Shattered- Take me home to my heart von -Syu- ================================================================================ Kapitel 2: Chapter II --------------------- Chapter II Aoi’s POV Sein Herzschlag setzte für einen winzigen Augenblick aus. Den Lehrer, der auf ihn einredete, nahm er nur am Rande wahr. Unwillkürlich strichen seine Finger über seine Nase, die am Nasenrücken eine hässlich blaue Verfärbung hatte. Im ersten Moment hatte er sich gefragt, ob der Junge in der letzten Bank wirklich der war, für den er ihn hielt. Aber als sich ihre Blicke kreuzten, war er sich sicher. Niemals wieder würde er diesen besonderen Gesichtsausdruck vergessen. Ob er nun wollte, oder nicht. Der Andere war groß und sehr schlank, um nicht zu sagen mager. Sein Gesichtsausdruck war ernst, und auf eine verwirrende Art intelligent und verschlossen, und in seinen Augen lag etwas, das er jetzt noch nicht deuten konnte. In diesem Augenblick waren sie allerdings starr vor Entsetzen und Angst? Vielleicht auch nur eine Fassade, wer wusste das schon. Aber dieser Blick… Aoi konnte dem Unbekannten, der in der letzten Reihe saß nicht böse sein. Egal was er getan hatte. Es war nicht richtig gewesen, das konnte niemand bestreiten. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, den Lehrer gegenüber eine Bemerkung diesbezüglich fallen zu lassen und einen Moment lang spielte er sogar mit dem Gedanken, dies tatsächlich zu tun. Verdient hatte der Andere es ohne Zweifel. Und dennoch… „Shiroyama! Aufpassen!“ Erschrocken fuhr er aus seinen Gedanken hoch und sah den Lehrer peinlich berührt an. „Es tut mir aufrichtig Leid, Yamada- sensei. Ich war nicht ganz bei mir.“ Entschuldigte er sich zerknirscht, während seine Wangen zu brennen begannen. Im Klassenzimmer erhob sich unterdrücktes Kichern und Raunen. „Ruhe!“ Auf der Stirn des Lehrers hatte sich eine steile Falte des Zorns gebildet. „Sie können sich jetzt zu Ihrem Platz begeben. Dort hinten, neben Takashima- kun.“, mit dieser schroffen Anweisung entließ er ihn. Mit gesenktem Kopf, und peinlich darauf berührt niemanden anzusehen, wanderte er durch den Gang nach hinten. Immerhin kannte er jetzt schon den Namen seines Sitznachbarn. Takashima. Klang eigentlich ganz unschuldig. Überhaupt nicht nach einem Jungen, der gerne Aufsehen erweckte. Warum machte er sich eigentlich überhaupt Gedanken um diesen Takashima? Es interessierte ihn nicht und eigentlich ging es ihn auch gar nichts an. Er würde dieses Jahr neben ihm sitzen, nicht mehr und nicht weniger. Vermutlich würden sie kein einziges Wort miteinander wechseln, aber das war auch nicht weiter tragisch. Er hatte schon genug mit sich selbst zu tun, da brauchte er sich nicht auch noch um einen brutalen Problem- Teenie zu kümmern. Punkt. Schweigend stellte er seine Tasche neben der Bank ab und ließ sich auf den Stuhl neben Takashima gleiten, wobei er ein leichtes Nicken andeutete, es aber vermied, auch nur in die Richtung des Blonden zu sehen. Daher konnte er auch nicht sehen, ob dieser seinen Gruß erwiderte. Wie zum Schutz ließ er seine glatten, schwarzen Haare wie einen Vorhang über sein linkes Auge fallen. Wenn er jetzt die Lider ein wenig senkte, konnte er seinen Sitznachbarn unauffällig beobachten. Dieser war von ihm abgerutscht und saß nun angespannt auf der Stuhlkante, eine Hand hatte sich in seinem Schoß zur Faust geballt, er biss sich nervös auf die Unterlippe. Er konnte nicht sagen, warum, aber seltsamerweise tat ihm dieser Anblick leid. Er hatte gern gewusst, was den Anderen so sehr beschäftigte. Irgendetwas, war tief in seinem Inneren versteckt. In diesem Moment drehte Takashima den Kopf, sodass Aoi rasch den Blick senkte, und sich wieder seiner Matheaufgabe widmete. Die restliche Schulstunde verstrich quälend langsam und gerade als Aoi sich zu fragen begann, ob das Schicksal ihm seit dem vergangenen Tag einen dummen Streich spielen wollte, klingelte es endlich zur Mittagspause. Erleichtert packte er seine Sachen zusammen und beeilte sich, um in die Mensa zu gelangen, bevor sich eine riesige Warteschlange gebildet hatte. Da wurde er an der Schulter zurückgehalten. Nicht grob, aber gerade fest genug, dass er stehen bleiben und sich umdrehen musste. Takashima- san stand direkt vor ihm, sein Gesicht nur wenige Handbreit von seinem eigenen entfernt. Seine schmale Hand ruhte sanft auf seiner rechten Schulter. „Danke.“ Flüsterte er und senkte leicht den Kopf. „Danke, dass du mich nicht verraten hast.“ „Schon okay.“, erwiderte Aoi verlegen. „Ist es nicht.“, murmelte der Blonde und wich seinem Blick aus. „Ich…“ „Ist egal. Geh mir am Besten einfach aus dem Weg.“ Verwirrt runzelte der Kleinere die Stirn, blieb sich aber einer Antwort erspart, als der Blonde sich mit leichtem Druck seiner Finger auf seine Schulter abwandte und den verlassenen Gang entlang eilte. „Hey!“, rief Aoi ihm nach. „Du hast mir deinen Namen nicht verraten!“ „Mein Name ist Kouyou“, entgegnete der Andere ohne sich dabei noch einmal umzudrehen, „aber meine Freunde nennen mich Uruha.“ Und weg war er. Uruha. Komischer Name, aber passend für einen komischen Typen. Die einzige Erkenntnis, zu der er jetzt kommen würde, war die, dass die Schlange beim Mittagessen riesig sein würde. Wunderbar. Es war bereits nach sieben Uhr, als er die Tür zur Wohnung seiner Eltern aufschloss und ächzend seine Schultasche in die Ecke pfefferte. „Yuu!“ kam es tadelnd aus dem Wohnzimmer „Hast du schon wieder deine Tasche im Flur abgestellt? Du weißt doch, dass dein Vater böse wird, wenn er nach Hause kommt, und das sieht!“ Genervt verdrehte Aoi die Augen und zog sich Jacke und Schuhe aus. Auf dem Weg ins Wohnzimmer legte er seine Schultasche neben seiner Zimmertür ab. „Hallo Mama.“ Begrüßte er die elegante Frau, die dort auf dem hellen Ledersofa saß, mit einem müden Lächeln. „Yuu mein Liebling, wie war dein erster Schultag? Sind deine Mitschüler nett? Hast du ein paar hübsche Mädchen in deiner Klasse?“ „Mama, ich bin müde. Ich hoffe du bist mir nicht böse, wenn ich heute Abend auf meinem Zimmer bleib.“ Unterbrach Aoi ihren Redefluss und schlenderte in die Küche. „Aber hast du denn überhaupt keinen Hunger?“ „Nein danke, ich nehm mir `ne Packung Sushi mit in mein Zimmer.“ „Bist du sicher? Fühlst du dich nicht wohl?“ „Danke Mama, alles bestens!“, rief Aoi noch und schloss dann schnellstmöglich seine Zimmertür, um den Fragen seiner Mutter zu entkommen. Seufzend ließ er sich auf sein Bett fallen und zog die Knie an. Während er sich ab und an sein Essen in den Mund schob, grübelte er über sein Leben nach. Es war der festen Überzeugung, dass es das Schicksal überhaupt nicht gut mit ihm gemeint hatte. Gut, er hatte eine große Wohnung, wohlhabende Eltern, ein großes, eigenes Zimmer und fuhr mindestens zwei Mal im Jahr in den Urlaub aufs Land. Dafür würde er niemals richtig frei sein. In etwa einer Stunde würde sein Vater von der Arbeit in seiner Anwaltskanzlei nach Hause kommen und dann würde das geschehen, was beinahe jeden Abend geschah: Der Vater würde sich zu ihm in sein Zimmer setzen und ihm unangenehme Fragen über den vergangenen Schultag stellen. Anschließend würde er Aoi’s Englischbuch zur Hand nehmen und ihn Vokabeln ausfragen, da Englisch in seinen Augen eine wichtige Vorraussetzung für die spätere Karriere seines Sohnes war. Wie immer würde er mehr als unzufrieden mit dem Ergebnis sein und Aoi, wie fast immer, mit Strafe drohen, sollte er sich nicht verbessern. Zu guter Letzt würde er ihn noch wegen seinem Aussehen tadeln, aber in diesem Punkt hatte er gelernt, seinen Vater zu ignorieren, so sehr er sein Lippen- Piercing und seine verwegene Frisur auch missbilligte. Nachdenklich zupfte er an seiner Unterlippe herum und ertappte sich dabei, dass er schon wieder an seinen Banknachbarn dachte.. Vielleicht hatte Uruha ja auch einen Vater, der ihn ungerecht behandelte oder sehr streng war. Oder womöglich stand er unter noch größerem Leistungsdruck als er selbst? Auf der anderen Seite: Vielleicht irrte er sich auch in dem Blonden. Was wusste er schon über ihn, außer seinen Namen? Und das, was er in seinen Augen gesehen zu haben glaubte, gab ihm nicht Gewissheit, ob er mit seiner Vermutung richtig lag. Tatsache war allerdings, dass irgendwas an diesem Jungen ihn davon abgehalten hatte, dem Lehrer die Geschichte zu erzählen. Vielleicht, weil er sonst sofort wieder der Streber für alle gewesen wäre. Der, mit dem niemand etwas zu tun haben will, nur weil er einflussreiche Eltern hat. Diese Erfahrung hatte er an seiner alten Schule in Mie gemacht. Dort hatten sie ihn verachtet, ohne ihn überhaupt richtig gekannt zu haben. Vielleicht fühlte er sich deshalb so zu Uruha hingezogen. Eigentlich konnten sie Beide nicht unterschiedlicher sein und trotzdem waren sie Beide kein Teil ihrer Klassengemeinschaft. Einzelkämpfer, würde sein Vater es nennen. Einzelkämpfer waren ebenfalls schlecht für die Karriere, oder? Ach, was interessierte ihn sein Vater? Irgendwann musste er ihm ohnehin gestehen, dass er nicht vorhatte, die Anwaltskanzlei zu übernehmen, so sehr sein Vater das auch wünschte. Es war immer noch sein Leben. Er seufzte geschlagen und versuchte vergeblich, das Thema aus seinem Kopf zu verdrängen. Schließlich gab er auf und stand auf. Die dunklen Holzdielen knarzten leise, als er sein Zimmer durchquerte und sich an seinem Schreibtisch niederließ. Während er ungeduldig darauf wartete, dass sein Laptop hochfuhr, fiel ihm ein zusammengefalteter Zettel ins Auge, der auf seinem Schreibtisch lag. Zögernd griff er danach und entfaltete ihn: Projekt Schulband Unsere Schule bietet in diesem Schuljahr nach vielen Jahren erneut die Möglichkeit, eine Schulband zu gründen. Gesucht werden drei bis sechs MitgliederInnen. Proberäume und eventuell Instrumente werden von der Schule zur Verfügung gestellt. Bewerbung an Saito- sensei Gezeichnet, die Schulleitung Unwillkürlich schweifte sein Blick nach rechts ab und streifte seine Gitarre, die dort auf seinem Sofa lag. Vielleicht wäre das eine Chance, ein paar Leute kennen zu lernen, die die selben Interessen wie er teilten. Er lebte für die Musik, warum also nicht Teil einer Schulband werden? Sein Notebook hatte sich glücklicherweise endlich dazu bequemt, ihn ins Internet zu lassen. Nachdem er etliche Popups geschlossen hatte, rief er seine Lieblingsssuchmaschine auf. Seine Finger schwebten einen Augenblick reglos über der Tastatur, dann tippten sie wie von selbst den Namen „Takashima Kouyou“ in das Suchfeld. Wie erwartet, ergab die Suche nach dieser Person null Treffer, dafür gab es ungefähr 30 Millionen Leute, die entweder Takashima, oder Kouyou hießen. Resigniert seufzend kehrte er auf die Startseite zurück und klickte unschlüssig auf dem Desktop herum. Hatte er ernsthaft gedacht, er würde Uruha im Internet finden? Er lachte leise, amüsiert über sich selbst. Anstatt den Anderen einfach in Ruhe zu lassen, verschwendete er einen Großteil seiner Gedanken an ihn. Jeder vernünftige Mensch wäre böse auf Kouyou. Immerhin hatte er ihm den Geldbeutel gestohlen und ihm auch noch eine verpasst. Was dann wohl hieß, dass ER, Aoi, nicht vernünftig war, richtig? Er schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. So viel Nachdenken tat ihm nicht gut. Mit einem unterdrücktem Gähnen fuhr er seinen Laptop wieder herunter. Es hatte ja doch keinen Sinn. Am Besten ging er jetzt einfach ins Bett, dann war er am nächsten Tag wenigstens ausgeruht und entkam seinen Gedanken. In diesem Moment hörte er, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte, und Sekunden später drang die kräftige Stimme seines Vaters an sein Ohr. „Yuu, bist du zu Hause? Komm her, ich hab mit dir zu reden. Ich war eben noch bei deinem Lehrer, ein Bekannter meines Kollegen, hörst du?“ Aoi stöhnte geschlagen und stand auf. So bald würde er gewiss nicht mehr seine Ruhe bekommen. And finding answers Is forgetting all of the questions we called home Passing the graves of the unknown Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)