Nullpunkt von Memphis ================================================================================ Kapitel 30: Nicolas und die Tobias-Angelegenheit ------------------------------------------------ So, der letzte "Epilog"-Teil, diesmal mit Nico. Worauf wohl schon viele gewartet haben. Ich hoffe, An der Fortsetzung von Nullpunkt arbeite ich im Gedanken schon sehr intensiv, werde aber wohl frühstens Ende des Jahres mit der Umsetzung beginnen. Wäre gerne wissen will, wie es bei Nullpunkt weiter geht, kann mir einfach Bescheid sagen, dann schick ich eine ENS, wenn sie on ist, da die Fortsetzung seperat zu Nullpunkt hochgeladen wird. Naja, dann viel Spass mit dem vorerst letzen Teil von Nullpunkt. Was schön mit euch! --------- Ehrlich, ich war ein Idiot. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass das mit Ennoah keine gute Idee war. Nein, halt – der Sex mit Ennoah war eine verdammt gute Idee gewesen, der Rest allerdings ein Komplettausfall. Ich hätte mich niemals bei ihm heimisch machen sollen, keine gemeinsamen Abende vor dem Fernsehen mit einem guten Essen, nicht die Einkäufe oder die kurzen Gespräche in der Küche und schon gar nicht die Fahrt zu seiner Mappenberatung. Gar nichts. Nur Sex, das hätte es sein sollen. Wir hatten das doch gleich klar gestellt. Ich hatte nie mehr gewollt, er sowieso nicht. Aber ich habe es irgendwie geschafft, es total zu verkacken. Ich weiß nicht genau wann, aber an irgendeinem Punkt hätte ich meine Grenzen ziehen müssen und ich Vollidiot habe es nicht getan. Und deswegen saß ich jetzt bei Toby im Zimmer und mir war einfach zum Heulen zumute. Stattdessen stopfte ich Chips in mich rein und sah mir mit ihm einen Actionfilm an. Anspruchsloses Fernsehen war ich ja schon durch Ennoah gewohnt. Er hatte vorhin angerufen, deswegen war mir so elend. Er hätte sich entschuldigen müssen, auch wenn ich nicht bereit war ihm zu verzeihen. Er hätte sagen müssen, dass er mich braucht. Aber das tat er nicht. Das Problem lag allerdings wo anders. Naja, bei mir. Er war mir viel wichtiger, als er es wert war und ich war ihm scheißegal. Gott, ich war so sauer auf mich, dass ich so einem kaputten Nichtsnutz verfallen war. Wahrscheinlich lag es am Sex. Er konnte nicht viel, aber darin war er richtig gut. Allein wie er … Nicht dran denken, Nico! Das machte es nicht besser. Leider lag es nicht nur am Sex. Ich musste irgendwie gestört sein, aber ich stand auf seine verschrobene, armselige Art. Als ich ihn so fertig gefunden habe, er mich gebraucht hat. Ich hätte in dem Moment alles für ihn getan. Gott, allein bei dem Gedanken wurde mir das Herz schwer. Wie er die Hand nach mir ausgestreckt hat und sich an mich gekrallt hat. Die Tränen, die in meinem T-Shirt versinkert sind. Ich hatte mich noch nie so geliebt gefühlt. Natürlich hatte ich mir Sorgen gemacht um ihn, er hatte echt krasses Fieber und schien nicht mehr ganz da zu sein. Aber in dem Moment war ich einfach wichtig für ihn gewesen. War es nur Mitleid, das ich ihn so mochte? Wahrscheinlich litt ich einfach an einem Helfersyndrom. Was es nicht besser machte. Er hatte keinen Ton raus gebracht, als ich ging. Hatte mich nicht mal versucht aufzuhalten. Das wirklich traurige daran war ja eigentlich, dass ich mir das schon gedacht hatte. Ennoah hatte mir ja schon oft genug gezeigt, wie wenig ich ihm bedeutete. Allein die Sache mit der Tussi … Nicht mal eine vernünftige Entschuldigung hatte er zustande gebracht. Idiotischerweise hatte ich mich trotzdem über seinen Anruf gefreut. Jetzt war ich deprimiert und ich wünschte mir, ich würde noch kiffen und mich besaufen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, Toby nach Stoff zu fragen. Er hatte bestimmt was in seiner Schublade deponiert. Er hatte immer ein bisschen was zum Rauchen da. Allerdings würde ich mich dann noch schlechter fühlen, wenn ich wieder in alte Muster zurückfiel. Ich war nie Junkie gewesen oder so ein Dreck, aber ich hatte einfach keinen Bock mehr darauf, keine Kontrolle über mich und mein Leben zu haben. Und die Scheiße mit Ennoah würde mich auch nicht dazu bringen, etwas daran zu ändern. Ich seufzte niedergeschlagen und stopfte noch mehr Chips in mich, die mir zu salzig waren. Eigentlich konnte ich Chips auch gar nicht ausstehen. Fett in dünne, überwürzte Scheiben gepresst. Angewidert von dem Gedanken schob ich die Chipstüte zu Toby, der sich eine große Hand daraus nahm. Ich beobachtete, wie er die Chips aß, ohne auch nur hinzusehen. Sein Blick war auf den Fernseher gerichtet. Ich musste an Ennoah denken. Ich hasste dieses Gefühl, sich verlassen und untätig zu fühlen. Hätte ich einen anderen Platz zum Pennen, würde ich wohl versuchen mich an Toby ranzumachen. Einfach aus Frust. Wobei ich wahrscheinlich nicht mal Chancen hatte. Wir kannten uns zwar schon ewig, aber ihm war nicht mal klar, das ich auf Kerle stand. Sonst würde er mich wohl auch nicht in seinem Bett schlafen lassen. Ich konnte mir bei Toby richtig vorstellen, dass er ein bisschen homophob war, sowie die meisten Kerle halt. Mir war es egal. Niemand brauchte zu wissen, dass ich schwul war. Nicht das ich ein Problem mit meiner Sexualität hatte, aber man musste sich auch nicht unnötig Stress machen, oder? Mit dem Sex hatte es auch so geklappt, auch wenn ich zugeben muss, dass Ennoah der einzige war, mit dem ich wirklich … länger zusammen war. Verdammt, wir waren ja nicht mal zusammen, nur Sex und Wundenlecken. Mit Sven und Andreas war ja schon fast mehr emotionale Bindung dagewesen. Die fanden mich zumindest sympathisch. Frustriert griff ich wieder nach der Chipstüte. Scheiß drauf. „Sag mal, der Typ am Telefon ...“, setzte Toby plötzlich zu einem Gespräch an. Ich zuckte erschrocken zusammen. Warum wollte er jetzt gerade darüber reden? „Ja?“, fragte ich trotzdem etwas genervt nach. Vielleicht war ich ihm ja auch so klar, dass er das Thema schnell ändern sollte. „Das ist der, bei dem du wohnst, oder?“ Gewohnt hast, Toby. Vergangenheit. Ich würde mich nicht so sehr erniedrigen und wieder zu ihm zurückkriechen. Dafür war ich mir zu Schade oder zumindest waren mir meine Gefühle zu wichtig, um sie mir nochmal verletzten zu lassen von so einem Idiot wie Ennoah. „Naja, ich werd mir wohl was anderes suchen.“ „Hm, okay. Ich frag nur, weil meine Mutter schon wissen wollte, wie lange du noch bleibst und so.“ Ach, verdammt. Ich hatte gewusst, dass ich nicht ewig bei Toby wohnen konnte, vor allem, weil er noch bei seinen Eltern lebte. Wahrscheinlich musste ich tatsächlich zurück zu meiner Mutter, die würde sich bestimmt freuen, dass das mit Ennoah zu ende war. Spießige Tussi. Ich frage mich ja manchmal, wie eine Mutter wie meine, so eine krass flippige Schwester haben konnte. Okay, meine Tante war zehn Jahre jünger als sie, aber das war nicht alles. Sie war das komplette Gegenteil von meiner Mom. Sie stellte aus Müll Schmuck her, der sich sogar verkaufte, lebte mit einem Mann zusammen und hatte ein Kind, das nicht von ihm war. Ihrer Meinung nach war ein Kind lange noch kein Grund zu heiraten. Recht hatte sie. Meine Mutter hätte auch besser auf sie hören sollen, dann wäre sie jetzt auch nicht so scheiß unglücklich in ihrer beschissenen Spießerehe mit einem Ehegatten, der sie mit jeder betrog, die die Beine für ihn breit machte. Eltern waren doch Arschlöcher. Die ganze Welt bestand doch nur aus Idioten. „Kann ich noch bis zum Wochenende bleiben?“ „Kein Ding. Von mir aus kannst du ruhig ewig hier bleiben. Ich mein nur wegen meiner Mutter und so.“ Naja, Toby war okay. Warum hatte es nicht er sein können, warum Ennoah? Es sprach sovieles gegen dieses langen Lulatsch und soviel für meinen besten Kumpel. Naja, wenn man davon absah, dass wir nie Sex haben könnten. „Schon klar.“ Ich versuchte beruhigend zu lächeln. Er sollte bloß nicht den Eindruck bekommen, ich würde ihn für einen schlechten Freund halten. Ich wusste ihn wirklich zu schätzen, auf Toby konnte man im Notfall immer zählen. Auch wenn er manchmal etwas unbrauchbar war, wenn er mal wieder bekifft rumhing oder Stress mit seinen Freundinnen hatte. Das war aber praktischerweise fast immer zeitgleich und kam nicht super häufig vor. Freunde waren eine super Sache. Beziehungen nicht. Ich wusste, warum ich es bis dahin immer vermeiden hatte. Genau wegen so einem Mist, wie jetzt mit Ennoah. Allerdings hatten wir ja nie so etwas wie eine Beziehung gehabt und das war für mich das Problem. Ennoah zettelte einen Streit mit mir an, wegen diesem bescheuerten Spießer, der aus mir unerfindlichen Gründen sein bester Freund war, und dann holte er sich bei nächstbester Gelegenheit eine Tussi ins Bett, nur um sich danach fast selbst umzubringen aus lauter Selbstmitleid. Und trotzdem konnte er sich rein gar nichts eingestehen, oder gab es da auch einfach nichts? Ihm wäre doch jeder Recht gewesen in diesem Moment, wahrscheinlich sogar die Nachbarin, mit den vielen Kindern. Hauptsache nicht mehr allein, nicht Ennoah? Und für den den Sex brauchte er mich offensichtlich auch nicht. Okay, mir hätte klar sein müssen, dass er nicht plötzlich schwul wird und nie wieder mit einer Frau schlafen will. Sven hatte mir immer erklärt, dass man die Finger von Typen lassen sollte, die bi sind. Da kam nie was gutes dabei raus. Mittlerweile verstand ich ganz genau, was er damit meinte. Warum hatte es eigentlich nicht mit Sven klappen können? Gut, ich hätte vielleicht nicht mit ihm die Aktion zuhause abziehen sollen … Er war ganz schön sauer gewesen, zwar nicht so sehr wie meine Mutter, aber genug. Naja, Sven war Geschichte und mit Ennoah hatte ich definitiv besseren Sex, naja, meistens. Manchmal. Warum zum Henker waren die Chips schon leer? Ich raschelte unglücklich mit der Verpackung und Toby schaute irritiert in meine Richtung. Sein Blick wirkte mitleidig. Wahrscheinlich dachte er, ich hätte Liebeskummer. Warte, er hatte Recht. Ich hatte scheiß verdammt nochmal Liebeskummer, das war so zum Kotzen. Gerade weil Ennoah Schuld daran war. Ich konnte ihn ja nicht mal wirklich gut leiden. Er war mir schon immer viel zu überheblich gewesen. Gut, er konnte ein bisschen zeichnen – naja, ziemlich gut sogar. Aber das war gar kein Grund sich irgend etwas darauf einzubilden. Warum die ganzen Mädchen so auf ihn flogen, hatte ich auch nie ganz verstanden. Was ich von ihm wollte allerdings auch nicht. Aufgefallen war er mir ja mal in der Zehnten im Religionsunterricht. Keine Ahnung mehr, was das Thema der Diskussion war, aber Ennoahs charmanter Beitrag war: „Ist doch egal, was für ein Geschlecht. Ein guter Fick, ist ein guter Fick.“ Okay, ich war mir sicher, dass er keine Ahnung hatte, von was er da sprach, aber irgendwie hatte ich ihn mir wohl doch für möglichen Sex gemerkt. Bei ihm waren die Chancen zumindest größer, als bei allen anderen in der Stufe. Sonderlich viel Interesse hatte ich an ihm trotzdem nicht. Er war immer noch arrogant, überheblich und zwar schon irgendwie scharf, aber Aussehen war nicht alles. Warum hatte ich ihn überhaupt angesprochen? Ach genau, weil er eine eigene Wohnung hatte und ich auf Elend stand. Mein Männergeschmack war wirklich furchtbar … Wetten das hatte ich von meiner Mutter geerbt! Immerhin war sie mit meinem Vater verheiratet. Gott, keine Frau mit normalen Verstand hätte sich so einen Kerl angelacht. Na gut, mein Vater verdiente Schweine viel Geld als Anwalt, aber ansonsten war er einfach ein Arschloch und das nicht erst seit gestern. Meine Eltern hatten sich schon gestritten, da war ich erst im Kindergarten. Ich wusste damals zwar noch nicht, was eine frigide Sumpfkuh war oder ein ignorantes Arschloch, aber dass es nichts gutes war, war mir damals auch schon klar. Ja, wundervolle Familienidylle. Und ich musste mir vorwerfen lassen, dass ich kompliziert und anstrengend war. Kein Wunder bei den Eltern. Bei dem Gedanken wurde ich wieder richtig wütend. Ich hatte Null Bock wieder zu ihnen zu ziehen. Kaputte, kranke Fassade. Bei Ennoah war wenigstens alles ehrlich gewesen. Es war vielleicht nicht immer toll, aber es war zumindest nicht nur Schein. Ich vermisste ihn. Was eigentlich nicht sein sollte. Man durfte einfach niemand vermissen, für den man so wenig wert war. Das nackte Mädchen in seinem Bett. Scheiße verdammt. Er war mir an dem Morgen sowieso komisch vorgekommen. Ich dachte ja, es lag an unserem Streit. Das es sowas war, hätte ich nicht erwartet. Ich fühlte mich so betrogen, um mein Leben mit ihm. Irgendwie hatte ich mir einfach falsche Hoffnungen gemacht, dass uns mehr verband, als nur Sex. Ich weiß, ich bin momentan der einzige Mensch in Ennoahs Leben, der soviel über ihn wusste. Nicht mal sein … bester Freund wusste annährend soviel über ihn, wie ich. Dass er einfach nur einsam ist. Dass er Probleme hat, sein ganz normales Leben in den Griff zu kriegen. Dass er in Eddy so unglücklich verschossen war, wie ein Mensch nur sein konnte. Und dass er seine Mutter dafür hasste, ihn so hängen gelassen zu haben. Das alles wusste ich über ihn, ohne das wir viel darüber gesprochen haben. Was ich für ihn war, hatte ich aber anscheinend nicht gewusst, oder es einfach nicht sehen wollen. „Hey, das wird schon wieder.“ Toby lächelte mich an und klopfte mir kurz auf die Schulter. Ich grinste schief zurück. Vielleicht hatte er ja recht und ich sah die Sache zu verfahren. Im Endeffekt müsste ich nur meinen Stolz über Bord werfen und mich damit zufrieden geben, was mir Ennoah geben wollte. Konnte ich das? Offensichtlich. Ich stand vor seiner angelehnten Wohnungstüre, hörte ungewohnt Musik durch den Gang schallen. Hatte Ennoah sich in den letzten Tagen wirklich so sehr verändert, dass er sogar schon freiwillig Musik anmachte? Ich schob die Türe auf und war fast ein bisschen enttäuscht, als ich nur einen leeren, kahlen Flur sah. Doch nicht so anders, als erwartet? Ich spielte kurz mit den Gedanken, meine Schuhe und meine Jacke auszuziehen. Aber ich war mir nicht sicher, wie lange ich wirklich in der Wohnung bleiben würde. Es hing alles von Ennoah ab. Keine Ahnung, warum ich ihm nochmal eine Chance gab. Vielleicht war ich einfach ein bisschen gerührt davon, dass er mittlerweile wirklich versuchte sein Leben in den Griff zu kriegen. Von sich aus und ohne von anderen zu verlangen, ihn zu retten. Das konnte ich nämlich nicht, das wollte ich auch nicht. Ich wollte ihn, zusammen mit ihm vor dem Fernseher sitzen und dabei unser selbst gemachtes Essen futtern. Vor ihm aufwachen und uns Frühstück machen. Hm … eventuell wollte ich ja gar nicht Ennoah, sondern einfach Essen? Naja, wie auch immer. Ach, wahrscheinlich war ich nur hier, weil er mir eine Abfuhr erteilt hatte. Okay, ich war selbst ein bisschen Schuld daran, weil ich ihn mit Toby eifersüchtig machen wollte. Es ärgerte mich trotzdem irgendwie, dass es nicht funktioniert hatte. Anderseits wollte ich Ennoah, noch mehr als sonst. Wie er vor mir gestanden hatte, diese leichte Unsicherheit in seiner Stimme und dann dieses Grinsen. Trotzdem, verkackte er das hier und jetzt, war es das mit uns gewesen. Aus dem Grund war ich auch irgendwie nervös, als ich schließlich die Türklinke zu meinem alten Zimmer ergriff und in dem ich Ennoah vermutete. Was war, wenn er es wirklich nicht schaffte mir das zu geben, was ich wollte? Konnte ich ihn wirklich aufgeben? Oder würde ich ihm auch diesmal wieder verzeihen? Wo würde ich bei Ennoah die Grenze ziehen? Wie viel ihm durchgehen lassen? Egal, nur darüber nachdenken brachte mich nicht weiter. Ich atemte noch einmal tief durch und öffnete schließlich die Tür. Und da stand er. Er sah so absolut hinreißend aus, voll mit Farbe beschmiert und wie er mich völlig überrumpelt anstarrte. Ich war ihm ja so dermaßen verfallen … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)