde. "Aber es ist mir egal was du willst, denn weißt du was ich jetzt möchte?", fragte er höhnisch und der Griff um das Hemd verstärkte sich. Etwaige Reaktionen von Cole ignorierte er. Blendete er einfach aus. "Ich möchte dich gerade nehmen, an einen Stuhl fesseln und dir die Arme aufschneiden. Wodkatrinkend dabei zusehend, wie sie sich mit der Zeit wieder schließen, nur um sie wieder aufzuschneiden. Tiefer und tiefer. Ich möchte dir das hervortretende Blut über die Arme, über das Gesicht und auch sonst überall hinschmieren, wo mir der Sinn danach steht. Ich möchte dich hören, wie du um deinen Tod bittest und bettelst, nur um als Belohnung abermals aufgeschnitten zu werden." Seine Stimme wurde tiefer und in jeder anderen Situation hätte man meinen können, er wollte den anderen verführen. "Willst du das auch, Cole?" Cole Zufrieden nahm er das Kompliment wahr, das Antonin für ihn übrig hatte. Dann ging alles viel zu schnell, als dass Cole irgendeine Chance hatte, zu reagieren. Er blickte perplex auf, als er sah, wie Antonin aufsprang, fühlte sich wenige Sekunden danach am Hemd gepackt und wie, als ob er nichts wiegen würde, hochgehoben. Schmerz zog sich durch seine Schulter, den er aber kaum wahrnahm. Er blickte in Augen, die ihn erschreckten. Doch diesen Schreck sah man ihm augenscheinlich nicht an. Sein Herz schlug ihm zwar bis zum Hals, aber er musste das unterbinden. Seine Augen verdunkelten sich und feindselig erwiderte er den Blick, sein Gesicht verhärtete sich. Angriff war die beste Verteidigung, oder? Einen Moment zuckte seine Hand, kurz war er versucht, seine Waffe zu ziehen, doch er rief sich zur Ruhe. Er musste Ruhe bewahren. Das war das einzige, was in so einer Situation sinnvoll war. Und so hörte sich an, was jener zu sagen hatte bezüglich der Grenzen, die er zu überschreiten schien. Er würde immer noch Gelegenheit haben, zu ziehen, wenn es nötig war. Kühl musterte er den Gesichtsausdruck des anderen, und darin stand wieder einmal alles geschrieben, was er wissen musste. Es waren vor allem psychische Verletzungen, die Antonin hatte ertragen müssen, massive psychische Verletzungen. Die geballte Wut, die auf ihn einströmte, war schwer abzublocken, und Cole könnte nicht sagen, dass sie ihm nicht Angst gemacht hätte. Im Gegenteil - er fühlte sich mehr als unwohl. Doch dennoch blieb er ruhig. Er war nicht gleichgültig, aber ruhig, gelassen. Er hatte schon zu viele Situationen erlebt, in denen jemand ausgetickt war, in denen ähnliche, wenn auch nicht so harte Wut, auf ihn eingeströmt war. Und wenn er eines gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass es nichts brachte, selbst mit Aggression zu reagieren. Sein erster Mord war in so einer Situation entstanden. Und auch wenn es ihm geholfen hatte, Fuß zu fassen, hatte er gewusst, dass es Dummheit gewesen war, mit der gleichen Aggression zu reagieren, mit der sein Angreifer auf ihn losgegangen war. Es verhindert, dass man einen klaren Gedanken fassen konnte. Und damals hatte er mehr Glück als Verstand gehabt. Und eben strömte nicht nur Wut auf ihn ein, sondern auch massive Verzweiflung. Eine Verzweiflung, die ihn auf eigentümliche Art und Weise wesentlich mehr berührte, als die Wut, die Aggression, die nur einen kleinen Funken bräuchte, um zu explodieren. Diese Verzweiflung war es, die er hinterfragen musste, und sie war es auch, die ihn unerwarteterweise schmerzte. Und schon bekam er auch die Informationen, die das Puzzle ergänzten, die das Bild schärfer machten und die ihm erklärten, dass es ein enormer psychischer, aber auch ein enormer physischer Schmerz war, den Antonin erleben musste und gut verdrängt hatte. Es waren Informationen, die Cole einen eisigen Schauer den Rücken hinunterjagten, die ihn frösteln ließen, die ihn ihm ein fremdes Gefühl auslösten: Das Gefühl, im Nachhinein diesen Mann, der kurz davor war, ihm Gewalt anzutun, diesen Mann, der wahrscheinlich auch wenig Probleme haben würde, ihn zu erschlagen, nachträglich zu schützen, ihn nachträglich vor diesen Erfahrungen bewahren zu wollen. Er hörte die Frage, aber noch war er nicht bereit zu antworten. Er vernahm diesen rauen, bedrohlichen Unterton, wie das leise Knurren eines wilden Hundes, der einen Hasen erblickt hatte, und sich nun auf die Jagd begab. Er spürte, wie ihm diese Stimme erneut einen Schauer über den Rücken jagte. Doch einen Moment konnte er nichts tun. Vielmehr blickte er in Antonins aufgewühlten Augen, ruhig erwiderte er den Blick. "Nein, das möchte ich nicht", stellte er schließlich fest. "Ich überschreite nur Grenzen so weit, wie du es immer wieder schaffst, meine zu überschreiten." Er sprach leise, aber nachdrücklich. "Und jetzt lass mich los, Antonin." Leicht zogen sich seine Augen zusammen, wurden nun selbst bedrohlich. "Lass mich sofort los", wiederholte er. Seine Muskeln waren gespannt. Seine Hände darauf gefasst, die Waffe ziehen zu müssen. In seinem Kopf ratterte es, er war hochkonzentriert. Er durfte sich nicht überrumpeln lassen, sollte Antonin seine Wut nicht wieder einfangen können. Er wusste, dass Antonin nicht Herr seiner Sinne sein würde, wenn jener seiner Aggression freien Lauf lassen würde. Aber er war nicht bereit der Punchingball seiner aufgestauten, verdrängten Wut zu sein. Dafür war er sich seiner Schuld zu wenig bewusst. Antonin Antonins Herz raste so heftig wie schon lange nicht mehr. Ja, er hatte Adrenalin gespürt in jenem Hinterzimmer mit den Russen und ja, als er Cole aus der Schusslinie gestoßen hatte, war ihm fast schlecht geworden vor Aufregung, aber das hier war anders. Das hier war nicht das Adrenalin, das ihm vor eine Aktion durch die Adern schoss. Es war so viel mehr. Es war zu viel. Weshalb die Hand, die Coles Hemd in festen Griff hielt, inzwischen auch schon stark zitterte und die Finger sich in dem Stoff verkrampften. Lass mich sofort los. Dieser Satz trieb wie ein Echo in seinen Gedanken. Es war ein Befehl. Ein Befehl, der möglicherweise momentan tatsächlich in direktem Zusammenhang mit Coles Leben stand. Oder mit seinem. Kurz zuckten verschiedene Muskeln in seinem verspannten Gesicht und er wandte den Blick von Coles unglaublich dunkel gewordenen Augen ab. Weg von dieser kühlen Überlegenheit, die ihm da so selbstbewusst entgegenstrahlte. Antonin sah nichts anderes in ihnen und die leise Verunsicherung darüber gab ihm weitere Kraft um diese, normalerweise sorgsam gehüteten Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen. So sah er fast ein wenig losgelöst von sich selbst dabei zu, wie sich Finger um Finger seine Hand entkrampfte, bis sie den Stoff schließlich auch abrupt freigaben. Er sah sich selbst dabei zu, wie sich die Hand sofort wieder zu einer Faust zusammenschloss und sich langsam senkte bis der ganze Arm neben seinem Körper zum ruhen kam. Antonin hatte dem Befehl Folge geleistet. Ein Gedanke, der ihm so bedrohlich wie auch tröstend vorkam in diesem Moment. Obwohl seine Emotionen ihn schon soweit trieben, hatte Cole offensichtlich selbst dann noch genug Einfluss, um alles weitere mit einem einfachen Befehl zu unterbinden. Abermals durchlief sein Körper ein Zittern und er atmete zischend aus, bevor er ein wenig mechanisch wirkend zurück trat. Weg von der Couch und dem Tisch. Und noch viel weiter weg von Cole. Langsam, sehr langsam bekam er wieder das Gefühl Herr über seinen Körper zu sein und damit hob er auch einen Arm, um sich selbst mit der anderen Hand über die Narbe zu streichen. Bis hoch zum Ärmel wo sie noch bis zur Schulter weitergehen würde. Er legte den Kopf leicht schief und blinzelte ein paar Mal als ihm auffiel, wie trocken seine Augen gerade waren. Er hätte jetzt Einiges zu sagen, doch fand keinen Anfang. Sollte er sich entschuldigen? Aber wann hätte er dem anderen die Befugnis erteilt sich ihm auf diese Weise nähern zu dürfen? Und wann bitteschön hatte er dessen Grenzen überschritten?! Wo seine Augen gerade eben wieder ruhiger geworden waren und sein Gesichtsausdruck weniger rigide, trat sofort wieder ein unwilliges Funkeln in eben selbige, und er sah von seinem Arm zu dem Mann, der überhaupt erst Auslöser des ganzen Dramas war. "Ich habe keine einzige deiner Grenzen überschritten", stellte er fest. "Weder habe ich dich gezwungen hierher zu kommen, noch habe ich kontrolliert, wo du wohnst, noch habe ich weiter auf dich eingedrungen wann immer dein Gesicht dich doch sehr deutlich verraten hat, dass dir ein Thema unangenehm ist und man mit seinem Leben spielen würde wenn man es weiter hinterfragen würde." Langsam aber sicher wurde seine Stimme lauter und das, obwohl er nie schrie. Er hob seine Stimme schon einmal, aber schreien tat er nie. Eigentlich. "Ich habe dich auch nicht gezwungen mit mir wegzugehen, noch habe ich darum gebeten in so ein Spielchen auf der Tanzfläche gezogen zu werden! Ich habe mich deinen Wünschen und Bedürfnissen IMMER untergeordnet und das, obwohl mir dein Spieltrieb und deine Art mehr als einmal zu nahe kam!", klagte er an und verengte seine Augen unwillig. Inzwischen war er bis an die Wand zurück gewichen, wollte sich selbst keine Möglichkeit mehr geben, doch noch einen richtigen Ausraster zu bekommen. "Das einzige Mal, als ich das tatsächlich getan habe, habe ich dir dein beschissenes Leben gerettet! Und du, mit deiner grenzenlosen Arroganz, hast mich in dem einen Moment als du mich loswerden konntest bei dir behalten! Ist das der Grund, warum du denkst das Recht zu haben, mir meine Masken ständig herunter reißen zu dürfen? Weil du genau weißt, dass ein einziger Befehl reicht, um mich innehalten zu lassen? Weil du GANZ GENAU WEISST, DASS ICH DIR KEIN HAAR KRÜMMEN KANN, WENN DU ES VERBIETEST?!" Diesmal schrie er doch. Gedanken an die Nachbarn waren weit weg. Er hatte nicht einmal eine genaue Ahnung, was er dem anderen da so alles an den Kopf warf, aber er glaubte zu wissen sich im Recht zu befinden. "Vielleicht sollte ich das andersherum auch einmal machen?", höhnte er. "Nachfragen warum es so furchtbar ist, sich an den Familien seiner Gegner zu vergreifen? Nachbohren, warum du dir dein Elternhaus unterschwellig für deinen Tod herausgesucht hast? Ich könnte das genauso gut, wie du mich jedes verfickte Mal ohne Probleme aus der Reserve locken kannst. Aber damit ist jetzt Schluss, verdammte Scheiße!" Cole Süße Erleichterung machte sich in Cole breit, als er spürte, dass sich Antonins Hände tatsächlich lösten. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass es vorbei war. Er konnte den innerlichen Kampf des anderen förmlich spüren, konnte erahnen, wie jener damit rang, seiner Wut nicht doch nachzugeben. Und solange er nicht sicher war, dass Antonin sich wieder unter Kontrolle hatte, würde er sich nicht entspannen können. Und so zuckte sein Finger leicht, als er das Funkeln in den Augen des anderen sah, das trotzige, unwillige Funkeln, das ihm entgegenblickte. Sein gesamter Körper war gespannt, seine gesamte Fassade strahlte absolute Kälte aus. Er durfte nichts seiner aufgewühlten Emotionen zeigen. Nein, das durfte er nicht. Er musste sich unter Kontrolle behalten. Er durfte nicht verraten, dass ihn das alles hier viel zu sehr berührte, als es gut für ihn war. Doch dann begann Antonin zu sprechen und die Worte prügelten wie Axtschläge auf seine Mauer ein, die dafür sorgte, unberührt zu bleiben, stark zu bleiben, er selbst zu bleiben. Antonin schlug und schlug, prügelte verbal auf ihn ein, wie damals schon in jenem Krankenzimmer. Und mit jedem Brocken, den er herausbrach wuchs Coles Angst vor sich selbst. Denn die Worte sprachen teilweise Wahrheiten aus, die Cole nicht hören wollte. Wahrheiten, die ihm nicht gut taten. Wahrheiten, die seine selbstgewählte, selbsterbaute Existenz, nein eher Persönlichkeit betrafen. Antonin hatte recht in den Punkten, dass jener niemals bewusst eine Grenze überschritten hatte, dass er niemals bewusst Cole zu nahe getreten war, dass er niemals bewusst etwas angesprochen oder getan hatte, was Cole verärgert hätte. Und doch hatte jener Grenzen überschritten. Grenzen, die dieser nicht sehen konnte, die nur Cole sah. Grenzen, die Cole ihm geöffnet hatte, ihn unwissend hineingelockt hatte und es im Nachhinein bitterlich bereut hatte, es jetzt bereute. Cole senkte den Blick und schloss einen Moment die Augen, bis ihm bewusst wurde, dass er somit einen Sieg des anderen zugeben würde, und das konnte er nicht. Er wollte nicht, dass Antonin ihn einbrechen sah. Er wollte nicht, dass jener das Häufchen Elend sah, das übrig bleiben würde, wenn er die Mauern ganz durchbrechen würde. Er wollte nicht, dass jener hinter die Kulissen sah und dieses schäbige Etwas betrachtete, das sich dahinter verbarg. Und dann kamen auch noch Worte, die ihn schwarz sehen ließen. Fragen nach Dinge, die diesen wirklich gar nichts angingen, die er niemals würde erklären wollen, Fragen, auf die er selbst sich keine Antwort geben wollte. Und nun selbst an einem Punkt angekommen, an dem er nicht mehr klar sehen konnte, zog er seine Waffe und richtete sie auf Antonin. Sein Blick war finster, sein Gesicht wutverzerrt. "Du verdammtes Arschloch hast doch überhaupt keine Ahnung", fauchte er leise, knurrend. Wie ein in die enge getriebenes Tier schien er nun die Flucht nach vorne antreten zu wollen. Ein angeschossenes Tier, das keine Kraft mehr hatte, um wegzulaufen. Und so konnte er nur noch die Flucht nach vorne antreten. Er hatte nicht mehr genug Kontrolle über sich selbst, um zu erkennen, dass er damit seine Hilflosigkeit signalisierte. Und so trat er auf den anderen zu, mit einem zusehends leerer werdenden Blick. "Du begreifst es nicht, oder?", zischte er den anderen an. "Du begreifst es einfach nicht." Seine Zähne knirschten, als sich sein Kiefer verkrampfte. "Das Problem ist, dass du zu etwas geworden bist, das mich etwas angeht. Du bist zu etwas geworden, was mich nicht loslässt, was ich nicht abschütteln kann, was ich nicht Vergangenheit werden lassen kann, was ich nicht vergessen kann. Du bist mir so nahe gekommen, weil du mir mein beschissenes, verfluchtes, elendes Leben gerettet hast. Und nun kann ich dich nicht mehr abschütteln. Nein, vielmehr beschäftigst du mich jeden verfluchten Tag seid damals. Du hast dich in mein Blickfeld gedrängt und gehst nicht wieder, sondern bleibst in dieser verfluchten Nähe, die mich unsicher werden lässt." Er schluckte. Warum schaffte es dieser Mann nur, ihn Wahrheiten aussprechen zu lassen, für die er sich selbst hasste? Doch die große Wahrheit hinter dieser Geschichte, die würde er nicht aussprechen. Er wusste, dass er die Hauptschuld an all diesen Dingen hier trug, dass er es war, der die Situation provoziert hatte, dass er es war, der Antonin benutzt hatte. Benutzt, weil er ihm eine Nähe gegeben hatte, die er als angenehm empfunden hatte, die er sehnsüchtig vermisste. Aber das durfte nicht sein. Das durfte niemals sein. Er durfte dieser Sehnsucht nicht nachgeben. Niemals. "Und im Übrigen habe ich dir nie eine einzige Frage gestellt. Ich habe nicht ein einziges Mal bewusst an deiner 'Maske' gezogen. Und eben habe ich dich auch nicht danach gefragt, wer dir das angetan hat, geschweige denn warum. Behaupte also nicht, dass ich Grenzen überschreite, die ich hätte sehen können." Cole ließ die Waffe sinken, trat wieder einen Schritt zurück. In seinen Augen spiegelte sich seine Ohnmacht wider. "Lass mich in Ruhe", wisperte er, "lass mich in Zukunft in Ruhe. Ich möchte das nicht mehr. Nicht mehr das Gefühl haben, dir vertrauen zu können." Dass es so viel mehr als das Vertrauen war, würde Cole nicht zugeben. Wohl, weil es ihm selbst nicht richtig bewusst war. Er drehte sich um, packte seine Jacke, nahm seine Tasche und ging zur Tür. Weg hier, nur weg hier. Und niemals wieder hierher kommen. Niemals wieder diesen Mann in seiner Nähe haben. Niemals wieder spüren, dass er dessen Nähe als angenehm, als entspannend empfand. Antonin Er sah wie Cole den Blick senkte und im selben Moment traf ihn ein weiteres Gefühl voller Kraft voraus: Schuld. War es nicht seine verpisste Aufgabe auf Cole aufzupassen? Was konnte jener denn dafür, dass er selbst so kaputt war? Und es war jener Moment als Toni sich wünschte, das alles hier wäre ein böser Traum. Sich wünschte, dass sie einfach nur zwei ganz normale Männer waren, die aufeinander trafen und... ja und was? Antonin konnte den Daumen nicht genau auf dieses Gefühl legen, es nicht genau benennen. Also ließ er es sein. Was er aber benennen konnte, war, dass er den anderen in so einer Situation nicht mit gesenktem Blick sehen wollte! Selbst wenn dieser noch so schnell wieder hochgezuckt war. Ebenso schnell wie es dessen Waffe nun tat. Doch statt der zu erwartenden Angst, war da nur so etwas wie Unsicherheit, Ungeduld und vielleicht auch Vorfreude in ihm. Sollte Cole ihn doch abknallen, dann wäre der ganze Spuk wenigstens vorbei. Jener wäre der Einzige gegen den er sich nicht verteidigen würde. Jener war der Einzige, bei dem sich alle Selbsterhaltungstriebe darauf reduzierten, den anderen überlebend zu wissen. Doch so ruhig er momentan auch war, so unvorbereitet trafen ihn nun Coles Worte. Prasselten auf ihn nieder wie ein Gebirgsgewitter. Mit dazu gehörendem Blitz und Donner. Es war so beeindruckend wie furchteinflößend und abermals konnte Antonin den Mann sehen, der zu Recht auf dem Platz saß, auf dem er eben saß. Aber, war das so wirklich richtig? Traf das wirklich zu? Denn, warum zog Cole die Waffe jetzt? Jetzt wo er schon außer Reichweite war? Lag das wirklich an seinen Worten? War es ihm mit so wenigen Sätzen gelungen endlich einmal an Coles Schutzwällen zu reißen? Und dazu noch die Worte. Er beschäftigte ihn jeden Tag? Er ließ ihn nicht los? Seine Nähe ließ Cole unsicher werden? Oh mein Gott. Wie sollte man auf so etwas reagieren? Wie sollte man mit so etwas umgehen, wenn man nicht einmal mit seinen eigenen Problemen klar kam? Wieso standen sie sich hier eigentlich gegenüber und hauten sich ihren Seelenschmerz um die Ohren als ob es Popcorn wäre? Was war eigentlich der Auslöser des Ganzen? Sein eigenes Ausraster? Irgendwie wagte Antonin das zu bezweifeln. Doch jene Gedanken waren schnell beiseitegeschoben, als Cole ihm mehr oder minder versuchte zu verklickern, Antonin hätte ihm alles freiwillig gesagt. Ha! Ja, sicher doch. Genauso freiwillig wie Cole gerade ein paar Informationen herausgerückt hatte vielleicht. Und wenn der ihm erzählen wollte, ihm wäre nicht bewusst gewesen, dass seine Arme und damit seine Narben eine Tabuzone waren, dann müsste er besser lernen zu lügen. Denn Antonin glaubte ihm davon kein Wort. Auch - oder gerade weil - er dort durchaus ein Fünkchen Wahrheit versteckt vorfand. Als der andere schließlich die Waffe sinken ließ und ihm sagte, Antonin sollte ihn in Zukunft in Ruhe lassen, fühlte er eine Panik in sich aufsteigen, die ihm in diesem Maße unbekannt war. Eine solche Art von Verlustängsten aufkommend, die ihm selbst fast den Atem nahmen. Cole meinte das ernst! Er meinte es verflucht nochmal ernst! Und jetzt? Gehetzt folgte sein Blick dem anderen, wie er seinen Sachen nahm und sich auf den Weg zur Tür machte. Ihn nie wieder sehen wollte. Ihn aus seinen Diensten entließ. Ihn aus seinem Leben drängte, genauso schnell wie er ihn hineingelassen hatte. Und es war jene Angst, die ihm die Kehle zuschnürte, die ihn so fest in ihrem Griff hatte, dass er nichts herausbrachte bis er das leise Zufallen seiner Tür vernahm. Was dann auch endgültig die Beine unter seinem Körper wegzog und er sich zitternd an der Wand heruntergleiten ließ, um seine Arme an seinen Beinen zu verschränken und den Kopf darin einzubetten. Er hatte schon wieder versagt. Sowas von versagt. Auf jeder Ebene auf der man nur versagen konnte. Cole hatte ihn entlassen und würde seinen Blick nun so richten, dass er Antonin nie wieder sehen würde. So einfach ging das, ja? Antonin bekam seine Gedanken nicht mehr gerade. Er konnte keinen einzigen Strang von ihnen fassen, aber er fühlte sich schlecht. Mies, absolut fertig und ausgelaugt. Und gerade so verflucht einsam. "Ich bin so ein verdammter Versager", murmelte er schließlich - es mochte eine Stunde oder zwei seit dem Zwischenfall vergangen sein und irgendwann fiel sein Blick auf die Pläne, die Cole liegen gelassen hatte. Und seine nächste Tat war ganz mechanisch. Er stand auf, griff nach seinem Handy und rief Ragnar an: "Heya, Antonin hier. Pass auf, es gibt am Bahnhof am Central Park Schließkästen mit Nummerneingabe. Schließkasten 1587 wird morgen früh eine große Lieferung für dich haben. Die Codenummer für diesen ist die 3134. Du solltest dir eventuell jemanden mitnehmen, es ist kein kleines Paket. Ich lege noch Pläne dazu, die Cole liegen lassen hat und da ich ihn gerade nicht erreiche: Wann war der nächste Deal nochmal? Ich sollte dafür noch etwas besorgen und muss einen Termin dafür ausmachen." Ragnar schien keinen Verdacht zu schöpfen, etwas, das er wohl mit der "Ich rette Cole das Leben"-Aktion ausgeräumt hatte. Damit hatte er den Termin und wer wusste wofür es nützlich war? Danach packte er eine Tasche zusammen und ging ins Bett. Mit aller Kraft über gar nichts mehr nachdenkend. Am nächsten Tag hinterlegte er den Umzugskarton und die Karte in eben jenem Schließfach und setzte die Nummer auf die 3134, bevor er zu seinem Konzern fuhr und ihnen bestätigte, dass er sich jetzt doch bereit erklärte, sich auf der Konferenz in Washington zu zeigen und für ein paar Fragen zu stellen. Danach ging alles ganz schnell und er schickte selbst Nicholas nur eine SMS, bevor er sie SIM-Karte austauschte und sich auch schon im Flieger befand. Weg – weit weg von Cole. Je weiter desto besser. Cole In seinem Auto angekommen hatte Cole nur noch einen Gedanken: Er musste sich abreagieren... Und so fuhr er mit durch drehenden Reifen in einen Sauna-Club, wissend, dass er dort mehr als nur ein Angebot gab, sich den Verstand rausvögeln zu können, was er auch versuchte. Doch so ganz schaffte er es nicht, musste er doch immer wieder an das Gesicht des anderen denken. Aber er begriff nicht, dass dieser Akt nur eine Art Selbstbeweis sein sollte, dass er Antonin nicht begehrte, dass er unabhängig von ihm war. Letztlich scheiterte er kläglich. Denn der Sex brachte zwar kurze Moment der Entspannung, aber dennoch fuhr er niedergeschlagen heim, und fühlte sich so beschissen, als er in seinem Bett lag, wie er sich gefühlt hatte, als er die Tür hinter sich ins Schloss fallen gehört hatte. Doch es sollte jetzt vorbei sein. Er sollte Antonin aus seinem Leben verbannen. Und letztlich war es doch das beste, was ihm hatte passieren können. So würde er nicht mehr das Gefühl haben müssen, dass er jemandem verpflichtet war, hatte keine Verantwortung außer sich selbst gegeüber. Letztlich war doch alles eigentlich wunderbar. Er hatte endlich wieder seine Ruhe, würde in Ruhe arbeiten können, hätte niemanden, der ihm hinterher lief und seine Gedanken vom Wesentlichen ablenkte. Es war doch alles wunderbar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)