Nullpunkt von Memphis ================================================================================ Kapitel 11: Im Unglück finden wir meistens die Ruhe wieder, die uns durch die Furcht vor dem Unglück geraubt wurde. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Nicht, dass ich es Nico jemals sagen würde, aber langsam hatte ich angefangen an seiner Gesellschaft Gefallen zu finden. Er war unkompliziert und ehrlich, machte sich nicht die Mühe besorgt um mich zu sein und interessierte sich auch sonst nicht wirklich für mich und er konnte gut kochen. Er war die letzten zwei Wochen eigentlich jeden Tag hier gewesen, meistens hatten wir irgendwann Sex und lagen dann untätig rum. Manchmal kauften wir gemeinsam ein und ab und zu machte er etwas für die Schule und ich zeichnete. Unsere Gespräche beschränkten sich meistens auf ein paar Gemeinheiten und das absolut Nötige. Ich hatte ehrlich gesagt das Gefühl, dass es Nico nicht nur um den Sex ging, sondern einfach darum nicht zuhause zu sein. Wir sprachen nicht über sowas, aber ihr rief nie daheim an, wenn er spontan entschloss über Nacht zu bleiben. Wenn er gut drauf war, erzählte er mir irgendwelchen Anekdoten aus seinem Leben, während ich an meiner Mappe arbeitet. Niemals auch nur ein Wort über seine Eltern und ich würde einen Dreck tun und ihn danach fragen. Dafür wollte er auch nie wissen, wer die alte Frau auf dem einzigen Foto war, das es hier in der Wohnung gab. Oder warum ich in meiner Schublade mit Schreibzeug hundertfünfzig Dollar rumliegen hatte. Ich war ehrlich gesagt ziemlich überrascht gewesen, als er das Geld gefunden hatte. Ich schaute in die Schublade selten rein, da dort nur ein Tacker und fast leere Stifte lagen. Das würde allerdings erklären, warum letzten Monat meine Kohle so knapp gewesen war. Hätte mir ein ärgerliches Gespräch erspart. Es war angenehm jemand da zu haben ohne einem das ganze Seelenleben hinkotzen zu müssen. Wir wussten auch so, dass in unseren Leben nicht alles glatt lief. Nico war hier in meiner Wohnung anders, als ich ihn in der Schule erlebte. Es war jetzt nicht so, dass er zwei komplett verschiedene Persönlichkeiten hatte. Aber er war in mancher Hinsicht wie ich. Es gab Probleme, die gingen niemand etwas an und es gab Seiten an seinem Charakter von denen niemand etwas wissen musste. Und ich meinte damit nicht nur, dass er schwul war. Manchmal hatte ich das Gefühl, als würde er sich gerne an dem Unglück anderer weiden. Ich schien ihn regelrecht magisch anzuziehen, wenn ich gerade in einer dumpfen Brühe aus Selbstmitleid hing, was trotz Nico oft genug vorkam und er hatte in keinsterweise im Sinn mich aufzuheitern, wenn er über mich herfiel. Er hatte dann einfach Bock. Aber das war in Ordnung, in dieser Hinsicht harmonierten wir ganz gut. Es gab auch stille Momenten zwischen uns, da war uns beiden klar, dass wir einfach nur irgendwie kaputt waren im Vergleich zu den meisten anderen Menschen. Wahrscheinlich war das der Hauptgrund, warum wir überhaupt erst zusammen in meiner Wohnung saßen. Aber darüber sprachen wir nicht. „Hey, Nico am Apparat“, hörte ich Nico aus dem Flur. Ich stand gerade unter der Dusche, als das Telefon klingelte. Nico, der sich hier mittlerweile wohl sehr heimisch fühlte, war offensichtlich ran gegangen, bevor ich überhaupt groß reagieren konnte. „Der duscht gerade.“ Ah, es wurde über mich gesprochen. Ich stieg aus der Dusche und trocknete mich hastig ab, da ich keine Ahnung hatte, mit wem er da gerade redete und ich hoffte einfach nur, dass es nicht Eddy war oder meine Mutter. „Ein Freund von ihm. - Nein, nein, wir kennen uns erst seit kurzem.“ Nico klang höflich und zuvorkommend, was schonmal soviel klar machte, das definitiv nicht Eddy am Telefon war. Ich wickelte mir ein Handtuch um die Hüften, verließ das Bad und nahm ihm den Hörer ab, bevor er noch mehr über sich erzählte. „Deine Mutter“, flüsterte er mir noch kurz zu, bevor ich den Hörer ganz in der Hand hatte. Ich seufzte nur und war froh, dass Nico soviel Anstand besaß sich in mein Zimmer zu vergrümmeln. „Hey?“, meldete ich mich und ich merkte jetzt schon, dass ich keinen Bock hatte, mit meiner Mutter zu sprechen. „Ennoah?“ Ich unterdrückte es, meine Mutter zu fragen, ob sie noch mehr Söhne in Deutschland hatte, die sie zurück gelassen hatte. Das wäre zu kindisch gewesen. „Und hast du mit Derrick geredet wegen dem Geld?“ Deswegen hatte sie vermutlich angerufen. Sonst meldete sie sich selten von sich aus. Ich hoffte nur, sie würde mir jetzt nicht sagen, dass es mit dem Geld nicht klappte. Sonst hätte ich wirklich ein kleines Problemchen. „Derrick möchte gerne wissen, wofür du das Geld brauchst“, wurde mir mitgeteilt. So, wollte er das? Hatte er etwa Angst, ich würde mich hier von dem Geld Drogen kaufen und mich jeden Tag weghauen. Sie konnten eigentlich wirklich froh sein, dass ich das nie als Alternative zu meinen derzeitigen Tiefs gesehen hatte. „Warum will er das?“, fragte ich. Eigentlich war ich nicht gewillt ihnen eine Auflistung meiner Ausgaben zu geben. Sonst interessierten sie sich doch auch nicht für mein Leben. „Nun, du weißt schon....“, druckste sie rum. Wusste ich das? „Ich kauf mir Nutten und Koks.“ Offensichtlich wollten sie doch genau das hören, oder? Verdammt, was dachten die sich eigentlich? Ich bettelte sie nicht aus Spass um Geld an und mich kotzte das vermutlich noch mehr an, als sie, die sich wenigstens wie die großen Gönner fühlen konnten. „Ennoah!“, empörte sie sich. Ich verdrehte nur die Augen. Im prüden Amerika dürfte man vermutlich so Wörter wie Nutte gar nicht denken, geschweige denn aussprechen. Tz. „Mensch, was glaubst du, wofür ich das wohl brauche? Ich muss essen und ich brauch auch Kohle für meine Mappe, das Material ist jetzt nicht gerade billig, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr wollte, dass ich nackt rumlaufen muss, oder?“ Ich hörte sie an der anderen Leitung seufzen. Ja, sie war schon sehr geplagt mit so einem schrecklichen Sohn wie mir, die arme Frau... „Ich werde es Derrick sagen.“ Sie klang müde bei dem Satz, als hätte sie keine Lust mit ihrem Mann über ihren missratenen Sohn in Deutschland zu diskutieren. Tja, Pech gehabt. Sowas kommt davon, wenn man sich mit sechszehn einfach von irgendeinen Typen schwängern ließ. „Und schick mir keine Dollarscheine!“ Vielleicht würde sie ja diesesmal auf meinen Wunsch hören, aber ich hatte so den Verdacht, dass ich lange davon träumen konnte. „Sarah hatte übrigens vor drei Tagen Geburtstag, sie ist jetzt acht.“ Sie schien mir gar nicht zu zuhören und wie kam sie auf den Gedanken, dass ich das wissen wollte? An meinem Geburtstag hatte meine Mutter nicht mal angerufen. „Und weißt du, wie alt ich bin?“, fragte ich sie zurück und fühlte mich plötzlich kindisch. Es war doch egal, ob sie wusste, wie alt ich mittlerweile war. Ich brauchte keine Aufmerksamkeit von ihr, von ihr am allerwenigsten. „Ennoah, du wirst unfair“, sie klang tadelnd. Ich schnaubte nur verächtlich. Was wusste sie schon von unfair? Sie hatte doch keine Ahnung... „Ich hab einen Freund da, ich mach jetzt Schluss.“ Ich hatte wirklich keinen Bock mehr auf das Gespräch. Immer wenn ich mit meiner Mutter sprach, verspürte ich das Gefühl, etwas zerschlagen zu wollen. Es war einfach nur frustrierend und immer dachte ich mir, dass war die Frau, die lieber eine Familie ohne dich hatte. Ich war kein Kind mehr, ganz bestimmt nicht, und ich war mittlerweile wirklich alt genug, um auch ohne meine Mami klar zu kommen. Aber das war ich mit vier nicht gewesen, auch nicht mit fünf, sechs oder sieben... Wie konnte man sein eigenes Kind einfach im Stich lassen? War ich wirklich so schrecklich gewesen? „Bye, Ennoah.“ Ich legte auf ohne mich zu verabschieden. Ein leichter Kopfschmerz pochte hinter meiner Stirn und ich merkte, wie meine Hand leicht zitterte. Ich schüttelte leicht den Kopf, in der Hoffnung, dass davon irgendwas besser wurde. Der Geräusch des Fernsehers drang an meine Ohren und ich erinnerte mich daran, dass Nico noch hier war. Nico, der darauf stand, wenn ich schlecht drauf war und den ich jetzt flach legen würde. Einfach weil ich keine Lust hatte mir um etwas Gedanken zu machen. Wir lagen zusammen auf meinem Bett, er hatte die Augen geschlossen, aber schlief nicht. Ich hatte immer noch leichte Kopfschmerzen, aber wollte immerhin nichts mehr an die Wand schmeißen. Also wenigstens gab es in dieser Hinsicht einen Fortschritt. Ich betrachtete Nicos nackten Körper, der meinen nicht berührte. An seinem Oberarm sah ich noch leicht meine Handabdrücke, wo ich ihn gepackt hatte. Nico war es egal, wenn ich manchmal etwas grober war, dafür akzeptierte ich es, wenn er mich biss. Mein Hals und Oberkörper sah relativ zerschunden aus. Aber Philipp und Jonas hatten ja die Vermutung aufgestellt, ich hätte mir eine Affäre angeschafft mit einer heißen, verheirateten Frau, die auf harten Sex stand und Robert dachte wohl, dass ich endlich eine feste Freundin hatte, die einem gerne Knutschflecken verpasste. Nico vertrat in der Schule der Meinung, dass ich meinen Staubsauger sehr gerne mochte. Arschloch. Ich war doch kein vierzehnjähriges Mädchen, dass sich mit dem Teil Knutschflecken verpasste, um behaupten zu können, sie hätte einen Freund. Er konnte nur froh sein, dass ich nicht auf diese ganzen Knutschflecken-Markierungs-Scheiße stand, sonst hätte ich ihm einen auf der Stirn verpasst. Dann wüsste er mal, wie lästig es war, ständig danach gefragt zu werden. Ich hatte auch am Anfang versucht ihn davon abzuhalten, mir andauerend in den Hals zu beißen. Aber spätestens, wenn wir zu Gange waren, vergaß er das und ich war dann meistens auch nicht mehr so recht da, um ihn daran zu hindern. Also musste ich mich wohl damit abfinden, dass es aussah, als hätte ich einen tollwütigen Vamp als Freundin. Solang niemand dachte, ich würde den Schulsprecher nageln war alles okay. Nicht, dass ich ein großes Problem damit hatte, dass ich Sex mit einem Kerl hatte. Aber mein Privatleben ging einfach niemand etwas an und da ich mit Nico auch nicht zusammen war und auch nie sein werde, wollte ich nichts, was auch nur im Ansatz nach einer offizielle Beziehung aussah. Ich wusste, dass es Nico genauso ging. Wir waren beide nichts für eine feste Bindung. Das würde dann bedeuten man hatte irgendwelche Verpflichtungen, man müsste aufeinander Rücksicht nehmen, Verständnis haben und vermutlich sollte man sich auch über den Sex hinaus mögen. Wir beide konnten uns gerade mal so ertragen, aber auch nur, wenn wir uns mit anderen Dingen beschäftigten. Ich starrte Nicos Körper immer noch an und er schien meinen Blick bemerkt zu haben, zumindest öffnete er seine Augen einen Spalt breit und schaute mich relaxt an. „Ich dachte, deine Mutter ist tot.“ „Halt die Klappe.“ Er schloss wieder seine Augen, als hätte er nichts gesagt und wir blieben beide schweigend auf meinem Bett liegen. Ich starrte aus dem Fenster und lauschte seinen gleichmäßigen Atemzügen. Von unten hörte ich eines der Kinder von Frau Kammerer schreien und irgendwo im Haus gegenüber hatte jemand seine miserable Musik zu laut aufgedreht, so dass man sie hier leise hören konnte. In diesem Moment empfand ich mein Leben als weiß. Ich konnte es nicht anders beschreiben, es fühlte sich so an, wie ich mir die Farbe weiß als Gefühl vorstellte. Manchmal fühlte man sich gelb, rot, schwarz, selten mal braun und viel zu oft grau. Aber im Moment war es schlichtes Weiß. Mit diesem Gedanken fielen mir auch die Augen zu und mit dem Rücken zu Nico gewandt, schlief ich ein. Zu sagen, Nicos Anwesenheit wäre schleichend gewesen, wäre falsch formuliert, da er plötzlich von heute auf morgen immer präsent gewesen war. Allerdings schien sich sein Leben langsam bei mir eingeschlichen zu haben. Ich fand T-Shirts von ihm in meinem Wäschekorb. Plötzlich stand eine Tasse im Schrank, die definitiv von ihm war. In der Küche waren auch nach und nach mehr nützliche Utensilien aufgetaucht, die ich bestimmt nicht gekauft hatte. Die Zahnbürste im Zahnputzbecher hatte schon nach drei Tagen ihren Platz bei mir gefunden und in der Dusche stand ein Duschgel, das ich mir nicht leisten konnte. Ich wusste, dass alles so verdammt nach Beziehung aussah, dass es lächerlich klang, wenn ich sagte, Nico und ich waren Fuck-Buddies. Das dieser ganze Kram von ihm hier war, hatte eigentlich einen simplen Grund, wenn man die ganze Woche jeden Tag bei jemand verbrachte, fing man einfach an, Sachen mitzubringen, weil man sie brauchte. Man könnte fast sagen, Nico wohnte mittlerweile bei mir und er würde nur pro forma jeden zweiten Tag bei sich zuhause schlafen. Es störte mich nicht, wenn er hier war und wenn ich ehrlich war, war es anstrengender für mich, wenn ich nachts im Dunkeln in meinem Bett lag und neben mir niemand war, der leise schnarchte. Dann vermisste ich sogar dein leichten Tabakgeruch, den Nico verströmte. Mir ging es um unverbindliche Nähe und ihm um Eigenständigkeit. Es war schwierig so etwas jemand zu erklären, der das nicht kannte. Aber bei Nico und mir ging es nicht um uns, sondern nur von den Möglichkeiten, die wir füreinander boten. Wenn es nicht Nico gewesen wäre, wäre es vielleicht die Blondine, an deren Namen ich mich nicht mal mehr erinnern konnte. Das war wirklich nicht weiter wichtig. Mittlerweile ging das mit mir und Nico so um die drei Wochen. Genauso lange, wie Eddy mich ignorierte. Ich hatte nicht mehr versucht mich bei ihm zu melden. Es brachte ja auch nichts, wenn er mir einfach nicht zuhören wollte. Es war frustrierend, irgendwie auch verletzend und ich hatte einfach den Mut und die Energie, mich weiterhin ständig bei ihm zu melden. Es gab einfach Grenzen, wie viel ich aushalten konnte und ich wusste nicht, was ich tun würde, wenn er mich wieder ablehnen würde. Ich hoffte einfach, dass er sich von alleine wieder melden würde. Was anderes blieb mir ja auch nicht übrig. Ich vermisste ihn und Nico war in keiner Form ein Ersatz für ihn. Manchmal, wenn Nico mich umarmte, bildete ich mir ein, es wäre Eddy. Ich wusste nicht woran es lag, aber wenn ich spürte, wie sich Arme um mich schlangen und festhielten, musste ich immer an ihn denken. Aber das war meine Sache, es musste niemand davon wissen und es würde niemand was davon erfahren. Ich schreckte auf, als sich Nico neben mir rührte. Er schaute mich aus verpennten Augen an, starrte dann mit zusammen gekniffen Augen zu meinem Wecker, stöhnte und drehte sich einfach wieder weg, um weiter zu schlafen. Wir hatten heute Samstag und die Möglichkeit endlich mal auszuschlafen. Ehrlich gesagt, waren wir erst ziemlich spät überhaupt zum Schlafen gekommen und ich konnte Nicos Reaktion durchaus nachvollziehen. Ich hatte allerdings schon zwei Tassen Kaffee getrunken und an meiner Mappe gearbeitet. Mittlerweile hatte ich ein paar Aktzeichnungen von Nico, die ganz passabel aussahen, einige Portraitstudien von mir, wie ich depressiv schaute, drei Skizzenbücher voll mit kleinen Dingen, die mit P begannen oder auch mit anderen Buchstaben, aber ein Skizzenbuch wurde definitiv von Pilzen und Pinguinen dominiert. Wenigstens dieser Teil in meinem Leben machte Fortschritte. Nächste Woche wollte ich Donnerstags blau machen und zu einer Mappenberatung fahren, um endlich mal anständiges Feedback zu bekommen. Eigentlich hatte ich schon in den Osterferien geplant, auf eine Mappenansicht zu gehen, aber ich musste ehrlich sagen, wenn die eigene Großmutter zwei Wochen vorher gestorben war, hatte man wenig Motivation überhaupt das Haus zu verlassen, geschweige denn drei Stunden mit dem Zug quer durch Deutschland zu fahren. Und letzten Monat war es einfach ein finanzieller Aspekt gewesen, die lange Fahrt nicht auf mich zu nehmen. Aber dadurch, dass ich die 150 Dollar gefunden hatte, beziehungsweise Nico, sie gefunden hatte, hatte ich keine Ausreden mehr, nicht auf eine Mappenberatung zu gehen. Bis nächste Woche wollte ich noch ein paar Fotos machen, ich war mir noch nicht so ganz einig über das Motiv. Mir würde schon was einfallen, hoffte ich. Da meine Kaffeetasse schon wieder leer war, erhob ich mich aus dem Bett und ging in die Küche. Während neuer Kaffee kochte, schaute ich mich in der Küche um, die jetzt irgendwie anders aussah, seit Nico hier war. Sie roch auch nicht mehr nach vergammelten Zwiebeln, sondern nach Tabak. Da Nico meistens rauchte, während er kochte. Er hielt sich wie ich, eigentlich nur in Küche, Bad und meinem Schlafzimmer auf. Anscheinend hatte er verstanden, dass die anderen Zimmer Sperrzone waren. Da er nicht in meinem Zimmer rauchen dürfte, war er mittlerweile auf die Küche ausgewichen. Aber wenn man von den unangenehmen Tabakgeruch absah, war die Küche um einiges sauberer. Es stapelten sich keine Geschirrberge mehr auf der Spülmaschine und bis auf eine dreckige Tasse von gestern Abend und ein einem verdammt scharf aussehenden Messer neben der Spüle, gab es kein dreckiges Geschirr. Es sah wirklich so aus, als würde sich wieder jemand darum kümmern, in welchem Zustand die Räume waren. Vermutlich wäre auch der Spiegel im Badezimmer geputzt, wenn ich nachschauen würde. Die Zigarettenschachtel und der Aschenbecher, die am Fensterbrett lagen, das Geschirrtuch, dass achtlos auf die Anrichte geschmissen wurden, alles sorgte dafür, dass es hier wieder so aussah, als wäre es hier bewohnt. Man fühlte sich hier nicht mehr so verloren und die Uhr hörte auf mir Vorwürfe zu machen, deswegen war es okay, dass Nico so oft hier war. Ich brauchte niemand zum Reden und mir wäre es vermutlich auch relativ egal, ob wir Sex hatten oder nicht, aber ich brauchte einfach jemand, der diese Wohnung am Leben erhielt. Und Nico schien seinen Spass daran zu haben, nicht bei seinen Eltern sein zu müssen. Er war auch kein geborener Hausmann, wäsche Waschen und Klo putzen fand er wohl genauso Scheiße wie ich. Aber alles was in der Küche anfiel, schien er gerne zu machen und so Kleinigkeiten wie das Waschbecken und den Spiegel putzen war wohl etwas, dass er irgendwie nebenher machte. Keine Ahnung. Ich sah ihn nie direkt sauber machen hier. Das hätte mich auch schlicht und ergreifend wahnsinnig gemacht. Ich hasste es, anderen Leuten beim Arbeiten zu sehen zu müssen, wenn ich selber nichts machen wollte. Dann kam ich mir faul und unnütz vor, wenn das in meiner eigenen Wohnung passierte, empfand ich es als besonders schlimm. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, die dreckige Tasse auszuspülen, einfach damit ich etwas gemacht hatte, außerdem war es meine Tasse gewesen. Allerdings hatte ich keine Lust. Ich schüttete mir wieder meine Unmengen an Zucker in den Kaffee und ging zurück in mein Zimmer. Mittlerweile hatte es Nico sogar geschafft, sich verschlafen aufzusetzen. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand und hatte eine Kippe im Mund, die er noch nicht angezündet hatte. War seine Zigarettenschachtel eigentlich nicht in der Küche? Allerdings bemerkte ich eine weitere Packung auf dem Nachttisch und ich fragte mich, was die in meinem Zimmer machte. Immerhin hatte er hier Rauchverbot. „Nico, raus mit der Fluppe!“ „Mann, mach nicht so einen Stress, die ist doch noch gar nicht an.“ Er nahm sie aber wieder aus dem Mundwinkel und legte sie auf die Schachtel. Anscheinend wollte er das Bett noch nicht verlassen. Allerdings hatte er sich meinen Zeichenblock gegriffen, der noch auf meiner Seite des Bettes gelegen hatte und blätterte ihn interessiert durch. „Nichts gegen dich, aber wenn du solche Bilder in die Mappe tust, halten dich doch alle für schwul.“ Er hob mir eine Zeichnung von sich entgegen, auf dem er schlafend zusehen war und ich fand, Nico sah auf meinem Bild irgendwie schöner aus, als er tatsächlich war. Allerdings würde man bei solchen Motiven eigentlich eher ein Mädchen erwarten, die Geliebte oder so. Ich zuckte aber mit den Schultern. „Ich denke, denen ist scheißegal, wen oder was ich vögle, solange es gut gezeichnet ist.“ Nico lachte, offensichtlich gefiel ihm meine Antwort. Er blätterte weiter meinen Skizzenblock durch und ich setzte mich neben ihn. Bei einer Aktzeichnung von sich blieb er hängen. „Kommt das auch in deine Mappe?“ Man konnte nicht sagen, dass er irgendwelche gravierenden Komplexe hatte, was seinen Körper anging. Sonst hätte er wohl nicht diese Zeichnungen von sich machen lassen. Aber es war wohl nochmal eine andere Sache, wenn sowas in einer Mappe landete, die irgendwelchen Fremden durchschauten. „Dafür hab ich es gemacht“, erklärte ich ihm allerdings. Ich brauchte keine Aktzeichnungen von ihm, wenn es nicht für die Mappe wäre. Zu dem hatte ich ihm das von Anfang angesagt. „Schade, sonst hätte ich mir das aufgehängt. Ich muss sagen, ich seh verdammt scharf aus.“ Uff, Nicos Ego war sogar noch größer, als erwartet. Wahrscheinlich war er nur schwul, damit er sich selbst geil finden konnte, oder so. „Du kannst es haben, wenn ich die Mappe wieder zurück kriege.“ Ja, ich war heute mal großzügig und eine Zeichnung konnte ich so im Nachhinein doch entbehren. „Cool.“ Damit war das Thema erledigt und er legte den Block beiseite, um mich für einen Kuss zu sich zu ziehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)