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Christopher und Ich

von

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[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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„Ich will einen klaren Kopf haben, wenn ich dich später vögel.“
 

Wie konnte ich bei dieser Äußerung ruhig bleiben? Wie sollte ich mich zusammenreißen, wenn meine Gedanken immerzu nach diesen Worten griffen und sie erneut abspielten, wie ein auf Repeat gestelltes Lied, von dem man nicht genug bekommen kann; eine sich immer weiter drehende Platte, die Hitze generiert und sich einfach weiter bewegt, so lange man nicht interveniert. Bis alles brennt.
 

Und ich war unfähig, in diesen mentalen Prozess einzugreifen, während Christopher wieder in seine Lederschuhe schlüpfte und nach seinem Mantel griff, während er abermals meine Wohnung abschloss und wir die Treppen hinunter stiegen, zu seinem Wagen gingen.

Ich konnte seine dunkle Reisetasche nicht vergessen, die jetzt direkt neben meinem Bett stand; aus der Christopher zuvor seine legerere Kleidung genommen hatte; in der noch weitere Dinge verstaut waren.

Was für Dinge?
 

Wir hielten an einer roten Ampel.

Christopher legte seine Hand auf mein Knie.

Einen Moment lang herrschte Stille.
 

„Nervös?“, fragte er mich dann leicht spitzbübisch und grinste.
 

„Ein wenig…“, gab ich zu, ohne den wirklichen Grund zu nennen, den ich in diesem Moment sowieso nicht hätte konkret formulieren können.
 

Was bewahrte er in der Reisetasche auf?
 

„Keine Sorge“, fuhr er fort und seine Hand verließ mein Knie, da sie nun wieder die Gangschaltung bedienen musste, als das Auto sich erneut in Bewegung setzte. „ich benehme mich schon nicht daneben“, beendete er den Satz amüsiert. Ich schmunzelte. Und konnte mir keine Situation ausmalen, in der er sich daneben benehmen könnte.
 

Aber wie würde er sich nach der Party verhalten?

Wenn wir allein sein würden.
 

Erneut war ich in einem emotionalen Wechselbad gelandet. Szenarios überschlugen sich wild. Bis alles nur noch eine wirre, zuckende Masse an Gedanken darstellte, als wäre es ein Graben gefüllt mit orientierungslosen Würmern, die in der Dunkelheit gefangen waren und unkoordiniert übereinander krochen.
 

Ich durfte nicht daran denken.

Ich bemerkte, wie Christopher mich bereits aus dem Augenwinkel heraus beobachtete.

Ich durfte diesen Abend nicht ruinieren.

Vor allem nicht, weil ich ihn das erste Mal meinen wenigen Freunden vorstellen würde.
 

Wieso hatte ich an dieses signifikante Erlebnis keinen Gedanken mehr verschwendet?

Es ausgeblendet, wie schon die potenzielle Angst vor dem Test?
 

Wir hielten an und ich sprach mir Mut zu, den Anschnallgurt lösend. Als ich mich zu Christopher drehte, lächelte dieser. Seine Finger fassten zärtlich unter mein Kinn und er drückte mir einen sanften, kurzen Kuss auf meine Lippen. Es war einfach nur ein kleines Streicheln, kaum bemerkbar. Und doch löste es ein angenehmes Kribbeln in meinem Bauch aus.
 

Ich seufzte grinsend und sprach mir zu, die kommenden Stunden zu genießen.

Hatte ich nicht mit Christopher angeben wollen?
 

Ich beäugte seine imposante Statur ein weiteres Mal, als wir uns langsam dem Pub näherten. Christopher hatte etwas abseits geparkt, in einer schmalen Gasse. Nun überquerten wir die spärlich befahrene breite Straße, die direkt zur Uni führte. Doch an die Hochschule war keine Zeit zu denken. Wie ein Gentleman öffnete er mir die Tür unseres Zielortes und ließ mich als erstes eintreten. Ich schaffte es noch ein vages „Danke“ zu hauchen, bevor ich von den Musikklängen und dem Rauschen reger Konversationen wie von einer Wolke eingenommen wurde.
 

Der Pub war zwar neu, bei den Studenten allerdings schon sehr populär. Vielleicht lag das auch an den freien Schnaps-Runden, von denen wir heute noch viele erleben sollten…
 

Ich ging entlang der Theke weiter in den großen Raum hinein. An den Wänden hingen lauter Bierdeckel, irische Flaggen, einige akustische Gitarren, deren Saiten wohl seit Jahren schon niemand mehr zum Klingen gebracht hatte; einige Leute spielten Dart in der hinteren Ecke des Lokals. Die Tische waren aus massivem, dunklem Holz gefertigt. Fast alle Stühle und Bänke waren zu dieser frühen Zeit schon besetzt.
 

„Niko!“, erhaschte ich eine mir bekannte Stimme. „Niko!“, rief Frank mir nun lauter zu und ich entdeckte ihn an einem der etwas längeren Tische, die auf einer höheren Ebene platziert waren, zu der man über drei Treppenstufen gelangen konnte.
 

„Da hinten“, sagte ich zu Christopher und er nickte einfach nur, bedeutete mir, weiter zu gehen. Frank war der einzige, der auf uns wartete. Und irgendwie war ich wegen dieses Umstandes ziemlich froh, da Frank mein engster Freund war und ich ihm in dieser Situation nun auch als erstes und vor allem in Ruhe Christopher vorstellen konnte.
 

Mein ehemaliger Mitschüler stand auf, als wir an den Tisch herantraten. Er begrüßte mich mit einem festen Handschlag. Der erste große Moment folgte sogleich. „Frank, das ist Christopher“, sagte ich grinsend und deutete auf meinen Freund. Frank lächelte kurz. Die beiden schüttelten sich formal die Hand. Christopher nickte, während er mit dieser freudigen und doch bestimmten Stimme verkündete: „Ich freue mich, dich kennen zu lernen.“
 

Frank rutschte auf der gepolsterten Bank an der Wand durch, sodass wir ebenfalls auf ihr Platz fanden. Und erst als wir uns setzten, fiel mir ein, dass mein alter Mitschüler mir doch an jenem Abend auch jemanden Besonderen vorstellen wollte. „Wo ist denn deine Sarah?“, fragte ich ihn deshalb auch umgehend. Frank grinste etwas verlegen.
 

„Sie kommt mal wieder zu spät“, erklärte er dann lachend.
 

„Ach, das scheint wohl öfters zu passieren?“, hakte Christopher milde amüsiert nach. Frank trommelte sachte mit seinen Fingern auf dem dunklen Blatt des Tisches.
 

„Also bis jetzt ist sie zu jedem unserer Dates zu spät gekommen“, verriet er dann. „Wobei wir auch erst fünf hatten!“, fügte er unmittelbar hinzu.
 

„Pünktlichkeit kann man lernen“, schmunzelte Christopher und als sich unsere Blicke trafen, war da dieser leichte Schimmer, der wahrscheinlich nur für mich sichtbar war.
 

„Ich hoffe“, fuhr Frank einfach fort. „Allerdings sind all die anderen auch zu spät, da fällt das auch nicht so sehr auf.“ Wie auf Kommando erschien plötzlich dieses lange Mädchen mit welligen, straßenköterblonden Haaren vor mir, beugte sich über den Tisch und hielt mir ein kleines Päckchen unter die Nase, gehüllt in pinkes Geschenkpapier mit weißer Schleife.
 

„Für dich!“, sagte Mareike kichernd.
 

„Hast du gekifft?“, fragte ich sie emotionslos und Frank lachte laut auf. Mareike hingegen verdrehte die Augen und drückte mir das Päckchen ruppig in die Hand.
 

„Oh, Herr BWL-Student, bitte entschuldige, dass ich Biologin trotz meiner wissenschaftlichen Karriere noch nicht meine Lebensenergie verloren habe und Sinn für Humor beweisen kann!“ Mit diesen Worten ging sie einen Schritt zur Seite, sodass sie nun genau Christopher gegenüber stand. Sie hielt ihm ihre Hand entgegen. „Hi, ich bin Mareike und bevor Sie fragen: ich bin 1,78 m groß, ja.“
 

Er lachte charmant, stand auf, nahm ihre Hand und sah ihr direkt in die Augen. „Hallo Mareike, ich bin Christopher, Nikos Freund, und für dich ab jetzt ‚du’, alles klar?“
 

Sie grinste. „Sorry“, murmelte sie dann. „So ne Angewohnheit…“ Damit setzte sie sich ihm direkt gegenüber. Christopher grinste immer noch.
 

„Gegenüber alten Leuten?“, zog er sie auf und Mareike lachte peinlich berührt.
 

„Das habe ich nicht gesagt!“, erwiderte sie dann. Als sie ihn wieder ansah, zwinkerte er ihr zu und sie lachte. Ich starrte auf das pinke Päckchen in meinen Händen.
 

„Mach’s endlich auf“, forderte Frank mich auf. Ich starrte weiter. Da spürte ich Christophers Hand an meinem Nacken. Seine Finger strichen vorsichtig über meine Haut, sodass sich die kleinen Härchen dort aufstellten.
 

„Na los“, forderte er mich mit sanfter Stimme auf. „Sei brav und öffne es“, fügte er flüsternd hinzu. Überzeugt davon, dass mir eine durchaus sichtbare Röte ins Gesicht gestiegen war, riss ich das grelle Geschenkpapier auf, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf das Päckchen zu richten. Eigentlich wollte ich doch keine Geschenke haben…
 

„Eine Quietschente“, kommentierte ich den ausgepackten Fund.
 

„Mit pinkem Hut!“, fügte Mareike total begeistert an.
 

Ich richtete meinen Blick auf sie. „Wie gut, dass ich eine so große Badewanne habe…“, sagte ich sarkastisch. Für einige Sekunden spiegelte sich so etwas wie Unsicherheit in Mareikes Augen wieder. Und dann grinste sie einfach. Schelmisch sagte sie: „Naja, aber vielleicht hat Christopher ja eine.“ Sie wandte sich an ihn: „Hast du eine?“
 

„Badewanne vorhanden“, antwortete dieser leger und seine Hand wanderte zu meinem Oberschenkel, während er sich etwas zurücklehnte und in meine Richtung grinste.
 

„Na, also!“, fasste Mareike zufrieden zusammen. „Sieh es als weibliche Intuition an“, erklärte sie. Frank lachte kopfschüttelnd.
 

Christopher und ich in der Badewanne…

Würde er mich da an die Armatur binden?

Müsste ich mit Handschellen baden?

Würde er mich schon heute unter die Dusche zerren?

Würde er mich heute Nacht schon auspeitschen wollen?
 

„Ich hoffe das war’s mit Geschenken heute, ich will doch einfach nur mit euch trinken“, scherzte ich, dankte Mareike aber dennoch für ihre Geste.
 

„Äh, naja“, setzte Frank an und kramte in seiner grauen Eastpak-Tasche herum. „Sagen wir mal, es ist kein Geschenk, sondern eine kleine Aufmerksamkeit meinerseits, die ich schon angekündigt habe“, sagte er und drückte mir eine Spindel gebrannter DVDs in die Hand. „Meine Best-of-Collection der koreanischen Filme, von denen ich dir erzählt hatte.“
 

„Ach, wie geil!“, rief ich aus und betrachtete die schätzungsweise 20 Filme, die ich nun besaß.
 

„Horrorfilme?“, hakte Christopher nach. Ich drehte mich zu ihm und nickte begeistert. Er lachte. „Du bist echt süß, was das angeht“, fügte er noch hinzu.

Mein Master sagte so etwas zu mir, vor meinen Freunden, mit dieser ehrlichen, wundervoll milden Stimme…
 

„Was kann ich euch bringen?“

Die junge Kellnerin mit kurzen blonden Haaren war an unseren Tisch getreten.

Christopher machte mit freundlicher Stimme klar, dass meine Freunde sich ruhig alles bestellen konnten, was sie wollten.
 

Während wir also auf unser erstes Bier warteten, fragte Frank Christopher plötzlich über dessen Beruf aus. Als ich das Wort ‚Arbeit’ hörte, wurde mir kalt. Ich hielt inne.

Ich spreche nicht über meine Arbeit.
 

„Ich bin Anwalt. Dank meines Vaters, der ebenfalls Anwalt war, habe ich bereits seit einigen Jahren eine gute Reputation, auch wenn ich noch so jung bin.“
 

„Wie alt denn?“, kam es von Mareike. Dann nur ein. „Ups! Das fragt man nicht!“
 

Christopher lachte und antwortete dann seelenruhig: „Ich bin 33.“
 

„Das ist ja noch wirklich sehr jung für einen Anwalt“, bemerkte Frank nachdenklich.
 

„Ich sagte ja, ich hatte Glück, dass mein Vater so ein hohes Ansehen genossen hat und mir ein vorzügliches Studium mit hohem Praxisteil finanzieren konnte. Ich habe bei meinem Vater gearbeitet und Erfahrungen gesammelt, während meine Freunde noch nicht einmal wussten, ob sie überhaupt mal irgendwann Abitur machen würden. Und mein guter Herr hat mir beinah sein ganzes Vermögen dagelassen, das er über Jahre gesammelt hatte…“, erzählte er weiter.
 

„Was war denn dein krassester Fall?“, hakte Frank nach einiger Zeit interessiert nach. Im selben Moment trat die Bedienung an uns heran und balancierte die Pints gekonnt auf den großen Tisch. Christopher hatte sich ein Ginger Ale bestellt.
 

„Trinkst du denn gar nichts heute?“, fragte Mareike meinen Freund, der den Kopf in Verneinung schüttelte.
 

„Ich bin heute Nikos Chauffeur“, erklärte er.
 

„Außerdem haben wir schon mal allein vorgefeiert“, erklärte ich, weil ich ihren nächsten Kommentar eh schon kommen sah. Doch meine Bemerkung brachte sie nur noch mehr zum grinsen.
 

„Verstehe…“, sagte sie und auch Frank lachte auf. Christopher sagte gar nichts.
 

Und ich dachte an diesen gut versteckten Klub mitten im ruhigen Außenbezirk der Stadt. An die schwarzen Lack- und Latexoutfits. An die Show, die sich vor meinen Augen abgespielt hatte. An das Halsband, welches Christopher mir umgelegt hatte. An seine Worte. Seine Regeln.
 

Wir stießen auf mein Wohl an.

Und wie auf Bestellung tauchten plötzlich meine Kommilitonen Paul und Markus auf.

Mit einem gemeinsamen Geschenk, dass Markus mir auch direkt in die Hand drückte.
 

Jetzt, wo ich die beiden betrachtete, fiel mir auf, dass sie sogar etwas kleiner als Mareike waren. Die grüne Jacke Pauls kontrastierte mal wieder wundervoll mit seinen roten Haaren. In diesem kurzen Moment, bevor er sie auszog, verstand ich schon, warum in manche Leute auch einfach „Ron“ nannten, mit der Anspielung auf Harry Potter. Ich schmunzelte. Allerdings hatte Paul dann doch das hübschere und vor allem männlichere Gesicht als dieser englische Schauspieler.
 

Markus hingegen war der wohl typische Nerd. Sein braunes, gelocktes Haar war mal wieder viel zu lang geraten, doch er hatte wohl absolut keine Lust, zum Frisör zu gehen. Wenigstens hatte er sich vor einigen Monaten ein moderneres Brillengestell zugelegt, was man wohl auch als elegant hätte bezeichnen können.
 

„Sorry, dass wir so spät sind, uns ist die Bahn vor der Nase abgehauen“, erklärte Markus. „Alles Gute nachträglich!“
 

„Äh, ja, danke“, entgegnete ich und legte das etwas größere Päckchen erstmal ab. „Das ist übrigens Christopher“, sagte ich dann entschlossener und mein Freund begrüßte meine Kommilitonen mit einem männlichen Handschlag.
 

Paul setzte sich natürlich neben Mareike. Die beiden konnten mir sagen, was sie wollten. Ab und an lief da immer noch etwas. Vielleicht wenn beide gerade niemanden anders hatten. Oder wenn ihnen die Langweile jegliche Sinne raubte und sie es nicht besser wussten. Doch das war eine Angelegenheit, die mich eigentlich absolut nicht betraf.
 

„Pack aus, Mann!“, fauchte Paul grinsend.
 

„Ja, ja, chill’ mal“, entgegnete ich und packte nun schon das zweite Päckchen aus. Es war ein essbarer G-String. Mit einem halbnacktem Mädchen auf dem Cover. Und ein BWL-Buch.
 

„Was für eine skurrile Komposition…“, bemerkte Christopher, als zunächst niemand etwas sagte. Mareike fing an zu kichern und schlug Paul kameradschaftlich auf die Schulter.
 

„Das ist doch auf deinem Mist gewachsen!“, zog sie ihn auf.
 

„Was?! Markus fand die Idee ebenso gut, wie ich!“, protestierte dieser und Frank schüttelte einfach nur ungläubig den Kopf.
 

„Wieso? Wenn er Hunger beim Lernen hat, kann er direkt naschen“, fügte Markus Schultern zuckend hinzu.
 

„Das ist so wunderbar mitfühlend von euch, ich glaube, ich breche gleich in Tränen aus“, sagte ich sarkastisch. Meine Kommilitonen grinsten mich dümmlich an. Ich musste lachen. „Los, bestellt euch was zu trinken“, forderte ich sie also auf.
 

Erneut stießen wir alle an.
 

„Trinkst du nichts?“, fragte nun auch Paul nach und Christopher schüttelte abermals den Kopf.
 

„Er ist Chauffeur“, antwortete Mareike für ihn.
 

„Ah…“, sagte Paul und trank sein Bier still.
 

Ich ließ meinen Blick durch die mittlerweile fast komplette Runde wandern. Es lag in der Natur der Sache, dass ich beobachten wollte, wie meine Freunde meinen festen Partner betrachteten. Ich war neugierig und immer noch aufgeregt.

Frank verhielt sich so wie immer. Er war einer der Menschen, die Leuten sofort in die Augen blickten. Dies tat er auch bei Christopher. Sie unterhielten sich gerade quasi hinter meinem Rücken über die Börse. Und ich saß in der Mitte und starrte alle an.
 

„..wie alt ist der…?“, erhaschte ich die Flüster-Konversation von Paul und Mareike. „…oh... aha.“
 

Ich nahm einen weiteren großen Schluck Bier.
 

Natürlich war unser Altersunterschied nicht zu verdecken. Selbst mir fiel auf, dass meine Freunde viel jünger aussahen, als mein fester Partner. 33 war noch kein hohes Alter und Christopher sah heute Abend in seinem schlichten schwarzen Pulli und der – wundervoll eng sitzenden – Jeans auch eher aus wie Mitte, oder gerade Ende 20, aber es war diese Reife in seinem Gesicht, die sich nicht durch irgendwelche langsam abzeichnenden Falten äußerte, sondern durch einen für mich nicht greifbaren Aspekt, die diese Distinktion verdeutlichte. Vielleicht lag es auch einfach an meinem Wissen, dass diese Gedanken mir durch den Kopf schießen; dass ich meinte, diesen Unterschied zu entdecken.
 

Ich trank weiter.
 

Markus fragte mich wegen des Stundenplans für das nächste Semester – und bekam sofort verbal eins auf den Deckel von Paul, der „auf einer Party nicht über die dämliche Hochschule reden wollte“. Und ich auch nicht. Ich hatte schließlich Semesterferien, in denen ich zwar schon ein bisschen was tun musste, diese Dinge allerdings auf ein Minimum beschränken wollte. Schließlich existierte gerade etwas viel spannenderes in meinem Leben.
 

Ich änderte es gerade.

Komplett.
 

Christopher begann, Mareike über ihr Biologie-Studium auszufragen. Sie würde bald eine Auslandsemester wagen und die beide unterhielten sich über Unis in England. Paul hörte zu und Frank und Markus redeten über irgendwelche Computerspiele. Die Atmosphäre war… locker. Ich hätte sogar behaupten können, dass eine gute Stimmung am Tisch herrschte.

Ich blickte ein weiteres Mal in die Runde.

Niemand starrte Christopher seltsam an.

Trotz des Altersunterschiedes passte er plötzlich in meinen Augen in die Runde.

Wieso war mir das eben so anders erschienen?
 

Mein Bier war leer.

Ich winkte die Bedienung zu uns heran.
 

„Will noch jemand was?“, fragte ich in die Runde.

„Jo!“, kam es von den Jungs beinahe gleichzeitig.
 

„Kann ich mir auch nen Irish Coffee bestellen?“, fragte Mareike vorsichtig.
 

„Klar“, entgegnete ich.
 

„Was du möchtest“, fügte Christopher charmant hinzu und das Mädchen grinste.
 

Wenn meine Freunde wüssten, wie Christopher im Privaten manchmal drauf war…

Ich dachte an seine Hand, die mir den Hintern versohlte…

Wie ich nackt vor ihm kniete.

Wie er mir hart in den Hals biss und meine Arme fest pinnte.

An die schwarze Reisetasche.

Wurde ich wieder nervös?
 

Ich betrachtete ihn von der Seite. Er lächelte. Seine Augen strahlten.

Er unterhielt sich nun mit Paul über irgendeinen Autounfall, der gerade von den Zeitungen gepusht wurde, weil diese wahrscheinlich kein anderes Thema gefunden hatten. Natürlich ging es um rechtliches. Und dann fragten Markus und Frank ihn noch wegen irgendwelcher Medienrechte aus.

Während dieser Konversation brachte uns die Bedienung die kommende Runde.

Ich trank sofort einige Schlücke meines neuen Pints. Diese aufkeimende Nervosität musste unterdrückt werden.
 

„Du hättest ja wenigstens mit mir anstoßen können“, zog Christopher mich mit seinem neuen Ginger Ale in der Hand auf.
 

„Sorry“, murmelte ich und prostete ihm zu. Das Glas klirrte etwas. Und ich genoss einige weitere Schlücke meines Getränks.
 

„Jetzt legst du richtig los, was?“, bemerkte Mareike amüsiert und rührte ihren Irish Coffee um. Ich spürte Christophers Blick auf mir. Als ich ihm in die Augen sah, beugte er sich kurz zu mir und gab mir einen seichten Kuss auf die Wange.

Wurde ich wieder rot?

Drängte das meine Nervosität in den Hintergrund?

Die letztere Frage musste ich mir selbst sogleich mit einem ‚nein’ beantworten.
 

„Wo bleibt denn nun deine Kleine?“, richtete ich das Wort an Frank. Mein Schuldfreund griff seufzend nach seinem Mobiltelefon.
 

„Weißt du, das frage ich mich auch schon die ganze Zeit“, sagte er dann, während er begann eine Nachricht zu schreiben.
 

„Wo hast du die überhaupt kennen gelernt?“
 

Frank lachte. „Das ist jetzt total doof.“
 

„Ich stehe auf total doofe Geschichten“, entgegnete ich.
 

Frank legte das Gerät beiseite und machte es mir nach, genehmigte sich großzügige Schlücke seines frischen Bieres. „Ich hab sie in einer total versoffenen Nacht bei dem McDonald’s im Hauptbahnhof kennen gelernt.“
 

„Wie romantisch!“, flötete Markus, der ihm gegenübersaß, sarkastisch und ich musste grinsen.
 

„Eine Liebe über BigMacs, großartig“, sagte ich und Frank lachte.
 

„Naja, da haben wir nur Nummern ausgetauscht bzw. hat sie mir ihre mit Edding auf den Arm geschrieben. Hab ich dann am nächsten Morgen festgestellt“, erklärte er grinsend.
 

„Lass mich raten“, kam es nun von Christopher, dessen Hand ich plötzlich an meinem Rücken spüren konnte. „Du konntest dich absolut nicht erinnern, wem diese Nummer gehörte und wie sie auf deinen Arm gekommen ist?“
 

Frank lachte auf. „Vorhersehbar, oder?“, fragte er.
 

Mein Freund nickte. „So ziemlich“, sagte er dann süffisant, grinste aber dabei.

Ich bekam eine Gänsehaut.

Diese Stimme…

Ich griff erneut nach meinem Bier.
 

„Jedenfalls hab ich dann stumpf angerufen und sie konnte sich zunächst auch nicht an mich erinnern und ne Woche später sind wir spontan ins Kino, danach Essen und dann hat’s irgendwie erst so langsam gefunkt“, beendete Frank seine Geschichte.
 

„Und wann seid ihr zusammen gekommen?“, fragte ich.
 

„Vor zwei Wochen oder so.“
 

„Ah, also alles noch sehr frisch!“, sagte ich grinsend.
 

„Ja, bei euch doch auch, oder?“, gab Frank zurück und sah Christopher und mich an.
 

„Ja, genau“, sagte nun auch Paul. „Woher kennt ihr beiden euch denn?“
 

„Wir haben uns im Park kennen gelernt“, erklärte Christopher völlig ruhig. Markus und Paul sahen sich an.
 

„Bist du…“, setzte Paul dann in Christophers Richtung an und stockte kurz, so als würde er sich seine Wortwahl noch einmal überlegen wollen. „Bist du der Kerl, dem Niko da ständig aufgelauert hat?“
 

„Aufgelauert, tse“, bemerkte ich sarkastisch. Christopher grinste.
 

„Ja, was?“, kam es von Paul. „Du bist sogar im Herbst in den Park lernen gegangen, was für ein Idiot macht das denn, bitte?“
 

Christopher lachte auf. „Mein Idiot macht das“, sagte er dann scherzend und zog mich näher an sich heran. Ich konnte seine Wärme nun spüren. Seine Hand wanderte auf meinen Oberschenkel.

Er war so locker, so freundlich. So zärtlich.

Er war mein Master.

„Und letztendlich hat es sich ja gelohnt, oder?“, richtete er das Wort an mich.
 

„Vielleicht“, sagte ich neckend und meine Freunde lachten.
 

„Warte ab, bis wir nach Hause kommen“, sagte Christopher in einer gespielt empörten Stimme.

Ich hielt den Atem an.

Meine Freunde lachten und unterhielten sich einfach weiter.
 

Warte ab, bis wir nach Hause kommen.

Da tauchte sie wieder auf, die schwarze Reisetasche.

Der Gummimaskenmann.

Die erregenden Erinnerungen an Christophers harsche Umgehensweise.

Die Furcht.

Die Geilheit.

Schon wieder diese Nervosität.
 

Als ich die grinsende Bedienung mit einem Tablett voll gefüllter Schnapsgläser auf uns zukommen sah, erschien sie mir wie ein Zeichen der Rettung.
 

„Na, Lust auf eine kleine Kostprobe?“, neckte die kurz geschorene Blondine und stellte das gesamte Tablett ab. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“, sagte sie noch. „Wenn ihr noch was wollt, einfach Bescheid sagen. Der Schnaps geht aufs Haus!“
 

„Wie geil ist das denn!“, rief Paul aus und verteilte prompt die erste Runde der Kurzen. Mir gab er gleich zwei. „Du trinkst alle von Christopher!“, verkündete er. Ich hatte nichts dagegen.
 

Das Zeug brannte ein wenig und verursachte dieses wohlig warme Gefühl. Und Paul verteilte unmittelbar die zweite Runde Kurzer, sodass das Tablett sofort leer war. „Auf Niko!“, verkündete er.

Christopher streichelte meinen Oberschenkel, während sich das Gefühl der seichten Hitze weiterhin in meinem Bauch ausbreitete. Wohlige Wärme. Ich kippte den Rest des Bieres hinterher. Schloss kurz die Augen.

Der Alkohol begann zu wirken.
 

„Ich bin gleich wieder da, OK?“, kam es von Christopher.
 

„Bringst du mir einen Long-Island-Ice-Tea mit?“, rief ich ihm hinter und er nickte, verschwand in Richtung der Toiletten.
 

„Dein neuer Freund ist ja echt fast das Gegenteil von Marcel“, sagte Frank plötzlich.
 

„Ja?“, hakte ich völlig überflüssig nach. Frank nickte.
 

„Der sieht echt krass gut aus!“, kam es von Mareike. Paul verzog kurzzeitig das Gesicht. Ich musste grinsen.
 

„Ich fass es nicht, dass der Kerl tatsächlich schwul ist“, sagte Markus dann. „Ich meine, du lungerst die ganze Zeit in diesem Park rum, weil du ihn einmal gesehen hast und dann ist er auch noch tatsächlich schwul und ihr kommt zusammen. Wie krass ist das denn?“
 

„Wenn das Schicksal jemanden zusammenführen will, dann tut es das auch“, sagte Mareike und Paul verdrehte die Augen.
 

„Kein Esoterik-Scheiß bitte“, sagte er.
 

„Esoterik? Was hat das denn bitte mit Esoterik zu tun?“, bemerkte sie empört. Ein belangloses Gespräch entwickelte sich, in denen die beiden sich ihren gegenseitigen Sticheleien hingaben. Frank und ich lachten. Und dann kam plötzlich diese junge Frau auf uns zu und strich sich durch das schulterlange, glatte, kastanienbraune Haar. Ihre dunklen Augen musterten mich zuerst und als sie Frank ansah, grinste sie und die kleine Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen wurde sichtbar, die ihr seltsamerweise stand. Ihr Kleopatra-Make-Up allerdings nicht so recht.
 

„Sorry, es tut mir wirklich leid!“, redete sie sofort los, während sie ihren hellen Mantel ablegte. Sie sah sich in der kleinen Runde rum. „Ich bin Sarah, Franks Freundin“, sie kicherte und wandte sich wieder an ihren Freund. „Tut mir echt leid, Samira war noch bei mir und hat sich totaaaaal wegen ihrem Typen bei mir ausgeheult, da musste ich was mit ihr trinken, sorry!“
 

„Ist schon OK“, sagte Frank. „Das hier ist übrigens Niko“, sprach er weiter und deutete auf mich. Sie gab mir lächelnd ihre Hand.
 

„Hi, ich bin die Sarah. Herzlichen Glückwünsch, wünsch ich dir!“, sagte sie laut und irgendwie langgezogen.
 

„Danke. Wenn du was trinken willst, bestell dir, was du möchtest, OK?“
 

„Ja, cool, danke, echt! Ist super lieb von dir“, sagte sie immer noch grinsend und sah wieder in die Runde.
 

Markus warf mir den was-ist-das-denn-Blick zu und ich musste grinsen.

So schlimm fand ich Sarah gar nicht.

Fast schon irgendwie süß.

Nicht so verdammt geil wie Christopher, aber… für Franks Freundin war sie in Ordnung.
 

Kaum hatte ich an ihn gedacht, konnte ich ihn auch schon an der Bar erblicken. Graziös drehte er sich um, das hohe Cocktailglas in seiner Hand und als er meinen Blick erhaschte, grinste er. Sarah erzählte Frank unterdessen aufgebracht von Samira und deren „Dreckskerl“. Doch diese Konversation rauschte an mir vorbei. Mit nur wenigen Schritten erreichte Christopher unseren Tisch und der Drink fand seinen Weg direkt vor meine Nase.
 

„Danke“, murmelte ich und wollte gerade den ersten Schluck trinken, als mir der weitere Gast an unserem breiten Tisch einfiel. „Ach, das ist übrigens Samira. Nein! Sarah“, korrigierte ich mich eilig und grinste die Angesprochene entschuldigend an. Ich konnte das Fünkchen Empörung noch in ihren braunen, schwarz umrandeten Augen erhaschen. Vermutlich wollte sie noch etwas zu dieser misslichen Verwechslung sagen, doch als ihr mein Freund die Hand ausstreckte und sich mit „Christopher“ vorstellte, umfasste sie diese und sagte einfach gar nichts, außer „Hi“.
 

Frank boxte mir spielerisch in die Schulter.

Und Markus warf mir seinen typischen ‚oha’-Blick zu.
 

Als ich Mareike ansah, wusste ich sofort, dass sie Sarah nicht leiden konnte. Wie beschrieb man es noch sogleich? Stutenbissigkeit? Sie war umgehend zu erkennen, man konnte diese Aversion unmittelbar spüren. Ich nahm einen großen Schluck des schmackhaften Drinks und versuchte die entstandene, leicht verstörte Atmosphäre dennoch zu ignorieren. Der beginnende angenehme Schwindel erleichterte dieses Unterfangen ungemein.
 

„Stehst du eigentlich auf Long-Island-Ice-Tea?“, fragte ich Christopher.
 

„Ich trinke lieber puren Whiskey. Oder Wein“, antwortete er.
 

„Aha“, machte ich und trank weiter.
 

„Du scheinst ja alles zu mögen, was?“, neckte er mich.
 

„Ich hätte auch nichts gegen eine weitere Runde Schnaps“, erwiderte ich grinsend darauf. Christopher lachte.
 

„Das lässt sich arrangieren“, murmelte er verheißungsvoll und verließ den Tisch erneut.
 

„Er trägt dich auf Händen“, flötete Mareike und lachte. Ich grinste einfach nur dümmlich vor mich hin, doch nur wenige Sekunden später spürte ich plötzlich, wie mich jemand von der rechten Seite antippte.
 

„Hey!“, es war Sarah, die sich über den Tisch beugte und Frank ein wenig zurückdrängte, um näher an mich heran zu kommen. „Wer ist das?“, fragte sie direkt und deutete in die Richtung, in der mein Freund eben erst verschwunden war. Ihre Worte verwirrten mich, hatte sich Christopher doch erst gerade eben vorgestellt. „Wer ist das? Hallo?“, wiederholte sie ihre Frage lauter und aufdringlicher und lachte weiter, mit den Augen rollend.
 

„Äh, das ist Christopher“, antwortete ich kopfschüttelnd. Was für einen Blick Markus mir gerade zuwarf, wollte ich gar nicht erfahren.
 

„Ja, das weiß ich auch, du Genie!“, sagte sie etwas aufgebrachter. „Aber wer ist das? Woher kennst du den?“
 

„Hä? Das ist mein Freund.“
 

„Boah“, sie drehte sich zu Frank. „Dein Kumpel kapiert aber auch nix, oder?“
 

Ich sah meinen Schulfreund an. Und erst dann stellte ich mir die Frage, ob er Sarah überhaupt über die Art der Beziehung, die ich offiziell mit Christopher führte, aufgeklärt hatte. Meine Gedanken strömten eilig durch mein Hirn. Etwas anderes konnte sie doch nicht meinen... Bevor Frank das Wort ergreifen konnte, sagte ich bestimmend: „Das ist mein fester Freund. Was willst du überhaupt?“
 

Sie blinzelte und fing an laut zu lachen. Dann betrachtete sie mich abermals. „Du verarscht mich doch jetzt…“ Als ich nichts sagte, meinte sie: „Laber nicht!“ Und Frank seufzte.
 

„Na, du bist ja vielleicht ein Held!“, meinte Mareike zu ihm und Markus… grinste einfach nur debil vor sich hin. Natürlich kam das Tablett mit den kostenlosen Schnapsgläsern genau in dieser Lage. Die Blondine des Pubs grinste und ich versuchte sie zu imitieren, doch dieser Akt war mir momentan nicht möglich.
 

Ich erschrak, als Christopher wieder zu mir kam, eine Cola in der Hand. Er setzte sich, legte seinen Arm um meine Schultern und ich konnte Sarahs Blick deutlich auf uns spüren. Frank redete im Flüsterton mit ihr und Paul und Markus hatten angefangen, die kleinen Gläser wieder auszuhändigen.
 

„Oah ne, dieses Mal ohne mich, Jungs“, jammerte Mareike und schob mir ihr Glas zu. „Niko kriegt drei!“, bestimmte sie und Paul fand scheinbar, dass das tatsächlich eine gute Idee war.
 

„So, runter damit“, befahl der Rothaarige und trank sein Mini-Glas mit einem Zug leer. Und wir anderen taten es ihr nach. Ich gleich volle drei Mal.

Mittlerweile war mir heiß, der angenehme Schwindel hatte mich komplett eingenommen.

Und die Nervosität…?
 

Plötzlich wurde mir bewusst, dass Sarah mich wieder anstarrte. Ich warf Frank einen fragenden Blick zu und er sah mich leicht erschrocken an und zuckte etwas hilflos mit den Schultern. Seiner Freundin wurde unterdessen ein hohes Glas mit einer Menge Eis und einem schwarzen Strohhalm serviert.
 

„Was ist das denn?“, hakte Markus verwundert nach.
 

„Sekt mit Eis“, erklärte sie sofort und begann ihren Drink zu schlürfen. Und zwar ziemlich schnell. Sie grinste meinen Kommilitonen unverhohlen an. „Hatte schon n paar davon mit Samira.“ Dann legten sich ihre Augen wieder auf mich. „Was grinst du denn so?“, hakte sie laut nach und erst in diesem Moment bemerkte ich, dass sich meine Lippen tatsächlich von alleine bewegt hatten.
 

„Nur so“, sagte ich.
 

„Ja ja, du Schwuli, schon klar, hier mit Christopher, ne“, zog sie mich auf und aus dem Augenwinkel konnte ich erkennten, wie Frank die Farbe aus dem Gesicht wich. Um ehrlich zu sein, fand ich diesen Moment eher amüsant als irgendwie beleidigend, weil Sarah scheinbar tatsächlich den Ernst meiner Äußerungen von vor einigen Minuten nicht verstanden hatte.
 

„Sarah“, ermahnte Frank sie nun.
 

„Ja, was?“, schnauzte sie ihn regelrecht an.

Christopher räusperte sich und als ich ihm meinen Kopf zudrehte, hob er seine Augenbraue in Skepsis und seufzte kurz. Ich zuckte mit den Schultern.
 

„Hast du was gegen Schwule, oder was?“, ging Markus allerdings auf ihren in Unwissenheit und Naivität geäußerten Kommentar ein.
 

„Ne, ich hab nix gegen Schwule. Wie kommst du darauf? Aber ich lass mich nicht verarschen hier“, erklärte sie lachend.
 

„Wir verarschen dich aber nicht“, sagte ich dann lauter.
 

Und auch Frank mischte sich ein. „Sarah, die sind wirklich zusammen, okay? Thema abgehakt?“ Das Mädchen blinzelte. Ihr Blick wechselte zwischen Christopher und mir. Mein Freund hatte noch immer seinen Arm um mich gelegt. Als ich meine Augen zu ihm wandern ließ, blickte ich in dieses ernste Gesicht; seine Augen spiegelten diese triumphierende Ruhe wieder; er wirkte wie ein Panther, der sich seiner Beute sicher war.
 

„Okay…“, murmelte Sarah dann und stocherte mit ihrem Strohhalm zwischen den Eiswürfeln herum. „Bin ma auf Klo“, erklärte sie und verließ den Tisch.
 

„Alter, sorry“, kam es unmittelbar von Frank, der sich an Christopher und mich wandte. „Die ist irgendwie schon ein bisschen breit und labert dann immer ziemlich viel scheiße…“
 

„Das ist eine Tatsache, die man definitiv nicht leugnen kann“, entgegnete Christopher mit einer reichlich großen Prise Sarkasmus in seiner Stimme.
 

„Tut mir echt leid…“, wiederholte Frank.
 

„Schon OK“, sagte ich dann.
 

Markus warf mir einen mann-ist-die-scheiße-Blick zu und ich musste lachen.

Vielleicht war sie ja doch nicht so nett, wie ich zu Anfang gedacht hatte.

Vermutlich lag es am Alkohol…
 

Die Konversationen an unserem Tisch begannen erneut und ich sprach mit Frank über einen Film, der bald erscheinen sollte. Wir überlegten, ob wir ihn nicht zusammen schauen wollten. Ich bemerkte kaum, dass Sarah wieder an den Tisch zurückgekehrt war. Erst als diese viel zu laute und verzerrte R’n’B-Musik plötzlich ertönte, die sich als Klingelton entpuppte, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Franks neue Freundin.
 

Ob das wohl Samira war…?
 

„Ey, Süße, was geht, Mann?“

In Anbetracht ihrer sich nicht ändernden Artikulation fragte ich mich langsam, ob Sarah ihrem Frank intellektuell nicht ziemlich unterlegen war…
 

Ich versuchte, ihrem belanglosen Telefongespräch nicht zuzuhören, wie alle anderen Anwesenden am Tisch, aber ihre dröhnende Stimme übertönte einfach jegliche Konversationsversuche. Vor allem, als sie begann aus voller Kehle zu lachen. „…ey, ja, Mann! Ich… Ich bin hier grad auf nem Tucken-Geburtstag…. Ich schwör!“
 

Ich erschrak leicht, als Christopher sich plötzlich mit einer einzigen Bewegung über den Tisch beugte und ihr gekonnt das mobile Gerät aus den Hand zog, ihren einzigen Protestschrei vollkommen ignorierend. Das Telefon gab einen Piepton von sich. Das Display erlosch. Und Christopher knallte das abgeschaltete Gerät vor sich auf den Tisch, als er sich wieder setzte. Niemand sagte etwas und auch Sarah brachte plötzlich keinen Ton mehr heraus. Lag es an dieser arktischen Kälte, die Christophers Augen unerwartet versprühten?
 

„Das reicht jetzt“, sagte er mit völlig kalter und so ruhiger Stimme, dass sie mir eine Gänsehaut bescherte, wie sie es bis jetzt schon immer getan hatte. „Du packst jetzt deine Sachen zusammen, gehst an die Bar und bezahlst deine Getränke selbst und dann verschwindest du.“
 

„Ey, gib mir mein Handy zurück, Mann, was ist dein Problem?“
 

„Sarah, jetzt sei ruhig!“, schnauzte Frank sie unvermittelt mit aggressiver Stimme an, sodass sie fast zusammen zuckte. Christopher richtete nun das Wort an ihn.
 

„Nimm es nicht persönlich, Frank, du scheinst ein netter Kerl zu sein, aber bitte bring deine unterbelichtete Freundin nach Hause und lass sie ausnüchtern. Ich will nicht, dass sie Nikos Geburtstagsparty noch weiter ruiniert“, erklärte er ihm mit harter Stimme.
 

„Keine Sorge“, erwiderte Frank, als er sich bereits erhob. „Das ist mir mega peinlich“, sagte er zu mir. „Ich ruf dich an, OK?“
 

„Klar“, entgegnete ich, immer noch im leichten Schockzustand über die sich gerade abgespielte Szene. Er nickte den anderen zu. Sarah ärgerte sich lauthals über den „Affen“, der ihr das Handy abgenommen hatte, das sich nun in Franks Hosentasche befand, doch mein alter Schulfreund drängte sie einfach weiter an die Bar. Bis wir sie nicht mehr hören konnten.
 

„Alter“, lachte Markus dann und sah sich nach den beiden um. „Was war das denn bitte?“
 

„Das, mein Lieber, war so ein Exemplar, das wir in der Biologie als dumme Tusse bezeichnen!“, erklärte ihm Mareike und grinste Christopher an.
 

Mein Herz klopfte wie wild in meiner Brust.

Immer noch sah ich diese kalten Augen vor meinem inneren Auge.

Ich verspürte weiterhin diese Dominanz, die eben gerade von Christopher ausgegangen war.

Ich dachte an die schwarze Reisetasche…
 

„Ich muss eine rauchen“, erklärte Markus plötzlich und schaute Paul an. „Kommst mit?“ Paul nickte. „Bis gleich!“ Und fort waren sie.
 

Christophers Hand legte sich wieder um meine Schulter, er zog mich dichter an sich heran. Ich drehte ihm meinen Kopf zu. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er mich mit milder Stimme.
 

„Denke schon“, entgegnete ich viel zu schnell und mein Freund grinste.
 

„Mach dir wegen dieser Sarah keine Gedanken, okay?“, sagte er dann.
 

„Ja, das ist ne hohle Nuss“, fügte Mareike empört hinzu. „Unfassbar dumm…“, murmelte sie weiter und ich musste lachen.
 

„Echt blöd für Frank“, meinte ich dann nur und musste feststellen, dass ich meinen Long Island Ice Tea schon ausgetrunken hatte. Ich spürte Christophers Blick auf dem leeren Cocktailglas verweilen. „Ich glaub, ich nehm noch einen“, sagte ich laut. Er seufzte.
 

„Bist du sicher?“, hakte er nach.
 

„Ich bin das Geburtstagskind, vergessen?“

Er grinste vage und erhob sich erneut.

„Willst du auch noch etwas?“, richtete er das Wort nun an Mareike.
 

„Ich nehm auch so einen Ice Tea.“
 

„Alles klar“, sagte er und winkte in Richtung der Bedienung.
 

Unerwartet tauchte eine etwas fülligere Person neben ihr auf. Das Mädchen müsste etwa 1,60 m groß gewesen sein und hatte kinnlanges, schwarz gefärbtes Haar. Sie trug ein ebenso dunkles, halterloses Kleid. Die knallrote Perlenkette um ihren Hals passte hervorragend zu den ebenfalls roten, langen Ohrringen, die unter dem schwarzen Haar hervorlinsten. In ihrer Hand hielt sie einen zur Hälfte getrunkenen Pint.
 

„Mareike?“, fragte sie und Pauls Ex bzw. ab-und-an-Freundin drehte sich zu der jungen Frau um.
 

„Ach!“, rief sie aus. „Lisa, oder?“
 

„Ja!“, rief Lisa begeistert aus. „Mensch, lange nicht mehr gesehen!“ Die beiden Mädchen umarmten sich.
 

„Du studierst jetzt auch hier? Oder besuchst du die Familie?“, hakte Mareike nach, während Lisa sich neben sie setzte.
 

„Nur Familienbesuch. Leider“, entgegnete sie. Dann fanden ihre Augen den Weg zu mir und Christopher.
 

„Hi, ich bin Niko“, stellte ich mich kurzerhand vor und hob signalisierend die Hand, weil ich keine Lust hatte, ihr formal die Hand zu reichen. Um mich herum drehte sich eh schon alles. Ich empfand aufstehen daher als eine Art Risiko…
 

„Christopher“, stellte mein Freund sich vor. Er stand kurz auf, um dem Mädchen die Hand zu geben. Lisa verstummte. Für einen kurzen Moment.
 

„Was kann ich euch bringen?“, erklang dann die Stimme der Blondine, die an den Tisch trat. Christopher bestellte unsere Drinks. Und währenddessen flüsterte Lisa etwas in Mareikes Ohr.
 

Sobald die Kellnerin unseren Tisch verlassen hatte, wandte sich Lisa an „Christopher. Christopher Lang, oder?“
 

„Ja, das ist richtig. Wir kennen uns?“, hakte er ruhig nach.
 

„Nicht so richtig, aber… Sagt Ihnen der Name Theobald Rüdig noch etwas?“
 

Christopher dachte kurz nach. „Ah!“, machte er dann und lächelte charmant. „Der Firmenchef aus Ostfriesland.“
 

„Ja, genau! Das ist mein Onkel. Ich glaube, wir haben uns ganz kurz auf seiner Siegesfeier gesehen“, sprach Lisa erfreut weiter, während mein Hirn noch immer Schwierigkeiten hatte, diese Konversation einzuordnen. Oder sie überhaupt zu verstehen. Der Druck auf meine Blase war kaum mehr auszuhalten.
 

„Ich muss pissen“, murmelte ich und versuchte aufzustehen. Christopher rutschte von der Bank und seine Arme gaben mit Halt, als ich mich vollkommen ungraziös erhob und dabei beinahe über meine eigenen Füße stolperte. „Danke…“, murmelte ich noch.
 

„Soll ich mit dir gehen?“, bot er flüsternd an.

Wieso bekam ich eine Gänsehaut?

Warum dachte ich an Verbotenes?

Was war der Grund für meine düsteren und hoch erotischen Vorstellungen?

Würde er mich direkt in eine Kabine drücken, mich mit einem Kleidungsstück knebeln, meine Arme zurückreißen und sie mit meinem eigenen Pullover zusammenknoten und mich dann gnadenlos ficken?

„…schaff ich schon allein…“, meinte ich noch zu murmeln.
 

Über Umwege und etliche Stolperfallen legte ich den Weg zu den sanitären Einrichtungen zurück. Nachdem ich meine Hände gewaschen hatte, betrachtete ich mich eine ganze Zeit lang im Spiegel.
 

Ich will einen klaren Kopf haben, wenn ich dich später vögel.
 

Ich schüttelte ungläubig den Kopf.

Wie viel Zeit verging, weiß ich nicht.

Irgendwann zwang ich mich selbst, wieder zurück zu gehen.
 

Es war direkt an diesem Spielautomaten, der vor den WCs platziert war, dass ich beinahe in Mareike rannte, die aufgeschreckt aufschrie und sich dann vor Lachen fast nicht mehr einkriegen konnte.
 

„S-sorry…“, brachte ich heraus.
 

„Du bist so betrunken…“, kicherte sie.
 

„Du auch!“, gab ich patzig zurück und sie seufzte, noch immer grinsend.
 

„Dein Christopher scheint ein richtig krasser Typ zu sein“, sagte sie plötzlich, gegen die Wand lehnend. Ich schaute sie fragend an und versuchte, nicht zu sehr zu schwanken. „Lisa hat ja grad erzählt, dass er ihren Onkel vor Gericht wegen einer ganz blöden Sache vertreten hat. Wegen so nem dämlichen Mitarbeiter, der Scheiße erzählt hat und richtig Mist gebaut hat, den er ihrem Onkel anhängen wollte. Und Christopher soll da ne richtig krasse Show abgezogen hatte, sodass ihr Onkel sogar diese Siegesfeier organisiert hat, um den Triumph vor Gericht zu feiern. Soll ihm wohl echt den Arsch gerettet haben… Tja, krasser Fang, sage ich da nur, Niko!“

Kameradschaftlich klopfte sie mir auf die Schulter und verschwand hinter der Tür mit dem großen „D“.
 

Krasser Fang.
 

Oh Gott, Christopher war ein krasser Fang.
 

Sein Arm fand seinen Weg direkt wieder um meine Schulter. Er sagte nichts. Wir lauschten den Erzählungen Pauls, der sich abermals über seine wirre Familie aufregte. Ich trank den Drink. Beinahe auf Ex.

Alles drehte sich.
 

Wir verabschiedeten uns.

Christopher beglich die Rechnung und gab meinen verbleibenden Freunden sogar noch eine letzte Runde aus.
 

Er stützte mich.

Irgendwann waren wir im Wagen.
 

Seine Lippen fanden ihren Weg auf die meinigen.
 

„Gleich kümmere ich mich um dich“, lauteten Christophers ruhige Worte, die aus einer nicht greifbaren Ferne zu mir zu dringen schienen.
 


 

Wenn man einen Filmriss genau definieren und einen akkuraten Anfangspunkt des Vergessenen bestimmen könnte, dann wäre dieser genau hier.

Denn das nächste, was mein Gehirn registrierte, waren die schwachen Sonnenstrahlen, die in mein Schlafzimmer drangen, in dem ich mit einem Ruck erwacht war.

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Christopher und ich waren damals etwa acht Monate zusammen. So wie jetzt bewegte ich mich auch da schon frei in seiner Wohnung, verbrachte die meiste Zeit mit ihm in jenen vier Wänden; wenn wir nicht gerade auswärts essen waren, oder uns auf einer Party herumtrieben, einen Kurztrip irgendwo hin unternahmen, oder wir einfach durch die Stadt schlenderten.
 

Das Telefon klingelte, es muss gegen Mittag gewesen sein, und die strenge Stimme meines Freundes ertönte am anderen Ende der Leitung. Wie immer war es ein kurzer Kontrollanruf. „Was treibst du schönes, Niko?“
 

„Ich habe gelernt“, entgegnete ich mit fester Stimme und linste unauffällig auf den Bildschirm meines Laptops, auf dem das pausierte Player-Fenster wie ein düsteres Mahnmal prangte; ich hatte den Streifen in einer doch recht finsteren Szene angehalten.
 

„Sicher?“, hakte Christopher streng nach.
 

„Na gut, ich hab ne Pause gemacht und gucke gerade nen neuen Film!“, gab ich zu und ließ mich auf das Sofa sinken.
 

„Das habe ich mir fast gedacht“, sagte er und schnaubte.
 

„Entschuldige, Christopher...“
 

„Ich hoffe, du lässt das langsam, mich anzulügen. Das funktioniert nicht.“
 

„Sorry, Christopher, kommt nicht mehr vor.“
 

„Du machst jetzt den Film aus und machst dich an deine Hausaufgaben, oder was auch immer du für die Uni zu tun hast, verstanden?“, sagte er barsch und noch bevor ich antworten konnte, hatte ich das Browser-Fenster bereits geschlossen und die Excel-Tabelle offen gelegt, die ich bearbeiten sollte.
 

„Schon geschehen, ich halte mich ran.“
 

„Sehr gut. Ich rufe in einer Stunde noch mal an.“
 

Damit legte er auf und ich seufzte grinsend, begann zu arbeiten und es war in der Tat befreiend, diese lästige Aufgabe endlich zu erledigen. Wissend, dass vor mir nun ein freies Wochenende lag, klappte ich den Laptop zu und stellte ihn beiseite. Ich streckte mich, drehte die Musik etwas lauter und tapste ins Badezimmer. Es war Freitag und Christopher hatte versprochen, seinen Feierabend heute etwas früher zu beginnen, schließlich wollten wir noch ins Kino.
 

Ich musste lachen und war mir sicher, jegliche unserer Kinobesuche stets mit den Erinnerungen an den allerersten zu verbinden… Auch wenn ich mir sicher war, dass Christopher jene Lektion nicht wiederholen würde. Es sei denn, ich legte es darauf an. Aber danach war mir heute ganz sicherlich nicht. An diesem Tag wollte ich einfach nur entspannen.
 

Ich streckte mich und war drauf und dran, mir was zu Essen zu machen, als plötzlich dieses Schellen meine Aufmerksamkeit auf sich zog – jemand stand vor der Tür. Natürlich zielte mein erster Gedanke gar unbewusst in Richtung Christopher, der mich vielleicht überraschen wollte; persönlich nachprüfen wollte, ob ich auch wirklich meine Aufgaben erledigt hatte. Doch schon nach wenigen Sekunden wurde mir klar, dass das gar nicht sein konnte – Christopher hatte zu tun und noch wichtiger: er klingelte nie an seiner eigenen Haustür. Ich hatte zu klingeln, wenn er es mir nicht anders befahl, er aber war der Hausherr. Er kam und ging wann immer es ihm passte. Also war es wahrscheinlich irgendein Paket – der Postbote wurde oft von den anderen Mietern ins Haus gelassen und klingelte sich dann von Haustür zu Haustür.
 

Doch anstatt des aufgeweckten Mannes in Gelb, blickte ich in seltsam bekannte blaue Augen. Vor mir standen zwei sehr junge Mädchen, wahrscheinlich Schwestern – denn trotz der verschiedenen Frisuren konnte man die Verwandtschaft deutlich an ihren Gesichtern ablesen. Die Größere warf ihr hellbraunes, leicht gelocktes Haar nach hinten und musterte mich irritiert.
 

„Wie kann ich euch helfen?“, fragte ich sie also und blickte sie wahrscheinlich ebenso verwirrt an.
 

„Hier wohnt doch Christopher Lang, oder nicht?“, fragte sie mich nun, anstatt mir direkt zu antworten.
 

„Äh. Ja. Der ist aber momentan nicht da – ist noch in der Kanzlei.“
 

„Ich hab dir doch gesagt, dass Onkel Chris arbeitet!“, zischte die Kleinere von der Seite, die ihr ebenfalls hellbraunes Haar kinnlang trug.
 

Onkel Chris. Die Bezeichnung schlug ein, wie eine Bombe. Natürlich – diese Gesichter hatte ich auf sporadischen Fotos bereits erblickt. Noch bevor ich irgendwie reagieren konnte, sprach die größere Schwester schon wieder mit mir: „Bist du hier der Haushälter oder so?“
 

„...was?!“, blaffte ich sie an, vermutlich so laut und verärgert, weil der Schock, Christophers Nichten vor seiner Tür zu finden, ohne jedwede Ankündigung oder Vorwarnung, momentan sehr tief saß. „Ich bin Christophers Freund!
 

Nach dieser Aussage herrschte einen langen Moment Stille. Die beiden blickten mich mit weit aufgerissenen Augen an, so als müssten sie die eben durch mich geäußerten Worte zunächst in ihre eigene Sprache übersetzen, ehe sie aneinander anstarrten und beide im selben Augenblick eine Art hysterischen, aber kurzen Lach-Schrei entließen.
 

In jenem Moment raste ein eiskalter Schauer meinen Rücken hinunter. Plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob Marie und Emilie von mir wussten, kapierten, dass ihr Onkel wirklich schwul war. Doch die Aussage der Größeren, Emilie, raubte mir diese aufgekeimten Zweifel umgehend: „Aber du bist so jung! Onkel Chris ist doch schon 40!“
 

„Onkel Chris ist 34“, meinte ich trocken und musste innerlich mit den Augen rollen. Wenigstens hatte sie nicht so etwas wie 'alter Sack' gesagt...
 

„Dann fast 40“, entgegnete sie zickig und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
 

„Wie wäre es, wenn ihr euch dann vorstellt?“, zog ich die beiden grinsend auf, um vom Thema abzulenken.
 

„Christopher Lang ist unser Onkel, das macht uns zu seinen Nichten und unsere Namen wird er dir sicherlich schon verraten haben, wie oft denn noch!“, zickte die Größere zurück. Im selben Moment klingelte das Telefon. Marie, Emilie und ich starrten einander an.
 

„Das ist bestimmt Christopher“, sagte ich trocken und sah, wie sich die blauen Augen der beiden Mädchen erneut weiter wurden. So etwas wie Hoffnung, gepaart mit seichtem Schrecken, spiegelte sich in den Augenpaaren wieder. „...wieso kommt ihr nicht rein, dann können wir ihm gleich Bescheid sagen, dass ihr hier seid?“
 

„Ich mach das!“, schrie Emilie mich plötzlich an, ließ ihre kleine Reisetasche direkt vor meine Füße fallen und stürmte an mir vorbei; ihre kleine Schwester mit einem „nein, ich mach das“ direkt hinterher. Alles passierte so schnell, dass ich gar nicht darauf reagieren konnte. Als ich mich umdrehte, hörte ich Emilie bereits lauthals „Hallo, Onkel Christopher!“ ins Telefon brüllen. Ich schluckte. Ich war verwirrt. Ich konnte mich gerade noch dazu ermahnen, die beiden achtlos zu Boden geworfenen Taschen aufzuheben und sie in die Wohnung zu tragen, bevor ich die Tür mit dem Fuß ins Schloss trat.
 

Mein Herz pochte wild. Auf dieses Treffen war ich einfach nicht vorbereitet. Ich wusste, dass Christopher seine Nichten liebte – und dass er immense Probleme mit deren Mutter hatte, seiner geliebten Schwester. Dass die beiden hier waren, ohne meinen Freund davon in Kenntnis gesetzt zu haben, konnte nichts Gutes verheißen. Hatte Christopher mir nicht einst erzählt, seine Nichten dürften ihn gar nicht besuchen und wenn, dann nur für einige Stunden, wenn ihre Eltern anwesend waren? Wenn sie überhaupt in der Stadt gastierten?
 

Ein unheilvolles Gefühl beschlich mich bei diesen Gedanken, die sich in meinem Kopf breit machten und all den Platz dort einnahmen.
 

Emilie hatte den Hörer in der Hand und hatte es sich zusammen mit ihrer Schwester auf dem Sofa bequem gemacht. „Ja... ja, ich weiß... aber.... Jetzt hör mir doch mal zu, Onkel Chris!“ Urplötzlich sprang sie auf und begann im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Durch die Musik, die immer noch lief, erreichten mich nur Satzfetzen, ich konnte nur genau betrachten, wie sie wild mit den Armen gestikulierte, zuweilen wütend dreinschaute und sich dann wieder Traurigkeit in ihren Blick schlich.
 

Marie saß währenddessen still auf ihren Platz. Als ich sie ansah, blickte auch sie mich stillschweigend an.
 

„Ich bin übrigens Niko“, sagte ich, um diese seltsame Stille zwischen uns zu brechen.
 

„Ich heiße Marie“, entgegnete sie höflich und senkte ihren Blick zu Boden.
 

„Wie alt bist du, wenn ich fragen darf?“, versuchte ich den Small-Talk am Leben zu erhalten.
 

„Zwölf“, sagte sie und hob ihren Blick wieder. „Du?“
 

„Ich bin 21.“
 

Die Kleine wollte etwas sagen, doch ihre Worte blieben unausgesprochen, stattdessen zierte ihr kindliches Gesicht wieder dieser Ausdruck, wie schon vor wenigen Minuten an der Haustür; die großen Augen und der leicht geöffnete Mund. Wahrscheinlich versuchte sie gerade auszurechnen, wie viele Jahre älter Onkel Chris war. Ich Idiot.
 

„Was macht ihr hier? Ihr wohnt doch in Wien, oder nicht?“, versuchte ich deswegen erneut das Thema abzulenken. Doch Marie sagte nichts und das brauchte sie auch nicht, denn ihre ältere Schwester hielt mir gerade den Hörer buchstäblich unter die Nase.
 

„Er will dich sprechen“, sagte sie und suchte bereits den Augenkontakt zu ihrer Schwester und als ich den Hörer entgegnen nahm und mich vom Sofa entfernte, hörte ich die beiden bereits aufgeregt miteinander flüstern.
 

„Hey...“, murmelte ich in den Hörer und schloss die Tür des Arbeitszimmers leise hinter mir.
 

„Das ist mal eine Überraschung, was?“, murmelte Christopher ins Telefon und seufzt.
 

„Allerdings“, meinte ich und biss mir auf die Lippe. „Ich dachte, das wäre der Postbote oder so...“
 

Mein Freund lachte. „Das hätte ich wohl auch eher erwartet. Alles andere als das.“
 

„Ist irgendwas passiert, oder...?“
 

„Nicht wirklich“, schnitt Christopher mir das Wort ab und ich hörte ihn abermals seufzen, aber seine müde Stimme gewann nun wieder an diesem dunklen Timbre, das ich so liebte. „Meine liebe Emilie hatte einen eskalierenden Streit mit der Mama“, erklärte er mir und ich hörte eine gute Prise Sarkasmus in seiner Stimme mitschwingen.
 

„Worum ging's denn?“, fragte ich und lasse mich auf den Schreibtischstuhl niedersinken.
 

„Lappalien. Wie immer. Stella möchte, dass Emilie weiterhin Klavierstunden nimmt, aber Emilie will lieber Volleyball spielen – doch meine Schwester hält nichts von Sport und terrorisiert ihre Tochter deswegen.“
 

„Und deswegen hat sie sich ne Tasche und ihre Schwester geschnappt und ist in einen Flieger gestiegen?“
 

„Niko, ich habe auch keine Ahnung, wie die beiden auf diese Idee gekommen sind – Emilie will Stella wahrscheinlich provozieren und das geht natürlich wunderbar, wenn sie, ohne ihr was zu sagen, zu ihrem schwulen Onkel fährt. Marie macht bei sowas natürlich direkt mit.“
 

„Oh... das ist ja nicht so geil?“
 

„Richtig, nicht so geil, Niko“, er lachte. „Ich... ich versuche jetzt in den nächsten Stunden nach Hause zu kommen, ich hab Emilie versprochen, dass wir Stella gemeinsam anrufen und das muss sehr bald geschehen, die flippt bestimmt aus, wenn sie merkt, dass ihre Töchter nicht mehr da sind – und wahrscheinlich umso mehr, wenn sie merkt, dass sie bei mir sind...“
 

„Oh-oh...“, bemerkte ich und musste lachen. Vermutlich, weil ich so nervös war.
 

„Niko, ich will, dass du dich um die beiden so lange kümmerst. Bestell' bitte was zu essen, die beiden haben Hunger – und du sicherlich auch. Aber davor“, seine Stimme wurde strenger und ernster. „guckst du bitte unauffällig nach, ob irgendetwas im Schlafzimmer herum liegt, oder sonst wo, was uns unangenehm verraten könnte. Und schließ' jetzt sofort das Zimmer ab, verstanden?“
 

Mein Herz klopfte unstetig in meiner Brust und meine Beine bewegten sich schon, bevor ich bewusst einen Befehl an meine Glieder schicken konnte. Ein Blick, um mir Bestätigung zu verschaffen – die beiden Mädchen saßen immer noch auf dem Sofa und redeten aufgebracht miteinander. Ungesehen huschte ich weiter.
 

„Ich bin jetzt im Schlafzimmer“, informierte ich Christopher, nachdem ich leise die Tür hinter mir geschlossen hatte und meinen Blick über meine Umgebung schweifen ließ und die Tür zu unserem Spielparadies anvisierte. Ich holte den Schlüssel aus der obersten Schublade heraus. Das Schloss knackte. „Abgeschlossen.“
 

„Gut. Pass gut auf den Schlüssel auf. Wenn ich da bin, gibst du ihn mir.“
 

„Okay. Was ist mit den Gummis und dem Gleitgel und so?“, fragte ich ihn, während ich den weiteren Inhalt der obersten Schublade betrachtete.
 

„Pack sie irgendwo weit unten in die Kommode. Ich glaube zwar nicht, dass Emilie und Marie hier auf Schatzsuche gehen würden, aber ich möchte einfach nur sicher gehen. Das ist das erste Mal, dass die beiden hier alleine sind, ohne Terror-Mami, die sie nicht eine Sekunde aus den Augen lässt....“
 

„Deine Schwester scheint ja wirklich ein netter Mensch zu sein!“, sagte ich nur zynisch und mein Freund lachte.
 

„Du hast ihr Wesen erfasst, mein Kleiner. Und nun ab, kümmer' dich um meine Lieblingsnichten.“
 

„Das sind doch deine einzigen Nichten!“, meinte ich verwirrt und mein Freund schnaubte am anderen Ende der Leitung.
 

„Das ist der Witz, Niko...“, sagte er spöttisch und ich war mir sicher, dass er gerade erheitert den Kopf schüttelte. „Na, los, ab. Bis dann!“ Er legte auf und ich holte noch einmal tief Luft, bevor ich die Tür öffnete und mich zurück ins Wohnzimmer bewegte. Die beiden stoppten ihre Gespräche, als ich ihnen näher kam und die Musik leiser drehte.
 

„Ähm, habt ihr Hunger? Soll ich uns vielleicht was bestellen?“
 

„Das wäre toll!“, rief Marie aus. Wir einigten uns auf Lasagne. Und während wir auf die Lieferung warteten, ließ ich meinen Blick über die beiden wandern. Emilie war 15, aber sie kleidete sich wie eine 18- oder 20-Jährige, mit engen Röhrenjeans und einem dunklen Top, dass bestimmt zu viel ihres Dekolletees entblößte als es für so ein junges Mädchen „anständig“ wäre; und an ihren Ohren baumelten auffällig große, silberne Kreolen. Ihr Gesicht schien viel zu jung für das Make-Up, das sie aufgetragen hatte: dicke schwarze Ringe um ihre Augen und Rouge auf ihren Wangen.
 

Auch Marie, die noch jünger war, hatte pinkes Lip-Gloss aufgetragen und versucht, ihre Wimpern mit Mascara hervorzuheben. Sie trug einen Minirock aus Jeansstoff und einen grauen Pullover – der Gott sei Dank einen hohen Kragen hatte.
 

„Was starrst du uns so an?“, fragte Emilie mich plötzlich und riss mich mit ihren Worten aus meinen Gedanken. Wir saßen uns am großen Esstisch gegenüber.
 

„Äh, was?“, murmelte ich und Emilie zuckte mit den Schulter und strich ihr Top glatt. Marie hingegen betrachtete mich weiterhin eingehend.
 

„Ist was?“, fragte ich sie und versuchte zu lächeln, da sah das Mädchen leicht verlegen weg. Wie ich hier ein Gespräch zum Laufen bekommen sollte, war mir schleierhaft. Und warum diese beiden aufgetakelten Teenager eigentlich Christophers geliebte Nichten waren, konnte ich ebenfalls noch nicht so richtig nachvollziehen.
 

Wir aßen die Lasagne im Stillschweigen. Die beiden sprachen nur ab und an untereinander – über irgendwelche Freunde, einige Jungennamen fielen, dann zickte Emilie ihre jüngere Schwester wegen irgendetwas an. Der Satz „mach mich nicht immer nach!“, fiel. Ich linste aufs Handy, doch mich erwartete keine Nachricht meines Freundes, kein erlösendes 'ich bin gleich da'.
 

„Habt ihr Süßkram da?“, fragte Emilie mich, als ich die Teller in die Spülmaschine räumte.
 

„Klar.“ Erneut futterten wir in Stillschweigen auf der Couch, beim plärrenden Fernseher, der Konversationen sowieso fast unmöglich machte. Immerzu wanderten meine Augen zu Christophers Nichten – und ihre Blicke wanderten zu mir.
 

Ich fragte mich, ob es vielleicht wirklich ein Schock für die beiden gewesen war, den festen Freund ihres Onkels kennenzulernen, der so viel jünger war. Verdammt, war ich nicht in dem Alter der Typen, in die sich solche Teenies wie Emilie normalerweise verknallten, weil sie meinten, die Jungs in ihrem Alter seien ja alle so infantil? Am Telefon hatte ich durch meinen eigenen Schrecken Christopher gar nicht fragen können, inwieweit seine Nichten im Bilde waren; ob sie nur wussten, dass ihr Onkel schwul ist, oder ob sie es selbst schon gesehen hatten – einen Mann an der Seite des Bruders, den Stella so verteufelte. Wahrscheinlich nicht – wenn Stella hier mehr oder minder die Anstandsdame spielte.
 

Durch diese ganzen Überlegungen wurde mir mulmig zumute und meine eigene Welt der wirren Gedanken hatte mich so in Beschlag genommen, dass ich gar aufsprang, als urplötzlich die Tür ins Schloss krachte. Emilie und Marie sahen auf; und mit einem Mal stürzten sie in Richtung der Haustür.
 

„Onkel Christopher!“, riefen sie beinahe zeitgleich aus und als ich mich umdrehte, da lagen die beiden schon in den starken Armen meines Freundes und Christopher strahlte regelrecht und verteilte kleine Küsschen auf den Wangen seiner lachenden Nichten.
 

„Meine Güte, seid ihr schon wieder groß geworden!“, sagte er lachend. „Lasst mich euch ansehen!“, verlangte er und die beiden machten einen Schritt zurück, um sich in einer lässigen, amateurhaften Modelpose hinzustellen. „Wunderschön seht ihr beiden aus, aus euch werden ja langsam richtige junge Frauen!“
 

„Ich bin schon eine Frau!“, kam es entzückt-empört von Emilie und ich konnte die Augenbraue meines Freundes regelrecht in Zeitlupe in diese skeptische Hochlage rutschen.
 

„Ach ja…“, sagte er und dieses typische, teuflisch-charmante Lächeln trat auf eine Lippen. „Richtige Frauen brauchen nicht so viel Schminke, das ist doch Teenie-Kram, also wisch' dir mal den Eyeliner gleich im Bad ab.“
 

„Onkel Chris!“, schimpfte sie, und ihre Stimme nahm diesen fast schon hysterischen Tonfall an. Doch Christopher lachte nur.
 

„Schon gut, schon gut, Emilie. Ich bin nicht deine Mutter. Nimm' es nur als guten Rat an: weniger ist oft mehr“, zwinkerte er ihr zu und sie schnaubte, konnte aber nicht verhindern, dass sie sein Lächeln doch erwiderte und er drückte sie nochmal und sagte zu ihr: „Du siehst toll aus, Kleines. Ihr seht beide toll aus.“
 

Wie kann man die Gesichter dieser beiden Mädchen beschreiben: knallrot wie eine Tomate mit einem atemberaubenden, ehrlichen Strahlen, das man wirklich nur von sehr jungen Menschen – Kindern - kennt, wenn sie noch so unschuldig und gar naiv sind?
 

„Hätte ich gewusst, dass ihr kommt, hätte ich auch mehr Zeit gehabt, mir Gedanken über ein adäquates Geschenk zu machen. Jetzt müsst ihr euch halt hiermit zufrieden geben“, und damit schnappte er sich seine Aktentasche und zauberte zwei kleine Päckchen daraus – in denen sich jeweils ein Fläschchen Parfüm befand.
 

„Oah, cool!“, rief Marie direkt.
 

„Danke, Onkel Christopher!“, flötete auch Emilie und fiel meinem Freund erneut um den Hals, gefolgt von Marie.
 

Ich kann gar nicht sagen, was für Gefühle dieses kleine Familientreffen in mir auslöste, das sich direkt vor meinen Augen abspielte. Ich kannte Christophers zärtliche Seite bereits sehr gut, aber das hier war nochmal eine gänzlich andere Geschichte jener; eine andere Nuance. Er war so liebevoll und sah den beiden direkt in die Augen, während sie ihm gerade stürmisch und durcheinander aufgeregt etwas erzählten, was völlig an mir abprallte, weil ich nicht meine Augen von seinem weich gezeichnetem Gesicht nehmen konnte, das so viel Liebe und Sorge widerspiegelte, dass es kaum zu fassen war und mich auf diese angenehme Weise durcheinander brachte; und als ich das Trio weiter so stillschweigend beobachtete, richteten sich Christophers Augen endlich auf mich.
 

Auch mir schenkte er ein Lächeln. „Hat euch Niko denn gut umsorgt?“, fragte er danach seine Nichten.
 

„Wir haben Lasagne gegessen“, entgegnete Marie und grinste, Emilie sagt gar nichts, ließ ihren Blick zwischen mir und ihrem Onkel wandern und Letzterer kam plötzlich auf mich zu, bis er direkt von mir stand. Christopher hielt inne und wir beide konnten die intensiven Blicke seiner Nichten, die jetzt nur wenige Schritte von uns entfernt standen, deutlich spüren. Taxierende, abwartende Blicke. Neugierige Blicke.
 

„Hey…“, murmelte er etwas leiser.
 

„Hi…“, entgegnete ich und die Stimmung, die uns in diesen Augenblicken umgab war seltsam, irgendwie beklemmend und leicht beschämend. Hier standen wir direkt vor seinen Nichten und keiner von uns wusste so richtig, wie er sich zu verhalten hatte. Ich wandte meinen Blick ab und presste meine Lippen aufeinander. Ich wollte nichts Dummes tun, nichts Blödes sagen – ich wusste, wie viel Christopher seine Nichten bedeuteten, aber ich wusste noch nicht, wie weit ich gehen durfte, wie weit ich gehen sollte. Dieser Besuch war so spontan, dass mein Freund und ich gar keine Chance gehabt hatten, uns auf jenen vorzubereiten.
 

Unerwartet entglitt meinem Master ein Seufzen. Mechanisch richtete sich mein Blick auf ihn und ich hörte ihn dann noch murmeln: „Ach, was soll’s“ – dann schon lagen seine Lippen kurz, vielleicht eine Sekunde lang, auf meinen; er küsste mich keusch und rasch, aber er küsste mich. „Hallo, Niko“, begrüßte er mich ein weiteres Mal. Offiziell. So wie immer. Wenn ich nicht gerade nackt auf dem Boden kniete und seine Heimkehr erwartete.
 

„Hallo, Christopher“, entgegnete ich, ein wenig in diesem Gedankengang verloren. Er legte seinen Arm um meine Schulter und drehte uns beide so, sodass wir seinen Nichten nun direkt ins Gesicht blicken konnten. Er strahlte.
 

„Na, wie gefällt euch Niko?“, fragte er dann frech und mir stockte der Atem. Christopher war so direkt und dabei irgendwie total flapsig. Irgendwie… Wie ein cooler Onkel eben.
 

Emilie und Marie fingen an zu kichern. Ich hatte starre, schockierte Gesichter erwartet, einen Moment der beklemmenden Stille, aber die beiden Mädchen kicherten und ihre Gesichtsfarbe war immer noch von diesem krebsigen Rot geprägt; und wie sie einander sporadisch ansahen, so erheitert.
 

„Niko ist ja ganz süß, ne…!“, meine Emilie plötzlich ebenso frech und flapsig, ohne einem von uns in die Augen zu sehen, und musste unmittelbar über ihre eigene Aussage so laut lachen, dass sie sich die Hände vor dem Mund hielt und die Flucht aus unserem Blickwinkel in Richtung der Sofaecke ansetzte; und auch Maries Kichern wurde intensiver und sie wieherte beinahe wie ein kleines Pferd. Ob sie wohl noch die Wendy las? Höchstwahrscheinlich nicht.
 

„Find' ich auch“, hörte ich meinen Freund sagen, dann schon zwickte er mich kurz in die Seite und ich jauchzte auf, was die beiden Mädchen, die sich nun beide wieder auf dem Sofa lümmelten, eine weitere Lach-Attacke bescherte. Christopher hingegen grinste einfach nur, als er mir einen Blick zuwarf, bevor auch wir uns zu den beiden setzten.
 

„So, meine Lieben, kommen wir zum geschäftlichen Teil“, setzte er nun etwas ernster an und Emilie und Marie verstummten. Seine Worte richtete mein Freund an die Ältere. „Wie abgemacht, lasse ich euch nur hier bleiben, wenn ihr eurer Mutter Bescheid sagt. Und wie abgemacht habe ich euch bis jetzt Zeit gegeben – Niko, hol doch bitte das Telefon her.“
 

Während der kurzen Zeit, die ich brauchte, um das geforderte Gerät herzutragen, hörte ich ein Maulen und Meckern und Nörgeln und Zischen, all das aus Emilies Mund. „Kannst du das nicht lieber ganz allein machen, Onkel Chris?“
 

„Hast du mir nicht eben gesagt, du seist so erwachsen? Erwachsene Menschen stehen zu den Konsequenzen ihres Handelns, mein Schatz“, erwiderte er lässig und unsere Finger streiften sich, als ich ihm das Telefon übergab. Kurz streiften sich dabei auch unsere Blicke. Seine Miene war gelassen, doch mittlerweile hatte sich auch ein kleiner Prozentsatz der Strenge und Ernsthaftigkeit eingeschlichen, die Christopher perfekt beherrschte.
 

Emilie seufzte laut und genervt und rollte mit den Augen. „Aber du sagst wenigstens am Anfang was!“
 

„Wie versprochen“, lenkte mein Freund lächelnd ein und seine Nichte seufzte erneut und kaute danach auf ihrer Unterlippe herum, krallte sich ins Sofa und schloss für wenige Augenblicke die Augen, wonach sie ihren Onkel direkt in die Augen sah und sagte: „Bringen wir's hinter uns – und sag ihr, dass wir noch hier bleiben wollen, sonst reden wir nie wieder ein Wort mit ihr!“
 

„Das musst du ihr schon selbst sagen“, meinte er nur und wählte bereits eine Nummer, die er nicht oft anrief. Es dauerte nicht lang, da hatte er seine Schwester bereits an der Strippe. „Hallo Stella. Du fragst dich bestimmt, wo Emilie und Marie bleiben. Sei beruhigt, sie sind wohlauf und bei mir.“ Dann sagte er eine Weile lang nichts, sondern lächelte nur ruhig – und bitter – und hörte sich den Wortfluss aus dem Hörer an. Dann sprach er wieder, seine Stimme trocken und emotionslos, so völlig im Kontrast mit seinem heutigen Gesamtauftreten. „Nein, deine wunderbaren Töchter und ich stecken nicht unter einer Decke. Ich hätte ihnen nie erlaubt, einfach so ins Flugzeug zu steigen und zu mir zu fliegen, ohne dein Einverständnis und das weißt du, selbst wenn du mich gern als regelbrechenden Egoisten darstellen willst, der alles tut, um dich in Rage zu bringen, aber das tut nichts zur Sache. Ich gebe dir Emilie nur, wenn du dich jetzt beruhigst, klar?“
 

Emilie war alles andere als emotionslos am Telefon. Als sie anfing zu weinen und sich mit ihrer Mutter stritt, zog ich es vor, mich zu entfernen. „Ähm“, flüsterte ich zu Christopher, der zu mir aufsah. „Soll ich eben schon mal das Bett im Gästezimmer vorbereiten?“ Er nickte, dann legten sich seine Augen wieder auf seine älteste Nichte, die gerade wieder vorbildlich mit den Augen rollte und ich danach flehend ansah.
 

Ich weiß nicht, was Emilie ihrer Mutter noch sagte, oder was Christopher seiner Schwester gegen den Kopf warf, als ich die Betten machte. Aber als ich wieder ins Wohnzimmer zurückkehrte, war die Stimmung entspannt und Christophers Nichten grinsten beide und warfen sich diese zufriedenen, glücklichen Blicke zu.
 

„Unsere beiden hübschen Gäste bleiben noch bis Sonntag“, erklärte mein Freund mir, ehe ich mich wieder neben ihn setzen konnte.
 

„Oh. Das ist ja toll“, entgegnete ich und ließ mich auf den Platz neben meinem Freund gleiten.
 

„Und am Sonntag lernst du dann noch meine Schwester kennen – sie lässt es sich nicht nehmen, ihre Töchter selbst abzuholen“, fügte Christopher leicht sarkastisch hinzu.
 

„Die Alte spinnt!“, fauchte Emilie, grinste aber umgehend.
 

„Na, na, na!“, monierte Christopher. „So redest du aber nicht über deine Mutter.“
 

„Du magst sie doch eh nicht. Und sie dich auch nicht!“, mischte sich nun plötzlich Marie ein und ihr große Schwester nickte nahezu anerkennend. Onkel Chris seufzte nur.
 

„Ich habe aber immer noch Respekt vor ihr und den solltet ihr auch haben. Sie ist eure Mutter und ihr geht es nur um euer Wohl. Selbst wenn sie manchmal nicht so richtig weiß, wie sie das zu Stande bringen soll und ihre Methoden, so wie ihre Einstellungen, oft fraglich sind“, sagte er nur. Dann: „Und damit beenden wir das leidige Thema und gehen ins Kino, was haltet ihr alle davon?“
 

Natürlich waren die Mädchen begeistert. So begeistert und scheinbar beeinflusst von Christophers Worten, dass sie sich ohne Aufforderung vor unserer Abfahrt frisch machten und das angeprangerte Make-Up entfernten, oder wenigstens minimierten, sodass Emilie nicht mehr aussah wie Kleopatra, sondern wie eine 15-Jährige, die ihre Augen nur ein wenig betonen wollte und Marie wie eine glückliche 12-Jährige, die noch wusste, dass sie ein Kind war und das auch genießen wollte.
 

Dass ich im Wagen hinten sitzen musste, weil Emilie darauf bestand „neben Onkel Chris“ zu sitzen, machte mir nichts aus. Auch nicht, dass wir uns anstatt des Sci-Fi-Streifens den Christopher mir versprochen hatte, einen animierten Pixar-Film reinzogen. Ich war nur ein wenig enttäuscht, oder sollte man vielleicht sagen neidisch, dass Emilie rechts von meinem Freund und Marie links von ihm saßen und ich mich wie das fünfte Rad am Wagen fühlte, als ich zwischen der 12-Jährigen und einem noch kleineren Kind zu meiner Linken eingequetscht war und versuchte, mich auf die Handlung der bunten Figuren zu konzentrieren. Mein einziger Trost war die riesige Tüte Popcorn, die ich ganz für mich allein hatte, während Christopher die zweite Jumbo-Tüte auf seinem Schoß hielt und seine Nichten von beiden Seiten wild hineingriffen.
 

„Alter, du hast ne ganze Ladung allein gefre- äh, gegessen?“, lachte Emilie und schaute die leere, zerknüllte, braune Papptüte ungläubig an, die ich gerade wegschmeißen wollte.
 

„Äh. Ja“, sagte ich nur und sie fing an lauthals zu lachen.
 

„Niko ist manchmal ein kleiner Nimmersatt“, kommentierte Christopher und warf mir einen wissenden Blick zu. Er meinte so viel mehr.
 

Wir fuhren noch in die Stadt. Es war früher Abend. Wir spazierten ein wenig am Fluss entlang, einige Läden hatten noch geöffnet. Christopher fragte seine Nichten über die Schule aus, über die Turnvereine, über Lieblingsfilme, Freunde, Ferientrips und sogar ein wenig über Jungs. Doch beim letzteren Thema kicherten die beiden nur und Emilie ließ lediglich durchblicken, dass sie in einen etwas älteren Schüler verknallt war – mit dem sie sogar schon ein Eis gegessen hatte und mit dem sie gern zusammen wäre, aber das wahrscheinlich unmöglich war, aufgrund verschiedener Faktoren, die sie nicht ausführte. Christopher bohrte nicht nach.
 

Stattdessen bummelten wir weiter durch die Stadt, Christopher und die beiden vorneweg, schnatternd und lachend, ich hinterher, mit einem breiten Grinsen auf meinem Gesicht.
 

Mein Freund war als Onkel einfach unheimlich süß. Wie seine Augen leuchteten, als Emilie ein rotes, wallendes Kleid anprobierte, das sie ein wenig aussehen ließ, wie eine Prinzessin aus einem Grimmschen Märchen. Oder wie schallend er lachte, als Marie Unsinn trieb und Hüte bestimmt für die etwas ältere Generation anprobierte und eben diese ältere Generation mit Gehstock authentisch imitierte. Die Mädchen rissen uns mit – und sogar ich blödelte mit Marie herum, die mir irgendwelche hässlichen Sonnenbrillen aufsetzte. Wir streiften weiter durchs Kaufhaus.
 

„Hey, brauchtest du nicht neue Schuhe fürs Studio?“, fragte Christopher mich plötzlich und deutete auf die Sportabteilung zu unserer Rechten.
 

„Ach, heute habe ich keine Lust zu gucken“, entgegnete ich und zog ihn ganz leicht an seinem Arm weiter. „Heute sind Emilie und Marie die Stars“, fügte ich lächelnd hinzu – und hätte Christopher am liebsten in die nächste Umkleidekabine gezogen. Einfach nur, um ihn abzuknutschen, weil er so sehr bei meiner Aussage strahlte.
 

„Danke“, sagte er knapp.
 

„Wofür?“
 

„Dass du das hier mitmachst.“
 

Ich zuckte mit den Schultern. „Ist doch selbstverständlich.“
 

„Eben nicht“, sagte er, immer noch lächelnd. Dann schon rief Marie nach uns – wir hatten die Schuhabteilung erreicht.
 

Wir stopften die vollen Einkaufstüten in den Wagen, gingen noch etwas essen, Christopher und ich tranken ein Bier und als mein Freund kurz zu den Waschräumen verschwand, schnappte sich die Größere plötzlich mein Bierglas und nahm einen kräftigen Schluck.
 

„Sag mal, spinnst du?!“, zischte ich und riss ihr den Trank aus der Hand. „Du bist erst 15!“
 

„Nawww“, machte sie nur gespielt. „als hättest du mit 15 noch nicht getrunken!“
 

„Habe ich n... Habe ich nicht!“ Natürlich war ich mit 15 schon besoffen. Aber das hier war Christophers geliebte Nichte. Ein kleines Mädchen. Und um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen sagte ich trocken: „Aber junge besoffene Weiber sind wahrscheinlich auch der Grund gewesen, warum ich schwul geworden bin.“ Für einen Moment lang sagte sie dann auch wirklich gar nichts. Nur Marie lachte sich schlapp.
 

Emilie schnaubte. „Ich trinke nie zu viel“, sagte sie dann etwas leiser.
 

„Na, das ist doch gut.“
 

„Ha, ha, guter Witz, Emi!“, meinte Marie plötzlich amüsiert und wandte sich umgehend direkt an mich. „Letztes Wochenende mussten sie drei Schulkameraden von so nem Lagerfeuer wegtragen und Lucia hatte Mama noch angelogen, dass die alle etwas Schlechtes gegessen hätten und ihnen deswegen schlecht war und Emi deswegen so kacke aussah! Bacardi, nicht wahr, Emi?“
 

„Halt deine dämliche Klappe!“, zischte ihre Schwester nur.
 

„Du hast ne dämliche Klappe!“, schoss Marie zurück.
 

Das Gefecht begann und milde Beleidigungen wechselten die Seite wie ein Ping-Pong-Ball, während ich nicht einmal zum Schiedsrichter mutierte, sondern stiller Betrachter der befremdlichen Szenerie wurde und versuchte, ungerührt an meinem Bier zu nippen.
 

„Was ist denn hier los?“, ertönte die Stimme von Onkel Chris, der sich wieder an seinen Platz setzte.
 

„Nichts“, meinte Emilie nur und schaute genervt weg, ebenso wie ihre Schwester.
 

Fragend betrachtete Christopher mich. „Ich glaube, es ging um Pferde – oder Nagellack. Oder beides“, sagte ich schulternzuckend und konnte aus dem Augenwinkel betrachten, wie Emilie ein Lachen unterdrückte.
 

„Ah, ja...“, meinte Christopher und grinste.
 

Ja, es war ein schöner Abend, dieser Freitag, wenn auch seltsam, denn zum aller ersten Mal waren Christopher und ich nicht allein in seiner Wohnung, als die Uhr Mitternacht anzeigte und ich das erste Mal gähnte und sich abzeichnete, dass wir gleich alle ins Bett gehen würden.
 

Emilie und Marie machten sich gerade im Bad fertig und mein Freund setzte sich mit einem Gläschen Wein plötzlich neben mich auf die Couch. Er legte seinen Arm um mich und zog mich an sich. Unsere Blicke trafen sich und Christopher lächelte. Er sagte nichts, sondern küsste mich, zunächst nur zaghaft, keusch auf die Lippen – und dann so richtig. Seine Zunge schmeckte nach Wein, als sie sich um meine wand, wie in einem feurigen Tanz. Frech leckte er mir nochmal über die Lippen.
 

„Hattest du Spaß heute?“, wollte er im Flüsterton wissen.
 

„Mhmmm...“, bejahte ich und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Die Mädchen wünschten uns eine gute Nacht. An ihrem Lächeln konnte ich ablesen, dass sie den Tag genossen hatten und so langsam, ja so langsam konnte ich verstehen, warum Christopher sie so gerne mochte – und warum sie Christopher gern hatten. Hinter der Teenager-Fassade steckte mehr. Bestimmt.
 

Wir schlüpften ins Schlafzimmer. Diese Nacht ließ Christopher mich eine Schlafhose tragen, aus milden „Sicherheitsgründen“, wie er grinsend murmelte. Wir schliefen ruhig, ich träumte absolut nichts. Es war herrlich. Und ich wünschte, der Besuch der Nichten wäre so milde geendet und dass sie am nächsten Morgen einfach wieder abgereist wären. Doch natürlich passierte nie das, was man sich wünschte.
 

Der Samstag begann bereits katastrophal.
 

Christopher weckte mich unsaft und als ich meine Augen öffnete, stand er bereits komplett bekleidet im Mantel über mir. „Die Kanzlei steht unter Wasser, ich muss sofort hin“, informierte er mich, ehe er mir einen hastigen Kuss auf die Stirn drückte. „Wenn Emilie und Marie wach sind, gehst du los und besorgst ihnen zum Frühstück was auch immer sie wollen, ich lege die Geld bereit in der Küche. Falls sie mit dir irgendwo hin wollen und ich noch nicht zuhause bin, rufst du mich an und holst dir erst mal meine Erlaubnis, klar?“
 

„Klar, Christopher...“, murmelte ich immer noch verschlafen und versuchte mich aufzusetzen.
 

„Okay, ich melde mich. Bis dann.“ Ich war schon wieder in den Schlaf gedriftet, da war die Haustür wahrscheinlich noch gar nicht ins Schloss gefallen. Erst einige Stunden später weckte mich ein zaghaftes Klopfen an der Schlafzimmertür und das ebenso zarte Stimmchen, das vorsichtig rief: „Onkel Christopher?“
 

Ich rieb den Schlaf aus meinen Augen und zog mir eilig noch ein T-Shirt über den Kopf, bevor ich die Tür öffnete und Marie gegenüber trat. „Morgen“, grüßte ich sie heiser. „Christopher musste in die Kanzlei, da ist wohl n Wasserschaden oder so“, klärte ich sie auf.
 

„Oh, achso...“
 

„Ich dusche eben schnell und dann besorge ich uns frisches Gebäck fürs Frühstück, wie wär's?“, schlug ich vor und sie lächelte leicht.
 

„Okay!“
 

Das Wasser tat gut und dennoch ließ ich mir nicht viel Zeit. Ich schlüpfte noch im Bad in meine Klamotten und als ich das Wohnzimmer betrat, steckten die beiden Mädchen am großen Esstisch die Köpfe zusammen und tuschelten angeregt. Erst als ich näher an sie herantrat, erkannte ich das Zentrum der Aufmerksamkeit – meinen aufgeklappten Laptop.
 

„Nanu, was macht ihr denn?“, schreckte ich die beiden auf.
 

„Wir wollten nicht an den Rechner von Onkel Chris... An den von Mama dürfen wir auch nie wegen wichtiger Sachen... Wir wollten nur Mails checken und so, aber wir hatten dich nicht wecken wollen!“, ratterte Emilie eine Art Entschuldigung herunter und ich musste fast lachen, so erschrocken wirkte sie dabei.
 

„Ist schon okay“, beruhigte ich sie. „Ich geh jetzt los, Brötchen holen, was darf's sein?“ Sie lächelte und atmete beruhigt aus.
 

Ich schlenderte durch die Gegend, die Mädels wollten eh noch in Ruhe duschen, wie sie es mir mitgeteilt hatten - ich hatte also Zeit. Die Novemberkälte strich über mein Gesicht und ich steckte die Hände in die Jackentaschen. In den nächsten Tagen sollte ich mir wirklich eine Mütze besorgen. Ich kaufte Hörnchen, Croissants und dunkle Brötchen. Christopher rief mich an, als ich gerade aus der Bäckerei trat. Der Schaden sei nicht so riesig, er müsse aber noch viele Dokumente retten und noch ein wenig mit anpacken. „Noch eine Stunde, dann bin ich wieder da, okay?“
 

Als ich die Wohnung betrat, hingen die beiden Mädchen immer noch vor dem Rechner. Ungeduscht und weiterhin in den Bademänteln, in denen ich sie schon vor gut einer halben Stunde verlassen hatte. „Internetsüchtig, was?“, zog ich die beiden auf, die abermals beim Ertönen meiner Stimme zusammenzuckten. Für einen Augenblick sagten sie rein gar nichts und starrten mich an, dann sprach Emilie.
 

„Oh! Du bist ja schon wieder da!“
 

„Ja, also... wollt ihr denn direkt frühstücken oder macht ihr euch erst mal fertig?“
 

„Wir... duschen fix. Kannst ja schon mal den Tisch decken. Wenn du magst!“
 

„Klar.“
 

Trotzdem wartete ich etwa 20 Minuten allein am gedeckten Frühstückstisch in der Küche und betrachtete gelangweilt die weiche Butter, bis die Mädchen endlich zu mir kamen, mit frisch gewaschenem Haar und nach dem neuen Parfüm duftend, das ihnen ihr Onkel gestern erst geschenkt hatte. Ich lächelte sie an und auch sie blickten mich freundlich an - und doch war dieses Frühstück recht seltsam, weil diese Teenager sich ständig irgendwelche Blicke zuwarfen, die ich partout nicht deuten konnten, ohne jegliche Vorwarnung und ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen losprusteten, und auf meine fragende Blicke, ebenso wie mein fast schon erbärmliches „ist was“ absolut nicht reagierten. Mit der Zeit rückte die Frage in den Vordergrund, ob die beiden sich nicht die ganze Zeit über mich lustig machten.
 

„Sollen wir dir beim Abräumen helfen?“, fragte Marie.
 

„Ne, lass mal, macht... was auch immer, ich kümmere mich um die Küche.“
 

Das brauchte ich den beiden scheinbar nicht zwei Mal zu sagen, so eilig stürmten sie davon. Wahrscheinlich wieder an den Laptop. Um mit irgendwelchen Jungs aus der Klasse zu chatten, peinliche Bilder ihrer Freundinnen bei SchülerVZ oder was auch immer zu bewerten, Bilder von ihren Lieblingsstars zu googeln – oder was auch immer man als junges Mädchen im Netz eben so tat.
 

Ob die beiden wohl auf Horrorfilme abfuhren?
 

Ich schlenderte an ihnen vorbei und erblickte nur das Web-ICQ-Fenster, in das die beiden gerade kichernd etwas eintippten und sich erneut erschrocken umdrehten, als sie mich in der Nähe spürten. Teenager und ihre „Geheimnisse“, dachte ich mir nur und ließ mich aufs Sofa fallen, knipste den Fernseher an und ließ mich sinnlos beschallen. Nach einer Weile dann war ich es, der aufschreckte, als die beiden sich auf die Polster plumpsen ließen und mich ziemlich neugierig anblickten.
 

„Ist Onkel Christopher eigentlich dein erster Freund?“, fragte Emilie mich plötzlich und ich hätte schwören können, dass mir augenblicklich heiß wurde, in einem sehr negativen Kontext.
 

„....nein...“, antwortete ich deswegen zögerlich und ließ meine Augen zurück auf den Bildschirm wandern.
 

„Hattest du eigentlich schon mal ne Freundin?“
 

„....nein....“
 

Stille. „Und wie lang seid ihr schon zusammen?“
 

„Knapp acht Monate.“
 

„Wo hast du Onkel Chris kennengelernt?“, fragte sie weiter.
 

„Im Park, beim Spazierengehen, an einem Sonntag. Wird das hier ein Verhör?“, lachte ich.
 

„Ich bin nur neugierig“, sagte sie schulterzuckend. „Sehr neugierig....“, unterstrich sie, wobei sie ihrer Schwester in die Augen sah. Die beiden überkam ein erneuter Lachanfall.
 

„Achso...“, sagte ich nicht gerade überzeugt und ziemlich in Alarmbereitschaft versetzt.
 

„Bist du das, naja, Mädchen in der Beziehung, oder eher Onkel Chris?“
 

„W-Was??!!“, japste ich nur und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Emilie öffnete gerade ihren Mund, wahrscheinlich um diese völlig unangebrachte und so ungraziös formulierte Frage aus der BRAVO zu erläutern, doch genau in dem Moment rettete mich das wohlbekannte Kratzen im Schloss. „Christopher ist da!“, rief ich völlig überflüssig aus und stürmte mehr als ich ging zur Wohnungstür, um meinen Freund zu empfangen.
 

„Hey“, begrüßte er mich grinsend und seufzte erst einmal laut, als er aus seinen Schuhen schlüpfte. „Hast du noch Kaffee da?“ Hastig drückte ich ihm einen Kuss auf den Mund, doch ich schaffte es nicht, ihn vor diesem seltsamen Kreuzverhör zu warnen, denn Emilie stand bereits hinter mir und begrüßte ihren Onkel mit einem freudigen. „Hallo, Onkel Chris!“
 

„Na, Emi – wie geht’s?“
 

Er nahm Platz auf dem Sofa und gab den beiden ein kleines Update bezüglich der Situation im Büro, während ich neuen Kaffee aufsetzte und erst mit den zwei gefüllten Tassen zurück zu der Gesellschaft stieß. Ich ging auf meinen Freund zu und unsere Hände streiften sich bei der vorsichtigen Übergabe der Kaffeetasse. Ich blickte Christopher tief in die Augen. Ob er meine kleine Warnung erkannt hatte, das wusste ich allerdings nicht.
 

Ich setzte mich neben ihn, ganz nah, sodass sich unsere Oberschenkel berührten und nippte vorsichtig an dem viel zu heißen Kaffee, verbrühte mir die Zunge und fluchte, während Christopher nur den Kopf schüttelte. „Hattet ihr denn bis jetzt einen schönen Tag?“, fragte er seine Nichten.
 

„Wir haben ganz toll geschlafen!“, meinte Marie. „Bei uns ist ja Samstag immer Putztag, da weckt Mama uns schon immer gegen neun.“
 

„Schweinerei“, bekundete ich und Marie musste grinsen.
 

„Putztag...“, wiederholte Christopher nachdenklich. „Interessant. Ich dachte immer, Stella würde eine Putzfrau einstellen.“
 

„Hat sie ja auch, aber die macht nur die Wäsche und das Untergeschoss, für unsere Zimmer und den Flur und das Bad und so sind wir ja verantwortlich!“, schimpfte Marie weiter.
 

„Ja, das nervt total“, pflichtete Emilie ihrer Schwester bei.
 

„Aber es hat seinen Sinn“, schnitt Christopher ihr die weiteren Mecker-Triaden an und lächelte ruhig. „Nur durch Aufräumen könnt ihr Ordnung lernen und je früher, desto besser.“
 

„Boah, bist du jetzt schon wieder auf ihrer Seite?“, fauchte Emilie und verdrehte die Augen.
 

„Ich bin auf niemandes Seite“, sagte mein Freund ruhig. „ich äußere hier nur meine Meinung.“
 

„Aber du findest doch auch, dass Mama total übertreibt, oder?“
 

„In sehr, sehr vielen Punkten.“ Die drei grinsten breit,
 

„Ich finde das übrigens sehr cool, dass du dazu stehst, dass du schwul bist“, sagte die Ältere dann plötzlich. „Das durfte ich dir ja bis jetzt nie so richtig sagen.“
 

Fast schon hatte ich geglaubt, dass die Fragen von vorhin unter den Tisch gekehrt worden waren, wo sie ohne jegliche Beachtung einfach verpuffen würden; dass ich das Kreuzverhör nie erwähnen müsste.
 

Christopher nahm gerade seinen ersten Schluck Kaffee zu sich, als Emilie plötzlich weiter sprach: „Stehst du eigentlich auch offen dazu, dass du deinen Freund gerne auspeitscht?“ Wie eine kleine Fontäne spritzte der Kaffee aus Christophers Lippen und verteilte sich tröpfelnd auf dem Teppich und ich saß da wie schockgefrostet. Es dauerte einen Moment, ehe Christopher wieder sprach.
 

„Emilie! Was soll der Unsinn? Ich darf doch bitten! Jetzt habe ich wegen dir so eine Sauerei veranstaltet, wie kommst du auf solche absurden Ideen?!“ Ungläubig und immer noch ein wenig schockiert schüttelte er den Kopf und wischte sich den Mund mit einem Taschentuch ab.
 

„Wir haben da ein paar witzigen Peitschen gefunden und die sind ganz sicher nicht fürs Reiten – du findest Pferde doof“, erklärte die 15-Jährige ihrem Onkel mit trockener Stimme und warf ihrer Schwester einen wissenden Blick zu. „Und außerdem sind uns auf Nikos PC genügend SM-Videos entgegen gesprungen“, nahm sie meinem Freund grinsend den Wind aus den Segeln, der gerade etwas erwidern wollte. Oh-Oh.
 

In meinem eigenen Heimkino inmitten meines Kopfes sprangen Erinnerungen an gewisse Ordner auf, die ich vielleicht nicht so gut in den Wirren meiner Festplatten versteckt hatte, ein Sammelsurium an verschiedenen Clips, mit Notizen im jeweiligen Ordner versehen, wie zum Beispiel: „sollten wir mal probieren“ oder „könnte Chris mal mit mir im Hotel machen“ oder einfach nur „für die Zukunft“. Wunschlisten mit Bildern von bestimmten Spielzeugen – zum Teil ebenfalls mit Notizen bespickt. Großartig. Ich Volldepp. Ich hätte die Mädchen nie an meinen Laptop ran lassen sollen.
 

Aber... woher kamen die Peitschen?!
 

Ich wagte es nicht, Christopher anzusehen und starrte deswegen den Teppichboden an. Er räusperte sich und seine Stimme klang endlich wieder gefasst – damit hatte er ja auch eigentlich Erfahrung; sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, unantastbar zu wirken, sich nicht beeindruckt zeigen. „Was für Peitschen habt ihr bitte wo gefunden?“
 

Nur langsam richteten sich meine Augen auf die schwarzen, handlichen Flogger und das ebenso dunkle Paddel, das Emilie demonstrativ auf den tiefen Tisch vor uns platziert hatte. Jetzt fiel mir auch wieder der Moment ein, in dem ich eben diese Dinge ins Gästezimmer gebracht hatte – um sie zu verstecken; um Christopher einen dämlichen Streich zu spielen, damit er mir den Arsch versohlt.

Oh-Oh.
 

„Hm“, machte Onkel Chris und ich richtete meinen Blick im Zeitlupentempo auf ihn. Er hatte die Beine übereinander geschlagen und seine Arme vor seiner Brust verschränkt. Christopher schaute mir direkt in die Augen, doch was genau sich in diesem Blau dieses Mal widerspiegelte, das konnte ich dieses Mal nicht ansatzweise dechiffrieren. „Hm“, wiederholte er ein weiteres Mal und seine Augen wanderten zurück zu seinen Nichten. Dann schlich sich plötzlich dieses markante Grinsen auf sein hübsches Gesicht. „Erwischt.“
 

Das war alles, was er sagte! Und dieses verschmitzte Lächeln, das sein Grinsen dabei ablöste!
 

Ungläubig starrte ich meinen Freund an. Hatte ich erwartet, dass er weiter alles abstreiten würde, dass er eine große Szene daraus machen würde, dass er den Fund mir in die Schuhe schieben und vor seinen Nichten so tun würde, als wüsste er nicht von diesen grotesken Spielzeugen in seiner Wohnung? Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, auf jeden Fall war es kein simples „erwischt“.
 

Und auch Emilie und Marie hatten scheinbar mit einer gänzlich anderen Reaktion seitens ihres Onkels gerechnet, denn sie starrten ihn ebenso verdattert an, wie ich es tat. Christopher jedenfalls beugte sich nun etwas vor und stützte seine Arme lässig an seinen Beinen ab. „Aber das ist ein Geheimnis. Und ihr könnt doch ein Geheimnis für euch behalten, oder? Wenn eure Mutter davon erfährt, tja, dann sehen wir uns wahrscheinlich nie wieder“, flötete er fast schon und sah zunächst Marie und dann Emilie tief in die Augen.
 

Erwischt.
 

„Okay“, war alles, was Emilie ausdruckslos und wahrscheinlich immer noch ziemlich verwirrt dazu sagte. Als sie sich wieder etwas gefasst hatte - minimal - und ihr Blick wieder an einer gewissen provokativen Selbstsicherheit gewann, die so typisch für rebellierende Teenager war, sprach Christopher weiter.
 

„Ich frage mich jetzt aber auch natürlich, wie ihr eigentlich auf die Idee gekommen seid, in Nikos privaten Dateien herumzuschnüffeln. Das gefällt mir ganz und gar nicht!“
 

„Die waren halt da!“, versuchte Emilie sich und ihre Schwester zu verteidigen.
 

„Keine Dateien sind einfach halt da, erst recht nicht solche Filmchen, für die ihr beide noch viel zu jung seid“, sagte er trocken und blickte seine älteste Nichte weiterhin mit einem strengen Erwachsenenblick an.
 

„Jahaaa...“, meinte sie etwas genervt. Vielleicht auch, weil der Plan, Onkel Chris irgendwie aus der Ruhe zu bringen, gescheitert war. Warum auch immer sie das vorgehabt hatten. Emilie suchte nach den richtigen Worten und ließ die Schultern hängen. Marie schwieg unterdessen weiter und schaute gar etwas peinlich benommen den Boden an. Ihr Schwester seufzte. „Die waren halt nicht richtig gut versteckt.“
 

„Immer noch kein Grund, persönliche Ordner zu durchforsten.“
 

„Jahaaaaa... ich weiß.“
 

„Aber?“
 

„Ja, nix aber!“ Sie verschränkte die Arme vor ihrem Körper.
 

„Du, oder besser gesagt, ihr“, Marie zuckte bei diesem Wort auf, „habt es trotzdem getan.“
 

„Wir waren halt neugierig!“, blaffte Emilie und seufzte erneut. Auch ihr war die Lage mittlerweile etwas peinlich. So jedenfalls erschien es mir.
 

„Hachja, diese heimtückische Neugier“, meinte Christopher und lehnte sich zurück. „Vielleicht entschuldigt ihr euch bei Niko, dass ihr seine Privatsachen durchgesehen habt, hm? Würdest du das schön finden, wenn, sagen wir mal deine Mutter, dein Tagebuch liest und dich plötzlich mit der verbotenen Schwärmerei für deinen Lehrer, die scheinbar viel zu weit geht, konfrontiert?“
 

„Marie, du solltest doch nichts sagen!“, schrie Emilie ihr Schwester erschüttert an. Marie schaute sie an wie... ein Auto und Christopher lachte kalt.
 

„Liebes – du hast mir gestern den ganzen Abend lang so viele indirekte Details verraten. Ich kann eins und eins zusammenzählen, ich bin Anwalt – ich werde ständig angelogen. Direkt oder indirekt. Ich rieche so etwas und ich puzzle gern Gesprächsfetzen zusammen. In deinem Fall war die Interpretation sehr einfach“, meinte er und Emilie presste die Lippen aufeinander, sodass sie einen dünnen Strich formten. „Siehst du – es ist nicht schön, wenn man sich in sehr private Angelegenheiten mischt, oder?“
 

Bedächtig nickte sie, ohne einen von uns anzusehen. Dann murmelte sie beinahe geistesabwesend: „Tschuldigung.“
 

„Ja, tut mir auch leid!“, gab Marie eifrig hinzu und sah mich dabei sogar kurz an.
 

„...ist schon gut“, murmelte ich, als auch Christopher mich auffordern anblickte. Mir war heiß und kalt zugleich. Erneut war ich maßlos überfordert mit der Situation, in der ich mich überplötzlich befand – und für die dich dieses Mal sogar selbst verantwortlich war.
 

Erwischt.
 

„Mir tut es auch leid, dass ihr so etwas über mich erfahren musstet“, fuhr Christopher plötzlich in einem sehr, sehr milden Ton fort und brachte die Mädchen dazu, ihn endlich wieder direkt anzusehen. Er lächelte ganz leicht. „Ich hoffe, unser Verhältnis ändert sich dadurch nicht. Ich hab euch beide furchtbar lieb, wisst ihr das? Und ich hoffe, ihr denkt jetzt nicht anders über mich.“
 

„Tun wir nicht, echt nicht!“, entglitt Emilie umgehend und sie schüttelte eifrig den Kopf, so als wolle sie ihre Aussage nochmals physisch unterstreichen – und auch Marie schüttelte ebenso heftig ihr Köpfchen und starrte ihren Onkel gar ein wenig erschrocken an.
 

„Na... dann ist ja gut“, sagte dieser erleichtert und intensivierte sein Lächeln. „Trotzdem würde ich euch nun bitten, die Finger von Nikos und auch meinen Privatsachen zu lassen, das macht man nicht, verstanden?“ Die Mädchen nickten und schauten ihren Onkel weiterhin an. Ihre Blicke hätte man als eine Mischung aus seichter Bewunderung, leichter Angst mit einer Prise Neugier beschreiben können. Christopher seufzte. „Wenn ihr Fragen habt, dann ist jetzt die erste und auch die letzte Gelegenheit dazu; danach sprechen wir nicht mehr darüber, einverstanden?“
 

Eine Pause entstand und Emilie und Marie blickten sich etwas unsicher von der Seite an. Es war natürlich wieder die Ältere, die sich als erste räusperte und dann vorsichtig fragte: „Ist... macht ihr das oft?“
 

„Ja“, entgegnete mein Freund. Erneut wurde es still. „Noch etwas?“, hakte er nach – Emilie schüttelte den Kopf und ich fragte mich immer noch, was diese ganze Aktion eigentlich sollte. „Gut, dann hätten wir das ja geklärt. Ihr haltet brav euren Mund – eure Mutter wird eh schon ausflippen, wenn sie Niko kennenlernt und mich dann als Kinderficker deklariert.“ Nach einem weiteren Augenblick der Stille, in dem es mir die Kehle zuschnürte, fingen Emilie und Marie an zu lachen.
 

„Das wird sie auf jeden Fall tun!“, prustete die Ältere.
 

„Das glaub ich auch!“, pflichtete die Jüngere ihr bei.
 

War ich immer noch verwirrt? Mehr als das.

War mir die Situation unangenehm? Mehr als das.

Hatte ich Angst vor dem nächsten privaten Gespräch mit Christopher? Verdammt.
 

Erst langsam, nachdem Christopher den Fernseher eingeschaltet hatte und den Mädchen einen weiteren Ausflug in die Stadt zum Bowling und zum Essen versprach, beschlich mich langsam die Realität und mir dämmerte, was so eben passiert war.
 

Ich erwachte bedächtig aus meiner Schockstarre, die mir erlaubt hatte, während der Konfrontation mit Christophers Nichten nicht zu explodieren und durchzudrehen. Ich betrachtete mein Spiegelbild im Badezimmer. Ich hatte uns soeben verraten. Und das nicht vor Frank oder vor Markus und Paul, oder irgendwelchen Arbeitskollegen oder Mandanten von Christopher, sondern vor Christophers minderjährigen Nichten. Ich musste mit ihm sprechen; allein und sofort.
 

Ich tapste in die Küche und fand Christopher dort allerdings nicht vor. Auch im Arbeitszimmer verweilte er nicht. Im Schlafzimmer stieß ich endlich auf ihn. Ruhig lag er mit dem Rücken auf dem großen Bett, die Hände über sein hübsches Gesicht geschlagen. Er reagierte gar nicht, als ich mich vorsichtig neben ihn setzte. Eine ganze Weile starrte ich ihn einfach nur an. Ich war unsicher, was ich meinem Freund sagen sollte, wie ich diesen desaströsen „Fauxpas“ erklären konnte, wie ich mich dafür entschuldigen könnte.
 

Langsam dann glitten Christophers Hände von seinem Kopf, den er mir ebenso langsam zuwandte; sein Blick ruhte auf mir. Dann sagte er mit eisiger Stimme: „Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst die Wohnung checken und alles gut verstecken, was uns verraten könnte?“ Abermals war ich wie gelähmt und nicht in der Lage, ihm zu antworten; starrte nur in seine betörenden Kristalle und atmete ein und aus. Das war alles, wozu ich fähig war. Mein Freund setzte sich auf und drehte sich mir noch weiter zu, ohne den Blickkontakt dabei zu brechen. „Was hast du daran nicht verstanden?“, monierte er. Ich schluckte.
 

„Ich... hatte die Dinger total vergessen.“
 

„A – gerade deswegen sagte ich: check das Schlafzimmer und den Rest. B – was hatten diese Sachen dort eigentlich zu suchen?“
 

Erwischt.
 

„Ich wollte dich ärgern, damit du mir den Arsch versohlst“, antwortete ich ehrlich und mein Mund fühlte sich dabei unheimlich trocken an.
 

Christopher schnaubte. „Glaub mir, ich werde dir deinen süßen Hintern noch gerne öfters versohlen, aber nicht für diese Aktion.“ Bedrohlich starrte er mich an. „Nein, mein lieber Niko, für diese Aktion kannst du mit etwas völlig anderem rechnen. Ab jetzt will deinen Rechner jede Woche zur Kontrolle haben: Wenn meine Nichten an deine pikante Videosammlung kommen, dann können es auch deine Kommilitonen oder Freunde, bei denen du deinen Laptop ja gerne einfach mal so offen stehen lässt und wer weiß was für Scheißkram du sonst noch da drauf hast. Und noch etwas: Internet ist für dich ab sofort tabu, das heißt: einen Monat lang keine Horrorfilme im sowieso illegalen Stream und kein dämliches Chatten noch sonst etwas; du wirst einen Monat lang das World Wide Web nur für Uni-Zwecke nutzen, ist das klar?!“
 

„Ja, Christopher“, flüsterte ich.
 

„Und außerdem hast du jetzt für diese Zeit ebenfalls eine Weggehsperre. Keine Partys und keine Shoppingtrips oder sonstiges Vergnügen, verstanden?“
 

„...ja, Christopher.“
 

„Gut. Und du verbringst die meiste Zeit bei mir, damit ich das auch alles kontrollieren kann.
 

„Ja, Christopher.“
 

Die Horrorfilme trafen mich am meisten. Doch ja, ich hatte es verdient. Mehr als verdient. Christopher seufzte und ließ sich wieder nach hinten mit dem Rücken auf die Matratze fallen. Wir schwiegen. Dann räusperte ich mich.
 

„Das tut mir echt total leid“, bekundete ich leise. „Wirklich.“
 

„Ich weiß...“, sagte er ebenso leise, ohne mich dabei anzusehen. Dann lachte er plötzlich und schüttelte den Kopf, strich sich mit beiden Händen erneut über sein nun müde wirkendes Gesicht. „Ich kann einfach nicht glauben, was gerade passiert ist...“, murmelte er. „Heilige Scheiße.“
 

„...du hast aber echt gut reagiert.“
 

„Glaub mir“, sagte er lachend und wandte mir erneut seinen Kopf zu. „mir ist der Arsch auf Grundeis gegangen.“
 

„...was?! Das hat man dir aber so gar nicht angemerkt!“
 

Mein Freund grinste. „Haben mir die ganzen Jahre als Jurist doch was gebracht.“
 

„In der Tat...“ Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, während Christopher mich die ganze Zeit weiter betrachtete. „Was... Wieso... Ähm. Was sollte das eigentlich von Emilie? Ich meine – was war der Sinn der Aktion? Ich dachte sie mag dich, wieso macht sie dann sowas?“
 

Christopher lachte und setzte sich erneut auf. „Niko, Emilie ist ein Teenager der unter recht konservativem, völlig übertriebenem Druck zuhause leben muss und gerade in ihrer absoluten Rebellionsphase steckt. Da gehören solche derben Provokation eben dazu – ein wenig herumstochern, Erwachsene auf die Palme treiben, sie denkt da nicht nach und irgendwie kann ich das auch nachvollziehen. Ich hatte auch mal so ne Phase.“
 

„Du?!“, schrie ich fast schon.
 

„Ja, ich“, meinte er daraufhin nur gelassen.
 

„Du bist doch mega behütet aufgewachsen mit Kindermädchen und so ner kacke und hast von Anfang an in der Kanzlei von Daddy geschuftet!“
 

„Gerade deswegen“, meinte er nur und grinste leicht. Immer noch recht fassungslos starrte ich in seine Augen und konnte mir Onkel Chris partout nicht als rebellierenden Teenie vorstellen. Das war... ziemlich unsexy.
 

„Hast du nicht rebelliert und Unsinn getrieben, mein Kleiner? Du steckst doch selbst noch mitten in der Spät-Pubertät – wenn du schon Sextoys versteckst, nur um deinen Freund wütend zu machen...“
 

„Ja, ähm...“
 

„Emilie hat meinen wunden Punkt, mein tiefstes Geheimnis entdeckt – ist doch klar, dass sie ohne darüber nachzudenken agiert hat. Dass diese Aktion keinen tieferen Sinn hatte, hat man doch direkt gemerkt, als ich es zugegeben hatte. Auch, dass sie eigentlich keine Details darüber wissen möchte – seien wir ehrlich: willst du etwas vom Sexleben deines Onkels oder deiner Tante erfahren?“
 

„Bloß nicht!“
 

„Siehst du. Emilie wollte mich zur Weißglut bringen, oder mich mit hochrotem Kopf erleben. Einfach nur so.“
 

„Ich dachte, sie will dich erpressen oder so...“, nuschelte ich, doch Christopher lachte nur.
 

„Sie kriegt doch eh alles von mir, was sie will“, bemerkte er dann nur grinsend.
 

Dass das wirklich so war, das bestätigte unser Ausflug am Nachmittag nur: noch mehr Klamotten, teures Essen, Bowling, DVDs, Bücher. Ich muss sogar zugeben, dass die Stimmung durch diese doch recht unangenehme Konfrontation nicht getrübt war. Vielleicht, weil wirklich alle so taten, als wäre nichts passiert. Ich jedenfalls hatte definitiv vor, diese Schiene weiter zu fahren. Der Abend gipfelte in einem DVD-Abend mit selbst gemachtem Schoko-Fondue. Die Mädchen waren im siebten Himmel. Und dieser Tag wäre fast komplett unschuldig geendet, hätte Emilie mir nicht, nachdem sie aus dem Bad kam und ich jenes betreten wollte ein „gute Nacht, du Masochist“ gewünscht – mit einem teuflischen Grinsen auf ihrem Gesicht.
 

Onkel Christopher hatte recht. Dreckspubertät.

Ich sagte ihm nichts davon, als ich sein Schlafzimmer betrat.

„Weißt du“, flüsterte er mir ins Ohr, als ich mich an ihn kuschelte und das Licht bereits gelöscht war. „Wenn die beiden nicht hier wären, würde ich dich für die Nacht in die Sklavenbox stecken. Oder dich auf dem Boden schlafen lassen. Also genieß' diese Nacht noch – morgen wird es schon ganz anders für dich aussehen.“ Seine physischen Zärtlichkeiten, die Lippen die ganz sachte an meinem Ohrläppchen nippten und seine heißen Hände, die sich auf meinen Hintern legten, standen im krassen Kontrast zu seinen eben geäußerten, harschen Worten. Christopher war der Wahnsinn.
 

„Ich liebe dich“, flüsterte ich nur und hörte ihn leise lachen.
 

„Und ich könnte dir immer noch den Kopf abreißen“, meinte er – schob mein Kinn mit seinem Zeigefinger aber an und küsste mich leidenschaftlich, sodass ich mir wünschte, nie in den Schlaf abzudriften. Doch genau jenes geschah, weil es in der Natur des menschlichen Organismus lag, zu schlafen.
 

Das Sonntagsfrühstück war die Hölle. Noch bevor Christopher sich Kaffee eingießen konnte, klingelte das Haustelefon: Stella stieg bereits in ein Taxi und war auf dem Weg hierher. Emilie und Marie, beide unausgeschlafen, stöhnten genervt und ihnen verging der Appetit. „Niko“, wies Christopher mich im milden Ton an. „Zieh dich um.“ So wechselte ich unter seinem wachsamen Auge aus der ausgewaschenen Jeans und dem etwas weiteren Pullover in eine elegantere Hose und ein schwarzes, kurzärmliges Hemd. Christopher trug einen schwarzen Anzug, so als würde er gleich zur Arbeit fahren. „Damit sie wenigstens bezüglich des Outfits die Klappe hält“, murmelte er und zwinkerte mir zu. Dass er alles andere als erheitert über den Besuch seiner Schwester war, das konnte ich ihm an jedem Zentimeter seines Gesichts ablesen.
 

Die Türglocke schellte und unmittelbar folgte ein langgezogenes „O Gott...“ von Emilie, die dazu auch noch demonstrativ die Augen verdrehte und nur wenige Sekunden später trat eine hochgewachsene blonde Frau zu uns ins Wohnzimmer. Keine Frage: Stella war eine attraktive Frau in den 40ern, die viel Wert auf ihr Äußeres legte, ohne dabei billig zu wirken und dem Trend der künstlichen Jugend zu folgen, wie man sie von Botox-Schlampen aus dem Fernsehen erkennen konnte. Ihr Haar war lang und ihre Augen ebenso blau wie die von Christopher ich schluckte, noch mehr, als mein Freund hinter ihr auftauchte und mir diesen 'na los!'-Blick zuwarf.
 

„Stella, das ist Niko“, sagte er und wies mit der Hand auf mich. Automatisch reichte ich seiner Schwester die Hand, die sie beinahe sofort ergriff.
 

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte ich und war dankbar, dass ich sie nicht aus Versehen geduzt hatte. Christopher hatte mich schließlich gewarnt.
 

„...hallo....“, murmelte Stella und starrte mich seltsam lange an. Dann räusperte sie sich und ihre Stimme war fester und kühler als sie wieder sprach. „Ich bin Stella Weinert, ich habe schon von Ihnen gehört. Nett, Sie mal kennenzulernen. Christopher kommt uns ja kaum besuchen“, fügte sie noch kälter an und ich sagte einfach mal gar nichts dazu sondern lächelte debil. Dann schon existierte ich für Stella gar nicht mehr, denn sie warf sich auf ihre Töchter, wie eine Löwin.
 

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?! Weißt du, was alles hätte passieren können? Weißt du, was für Sorgen dein Vater und ich uns gemacht haben, Fräulein?“, begannen die sozial vertretbaren Tiraden der blonden Frau, die Christopher so ähnlich sah und doch nicht unterschiedlicher hätte sein können. Die sozial nicht mehr vertretbaren Antworten ihrer Tochter waren durchaus lauter. Benommen stand ich da und starrte das streitende Paar an.
 

Natürlich war es Christopher, der dazwischen trat und versuchte beide Parteien zu beruhigen – doch nichts half. Stella bellte ihn an, sie beschimpfte ihn als „beschissenes Beispiel“ für ihre Töchter und warf ihm vor, Emilie und Marie gegen sie aufzuhetzen, wogegen Emilie und Marie aber so vehement protestierten, dass es wirklich nur eine Frage der Zeit war, bis die ersten Tränen der Mädchen flossen und sie eben in jener Verfassung, wütend und aufgebracht, in ihr Zimmer stampften, um ihre „scheiß Koffer“ zu holen. Christopher nickte mir zu, ihnen zu folgen und ich tat es.
 

Emilie fluchte unter ihrer Nase, als ich das Zimmer betrat. „Braucht ihr Hilfe?“ Sie sah mich an mit ihren rötlichen Augen und zog die Nase hoch.
 

„Sie ist furchtbar. Oder?“
 

Ich überlegte kurz. Dann nickte ich. „Ja. Ich bemitleide dich.“ Wir lachten, alle drei. Und genau dann steckte mir Emilie einen kleinen Zettel zu.
 

„Adde mich mal bei ICQ, aber sag Christopher nix davon!“
 

„Ähm?“
 

„Tu was ich sage, oder du wirst es bereuen!“
 

Ich glaubte Emilie aufs Wort. „Okay, okay...“, beruhigte ich sie und steckte den Zettel ein.
 

Der Abschied war furchtbar. Die beiden umarmten ihren Onkel beinahe minutenlang und ich hörte Emilie immerzu „tut mir leid“ murmeln. Ob sie die Sache mit den Peitschen meinte oder die Gesamtsituation mit ihrer Mutter, ich weiß es nicht. Stella jedenfalls war eisig, als sie sich von ihrem Bruder verabschiedete, der die ganze Zeit über ruhig geblieben war. Mir gab sie nicht einmal die Hand. Und dann, dann fiel die Tür laut ins Schloss und die zankenden Stimmen im Hausflur wurden immer leiser.
 

Erst dann seufzte Christopher laut und massierte seine Schläfen. „Gott, meine Schwester ist eine Idiotin“, sagte er dann und ließ sich aufs Sofa fallen.
 

„Soll... ich dir vielleicht ein Bad einlassen?“, fragte ich vorsichtig.
 

„Und mach mir nen Rotwein auf.“
 

Das Bad half ihm, er entspannte sich; ich schrubbte seinen Rücken, ich massierte seinen Kopf, ich trocknete ihn ab und als er im Schlafzimmer nackt vor mir stand, war plötzlich wieder dieses fieses Grinsen auf seinem Gesicht. „Niko“, sagte er. „Ich werde dich jetzt so hart ficken, dass du danach nicht mal mehr deinen eigenen Namen weißt.“
 

Und er tat es.

Weil es ihn beruhigte und weil er all diese Wut, die sich angestaut hatte, in seinen harten Stößen loswerden konnte. Ich zitterte danach. Vollkommen befriedigt lag ich auf dem völlig zerwühlten Bett, von dem Christopher mich ohne jegliche Vorwarnung stieß.
 

„Autsch!“, zischte ich, als ich auf den Boden plumpste. Wieder begegneten mir diese eiskalten Augen und das süffisante Grinsen. Für die nächsten Tage blieb der Boden mein fester Platz in seiner Wohnung. Rigoros zog er seine Bestrafung durch – und ich liebte es.
 

Ja, jetzt, wo ich mir all das wieder ins Gedächtnis rufe, muss ich immer noch sagen: dieses Familientreffen war wirklich eines der Seltsamsten.
 

- - -

Mondlilie ist ne Blitzbeta :)
 

Euch allen: Danke fürs Warten. Und somit auch: Sorry, dass ich euch so lange habe warten lassen. Mein Leben ist momentan Chaos, die Zukunft ein schwarzes Loch. Ergo: es nicht leicht, Zeit zu finden - aber ich gebe mein Bestes, weil Schreiben auch irgendwie dabei hilft, zu entspannen ;)

Sommerspecial

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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Der Ton des digitalen Weckers fast direkt an meinem Ohr ist grässlich. Er mischt sich in meine skurrile dunkle Traumwelt. Es ist eine Angst einflößende Sirene, ein schrilles und aus dem Nichts auftauchendes Warnsignal, symbolisiert durch ein tiefrotes, blinkendes Licht, das meine Umgebung ändert, je lauter und greller es wird. Fast so wie in Silent Hill.

 

Ich höre Christopher neben mir schwer aufseufzen und sich auf die Seite drehen. Mein Bewusstsein braucht einige Sekunden, um in der Realität anzukommen. Erst dann, und als mein Freund ein verschlafenes, gleichermaßen aber auch verärgertes, „Niko, mach den Scheiß aus“ brummt, hole ich aus und verpasse dem Gerät den Todesstoß. Doch es fühlt sich eher so an, als hätte nicht das sowieso schon tote Ding einen mächtigen Hieb erhalten, sondern ich. Denn ich bin es, dem vor durch meine Venen rasenden Schmerz beinahe schwarz vor Augen wird. Ich bin es, der aufjauchzt und in seiner Bewegung gefriert, um die Schockwelle des Ziepens und Stechens abzuwarten.

 

Christopher setzt sich auf. „…alles okay?“, erkundigt er sich heiser.

 

„…mhmmm…“, mache ich, selbst nicht wissend, ob ich damit eigentlich bejahe oder verneine.

 

„Lass mal sehen“, meint mein Freund und steht auf. Er zieht die Gardinen auf, dann setzt er sich zu mir und begutachtet meinen Rücken. Ich zische auf, als seine Fingerkuppen ganz vorsichtig über meine geschundene Haut fahren.

 

„Scheiße“, flüstert Christopher. Im nächsten Moment eilt er schon in den angrenzenden Raum und kommt mit Tüchern und Salben wieder. „Ich hab’s gestern echt übertrieben.“ Er seufzt. Dann macht er sich ans Werk. „Vorsicht, das ziept jetzt vielleicht ein bisschen, ich will das Ganze noch mal desinfizieren, okay?“

 

Vielleicht hat mein Freund gar nicht so unrecht. Er hat übertrieben. Wir haben es übertrieben. Ich habe es übertrieben. Mit allem. Ich denke an die gestrige Session: An das Reizstromgerät, die Atemkontrolle, das Kerzenwachs, letztendlich diese besondere Kontakt mit dem Andreaskreuz, mein nacktes Fleisch an das schwarz lackierte Holz gepresst, meine lauten Schreie, die das Zimmer erfüllten.

 

Ja, ich hätte Stopp sagen können, als Christophers Schläge an Härte gewannen und als der Schmerz schneidender wurde, extremer, so gut wie unerträglich; als jeder Zentimeter meiner Haut zu brennen schien und das Ziepen der Stelle, an der mein Master mich mit der Peitsche traf – jener mit den acht geflochtenen, dicken Tails, gespickt mit diesen verführerisch glänzenden Nieten - sich über meinen gesamten Leib wie ein Fegefeuer verbreitete.

 

Aber das habe ich nicht getan.

 

Weil es genau diese Art von Schmerz gewesen ist, den ich zu fühlen gebraucht habe. Und weil es genau jene Bestrafung war, die Christopher zu vollziehen benötigt hat.

 

Wir haben geschwitzt danach, nach Atem gerungen, uns im Bett gewälzt. Christophers Fingernägel haben sich in meine Arme, meine Seiten gebohrt, über die Striemen auf meinem Gesäß und Rücken gekratzt.

 

Er hat sich in mich geschoben. Ruppig, rücksichtslos, einfach brutal. Christopher hat mich an den Haaren gezogen, mir die Luft abermals mit seinen bloßen Händen abgeschnürt, mich angeblafft, ich solle die Beine gefälligst weiter spreizen und nicht so laut sein. Er hat mich geschlagen und am Ende dann seinen heißen Saft tief in mir verteilt, mich markiert.

 

Wir sind so bei der Sache gewesen, dass wir erst nach dem Akt bemerkt haben, dass ich an einigen Stellen ein wenig am bluten gewesen bin und das Bett stellenweise versaut habe. Aber ganz ehrlich: das war sogar Christopher egal. Er hat nicht geschimpft, sondern mir stillschweigend, immer noch auf der Welle seines Höhepunktes surfend geholfen, alles neu zu beziehen. Nachdem er mich das erste Mal verarztet hatte.

 

„Geht es?“, fragt er mich nun, nachdem er gefühlte Tonnen der Salbe vorsichtig auf meinem Rücken verteilt hat.

 

„Ja. Danke.“

 

„Das mit dem Blowjob lassen wir heute, wir haben eh keine Zeit“, bestimmt Christopher. „Wir müssen noch viel vorbereiten.“

 

„Haben wir das nicht gestern Abend schon gemacht?“

 

Mein Freund sieht auf mich herab. „Ach, Niko…“, seufzt er und tätschelt meinen Kopf.

 

Beim Frühstück, dieses mal nicht so opulent wie sonst an einem Wochenende, sondern eher improvisiert und schnell, sage ich es ihm: „Du. Ich hab dich gestern angelogen.“ Christopher nimmt einen Schluck Kaffee und bedeutet mir, weiter zu sprechen. „Ich hab gar keine Schokolade in den Einkaufskorb getan.“

 

Mein Freund lacht. Gehässig und herablassend. Sein Blick mit dem er mich fixiert ist fies. „Denkst du wirklich, das wüsste ich nicht?“, fängt er an, „denkst du allen ernstes, ich hätte dir nicht genau auf die Finger im Supermarkt geguckt und darauf geachtet, was abkassiert wird?“

 

Ja.

Wir haben diese Session einfach gebraucht. Wir beide. Denn auch Christopher ist nervös vor diesem Treffen. Er legt sich mächtig ins Zeug und somit verbringe ich weitere Stunden in der Küche als seine Aushilfe. Und Putzfrau.

 

Ich decke den Tisch, ganz nach seiner Anleitung und als mein Master meine Arbeit abnehmen will, rückt er Gläser und Teller und was da sonst noch so liegt so penibel zurecht, dass man fast glauben könnte, er sei ein Kellner in einem noblen Restaurant, das mindestens vier Sterne hat. Er hat das beste Porzellan herausgeholt, das Silberbesteck. Spießiger geht es einfach nicht.

 

„Was zur Hölle?!“, rufe ich aus, als ich das Schlafzimmer betrete und noch mehr dieser gutbürgerlichen Spießigkeit entdecke. Christopher hat mir mein Outfit für diesen ganz besonderen Abend bereitgelegt. Eine der etwas eleganteren tiefschwarzen Jeans, die er mir gekauft hat, dazu ein lila Hemd und die Krawatte in Anthrazit. „Ist das dein Ernst?!“, zische ich verärgert, ernte dafür allerdings nur einen Schlag auf den Hinterkopf; was so viel bedeutet wie „ja, das ist mein voller Ernst, also halt die Klappe und zieh’ dich gefälligst um“.

 

Mein Freund trägt ein ähnliches Outfit an diesem Abend. Keinen Anzug, denn ein Anzug wäre seinen Worten nach „too much“. Ein T-Shirt und eine stinknormale Hose dementsprechend dann wohl „not enough“.

 

Christopher geht zum gefühlt sechzehnten Mal mit mir das Menü durch, schließlich werde ich ihm beim Servieren helfen müssen, er rückt zum gefühlt zweiundzwanzigsten Mal die Gabeln zurecht und er schaut sich viel zu oft im Spiegel an, wonach er sich zum gefühlt zweihundertsten Mal durchs zurückgekämmte Haar fährt. Als würde wir hier gleich Staatsbesuch empfangen. Angela Merkel. Queen Elizabeth. Barack Obama.

 

Dabei ist es nur meine gottverdammte Halb-Familie!

 

Das alles macht mich so sauer, dass ich meine eigene Nervosität total vergesse. Bis es an der Tür klingelt.

 

Christopher und ich blicken einander an. Ich seufze.

 

„Wir werden nett sein, egal was sie auch sagen werden, okay?“, erinnert mich mein Freund zum gefühlt zehnten Mal und ich nicke bloß; er moniert die fehlende, verbale Adressierung nicht.

 

Die Tür geht auf und da steht er: Mein Vater. Hat sich äußerlich gar nicht so sehr verändert, der Udo Klaas. Er ist Ende 40, nicht zu fett, nicht zu schlank, hat ein paar Falten im Gesicht, ein paar graue Strähnen auf dem Kopf, ansonsten sieht er ziemlich frisch aus; lediglich seine Augen suggerieren leichte Müdigkeit. Oder ist es Verunsicherung?

 

Neben ihm steht seine dämliche Christine mit ihren blondgefärbten Haaren, die ein wenig an ein Vogelnest erinnern und ihren spargeldünnen Beinen, die auch zu einem Storch gehören könnten. Man sieht, dass sie jünger ist als mein Vater. Dahinter meine Stiefgeschwister: Der hochgewachsene Björn, der aussieht wie jeder zweite Kerl an der Uni: Vielleicht nicht beschissen, aber eben auch nicht besonders, als dass man ihn irgendwie in Erinnerung behalten könnte. Seine Schwester Maike lächelt irgendwie gequält, so als würde sie an einer Miss-Wahl teilnehmen und ununterbrochen Freundlichkeit suggerieren müssen, während sie eigentlich nur genervt ist; andererseits sieht sie mit ihren kurzen braunen Haaren und dem doch etwas punkigeren Kleidungsstil nicht aus wie jemand, der an einer solch oberflächlichen und hirntoten Wahl teilnehmen würde.

 

…und ich trage eine Krawatte; ich bin so sauer.

 

„Guten Abend“, begrüßt Christopher die Meute und viel zu viele „Hallos“ und „Guten Abends“, kommen uns entgegen, als dass ich sagen könnte, wer was von sich gegeben hat. Nur zwei Dinge sind sicher: Die Blicke, die Christopher von den in unsere Privatsphäre eindringenden Individuen erntet, sind eine Mischung aus Unsicherheit, Interesse und leichter Ablehnung. Und: Klein Leander lerne ich auch an diesem Abend nicht kennen, mein winziger Halbbruder ist nämlich nicht anwesend. Ich finde es auch nicht schlimm und sogar eklig, dass so alte Menschen wie mein Vater jetzt noch mal neuen Nachwuchs produzieren…

 

„Nette hohe Decken“, sagt mein Vater, als Christopher die Meute den Flur entlang zum Wohnzimmer und damit auch zum Essbereich führt. Neugierig lassen alle ihre Blicke über die Wände und Möbel, die wenigen Fotos von Christopher und mir und seinen Nichten wandern.

 

„Ihre Kinder?“, fragt Christine hohl, als sie auf das Bild von Emilie und Marie zeigt.

 

„Ja“, zische ich, „denn Christopher ist ganz offensichtlich mit einer Frau zusammen.“

 

„Mein Nichten“, antwortet mein Freund, meine patzige Antwort komplett ignorierend. „Sie wohnen in Wien, leider. Ich würde sie gern öfter sehen, wirklich ganz tolle Mädchen. Wenn auch ein wenig wild, aber das hat die nahende, beziehungsweise bei der Älteren schon eingesetzte Pubertät ja bekannterweise so an sich.“

 

Christine lacht schrill und faselt etwas im Stil von „hach, Sie haben ja so Recht, und wenn ich daran denke, dass ich das alles in einigen Jahren noch einmal durchmachen muss, wird mir schlecht, bla bla bla.“ Als Christopher den Begrüßungschampagner eingießt, redet sie immer noch, darüber wie froh sie ist, dass der Kontakt mit Maike und Björn ja mittlerweile – nach dieser schrecklichen Pubertät – so toll ist, und wie oft die beiden zu Besuch bei ihr und meinem Vater sind, dass sie bald alle zusammen in den Urlaub fahren.

 

Ein in viel zu freundliche Worte verpackter Seitenhieb?

 

Diese aufdringlichen, auf mich gerichteten Blicke, die meine Stiefgeschwister versuchen zu kaschieren, entgehen mir jedenfalls nicht. Auch nicht die nervös von Seite zu Seite wandernden Augen meines Vaters, der mir genau gegenübersitzt.

 

Wir stoßen an und Udo ergreift das Wort.

 

„Mensch, das sieht ja richtig schön hier bei euch aus.“

 

„Hattest du etwas anderes erwartet?“ Ich lege den Kopf schief und erwidere seinen Blick. Einige Sekunden lang herrscht Stille und der neben mir, am Tischende sitzende Christopher seufzt beinahe unhörbar. Ich bin froh, dass aus der Anlage leise Blues dudelt, sonst wäre die Atmosphäre noch steifer und noch befremdlicher als sie es eh schon ist.

 

Mein Vater räuspert sich, fährt aber freundlich fort: „Das habe ich damit nicht sagen wollen, ich freu mich einfach nur, dass du jetzt eine schönere Wohnung hast. Mh. Hast du deine Möbel eigentlich mitgenommen?“

 

„Ich habe alles verbrannt.“

 

Maike, die zu meiner Linken sitzt, lacht kurz auf, besinnt sich dann aber eines Besseren und nimmt einen Schluck Champagner. „Lecker“, sagt sie, als Christine ihr einen ermahnenden Blick zuwirft, und es ist mal wieder mein Freund, der das Wort ergreift.

 

„Wir haben tatsächlich das meiste entsorgt, weil viele der Möbel fast auseinandergefallen sind. Die Couch steht aber in Nikos Zimmer.“

 

„Nikos Zimmer?“, schnappt mein Vater interessiert auf.

 

Und noch bevor Christopher darauf antworten kann, sage ich: „Ich muss dich aber enttäuschen, Christopher und ich schlafen schon zusammen im Schlafzimmer, wir sind schließlich keine Mitbewohner im klassischen Sinn.“

 

Wieder zwei, drei Sekunden Stille, bis Christopher, ruhig wie vorher, eine Erklärung abgibt. „Das ist quasi Nikos Rückzugsort, wo er tun und lassen kann, was er will. Zum Beispiel Horrorfilme in Dauerschleife abspielen.“

 

Mein Vater lacht. Nervös, und seine bescheuerte Ehefrau tut es ihm gleich und klingt dabei wie eine Ziege.

 

„Warum holen wir beide nicht einfach den ersten Gang, hm“, spricht Christopher nun mich an und erhebt sich; ich trotte hinter ihm her und als wir in der Küche ankommen, in der die Salate mit grünem Spargel und Himbeer-Dressing bereits fertig drapiert auf dem Tisch stehen, wirbelt mein Freund herum und zischt mir leise ins Gesicht: „Ich würde dir gerade am liebsten so richtig eine scheuern. Reiß dich zusammen, Niko! Du benimmst dich gerade echt wie ein Teenager; du machst Emilie große Konkurrenz und das ist wirklich einfach nur peinlich! Gib’ dem ganzen doch eine Chance, ändern kannst du die Situation auch nicht.“

 

Wütend stoße ich die Luft aus. Christophers Blick ist eindringlich. „Hast du mich verstanden, Niko? Benimm’ dich. Das ist ein Befehl.“ Er drückt mir drei der kleinen Salatteller in die Hände und ich schlucke.

 

Mein Innerstes ist aufgewühlt, in der Tat. Ich kann nicht einmal wirklich sagen, was mich aufregt; oder auf gut Deutsch gesagt ankotzt. Ich weiß auch nicht, wie ich mich in der Gegenwart dieser… Leute verhalten soll. Die einzige Person die ich mehr oder weniger kenne ist mein Vater. Aber auch der hat sich in den letzten Jahren innerlich verändert, ist jemand Fremdes geworden. Sein Lieblingsessen, seine Lieblingsserie, selbst seine Lieblingsfarbe kann ich nicht benennen. Unsere Entfremdung hat auch eigentlich schon vor der Scheidung meiner Eltern begonnen. Dann war er endgültig weg und es kam mir vor, dass sich unsere Wege nicht nur, wie man so schön sagt, getrennt hätten – es hat sich angefühlt, und es fühlt sich immer noch so an, als würden sie durch zwei verschiedene Galaxien führen.

 

„Lecker, wirklich lecker“, lobt mein Vater den Salat, den sonst alle in Stille mümmeln; Björn und Nina werfen mir und Christopher während des ersten Gangs wieder diese vermeintlich verstohlenen Blicke zu, aber sie sagen nichts. Was in ihren Köpfen vorgeht, kann ich nicht sagen; denn ich weiß schließlich auch nicht, was mein Vater ihnen erzählt hat.

 

Vielleicht, dass Christopher ja „ein bisschen alt“ für mich ist?

Vielleicht, dass ich ja gar nicht wirklich weiß, ob ich wirklich schwul bin, weil ich es ja noch nie wirklich mit einer Frau probiert habe – das Argument hat er geliebt, nach meinem Coming-Out, während der lauten Familiengespräche, die zu dieser Zeit stattgefunden haben.

Vielleicht hat er ihnen auch einfach gar nichts gesagt, was Christopher und mich angeht.

 

Dennoch ist es seltsam. Wir sehen uns eigentlich nicht das erste Mal, aber genauso fühlt es sich an. Wahrscheinlich, weil es das erste Mal ist, dass wir ein längeres und vor allem etwas intimeres Zusammentreffen erleben; und dann auch noch in meiner Wohnung.

 

Ja. Meine Wohnung.

 

„Wirklich sehr lecker“, sagt mein Vater, doch der Salat mit dem selbstgebackenen Baguette ist ja nur der Anfang heute!

 

Es folgt die Suppe – und bei diesem Gang fragt mein Vater meinen Freund aus. Woher er kommt, wo er studiert hat, was seine Eltern so machen, vor allem was Christopher beruflich macht, wo die Kanzlei ist, was sein schwierigster Fall gewesen ist. Doch im Grunde speist mein Freund ihn mit den Argumenten ab, dass sein Job gar nicht so spannend ist, wie man nach bestimmten Hollywoodstreifen denken mag, und er die meiste Zeit einfach nur Mahnungen, Erinnerungen und Aufforderung schreibt, in einem Papierchaos versinkt und sich unglaublich langweilige Geschichten über völlig absurde Nachbarschaftsstreitigkeiten von seinen Klienten anhören muss. So, so…

 

Sie reden über Autos, über Reisziele, über Sparkonten und Versicherungen – und wir alle hören ihnen zu und kippen noch mehr Champagner und noch mehr Wein runter, der laut Christopher eigentlich nicht zur Suppe passt; was uns Banausen aber offensichtlich egal ist.

 

Wenigstens etwas, das wir gemeinsam haben.

 

Maike grinst mich unsicher an, wann immer ich sie ansehe. Björn wendet seinen Blick ab, wenn ich meinen Kopf zu ihm drehe und Christine lächelt dümmlich; einfach die ganze, verfickte Zeit. Dabei kann jeder sehen, dass diese Gesichtszüge einfach aufgesetzt ist und sie nicht weiß, wie sie sich gegenüber Christopher oder auch mir verhalten soll; und erst recht nicht, wie sie damit klarkommen soll, dass wir zusammen sind.

 

Als Christopher den Hauptgang serviert – Filet Welligton oder so - werden ihre Augen plötzlich ganz groß. Noch größer, als sie ein Stückchen des zarten Fleisches im Teigmantel abschneidet und davon probiert; die Frau ist beinahe kreidebleich. „Das ist ja perfekt!“, flüstert sie, so als hätte sie das komplette Gegenteil erwartet.

 

„Das nehme ich als Kompliment“, sagt mein Freund einfach nur und lächelt, als ich ihn ansehe. Er legt seine Hand auf mein Knie und tätschelt mich dort kurz. Irgendwie ist das sehr beruhigend. Vor allem, weil mein Vater mich im nächsten Moment fragt, was die Uni denn so macht und ob denn nicht bald mein Praktikum ansteht. Natürlich klinge ich gelangweilt, während ich ihm die Kurzfassung erzähle. Weil ich auf das Thema auch einfach überhaupt keinen Bock habe. Vor allem aber, weil er es mich auch erst kürzlich während unseres phänomenalen Fünf-Minuten-Telefonates danach gefragt hat und den aktuellen Stand damit schon kennt.

 

„Mhmmm…“, macht Udo, nimmt einen Schluck Wein und weiß nicht mehr weiter.

 

„Was machen Sie denn beruflich, Christine?“, lenkt Christopher die Konversation weiter. Und dass weder mein Vater, noch dieser komische Storch, meinem Freund mittlerweile das Du angeboten haben, macht mich wieder so wütend, dass ich am liebsten irgendjemanden meinen Teller ins Gesicht knallen würde; obwohl das von meinem Freund zubereitete Essen wirklich köstlich ist.

 

Meine Stiefmutter ist Bürokauffrau und arbeitet beim örtlichen Stromversorger und erzählt eine so saudumme und saulangweilige Geschichte ihres „ach so stressigen Alltags“, dass ich einfach nicht zuhören kann. Christopher tut interessiert und das gelingt ihm wirklich prächtig, während Björn und Maike und sogar mein Vater ihn dabei angaffen. Langsam will ich gar nicht wissen, was in ihren Köpfen abgeht.

 

Abermals entsteht zähe Stille, alles was man hört sind die über das Porzellan kratzenden Gabeln und Messer; und die Musik aus der Anlage.

 

Ja, alles sehr befremdlich.

 

Dieses Mal ist es mein Vater, der versucht eine Konversation ins Rollen zu bringen. „Björn hatte ja auch kurzzeitig überlegt, Jura zu studieren“, setzt er an. Doch sein Stiefsohn fällt ihm etwas patzig ins Wort: „Nein, hab ich nicht, du und Mama wolltet, dass ich das mache!“ Er seufzt genervt und ich kann ein kurzes Kichern nicht unterdrücken.

 

…das kommt mir so bekannt vor.

 

„Nun gut, wie dem auch sei, du hast dich dann ja anders entschieden“, erwidert mein Vater.

 

Es dauert einige Sekunden, bis Björn begreift, dass diese Äußerung gleichzeitig eine Aufforderung gewesen ist, etwas von seinem Studium zu erzählen. Er nimmt einen Schluck Wasser und räuspert sich. „Ja, also, ich… studiere jetzt Maschinenbau.“

 

„Maschinenbau, konkretes Fach. Ein wenig kompliziert, oder?“, hakt Christopher nach und Björn zuckt mit seinen Schultern.

 

„Joa, ist ein bisschen schwierig. Aber… macht Spaß“, das ist alles, was aus Björn rauszubekommen ist.

 

„Maike wird Lehrerin“, preist Christine ihre Tochter an und lächelt völlig übertrieben.

 

„Ja, Sport und Deutsch“, erwidert Maike prompt und schenkt Christopher und mir ein kurzes, vielleicht etwas nervöses Lächeln.

 

„Ich glaube, ich wäre auch Lehrer geworden, hätte mein Vater mir nicht die Justiz quasi in den Schoß gelegt“, sagt Christopher und ich muss ein Grinsen zurückhalten. Weil ich mir mal wieder vorstellen muss, wie mein Freund den Rohrstock in der Hand hält.

 

Christine labert irgendwas wegen einer neuen Bahnlinie, die zur Uni führen soll, während Björn Maike irgendwas auf seinem blöden Handy zeigt und mein Vater zur Abwechslung mal Wasser trinkt. Dann kommt natürlich irgendwann der langersehnte Moment, in dem auch Frau Storch zu ihrem Smartphone greift, um uns „süße Babyfotos“ zu zeigen, nur dass dieses „Baby“ einfach kein Baby mehr ist – Leander ist schließlich auch rund zwei Jahre alt. Quasi so alt wie die Beziehung von Christopher und mir.

 

Christopher faselt irgendwas im Stile von „das ist aber ein sehr niedliches Kind“ und lässt die Show über sich ergehen; ich bin nach fünf Fotos einfach nur noch genervt. Ich verstehe es nicht, wie Bilder eines halbnackten kleinen Menschen in der Badewanne, oder total verdreckt im Sandkasten eine solche Begeisterung auslösen können. Leander sitzt einfach nur da und kann noch nicht einmal einen vollständigen Satz von sich geben – trotzdem hat Christiane auch noch tausend Videos auf ihrem Telefon, auf denen das kleine Wesen „baba“ und „Mama“ und „Papa“ brabbelt und dabei mit Klopapier spielt und das ist laut Christopher auch noch „total niedlich“? Hat mein Freund den Verstand verloren?

 

…und dann ist da auch noch dieser total bescheuerte Ausdruck auf dem Gesicht meines Vaters. Der stolze Hahn. Den Arm um die Schultern seiner zu ihm gebeugten Frau gelegt, den Rücken gerade, die Augen auf das Abbild seines Sohnemannes Nummer zwei oder drei gerichtet, je nachdem ob man Björn dazuzählen mag oder nicht, und auf den Lippen ein selbstzufriedenes Lächeln.

 

Warum erwarten Eltern eigentlich immer, dass man ihnen zu ihren Kindern gratuliert, wenn diese noch rein gar nichts erbracht haben? Nach dem Motto: Herzlichen Glückwunsch! Ihr habt es geschafft, ohne Verhütungsmittel zu poppen und es ist das Natürlichste auf der Welt passiert!

 

„Ich räume dann schon mal ab…“, murmele ich, weil ich somit dieser elendigen „gugu-gaga“-Show entfliehen kann und schnappe mir die ersten Teller.

 

Es ist so wunderschön ruhig in der Küche; ich atme aus, genieße diesen Moment der Stille. Doch jener ist nur von kurzer Dauer, denn nicht einmal fünf Minuten nach meinem Betreten des abgetrennten Raumes, erscheint Christine mit einem weiteren Stapel Teller in der Tür und lächelt mich an; und hinter ihr betritt auch schon mein Freund den Raum.

 

„Wir räumen ab“, erklärt Christine und stellt das Porzellan auf dem Küchentisch ab. Ihr Lächeln mit dem sie rasch auf mich zutritt hat etwas von Mutter Theresa. „Udo würde unheimlich gern mal dein Zimmer, und auch den Rest deiner Wohnung sehen… magst du ihm die vielleicht mal zeigen, hm?“ Sie spricht mit mir als wäre ich fünf Jahre alt. Oder eben zwei. Wie Leander. Ich will ihr diesen Punkt gerade unfreundlich mitteilen, doch Christopher kommt mir zuvor.

 

„Das ist eine klasse Idee“, sagt er und blickt mir tief in die Augen. Ich kenne diesen Blick. Ich habe keine andere Wahl. Es ist ein Befehl.

 

Kaum dass ich den Raum betreten habe, dreht mein Vater sich auch zu mir um. „Ähm, soll ich dir die Wohnung zeigen?“, frage ich und Udo erhebt sich so abrupt, dass er sein Wasserglas umstößt. Maike schreit kurz auf und lacht dann, Björn ist das alles offenbar superpeinlich, er schaut konzentriert auf sein Smartphone. Christopher eilt herbei, versichert meinem Vater gemeinsam mit Christine, dass alles in Ordnung sei und sie dich darum kümmern sollen und wir doch bitte einfach „weitermachen“ sollen mit unserer „kleinen Vater-Sohn-Tour“.

 

Ich könnte kotzen.

Alles an diesem Abend ist aufgesetzt und gespielt. Einfach falsch.

Alles.

 

Ich zeige meinem Erzeuger also das Bad, Christophers Arbeitszimmer, den Balkon unser Schlafzimmer mit dem „begehbaren Kleiderschrank, den ich jetzt nicht aufmachen werde“, freue mich, dass er nicht weiter nachhakt, und öffne schließlich die Tür zu meinem kleinen, privaten Zimmer.

 

„Erinnert mich tatsächlich ein wenig an dein altes Kinderzimmer“, meint mein Vater, während er seine Augen über all die Filme und Bücher in den Regalen wandern lässt.

 

„Hm“, mache ich, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll und weil ich ungern an mein altes Kinderzimmer denke, und weil ich auch nicht denke, dass mein jetziges kleines Paradies hier mit Christopher auch nur ansatzweise an jenes kleine Gefängnis erinnert.

 

„Nett hast du’s dir hier eingerichtet.“

 

„Jopp.“

 

Er betrachtet das Bett, den Teppich, die Poster, lässt sich schließlich auf den kleinen Sessel neben meinem Laptop nieder.

 

„Ich finde die Wohnung sehr schön“.

 

„Ja, das hast du jetzt oft genug gesagt, ich hab’s kapiert.“

 

Mein Vater seufzt und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. Ein Schauer eilt über meinen Rücken. Die Geste habe ich in der Vergangenheit so oft gesehen, diese bedrückte Stimmung zu oft gespürt. Plötzlich bin ich wieder der pubertierende Teenager und mein Vater das besorgte und wütende Familienoberhaupt. Fehlt nur noch meine Mutter, die sich hysterisch kreischend dazugesellt…

 

„Niko, hör endlich auf damit“, sagt er.

 

„Womit denn, ich mach doch gar nichts“, witzele ich und das bringt meinen Alten auf die Palme.

 

„Genau das meine ich!“, zischt er und es fällt ihm dabei schwer, sich zu beherrschen; er will nicht, dass seine Stimme sich überschlägt, dass er zu laut ist, dass uns die anderen hören, aber er ist echt aufgewühlt.

 

Mein Herz klopft wild in meiner Brust.

 

„Junge, wir sind deine Gäste, wir sind hier, weil uns dein Leben interessiert, und weil wir ein Teil davon sein wollen. Aber alles was du machst, ist uns verbal einen vor den Kopf zu stoßen.“

 

„Ihr seid meine Gäste, weil ihr euch selbst eingeladen habt und ich glaube nicht, dass mein Leben Björn oder Maike ansatzweise interessiert und bei Christine bin ich mir auch nicht so sicher, also lass dieses solidarische wir-als-eine-Familie stecken“, antworte ich und verschränke die Arme vor der Brust.

 

„Siehst du das wirklich so?“, hakt mein Vater vorsichtig nach.

 

„Hätte ich es sonst gesagt?“, erwidere ich und gebe mir besonders Mühe besonders gelangweilt zu klingen.

 

Mein Vater seufzt. „Das finde ich wirklich sehr schade.“

 

Ich zucke mit den Schultern und starre die Wand an.

 

„Weißt du, warum wir uns eingeladen haben?“, sagt er nach einer Weile.

 

„Na los, überrasch mich…“

 

„Weil du all unsere Einladungen bisher ausgeschlagen hast.“

 

„Pffff, was denn für Einladungen…?!“

 

„Allein all die zum Grillen, Abendessen oder Kaffeetrinken, um endlich mal deinen Bruder kennenzulernen!“

 

Halb-Bruder…“, korrigiere ich ihn - und mein Alter flippt aus, wie schon damals, so viele, elendige Male zuvor…

 

„Niko, verdammte scheiße! Immer wieder dasselbe Theater mit dir! Du bist so verbittert, so depressiv und aggressiv, man kommt überhaupt nicht ran an dich. Egal was man dir sagt, du blockst immer ab. Immer! Ich werde einfach nicht schlau aus dir! Jetzt kommen wir hier zu euch, auch wenn deine Beziehung zu Christopher mir persönlich immer noch die größten Bauchschmerzen der Welt verursacht, und wir wollen trotzdem einen schönen Abend mit euch verbringen und du behandelst uns von Anfang an von oben herab, zeigst uns nur die kalte Schulter und bist total desinteressiert. Mensch, das ist scheiße!“

 

„Weißt du, warum ich desinteressiert wirke?“, zische ich und meine Stimme ist zittrig, als ich fortfahre, weil ich meine Wut kaum mehr bändigen kann, „weil ich desinteressiert bin!“

 

Mein Vater schnauft.

 

„Mich interessiert deine neue Familie null. Warum? Weil es fremde Menschen sind, die für immer fremde Menschen für mich bleiben werden, weil uns nichts, aber auch wirklich absolut nichts miteinander verbindet. Und stell’ es doch bitte nicht so dar, als würdest du mich jede Woche anbetteln, mit euch Kaffee zu saufen. Deine Einladungen kommen vielleicht etwas öfter als der Weihnachtsmann. Und weiß du auch wieso? Weil du im Grunde genommen auch froh darüber bist, dass ich nicht mehr konstanter Teil deines Lebens bin, weil ich ja, wie du es so schön gesagt hast, ständig nur depressiv und aggressiv bin und immer nur alles abblocke und nie das tue, was du mir sagst, weil du ja derjenige bist, der weiß, was das beste für mich ist.“

 

Mein Vater stöhnt genervt und schüttelt den Kopf. „Du bist so stur und naiv wie deine Mutter.“

 

Ich weiß nicht genau, was es ist, was mich an dieser Aussage stört, aber Fakt ist: sie stört mich. Gewaltig. Und ich versuche jetzt auch gar nicht mehr, meine Wut zu bändigen.

 

„Arschloch.“ Das ist alles, was ich meinem Vater noch zu sagen habe. Und nachdem ich dieses eine Wort ausgesprochen habe, entsteht eine so bedrückende Stille, wie ich sie noch nie in meinem Leben erlebt habe. Wahrscheinlich vergeht eine ganze Minute, in der Udo mich völlig ausdruckslos anstarrt und ich die Wand mit meinem Blick fixiere und mich keinen einzigen Zentimeter bewege.

 

„Kommt ihr beiden Hübschen wieder?“, ertönt die schrille Stimme seiner Ehefrau schließlich und führt dazu, dass mein Vater sich mechanisch erhebt und ihr folgt.

 

Ich hingegen brauche noch ein paar Sekunden, um mich zu erholen. Ich habe schon viele Menschen als Arschloch bezeichnet, oftmals im Scherz, mehrfach, weil mir nichts anderes eingefallen ist. Im Grunde genommen sehe ich dieses Wort nicht wirklich als üble Beleidigung an. Und doch ist es eben genau so bei meinem Vater angekommen – und war meinerseits genauso gemeint.

 

…auch wenn ich immer noch wütend bin, mischt sich so etwas wie Reue in meine bescheuerte Gefühlswelt.

 

Christine und Christopher plaudern munter über Nichtigkeiten weiter, während wir uns alle die verschiedenen Küchlein mit dem selbstgemachten Vanilleeis reinstopfen; ich schaffe es sogar, ein halbwegs vernünftiges Gespräch mit Björn und Maike aufzubauen – wir reden über die versifften, alten Gebäude der Uni und der Angst, irgendwann mal einen Teil der Fassade gegen den Kopf zu bekommen und auf dem Weg zum Seminar einen qualvollen Tod zu sterben. Sogar Björn wird lockerer während des Gesprächs, mag aber auch am Cognac liegen, den es zum Kaffee gibt und den Björn offensichtlich mag. Maike erzählt noch etwas von überfüllten Vorlesungen und wir beide lobpreisen die Aufnahmen der Veranstaltungen, die es im Internet gibt und die das Schwänzen leichter machen.

 

Nur mein Vater schweigt und würdigt mich keines Blickes.

 

Und irgendwann gehen mir und meinen Stiefgeschwistern einfach die Gesprächsthemen aus, sodass wir gezwungen sind, der nun ebenfalls mühevoll am Leben gehaltenen Konversation von Christopher und Christine zu lauschen.

 

„Also, Niko“, spricht Frau Storch mich dann an und lässt ihren Blick nervös zwischen mir und meinem Vater wechseln, dessen Gesicht nunmehr eine einzige, bösartige Fratze ist, „ich sagte schon zu Christopher: Ihr müsst uns demnächst unbedingt mal besuchen kommen, wird Zeit, dass ihr Leander kennenlernt.“

 

Ich will sie gerade wieder vertrösten, da meldet sich doch tatsächlich Udo wieder zu Wort.

 

„Ich glaube nicht, dass Niko daran Interesse hat“, sagt er patzig, ohne mich dabei anzusehen.

 

Am besten wäre es, einfach den Mund zu halten, schließlich habe ich ihm ja genau das eben auch verklickert, aber ich kann einfach nicht anders und zicke ihn an. „Du kannst es immer noch nicht lassen, das Wort für mich zu ergreifen, was?“

 

„Niko…“, spricht Christopher beruhigend auf mich ein, aber das hat momentan leider keine Wirkung.

 

Als hätte unser kleines Gespräch in meinem Zimmerchen nicht schon gereicht, nein, ich Vollpfosten steigere mich wieder so richtig hinein.

 

„Naja“, meint mein Vater schnippisch, „genau das hast du mir doch eben gesagt, oder hab ich dich falsch verstanden?“

 

„Ist doch mega scheißegal was ich dir eben gesagt habe!“, blaffe ich ihn an. „Es gibt dir noch lange nicht das Recht, das hier vor allen auszupacken und die beleidigte Leberwurst zu spielen und den Abend zu ruinieren!“

 

„Den Abend hast du ruiniert, noch bevor er überhaupt angefangen hat!“, motzt nun Udo zurück und klingt dabei sehr aggressiv.

 

Und dann werfen wir einander nur noch Sachen an den Kopf.

 

Ich: Dass Udo total spießig und homophob ist und gar nicht vorhat, die Beziehung von Christopher und mir zu akzeptieren, dass er froh ist, mich und meine Mutter los zu sein und dass er Respekt und Verständnis verlangt, ohne etwas dafür zu tun.

Udo: Dass ich ein Egoist bin und dazu auch noch ein sturer Bock mit Scheuklappen auf den Augen, dass ich ihm und allen anderen auch nie eine Chance gebe und stets beleidigt bin und nach Mitleid heuchele, und von ihm Respekt und Verständnis verlange, ohne etwas dafür zu tun.

 

Das drücken wir beide aber mit sehr unschönen, lauten Worten aus.

 

Maike und Björn starren uns mit offenem Mund an, Christine ist die Gabel aus der Hand gefallen und ihre Unterlippe zittert, so als würde sie gleich losplärren, und Christopher – und das überrascht mich am meisten – ist so schockiert, dass er in den ersten Minuten gar nichts sagen kann. Bis sein Geduldsfaden endlich reißt und er in dem Moment, in dem ich meinen Vater ins Gesicht schreie, dass der „Drecksack seine scheiß Sippe einpacken und sich verpissen soll“, sich urplötzlich erhebt, mit seiner Faust auf den Tisch haut und mich ebenso laut anfährt: „Jetzt halt endlich den Mund, Niko!“

 

Daraufhin gelingt es auch Christine sich aus ihrer Schockstarre zu lösen. Die Frau steht auf, mit bleichem Gesicht, ihre Mundwinkel zu einem unruhigen Lächeln verzogen. „Wir gehen jetzt lieber. Vielen Dank für das vorzügliche Essen, Herr Lang. Komm, Udo.“

 

Sie zerrt ihn regelrecht an seinem Oberarm vom Tisch weg. Christopher straft mich mit einem flüchtigen, eisigen Blick, mit dem er mich gleichzeitig auffordert, mich nicht von der Stelle zu rühren und eskortiert die traurige Gesellschaft bis zur Haustür. Udo sagt nichts, der Rest der Gäste verabschiedet sich flüsternd von Christopher; dann schlägt die Haustür zu.

 

Einige Sekunden vergehen dann stampft mein Freund zurück durch den Flur und wenn Blicke töten könnten, wäre ich gewiss ein lebloser Haufen Fleisch geschmückt mit einer Krawatte. Er sagt nichts, sieht mich einfach nur bitter-böse an. Dann fängt er an abzuräumen, und ignoriert mich. Er stapelt die Teller zusammen, sammelt das Besteck ein, bringt alles in die Küche. Ich kann genau hören, wie er die Sachen in die Spülmaschine einräumt, anfängt den Rest abzuwaschen.

 

Während er all das tut sitze ich einfach nur so da auf meinen Platz, allein an diesem nun viel zu groß erscheinenden Tisch und starre die Tischdecke an. Noch immer klopft mein Herz so heftig in meiner Brust, noch immer zieht es sich so schmerzlich dort zusammen; und der Kloß in meinem Hals wird großer, das Brennen hinter meinen Augenlidern schlimmer.

 

Ich kann gar nicht beziffern, wie viele Wunden gerade aufgerissen worden sind und was für Unmengen Salz eigentlich in sie hineingestreut worden sind. Ich kann gar nicht beschreiben, was genau für Gefühle in mir ausgelöst worden sind, als ich diese ach so toll funktionierende Patchwork-Familie mit all ihren gemeinsamen Plänen und geteilten Insidern und einstudierten, vertrauten Blicken präsentiert bekommen habe.

 

Hätte mein Vater nicht einfach allein herkommen können?!

Hätte er zuvor bei all den Einladungen nicht einmal so etwas vorschlagen können wie einen gemeinsamen Kinobesuch, einen Shopping-Ausflug oder von mir aus auch ein behämmertes Fußballspiel, so als Vater-Sohn-Unternehmung?

Warum zur Hölle müssen die anderen immer dabei sein, immer eine Rolle spielen, immer irgendwie involviert sein?!

 

Diese vertraute Art zwischen Björn und ihm, als wäre er sein Vater – und nicht meiner.

Diese stolzen Blicke, wenn es um Leander ging.

Dieses väterliche Lächeln, das Maike galt.

 

Und ich: der missratene, schwule Sohn, in dessen Leben einfach alles schief läuft. Von wegen nach Mitleid heucheln – ich will sein Mitleid, dass er mir bezüglich an den Tag legt, nicht haben. Weil ich nicht zu bemitleiden bin, verdammt noch mal!

 

Ich klatsche mir eiskaltes Wasser ins Gesicht. Immer und immer wieder. Bis ich mich halbwegs beruhigt habe. Doch meine Hände zittern noch immer, als ich Christopher gegenübertrete. Er ist immer noch mit Abwasch beschäftigt, pausiert jedoch, als ich die Küche betrete und ihn ansehe.

 

„Geht’s dir besser?“, will er kühl von mir wissen. Er klingt vorwurfsvoll. Und ich raste schon wieder aus, schmettere ihm ein „Code fucking Red“, ins Gesicht und schreie jetzt ihn an. Was er sich dabei gedacht hat, so ein verficktes Gourmet-Dinner aufzutischen für diese Menschen, die so eine schlechte Meinung von ihm haben, wie er es wagen kann, mir den Mund zu verbieten, wenn ich die ganze Zeit über herabwürdigende Blicke und Seitenhiebe geerntet habe – wieso er sich hat überhaupt von meinem Vater hat zu diesem dummen Treffen überreden lassen.

 

„Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen, du quasselst jeden an die Wand, ist doch dein verfickter Beruf, oder nicht, Mr. Super-Anwalt?! Wie kommt es dann, dass du einen Udo Klaas, diesen Loser, nicht davon abhalten kannst, sich auf diese widerliche Weise in unser Privatleben einzumischen und dann auch noch Publikum mitzubringen?! Und dann stellst du dich auch noch auf dessen Seite und sagst mir, ich soll den Mund halten und funkelst mich so böse an, anstatt mich vor ihm zu verteidigen!“

 

Als diese schrillen Worte meinen Mund verlassen haben, merke ich, dass meine Wangen ganz nass von meinen Tränen sind, die weiterhin unkontrolliert aus meinen Augen tropfen; und dass Christophers Blick nun gar nicht mehr streng, oder verärgert ist, sondern mild und irgendwie traurig.

 

„Ach, Niko…“, murmelt er und ist in weniger als drei Sekunden auch schon bei mir, legt seine Arme um mich, presst mich an seinen Körper – und ich klammere mich an ihn, verzweifelt, so als gäbe es keinen Morgen; mein Hals tut schrecklich weh und dennoch kann ich mein Schluchzen nicht zurückhalten, ebenso wie als diese Tränen, die ungehindert über meine Augen kullern und von Christophers Hemd aufgesogen werden. „Es tut mir leid…“, murmelt er gegen mein Haar, während er unablässig über meinen Rücken streichelt und mich an sich drückt; seine Umarmung fest und herzlich.

 

Eine halbe Ewigkeit stehen wir einfach nur so da, einander festhaltend in der immer noch halbwegs verdreckten Küche, und während die Spülmaschine ihre ächzenden und gluggernden Geräusche von sich gibt, heule ich wie Schlosshund. Bis einfach keine Tränen mehr übrig sind.

 

Mit dem Handrücken streiche ich mir den kläglichen Rest aus den Augen und Christopher gibt mir einen Kuss auf die Stirn, sucht den Augenkontakt mit mir, den ich ihm gewähre, unschön die Nase hochziehend. Seine Hände umfassen mein Gesicht. Mit seinen Daumen streicht er das Nass von meinen Wangen. „Es tut mir leid, okay?“, wiederholt er beinahe flüsternd und ich nicke, einen weiteren Kloß runterschluckend.

 

„Komm“, murmelt er und zieht mich aus der Küche zurück ins Wohnzimmer, drängt mich auf die Couch, umklammert mich, streichelt mich, fährt mir seinen Fingern über mein Haar, meinen Rücken. „Rede mit mir…“, bittet er mich mit ruhiger Stimme. „Hm?“ Abermals ziehe ich die Nase hoch und Christopher reicht mir ein Taschentuch. „Was ist da eben passiert, Niko?“

 

Es ist schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen. Ich schildere ihm all diese Emotionen, die der Besuch eben bei mir ausgelöst hat; und erzähle ihm noch viel mehr. Ich spreche von den Erinnerungen, von denen ich mich gelöst glaubte. Doch offenbar liege ich da falsch. So falsch.

 

„Weißt du…“, setze ich an und starre den ausgeschalteten Fernseher an, „das war schon hart, als meine Eltern noch zusammen waren…“

 

Dass ich schwul bin haben Udo und Jutta rausgefunden, als ich 14 Jahre alt war und einige dieser sehr offensichtlichen Heftchen ganz hinten im Schrank versteckt hatte. Meine Mutter war und ist sicherlich noch eine Pedantin, und obwohl ich mir immer Mühe gegeben habe, sie zufrieden zu stellen, reichte ihr mein Empfinden von Sauberkeit nie aus und an irgendeinem dieser Tage war sie wohl total ausgeflippt und hatte alles aus meinem Kleiderschrank geworfen, um es „ordentlich zu sortieren“. Mit den vielen Bildern nackter Männer hatte sie wohl nicht gerechnet, auch nicht, dass ihr Sohnemann Tagebuch führte und dort beschrieb, in welche Jungs aus der Klasse er sich verknallt hatte – und was er alles Unanständige mal mit ihnen tun wollte.

 

Ganz schlimm war aber der Eintrag über den 16-jährigen Tom aus einer anderen Schule, den ich mal im Freizeitheim kennengelernt hatte und der mir meinen ersten Kuss geraubt hat.

 

„Sie ist total ausgerastet und mein Vater auch“, erzähle ich Christopher, der diesen Teil der Geschichte bereits kennt. Den folgenden allerdings nicht, weil ich die Details ihres und meines Ausrastens immer gekonnt umgangen bin.

 

Wie ich immer wieder ungewollt lauschender Zeuge ihrer Gespräche geworden bin und Sachen aus dem Mund meines Vaters kamen wie „was haben wir nur falsch mit ihm gemacht“, oder „vielleicht sollten wir ihn zum Psychiater schicken, normal ist an dem Jungen ja sowieso nichts“ oder auch „das darf deine Schwester auf keinen Fall erfahren“ und andere Dinge, die mir damals richtig zugesetzt haben.

 

Dazu zählten auch die diversen Zickereien, während der sich Udo und Jutta versuchten, gegenseitig die Schuld für mein verkorkstes Dasein in die Schuhe zu schieben. Ich war nicht nur ein Loser, der keine richtigen Freunde hatte, der nicht gern nach draußen ging und sich lieber verstörende Bücher von Stephen King reinzog, als heimlich mit seinen Kumpels Alkohol zu trinken; ein Teenager dem es egal war, was für Klamotten er trug und der nicht scharf war auf Markenklamotten, nein, jetzt war ich auch noch schwul – schlimmer konnte es ja nicht mehr werden.

 

Und dann diese endlosen Gespräche mit mir, ob ich denn sicher sei, meine rumheulende Mutter, die sich so benahm, als hätte ich jemanden umgebracht und müsste lebenslang hinter Gitter – und letztendlich das ausbleibende Interesse; die komplette Abschottung von mir.

 

Vielleicht sind meine Ausraster damals wirklich nur ein Schrei nach Aufmerksamkeit gewesen – das meint jedenfalls Christopher, als ich ihm davon erzähle, wie ich mich mit 15 mit dem schlimmsten Idioten an der Schule geprügelt habe und meine Eltern unangenehme Fragen des Direktors haben beantworten müssen, oder als ich mir ungefragt das Mofa meines Vaters geliehen und absichtlich mit steckendem Schlüssel abgestellt habe, damit es geklaut wird. Rumschreien und Sachen durch die Gegend werfen stand eh an der Tagesordnung.

 

„Wann haben sich deine Eltern noch mal getrennt?“, hakt mein Freund nach.

 

Als ich Ende 16 war. Meine Mutter hatte die Scheidung eingereicht. Der schwule Sohn war einfach nur das i-Tüpfelchen einer misslungenen Ehe gewesen. Es war kaum ein Tag vergangenen, an dem Jutta ihren Udo nicht kritisiert hätte. Mal war es der beschissene Haarschnitt, dann die Art wie er Würstchen aß, manchmal die ihrer Meinung nach unangebrachten Sachen, die er zu irgendwelchen Festivitäten trug, oft sein „debiler Humor“ und „schrecklicher Musikgeschmack“, an anderen Tagen das in ihren Augen magere Gehalt – mit dem er sie, die Hausfrau, und den Sohn durchbrachte, ohne das wir in Armut leben mussten… Aber der Mann ihrer Schwester war nun mal irgendein hohes Tier bei einem großen Konzern und das konnte Udo als „stinknormaler Ingenieur“ nicht toppen.

 

Er entsprach einfach nicht ihrer Wunschvorstellung, die irgendwelchen Groschenromanen entstammte; am liebsten hätte sie einen Chefarzt geheiratet und eine schar von intelligenten, braven, gehorsamen und strebsamen Kinderchen großgezogen. Doch nach mir hat’s mit dem Kinderkriegen nicht mehr geklappt. Und ich war in ihren Augen eine Enttäuschung.

 

Die Zeit, in der Udo auf der Couch schlief und sie sich die Seele aus dem Leib im Schlafzimmer ausheulte, war die Hölle. Beide waren aggressiv – und ich bekam das ab. Letztendlich zog sie zu einer guten Freundin und ich blieb mit Udo zurück. Viel von meinem Vater sah ich allerdings nicht. Er hat gearbeitet, danach im Wohnzimmer Fernsehen geguckt und am Wochenende unternahmen wir nichts gemeinsam; ich traf mich mit irgendwelchen Jungs, ging auf die Piste und den Rest meiner Zeit verbrachte ich eingeschlossen in meinem Zimmerchen mit meinem Rechner und den besonderen Heftchen.

 

Als ich 18 wurde und mein Vater und ich uns nur noch stritten, wenn wir uns dann mal fünf Minuten in der Küche trafen, schlug er vor, mit eine Wohnung zu suchen – die, die nun Chiyo gehört.

 

Ich war so glücklich… vor allem als der Kontakt mit meinem alten dann endlich abbrach. „Erst als er Christine geheiratet hat, hat er angefangen sich wieder bei mir zu melden, abgesehen von den monatlichen Kontozahlungen.“

 

Christopher schweigt nach meiner Erzählung. Nachdenklich starrt er in die Ferne. Er seufzt.

 

„Sorry, dass ich mich heute nicht zurückhalten konnte…“, entschuldige ich mich doch mein Freund winkt ab.

 

„Das ist schon okay… ich kann dich verstehen…“ Er rückt wieder näher und nimmt mich abermals in den Arm. „Ich muss mich entschuldigen“, meint er dann ernsthaft. „Ich… hab’ offensichtlich den Fehler gemacht. Ich wollte echt nur, dass euer Verhältnis besser wird, aber ich hab die ganze Geschichte nicht gekannt und ich ärgere und schäme mich so, dass ich nie wirklich nachgehakt habe…“

 

Nun seufze ich. „Naja, hast du schon… aber ich bin dir gekonnt ausgewichen…“ Ich grinse leicht und Christopher erwidert das.

 

„Scheiße…“, murmelt er dann und schüttelt etwas benommen den Kopf. „Der Abend war echt eine Katastrophe… Ich hätte deinem Vater echt eine Absage erteilen sollen, aber…“

 

„Ich weiß“, unterbreche ich ihn mild. „Du wolltest nur das Beste, ist schon okay; ich dachte auch, dass ich mich zusammenreißen kann, aber… Sorry, dass ich ausgerastet bin.“

 

Christopher streicht wieder zärtlich durch mein Haar. „Ist schon okay, das sagte ich doch schon… Du bist immer noch verletzt, ich kann das verstehen, Niko… Und es tut mir leid, dass du so leiden musstest.“

 

Ich schließe die Augen und genieße seine innige Umarmung, diese angenehme Stille die sich um uns legt, das Gefühl all diesen Mist endlich mal komplett losgeworden zu sein…

 

„Hey, Niko…“, flüsterte Christopher plötzlich in mein Ohr.
 

„…hm?“
 

„Ich liebe dich.“

 

…und er klingt dabei tatsächlich so wie damals, als er mir das zum allerersten Mal genau hier auf diesem Sofa gesagt hat.

 

 

 

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[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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40

 

Mein Schlaf ist tief, aber nicht erholsam. Ich habe schreckliche Alpträume, die keinen Sinn ergeben und bin fast schon ein wenig froh, als Christophers Stimme, gepaart mit seiner Hand, die vorsichtig durch mein Haar streicht, mich aufschreckt und zurück in die Realität befördert. In der allerdings bekomme ich kaum Luft, weil meine Nase dicht ist. Außerdem tut mein Hals schrecklich weh.

 

Mein Freund hilft mir, mich aufzusetzen und ich lehne mich, ähnlich wie es Christopher vor wenigen Tagen getan hat, stöhnend gegen das Kopfteil unseres Bettes und realisiere erst dann, dass auch Kilian im Raum steht. „Na, Krankenschwester Niko“, grüßt er mich scherzhaft und tritt an das Bett heran, von dem mein Freund sich bereits entfernt hat, und setzt sich zu mir auf die Matratze. Kilian drückt die etwas kühle Muschel seines Stethoskops auf meine bereits entblößte Brust.

 

Mir ist so egal, dass ich nackt bin und die Bettdecke meine gefangene Scham nur knapp bedeckt; sie müsste nur rund zwei Zentimeter nach unten rutschen, dann wäre ich entblößt. Aber Kilian ist ja schließlich Arzt, Scham wäre also unangebracht. Selbst mit dem Tresor an meinem Schwanz. Keuschhaltung ist ihm ja schließlich nicht fremd. Ich weiß zwar nicht, ob er seine Professionalität in diesem Moment aufrecht erhalten könnte, oder ihm vielleicht doch ein amüsierter Kommentar über die Lippen huschen würde. Aber: Auch das ist mir egal. Doch die Bettdecke bleibt während Kilians Untersuchung an ihrem Platz.

 

Er klopft meine Nebenhöhlen ab, schaut mir in den Rachen und runzelt dann seufzend die Stirn. „Oje. Deine Mandeln sind rot wie ein Arsch nach einem ordentlichen Spanking, mein lieber Niko“, erklärt er, während er mit dem kleinen hölzernen Stäbchen weiter tief in meinem Mund auf meiner Zunge herumdrückt, bis ich fast würgen muss. Erst dann zieht er das kleine Instrument heraus und befördert es in den Mülleimer und ich frage mich, ob er das mit Absicht getan hat, während Christopher leicht amüsiert den Kopf über Kilians Vergleich schüttelt.

 

„Deine Mandeln sind schon wieder entzündet“, fasst Kilian unzufrieden zusammen. „Wenn du wieder gesund bist, möchte ich, dass du endlich zu einem HNO gehst und mit ihm besprichst, ob eine Mandelentfernung nicht sinnvoll wäre. Okay?“ Er klingt ein bisschen so wie Christopher, denke ich mir, als ich nicke und Kilian mir daraufhin erklärt, dass er mich die ganze Woche krankschreiben wird und ich ein Antibiotikum nehmen muss. Er greift in seine Tasche und holt irgendeinen Papierkrams heraus. Die ausgefüllten Formulare übergibt er Christopher. „Gib ihm bitte Paracetamol gegen das Fieber, ja?“, sagt der Arzt zu meinem Freund.

 

„Klar...“, antwortet dieser und streift mich mit einem nun wieder leicht besorgten Blick. „Ähm... Kilian. Niko und ich haben uns dummerweise gestern geküsst. Mehrmals. Daran... So schnell kann er sich doch nicht angesteckt haben, oder?“

 

Unser Arzt schüttelt leicht amüsiert den Kopf. Eigentlich weiß mein Freund, dass diese Frage dumm ist; dennoch ist es irgendwie süß, dass er auf diese Art und Weise seine Sorgen äußert. „Nein, er muss das schon einige Tage vorher aufgeschnappt haben und nicht einmal zwangsläufig von dir“, entgegnet Kilian ihm ruhig. „Weil seine Mandeln durch die häufigen Entzündungen ziemlich vernarbt sind, sammeln sich da Keime: Ein kleiner Hauch reicht dann und die Entzündung ist erneut entfacht“, erklärt er. „Trotzdem ist es natürlich dumm zu knutschen, wenn einer von euch beiden krank ist...“, fügt er mit einem spitzbübischen Grinsen hinzu und ich meine, dass mein Freund dabei leicht rot wird, als er den Kopf abwendet und murmelt: „...ja... ich weiß....“

 

Erst jetzt realisiere ich, dass Christopher heute doch eigentlich gar nicht zu Hause sein sollte. „Wolltest... du nicht heute zurück zur Arbeit?“, frage ich ihn und klinge furchtbar heiser.

 

Christopher macht den Mund auf, allerdings ist es Kilian, der mich tadelt: „Schon bitte deine Stimme, Niko!“, fährt er mich etwas empört-besorgt an – und mein Freund grinst leicht. Dann antwortet er mir.

 

„Ich arbeite heute von zu Hause aus und fahre morgen wieder in die Kanzlei, das ist alles schon geregelt. Ich wollte dich heute nicht allein lassen.“ Ich nicke stumm, und Kilian tadelt nun Christopher.

 

„Herr Lang, Sie sollten doch eigentlich Ihre Erkältung erst richtig auskurieren, bevor Sie sich wieder in den Anwalts-Wahnsinn stürzen“, zieht er ihn gespielt pikiert auf, „und für meinen Geschmack klingen Sie noch etwas zu verschnupft.“

 

Christopher verdreht genervt die Augen und ich grinse. Eigentlich passt das ja gar nicht zusammen: Zum einen ist mein Freund so super wehleidig die vergangenen Tage gewesen – und auf der anderen Seite will er jetzt so schnell wie möglich wieder zurück ins Büro. Ich seufze innerlich und erinnere mich an den Stress, den er derzeit in der Kanzlei hat; wahrscheinlich zermürbt ihn das schlechte Gewissen, dass er während dieser wichtigen Fusion sein Team hängen lässt. Christopher ist ja so schrecklich pflichtbewusst... Ich wünschte, er würde auf Kilian hören und noch einige Tage zu Hause bleiben. Aber mein Master ist stur.

 

„Ach, Kilian, das ist bis morgen oder übermorgen sicherlich auch vorbei. Das Schlimmste habe ich doch schon längst überstanden“, gibt er zurück und unser Arzt hebt skeptisch die Brauen.

 

„Na gut...“, murmelt er kapitulierend. „Achte darauf, dass Niko seine Medizin nimmt und viel trinkt, ja? Du im übrigen auch.“

 

„Natürlich.“

 

„...und ihr habt bis auf Weiteres Knutsch-Verbot.“

 

Christopher verdreht die Augen, während Kilian mich dämlich angrinst. Dann verabschiedet er sich und ich schließe meine Augen. Nur noch halbwegs bekomme ich mit, wie Christopher mir mitteilt, dass er einkaufen und zur Apotheke fährt, und wie die Haustür dann irgendwann zuschlägt. Dann schon drifte ich zurück in diesen tiefen und erneut nicht gerade erholsamen Schlaf und werde geplagt von Alpträumen, an die ich mich dieses Mal leider Gottes sogar teilweise erinnern kann. Als die Schlafzimmertür nach wer weiß wie langer Zeit aufgeht und ich dadurch aufwache, ist die Erinnerung an den Adrian aus meinen Träumen – Super-Model aus einer Calvin-Klein- oder Hugo-Boss-Werbung mit Adonis-Körper – den Christopher mir als seinen Zweit-Sklaven vorgestellt hat, noch so frisch, dass mein Herz im Takte eines wilden Techno-Liedes klopft. Christopher setzt sich zu mir aufs Bett und ich starre ihn wahrscheinlich wie ein panisches Kaninchen an.

 

„Wie geht es dir?“, erkundigt er sich und klingt besorgt.

 

„Ich hatte einen Alptraum...“

 

„Du solltest jetzt was essen und dann dein Antibiotikum nehmen“, entgegnet er, meinen schlechten Traum gnädigerweise nicht ansprechend. „Fühlst du dich in der Lage, in die Küche zu kommen, oder soll ich dir das Essen ans Bett bringen?“

 

Ich weiß, wie sehr Christopher Krümel im Schlafzimmer eigentlich hasst, also entscheide ich mich für die erste Option, mache nach einer Weile, als mein Freud mich ruft, einen Zwischenstopp im Bad und wasche mir wenigstens das Gesicht. In meinen Bademantel gehüllt schleppe ich mich dann in die Küche, wo auf dem Tisch schon frische Brötchen, Rührei und eine ganze Kanne Tee auf mich warten, und eigentlich habe ich extrem Hunger – aber irgendwie keinen Appetit. Schlucken fällt mir schwer. Vor allem die große Penicillin-Tablette ist grässlich.

 

„Geh wieder ins Bett“, weist Christopher mich an und eskortiert mich bis zu diesem. „Ich werde so leise wie möglich sein, damit du in Ruhe schlafen kannst. Ich wecke dich spätestens, wenn du die nächste Tablette nehmen musst“, verspricht er, stellt sicher, dass die Vorhänge dicht verschlossen sind und zieht dann die Tür hinter sich zu. Wenige Augenblicke später bin ich auch schon wieder eingeschlafen.

 

~~~

 

Im Grunde genommen ist Schlafen in den kommenden Tagen meine Hauptbeschäftigung. Ich verlasse das Schlafzimmer nur, um ins Bad zu gehen und in der Küche bin ich eigentlich immer nur dann, wenn Christopher mir was zu essen macht. Frühstück hinterlässt er mir – und darüber bin ich extrem erstaunt – am Bett, hat das Telefon auf meinem Nachttisch platziert und ruft mich an, um mich daran zu erinnern, meine Tabletten zu nehmen und Wasser zu trinken. Am frühen Nachmittag kommt er sogar kurz nach Hause, kocht mir Tee, bringt mir was zum Mittag mit und fährt danach wieder in die Kanzlei. Abends schaut er nun mir zu, wie ich einem Zombie ähnelnd, kaum bei Bewusstsein, im nach Eukalyptus und Thymian riechenden Badewasser liege und dieses Mal ist er es, der aus unserem Schlafzimmer gezogen ist und die Nächte wahlweise auf dem Sofa und dem Bett in meinem kleinen Horror-Paradies verbringt.

 

Meinen Laptop hat er mir mir ans Bett gebracht, damit ich mir Filme und Serien angucken kann, ohne das Schlafzimmer zu verlassen. Doch das Gerät bleibt fast durchgehend ausgeschaltet, denn der helle Bildschirm ist zu viel für meine Augen und ich kann mich nicht auf den Plot fokussieren, nicke sowieso alle drei Minuten wieder weg, bin eigentlich nur genervt von meinem fertigen Zustand, dem Schmerz, der Müdigkeit, der Trägheit.

 

An Tag vier lässt meine Mandel-Tortur endlich ein bisschen nach. Was wahrscheinlich daran liegt, dass das Antibiotikum angefangen hat zu wirken; mein Fieber ist auch runtergegangen und ich spüre endlich mal wieder das vorsichtige Verlangen, etwas anderes zu tun, als nur zu pennen. Als ich das Schlafzimmer noch auf wackeligen Beinen und mit einem leichten Schleier vor Augen verlasse, um mal mit einem Snack aufs Sofa umzuziehen, und ich zum ersten Mal seit vier Tagen durch den Rest der Wohnung stapfe, bin ich allerdings einfach nur entsetzt – und frage mich, ob ich nicht schon wieder in einem Alptraum gefangen bin.

 

Im Flur ist die Kommode voller Werbeprospekte. Einige sind auf den Boden gefallen und wurden schon von irgendwelchen Schuhen achtlos bedeckt. Das Ganze ist eine kleine Einstimmung auf das Wohnzimmer: Dort hängt die Tischdecke auf dem Esstisch schief und ist mit irgendeiner gelblichen Soße bekleckert, vielleicht Curry? Über den Stuhllehnen hängen irgendwelche Klamotten, ob dreckig oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Auf dem Sofa liegt Christophers zerwühlte Bettwäsche, die Couch-Kissen sind auf dem Boden sowie dem Wohnzimmertisch verteilt, auf dem sich außerdem noch leere Essensverpackungen und Wasserflaschen sowie Krümel jeglicher Art sammeln. Und die Küche....? Die gleicht plötzlich einem Schlachtfeld. Die Spülmaschine ist vollgestellt mit dreckigem Geschirr und mehr davon stapelt sich jetzt im Spülbecken. Der Küchentisch ist ebenfalls prachtvoll bedeckt mit offenen Brötchentüten, irgendwelchen Dosen und Zeitungsresten, seltsam drapiert auf zwei unserer Serviertabletts.

 

Ich habe Hunger, aber ich habe keine Ahnung, wie ich mir in diesem Raum etwas zu Essen zubereiten soll. Wie hat Christopher das heute Morgen hinbekommen?! Und vor allem: Wie hat er es geschafft, die Wohnung so dermaßen schmutzig zu machen? Ich könnte schwören, als ich gestern kurz in der Küche war, um Suppe zu löffeln, die er mir gekocht hat, sah es hier noch nicht so aus. Oder...? Wirklich darauf geachtet habe ich offensichtlich nicht.

 

Oder?

 

Ich lasse mich auf die Sitzbank nieder und starre fassungslos das Chaos an.

 

Klar: Sein persönlicher Putzmann – ich – ist gerade außer Gefecht gesetzt, und es ist auch tatsächlich so, dass ich unsere Wohnung täglich ein kleines wenig putze, damit solch ein Chaos erst gar nicht entstehen kann. Dieses Vorgehen ist aufgrund meines Ausfalls nun also weggefallen.

 

Mein Hirn analysiert plötzlich die ersten Wochen unseres Zusammenlebens und Momentaufnahmen schwappen an die Oberfläche, die mir jetzt zu denken geben.

 

Da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass Herr Lang es des Öfteren nicht geschafft hat, die Zahnpastatube nach der Benutzung zuzuschrauben und sie zurück in einen an der Wand angebrachten Becher zu packen, oder die Wasserspritzer von der Duschkabinentür mit dem dafür vorgesehenen Wischer abzuziehen. Mir fallen die achtlos auf den Boden fallengelassenen Kleidungsstücke ein: Socken, Boxershorts, Shirts. Die dreckigen Teller in der Spüle, die man in wenigen Sekunden auch hätte in den Geschirrspüler verfrachten können, die Kaffeedose samt Filterpackung, die ich beinahe täglich zurück in den Schrank direkt über der Maschine packen muss, die achtlos in die Ecke gepfefferten Schuhe.

 

Bisher hatte ich mich mit meiner eigens kreierten Erklärung zufrieden gegeben: Dass Christopher das alles extra macht. Warum? Na, damit ich wirklich täglich etwas zu tun habe und meiner Pflicht des Wohnungsputzes nachkomme. Eine Art alltägliche Strafe, wenn man so will. Und jetzt? Jetzt kann ich mir das ganze so gar nicht erklären. Ich kann mir nämlich nicht so richtig vorstellen, dass mein Master in diesen Tagen die Wohnung absichtlich hat so verkommen lassen, damit ich das Ganze in meinem Zustand aufräumen soll. Christophers Strafen sind zuweilen grausam und werden auch von unseren Stammtischlern als „extrem fies“ beschrieben – aber das hier wäre sogar für meinen Master eine Spur zu... kaltblütig. Sadistisch?

 

...oder täusche ich mich?

 

Nein, das kann nicht sein, tadele ich mich umgehend selbst. Christopher macht sich ernsthafte Sorgen um mich und will, dass ich schnell wieder gesund werde. Warum sollte er also eine Situation herbeiführen, die das genaue Gegenteil bewirken könnte? Wenn ich in meinem jetzigen Zustand anfange durch die Wohnung zu wüten, würde ich alles nur noch schlimmer machen und mir wer weiß noch was einfangen beziehungsweise die Krankheit verschleppen, und ich soll mich doch an die verschriebene Bettruhe halten – darauf besteht ja vor allem Herr Lang.

 

Mir ist schon bewusst, dass mein Freund gerade extrem unter Stress steht: Der Ausbau der Kanzlei, gepaart mit einigen aktuellen Fällen, die er sicherlich noch nebenbei erledigen muss, und das Pflegen seines kranken Subs – all das kostet Nerven und frisst vor allem Zeit. Allerdings weiß ich auch, dass Christopher stressresistent ist und seine vier Wände auch schon in den Zeiten, in denen wir noch nicht zusammengewohnt haben, immer extrem aufgeräumt waren. Eben auch in Zeiten, in denen er in Arbeit unterging und sich um gefühlt tausend Dinge gleichzeitig kümmern musste, inklusive meiner Wenigkeit. Christopher liebt Ordnung und Sauberkeit. Also: Was ist plötzlich geschehen?

 

Hat sich Herr Lang möglicherweise innerhalb dieser wenigen Wochen unseres Zusammenlebens schlichtweg daran gewöhnt, dass ich ihm stets hinterherlaufe und alles aufsammele und seinen Vorlieben nach wieder einordne? Ist der derzeitige Stress anders als alles, was er bisher kannte – und einfach zu viel für ihn? Hat er sich übernommen? Hatte er nicht letztens selbst gesagt, dass ihm das ganze über den Kopf wächst? Und hat er etwa seine Krankheit verschleppt und schlichtweg keine Kraft deswegen, nach der Arbeit hier auch noch sauber zu machen?

 

Die letzteren Annahmen lassen mich unliebsam erschaudern, weil sie nämlich extrem realistisch sind – ich kann trotzdem meine Frustration über den derzeitigen Zustand der Wohnung nicht abschalten; und das beschert mir ein enorm schlechtes Gewissen Christopher gegenüber, der sich wirklich extrem viel Mühe gibt, mich zu umsorgen.

 

In dem Moment, in dem ich mich erhebe, um wenigstens ein bisschen des Drecks wegzuräumen, damit ich mir ein Brot schmieren kann, höre ich, wie die Eingangstür aufgeschlossen wird. Dem folgen gemächliche Schritte durch den Flur, die meinen Freund direkt zu mir in die Küche führen. Als Christopher mich erblickt, bleibt er überrascht stehen. „Oh“, entweicht es seinem Mund und er starrt mich an. „Du bist ja auf den Beinen!“ ...und mir wird schlagartig bewusst, dass er putzmunter, hellwach und vor allem kerngesund ist; was diese eigentlich plausiblen Erklärungen von eben förmlich ausradiert – und das scheint einen Schalter in meinem Hirn umzulegen und die Welt steht plötzlich Kopf.

 

„Christopher“, zische ich seinen Namen mit schneidender, heiserer, dunkler Stimme, „warum sieht die Bude so scheiße aus?!“ Mein Freund presst die Lippen zusammen, sodass ein dünner Strich entsteht und weicht meinem Blick plötzlich aus. „Code Red“, füge ich beinahe überflüssig und grimmig hinzu, was Christopher dazu veranlasst, genervt zu schnauben – was mich wiederum fast auf die Palme bringt.

 

Dafür ist unser kleines Passwort schließlich da: Um Dinge im Alltag außerhalb unseres Master-Slave-Verhältnisses zu klären. Warum schnaubt er also jetzt so blöd, als würde es ihn nerven, dass ich eben jene Relation auflöse, um etwas mit ihm zu besprechen?! Der Alltagscode war schließlich seine Idee!

 

„Ja, ja, Code Red...“, bestätigt mein Freund dann auch noch leicht säuerlich und deponiert die mitgebrachte Plastiktüte mit zwei mittelgroßen Pappboxen auf dem Tisch, direkt auf einem Stapel Zeitungen. Der Geruch vom Chinesischen Essen steigt mir in die Nase. „Ich hab uns was zum Mittag besorgt“, erklärt er, ohne mich dabei anzusehen.

 

„Das ist mir scheißegal!“, schreie ich und meine Stimme überschlägt sich dabei und ich beende den Satz mit einem wütenden Krächzen. Wahrscheinlich auch, weil ich seine letzte Aussage als Ablenkungsmanöver auffasse. Was denkt er sich denn auch? Dass er mich mit Essen, das er nicht einmal selbst zubereitet hat, schnell wieder um den Finger wickelt, und ich direkt wieder als sein Sub angesprochen werden möchte?

 

Ich bin derjenige, der diese Bude derzeit nicht verlassen kann. Bin an Bett und Sofa gefesselt. Krank zu sein ist eh schon mega ätzend, aber dann noch in so einem Saustall zu lungern?! Das geht einfach nicht, hallt es unentwegt durch meine Kopf.

 

Christophers Augen legen sich endlich wieder auf mich, halb besorgt, halb verärgert. „Niko, schrei nicht so“, sagt er ruhig, aber auch mit einem gewissen dunklen Unterton. „Du musst deine Stimme schonen. Bitte.“

 

Diesmal bin ich es, der genervt schnaubt. „Okay“, presse ich leiser hervor. Auch, weil mein Hals tatsächlich durch mein Schreien gereizt worden ist und ich wütend bin, dass mein Freund mit seiner Aussage irgendwo recht hat, und mal wieder ach so erwachsen ist. „Ich will trotzdem wissen, ob du dieses Chaos extra hinterlassen hast“, entweicht es dann schon meinem Mund, ehe ich über mein weiteres Vorgehen überhaupt nachdenken kann; und ein Stimmchen in meinem Innern fragt sich im selben Moment, was diese Frage eigentlich soll, weil ich sie mir doch schon mehr oder weniger selbst beantwortet habe.

 

Christopher blinzelt. „Extra?“

 

„Ja, damit deinem kranken Sklaven nicht langweilig wird und er sich endlich wieder nützlich machen kann“, sprudelt es gehässig aus mir heraus. Das Stimmchen in meinem Innern zieht schockiert die Luft ein und weiß nun gar nicht mehr, was es dazu sagen soll.

 

Einige Sekunden verstreichen, in denen Christopher nichts sagt. Dann schaut mich erbost an und stemmt die Hände gegen die Hüften. „Du suggerierst, dass ich dieses Chaos – denn ja, es ist Chaos, das ist mir bewusst – dass ich... dass ich diese Unordnung absichtlich verursacht habe, damit du während deiner Krankschreibung hier was zum Aufräumen hast? Spinnst du?! Das wäre grob fahrlässig! Christophers Stimme klingt eisig. Spitz – aber auch irgendwie ungläubig und... verletzt; und mir wird unmittelbar mulmig zumute. Doch anstatt ruhig darauf zu antworten und ihm meine Sicht der Dinge sachlich zu schildern, mir seine Erklärungen anzuhören, reagiere ich, wie von einer Tarantel gestochen. Weiß der verdammte Teufel, warum. Das Stimmchen in meinem Innern seufzt und ich bereue schon im nächsten Augenblick, was ich meinem Freund an den Kopf schmettere.

 

„Ob ich spinne?“, zische ich nämlich giftig. „Bin ich hier durchgewütet wie ein Kleinkind auf Speed? Alter, Chris, die Wohnung sieht aus, als würden die Flodders hier leben! Wie zur Hölle soll ich mir nen Tee kochen, wenn hier überall irgendwelche Scheiße rumliegt?! Alles ist zugemüllt, wie soll ich mich hier entspannt aufs Sofa legen und ausruhen, das ist doch kein menschenwürdiger Zustand, wie kriegt man so was überhaupt hin? Seit wir uns kennen liegst du mir ständig in den Ohren, dass ich gefälligst ordentlicher sein soll und meckerst über meine Putzresultate, und jetzt lässt du Arsch mich in diesem Müllhalde hier sitzen, was zur Hölle soll das?!

 

Es ist raus. Als ich diese Worte ausspeie, bin ich einfach nur geschockt über meine Aussage. Ich wünschte, ich könnte sie zurücknehmen. Doch das geht nicht. Und ich frage mich: Was zum Teufel hat mich da geritten? Warum beschimpfe ich ihn? Warum bin ich überhaupt so wütend? Ich kann mir nach seiner Reaktion nun wirklich gar nicht mehr vorstellen, dass er das mit Absicht getan hat. Also was zur Hölle mache ich hier?!

 

Es ist ein bisschen so, als wäre ich aus meiner eigenen Haut gefahren und würde meinem von einer fremden Macht gesteuerten Körper beim Agieren zusehen.

 

Unangenehme Stille umhüllt uns. Christophers Augen weiten sich. Sein Mund öffnet sich leicht, doch es kommt kein Ton heraus. Er nimmt den Blick von mir, lässt ihn schweigend über die Arbeitsfläche zum chinesischen Take-Away auf dem Küchentisch wandern, über den Boden gleiten, und es dauert eine Weile, bis er mich wieder anschaut. In meiner Brust zieht es sich schmerzhaft zusammen.

 

Christophers Blick ist nicht voller Zorn oder Spott oder Kälte. Mein Freund betrachtet mich einfach nur ungläubig, schüttelt in selbiger Manier den Kopf und entlässt dann laut die Luft aus seinen Lungen. „Wow...“, murmelt er betrübt und ich beiße mir auf die Lippe und frage mich, warum ich nicht im Stande bin, mich umgehend bei ihm für meinen seltsamen Wutausbruch zu entschuldigen. Dann wird seine Stimme plötzlich hart und kalt. „Weißt du was, Niko? Das ist mir jetzt zu blöd. Komm, iss dein Hähnchen süß-sauer, wirf alles was auf dem Sofa ist einfach auf den Boden und ignorier den Rest – ich mach heute schon noch alles sauber, keine Sorge... Hatte ich ehrlich gesagt genau jetzt vor, weil ich tatsächlich früher Feierabend machen konnte, weil ich um 6 Uhr schon im Büro war, eben um heute endlich richtig aufzuräumen. Aber weißt du was? Jetzt verschwinde ich erst mal, weil ich mir deinen Scheiß echt nicht geben muss.“ Ich schlucke und mein Freund macht auf dem Absatz kehrt und stampft regelrecht durch den Flur. Die Haustür fliegt so laut ins Schloss, dass ich zusammenzucke.

 

Mein Herz klopft verräterisch laut in meiner Brust und ich brauche einige Zeit, bis sich mein Atem beruhigt hat.

 

...was ist hier gerade passiert...?

 

Ich bin so frustriert und sauer und angefressen und... schäme mich, fühle mich schuldig und bin irgendwie entsetzt über... über eigentlich alles gerade.

 

Der Penistresor fühlt sich plötzlich so extrem deplatziert und falsch an, und das... das erschreckt mich.

 

Unweigerlich denke ich an die mahnende Worte meiner Freunde vor unserem Zusammenzug, an Franks Erzählung von seinem Cousin und dessen Krieg mit seiner nunmehr Ex-Frau verursacht durchs geteilte Heim. Ich mag diese Gedanken nicht und vor allem nicht dieses flaue Gefühl in meinem Magen, die sie auslösen.

 

Wir wohnen erst seit einigen Wochen zusammen, und dennoch haben Christopher und ich uns öfter angezickt, als während des gesamten letzten Halbjahres. Ich muss an den allerersten Abend in diesen gemeinsamen vier Wänden denken, als wir uns wegen meines Vaters in die Haare gekriegt haben, zu was für einem beschissenen Familienbesuch das alles geführt hat, und wie auch noch ausgerechnet dieser verschissene Adrian hier an jenem Tag angerufen hat. An Christophers patzige Reaktion während der Woche, in der ich ich mich nicht getraut habe, den Brief meiner Mutter zu lesen, an weitere bedeutungslose Zickereien, deren Grund ich nicht einmal mehr zusammen bekomme.

 

Ich muss schlucken und dieses Ziehen in meinem Hals wird immer heftiger. Ich presse die Lippen hart aufeinander und drücke meine Fingernägel fest ins Fleisch meiner Handflächen, um diesem plötzlichen Brennen hinter meinen Augenlidern entgegen zu wirken.

 

Das China-Essen ist schon kalt, als ich es mir irgendwann reinwürge und letztendlich bin ich extrem froh, als ich nach der Einnahme meines Antibiotikums tatsächlich wieder müde werde, mich ins Bett schleppe, die Decke über meinen Kopf ziehe und frustriert über die Gesamtsituation einschlafe.

 

~~~

 

Es ist draußen schon stockfinster, als ich wieder aufwache und ich brauche auch einige Zeit, um das brummende Geräusch, das sich bereits in meine Träume eingeschlichen und nun auch zu meinem Wachsein geführt hat, seiner Quelle zuzuordnen: Es ist der Staubsauger. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass unsere Nachbarn sicherlich nicht begeistert über seine Benutzung sind: Es ist 20.30 Uhr.

 

Unmittelbar wird es in meinem Magen wieder flau. Ich habe irgendwie echt Schiss, aufzustehen und Christopher gegenüberzutreten. Ganze zehn Minuten lausche ich dem Staubsauger deswegen und erhoffe mir dadurch wohl irgendwie Mut oder Erleuchtung. Dann wird es plötzlich ganz still in der Wohnung; und wenige Augenblicke später betritt mein Freund unangekündigt das Schlafzimmer.

 

Ich drehe mich schleunigst auf die Seite, sodass ich Christopher meinen Rücken zuwende. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll und bin mir nicht sicher, ob ich seinem Blick jetzt standhalten könnte. Dann spüre ich plötzlich, wie die Matratze ein Stück weit nachgibt, und im nächsten Moment legt mein Freund schon behutsam seine Hand auf meine Schulter. Ich halte die Luft an. Nichts geschieht. Außer, dass sich mein schlechtes Gewissen zu so einem riesigen Klumpen in meinem Innern geformt habe, dass ich es nicht doch nicht länger aushalte, mir alles egal ist und mit zusammengepressten Augen, kläglich keuche: „Es tut mir leid...!“

 

Christopher seufzt, aber es ist kein genervtes oder kaltes Seufzen; eher sanft. „Mir auch, Niko...“, entgegnet er leise, und ich gebe mir einen Ruck und drehe mich doch zu ihm um.

 

„Ich weiß nicht, warum ich dich so angefahren habe...! Das habe ich alles nicht so gemeint!“, rede ich weiter und meine Stimme klingt kläglich.

 

„...du bist krank, Niko“, entgegnet Christopher mit einem mildem Lächeln auf seinen Lippen und einer ebenso sanften Stimme. „Wenn man krank ist, ist man schlecht drauf, leicht gereizt und... du hast die letzten Tage schon so viel Energie verbraucht, als du dich um mich gekümmert hast – das ist auch Stress, von dem du dich jetzt nicht einmal erholen konntest. Das spielt da auch mit rein. Ich bin dir nicht mehr böse, okay?“

 

„...okay“, entgegne ich schwach und schaffe es nun ebenfalls zu lächeln. Wahrscheinlich hat Christopher recht mit allem, was er sagt. Das war nicht wirklich ich, der da vorhin gesprochen hat.

 

„Die Wohnung ist jetzt übrigens wieder sauber“, merkt mein Freund an und lächelt leicht. Dann schweigen wir eine ganze Weile. Denn meine unschön geäußerte Frage nach der Unordnung in unseren vier Wänden ist weiterhin unbeantwortet und ich finde keine richtigen Worte, um mich erneut danach zu erkundigen. Denn auch wenn ich definitiv überreagiert habe, ist jene Erkundigung immer noch irgendwie gerecht und aktuell.

 

Christopher scheint das zu wittern und mir wird wieder mulmig zumute, als das Lächeln meines Freundes plötzlich unsicher wird. Er seufzt ein weiteres Mal und ich kann hören, wie er danach schluckt. „Um dir das Chaos in unserer Wohnung zu erklären, muss ich dir was beichten“, sagt er dann schließlich und lässt den Kopf hängen. Ich richte mich ächzend im Bett auf und betrachte meinen Freund aufmerksam, der nun so ausschaut, als hätte man ein kleines Kind beim Stehlen von verbotenen Süßigkeiten erwischt. Es dauert eine ganze Weile, bis er mir endlich wieder in die Augen sieht und weiterspricht. „Ich liebe Ordnung, das weißt du. Aber.... ich bin einfach scheiße im Aufräumen. Ich krieg's manchmal einfach nicht hin, meine Wohnung sauber zu halten, gerade wenn ich gestresst bin. Ich produziere dann schieres Chaos und dann weiß ich nicht, wo ich anfangen soll, um es zu beseitigen und schiebe es – bis es halt gar nicht mehr geht – vor mir her, und dann...“

 

Er seufzt tief.

 

„Die letzten Tage habe ich die ganzen liegengebliebenen Sachen einfach von Raum zu Raum geschoben: Wenn ich dir zum Beispiel was zu Essen gemacht habe, habe ich das Chaos aus der Küche kurzerhand ins Wohnzimmer verfrachtet, um erstens Raum zu schaffen und zweitens, damit du's nicht siehst, ich meine... Du hast bis jetzt praktisch nur im Schlafzimmer gelebt und ich... Ich hatte gehofft, dass ich es heute noch pünktlich schaffe, komplett aufzuräumen, bevor du wieder richtig aufstehst und dich im Rest der Bude umsiehst. Die letzten Tage hatte ich erst keine Lust, dann keine Kraft, dann wurde es immer mehr und wuchs mir vollständig über den Kopf und ich hab's ignoriert und, wie gesagt – eben auf heute verschoben, und... Ach!“, erklärt Christopher und wirft frustriert die Hände in die Luft. „Ich habe es jedenfalls nicht absichtlich verursacht, damit du es aufräumst. Ich bin einfach nur furchtbar unordentlich. Okay?“

 

Auch wenn ich durch Christophers Ausführung jetzt verstehe, warum ich die vorigen Tage nichts von dem Dreck mitbekommen habe, liefern seine Worte dennoch keine richtige Erklärung für das große Ganze, deswegen entweicht automatisch ein verwirrtes „Hä?!“ meinen Mund. Denn ich kenne diese Wohnung seit mehr als zwei Jahren nur in einem Zustand: „Deine Bude ist, seitdem ich dich kenne, immer penibel aufgeräumt. Also... Was erzählst du mir hier plötzlich, dass du unordentlich bist...? Wie... Was... Hä?!“

 

Christopher räuspert sich und ein Blinder mit einem Krückstock könnte erkennen, wie unangenehm ihm dieses Gespräch gerade ist und dass... er sich schämt.

 

„Ja, also...“, kommt es unsicher und langgezogen von Christopher und er fängt an, das Muster der Bettwäsche mit seinem rechten Zeigefinger nachzuzeichnen und auf seiner Unterlippe zu kauen. Fasziniert und irgendwie auch ein wenig fassungslos betrachte ich meinen Master, der gerade wie keiner wirkt. „Meine Wohnung war immer so sauber, weil... ich eine Putzfrau hatte“, rückt er dann endlich mit der Sprache raus.

 

Ich brauche einige Sekunden, um diese Information aufzunehmen.

 

„...ähm... okay...“, entgegne ich dann langgezogen und weiß im ersten Moment nicht so richtig, was ich mit dieser Beichte anfangen soll, und was sie eigentlich gerade in mir auslöst. Momentan kann ich eigentlich nur einen klaren Gedanken richtig zu fassen kriegen, der dann ungehalten meinen Mund verlässt: „Ich ersetze eine richtige Putzfrau?!“

 

„Du ersetzt überhaupt nichts!“, antwortet Christopher barsch. „Hör auf mit dem Schwachsinn!“

 

„Wer war sie?“, höre ich mich unmittelbar fragen, seine letzte Äußerung ignorierend.

 

Christopher seufzt. „Brigitte.“

 

Die Rädchen in meinem Hirn fangen an zu Arbeiten. „Brigitte? Die Brigitte? Kanzlei-Brigitte? Die nette pummelige Mutti mit grauenhafter Dauerwelle, die dein Büro putzt?“

 

„Ja.“

 

„Okay... Und... Scheiße, hast du sie auch das Spielzimmer putzen lassen?!“

 

„Quatsch, natürlich nicht! Der Raum war immer abgeschlossen, sie hat keine Fragen gestellt und den Rest der Wohnung immer gewissenhaft geputzt. Zwei Mal in der Woche.“

 

„...und wie kann das sein, dass ich sie über zwei Jahre lang nicht ein einziges Mal in deiner Bude gesehen habe?!“

 

„...ich habe die Termine immer so mit ihr gelegt, dass ihr euch nicht über den Weg lauft...“

 

„...und damit du dann so tun kannst, als hättest du selbst die Wohnung geputzt, um mich dann was Sauberkeit angeht zu belehren, ja?“, beende ich etwas überspitzt seinen Satz und Christopher errötet, während ich mich abermals frage, woher diese ganzen Worte überhaupt kommen.

 

„...ja...“, gibt mein Freund dann in leicht genervtem Ton zu.

 

Mein Herz macht einen unschönen Sprung in meiner Brust. Ich erwidere knapp mit einem „aha“ und weiß dann wieder nicht mehr, was ich dazu sagen soll.

 

„Ich hab sie eingestellt, als das mit uns beiden losging“, fährt Christopher mit seiner Beichte fort.

 

„...und sie hat hier gearbeitet bis wir zusammengezogen sind?“

 

„Ja.“

 

„Aha. Okay... Und warum hast du sie überhaupt gefeuert?“

 

Christopher mustert mich und scheint abzuwägen, mit welchen Worten er es mir wohl am besten erklären kann, ohne dass es so klingt, als würde ich seine Reinigungskraft tatsächlich nüchtern ersetzen.

 

„Zum einen natürlich, weil ich nicht zugeben wollte, dass ich eine Putzfrau habe. Mit dir hier fest in der Wohnung wäre es zu kompliziert geworden, Termine zu finden, sodass ihr zwei euch nicht über den Weg lauft“, gibt er reumütig zu und seufzt dann tief. „Zum anderen, weil, damit verbunden... ich einfach nicht will, dass hier eine fremde Person putzt, weil. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, aber... Seitdem du mit mir zusammenwohnst ist das nochmal eine ganz andere Privat- beziehungsweise Intimsphäre für mich geworden. Noch intensiver, weißt du? Das ist halt... unser Nest. Und...“, er zuckt mit den Schultern und ich frage mich, ob er seine Plädoyers auch in diesem Stil hält. Denn wenn ja, ist er ein furchtbarer Anwalt. „Ich will, dass diese Wohnung unser geschlossener Bereich ist, wo niemand seine Nase reinzustecken hat, verstehst du? Eine Art geschützter Raum, wo es nur uns beide gibt.“ Ich nicke und warte immer noch auf eine weitere Erklärung, und als er sie mir nicht gibt, lege ich ihm die Worte halt wieder selbst in seinen Mund.

 

„Und weil ich jetzt kostenlos Brigittes Arbeiten übernehme.“

 

Christopher schnaubt und schüttelt erneut etwas genervt mit dem Kopf. „Wenn du das so formulierst, hört sich das natürlich scheiße an“, meckert er, „aber Niko: Wir hatten einen Deal. Du zahlst keine Miete, dafür putzt du die Wohnung – als mein Sklave, nicht als meine Reinigungskraft!“ Er macht eine kurze Pause, in der er mich intensiv mustert und ich mein emotionales Chaos gar nicht mehr ordnen kann. „Weißt du eigentlich, wie sehr mich das anmacht, dir beim Putzen zuzusehen?“, fragt er mich dann mit milder Stimme, die mir sofort unter die Haut geht. „Ich liebe deinen Gesichtsausdruck, wenn ich deine Arbeit kritisiere und du nochmal von vorne anfangen musst. Ich liebe es, dich auf diese Weise im eigentlich super langweiligen Alltag zu dominieren und gewissermaßen zu bestrafen. Und es ist doch mein gutes Recht als Herr, meinen Sklaven auf jede erdenkliche Weise auszunutzen. Oder nicht? Und du hast doch selbst schon so oft gesagt, dass du diesen Teil deines Sklavenlebens genießt.“

 

Ich nicke automatisch. Denn: Mein Master hat ja wieder recht mit dem, was er da sagt.

 

„Ob du jetzt meine Fußbank bist, mein Hündchen, das ich stolz auf Partys an der Leine vorführe, oder eben meine Putze – du machst das alles nicht als anonymer Dienstleister, sondern als mein Sub. Oder nicht?“

 

Ich nicke abermals, auch wenn seine jetzigen Erklärungen diesen seltsamen Zorn nicht gänzlich hinfort fegen.

 

„Dich als meinen festen Freund würde ich niemals ausnutzen. Nie“, beteuert er und ich muss schlucken und kann nichts darauf antworten. „Niko...“, setzt Christopher mit durchdringender Stimme wieder an. „Ich will in allererster Linie mit dir zusammenwohnen, weil ich dich liebe. Ist dir das denn plötzlich überhaupt nicht mehr bewusst?“

 

Ich beiße mir auf die Zunge und fühle mich für einen kurzen Moment selbst wie ein Kind. Ein anstrengendes, das ohne wahren Grund rumschreit und nörgelt und meckert und mit allem unzufrieden ist und dann nicht weiß, wie es aus dieser Situation wieder rauskommt. „Doch...“, nuschel ich, und kann ihm dabei trotzdem nur kurz in die Augen sehen.

 

„Und ich kann dir nicht oft genug sagen, wie glücklich ich bin, dass ich mit dir diese ganz besondere Art der Beziehung führen kann“, fährt er besonnen fort.

 

Ein Teil von mir möchte lächeln und ihm antworten, dass es mir genauso geht und diese dämliche Auseinandersetzung endlich beenden. Es gibt da nur ein Problem: Diesen emotionalen Zwist.

 

Da wäre zum einen der amüsante Aspekt: Dass dieser ach so feine Herr, der seine Nase rümpft, wenn er nach meinen Haushaltspflichten irgendwo noch ein Körnchen Staub findet, in Wirklichkeit ein kleiner Drecksspatz ist. Dem gegenüber steht allerdings der nicht ganz so wohlschmeckende Teil: Die Erkenntnis, dass Christopher mir gewissermaßen etwas vorgemacht hat, indem er etwas verschwiegen hat; und damit verbunden noch ein Gedanke, den ich fieberhaft versuche, in den Hintergrund zu drängen. Doch dieser Bastard will nicht weichen, kämpft sich immer wieder in den Vordergrund. Bis er sich dort festsetzt.

 

Das Bild meines harten und süffisanten Masters hat einen kleinen Riss erlitten.

 

Herr und Dreckspatz – das passt doch nicht, flüstert eine kryptische Stimme in meinem Innern und macht mich darauf aufmerksam, dass das hier ist eine ganz andere Sache ist als Christophers schwachen und unschönen Momente während seines Krankseins. Eben weil sein Dasein als Dreckspatz nichts mit einer Ausnahmesituation zu tun hat, sondern alltäglich und fest verankert in seinem Charakter ist.

Und das gefällt mir nicht.

 

Außerdem hat Christophers Erzählung weitere Fragen mit sich gebracht, und obschon ich weiß, dass jetzt eigentlich der beste Zeitpunkt wäre, dieses Gespräch erst einmal zu unterbrechen und mir selbst Zeit zu geben, das alles zu verdauen, und vor allem gesund zu werden, öffne ich meinen Mund.

 

„...warum hast du Brigitte erst eingestellt, als das mit uns beiden losging?“

 

Christopher holt Luft und starrt den Nachttisch an, während er mir mit angestrengter Stimme antwortet. „Mir ist das unheimlich peinlich, dass ich so unordentlich bin und es... passt halt nicht so wirklich ins Bild, das ich dich habe von mir von Anfang an zeichnen lassen. Ich meine... Ich wollte keine Schwäche zeigen... und... Weißt du, ich sehe doch gerade, wie du mich jetzt plötzlich ansiehst...“, sagt er bitter und lässt dabei kurz seinen Blick zu mir huschen; seine betrübten Augen versetzen mir einen Stich ins Herz. Ich fühle mich ertappt; mir war gar nicht bewusst, wie sehr mir meine Emotionen ins Gesicht geschrieben stehen.

 

Im Grund genommen weiß ich, wie dämlich das mit dem „Riss“ in seinem herrischen Bild ist. Ich betone doch immer selbst, dass Christopher zwar ein harter Master ist – aber eben auch nur ein Mensch; mit guten, aber eben auch schlechten Seiten. Er ist mein Dom, aber eben auch mein Partner. Und vor wenigen Tagen habe ich ihm selbst mehr oder minder vom geteilten Alltag ohne jegliche Masken gepredigt und mich drüber gefreut, die ungeschminkte Wahrheit zu erblicken. Warum kann ich meiner eigenen Vernunft nicht heute Platz machen und sie die Kontrolle übernehmen lassen? Warum nur bricht die Wut heute so dermaßen durch mit mir? Ich verstehe es nicht, agiere einfach instinktiv.

 

„Davor“, unterbreche ich und bin selbst ein wenig überrascht, wie frostig ich eigentlich klinge. „Hast du einfach in einem Saustall gelebt – oder wie soll ich mir das vorstellen?“

 

Wie war es, als du mit Adrian zusammengewohnt hast? War er auch deine Putze?

 

Ich schlucke und Christopher seufzt tief, fährt sich mit beiden Händen durch sein Gesicht.

 

„Niko... Ich glaube, das ist genug Gerede für heute, wir sollten...“

 

„Sag es mir!“, schreie ich ihn an und unterbreche ihn.

 

Mein Freund sieht mich leicht erschrocken an. Dann wendet er schon wieder den Blick von mir ab und starrt dieses Mal einfach in die Ferne. „...ich weiß nicht, ob du das hören willst...“, bringt er schließlich über die Lippen und das Blut rauscht in meinen Ohren.

 

„...sag es mir...“, wiederhole ich meine Worte, dieses mal etwas leiser und mit heiserer Stimme; obschon ich mir jetzt wirklich nicht mehr so sicher bin, ob ich das wirklich hören will.

 

Mein Freund seufzt und sieht mich auch nicht an. „Ich hatte Putzsklaven.“

 

Es vergehen einige Sekunden, in denen niemand von uns etwas sagt. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und meine Gefühle fahren jetzt in einer überdimensional großen Achterbahn mit Dauerlooping und null Sicherheitsvorkehrungen.

 

Was zur Hölle, Niko Klaas – schimpfe ich innerlich mit mir selbst.

 

Mir ist doch eigentlich klar, dass Christopher ein Leben vor mir hatte. Eines, das BDSM involvierte. Für mich sind die Tore dieser Welt erst durch ihn geöffnet worden. Aber er hat dort schon jahrelang vor mir verweilt und Dinge ausprobiert, ausgelebt; mit anderen Männern.

 

Mit Adrian zum Beispiel.

 

Warum bin ich plötzlich so schockiert?

Ich merke gar nicht, dass ich kalt auflache.

 

„Da lief nichts, Niko. Ich habe sie nicht einmal richtig angerührt, wir hatten keinen Sex, geschweige denn eine Beziehung“, wirft Christopher umgehend im aufgewühlten Ton ein und ich frage mich, warum ich zulasse, dass mein Freund sich plötzlich beginnt für Dinge zu rechtfertigen, für die er sich gar nicht rechtfertigen muss, da sie in der Vergangenheit liegen, in der er noch nicht einmal einen blassen Schimmer von meiner Existenz hatte; warum ich das Gespräch nicht abbreche, sondern ihm weitere Fragen stelle. Warum mich das alles plötzlich doch so brennend interessiert, obschon ich vor wenigen Tagen noch das Gegenteil behauptet hatte.

 

Sie? Wie viele waren es denn?“, hake ich mit gepresster Stimme nach und stiere unsere Kommode an.

 

„Zuletzt zwei“, antwortet Christopher sachte, „haben jeweils ein Mal die Woche hier sauber gemacht.“

 

„...nackt?“

 

Mein Freund seufzt. „...manchmal... Oft auch in Lack- und Latexoutfits... Sicher, dass du das alles hören willst?“ Christopher klingt besorgt und ich frage mich, ob ich gerade so eine Art Selbsttortur betreibe. Denn eigentlich will ich doch genau nichts davon hören – und gleichzeitig einfach alles erfahren. Woher kommt das nur plötzlich?!

 

„...und die sind also nur hierher gekommen, um zu putzen, oder was?“, hake ich nach.

 

„Ja. Es ging wirklich nur darum.“

 

„...das heißt, du hast sie dabei beobachtet?“

 

„Ja.“

 

„Und dann wie bei mir eine Endabnahme gemacht?“

 

„...ja...“

 

Ich schlucke.

 

„Und was genau meinst du mit nicht einmal richtig angerührt?“, höre ich mich schon als nächstes fragen und weise mein Herz an, endlich mit diesem nervigen Radau aufzuhören. Schade nur, dass ich so wenig Durchsetzungsvermögen besitze: Es hört nämlich nicht auf mich.

 

„...ich habe sie natürlich bestraft, wenn ich nicht zufrieden mit dem Resultat war...“

 

„...im Zimmer...?“, hake ich nach und meine Stimme ist kaum mehr als ein angestrengtes Hauchen, weil sich meine Kehle zuschnürt.

 

„Nein“, antwortet Christopher bestimmt und mir fällt ein kleiner Stein vom Herzen, weil der Gedanke daran, dass mein Freund sich dort mit seinen Putzsklaven amüsiert hat, die ihm offenbar nichts bedeuteten, mir einen ganz schön heftigen Stich versetzt hat. „Ich hab's dir ja schon öfter gesagt: Dieser Raum hat eigentlich nur auf dich gewartet...“

 

Seine Worte klingen ehrlich und ich weiß, dass er es auch so meint. Dennoch stimmen sie mich im Augenblick nicht wirklich zufrieden.

 

„Und wie hast du sie bestraft, ohne sie wirklich anzufassen?“

 

„...ich habe nie meine blanke Hand benutzt, sondern stets ein Schlaginstrument, wenn es überhaupt so weit gekommen ist. Einer von ihnen wollte fast nur verbal bestraft werden oder hat Freude daraus gezogen, wenn er als Strafe beispielsweise eine ganze Stunde nackt im Raum auf dem kalten Boden knien musste. Ein anderer wollte tatsächlich nur Putzen, in gewissen Outfits, und von mir dabei betrachtet sowie angewiesen werden, nichts weiteres. Zu... sexuellen Handlungen ist es mit keinem einzigen gekommen. Auch zu keiner weiteren persönlichen Beziehung: Es ging wirklich nur um das Putzen.“

 

„...und es hat dich angemacht?“

 

Christopher schluckt. Dann bringt er ein leises und leicht heiseres „ja“ zustande und ich würde am liebsten etwas zerstören.

 

Ich kann diese Bilder von fremden nackten Männern, die mein Bad, mein Wohnzimmer, mein kleines Horror-Paradies, meine Küche putzen nicht aufhalten: Sie durchfluten mein Hirn und machen mich... furchtbar wütend; obschon ein großer Teil meiner weiß, dass das Schwachsinn ist.

 

Warum zur Hölle bin ich plötzlich so scheiße eifersüchtig?

 

Ein eiskalter Schauer läuft meinen Rücken hinab, als meine Gedanken zurück zu Brigitte kehren.

 

„...du sagtest, du hast Brigitte eingestellt, als das mit uns beiden losging... Welchen Zeitpunkt genau... meinst du damit? Als wir uns kennengelernt haben, oder erst... als wir zusammengekommen sind?“

 

Christopher seufzt und alles zieht sich in mir zusammen. „Ich habe diese Relationen an dem Abend beendet, als du mich wegen dieses... Scheiße, wie hieß der nochmal... Ach ja: Georg. Als du mich wegen Georg versucht hattest abzuservieren beziehungsweise zu provozieren, und ich dein kleines Date unterbrochen habe. Erinnerst du dich...?“ Natürlich erinnere ich mich. „Ich hatte dich an jenem Abend gefragt, ob du mehr wolltest; und mit deinem Ja war für mich absolut klar, dass es nur noch dich für mich geben würde.“

 

Eigentlich sollte diese Bemerkung Wärme in meinem Innern auslösen. Doch da ist nur Frost.

 

Mir hatte Christopher damals quasi einen Vorwurf aus der Sache mit Georg gemacht. „Ich dulde keine Nebenbuhler“, hatte er gesagt – während er selbst zu diesem Zeitpunkt zwei Putzsklaven unter seinem Kommando hatte. Und auch wenn diese Männer nicht seine Partner waren, sind sie ja doch irgendwie Teil seines Lebens gewesen, während ich mich tatsächlich nur auf ihn fokussiert hatte. Georg war nichts anderes als eine Provokation gewesen, wie Christopher es ja schon selbst formuliert hat.

 

Mir wird irgendwie furchtbar schlecht, als ich an die allerersten Zusammentreffen mit Christopher bis zu jenem Abend denke und mir vor Augen halten muss, dass während all dieser Events diese zwei Putzsklaven Teil seines Umfelds waren. Und mit der Übelkeit steigt auch meine Wut, die wiederum meinen Willen zur Selbstzerstörung zu befeuern scheint.

 

„War Adrian auch dein Putzsklave?“, spucke ich meinem Freund regelrecht giftig ins Gesicht, das dieser nun verzieht.

 

„....du willst jetzt nicht ernsthaft mit mir über Adrian sprechen...“, entgegnet mein Freund viel zu patzig; und genau das löst bei mir einen Vulkanausbruch aus.

 

„Ich will über nichts von dieser Scheiße sprechen!“, brülle ich ihn an und ignoriere dieses fürchterliche Ziehen in Hals und Brust. „Du hast doch mit diesem ganzen Mist angefangen, was beschwerst du dich jetzt?!“

 

Christopher presst die Kiefer aufeinander und starrt mich finster an.

 

„Was?“, zische ich nach einer Weile. „Sagst du jetzt gar nichts mehr, oder was?!“

 

Christopher sagt wirklich nichts mehr. Kopfschüttelnd steht er auf und hebt dazu auch noch die Arme in einer kapitulierenden Geste in die Höhe, als würde er mir sagen wollen: An dir ist Hopfen und Malz verloren. Dann verlässt er tatsächlich das Schlafzimmer und ich kann mich nicht daran hindern, ihm hinterher zu schreie: „Dann hau doch ab!“

 

In dem Moment, in dem er die Schlafzimmertür zuknallt, kann ich meine dämlichen Tränen nicht mehr zurück halten. Ich zittere am ganzen Leib und bin unheimlich wütend – aber vor allem verwirrt, komplett durcheinander, irgendwie verloren, kann meine Gedanken und Gefühle nicht ordnen.

 

Der Penistresor fühlt sich erneut so unfassbar deplatziert an und eine erneute Welle der Wut spült über mich. Ich springe auf, reiße die Schublade auf und greife nach dem Notfallschlüssel für den Käfig, will das Ding abreißen und Christopher am liebsten ins Gesicht schleudern; dann stocke ich und schlucke, und Tränen sammeln sich erneut in meinen Augen. Ich starre den mittlerweile verschwommenen Schlüssel in meiner Hand an und es zieht sich schmerzhaft in meiner Brust zusammen.

 

Ich kann das nicht tun.

Ich werde das nicht tun.

Denn ich habe plötzlich das Gefühl, dass ich mit diesem Schritt dieses besondere Band zwischen Christopher und mir vollkommen zerstöre würde – und ich kann mir im Moment ja nicht einmal erklären, warum ich eben so explodiert bin und warum ich mich fühle, wie ich mich derzeit nunmal fühle.

 

Ich lege den Schlüssel zurück in die Schublade und die Tränen fließen unkontrolliert meine Wangen hinab und ich erschrecke wegen meines eigenen lauten Schluchzens.

 

~~~

 

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich heule, wie viel Zeit vergangen ist, bis meine Augen endlich wieder trocken sind und sich mein Organismus beruhigt, weil ihm schlichtweg die Kraft fehlt, weitere Tränen zu produzieren, mein Hals von dem ganzen Geheule schmerzt und die Müdigkeit aufgrund meiner wirren Gedanken mich übermannt; irgendwann drifte ich einfach ab und leide Höllenqualen in einer ganzen Reihe von Alpträumen, in denen irgendwelchen fremden Männer auftauchen und Christopher mir erklärt, das seien seine neuen Partner, und in denen Kilian und Martin und Holger und der ganze Rest des Stammtisches mich plötzlich hassen und mir den Rücken zukehren. Grässliche fiktive Realitäten, in denen ich komplett allein zurückgelassen werde.

 

Als ich am nächsten Tag mit dröhnenden Kopfschmerzen erwache und die Reste dieser nicht realen Szenarien sich noch in meinen Gedanken abspielen, wie die Erinnerungen an einen Film, den man erst kürzlich im Kino oder Fernsehen gesehen hat, ergibt das in der Nacht durchlebte langsam einen Sinn. Ebenso wie meine dämlichen Reaktionen, meine Vorwürfe, meine wüsten Beschimpfungen, meine Eifersucht.

 

Nach einer Dusche, einem Frühstück in einer wirklich extrem sauberen Küche und einem großen Becher Kaffee sieht die Welt ganz anders aus. Und ich schäme mich.

 

Dass ich so wütend auf Christopher geworden bin – das war ein dämliches Resultat meiner Krankheit. Mein Freund hatte absolut recht mit seiner gestrigen Aussage: Ich war ausgelaugt und deswegen unheimlich gereizt, wütend, und habe das einfach an ihm ausgelassen. Die Details über die Männer in seiner Vergangenheit gepaart mit seiner Beichte haben mich nur noch wütender werden lassen – und erst jetzt wird mir bewusst, warum eigentlich.

 

Weil ich noch nie einen Mann so sehr geliebt habe wie Christopher.

Nein, falsch.

Weil Christopher der erste Mann ist, den ich liebe.

 

Die Beziehungen davor waren oberflächlich und die spärlich ausgetauschten Liebesbekundungen nicht wirklich ernst gemeint; ich hatte das obligatorische „ich liebe dich auch“ nur gemurmelt, weil ich es eben als Verpflichtung empfunden hatte und ich keine Kompliktionen wollte. Wie zum Beispiel mit Marcel, den ich nach dem Aufeinandertreffen mit Christopher weggeworfen hatte wie ein benutztes Taschentuch. So viel zur vermeintlichen Liebe zu diesem Mann.

 

Bei Christopher ist es ganz anders. Wenn ich ihm diese Worte sage, dann meine ich es absolut ernst. Jede Faser meiners Körper sehnt sich nach ihm. Ein Leben ohne ihn kann und möchte ich mir nicht vorstellen – und genau das ist der Knackpunkt. Mit unserem Zusammenziehen sind wir einen so wichtigen Schritt Richtung gemeinsamer Zukunft gegangen und ich glaube, dass ich das erst jetzt so wirklich kapiere, was das bedeutet, und was das auch für Risiken birgt. Christophers Verflossene machen mir deutlich, dass die Beziehung zu ihm ein Ende haben könnte – eben weil Beziehugen zu ihm in der Vergangenheit gescheitert sind. Vor allem die Partnerschaft mit diesem Adrian, mit dem Christopher auch zusammengewohnt hatte.

 

Vor unserem Zusammenzug habe ich unsere Beziehung zwar auch als extrem intensiv empfunden, aber im Vergleich zum gemeinsamen Heim ist sie in meinem Kopf irgendwie... harmloser gewesen. Ich habe nicht einen einzigen Gedanken an die Ex-Freunde und Ex-Sklaven von Christopher verschwendet, doch jetzt ist das plötzlich anders. Weil mir erst jetzt bewusst geworden ist, wie emotional und in gewisser Weise auch finanziell ich abhängig von ihm bin. Einfach ausgedrückt: Seit dem wir zusammenwohnen und diesen durchaus ab und an grauen und von Zickereien gespickten Alltag teilen, ist die Angst, ihn irgendwann zu verlieren, größer geworden. Und natürlich auch der Drang, alles über sein Leben zu erfahren; wozu nunmal auch die verflossenen Liebschaften gehören. Und das beides zusammen, plus die Gereizheit wegen des Krankseins, ist – wie von mir kläglich bewiesen – eine explosive Mischung.

 

Ich frage mich, was all die Beziehungen davor hat scheitern lassen – weil ich nicht denselben Fehler machen will. Weil ich unter anderem nicht möchte, dass er sich irgendwann gelangweilt von mir fühlt. Noch ist alles neu: Schließlich bin ich der erste Mann, mit dem er eine 24/7-Beziehung führt, noch dazu in einer gemeinsamen Wohnung. Aber wenn ich der erste bin... bin ich dann einfach nur Nummer 1 in einer Reihe von Versuchen, die noch kommen werden? So wie Adrian die Nummer 1 in der Reihe „Zusammenwohnen“ gewesen ist?

 

Ich seufze laut und streiche die wenigen Tränen weg, die sich wieder in meinen Augen gesammelt haben. Um mich kurz von diesen Gedanken abzulenken, greife ich zu meinem Handy und möchte es am liebsten gegen die Wand schleudern. Christopher hat mir keine einzige Nachricht zukommen lassen und es ist schon Nachmittag. Eigentlich sollte die Tatsache, dass mein Freund mich nach meinem Verhalten ignoriert, nicht wundern. Doch es schmerzt trotzdem. Nicht einmal nach der Einname meiner Tabletten hat er sich erkundigt.

 

Ungefähr vier Mal beginne ich, eine Nachricht an ihn zu verfassen, doch alles, was ich schreibe, hört sich irgendwie lächerlich an und im Grunde genommen weiß ich gar nicht, womit ich anfangen soll und frage mich, ob es nicht eh klüger wäre, mit ihm persönlich zu sprechen.

 

So vergehen Stunden, in denen ich Tee trinke und mich immer wieder in meinen Gedanken verliere, die ich versuche, in meinem Sklavenbuch irgendwie festzuhalten. Ich erschrecke richtig, als ich plötzlich unsere Haustür ins Schloss fallen und Christopher durch den Flur in die Küche gehen höre.

 

Ich erhebe mich und will direkt zu ihm eilen, doch meine Glieder gefrieren in ihren Bewegungen und mir fällt auf, wie sehr mein Herz klopft, wie nervös und ängstlich ich plötzlich bin; wie mein Organismus alles blockiert. Ich schlucke und lasse mich langsam wieder aufs Sofa nieder, lausche, warte, höre die Uhr ticken, Christopher in der Besteckschublade wühlen. Minuten fühlen sich an wie Stunden und meine Kehle wird ganz trocken.

 

Ich halte die Luft an, als Christopher nach dieser gefühlten Ewigkeit mit unserem größten Serviertablett bewaffnet das Wohnzimmer betritt. Der Duft der mitgebrachten Pizza steigt mir sofort in die Nase.

 

„Salami für dich, Pepperoni für mich“, lautet Christophers nüchternes Hallo, als er das Tablett auf dem Wohnzimmertisch abstellt und mir dann den Teller mit meiner italienischen Köstlichkeit vor die Nase schiebt, die heute tatsächlich nicht verlockend auf mich wirkt. Mein Freund schaut mich nicht einmal direkt an, knipst den Fernseher an und nimmt einen großen Schluck Rotwein.

 

Das Schweigen zwischen uns erdrückt mich fast nach einer Weile und ich kriege keinen einzigen Bissen runter, während mein Freund seine Pizza beinahe im Rekordtempo vertilgt. Der Film, ein deutscher Thriller der mich zu sehr an eine schlechte Tatort-Folge erinnert, ist grässlich.

 

Christopher schenkt sich das zweite Glas Wein ein und wir haben immer noch kein einziges Wort gewechselt und mir wird bewusst, dass ich hier eigentlich die ganze Zeit nur darauf warte, dass er die Konversation beginnt. Denn das tut er meistens und ich reagiere nur. Doch heute muss es wohl anders laufen; nur weiß ich immer noch nicht, wie ich das anstellen soll, was ich sagen soll, um dieses frostige Eis zwischen uns endlich wieder zu brechen. Also greife ich nach dem Sklaventagebuch, das noch immer neben mir liegt und reiche es Christopher. Das ist auch der erste Moment dieses Abends, in dem mein Freund mir in die Augen sieht. Sein Blick wandert zum Buch in meiner Hand und er hebt fragend die Augenbraue.

 

„Ich weiß, es ist noch nicht Sonntag, aber...“, sage ich und finde keine Kraft, den Satz zu beenden.

 

Christopher reagiert nicht. Jedenfalls nicht verbal. Mein Freund stellt sein Weinglas beiseite, wischt sich die Hände mit einer Serviette ab und nimmt das Buch entgegen, lehnt sich zurück, schlägt es auf und beginnt zu lesen.

 

In den ersten Zeilen teile ich ihm mit, wie sehr ich mich für mein Verhalten ihm gegenüber schäme, und wie leid es mir tut, dass ich eine Grenze überschritten habe, die ich nicht hätte überschreiten sollen. Dass ich mir nicht erklären kann, wie ich ihn beschimpfen konnte. Ich offenbare ihm all diese Gedanken bezüglich seiner Ex-Partner und Ex-Subs, unseres Zusammenzugs, meiner damit verbundenen Ängste, und je länger Christopher liest, desto weicher werden seine Gesichtszüge. Als er das Buch zuklappt ist seine Miene fast schon etwas traurig. Er lächelt milde, als er mir seinen Kopf zuwendet.

 

„Darf ich dich in den Arm nehmen?“, fragt er mich dann mit zärtlicher Stimme und ich nicke. Einige Sekunden später finde ich mich in seiner starken Umarmung wieder und klammere mich regelrecht an ihn.

 

„...es tut mir leid...“, wispere ich heiser und genieße die Wärme seines Körpers an meinem.

 

Christopher haucht mir einen Kuss auf die Stirn und wischt die Minitränen, die schon wieder über meinen Augenrand getreten sind mit seinem Daumen weg. „Niko...“, raunt er dann und ein Teil von mir hat ein wenig Angst vor dem, was gleich kommt. Denn in meinem Eintrag habe ich ihm eine simple, aber für mich doch so wichtige Frage gestellt, die mich nach all der Grübelei nicht mehr verlassen wollte. Ich möchte wissen, warum er mich liebt.

 

Ich habe stets mein devotes Ich in den Mittelpunkt gestellt, wenn es darum ging, dass ich mir seiner Liebe sicher bin; die Tatsache, dass er mit mir diese extreme Form von BDSM ausleben kann. Und auch wenn das ein sehr großer Teil unseres Lebens ist, so ist meine Dasein als williger Sklave nicht alles – kann nicht alles sein, denn sonst... wäre ich austauschbar; und das wäre eine fürchterliche Erkenntnis, mit der ich nicht umzugehen wüsste. Genau das habe ich auch ins Buch geschrieben.

 

Ich spiele kein Schach, ich mag seine Musik nicht, ich kann mit Christophers Lieblingsbüchern nichts anfangen und ein wirklich intellektuelles Gespräch, so wie er sie oft mit Kilian oder Holger führt, haben wir eigentlich auch noch nie richtig gehabt... Also: Was sieht Christopher wirklich in mir? Seit unserem Zusammenzug hat diese Frage schon in meinem Unterbewusstsein Chaos gestiftet, in mir gebrodelt und ist letztendlich an die Oberfläche gedrungen.

 

„Warum machst du dir nur solche bescheuerten Gedanken?“, fragt mein Freund jetzt und lächelt leicht. „Hm?“ Ich presse die Lippen aufeinander und Christopher seufzt. „Es ist schwierig für mich, dir zu sagen, warum ich dich liebe. Es ist einfach so, weißt du?“, erklärt er dann und eine kleine Pause entsteht, in der er den mittlerweile ausgeschalteten Fernseher anstarrt und weit weg mit seinen Gedanken zu sein scheint. „Was mir von Anfang an imponiert hat, ist die Tatsache, dass du dein Ding durchziehst, egal was andere sagen oder machen; du schwimmst nicht mit dem Strom, auch nicht unbedingt dagegen – manchmal suchst du dir einfach andere Gewässer, oder du gehst über eine Brücke, völlig unberührt von den Massen“, sagt Christopher dann und sieht mir in die Augen. „Das kann nicht jeder, weißt du? Viele sagen, es sei ihnen egal, was andere Leute über sie denken, aber in vielen Fällen ist das einfach nur gelogen. Dir ist es wirklich egal. Und das ist eine bemerkenswerte Eigenschaft, die viel Kraft erfordert.“

 

Christophers legt seine Hand auf meinen Oberschenkel und er beginnt mich behutsam dort zu streicheln. „Ich mag es, dass du keine falschen Freundschaften schließt und keinen Wert auf einen breiten Bekanntenkreis legst, sondern wahre Freunde als wichtig erachtest, auch wenn es nur ein paar sind. Ich finde dein Faible für Horrorfilme niedlich und dass du niemals zugeben würdest, dass du nach den Streifen Angst allein im Dunkeln hast.“ Christopher kichert und ich laufe rot an, weil ich mir sicher war, das auch vor ihm ganz gut versteckt zu haben. Offenbar lag ich falsch. „Du bist eine ehrliche Haut und nimmst kein Blatt vor den Mund, du sorgst dich um mich, und natürlich siehst du verdammt gut aus“, fügt mein Freund amüsiert hinzu. „Ich liebe dich einfach, Niko. Wenn ich dich nicht lieben würde, denkst du das ganze 24/7-Konzept würde dann überhaupt funktionieren? Ich nicht.“

 

Diesen Gedankengang habe ich erst vor wenigen Tagen selbst ausgeführt. Seine Worte, eine Art der Bestätigung, bescheren mir deshalb eine angenehme Gänsehaut und lösen auch eine schöne Art von Herzklopfen aus. Eines, das nichts mit Nervosität oder Angst zu tun hat, sondern wie ein bekanntes und beruhigendes Lied auf mich wirkt; mir wird ganz warm und ich bin überzeugt, dass ich dümmlich lächele. Ich will Christopher gerade sagen, dass ich ihn auch liebe, aber mein Freund ist offensichtlich noch nicht fertig mit seiner Antwort.

 

„Falls es dich irgendwie beruhigt...“, fährt er vorsichtig fort und lächelt mich dabei sachte an, „der Gedanke daran, dass du in er Vergangenheit mit anderen Männern geschlafen, gekuschelt und sonst was gemacht hast, bringt mich auch dann und wann um – und wie du weiß auch ich, dass das vollkommen absurd ist.“ Christophers Hand verlässt meinen Oberschenkel und er verschränkt seine Arme vor der Brust, starrt wieder den Fernseher an und seine Miene verfinstert sich kurz. „Diesem Max aus der Bar würde ich am liebsten auch reinhauen.“

 

Mir gelingt es nicht, ein Glucksen zu unterdrücken und auch Christopher grinst mich kurz an, seine Gesichtszüge etwas entspannter. Doch dann seufzt er wieder und starrt nunmehr nachdenklich die langsam kalt werdende Pizza auf dem Tisch an. „Weißt du Niko...“, meint er, ohne mich anzusehen und klingt dabei irgendwie leicht gequält. „Die Wahrheit ist: Ich mache mir dann und wann auch ähnliche bescheuerte Gedanken wie du. Ich meine... Ich bin der allererste Mensch, mit dem du BDSM praktizierst, dein allererster Master: Du kennst nichts anderes. Ich frage mich, ob dir das nicht irgendwann langweilig wird mit mir, oder du dich einfach fragst, ob es auch anders geht, und du einen Drang wegen fehlender Vergleichsmöglichkeiten nach Abwechslung verspürst. So wie Leute, die schon mit Anfang 20 oder so geheiratet haben und sich nicht austoben konnten und das irgendwann nachholen wollen, weißt du...“ Christopher sieht mir wieder in die Augen. „Deine Reaktion auf Dominik war so ein Moment, in dem ich mich das gefragt habe.“

 

„Das war nur wegen der Uniform, Christopher!“, schießt es aus mir wie aus einer Pistole, weil es die Wahrheit ist und auch, weil ich irgendwie total überrascht bin von seinen gedanklichen Offenbarungen, seinen Sorgen, und dass er tatsächlich mit Dominik irgendwelch komischen Ängste verbindet.

 

„Und was, wenn es das nächste Mal anders ist?“, entgegnet Christopher ruhig. Ich kann nichts darauf antworten und mein Freund fügt dem hinzu: „Vielleicht auch, weil du mich plötzlich als zu schwach erachtest, aufgrund so einer Sache wie mit meiner Unordentlichkeit...?“

 

Ich beiße mir auf die Zunge und weiß nicht, was zu antworten ist. Auch meine Gedanken bezüglich des Risses habe ich ins Sklaventagebuch geschrieben, auf die mein Freund hier nun offenkundig Bezug nimmt.

 

„Ich bin zwar vorrangig dein Herr, aber das ganze ist eben eines: Ein Spiel“, fährt er ernst fort. „Das ist meine Rolle, die ich als Mensch spiele. Mir gefällt das auch nicht, wenn du meine Schwächen siehst, weil ich zum einen diese Rolle konsisten spielen möchte und zum anderen schon länger die Befürchtung hatte, dass einiges viellecht nicht gut bei dir ankommt. Eben weil ich dich, wie schon gestern erwähnt, ein explizit strenges, ja fast perfektes Bild von mir als Master habe zeichnen lassen. Nur bringt das Zusammenziehen eben mit sich – wie du ja vor ein paar Tagen eigentlich selbst gesagt hattest – dass du mich in Situationen erlebst, die mit meiner herrischen Rolle so gar nicht zusammen passen. Weil ich eben nicht perfekt bin und eben nicht nur dein Master. Aber gerade deshalb möchte ich ja, dass wir uns weiter entwickeln und unsere Beziehung auf die nächste Stufe bringen, die eben das Zusammenwohnen darstellt.“

 

Christopher macht eine Pause und Stille ümhüllt uns für diesen Moment. Ich weiß, dass er recht hat, sehe es doch eigentlich genauso. Ich wusste schon gestern, dass das ganze mit dem Riss ein großer Haufen Bullshit ist. Dennoch nagt es immer noch ein kleines bisschen an mir und ich hasse mich dafür.

 

„Erlaube mir, deine Frage jetzt an dich zu richten“, sagt er und schaut mir dabei tief in die Augen. „Was liebst du eigentlich an mir? Neben der Tatsache, dass ich dich dominiere?“

 

Ich blinzele und merke, wie schwer es tatsächlich ist, so eine simple Frage zu beantworten. Denn es ist wie Christopher schon zuvor gesagt hat: Es ist einfach so. Ich liebe ihn. Gefühle existieren oder sie existieren nicht. Dennoch bin ich ihm eine Antwort schuldig, denn auch er hat es schließlich geschafft, eine zu formulieren.

 

Meine Stille verunsichert ihn offenbar. Ich betrachte, wie er die Lippen zusammenpresst und seinen Blick dann von mir abwendet. „Unser Altersunterschied macht mir manchmal auch mehr Sorgen, als ich eigentlich zugeben will“, murmelt er plötzlich. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich nicht immer ganz mit dir mithalten kann. Wenn ich dich beispielsweise mit Frank oder Chiyo zusammen sehe oder du von Treffen mit ihr erzählst und eurer geteilten Passion für diese ganzen Horrorfilme und Games, die ich nicht verstehe, frage ich mich manchmal schon, ob ich mit einem Kerl mithalten könnte, der eben diese Hobbys auch teilt und ein Dom ist... Weißt du...“

 

Christophers Äußerungen hauen mich regelrecht um, und gleichzeitig erfüllt mich die eigentlich eher traurige Erkenntnis, dass auch er Ängste hat, mich zu verlieren, mit unheimlicher Freude. Weil das alles mir zusätzlich offenbart, dass ihm viel mir an liegt und dass es ihm ähnlich geht wie mir. Dass wir zwei verliebte Trottel sind, die sich bescheuerte Gedanken machen. Mein Freund sieht mich durcheinander an, als ich laut auflache, weil mich diese Erkenntnis trifft.

 

„Entschuldige“, meine ich und schenke ihm ein herzliches Lächeln. „Ich, ähm... Ich finde es nur irgendwie ein bisschen witzig, dass wir beide uns so sehr lieben und trotzdem irgendwie Angst haben, den anderen zu verlieren...“ Christopher erwidert mein Lächeln daraufhin vorsichtig und ich beuge mich vor und drücke ihm einen zarten Kuss auf seine Wange. „Ich liebe dich, weil...“, hole ich dann aus und baue mir meine Antwort aus dem zusammen, was einfach spontan Einzug in mein Hirn erhält. „Du einer der liebevollsten Menschen bist, die mir jemals begegnet sind. Du setzt dich für diejenigen, die dir nahe stehen, vor allem mich, mit allem ein, was du hast. Du... bist super zärtlich und aufmerksam. Du bist intelligent, einfühlsam und hast einen tollen Humor. Du denkst, du könntest nicht mit mir mithalten – aber ich glaube, dass du der einzige Mensch auf diesem Planeten bist, der mich eigentlich wirklich versteht. Faible für Horrorfilme hin oder her: Bei dir kann ich sein, wer ich wirklich bin, ohne dafür verächtliche Blicke zu ernten, und das bedeutet mir viel.“

 

Christopher lächelt mich mittlerweile versonnen an und dieser Anblick erfüllt mich mit purer Freude. „Ich glaube auch nicht, dass irgendwann so nen Andrang von 'ich hab voll was verpasst' haben werde, nur weil ich vor dir noch keinen anderen Master hatte, ehrlich nicht. Weil ich nämlich nicht daran glaube, dass jemand so abgefahren ist wie du. Und selbst wenn: Das werde ich eh nicht mitbekommen, weil ich sowieso nur dir meine Aufmerksamkeit schenke. Und das mit Dominik... Das war wirklich nur die Uniform. Klar sieht der Typ toll aus und so, aber... Niemand kommt an dich ran. Und egal was ich da so alles auf Partys oder im Netz sehe, ich denke eh immer nur daran, wie du das mit mir machst, oder wie du in solchen Klamotten aussehen würdest, verstehst du?“

 

Mein Freund nickt. „Mir geht es da genauso wie dir, Niko“, bestätigt er. „Ich glaube übrigens auch nicht, dass du mir langweilig wirst. Nein, ich bin sogar fest davon überzeugt, dass es nicht so sein wird. Ich war noch nie so fasziniert von jemanden, wie ich es von dir bin.“

 

Ich lächele, kann mich aber nicht davon abhalten, eine existenzielle Frage zu stellen: „...auch nicht von Adrian?“

 

Christopher seufzt, aber er lächelt dabei milde. „Ich war damals fasziniert von Adrian, ja, aber nicht ansatzweise so sehr wie von dir, okay?“ Ich nicke und mein Freund blickt mir lange in die Augen. „Wenn dich die Sache mit Adrian so sehr beschäftigt, kann ich dir alles über ihn erzählen...“

 

Nach diese Aussage bin ich nun wieder an der Reihe mit dem Seufzen und ein nervöses Kribbeln erfasst mich. „Das wäre wahrscheinlich besser“, teile ich meinem Freund mit und kann mir immer noch nicht so recht die Frage beantworten, ob ich das wirklich hören will.

 

„...weil du immer noch krank bist kriegst du heute von mir nur die kurze Version und du kannst später, wenn du wieder gesund bist, entscheiden, ob du die lange hören möchtest, okay?“ Ich nicke und muss schlucken, will Christopher nicht in die Augen blicken, wenn er von seinem Ex-Freund spricht, starre stattdessen sein Rotweinglas an. „Adrian war der erste Mann, mit dem ich BDSM praktiziert habe. Ich habe ihn kennengelernt, als ich gerade 18 geworden und noch ein dummer Teenager war, gegen meinen Vater rebelliert und mich ständig heftigst mit meiner Schwester und der Frau Mutter gestritten hab. Adrian hat mir geholfen, runterzukommen und viele Dinge zu verarbeiten. Wir waren zunächst nur Freunde. Dann irgendwann haben wir uns verliebt, er hat mir diese neue Welt gezeigt und wir sind letztendlich direkt zusammengezogen, als ich mit der Uni angefangen hab. Er hat mir geholfen, diesem toxischen Familienleben zu entfliehen - und das war verdammt gut und wichtig damals. Und warum das dann doch alls schief gegangen ist... Nun... Vor allem, weil unsere BDSM-Vorlieben irgendwann nicht mehr... kompatibel waren.“

 

„...was heißt das?“, hake ich heiser nach.

 

„Naja, Niko... 24/7...?“

 

„Oh...“, entgegne ich und muss ein wenig grinsen; weil ich mich Adrian überlegen fühle. Was natürlich wieder so ein dämlicher Schwachsinn ist, aber hey: Was soll's! Ich kann Christopher das geben, was er ihm nicht geben konnte, ha!

 

„Wir haben uns aber im Guten getrennt. Weißt du... Wir haben besonders in der Anfangszeit viel zusammen erlebt und das hat uns zusammengeschweißt. Deswegen haben wir immer noch Kontakt. Wir ticken ähnlich, weißt du...“, erzählt er mir und bestätigt damit meine zuvor geäußerten Annahmen über die Bindung zu Adrian.

 

„Ist Adrian... so alt wie du?“

 

„Er ist drei Jahr älter.“

 

„Er wohnt aber nicht in unserer Stadt, oder?“

 

„Nein.“

 

„Ah...“, mache ich etwas erleichtert und weiß dann erstmal wieder nicht, was ich dazu sagen soll.

 

„Ich hoffe...“, setzt Christopher dann wieder an und räuspert sich. „Ich hoffe, du denkst nicht irgendwie, dass da noch was zwischen Adrian und mir läuft oder laufen könnte. Wir sind wirklich nur Freunde. Unsere Beziehung liegt so lang zurück, dass er sich nicht einmal mehr wie ein Ex-Freund anfühlt. Okay? Ich will nur dich.“

 

Ich nicke und riskiere einen Blick in das Gesicht meines Freundes, der mich ganz zärtlich lächelt.

 

„...und was die Putzsklaven angeht... Es tut mir leid, dass ich dir das nicht vorher erzählt habe. Ich kann irgendwo verstehen, dass du dich betrogen fühlst. Aber zu meiner Verteidigung wiederhole ich nochmal: Sobald du mir versichert hattest, dass du mehr von mir wolltest, war ich dir gegenüber absolut loyal und habe andere Kerle nicht einmal angesehen, und das wird auch so bleiben.“

 

„Ach, Christopher!“, winke ich ab. „Ich hab's schon ins Buch geschrieben: Ich... Ich will nicht, dass du dich für etwas rechtfertigst, was vor meiner Zeit lag und... Da waren halt noch nicht zusammen. Ist schon irgendw okay. Blöd, aber okay. Ich kann dir keinen Vorwurf machen. Aber... Aber eine Sache ist da doch noch.“

 

„Was denn?“

 

...kenne ich diese Kerle?“

 

Mein Freund schüttelt den Kopf. „Nein.“
 

„...und die sind mir auch noch nie bei den Partys oder in der Gerte über den Weg gelaufen?“

 

Christopher zögert und mein Herz fängt wieder an wild in meiner Brust zu klopfen. „Naja... Über den Weg gelaufen ist der falsche Begriff. Einer von ihnen taucht ab und zu auf den Partys auf. Aber wir grüßen uns mit einem netten Kopfnicken und das war's.“

 

„...okay...“, sage ich und bin nicht gerade glücklich über die Tatsache. Ich weiß auch noch nicht so wirklich, ob mir Christophers im Grunde nur spärlich skizzierte Erzählung über seine Vergangenheit mit Adrian reicht.

 

„Redet ihr viel über damals?“, frage ich meinen Freund.

 

„Äh, ich rede nicht mit meinem Ex-Putzsklaven, wir nicken uns wirklich nur zu, und...“

 

„Nein, ich meine Adrian“, unterbreche ich den etwas verdutzt klingenden Christopher.

 

„Oh. Achso. Nein. Eigentlich nicht. Wir halten uns über das Leben des anderen auf dem Laufenden und führen eher so was wie Grundsatzdiskussionen oder halt Smalltalk. Ich erzähle ihm halt natürlich auch, was bei Stella und Co so los ist.“

 

„Die Leute vom Stammtisch kennen Adrian.“

 

„Ja. Ich kenne die Truppe auch schon sehr lang und ich habe ihnen mal, als wir uns über unsere Anfänge in der Szene gesprochen haben, die Geschichte von Adrian und mir erzählt. Und...“, Christopher stockt kurz. „Sie haben ihn auch kennengelernt.“

 

Ich blinzele. „Hat er dich besucht?“ Mein Freund nickt und mir wird wieder ein bisschen schlecht. „Besucht... ihr euch öfter?“, hake ich nach.

 

„Ähm. Nein. Nicht so oft.“

 

Diese unpräzise Antwort gefällt mir nicht und eine neue Angst wird in mir geboren. „Wie oft..“, fange ich an und meine Stimme bricht mir weg, ich muss mich räuspern und noch einmal neu ansetzen. „Wie oft... Nein, wann habt ihr euch das letzte Mal gesehen?“

 

Christopher zögert und ich spüre abermals ein Brodeln in mir, das mich zu sehr an das gestrigen erinnert. Aber meine Neugier ist zu riesig: Ich kann sie nicht bändigen. „Vor so... eineinhalbe Jahren.“

 

„Was?!“, japse ich. „Ihr... Ihr habt euch... hinter meinem Rücken getroffen?!“

 

„Ja... Und das tut mir leid, ich hätte es dir sagen sollen!“, entgegnet Christopher hastig. „Adrian hatte einen Geschäftstermin und wir haben uns auf einen Kaffee getroffen.“ Ich fühle mich unheimlich hintergangen. „Ich wollte nicht, dass du dir irgendwelche Gedanken machst, wir waren da ja gerade mal in halbes Jahr zusammen und alles war noch so zerbrechlich und... Adrian... Adrian war bis dahin nie ein Thema zwischen uns gewesen. Ich... Ich hatte ja ein paar mal Äußerungen in die Richtung von Ex-Beziehungen gemacht, aber du hast immer so abweisend reagiert, dass ich mir sicher war, du willst das nicht hören oder, dass... es dich einfach nicht interessiert.“ Ich presse die Lippen aufeinander und fluche innerlich. Denn: Mein Freund hat ja auch damit recht. „Also habe ich geschwiegen“, fährt Christopher fort. „Ich meine: Ich weiß ja, wie das rüberkommen muss. Hättest du einen Ex, mit dem du noch befreundet wärst, und hättest mir das am Anfang unserer Beziehung erzählt mit dem netten Vermerk 'ich treffe mich übrigens nächste Woche mit ihm', ich... ich wäre wahrscheinlich ausgetickt, und hätte dem nicht hundertprozentig Vertrauen schenken können; und ich wollte mir das nicht mit dir versauen, verstehst du?“

 

Ich seufze, schlucke erfolgreich meine Wut hinunter und nicke. Denn es ist die Wahrheit: Ich verstehe das echt. „Begeistert bin ich aber nicht davon“, füge ich hinzu und Christopher fährt sich unsicher durch sein blondes Haar.

 

„Verstehe ich ja“, meint er. „Tut mir wirklich leid.“

 

„...wenn er das nächste Mal in der Stadt sein sollte...“

 

„Werde ich es dir sagen“, beteuert Christopher eilig.

 

„Und ich werde mitkommen“, meine ich spitz und mein Freund nickt.

 

„Kein Problem“, meint er und irgendwie... beruhigt mich das. Obschon ich mir ehrlicherweise wünsche, dass es nicht zu dieser Situation kommt. Als ich sie mir gerade vorstelle, fällt mir auf, dass Adrian für mich immer noch ein Mann ohne Gesicht ist. Ich weiß gar nicht, wie er aussieht; und wieder fragt mich eine Stimme in meinem Innern, ob ich das wirklich wissen will. Offenbar schon, denn ich höre mich im nächsten Moment schon Christopher fragen:

 

„Hast du ein Foto von Adrian?“ Mein Freund greift nach seinem Handy und in mir steigt die Wut schon wieder explosionsartig hoch, sodass ein erneuter Vulkanausbruch droht. „Du hast nicht ernsthaft ein Foto von deinem Ex-Freund auf deinem Telefon...?!“, zische ich und Chrsistopher verdreht seufzend die Augen.

 

„Nein, habe ich nicht. Aber ich habe so eine App, die sich Facebook nennt, und auf diesem Facebook hat Adrian ein Profil. Und weißt du, was er da hat? Bilder von sich“, antwortet er etwas finster und ich fühle mich unheimlich blöd für einen Moment. Im nächsten, als mein Freund mir das Display vor die Nase hält, bin ich einfach nur baff. Und fühle mich richtig, richtig mies.

 

Adrian sieht tatsächlich so etwas aus wie unser Stammtisch-Neuzugang Andreas. Nur ist er natürlich älter und zu meinem Entsetzen deutlich... gutaussehender. Christophers Ex-Freund besitzt eine leicht schokoladigfarbene Haut, die einen vielleicht auch an Cappuccino denken lassen könnte. Seine braunen Augen erinnern an süßen Kakao und sein dichtes, leicht lockiges Haar ist beinahe schwarz. Kurzum: Ein heißer, maskuliner Italiener in einem sehr schicken Anzug Mitte 30. Ich möchte kotzen.

 

„Alles okay?“, fragte Christopher mich mit unsicherer Stimme und ich winke ungläubig den Kopf schüttelnd ab.

 

„Ich hasse Adrian“, entweicht es mir und mein Freund lacht kurz milde auf.

 

„Niko...“, raunt er dann.

 

„Du stehst auf Italiener?!“, schleudere ich ihm entsetzt ins Gesicht und mein Freund legt das Handy beiseite.

 

„Ich stehe auf dich“, sagt er dann lächelnd und mir in die Augen blicken.

 

„Adrian ist voll der eklige Prollo!“, lamentiere ich und Christopher lacht und schüttelt den Kopf.

 

„Wie gut, dass ich nicht mehr mit ihm zusammen bin, oder?“, kontert mein Freund und zieht mich im nächsten Augenblick wieder in seine Arme. Ich lasse das geschehen und lehne meinen Kopf gegen seine Schultern und klammere mich abermals an ihm fest. Christophers Hände streicheln mich behutsam. Seine Finger fahren zärtlich über meinen Nacken und haucht mir einen Kuss auf mein Haupt. Ich schließe die Augen.

 

„Das mit Adrian ist sehr lange her, Niko“, wiederholt er. „Du hast wirklich keinen Grund, eifersüchtig zu sein, okay? Ich liebe dich, wie ich auch noch nie jemanden zuvor geliebt habe. Wirklich.“

 

„...ich weiß...“, nuschele ich gegen seinen Hals und seufze.

 

Irgendwie bin ich ein wenig erleichert, dass ich jetzt mehr über diesen Adrian weiß. Auch wenn mir die Tatsache, dass ich jetzt dieses leider Gottes hübsche Gesicht – für das ich ihn abgrundtief verabscheue – vor Augen habe nicht unbedingt gefällt. Ich bin auch jetzt um ein weitere Erkenntnis reichen: Wie Christophers Putzsklaven hießen und wie sie aussehen will ich wirklich nicht wissen.

 

Mein Freund seufzt und drückt mich fest an seinen Körper.

 

„Weißt du...“, setzt er dann wieder an. „Der Weg zu unserem heutigen Gespräch war wirklich kein schöner. Aber offenbar war das mal bitter nötig, dass wir über unsere Gefühle und Ängste sprechen, findest du nicht?“ Ich nicke und hauche ihm einen kurzen Kuss auf seinen Kieferknochen. Christopher hält kurz inne. „Du bereust hoffentlich nicht, dass wir zusammengezogen sind... Oder?“, kommt es dann von ihm, als hätte dieses eben noch von ihm gepriesene Gespräch gar nicht stattgefunden, und ich möchte im ersten Moment laut auflachen. Doch als ich mich aufrichte und in Christophers Gesicht blicke, merke ich, wie zerbrechlich er eigentlich gerade aussieht und das bringt sein Herz fast zum Zerspringen und verwandelt meine Beine gleichzeitig zu Pudding, weil ich mich in diesem Moment einfach so geliebt und geborgen fühle.

 

Im selben Moment wird mir auch bewusst, dass dieser bescheuerte und vor allem vermeintliche Riss in Christophers herrischem Bild sich wieder fast gänzlich geschlossen hat. Denn mir wird klar, wie dämlich dieser Gedankengang eigentlich ist: Ich habe es Christopher ja eben selbst gesagt: Ich schätze es so sehr, dass mein Freund so zärtlich ist – und das ist auch im Dasein als mein Master ein so wichtiges Attribut. Dass er sich nach dem Spiel so hingebungsvoll um mich kümmert, mich wieder runterholt, mich auffängt. Ohne diese sanfte Seite, ohne seine Fürsorge, seinen weichen Kern, wäre er einfach nur ein kalter Sadist. Und das wäre grauenvoll.

 

„Ich bereue nichts“, antworte ich ihm deswegen. „Naja, außer all dem, was sich gestern abgespielt hat...“

 

„Naja, das haben wir ja jetzt geklärt, hm?“ Ich nicke und wir lächeln einander an. „Vielleicht sollten wir das öfter tun.“

 

„Was?“

 

„Reden. Über uns. Ich meine... Wir führen wirklich eine komplizierte Beziehung, Niko, und vielleicht sollten wir uns nicht nur so auf den Spielbereich konzentrieren. Du schreibst in dein Sklaventagebuch zwar auch zwagsläufig Triviales auf, aber wir haben uns lange nicht mehr hingesetzt und im Code Red halt über das gesprochen, was uns auf der emotionalen Schiene belastet.“

 

„Stimmt.“

 

„Dann reden wir jetzt mal öfter?“

 

„Gern.“

 

„Okay. Freut mich. Ich will, dass es dir gut geht.“

 

„Dito.“

 

„...was macht denn überhaupt deine Gesundheit?“

 

Ich seufze. „Ich fühle mich immer noch ziemlich schlapp.“

 

„Erkältungsbad?“, schlägt Christopher vor und ich nicke.

 

Mein Freund und ich reden nicht mehr viel an diesem Abend. Christopher hilft mir, mich bettfertig zu machen, lüftet unser Schlafzimmer und zieht in eben jenes für die Nacht wieder ein. Wir kuscheln lang und seine Umarmungen sind überdurschnittlich stark. Er streichelt meinen Nacken, meine Schultern, fährt mit seinen Händen meinen nackten Rücken entlang. Wispert in mein Ohr, wie sehr er mich liebt – und ich genieße jede Sekunde seiner Berührungen und keuschen Liebkosungen.

 

Ich habe eigentlich kaum noch Kraft und mein Bewusstsein ist auch schon mehrere Male halbwegs ins Traumland abgedriftet, aber eine einzige Sache liegt mir noch auf dem Herzen.

 

„Christopher...“, wispere ich, die Augen bleischwer und längst geschlossen.

 

„...hm...?“, kommt es ebenso leise von ihm.

 

„Code Green...?“

 

Er drückt sein Lippen auf meine Stirn und flüstert seine Bestätigung gegen diese. „Code Green.“

 

Dann schlafe ich ein.

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Im ersten Moment, als ich dem unbekannten Mann nur einige Sekunden lang ins Gesicht schauen kann, weil dieser so schnell an mir vorbeirauscht, habe ich fast einen Herzinfarkt – weil meine Augen mir vorgaukeln, das sei Adrian. Doch als ich die vorbeiblitzende Realität abgeglichen habe mit den Bildern von dem Italo-Macho, die ich ja leider gesehen und daraufhin mental abgespeichert habe, wird mir schnell bewusst: Das ist definitiv nicht der Ex von Christopher. Das ist kein Italiener mit Cappuccino-Teint. Die Haut des Unbekannten ist hell, fast schon blass, und auch sein Gesicht gleicht in keiner Weiser Adrians. Das einzige, was diese zwei Kerle gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass man sie als attraktiv beschreiben kann – beziehungsweise sogar leider als solche führen muss.

 

Aber diesen Mann, der nun in unserer Diele steht, kenne ich schlicht und ergreifend nicht. Ich bin ihm noch nie in der Kanzlei begegnet, habe ihn auf keiner Party kennengelernt und erkenne ihn auch nicht von irgendwelchen Fotos wieder, die mir mein Freund mal gezeigt hat.

 

Oder… doch?

 

Zweifel sind geboren, aber ich habe gar keine Zeit, diesen neuen Erkenntnissen nachzugehen, weil ich um mein Leben kämpfen muss. Christopher springt mich nämlich regelrecht von hinten an: Sein schwerer, torkelnder, besoffener Körper prallt gegen meinen Rücken und er lässt seinen Kopf plump auf meine Schulter sinken; sein Kinn bohrt sich dabei unschön in mein Fleisch und sein erhitztes, leicht von Schweiß benetztes Gesicht drückt brüsk gegen meines. Er schlingt seine schweren Arme dabei um meine Brust und krallt sich regelrecht an meinem Shirt fest, um das Gleichgewicht nicht vollends zu verlieren und sich durch seine Attacke auf mich nicht auf die Schnauze zu legen. Seine Schwankungen übertragen sich natürlich auf meine Form und er reißt mich damit fast mit zur Seite um; ich stolpere zwei Schritte nach rechts, schaffe es aber im selben Moment, die Haustür zuzuschlagen, und mich beziehungsweise uns an ihr zu stabilisieren.

 

Christopher riecht nach ekelhaftem Zigarettenqualm. Nach Bier und Whiskey, und anderem Hochprozentigem, das ich nicht sofort klassifizieren kann, und auch nicht unbedingt klassifizieren möchte. Meine Wortwahl muss ich auch direkt revidieren: Christopher riecht nicht nach all diesem Zeug – er stinkt danach.

 

Und das erste Mal in meinem Leben bin ich ein wenig von meinem Freund angewidert.

Es ist die Mischung aus diesen Gerüchen, und der Art, wie er sich benimmt.

Nein, es ist vor allem sein plötzlich nicht mehr existentes Benehmen.

 

„Das iss Niko!“, posaunt Christopher plötzlich viel zu laut, so als wären der Unbekannte und ich taub, oder er noch in Disco, oder wo auch immer er gerade gewesen ist, und in meinen Ohren scheint es beinahe daraufhin zu klingeln. „Mein Freund!“, erläutert er in selber Lautstärke.

 

Der Mann mit Karamellaugen lehnt sich mit seinem Rücken gegen die Kommode, wobei er sich ähnlich wie Christopher fast auf die Schnauze legt und das Möbelstück etwas verrückt und unser Festnetztelefon dadurch auf den Boden kracht. Ich zucke bei dem Scheppern zusammen, und er verschränkt die Arme vor der Brust, als er letztendlich doch irgendwie Halt gefunden hat. Seine Augen verengen sich zu Schlitzen, mit denen er zuerst mich skeptisch mustert, und dann Christopher wütend anfunkelt. Mit einer tiefen, etwas heiseren Stimme fährt er meinen Freund an: „Ich dachte, du wärst Single…?!“

 

…und in diesem Augenblick fühlt es sich so an, als würde mir jemand einen spitzen Gegenstand in die Brust rammen. Mein Herz beginnt unmittelbar massiv zu trommeln und in meinem Hals formt sich ein großer Kloß und mein Freund…

 

Mein Freund lacht.

Laut. Dreckig. Irgendwie überheblich.

Es ist ein unangenehmer Laut, direkt an meinem Ohr, stechend und beißend.

Ein Geräusch, das mir das Blut beinahe in den Adern gefrieren lässt.

 

So ein Lachen habe ich aus Christophers Mund noch nie gehört.

 

Und in dem Moment, in dem ich mich aus seiner beschissenen Umarmung – oder was auch immer dieser Scheiß sein soll – losreißen will, erwidert Christopher etwas auf die Bemerkung des Mannes. „Aaaach, halt doch deine dumme Schnauze, Henning!“, bellt er den Fremden regelrecht an, allerdings immer noch lachend; und mir fällt ein ganzes Bergmassiv vom Herzen, als es ‚Klick‘ in meinem Kopf macht. Auch wenn es verdammt ungewohnt ist, Christopher… so reden zu hören. „Niko! Das iss Henning“, lallt mein Freund vollkommen überflüssig und Karamellauge beginnt nun, Christophers dämliches Lachen zu kopieren.

 

Ein Teil von mir wundert sich, dass ich überhaupt in Erwägung gezogen habe, Christopher würde fremdflirten und sogar irgendeinen Unbekannten abschleppen – oder mitbringen, um einen spontanen Dreier zu starten, oder was weiß ich. Wahrscheinlich liegt das daran, dass mein Freund sich schon den ganzen Abend so gar nicht benimmt wie mein Freund… und nun passenderweise eben ohne Ankündigung diesen Henning mitgeschleppt hat.

 

Henning.

Sein ehemaliger Kommilitone.

Sein neuer Kollege.

Herrschsüchtig laut Johanna, und nach Christophers Worten Jessica-Fan.

Und so unglaublich ratzevoll wie Herr Lang.

 

Der Dunkelhaarige, der weiß der Teufel was mit seinem dummen, vermeintlichen Single-Witz eben erreichen wollte, stößt sich von der Kommode ab und torkelt auf mich zu, und mir wird noch einmal deutlich, dass die beiden Männer in einer Gummizelle jetzt viel besser aufgehoben wären als hier. Ich frage mich ernsthaft, wie sie es überhaupt in einem Stück nach Hause geschafft haben. Ein Teil von mir ist auch echt heilfroh deswegen, weil mir etliche gelesene Polizeimeldungen um die Ohren flattern, die von alkoholisierten Mittdreißigern sprechen, die in den See gefallen, vors Auto gelaufen oder umgekippt und in einer Pfütze ertrunken sind.

 

Ein anderer Teil wird einfach nur noch wütender durch die Erkenntnis, dass Christopher mich für keine wichtige Besprechung über einem zivilisierten Drink versetzt hat – wie er es sonst immer zu tun pflegt, ein Drink und dann ab nach Hause –, sondern für ein riesengroßes, debiles Besäufnis.

 

Und das entspricht eben so überhaupt nicht seiner Art, dass mir das Ganze sogar langsam etwas Angst macht.

 

„Nett, dich kennensulernen“, meint Henning nun grinsend wie ein Honigkuchenpferd und streckt mir die Hand zur Begrüßung aus. Und ganz ehrlich: Ich ekele mich ein wenig, ihm meine zu reichen. Aber ich bin ja gut erzogen, und das ist Christophers Kumpel und Kollege, also tue ich es trotzdem – und bereue es sofort, weil Hennings Hand etwas nass und klebrig ist, und ich eigentlich gar nicht wirklich wissen will, was der besoffene Anwalt damit vorher berührt hat…

 

„…hi…“, grüße ich, die Handfläche an meiner Hose abwischend und bin immer noch verwirrt. Wütend und verwirrt. Ich weiß jetzt zwar, wer der Mann ist. Eine Erklärung für seine Anwesenheit steht allerdings noch aus.

 

„Das ist mein Niko“, erklärt Christopher erneut, weil er offensichtlich schon wieder vergessen hat, dass er mich erst vor gefühlt fünf Sekunden seinem Studienfreund vorgestellt hat, und drückt mir einen viel zu feuchten Kuss auf die Wange – und bringt uns mit dieser Aktion fast schon wieder zu Fall. Und es wird schlimmer, weil er nicht aufhört, mir schlabbrige Küsse auf die Backe zu drücken, und einen kläglichen Versuch unternimmt, meinen Körper um 90 Grad zu drehen, damit er auch meinen Mund abschlabbern kann. Ich unterbinde das, denn: es ist mir furchtbar unangenehm, vor diesen Karamellaugen mitten im Flur so von Christophers Mund traktiert zu werden – und ja, ich ekele mich immer noch ein bisschen vor Herrn Lang. Was denkt er sich eigentlich dabei?

 

Die Antwort lautet höchstwahrscheinlich: nichts.

Weil das Gehirn meines Freundes mit Alkohol überflutet worden ist.

Ich will wirklich nicht wissen, wie viele seiner grauen Zellen heute den hochprozentigen, qualvollen Tod gestorben sind, und was ihn überhaupt dazu veranlasst hat, so viel zu trinken.

 

Nein – zu saufen.

 

Mit größter Mühe befreie mich aus der Umklammerung seiner schweren Arme und drücke ihn bestimmt fort von mir. Ich habe fast schon ein schlechtes Gewissen, als mein Freund mich daraufhin völlig verwirrt und sogar ziemlich traurig anschaut. Fast.

 

„Was iss‘n jetzt mit’m Whiskey?“, verlangt Henning zu wissen, ehe ich etwas zu Christopher sagen kann.

 

„Wohnzimmer!“, ruft dieser aus, legt seine Hand auf Hennings Schulter und führt seinen Kollegen den Flur hinab in Richtung des eben genannten Raumes. Oder besser gesagt: Er versucht, ihn dorthin zu geleiten. In Wahrheit aber taumeln die beiden Herren in schwarzen Anzügen – die Krawatten längst abgelegt oder verloren, die Hemden zerknittert und zum Teil fleckig und halb aufgeknöpft – den kleinen Korridor hinab und müssen sich an der jeweiligen Wand zu ihrer Seite abstützen. Bilder fliegen hinunter und der kleine Teppich verrutscht.

 

„Was zur Hölle…“, murmele ich genervt, verdrehe die Augen und folge diesen Affen, die Spuren des durch ihnen hinterlassenen Chaos direkt beseitigend. Immerhin habe ich jetzt teilweise eine Antwort auf meine Frage erhalten, was der volltrunkene Henning um Mitternacht eigentlich bei uns zu suchen hat: Die Herren wollen offensichtlich weitersaufen. Grandios.

 

Als ich das Wohnzimmer mit minimaler Verspätung betrete, hervorgerufen durch das Aufsammeln der Gott sei Dank nicht beschädigten Bilderrahmen und Co, sitzt Henning bereits auf dem Sofa, sein Anzugsjackett einfach auf den Boden gepfeffert, und Christopher, nun ebenfalls obenrum nur noch im aufgeknöpften und aus seiner Hose gezogenen Hemd, hat schon Musik angemacht, sich bereits die Whiskeyflasche geschnappt und just das zweite Glas damit aufgefüllt. Er reicht es seinem Gast. Etwas zu schwungvoll. Ich verdrehe die Augen, als die beiden daraufhin in selber Manier anstoßen und noch mehr des braunen Getränks auf den Tisch kleckert.
 

Während die Männer erneut in dieser unangenehmen Art lachen und sich viel zu laut darüber auslassen, wie verdammt geil dieser Whiskey schmeckt, und welchen sie denn letztens noch so probiert hätten und ähnliches, eile ich in die Küche und kehre mit einem feuchten Lappen zurück, um die Spuren des Hochprozentigen wegzuwischen. Henning lässt das nicht unkommentiert.

 

„Hat dein Mann nen… Butssfang, oder so?“, richtet er das unbeständige und amüsierte Wort an Christopher.

 

„Einen was?“, hakt dieser glucksend nach.

 

„Einen… Puts… swang…!“

 

Was?!“

 

„Butz-wang!“

 

„Hä?“

 

„Meine Fresse!“, donnert meine Stimme nun durch den Raum und fokussiert sich auf meinen Freund, weil ich mich wirklich nicht mehr beherrschen kann, dieser hirnlosen Pseudo-Konversation beizuwohnen. „Henning fragt dich, ob ich einen Putz-Zwang habe, weil ich eure beschissene Plörre gerade vom Tisch gewischt habe!“

 

Ich seufze genervt, und Christopher schaut mich… Er schaut mich an wie ein gottverdammtes Rehkitz. Die glasigen Augen weit aufgerissen, der Blick dadurch eine Mischung aus Verängstigung und Unschuld, seine Lippen leicht gespreizt, so als hätte er gerade etwas entgegnen wollen und die Worte wären ihm im Halse stecken geblieben, die Arme schwach und regungslos auf seinen Beinen platziert. Er blinzelt – und weiß offensichtlich tatsächlich nicht, was er dazu sagen soll. Wenn er überhaupt gerafft hat, was ich ihm gerade mitgeteilt habe…

 

Ein weiteres Seufzen entweicht meinem Mund, und Henning lacht, fies und laut, und nimmt einen weiteren kräftigen Schluck Whiskey. „Jetzt. Gibt’s. Ärger!“, lautet sein nächster Kommentar, den er den Tisch anstarrend loslässt und dabei dämlich mit dem Kopf bei jedem einzelnen Wort nickt – und sich danach schon den nächsten Schluck aus seinem Glas genehmigt, das er danach auf den Tisch donnert. Und zwar so stark, dass es dabei zerspringt.

 

„…oh…“, macht Henning nachdem ungefähr zehn Sekunden vergangen sind, in denen beide Männer überrascht auf die großen Scherben auf den Tisch gestarrt haben.

 

„…oh…“, stimmt Christopher mit ein, der seine Sprache endlich wiedergefunden zu haben scheint.

 

„O Gott…“, zische ich genervt und halte Henning in letzter Sekunde davon ab, mit seiner Hand in eine der Scherben zu greifen. „Lass das, ich mach das schon“, presse ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Ich hole nur schnell einen Handfeger aus der Küche. Du bleibst sitzen. Ja?“, hake ich nach, weil auch Henning nicht unbedingt den Anschein erweckt, als verstünde er im Moment Deutsch. Aber er nickt. Zuerst langsam, und dann ganz schnell. Wie ein kleiner Junge, der erst beim Nicken die wahre Bedeutung der an ihn gerichteten Worte begreift, und diese dann noch einmal bestätigt. „Und du“, richte ich mein recht scharfes Wort an meinen Freund, der mich daraufhin wieder so erschrocken wie Bambi anschaut, „kommst mal eben bitte mit und hilfst mir, Christopher.“

 

„…w-was?“, japst er und ich bin momentan einfach nur so geladen, dass ich ihn am liebsten einfach am Kragen packen und hinter mir her schleifen würde. Aber ich weiß, dass das keine gute Idee ist, also lasse ich es, und versuche, mich zu beherrschen, um ihn nicht vor den Augen von Henning noch weiter anzuschreien.

 

„Komm bitte mit in die Küche“, wiederhole ich meine Aufforderung und klinge dabei sehr hart.

 

„Äh… o-o-okay.“

 

Christopher erhebt sich, stößt gegen den Tisch, sein Glas fliegt ihm aus der Hand, landet seitlich auf der Platte und geht ebenfalls zu Bruch. Es zerspringt zwar nicht in so viele Einzelteile wie Hennings, aber zu gebrauchen ist es auch nicht mehr. Ich schließe die Augen und presse meine Lippen zusammen, beiße mir dann auf die Zunge, damit ich nicht aus Frustration losschreie, und zähle langsam bis fünf. Und dann sind meine Beruhigungsversuche eh voll für die Katz, denn anstatt sich zu schämen oder Angst vor weiterem „Ärger“ zu haben, lachen Henning und Christopher lauthals los.

 

„Ha, ha, ha! Hast es ja echt drauf, Lang!“, prustet Henning und hält sich den Bauch, weil er vor seinem ganzen Wiehern wohl wehtun muss.

 

Und ich frage mich: Was ist bitte an zerbrochenem Glas so unfassbar lustig?

 

Vielleicht kann mir das ja Herr Lang irgendwann erklären, der sich ebenfalls kaum einkriegen kann. „H-hör auf, dich ü-über mich lustig zu machen! Du bist doch selbst zum Scheißen zu blöd!“, schimpft er dreckig lachend zurück. Und ich erkenne ihn wirklich überhaupt nicht wieder. „Ich hol uns eben neue Gläser…“, verkündet er dann – und schwankt tatsächlich in Richtung der Vitrine, wo wir unsere teuren und edlen Gefäße aufbewahren. So als hätte er mich und meine Aufforderung, mir in die Küche zu folgen, vollkommen vergessen.

 

Christopher!“, brülle ich nun – weil ich mich wirklich nicht mehr zurückhalten kann. Auch, weil ich einfach Schiss habe, dass er gleich noch mehr Gläser zerstört und sich dabei womöglich noch verletzt. Mein Freund bleibt wie angewurzelt stehen und starrt mich an. „In die Küche?!“, rufe ich ihm aufgebracht in Erinnerung und deute mit meiner Hand gen Tür.

 

Herr Lang braucht einen Moment, um zu kapieren, was ich von ihm will, und was er so offensichtlich vergessen hat. „Oh“, macht er wieder so dämlich und reißt die Augen auf. „O-okay. Bin gleich wieder da!“, richtet er das Wort an Henning. Und dann setzt er sich endlich in die richtige Richtung in Bewegung. Ich schaue besorgt zu, wie Christopher seinen Körper aus dem Wohnzimmer befördert, und ehe ich den Raum verlasse, ertönt Hennings dreckige Stimme schon wieder, und er wiederholt seine Worte von vorhin. „Jetzt. Gibt’s. Ärger!“

 

Und damit hat er verdammt nochmal recht.

 

Christopher betrinkt sich nicht oft. Klar, es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn besoffen erlebe. Ich finde es manchmal sogar schade, dass er nicht so viel trinkt, weil ich einen betüdelten, einen angetrunkenen, verdammt, selbst einen normal betrunkenen Chris echt… witzig und niedlich, und zum Teil auch sehr sexy finde. Er ist dann entweder hammerzuckersüß, gar unschuldig und super knuddelbedürftig, wie ein Riesenteddybär – oder megaangetörnt, und würde am liebsten die halbe Nacht lang an meinem Schwanz saugen und meine Prostata dabei massieren. Aber heute… Heute ist alles anders.

 

Ich habe ihn noch nie so voll gesehen.

 

Natürlich ist er Dank Rotwein, Whiskey und Co schon mal getorkelt – aber nie so heftig. Normalerweise macht sein Körper ab einem gewissen Punkt ja auch einfach dicht und er hat gar keine Lust mehr auf Alkohol. Er sagte mir mal, das sei so mit dem Alter gekommen: „Ab 28 war Schluss“ – dann konnte er sich gar nicht mehr wirklich volllaufen lassen. „Betrinken ja, komplett abschießen nein“, meinte Herr Lang jedenfalls. Heute beweist er das komplette Gegenteil.

 

…und diese ekelhafte Macho-Lache, die ich mir die ganze Zeit anhören muss. Sie passt einfach nicht zu ihm. Wie Henning und er sich im Sumpf-Humor piesacken. Das passt nicht zu ihm.

 

Christopher lehnt sich ungelenk seitlich gegen die Küchenzeile und schaut mich wieder mit diesen Bambi-Augen an. Ich schließe die Tür, damit Henning wirklich nichts von unserem Gespräch mitbekommt, und ehe ich das Wort an meinen betrunkenen Freund richten kann, spricht dieser schon. „I-ist alles i-in Ordnung, Niko?“

 

Ich entlasse die Luft geräuschvoll aus meinen Lungen und verschränke die Arme vor der Brust. „Nein ist es nicht! Mensch, ich habe mir echt Sorgen um dich gemacht!“, packe ich letztendlich aus.

 

„W-wieso?“, kommt es total dämlich von Christopher – und ich raste beinahe komplett aus.

 

„Weil du Blödmann es nicht geschafft hast, mir mitzuteilen, wo du genau bist, und vor allem, wann du nach Hause kommst! Ich habe den ganzen beschissenen Abend auf dich gewartet, Christopher!“, werfe ich ihm vor. „Du hattest mir eine Session versprochen, wir waren verabredet, dann heißt es irgendwas von wegen ‚ein Business-Drink‘ mit Henning und David – und Stunden später, nach komischen, nicht wirklich verständlichen Nachrichten geschrieben im Suff, und sogar ner mega Funkstille zwischendrin, kommst du hackevoll mit deinem Kollegen hier an. Um Mitternacht, alter Schwede! Stunden nach unserem vereinbarten Treffen! Du hast mir weder die Session abgesagt noch, dass Henning mitkommt! Wie lange wollt ihr eigentlich noch hier weitersaufen?! Ihr hattet doch schon mehr als genug!“

 

Vielleicht höre ich mich ja an wie das Klischee einer frustrierten Ehefrau. Im Grunde genommen bin ich das ja auch in diesem Moment: Der frustrierte versetzte Partner, der den Anblick seines besoffenen Freundes nicht ertragen kann.

 

Immerhin schaut Christopher mich nicht mehr verwirrt, sondern eher reumütig an. „Niko…“, murmelt er dann und setzt sich unmittelbar in Bewegung, stürzt beinahe in meine Arme, mit denen ich uns schon wieder stabilisieren muss, schlingt seine um mich, und drückt mich fast ein bisschen zu heftig an seinen Körper. „Ss-orry… tut mir leid. T-tut mir echt leid, Süßer. Echt, ich… Ich…“, murmelt er, und klingt dabei endlich wieder mehr wie er selbst. Ein bisschen jedenfalls. Miefen tut er trotzdem immer noch. Und nüchtern ist er schlagartig auch nicht.

 

Christopher legt seine Hände auf meine Schultern und schaut zu mir herab. „I-ich dachte, ich hätte dir ab-abgesagt“, bringt er dann hervor. „Ich war mir soooo sicher, dass ich dir geschrieben habe…“ Und in der nächsten Sekunde ist da wieder dieser vollkommen verdutzte Gesichtsausdruck, der ihm nicht steht. Dann runzelt er die Stirn, und blickt fast schon ein bisschen sauer drein. „Moment… Ich habe dir geschrieben“, postuliert er dann. „Ich hab dir geschrieben!“, wiederholt er mit Nachdruck.

 

„Ja… Irgendwann, dass du ‚bald‘ nach Hause kommst… Ohne mir eine konkrete Zeit zu nennen“, entgegne ich trocken.

 

„Nein!“, schimpft er. „Nein! I-ich h-hab dir geschrieben, dass… wir… hier… die Session. Dass die Session f-flachfällt – das habe ich dir geschrieben!“

 

„…nein, hast du nicht. Christopher.“

 

„Doch!“, erwidert er stur wie ein Kleinkind.

 

„Sag mal, ich kann doch lesen! Ich habe den ganzen verdammten Scheißabend auf das Ding geguckt und auf Nachrichten von dir gewartet, Mann!“, schnauze ich ihn barsch an, weil ich langsam auch den allerletzten Funken Geduld verliere. Dass wir im Code Red sind haben wir zwar jetzt nicht verbal besprochen, aber wenn Alkohol bei Chris im Spiel ist – und damit meine ich mehr als ein großes Glas Rotwein – dann entfällt unser Master-Slave-Verhältnis automatisch. Und heute hat Herr Lang definitiv viel mehr intus als das…

 

„Ich habe dir geschrieben, Niko!“, wiederholt er wütend und sucht nach irgendetwas in seinen Hosentaschen. „W-wo zur Hölle ist mein Scheißhandy?!“

 

Ich seufze. „Wahrscheinlich in deiner Jackettasche.“ Er will sich in Bewegung setzen und aus der Küche flüchten. Höchstwahrscheinlich, um es zu holen. „Warte“, halt ich ihn auf, meine Hand auf seine Brust. „Ich hole es. Du bleibst hier.“ Christopher guckt mich nicht an, schaut grimmig auf den Boden, lehnt sich aber immerhin wieder gegen die Zeile, die Arme verschränkend, scheint mich also irgendwo verstanden zu haben.

 

Henning schaut sich irgendwelche CDs an und hat die Anlage ein bisschen weiter aufgerissen, als ich das Wohnzimmer betrete. Er bemerkt mich gar nicht, und das ist vielleicht auch gar nicht so verkehrt. Ich schnappe mir Christophers Jackett, das ebenfalls auf dem Fußboden gelandet ist, und fische sein Mobiltelefon heraus. Als ich damit die Küche wieder betrete, reißt mein Freund es mir regelrecht aus der Hand, als hätte ich ihn irgendwie mächtig verärgert – und ich verspüre mehrere Sekunden lang das Bedürfnis, ihm an die Gurgel zu gehen, während er auf dem Display mit seinem Finger hochkonzentriert herumwischt.

 

„Ha!“, ruft Christopher triumphierend aus. „Ich hab’s doch gesagt! I-ich habe dir geschrieben wegen der Session, und…“ Plötzlich hört er auf zu reden und starrt fassungslos auf sein Display, blinzelt mehrere Male, runzelt die Stirn.

 

„Was?“, hake ich nach, als ungefähr eine halbe Minute vergangen ist, in der Christopher nichts gesagt hat und einfach nur weiter auf sein Handy starrt. Jetzt kriege ich es langsam mit der Angst zu tun. Hat er gerade eine schlimme Nachricht erhalten? Ist irgendwas mit der Kanzlei? Irgendwas mit Emilie und Marie? Hat er irgendwas Besorgnisvolles von Holger oder Kilian erfahren?

 

„Ich, äh…“, stottert er. „F-fuck.“

 

Und dann, als er mit seinem Daumen wieder scrollen will, fällt dem Volltrottel tatsächlich das Handy aus der Hand und Christophers Mund entweicht ein überraschter Laut – und ich schaffe es im allerletzten Moment, es aufzufangen, bevor es mit dem Display auf den Fliesen aufschlägt und sich die Katastrophe wiederholt. „Meine Fresse“, fluche ich, mich wiederaufrichtend – und im selben Moment öffnet sich die Tür, und Henning stolziert in die Küche, zwei prall gefüllte Gläser Whiskey in der Hand; und mir wird klar, dass er wohl an die Vitrine gegangen sein muss.

 

…ob wohl noch mehr zu Bruch gegangen ist? Ich habe Angst. Und Henning drückt meinem Freund den Alkohol in die Hand. „Hier, mein Bester!“, trompetet er und dreht sich dann zu mir um, geht einen Schritt auf mich zu, und seine schwere Hand findet letztendlich ihren Weg auf meine Schulter. Etwas Flüssigkeit schwappt über den Rand seines Glases und tröpfelt auf den Boden. „Niko“, spricht er mich langgezogen an. „S-sei nicht s-sauer auf Chris, wir haben sooo lange nicht mehr zusammen P-party gemacht und uns s-sowieso so lange nicht gesehen… Und jetzt heißt es immer nur Arbeit, Arbeit, Aaaarbeit. Wir brauchen das, über a-alte Zeiten quatschen, nicht nur Akten Wälzen u-und Pabiere unterschreiben. Komm: Setz dich doch einfach su uns und trink einen mit, ja? Würde mich wirklich sehr froin!“

 

Ich habe so absolut keine Lust auf Alkohol, weiß aber, dass es sinnlos ist, dies einem so betrunkenen Mann zu erklären. Also nicke ich einfach – er wird das eh gleich wieder vergessen haben. In dem Moment, in dem Henning seinen Arm um Christopher legt und meinen Freund, irgendetwas von Frank Sinatra labernd, aus der Küche führt, wird mir auch klar, dass es im Grunde genommen auch überhaupt gar keinen Sinn macht, jetzt mit Herrn Lang Tacheles zu reden: Auch er ist schließlich viel zu besoffen. Und das, was er da auf seinem Handydisplay gesehen hat, kann gar nicht so schlimm gewesen sein, denn er scheint es jedenfalls schon wieder vergessen zu haben – er lacht gerade mal wieder viel zu laut als Reaktion auf irgendeinen dummen Witz von Henning.

 

Wahrscheinlich, denke ich mir, seine Reaktionen analysierend, ist ihm einfach nur aufgefallen, dass ich recht hatte und er mir selbstverständlich nichts bezüglich der Session geschrieben hat… Ich will Christophers Handy gerade auf den Tisch legen, um den Handfeger zu holen, als mir auffällt, dass es noch aktiviert ist. Mein Blick fällt unweigerlich auf den unbeschädigten Bildschirm. Der Messenger ist angewählt und… offenbart einen Chat mit Adrian.

 

…und da steht es tatsächlich.

 

Besoffen getippt, aber dennoch verständlich. „Ubsere Session mpssen wir leider verschieben – Henning fülkt mich ab, sorry schatz, verszche um mitternacgt zu hause zu sein“ – versehen mit dreitausend Kusssmileys.

 

Mein Herz hämmert in meiner Brust, als ich mir den heutigen, mickrigen Chatverlauf mit Mister Italo-Macho ansehe, der damit angefangen hat, dass Christopher ihm ein Bild von sich und seinem Kollegen mit den Worten „schöne Grüße von Henning“ geschickt hat. Adrian hat Grüße zurückgeschickt und den Herren viel Spaß gewünscht. „Übertreibt es nicht“ steht da noch geschrieben, mit einem zwinkernden Emoticon, woraufhin mein Freund ein „niemals!“ geantwortet hat. Und dann, dem Chatverlauf nach zu urteilen, rund drei Stunden später, fragt Adrian nach Christophers Befinden, das dieser mit einem Daumen nach oben beantwortet. Wenig später steht da eben diese Nachricht, die mich erreichen sollte – allerdings beim Ex gelandet ist. Und es gibt natürlich noch die Antwort von Adrian.

 

„…ähm, ich glaube nicht, dass diese Worte und insbesondere diese Küsse an mich gehen sollten… ;-) Bitte melde dich umgehend bei Niko, und später dann auch bei mir, damit ich weiß, dass du sicher bei ihm zu Hause gelandet bist.“

 

Ich atme tief ein, und langsam wieder aus.

 

Eines muss ich Adrian lassen: Er hat… nett reagiert. Mich sofort ins Spiel gebracht.

 

Nein, Adrian pisst mich in diesem Zusammenhang tatsächlich nicht an. Ich bin wütend auf Christopher, dessen Handy in meiner Hand plötzlich vibriert – denn eine neue Nachricht von Adrian poppt auf. „Chris? Bist du mittlerweile zu Hause? Mache mir Sorgen.“

 

Ich seufze. Am liebsten würde ich das Ding nun doch wieder auf den Boden pfeffern und abermals für eine Displaykatastrophe sorgen – aber trotz all dieser Wut dominiert dann doch meine vernünftige Seite. Und die ist es auch, die mich dazu bringt, ein Fünkchen Mitleid mit Adrian zu haben. Ich traue mir allerdings nicht zu, Christopher das Ding jetzt in die Hand zu drücken, damit er antwortet. Nein, momentan möchte ich meinen Freund damit nicht konfrontieren. Weil ich Angst habe, dass ich ihm den Kopf abreißen würde oder dass er noch mehr Scheiße an Adrian schreibt. Also entscheide ich mich für einen anderen Weg, und antworte selbst, auch wenn Herr Lang mir auch heute eigentlich nicht explizit erlaubt hat, seine Privatsphäre zu massakrieren. Aber scheiß drauf, ich habe es ja schon mit dem Lesen des Chatverlaufs getan. Und ganz ehrlich? Vor wenigen Tagen hatte es Herr Lang mir ja selbst offeriert. Und heute ist voll wie ne Haubitze – und hat einfach mega Scheiße gebaut. Also ist es mir schlichtweg egal.

 

„Hey, hier ist Niko. Christopher ist sicher gelandet. Mehr oder weniger. Henning und er trinken jetzt noch Gute-Nacht-Whiskey im Wohnzimmer.“

 

Adrian antwortet unmittelbar. „Hey Niko! Danke fürs Bescheid geben, jetzt kann ich beruhigt schlafen gehen. Ich wünsche dir jetzt ganz starke Nerven. Henning und Chris – das ist eine ganz furchtbare Kombi. Ich weiß, wovon ich spreche ;-) Gute Nacht.“

 

…und plötzlich bin ich doch angepisst von Adrian.

 

Ich weiß, wovon ich spreche.

 

Subtext: Ich kenne deinen Mann viel besser als du, und ich habe auch die Freundschaft von Henning und Chris hautnah mitbekommen, und du musst noch so viel darüber lernen.

 

Er muss mir unbedingt unter die Nase reiben, dass er mit Christopher soooo lang zusammen war.

 

Arschloch.

 

…vielleicht reagiere ich auch einfach über.

 

Nein: Arschloch.

 

…aber vielleicht interpretiere ich da doch zu viel rein?

 

Ich habe doch gerade erst mein jüngstes Adrian-Trauma überwunden! Ich habe jetzt keine Lust mehr darauf!

 

Ich lege Christophers Handy beiseite und kämpfe gegen die Tränen an, die verräterisch-vorsichtig gegen meine Lider anklopfen. Ich brauche einen Moment, um mich zu sammeln. Ich bin müde – verdammt müde – habe mir stundenlang Sorgen gemacht, bin angepisst und schlichtweg frustriert. Und Christopher benimmt sich wie ein primitives Arschloch und schickt seinem Ex im Suff Nachrichten, die an mich gehen sollten – und das alles nach diesen wunderbaren Momenten, die wir in den vergangenen Tagen erlebt haben... Das bringt mich einfach total aus der Fassung. Fast so wie seine dämlichen Beichten. Fast. Und ich frage mich echt: Wie konnte er sich so dermaßen volllaufen lassen? Und warum hat der Alkohol plötzlich einen so furchtbaren Effekt auf ihn?

 

Ich denke an Adrians Worte.

 

Henning und Chris – das ist eine ganz furchtbare Kombi.

 

Dem stimme ich zu.

 

Als ich das Wohnzimmer betrete, haben sich die Herren auf den Balkon verzogen, und rauchen Zigarren.

 

Zigarren.

 

Und dabei reden sie und lachen sie viel zu laut, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, umarmen sich, regen sich über irgendetwas auf, funkeln sich böse an, beschimpfen sich, ich höre Worte wie Schwanzlutscher und Sackgesicht fallen, dann lachen dann wieder auf diese hässliche Art und Weise – und ich frage mich, wann sich wohl die ersten Nachbarn beschweren werden…

 

Ich räume die Glasscherben weg, wische den Tisch erneut, und habe seit meiner neusten Adrian-Erkenntnis noch viel weniger Bock, mich zu den beiden zu setzen, und verlasse stattdessen das Wohnzimmer, schließe die Tür hinter mir, gehe ins Bad und mache mich bettfertig, um dann tatsächlich unter die Decke zu schlüpfen. Auch wenn mir klar ist, dass ich trotz erheblicher Müdigkeit nicht sofort einschlafen werde. Dazu bin ich viel zu aufgebracht.

 

Das Licht ausschaltend frage ich mich, wie lange es wohl dauern wird, bis Christopher auffällt, dass ich weg bin. Eines ist jedenfalls klar: Das Lachen und die aufgebrachten Stimmen sind jetzt wieder so laut, dass die beiden Schnaps-Anwälte definitiv wieder im Hause sind. Ich seufze, schnappe mir meine Kopfhörer und schalte mir Musik ein, um mich ein wenig zu beruhigen. Und irgendwann… Irgendwann drifte ich tatsächlich ab. Ich bin selbst darüber total überrascht, als ich plötzlich aufwache und in die Dunkelheit blinzele. Ein Blick auf den Wecker verrät mir, dass es gleich 5 Uhr morgens ist. Christopher ist nicht im Bett. Musik läuft im Wohnzimmer. Ich bin angepisst.

 

Nachdem ich aus dem Bett gesprungen bin, stampfe ich den Flur hinunter und schmeiße die Tür zum Wohnzimmer regelrecht auf. Auf dem vollgesauten, von diversen Essensresten und Flüssigkeiten bedeckten Tisch, steht die komplett leere Whiskeyflasche, daneben eine halb volle Flasche Gin, eine angefangene Wodkapulle und zwei leere, umgekippte Bierdosen. Es riecht nach Zigarrenqualm, Schweiß und Pizza, Chipsreste bedecken den Boden. Und Henning und Christopher? Die sitzen mit halb geschlossenen Augen, wie dämliche Zombies, jeweils mit einem Glas Hochprozentigem auf dem Sofa und vegetieren vor sich hin.

 

„Christopher“, spreche ich meinen Freund an. Doch der reagiert nicht. „Christopher“, versuche ich es eine Spur lauter – wieder nichts. Ich trete an ihn heran, lege meine Hand auf seine Schulter und schüttele ihn leicht. „Christopher!“ Sein Kopf bewegt sich von Seite zu Seite durch meine Traktierung und er reißt endlich die Augen auf, nur um sie dann sofort wieder zu schließen. Ich seufze, und Henning fängt tatsächlich an zu schnarchen.

 

Ich betrachte den Kollegen meines Partners und finde mich einfach damit ab, dass er die Nacht beziehungsweise den beginnenden Morgen (und wohl auch Vormittag) in dieser Position auf unserer Couch verbringen wird. Ich habe jedenfalls keine Lust, ihn durch das Treppenhaus hinunter zum Taxi zu schleppen, oder wie auch immer der Herr nach Hause wollte. Vielleicht war das ja aber auch so geplant, dass er hier nächtigt? Ich habe ja keine Ahnung, weil keiner der beiden Juristen mir etwas diesbezüglich verraten hat.

 

„Christopher!“, starte ich einen allerletzten Versuch, meinen Freund vom Sofa zu kriegen – und gebe dann einfach auf, als dieser wieder nur kurz die Augen halb öffnet, irgendetwas grunzt, und sie dann wieder schließt. „Dann halt eben verdammt nochmal nicht!“, schimpfe ich und stampfe zurück ins Schlafzimmer, überall die Lichter löschend.

 

Ich bin mal wieder so aufgebracht, dass ich nicht sofort einschlafe, und als mich dann die Traumwelt doch irgendwann endlich übermannt, dauert es keine fünf Sekunden, bis die Schlafzimmertür plötzlich aufgerissen wird. Das Licht geht plötzlich wieder an und blendet mich. Im ersten Moment verspüre ich Panik. Im zweiten nur noch Wut. Es ist kurz nach 6 Uhr morgens und Herr Lang ist gerade in unser Schlafzimmer geplatzt, schält sich unbeholfen aus seinen restlichen Klamotten und knallt dabei mehrmals gegen die Kommode. Ich seufze genervt, als er es nach einer gefühlten Ewigkeit endlich geschafft hat, all seine Kleidung abzulegen beziehungsweise im Zimmer zu verteilen, und dann regelrecht auf dem Bett zusammenbricht.

 

Dankbar dafür, dass es direkt am Bett einen zweiten Schalter gibt, mit dem ich das Hauptlicht löschen kann, sorge ich wieder für Dunkelheit, von der ich hoffe, dass sie mich direkt wieder in die Schlafwelt befördern wird. Christopher macht dem allerdings einen Strich durch die Rechnung. Er rutscht zu mir herüber, schlingt seine Arme um mich. Viel zu fest. „Au!“, fluche ich und greife nach seinen Händen, um sie von meinem Körper zu drängend. Christophers Brust klebt an meinem Rücken, seine angewinkelten Beine drücken die meinigen viel zu weit nach oben, sein softes Geschlecht presst gegen meinen Po und sein Atem ist viel zu laut an meinem Ohr, viel zu heiß – und er hat eine so mörderische Fahne, dass mir davon ungelogen schlecht wird.

 

Normalerweise bin ich echt ein großer Fan des „aneinander gekuschelten Schlafens“. Heute allerdings nicht. Vor allem, als Christopher dann auch noch anfängt, seine Hände, die auf meinen physischen Protest hin ihre Umklammerung gelockert haben, über meine Brust streichen zu lassen, meine Brustwarzen, und eine seiner Hände dann sogar zwischen meine Beine schiebt und nach meinem weggesperrten Schwanz greift, und im selben Moment sein Becken bewegt um seine, nun tatsächlich leicht zum Leben erwachenden Beule weiter gegen meinen Arsch zu drücken.

 

Das ist der Moment, in dem ich alle Kraftreserven meines Körpers anzapfe, ihn bestimmt von mir wegschiebe, sodass Herr Lang auf den Rücken rollt, und ich aus dem Bett hüpfe. Denn Sex ist wirklich das aller, allerletzte, an das ich jetzt denke, und auch das aller, allerletzte, was ich jetzt tun möchte. „Das ist nicht dein ernst…“, murmele ich giftig. Christophers Reaktion darauf ist… ein schwaches Seufzen, dann grummelt er irgendetwas, das sich anhört wie ein Protest, er streckt seine Hand nach mir aus und dann, keine zehn Sekunden später, fällt diese auch schon wieder schwach auf die Matratze zurück, und weitere zehn Sekunden später… schnarcht er. Extrem laut.

 

„Unfassbar…“

 

Den Kopf entsetzt schüttelnd, verlasse ich unser Schlafzimmer, und als ich den Flur hinunter tapse und ich Hennings Schnarchen aus dem Wohnzimmer verfolgt, kann ich nicht mit Sicherheit bestimmen, wer von den beiden Schnapsdrosseln gerade lauter sägt.

 

„Unfassbar…“

 

Ich versuche, in meinem kleinen Horrorparadies zur Ruhe zu kommen, was nur bedingt klappt. Gegen 8 Uhr morgens gebe ich es einfach auf und stehe auf. Ich werfe einen prüfenden Blick ins Schlafzimmer, denn selbst wenn ich immer noch extrem wütend bin auf Christopher, mache ich mir natürlich auch Sorgen um ihn. Aber: er pennt jetzt schnarchend auf der Seite und hat sich nicht übergeben oder sonstiges angestellt, das seine Sicherheit gefährden könnte. Erleichtert schließe ich die Schlafzimmertür wieder. Auch, weil ich angewidert bin: der Raum riecht nach Alkohol, Qualm, Schweiß und irgendwie auch nach Ziege.

 

Henning schnarcht auch immer noch wie ein Weltmeister. Auch, als ich nach dem Duschen und in frischen Klamotten den Flur hinunterlaufe. Auch, als sein Handy beginnt zu klingeln, und dann gar nicht mehr damit aufhören will. Nach dem ungefähr zehnten Anruf, den Henning nicht annimmt, geht mir der dämliche Klingelton so richtig auf den Sack. Ich versuche ihn aber nicht nur deswegen aufzuwecken.

 

Wenn jemand zehn Mal hintereinander angerufen wird, dann muss etwas sich um etwas Dringendes handeln.

 

„Henning“, versuche ich es, ihn leicht dabei schüttelnd. „Henning!“ Doch der Anwalt schläft wie ein Stein. Einmal gerät sein Schnarchen kurzzeitig ins Stocken, und als ich meine, ich hätte es endlich geschafft, ihn zu wecken, grunzt er und dreht sich dann einfach auf die andere Seite und schnarcht weiter – und das war’s. Selbst als ich ihm das klingende Telefon praktisch direkt ans Ohr halte, schlägt er nur kurz danach wie andere Menschen nach einer Mücke oder Fliege, und verfällt wieder in diesen sägenden Ton.

 

Ich starre das zum gefühlt zwanzigsten Mal klingende Telefon an und kann den Namen „Kim“ auf dem Display lesen – das ist seine Ehefrau. Und da bekomme ich es doch ein bisschen mit der Angst zu tun. Chris sagte, Henning habe Kinder… Was ist, wenn irgendetwas mit denen ist und seine Frau ihn jetzt dringend braucht?

 

Ich seufze, fühle mich nicht sehr wohl dabei, nehme das Gespräch letztendlich aber doch an.

 

„Äh, hi. Hier ist Hennings Telefon, er kann gerade nicht rangehen…“, melde ich mich etwas unbeholfen und werde mit einer seltsamen Stille am Telefon begrüßt, die mich auf gewisse Weise sogar leicht nervös macht.

 

„…Christopher? Bist du das?“, fragt mich dann die leicht verwirrte und zugleich angespannte Frauenstimme schließlich.

 

„Nein. Christopher schläft noch. Ähm, ich bin Niko. Christophers Freund. Also, Lebensgefährte.“

 

Kim entlässt geräuschvoll die Luft aus ihren Lungen. „Also hat Henning bei euch übernachtet…?!“

 

„Ja.“

 

„Dieser…!“, stößt sie aus, ohne ihre Beschimpfung zu komplettieren, und mir wird klar, dass Kim offenkundig bis eben nicht wusste, wo ihr Ehemann abgeblieben ist.

 

„Henning schläft auch noch und ähm… Ich kriege ihn nicht wach, ich…“

 

Kims kaltes Auflachen unterbricht mich. Und dann vervollständigt sie ihre Beschimpfung. „Dieser beschissene Vollidiot! Auf die Idee, mir Bescheid zu geben, kommt er ja natürlich nicht! Meine Herren…!“ Sie bestätigt damit meine vorherige Annahme.

 

„Sorry, hätte ich gewusst, dass er zu Hause nicht Bescheid gegeben hat, hätte ich das auch irgendwie übernehmen oder ihn dazu bringen können.“

 

Kim seufzt laut. „Entschuldige bitte, du bekommst hier gerade meine ganze Wut ab, sorry. Ich war… Ich bin gestern früh ins Bett und erst vor kurzem wach geworden, und er war nicht da, und ich wusste nicht, wo er ist und habe mir echt Sorgen gemacht, sorry. I-ich bin Kim, Hennings Frau, und-“

 

„Ja, ich weiß“, falle ich ihr ins Wort und versuche, so nett wie möglich zu klingen. „Und kein Ding. Wenn Christopher nicht nach Hause gekommen wäre und ich ihn nicht aufm Handy erreichen könnte, wäre ich wohl noch viel aufgebrachter als du. Also: Ich kann dich verstehen. Ich, ähm, hatte ja auch nicht damit gerechnet, dass der Abend… so endet…“ Ich vernehme ein weiteres, tiefes Seufzen am anderen Ende der Leitung. „Wenn du magst… Versuche ich Henning noch einmal zu wecken“, biete ich an, aber seine Ehefrau schnaubt einfach nur.

 

„Vergiss es, Niko“, meint sie dann mit bitterer Stimme. „Die beiden Vollpfosten haben doch sicherlich bis in die Morgenstunden gesoffen, oder?“

 

„…ja…“

 

Bisher hat noch nie jemand meinen Freund als Vollpfosten oder ähnliches in meiner Gegenwart bezeichnet, und ich weiß auch noch nicht, wie es mir damit geht – obschon ich eigentlich weiß, dass Kim recht hat. Die beiden Anwälte haben sich gestern auf jeden Fall wie Vollpfosten aufgeführt…

 

„Ja! Dann kriegst du Henning selbst mit nem Vorschlaghammer vor 15 Uhr nicht wach. Grandios. Einfach grandios!“, ruft sie aus und stöhnt fast ein wenig theatralisch, obwohl ich ihre Verzweiflung irgendwie als ziemlich ernst einstufen muss. „Was für ne Scheiße! Was mach ich denn jetzt?“, flucht sie besorgt klingend weiter.

 

„…was ist denn?“, hake ich vorsichtig nach. „Wart ihr… zu was Bestimmten verabredet?“

 

Ich ernte ein erneutes, zorniges Schnauben. Und dann klingt Kim nur noch zerrüttet. „Zu was Bestimmten…“, wiederholt sie meine Worte, „…ich sitze hier zwischen proppevollen Umzugskartons, und die Kinderzimmermöbel liegen alle noch in Einzelteilen verstreut herum – und die müssen bis morgen aufgebaut sein! Meine Eltern kommen morgen früh aus dem Urlaub wieder und liefern Ben und Mia hier ab, das hatten Henning und schon vor Wochen besprochen. Ich bin gestern Abend nach der Arbeit extra hier hochgefahren! Und ich habe mich noch nicht einmal zu frischen Klamotten für die beiden durchgaben können, und nach der langen Reise sind die Kinder immer so fertig und wollen ins Bett, und die beiden sind eh schon so gestresst durch den ganzen Umzug und weinen die ganze Zeit, weil sie ihre Freunde nicht zurücklassen wollen, und da würden die neuen schönen Zimmer und die bekannten Spielsachen direkt helfen und, ach… Entschuldige“, murmelt sie, seufzt; und wenn ich mich nicht täusche, dann kann es sogar sein, dass sie sich kurz beruhigen muss, weil ihr die Tränen gekommen sind. Was verständlich wäre bei all dem Stress. „Jetzt sitze ich hier allein, und der Scheiß ist zu schwer für mich, das kriege ich nicht alles nach oben getragen, geschweige denn allein zusammengeschraubt, Scheiße…“

 

„…können dir nicht die Nachbarn helfen?“, überlege ich laut.

 

„Die habe ich ja noch nicht einmal kennengelernt!“, entgegnet sie eine ganze Spur lauter. „Ich kenne niemanden hier außer Henning und Christopher! Niemanden! Meine ganzen Freundinnen sind 300 Kilometer weit weg, und die kann ich nicht einfach her ordern, damit sie mir beim Zusammenbauen von Kinderzimmermöbeln helfen! Oder mir Fremde von nebenan ins Haus holen. Und…“ Sie stockt, und dann seufzt sie erneut laut, schweigt einen kurzen Moment, in dem ich nervös auf meiner Lippe kaue. Kim tut mir wirklich leid. „Sorry, Niko, du kriegst schon wieder meine ganze Wut ab, dabei kenne ich dich noch nicht einmal, und du hast absolut nichts damit zu tun. Sorry!“, entschuldigt sie sich abermals.

 

„Ist schon gut…“, murmele ich, und mir fallen urplötzlich Christophers Worte ein, die er irgendwann am Anfang der Woche geäußert hatte. Dass er sich den Samstagvormittag vielleicht freihalten will, falls Henning und Kim doch Hilfe im neuen Haus brauchen sollten… Und nun pennt er wie ein Stein und hat sich mit seinem Studienfreund so dermaßen volllaufen lassen, obschon er wusste, was dieser am Folgetag eigentlich zu tun hat… Und dann fasse ich seufzend eine Entscheidung. Weil Kim und ich irgendwie im gleichen Boot sitzen. Oder zumindest auf denselben Gewässern schwimmen. „Wo wohnt ihr?“, frage ich sie.

 

Sie nennt mir einen Ortsteil, der am Rande der Stadt liegt. „…wieso?“

 

„Ich kann in rund ner halben Stunde da sein. Ich warne dich: Ich bin handwerklich nicht wirklich begabt, aber wenn du mir genaue Instruktionen gibst, kann ich dir sicherlich irgendwie helfen. Schleppen ist auch kein Problem, wollte eh mal wieder mehr Sport machen.“

 

Am Ende der Leitung ist es still, und ich frage mich, ob mein Angebot nicht doch falsch war, schließlich bin auch ich nur ein Fremder, werde aber eines Besseren belehrt. „Das würdest du echt für mich tun?“, hakt Kim etwas atemlos nach.

 

„Wenn ich in deiner Situation wäre, würde ich mich auch freuen, wenn mir jemand hilft.“

 

„…danke, Niko! Danke, danke, danke! Du bist ein Schatz! Mein Gott, hat Chris sich da ein Goldstück gewählt!“ Ich werde ein bisschen rot bei ihren Worten. Dann schaue ich noch einmal nach dem erwähnten Mann. Christopher lebt noch, schnarcht, fast das ganze Bett mit seinen ausgestreckten Beinen und Armen einnehmend. Der (Kotz-)Eimer, den ich ihm hingestellt habe, ist auch noch leer. Ein Aufweckversuch scheitert ähnlich wie bei Henning, und ich seufze. Ich schreibe meinem Freund eine Notiz mit meinem angestrebten Aufenthaltsort, Hennings und Kims neues Domizil, die ich an die Eingangstür klebe, und gehe.

 

Rund 45 Minuten später stehe ich vor dem schicken Einfamilienhaus mit hellweißem Klinker und großem Garten. Kim reißt die Tür praktisch nach dem ersten Klingeln auf und fällt mir dankend um den Hals. Sie scheint in Christophers Alter zu sein, Mitte 30. Sie ist fast einen Kopf kleiner als ich, etwas molliger, wie viele wohl sagen würden, bestückt mit natürlichen weiblichen Kurven, sage ich. Ihr kastanienbraunes Haar hat sie zu einem Zopf gebunden, sie ist ungeschminkt und hat leichte Ringe unter den Augen. Definitive Resultate einer stressigen Umzugszeit. Dennoch wirkt sie vom ersten Moment an sympathisch auf mich.

 

„Vielen lieben dank, dass du hier bist, Niko, so schön dich kennenzulernen! Schade, dass es nicht unter etwas netteren Umständen ist, aber daran können wir wohl jetzt auch nichts mehr ändern, ich mache das eines Tages bestimmt wieder gut!“ Mit diesen Worten schiebt sich mich praktisch ins Haus. „Kann ich dir was anbieten? Wasser? Wein? Bier?“

 

„Alles gut. Nach Christophers Monsterfahne habe ich ehrlich gesagt erstmal keine große Lust auf Alkohol, wenn ich ehrlich sein soll…“, entgegne ich und grinse leicht.

 

Kim seufzt, erwidert aber mein Grinsen, rollt mit den Augen. „Gott, das kann ich so gut nachvollziehen…“, meint sie dann ihren Kopf schüttelnd, und ich lasse meinen Blick durchs Haus wandern. Kim hat nicht übertrieben: Hier stehen wirklich überall Kartons und lose Möbelstücke herum. Es ist ein reines Chaos.

 

„Wir können direkt loslegen, wenn du magst“, schlage ich ihr deswegen vor.

 

Kim nimmt mein Angebot strahlend an, und erklärt mir, in welchen Verpackungen die Kinderzimmerartikel verstaut sind. Sie hilft mir beim Tragen der größeren Kartons, die wir Gott sei Dank nur ein Stockwerk höher verfrachten müssen – und die für den Nachwuchs designierten Räume sind leicht über den breiten Flur zu erreichen. Während wir Schleppen, und zwischendurch auch mal insbesondere auf der Treppe fluchen, reden wir.

 

„Mir ist das wirklich sehr unangenehm, dass ich meine Wut am Telefon an dir ausgelassen habe…“, bemerkt Kim und schenkt mir ein entschuldigendes Lächeln, als wir in dem Zimmer ihres Sohnes mit dem Zusammensetzen des Bettes beginnen.

 

„Ach!“, winke ich ab. „Das habe ich wirklich gar nicht so wahrgenommen. Und ganz ehrlich: In diesem Punkt kann ich dich voll und ganz nachvollziehen. Du glaubst ja gar nicht, wie wütend ich war, als die beiden gestern so plötzlich aufgetaucht sind. Nachdem Chris sich erstmal ne ganze Weile gar nicht bei mir gemeldet hatte, und ich mir echt Sorgen gemacht hab…“ Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie habe ich in Kims Gegenwart nicht so das Problem, Details des vergangenen Abends auszupacken. Wahrscheinlich, weil sie mit dem anderen Vollidioten, der einen großen Teil dazu beigetragen hat, liiert ist.

 

Kim seufzt theatralisch und hebt die Hände in eben solcher Manier gen Himmel, als würde Sie den Herren da oben bitten wollen, Hirn herabregnen zu lassen. „Diese beiden…!“, flucht sie dann, senkt ihre Arme wieder und schaut mich Kopf schüttelnd an. „Das ist das erste Mal, dass du das Chaos-Duo erlebt hast, oder?“

 

Adrians Worte fallen mir ein.

 

Henning und Chris – das ist eine ganz furchtbare Kombi.

 

„Das ist das erste Mal, dass ich Christopher so voll erlebt habe…“

 

„Ha! Das kann ich mir vorstellen!“, sagt sie glucksend. „Wann sind die beiden denn überhaupt eingekehrt?“

 

„Gegen Mitternacht“, entgegne ich, und gebe ihr dann eine Zusammenfassung der gestrigen Events, angefangen damit, dass ich überhaupt nicht wusste, dass ich noch mit Besuch rechnen muss. Ich erzähle ihr so gut wie alles, lasse nur die Szenen in unserem Bett aus – denn offenbar muss ich mich mal derbe auskotzen, und Kim ist diejenige, die mich in diesem Moment wohl am besten versteht. Außerdem habe ich, wie gesagt, ein gutes Gefühl bei ihr. Ich berichte ihr sogar von Christophers Nachricht an Adrian, die eigentlich an mich gehen sollte – natürlich ohne das Wort „Session“ zu erwähnen.

 

„O mein Gott… O mein Gott!“, flucht sie und streicht sich mit beiden Händen durchs Gesicht bei meinen Worten. Halb lachen wir, halb fluchen wir bitter. Ja, Kim versteht mich. „Diese… Vollpfosten!“, wiederholt sie und schnaubt, und legt dann eine Pause ein, in der sie die Möbelstücke, die zwischen uns auf dem Boden liegen ansieht. „Versteh mich nicht falsch“, setzt sie danach wieder etwas ernster an, die Instruktionen für das Zusammenschrauben einiger Betteinzelteile beiseitelegend. „Christopher ist ein feiner Kerl, und ich kenne ihn schon sehr lange. Ich weiß nicht, ob er dir das schon mal erzählt hat, aber ich bin mit Henning zusammengekommen, da haben wir alle gerade mal im zweiten Semester studiert. Ich habe die beiden auf ner Party kennengelernt – damals war ich ja noch in Berlin an der Uni und war nur zu Besuch bei einer Freundin, die mich auf diese Fete da geschleppt hat.“

 

„Oh, das ist ja wirklich ne lange Zeit…“

 

Kim nickt und lächelt ein wenig gequält. „Ja, ist es…“, pflichtet sie mir bei. „Jedenfalls… Ich mag Christopher. Im Grunde genommen. Okay? Das Problem ist einfach – und deswegen geht mir dieser Umzug so nahe und ich weiß noch nicht so richtig, ob das wirklich so eine gute Idee ist, dass die beiden jetzt wieder in einer Stadt wohnen und auch zusammenarbeiten –, naja… Wie gesagt: Das Problem ist einfach, dass… Hm, wie soll ich dir das am besten erklären?“ Sie lässt die Schultern hängen und lässt die Augen etwas ziellos im Zimmer herumwandern, als würde sie an der Decke eine Antwort vermuten. Dann legt sich ihr Blick wieder auf mich und sie seufzt. „Wenn die beiden zusammen unterwegs sind – dann eskaliert es. Jedes. Gottverdammte. Mal.

 

Ich presse die Lippen zusammen. „Eskalation kann man das wohl wirklich nennen.“

 

„Weißt du, die beiden sind… wie dieses komische grüne Zeug, wogegen Superman allergisch ist, oder was auch immer.“

 

„…Kryptonit?“

 

„Ja, genau!“, ruft sie aus und klatscht dabei kurz in die Hände. „Kryptonit, das ist es. Die beiden sind wie Kryptonit füreinander. Ich weiß nicht genau, was da passiert, und warum das so ist, aber jedes Mal, wenn die beiden alleine saufen gehen, legt sich bei denen ein Schalter im Kopf um, und ihr Hirn geht einfach aus. Die beiden benehmen sich plötzlich wie zwei Heranwachsende, die sich gegenseitig was beweisen wollen und übertreiben es einfach. Mit allem.“

 

„…das klingt echt so gar nicht nach Chris...“

 

„Und wenn du Henning kennen würdest, würdest du das gleiche über ihn behaupten“, verkündet Kim bestimmt und verschränkt die Arme vor der Brust.

 

„Die beiden waren aber gar nicht allein gestern“, sinniere ich laut. „Dieser David war ja noch mit, wenn ich das richtig verstanden habe…“

 

Kim lacht kalt auf. „Und ich wette mit dir, der hat sich nach ein bis zwei Drinks verpisst, und die beiden sind allein zurückgeblieben oder weitergezogen; und dann ist denen auch völlig egal, was eigentlich noch für den Abend geplant war oder für den nächsten Tag, daran denken die einfach gar nicht mehr. Dann zählt nur noch der Alkohol. Die beiden stacheln sich gegenseitig an und vergessen einfach alles und jeden anderen.“ Sie legt eine kurze Pause ein, ehe ein weiterer, tiefer Seufzer ihren Mund verlässt. „Ach, Niko, das habe ich schon so oft erlebt mit den beiden… Das Ding ist, du sagst es ja selbst: Du hast Christopher noch nie so voll erlebt. Ich erlebe Henning auch nur so voll, wenn er mit deinem Mann säuft.“

 

„…krass“, ist das einzige, was ich dazu sagen kann.

 

„Ja. Krass. Eine Scheiße ist das“, sagt sie seufzend. „Ist es schon immer gewesen. Weißt du, dass die mal im besoffenen Kopf nach Dänemark mit dem Zug gefahren sind? Ich hatte, ähnlich wie du, an einem Samstagmorgen auf Henning gewartet, und irgendwann, als Adrian und ich schon dabei waren, die Krankenhäuser abzutelefonieren, weil wir uns sicher waren, dass denen etwas zugestoßen ist, kam der Anruf aus einem Hotel in Kopenhagen. Die beiden hatten keinen blassen Schimmer, wie sie dahingekommen waren, konnten sich nur dran erinnern, dass sie am Bahnhof in irgendeinen Zug gestiegen sind.“ Ich zucke bei der Erwähnung des Italo-Fuckers leicht zusammen, was Kim aber nicht zu bemerken scheint. Dass sie ihn kennt, hätte mir ja auch eigentlich von vorne herein einleuchten müssen. Offenbar bin ich wohl einfach zu müde und kann mein Hirn, ähnlich wie Christopher und Henning, auch nicht mehr wirklich benutzen. „Auch schön ist die Story, als die beiden beim Biertrinken am See auf die glorreiche Idee gekommen sind, mal Haschisch zu rauchen.“

 

„…was?“ Bei dieser Vorstellung muss ich fast sogar ein wenig lachen. „Der adrette Herr Anwalt am Haschischrauchen?“

 

„Glaub mir: Das haben die auch nur einmal gemacht…“

 

„…oh?“

 

Kim liefert mir die ganze Geschichte: Die beiden Studenten saufen Bier auf dem kleinen Steg am Unisee. Viel Bier. Vermischt mit Wodka und anderem Schnaps. Ein anderer Studierender will ihnen den Stoff verkaufen, Henning und Christopher meinen, das sei eine tolle Idee, willigen ein – und am Ende müssen Kim und Adrian herkommen und verbringen laut der Frau Stunden damit, die Jungs vom Steg zu holen, weil die beiden irgendwelche dummen Halluzinationen haben und der Steg ihrer Meinung nach eine hin und her schwingende Planke, das Wasser voller Monster ist und sie sich an dem Holz regelrecht festkrallen.

 

„…oh…“

 

Auch wenn mir nicht passt, dass Adrian in dieser Erzählung eine Rolle spielt, so muss ich doch ein kleines wenig grinsen. Richtig lustig wäre diese Geschichte wohl, wäre da nicht der gestrige Abend, der noch so frisch nachhängt, und der mich eine Seite Christophers hat erleben lassen, von der ich nur mäßig begeistert bin – ich habe das einfach noch nicht verarbeitet. Und jetzt kommen schon die nächsten Details an die Oberfläche.

 

„Das Seltsame ist“, fährt Kim unbeirrt fort, „wenn die beiden ihre Partner dabeihaben, oder zusammen in einer größeren Gruppe unterwegs sind, passiert diese Eskalation nicht. Dann ist, zugegeben, vor allem Christopher derjenige, der sich zurückhält und manchmal sogar fast gar nichts trinkt.“

 

„…und genau so kenne ich Christopher…“, bemerke ich.

 

Kim nickt. „Henning trinkt zwar gerne mal einen über den Durst. Aber wie gesagt: Er stürzt nur so heftig ab, wenn er mit Chris unterwegs ist. Und deswegen hasse ich es, wenn die beiden was zusammen unternehmen… So blöd das klingt. Und ich bin wirklich keine dieser Ehefrauen, die erwartet, dass ihr Mann nur noch zu Hause abhängt und nicht mit seinen Kumpels in die Kneipe geht. Echt nicht. Ich gehe selbst gern in die Kneipe.“ Ich nicke. Ehrlich gesagt kann ich mir nach dem gestrigen Desaster gut vorstellen, dass ich auch anfangen könnte es zu hassen, wenn Christopher und Henning zusammen weggehen… Kim spricht weiter.

 

„Ich habe Hennings Umzug in Christophers Kanzlei ehrlich gesagt auch nur zugestimmt, weil in seiner alten einfach so viel schiefgegangen ist. Was genau, kann ich dir gar nicht sagen, nur, dass Henning am Ende extrem frustriert war. Oder eher gesagt: depressiv. Er hat sich mit all diesen furchtbaren Menschen zerstritten, und die wollten seine Reputation zerstören. Seine Kollegen waren einfach echte Arschlöcher. Der einzige Ausweg war für uns war am Ende, die Stadt zu verlassen“, erklärt sie und seufzt, und ich denke an Johannas Beschreibung von Henning: herrschsüchtig. Ob es etwas damit zu tun hat? Ich sage nichts, lasse Kim weitererzählen. „Und ich bin Chris echt dankbar dafür, dass er das so schnell und so unkompliziert möglich macht. Aber… Ich habe schon Bauchschmerzen. Wir wohnen noch nicht einmal richtig hier, und die beiden sind schon abgestürzt. Und hier geht es auch um die Kinder, verstehst du? Henning und ich hatten das so oft besprochen, dass die Kinderzimmer fertig sind, bevor Ben und Mia das Haus zum ersten Mal betreten. Und jetzt das hier…“

 

Ich nicke verständnisvoll. „Ich glaube, ich stehe ein bisschen unter Schock“, gebe ich dann zu. „Gerade so ein Kontrollverlust ist für Christopher… wie gesagt: untypisch. Auch der, naja, Leichtsinn dabei. Das passt halt auch so überhaupt nicht zu ihm. Er wusste ja offensichtlich, was ihr beiden heute vorhabt, und dass er sich dann trotzdem mit Henning so volllaufen lässt ist… hart. Und erstaunt mich.“

 

Kim seufzt zum wiederholten Male und lächelt mir dann aufmunternd zu. „Tut mir echt leid, Niko, dass dir der Chaos-Trupp das Wochenende versaut hat... Ich hatte ja gehofft, ich lerne dich vor dem ersten Christopher-Henning-Absturz kennen, damit ich dich in aller Ruhe warnen und darauf vorbereiten kann…“

 

„Nun ja… Es läuft ja nie so, wie geplant, was?“, versuche ich zu scherzen.

 

„Eines ist jedenfalls klar: Wir müssen unseren Männern heute einen richtigen Einlauf verpassen“, sagt Kim mit harter Stimme und widmet sich wieder dem Handwerklichen.

 

Wir kommen gut voran, und ich bin froh, dass wir uns jetzt mehr konzentrieren müssen auf den Möbelaufbau. Das lenkt gut ab. Und so kann ich mich gar nicht mit diesen seltsamen Gefühlen befassen, die mir einen leicht flauen Magen verschaffen.

 

Es ist nicht unbedingt so, dass mich das Ganze so sehr umhaut wie Christophers Beichtkomplex. Mein Freund hatte mir zwar nicht unbedingt offenbart, dass er so krass mit Henning abstürzt, aber ich erinnere mich an ein paar unserer Unterhaltungen über Besäufnisse – und Christopher hatte in der Tat Henning in diesem Zusammenhang erwähnt. Hatte erzählt, dass er mit seinem Kommilitonen die schlimmsten Abende seines Studentenlebens erlebt hatte. Er hat mir in diesem Sinne also nicht etwas total verschwiegen, wie er es mit seinen nicht vorhandenen Putzqualitäten und dem bestimmten Putzpersonal getan hat. Dennoch setzt mir das Ganze zu. Weil er mich versetzt hat, obwohl unsere ausgemachten Sessions sonst immer Priorität haben, außer es kommt etwas Berufliches dazwischen – was der gestrige Abend offenkundig nur am Anfang gewesen ist, wenn überhaupt. Weil er mir diese hässliche Seite von sich gezeigt hat, mit ekelhafter Lache und zum Teil primitiven Macho-Getue, die offensichtlich in der Kombination „Henning + Alkohol“ erwacht. Eine betrunkene Zugfahrt nach Kopenhagen – das ist echt schon extrem…

 

Und den Christopher von gestern Abend mochte ich zum größten Teil einfach nicht.

 

Kim klatscht zufrieden in die Hände, als Bens Bett steht, und wir auch noch den Schrank, Schreibtisch und einige Kommoden aufgebaut haben, und alle mit dem Namen ihres Sohnes versehenen Kartons in die Mitte des Raumes gestellt haben, damit sie im nächsten Schritt nur Spielzeuge, Klamotten und Co verteilen muss. „Puh…!“, macht Kim und wischt sich seichte Schweißtropfen von der Stirn. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin schon etwas kaputt.“

 

„Ich auch. Ein bisschen.“ Was eine Lüge ist. Ich bin ziemlich fertig, aber wir haben noch das zweite Kinderzimmer vor uns, und ich möchte nicht, dass Kim sich Sorgen macht, dass wir das möglicherweise nicht schaffen. Hennings Ehefrau setzt gerade zu einer Antwort an, als ihr Handy plötzlich klingelt.

 

„Ach, sieh mal einer an…“, flötet sie in einem gefährlich kalten Sing-Sang das Gerät hochhaltend. „Das ist ja mein geliebter Ehemann…“ Anstalten, das Gespräch anzunehmen, unternimmt sie nicht. Stattdessen schaut sie mich mit einer, ich würde mal sagen, trotzigen Miene an. „Also, wenn Henning jetzt denkt, dass ich tatsächlich ans Telefon gehe, dann hat er sich noch mehr Gehirnzellen weggesoffen, als ich ursprünglich angenommen habe“, stellt sie dann trocken fest, weist den Anruf ab, schaltet das Mobiltelefon auf lautlos und legt es beiseite, um es zu ignorieren.

 

Keine zehn Minuten später, nachdem Henning es wahrscheinlich noch einige Male bei Kim versucht hat, fängt meines an zu klingeln – und ich bin überhaupt nicht überrascht, dass es mein Freund ist, der meine Nummer gewählt hat. Ich zögere, mein Daumen über dem grünen Symbol schwebend, das das Gespräch annehmen würde. „Christopher, nehme ich an?“, kommt es von Kim und unsere Blicke treffen sich erneut. Ich bestätige mit einem Nicken und Hennings Ehefrau grinst kalt. „Ganz ehrlich: Geh nicht ran.“ Ich schlucke, ihren Vorschlag überdenkend, und Kim fährt mit durchdringender Stimme fort: „Lass ihn zappeln, Niko.“ Mein Telefon hört auf zu klingeln und Herr Lang darf sich jetzt mit der Mailbox zufriedengeben. Oder eben auch nicht – nach lediglich zehn Sekunden probiert mein Freund erneut, mich zu erreichen, und Kim wiederholt ihren eindringlichen Appell. „Lass. Ihn. Zappeln.“ Ich sehe sie wieder an und sie fährt fort: „Du hast Chris doch die Notiz dagelassen: Er weiß, wo er dich findet. Lass ihn gefälligst hier antanzen. Das ist das Mindeste, was er jetzt tun kann.“

 

Ein Teil von mir will rangehen, seine Stimme, seine Entschuldigung hören, erfahren, was er mir mitteilen möchte. Doch der andere Teil – der, der sich daran erinnert, wie Christopher mich hat gestern Abend zappeln lassen, mir nicht mitgeteilt hat, wann er nach Hause kommt, seinem Ex wegen unserer Session geschrieben hat und sich so furchtbar danebenbenommen hat – gewinnt, und ich weise den Anruf ab. Zumal Kim ja auch recht hat: Chris weiß, wo ich bin, und ja, auch ich finde, dass er sich gefälligst hierher auf den Weg machen sollte. Ich schalte mein Handy komplett aus und nehme Chris damit die Gelegenheit, mich auf irgendeine andere Weise zu kontaktieren. Kim lächelt mir aufmunternd zu und nickt irgendwie anerkennend.

 

Ich weiß nicht, ob ich mich gerade zu etwas anstacheln lasse, aber es fühlt sich auf jeden Fall richtig an und ist mir gelinge gesagt nach diesem furchtbaren Abend auch einfach egal. Ich bin einfach nur fertig und habe jetzt schon mehr als die Hälfte meines Sonnabends damit verschwendet, Kinderzimmermöbel aufzubauen mit einer Frau, die ich heute erst kennengelernt habe. Auch wenn Kim wirklich nett zu sein scheint, und ich wohl zwangsläufig in Zukunft mehr mit ihr zu tun haben werde, fallen mir partout hundert Dinge ein, die ich heute viel lieber unternommen hätte, und die Chris mir durch sein Besäufnis mit Henning verwehrt hat. Wie auch schon die lang ersehnte Session…

 

Kim und ich wandern ins zweite Kinderzimmer und legen dort schon mal die Einzelteile fürs zweite Kinderbett zusammen und räumen ein paar Kartons zur Seite, schrauben ein kleines Bücherregal zusammen – und reden uns weiter in Rage. Oder eher gesagt: Kim redet sich in Rage und ich nicke einfach nur zustimmend.

 

„Wenn wir ihnen das einfach durchgehen lassen, dann müssen wir auch damit rechnen, dass die beiden in Zukunft wieder so ne Scheiße abziehen und sich dann öfter volllaufen lassen“, sagt sie. Und Dinge wie: „Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, aber ich habe wirklich keine Lust darauf, dass mein Mann mich und die Kinder wegen eines Saufabends mit Christopher einfach so versetzt und sich stundenlang nicht meldet, also werde ich ihm heute auch noch gehörig die Leviten lesen.“ Und irgendwo hat sie ja wirklich recht, wenn sie meint: „Wir müssen das Problem, also, ehe es zu einem wird, an der Wurzel packen und eliminieren.“ Und wir einigen uns natürlich darauf, dass die Herren, sobald sie hier auftauchen, dazu verdonnert werden, die restlichen Möbel zusammenzuschrauben, während wir die Füße hochlegen.

 

Rund eine Stunde, nachdem unsere Handys geklingelt haben, klingelt es der Tür. Kim erhebt sich unmittelbar, ihre Gesichtszüge hart, die Hände zu Fäusten geballt. Sie nickt mir irgendwie entschlossen zu und erinnert mich an unser Motto. „Denk dran: Lass Christopher zappeln.“ Und dann setzt sie sich, scheinbar voller Energie, in Bewegung, und ich laufe ihr hinterher, und bin ein wenig erstaunt, dass mein Herz so wild in meiner Brust pocht beim Gedanken daran, meinem Freund gleich gegenüberzustehen.

 

Kims Schlüssel stecken in der Tür und klimpern laut, als sie sie damit aufschließt – warum Henning klingeln musste ist mir damit also klar – mit dem von innen steckenden Schlüssel geht das bei dieser Tür offenbar nicht – und war sicherlich auch so von Kim geplant, damit sie sich auf diesen Moment vorbereiten kann. Ich bleibe etwas unsicher weiter hinten in der Diele stehen, um die Szenerie in ihrer Gänze aus dieser kleinen Distanz beobachten zu können.

 

„Na, wenn das nicht Dumm und Dümmer sind!“, begrüßt Kim die feinen Herren Anwälte fies und lässt die beiden eintreten.

 

Ich halte die Luft an. Henning sieht unfassbar scheiße aus. Das Gesicht bleich, die Ringe unter seinen Augen violett-schwarz, das Karamell glasig. Ich erkenne Christophers Klamotten an seiner Erscheinung: Mein Freund hat ihm einen seinen dünnen schwarzen Pullover geliehen sowie eine der Bluejeans, die etwas an Hennings Beinen schlackert. Christopher selbst trägt ein T-Shirt in Dunkelgrün und darüber einen schwarzen Hoodie…  und sieht nicht wirklich besser im Gesicht aus als sein Kollege.

 

Als sich unsere Blicke treffen, fühlt es sich so an, als würde ein Pfeil durch meine Brust rasen. Und da ist es wieder: das Rehkitz.

 

Christopher mustert mich mit seiner sehr besorgt-entschuldigenden Miene. Seine Körperhaltung eher geduckt als alles andere. Herr Lang wirkt nicht wie sonst überzeugt von sich selbst, sondern – ganz im Gegenteil – extrem unsicher; und in dem Moment fallen mir die Blumensträuße auf, die er und Henning in den Händen halten, sowie die durchsichtigen Plastiktäschchen mit indischem Take-Away, das herrlich riecht. Henning hat zudem eine Flasche Rotwein mitgebracht.

 

„Kim, es tut mir leid…“, setzt er an und hört sich dabei heiser an. Im selben Augenblick macht Christopher einen Schritt auf mich zu – doch Kim hält ihn auf, ihre Hand bestimmt auf seine Brust legend. So, wie sie auch Henning daran hindert, weiter zu sprechen und ihr näher zu kommen. „Halt!“, ruft sie dabei aus, und Christopher und Henning gefrieren in ihrer Bewegung; und auch in mir wächst die Anspannung bei der Strenge, die in Kims Ton mitschwingt. Frustrierte Power-Ehefrau, Level 100. „Was zum Teufel ist gestern in euch gefahren?!“, herrscht sie die beiden laut an und ihre kraftvolle Stimme hallt gespenstisch durch die noch unmöblierte Diele.

 

Dann geht es zunächst Henning an den Kragen. „Henning, verdammte Scheiße!“, knurrt die brünette Frau. „Du sagst ‚ich trinke nur ein paar Drinks nach der Arbeit mit Kollegen‘ – und dann kommst du einen Tag später hier an, und sagst mir noch nicht mal Bescheid, dass du bei Christopher übernachtest?! Hast du auf die Uhr geguckt? Wir wollten um 9 Uhr anfangen, das haben wir tausendfach durchgekaut. Jetzt ist es vier. Vier! Es geht nicht einmal darum, dass ich mir mal wieder stundenlang Sorgen um dich gemacht habe. Es geht um deinen Sohn und deine Tochter! Und du gehst einfach saufen, als wärst du 20, und anstelle von dir ist Christophers Freund heute hier, der mich heute erst kennengelernt hat und der keinerlei Verpflichtungen uns gegenüber hat, und dennoch mit mir die Zimmer unserer Kinder vorbereitet. Schämst du dich nicht?“

 

Henning bekommt keine Gelegenheit, zu antworten, denn Kim richtet bereits das Wort an meinen Freund. „Und du“, spuckt sie regelrecht aus und pocht einmal kurz mit dem Finger gegen Christophers Brust, der sie daraufhin gar erschrocken ansieht, „weißt ganz genau, was Henning heute vorhatte, und füllst ihn so ab?“

 

„Ich hab ich nicht…!“, protestiert Chris die Stirn runzelnd, kommt aber weiter, weil Kim ihn direkt anfährt.

 

„Ah! Du bist jetzt ruhig, Christopher – ich rede!“, zischt sie, mit der Hand wild vor seinem Gesicht herumfuchtelnd; und mein Freund presst tatsächlich die Lippen aufeinander und senkt den Blick. Ich bin… erstaunt. Und auch ein bisschen amüsiert darüber, dass er sich offenbar seinem Schicksal fügt, von Kim zusammengefaltet zu werden. Verdient hat er es ja irgendwo… „Nicht nur, dass du mal wieder mit dafür gesorgt hast, dass Henning und ich wichtige Termine nicht einhalten können – und ich wiederhole gern, dass es dieses Mal vorrangig um unsere Kinder ging –, nein, du versetzt deinen Freund, der sich stundenlang Sorgen um dich macht, und dann schreibst du besoffener Hund auch noch deinem Ex anstatt Niko, der dann trotzdem so nett ist und hier auftaucht, obwohl du ihm den Abend so dermaßen versaut hast!“

 

Christophers panischer Blick erfasst mich. „Das mit Adrian war ein Versehen…!“, setzt er mit fast schon flehender Stimme an und macht erneut Anstalten, sich in meine Richtung zu bewegen, der Blumenstrauß immer noch in seiner Hand; aber Kim stellt sich ihm einfach in den Weg.

 

„Christopher – ich rede immer noch!“, fährt sie ihn an – dieses Mal fügt Christopher sich ihr aber nicht, und ich muss zugeben, dass mein Herz mittlerweile extrem laut in meiner Brust pocht.

 

„Bei allem Respekt, Kim“, presst er jetzt ziemlich verärgert hervor, „ich weiß, du bist wütend, und du hast jegliches recht dazu. Ebenso wie Niko jegliches recht hat, sauer auf mich zu sein“, er sieht mich durchdringend an und richtet seinen Blick dann wieder auf die Frau vor ihm. „Du kannst mich gleich auch gerne so sehr zur Sau machen, wie du nur möchtest – aber ich möchte jetzt sofort mit meinem Freund sprechen, und zwar allein, also lass mich bitte durch, Kim.“

 

An Kims Stelle hätte ich in diesem Moment wohl ein bisschen Angst vor Christopher und würde ihm sofort aus dem Weg gehen. Aber Kim ist nicht ich. Sie verschränkt die Arme vor der Brust. „Vielleicht möchte Niko aber jetzt gar nicht mit dir reden…“, säuselt sie dann schon fast gehässig, und wendet mir dann den Kopf zu, und ich weiß, was sie von mir erwartet: Zusammenhalt.

 

Die Durchführung unseres Mottos: Lass ihn zappeln.

 

…und so sehr ich es begrüße, dass mein Freund so offensichtlich von einem schlechten Gewissen geplagt wird, entscheide ich mich in diesem Moment, ihn tatsächlich noch nicht vom Haken zu lassen.

 

Christopher schaut mich angespannt an, gar ein wenig verängstigt. Es ist ein weiterer Bambi-Blick, der es mir sogar ein bisschen schwer macht, hart zu bleiben. Aber Kim hat ja recht: Die beiden müssen ihre Lektion lernen. Und die muss noch etwas dauern.

 

„Ich möchte jetzt gern eine Pause vom Möbelschleppen und -zusammenbauen machen“, erkläre ich mit fester Stimme und zwinge mich dazu, den Augenkontakt mit Christopher nicht zu brechen. Seine Augen werden noch größer, und sein Mund öffnet sich, ohne dass ein Ton über seine Lippen kommt. Mein Freund ist überrumpelt. Noch mehr, als Kim ihm plötzlich den Blumenstrauß aus der Hand reißt, und Henning sofort dasselbe Schicksal erleidet – und Kim dann beide Sträuße in einen der großen blauen Müllsäcke stopft, der am Treppengeländer hängt.

 

Schwungvoll dreht sie sich danach zu mir um. „Blumen sind viel zu schön, um als Entschuldigung für hässliche Dinge herzuhalten. Kleiner Tipp also: Nimm Blumensträuße nur an, wenn dein Mann sie dir im positiven Kontext schenkt: zum Jahrestag oder zum Geburtstag oder einfach nur so – nie als Entschuldigung. Sonst denkt er irgendwann, dass er sich alles erlauben kann und es allein mit Rosen wiedergutmacht…“

 

Sie nimmt Henning, der die ganze Zeit über schweigt, die Rotweinflasche aus der Hand und gibt sie mir, weil ihre Regel offenbar Rotwein nicht betrifft. Dann schnappt sie sich noch kommentarlos das Essen, das ihr Ehemann und Christopher mitgebracht haben – der mich ebenfalls die ganze Zeit schweigend anstarrt.

 

Ich habe ehrlich gesagt gerade nicht mehr die Kraft, Christophers Blick weiter zu erwidern. Weil ich befürchte, ich könnte schwach werden, und ihm doch die Möglichkeit geben, sich sofort zu erklären. Deswegen schaue ich weg. „So“, bestimmt Kim und richtet ihr Wort an die Anwälte. „Ihr beiden haut jetzt ab nach oben und kommt erst wieder runter, wenn die Arbeit getan ist, verstanden?“

 

„Ja, Schatz“, kommt es mechanisch von Henning, der sich umgehend in Bewegung setzt. Christopher rührt sich dagegen nicht, den Blick immer noch auf mich gerichtet. „Jetzt komm schon!“, fordert sein Kollege ihn eindringlich auf, und mir wird klar: Henning hat mega Schiss vor Kim…

 

„Niko…“, versucht Christopher es ein letztes Mal und kommt auf mich zu, aber Kim packt mich recht forsch am Oberarm und zieht mich in die entgegengesetzte Richtung, durch den großen Wohnraum hinüber zur offenen Küche.

 

„Wir machen uns jetzt schön die Flasche Wein auf, falls du mittlerweile doch Bock auf Alkohol hast, und essen“, bestimmt sie. „Und du Christopher“, ruft sie über ihre Schulter, „hilfst jetzt gefälligst Henning beim Einrichten der Kinderzimmer! Sonst haben wir beide ein Riesenproblem, verstanden?“

 

Ich drehe mich nicht um, die Augen stur auf die schöne große Kochinsel gerichtet. Ich höre nur, wie Christopher resignierend, und auch ein bisschen erzürnt, seufzt, und dann zusammen mit Henning, irgendetwas leise vor sich hinfluchend, die Treppen hinaufsteigt. Ich entlasse die Luft aus meinen Lungen, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie angehalten habe. „Es ist alles gut, Niko“, richtet Kim ihr Wort wieder an mich, ihre Stimme im Kontrast zu eben wieder ruhig und mild, während sie die Weinflasche entkorkt und ich die Styroporboxen mit verschiedenen Currys aus den Plastiktaschen fische. „Männer müssen manchmal fertiggemacht werden, sonst lernen sie’s nicht.“

 

„Ja, ich weiß…“

 

Dass Chris und jüngst eine etwas schwierige Zeit durchgemacht und gerade erst wieder die Harmonie hergestellt haben, die ich eigentlich gerne aufrechterhalten würde, lasse ich unerwähnt – so viel möchte ich Kim dann doch nicht erzählen. Und… Irgendwo hat Kim ja recht, wiederhole ich in meinen Gedanken, und Christopher muss ein bisschen leiden. So wie ich gestern und heute schon wegen ihm gelitten habe.

 

…es ist mal wieder ein emotionales Auf und Ab in meinem Kopf.

 

„Ich habe nach einem besonders heftigen Christopher-und-Henning-Besäufnis seine gesamte Panini-Stickersammlung weggeworfen, das war sogar noch während der Studienzeit“, erzählt Kim mir, den Wein in Plastikbecher füllend. „Henning ist ausgerastet. Total ausgeflippt, alles sehr übel. Aber: Ich hatte fast ein ganzes Jahr meine Ruhe, und Christopher und Henning haben in dieser Zeit, wenn überhaupt, dann nur zivilisiert ein bis zwei Bierchen zusammen konsumiert.“

 

„Wow… Krass“, sage ich, und kann mir bei bestem Willen nicht vorstellen, irgendetwas von Christopher wegzuwerfen; selbst nicht in einem extrem angepissten Zustand. Kim ist… hart.

 

Sie reicht mir einen der Becher und wir stoßen an, und die Currys schmecken fantastisch. „Christopher braucht das in diesem Zusammenhang auch“, sagt sie nach einer Weile, in der wir schweigend gegessen haben, und den lauten, diffusen Flüchen der Herren zugehört haben, die sich oben offenbar gerade mächtig angezickt haben. „Eine Art Retourkutsche. Konsequenzen“, spezifiziert sie, als ich sie mit hochgezogener Braue ansehe, und ich muss bei dem Wort Konsequenzen fast loslachen – denn normalerweise bin ich derjenige von uns beiden, der irgendwelche Art Konsequenzen zu tragen hat, und bestraft wird… Bei diesem Gedanken wird mir wieder bewusst, wie enttäuscht ich bin, dass die gestrige Session ausgefallen ist, und seufze laut. „Adrian hat das auch mal rigoros durchgezogen, und ist, anstatt mit Chris, mit seinem guten Kumpel übers Wochenende weggefahren, das die beiden eigentlich zusammen verbringen wollten. Und er hat dann auch alle Anrufe von Chris konsequent ignoriert, bis einschließlich Sonntagabend – das hat damals auch Wunder gewirkt“, erzählt Kim.

 

Das Curry schmeckt plötzlich nicht mehr, und ein weiteres Seufzen entweicht meinem Mund.

Wieso stoße ich in letzter Zeit eigentlich immer wieder auf Spuren von Christophers Ex-Freund?

 

Im Übrigen könnte ich mir auch nicht vorstellen, Christopher auf diese Weise zu behandeln nach einem Streit…

 

So, als hätte Kim meine Gedanken gelesen, entschuldigt sie sich plötzlich bei mir. „O Gott, ich bin so unsensibel“, meint sie nämlich plötzlich und sieht mir dabei etwas erschrocken in die Augen. „Ich rede immer wieder von Christophers Ex, das ist so unhöflich“, lautet ihre Selbstschelte. „Tut mir leid, Niko, aber… Ich hoffe, ähm, naja, das mit Adrian ist ja auch echt lange her, und ich hoffe, du siehst das nicht so eng. Sorry. Adrian hat… Er war einfach nur so lange mit Chris zusammen, und hat die meisten Eskapaden von den beiden Volltrotteln halt miterlebt, und diese Erinnerungen kommen jetzt gerade wieder alle hoch…“

 

„Alles okay“, lüge ich und nehme einen weiteren Schluck Wein.

 

„Ich halte jetzt einfach mal meine Klappe. Erzähl du lieber was. Wie bist du überhaupt mit Christopher zusammengekommen?“

 

Kim redet wirklich nicht mehr über Adrian, oder andere Ex-Freunde oder Affären von Chris. Ich erzähle ihr von unserer Begegnung im Park, und andere Dinge über meine Beziehung zu Christopher, die frei von BDSM-Elementen sind. Zum Beispiel, dass wir erst vor Kurzem zusammengezogen sind. Kim fragt mich nach meinem Studium aus, erzählt ein bisschen von ihren Unizeiten und packt noch ein paar Geschichten aus der Anfangszeit von ihr und Henning aus, und ich frage sie nach dem Heiratsantrag – der ganz unromantisch auf dem Sofa auch noch ohne Ring geäußert wurde – und sie berichtet ein wenig von der Hochzeit, bei der sie schon schwanger war und deswegen nicht wirklich feiern konnte. Wir plaudern über die Stadt, Filme, alles – und irgendwann sind unsere Weingläser leer, und wir steigen um auf Wasser.

 

Weil wir im Gegensatz zu Christopher und Henning vernünftig sind.

 

Nach einigen Stunden kommen die Männer, komplett erschöpft, unten an. „Seid ihr mit allem fertiggeworden?“, hakt Kim mit eiserner Stimme nach und Henning nickt eifrig.

 

Ich kralle mich am Blatt der Kücheninsel fest, an der wir auf Barhockern sitzen, als mein Freund mich ins Visier nimmt und ganz langsam auf mich zukommt, meinen Blick sucht. Ich bin irgendwie nervös. Auch, weil ich keine Ahnung habe, was der Powerfrau Kim jetzt wieder vorschwebt, und ob sie sich schon wieder vor Christopher aufbauen wird. „Niko und ich haben euch gnädigerweise etwas von den Currys übriggelassen, falls ihr es essen wollt“, äußert Kim irgendwie abfällig.

 

„Danke, Schatz“, kommt es gar gehorsam von Henning.

 

Christopher sagt nichts, steht jetzt direkt neben mir. Ich starre den Reißverschluss seines Hoodies an und kämpfe in meinem Innern gegen so viele Emotionen. Urplötzlich greift er nach meiner Hand, und ehe ich reagieren kann, führt er sie zu seinem Mund und haucht mir einen Kuss auf meinen Handrücken. Unsere Blicke treffen sich, und daraufhin zieht es sich ein bisschen in meiner Brust zusammen. Mein Freund schaut mich jetzt nicht mit Rehkitz-, sondern mit bettelnden Hundeaugen an. „Tut mir leid…“, raunt er, während sein Daumen zärtlich über meine Finger fährt, und er mir dann einen zweiten Kuss auf meine Knöchel haucht.

 

Christopher denkt offenbar nicht ansatzweise daran, meine Hand wieder loszulassen, und ein Teil von mir begrüßt das. Ein anderer will ihn wegstoßen und zur Sau machen. Aber mir bleiben alle bösartigen Bemerkungen irgendwie im Halse stecken – wahrscheinlich auch, weil ich weiß, dass das hier einfach nicht der richtige Ort dafür ist.

 

„Natürlich“, zischt Kim plötzlich zu meiner rechten, ihr Blick auf Christopher und mich gerichtet. „Christopher lässt mal wieder den Charmeur raushängen. Niko – fall bloß nicht drauf rein. Lass dich nicht so schnell um den Finger wickeln…!“, warnt sie mich und funkelt meinen Freund daraufhin gar ein wenig giftig an. Henning isst schweigend das Lammgericht, und Christopher… Christopher wird sauer.

 

„Kim, bei allem Respekt…“, wiederholt er seine vorhin geäußerten Worte und klingt dabei, als hätte er die allergrößte Mühe, die Lautstärke seiner Stimme so weit unten zu halten, „ich weiß, dass ich eure Pläne mittorpediert habe, und das tut mir leid. Ich verstehe, dass du gestresst bist vom Umzug und der ganzen Situation rund um die Fusion – das sind wir alle – aber nimm dir deswegen bitte jetzt nicht heraus, dich in die Beziehung von Niko und mir zu mischen“, sagt er im scharfen Ton.

 

Kim schnaubt, und ich möchte einfach nur noch hier weg, weil jetzt so eine heftige Spannung in der Luft liegt, dass mir fast schlecht wird. So wie gestern von Christophers Fahne. „Lass und nach Hause, du kannst dir ja was vom Curry einfach mitnehmen“, entscheide ich deshalb schnell, entziehe Christopher meine Hand und rutsche vom Hocker.

 

Henning nickt mir zum Abschied still zu, und er tut mir fast ein bisschen leid, denn Kim – das wissen wir alle – ist noch längst nicht fertig mit ihm. Mich drückt die Brünette. „Niko, vielen, vielen lieben Dank für deine Hilfe. Ich werde mich auf jeden Fall revanchieren. Und denk dran“, wispert sie dann noch konspirativ in mein Ohr, „lass ihn zappeln.“

 

…nur leider weiß ich nicht, ob ich das wirklich noch möchte.

 

„Christopher, nimm es mir nicht übel, aber ich hoffe, ich sehe dich jetzt erstmal eine ganze Weile lang nicht wieder“, richtet Kim ihr kühles Wort dann an meinen Freund, umarmt ihn aber trotzdem zum Abschied.

 

„…das hoffe ich auch“, entgegnet Christopher und lächelt bitterkalt.

 

Und dann gehen wir. Ich runzele die Stirn, als Christopher mich zum Taxi führt, dass er eben per App bestellt hat. „Mein Wagen steht noch an der Kanzlei…“, erklärt er dann leise, und ohne mir dabei in die Augen zu sehen.

 

„Ah ja…“, murmele ich und steige ein.

 

Wir reden nicht während der Fahrt. Auch die Rückbank eines Taxis ist nicht der richtige Ort dafür. Aber Christophers besorgter, zerknirschter Blick, setzt mir ehrlich gesagt echt zu. Lass ihn zappeln, hallt Kims harte Stimme durch mein mentales Zentrum. Aber… Dafür bin ich nach all dem, was wir letztens durchgemacht haben, wohl einfach nicht der richtige Typ. Insbesondere, weil die letzten Tage so voller Harmonie gewesen sind. Und ich absolut keine Lust mehr auf Stress habe.

 

Ich strecke meine Hand aus und ergreife Christophers, verschränke unsere Finger miteinander. Sein Druck ist fest, dankbar. Dankbarkeit lese ich auch in seinen Augen, als ich kurz in sie blicke und meinem Freund ein leichtes Lächeln schenke, um ihm mitzuteilen: Egal, was gleich noch für ein unangenehmes Gespräch auf uns zukommt – das wird schon irgendwie.

 

Die ganze Fahrt über fährt streichelt er mich mit seinem Daumen. Es ist eine kleine, und doch sehr intime Geste. Sprechen tun wir allerdings erst, als die Haustür hinter uns ins Schloss gefallen ist. „Niko… Es tut mir unfassbar leid“, legt mein Freund umgehend los, als ich noch nicht einmal aus den Schuhen geschlüpft bin. „Ich bin ein Arschloch, ich weiß.“ Ich runzele die Stirn und lege meine Jacke ab.

 

„Können wir uns bitte erst einmal setzen?“, frage ich ihn und gehe hinüber ins Wohnzimmer. Doch dort herrscht immer noch Chaos. Natürlich: Die Jungs hatten ja gar keine Zeit, aufzuräumen. Sind wahrscheinlich fix unter die Dusche gesprungen und dann zu uns geeilt. Ich seufze tief, und Christopher ist unmittelbar zur Stelle.

 

„Ich mache sofort hier sauber, Niko!“, verspricht er. „Wie wäre es damit: Ich lasse dir eben ein Schaumbad ein, du relaxt, und ich beseitige hier alle Spuren des gestrigen Abends. Und dann setzen wir uns zusammen, und du darfst mich so sehr fertigmachen, wie du nur willst… Hm?“ Er spricht ein wenig hektisch, panisch gar. Und das ist fast sogar ein bisschen süß.

 

„Ich will dich gar nicht fertigmachen“, gebe ich zu und schaue ihm dabei in die Augen. „Ich würde gerne nur verstehen, was da gestern passiert ist…“

 

Christopher nickt, etwas peinlich berührt, schaut den Boden an. „Und ich werde versuchen, es dir so gut wie möglich zu erklären.“

 

Ich lasse meine Augen über das halb eingesaute Wohnzimmer wandern, dass wirklich eher nach Teenie- oder Studentenparty aussieht als nach einer Zusammenkunft von zwei Anwälten mitten in ihren 30ern. Christophers hässliche Macho-Lache erklingt in meinem Kopf und versetzt mir wieder so einen leichten Stich in die Brust, und mir brennt etwas auf dem Herzen, das ich schon vor meinem vermeintlich relaxenden Schaumbad loswerden muss. Die Worte fließen von sich selbst aus meinem Mund: „Du warst gestern ziemlich widerlich, Christopher.“ Er schweigt, schaut den Boden an, kaut auf seiner Unterlippe herum, die Arme etwas verkrampft vor seiner Brust verschränkt. „Ich habe dich kaum wiedererkannt“, sage ich, „und das hat mir Angst gemacht.“

 

Seine glasigen Augen bewegen sich und er schaut mich wieder an, wirkt wie geschlagen. Verletzlich und irgendwie auch zerbrechlich. „…tut mir leid…“, wiederholt er, die Stimme unstetig und schwach.

 

Ich schaue den Wohnzimmertisch an, lasse meinen Blick über all diese Flaschen wandern, und muss schon wieder den Kopf schütteln – weil ich wirklich nicht begreifen kann, wie Chris gestern so viel in sich reinschütten konnte. Ausgerechnet Christopher. „Ich lasse mir selbst das Bad ein. Du räumst hier direkt auf“, richte ich wieder das Wort an ihn, und klinge dabei fast ein wenig wie Kim. Obschon Christopher es ja selbst gewesen ist, der diese Aktivitäten vorgeschlagen hat.

 

Schon das Geräusch des in die Wanne fließenden Wassers hat eine sehr beruhigende Wirkung auf mich, und als es sich dann um meinen Körper schlingt, so wundervoll warm und der Schaum knisternd, drifte ich kurzzeitig sogar weg, und wandere durch eine wunderschöne Traumwelt. Das Bad tut mir so gut, dass ich es sogar verlängere, und einen Teil des kalten Wassers ablasse, um es mit frischem und heißem zu ersetzen.

 

Ich kann nicht genau sagen, wie viel Zeit vergangen ist, als die Tür plötzlich aufgeht und Christopher das Bad betritt, ein Glas meines jüngst im Supermarkt entdeckten Maracujasaftes in seiner Hand, welches er mir mit einem sanften Lächeln reicht und sich dann einfach auf dem Boden vor der Wanne niederlässt, auf dem kleinen blauen Badteppich, die Arme auf dem Wannenrand drapiert. Seine rechte Hand wandert ins Wasser, ohne mich zu berühren, und er fährt vorsichtig mit seinen Fingern durch die warme Flüssigkeit, durch die Schaumspuren, als würde er irgendetwas nachzeichnen. Und ich denke mir, dass wir auch einfach hier sprechen können anstatt auf dem Sofa, weil das Wasser mich irgendwie erdet und so sicherlich eine ruhige Konversation ermöglichen wird.

 

„Das mit Adrian gestern“, setzt Christopher nach einer gefühlten Ewigkeit der Stille an, „das war wirklich ein dummes Versehen. Ich war überzeugt davon, dass ich dir schreiben würde. Ich war so sicher, dass ich deinen Chat aufhatte.“ Ich sage nichts dazu, obschon ich natürlich weiß, dass er die Wahrheit sagt, und so ein Chatversehen im betrunkenen Kopf schon mal passieren kann – auch wenn es natürlich richtig bitter ist, dass es eben dieser Ex war, der die Nachricht erhalten hat. Es ist ja auch nicht so, als hätte Christopher Adrian etwas im Sinne von ‚ich vermisse dich und möchte dich wiederhaben‘ geschrieben hat. Mein Freund hatte eindeutig mich und unsere Session gemeint… Christophers Blick wandert nun wieder hoch zu meinen Augen. „Das tut mir wirklich leid, Niko.“

 

„Weißt du“, sage ich dann spiele ein bisschen mit dem nunmehr halbleeren Saftglas herum, „das mit Adrian, so sehr es mich auch aufregt, war nicht einmal das Schlimmste für mich gestern Abend.“

 

„…was war denn das Schlimmste?“, hakt mein Freund kaum hörbar nach und schluckt im Kontrast dazu laut.

 

„Das habe ich dir im Grunde genommen schon gesagt: Dass du so anders warst. Irgendwie ekelhaft.“ Christophers Lippen formen einen dünnen Strich und er nickt bedächtig mit dem Kopf. „Ich meine, nicht nur, dass du es nicht geschafft hast, mich auf dem Laufenden zu halten und ich mir extreme Sorgen um dich gemacht habe – deine ganze Art war einfach so… Bah. Du warst grässlich, mit dieser fiesen Lache, und wie ihr euch mit Henning lustig über irgendwelche Leute gemacht habt und euch gegenseitig beschimpft habt. Ich meine: Paul und ich machen das ja auch manchmal als Scherz. Aber… Die Schiene, die ihr gestern gefahren habt, das war schon echt ne andere Liga. Zumindest das, was ich davon so dann und wann mitbekommen habe. So mega-ratzevoll wie gestern warst du wirklich noch nie…“

 

Mein Freund fährt sich mit beiden Händen durchs Gesicht und seufzt. „Scheiße…“, murmelt er, „ich kann mich kaum mehr an etwas erinnern“, gibt er zu und blickt mich durch die kleinen Räume zwischen seinen Fingern an, ehe die Hände sein Gesicht wieder komplett verlassen. „Ich meine… Ich weiß, dass wir hierher sind, und dass du uns die Tür aufgemacht hast. Aber danach… Fuck. Das ist alles total durcheinander…“

 

Ich bin eigentlich nur ein bisschen entsetzt, weil ich mir so etwas eigentlich schon denken konnte, und liefere Christopher die fehlenden Teilchen seines Gedächtnisses in Form einer Erzählung. Insbesondere die Episode in unserem Bett, als Herr Lang halb-bewusstlos offenkundig über mich herfallen wollte, pinselt ihm einen rötlichen Schimmer auf seine Wangen. „…O Gott…“, nuschelt er, sein Gesicht wieder in seinen Händen vergabend. „Fuck, das tut mir leid, Niko…“

 

„Ja, sagtest du bereits“, meine ich und klinge dabei trockener als geplant.

 

Christopher schaut mir wieder in die Augen. Er ist mittlerweile so ein richtiges Haufen Elend, wie er da so auf dem Badezimmerboden hockt und mit seinem Oberkörper an der Wanne lehnt. „Das mit Henning… Wenn ich mit ihm weggehe… Verliere ich irgendwie immer den Verstand, die Kontrolle“, sagt er dann vorsichtig.

 

„Sagte Kim auch… Woran liegt das?“

 

Mein Freund seufzt tief. „Ich habe keinen blassen Schimmer!“ Wir schweigen eine Weile und dann setzt Christoper zu einer Erklärung an. „Das gestern… Henning und David wollten wirklich nur einen Drink mit mir trinken und nochmal eben über ein paar Dinge sprechen, weil nicht jeder mit seinem jetzigen Arbeitsplatz zufrieden ist, und es intern ein paar Spannungen gibt, an denen wir arbeiten müssen und bei denen sie insbesondere mich um Hilfe gebeten haben. Aber dann wurden aus einem Getränk zwei, und David ist auch endlich ein bisschen aufgetaut, und dann wurden aus Business-Gesprächen plötzlich Private. Und dann ist David von seiner Frau abgeholt worden und wir zwei Idioten wollten noch einen allerletzten Drink nehmen… aber wie das dann so ist: unser Gespräch – über die Zeiten von früher, als wir noch jung und knackig waren – lief so gut, und wir haben so lustige Erinnerungen ausgekramt, dass wir das Ganze noch nicht beenden wollten, als die Gläser leer waren, und dann musste halt noch ein weiteres Getränk her, damit wir noch weiterreden konnten…“

 

„Achja, und dann noch ein Drink, und noch ein Drink… und noch ein Drink?“

 

Christopher nickt. „Ja…“, gibt er voller Reue zu. „Ich kann dir nicht einmal sagen, wer von uns beiden der Schuldige ist, und ob es überhaupt einen Hauptschuldigen gibt. Ich war mir eigentlich auch sicher, dass das mit Henning vorbei ist, und dass wir halt nicht mehr in der Lage sind, zusammen irgendwo zu versacken… Fakt ist aber: ich lag falsch. Und gestern habe ich mich plötzlich wieder wie ein Teenager gefühlt – und das war ein verdammt geiles Gefühl. Die Kanzlei war ganz weit weg, und mit ihr der ganze Arbeitsstress, und auch unsere Probleme der vergangenen Zeit waren wie weggefegt, und es ging einfach nur noch ums Partymachen, über andere Kommilitonen lästern, über die Familie herziehen, über Bücher und Filme schnacken. Wie früher halt. Nur haben Henning und ich tatsächlich immer noch unser Problem: Wenn wir mittendrin sind, kennen wir kein Halt mehr, und… treiben uns gegenseitig irgendwie an, noch mehr zu trinken. Ich weiß nicht… Wie zwei dumme Alphamännchen, so hat Kim das mal ganz treffend formuliert… Ich weiß einfach nicht, warum ich so bin, wie ich bin, wenn ich mit Henning saufe…“ Etwas in Christophers Gesicht verändert sich plötzlich und er sieht mich gar erschrocken an. „Ich wollte mit dem Ganzen eben übrigens nicht sagen, dass der Arbeitsstress oder unser Beziehungsstress dazu geführt haben, okay? Ich versuche nicht, die Schuld jemand anderem in die Schuhe zu schieben und erst recht nicht dir! Ich sage nur, dass das sicherlich einer der Aspekte war, warum ich gestern einfach… einfach so Bock auf nen Trinkabend hatte und nicht mehr aufhören konnte, neben dem ganz normalen Henning-Aspekt…“

 

„..wie viel hattest du denn schon intus, als ihr hier aufgetaucht seid?“ Es überrascht mich natürlich nicht, dass die Dinge zwischen uns auch Chris immer noch zusetzen, aber irgendwie fühle ich mich doch ein wenig schuldig deswegen, obschon ich es seinen Worten zufolge nicht tun soll.

 

Christopher denkt nach. „Wir haben mit drei Bier angefangen, dann sind wir schon in dem Pub auf Whiskey umgestiegen, pur natürlich, zwischendurch gab’s aber auch noch mal einen Martini. Oder zwei. Oder doch drei…? Und ich erinnere mich an ein paar Long Island Ice Tea, weil ich da an dich denken musste, und dir dann wohl auch versucht habe, zu schreiben…“

 

„Jesus… Ein paar?“, wiederhole ich pfeifend und gehe meine Party-Erinnerungen durch und komme zum Schluss, dass Christopher, seitdem ich mit ihm zusammen bin, noch nicht einmal ansatzweise so viel gesoffen hat wie gestern – und hier bei uns ging es dann ja noch weiter...

 

„Ja…“

 

„Und nach so viel Alkohol zusammen mit Henning… mutierst du also zu seinem Arschloch“, stelle ich dann nüchtern fest.

 

„…offenbar…“, meint Christopher leise und fährt mit seinem Finger im Wasser durch eine größere Schaumansammlung. Erst jetzt fällt mir so richtig auf, wie müde er ausschaut. Erschöpft. Zerstört. Wir schweigen eine Weile lang.

 

„Ich bin ehrlich gesagt ein wenig erstaunt, dass du nicht kotzen musstest… Respekt“, versuche ich, die etwas angespannte Stimmung mit einem neckenden Kommentar aufzulockern.

 

Christopher grinst kalt. „…ich habe mich heute Morgen ungefähr drei Mal übergeben, als du schon weg warst…“, gibt er dann zu, und als sich unsere Augen treffen, muss ich sogar kurz auflachen.

 

„Geschieht dir recht“, ziehe ich ihn auf und Christopher nickt einfach nur. „Umso erstaunlicher, dass du die Kraft hattest, Möbel zusammenzubauen, und jetzt immer noch wach bist und in der Lage, mit mir zu reden…“

 

„…ich habe vorhin Koffeintabletten genommen“, gesteht er leicht grinsend. „Mit Red Bull…“

 

Daraufhin muss ich einfach lachen.

 

„Niko…“, richtet mein Freund dann bedächtig das Wort an mich. „Das Ganze… Du…“, er muss schlucken und mir wird klar, wie schwer es ihm gerade fällt, seine Gedanken zu äußern. „Du siehst das Ganze jetzt aber hoffentlich nicht als… weiteren Riss… in meinem herrischen Auftreten oder so an…?“

 

Ich denke kurz darüber nach, und als ich wieder in Christophers Gesicht blicke, seine Züge ängstlich und besorgt, macht mein Herz einen kleinen Sprung in meiner Brust, und ich weiß, dass ich ihn später auf dem Sofa zu Tode knuddeln werde. Hier in der Wanne lege ich aber einfach nur eine Hand auf seinen Unterarm und drücke einmal fest zu. „Nicht wirklich“, antworte ich ihm dann im sanften Ton, und ich lüge nicht. „Klar: Ich fand dich gestern echt widerlich und ich bin entsetzt, dass irgendwo in deinem Innern so eine Seite schlummert. Aber das Ganze ist irgendwie anders.“ Jetzt bin ich es, der nach den richtigen Worten suchen muss. „Ich meine… Es kam zwar überraschend mit Henning, aber du hattest mir ja in der Tat schon irgendwann mal erzählt, dass du dir mit eben diesem Kommilitonen die extremen Kanten, wenn man so will, gegeben hast – du hast mir das also nicht verschwiegen, wie du es mit der Putzfrau und den Putzsklaven getan hast.“ Christopher blickt bei diesen Erwähnungen irgendwie beschämt meine leicht aus dem Wasser ragenden Knie an, und ich fahre fort. „Und dass du unordentlich bist, ist einfach so ein fester Bestandteil deines Wesens. Der ekelhafte Chris von gestern, ist es nicht – eben, weil er quasi nur durch die Kombination Henning und literweise Alkohol… erwacht. Macht das Sinn, was ich sage?“

 

Christopher lächelt ganz leicht. „Ich… Ich denke schon.“

 

„Und außerdem bleibe ich bei dem, was ich dir vor einigen Tagen schon gesagt habe: Du bist nicht nur mein Bilderbuchmaster, sondern vor allem mein Freund, und jeder Mensch hat irgendwelche negativen Seiten. Also mach dir keine Sorgen: Ich werde zwar ne Zeit lang deswegen sicherlich schmollen, aber ich falle nicht wieder in so ein Loch und verlange eine härtere Schiene und dann ein Spanking mitten in der Mensa oder so…“ Mein Freund lacht kurz bei diesem Kommentar erleichtert auf, und greift nach meiner auf seinem Arm ruhenden Hand. Er führt sie, wie schon vorhin, zu seinem Mund, und haucht ein paar Küsse darauf.

 

Ich selbst bin ziemlich erstaunt über meine eigene Herangehensweise, denke mir aber, dass vor allem die letzten Tage mit Chris, allein das ganze Code-Red-Wochenende, mir wirklich geholfen haben, einige Dinge in meinem Kopf neu zu ordnen.

 

„Niko… Sag mir bitte, wie ich das wiedergutmachen kann…“, holen Christophers Worte mich zurück in die Gegenwart.

 

„Du könntest damit anfangen, mir zu versprechen, erstmal nicht mehr mit Henning saufen zu gehen“, sage ich und schaue ihm bei dieser etwas hart geäußerten Forderung tief in die Augen. Christopher zögert nicht.

 

„Natürlich“, kommt es aus ihm geschossen wie aus einer Pistole. „Ich fasse Alkohol jetzt erstmal grundsätzlich für eine lange Zeit gar nicht mehr an. Versprochen. Auch nicht bei informellen Treffen mit Kollegen nach der Arbeit. Nicht einmal ein Bier. Gar nichts. Nada.“

 

„Okay“, quittiere ich, zufrieden, dass er so schnell eingewilligt hat, und bin verdammt froh, dass ich Kims Worten beziehungsweise Motto nicht Folge geleistet habe, und meinen Freund nicht weiter habe zappeln lassen, sondern dass wir das jetzt alles direkt im Gespräch klären. Wie zwei erwachsene Menschen. Es kann so einfach sein…!

 

„Ich kann nicht oft genug wiederholen, wie leid mir das alles tut. Vor allem, dass ich einfach so unsere Session über Bord geworfen habe, obwohl ich gewusst habe, wie sehr du dich darauf gefreut hast. Ich habe mich ja auch total drauf gefreut, und ich bereue es total“, spricht Christopher mit eindringlicher Stimme weiter und ich muss dabei lächeln. „Was kann ich noch tun, damit es dir wieder besser geht?“

 

„Du könntest mir morgen was Schönes kochen…“

 

„Gebongt. Nachtisch zaubere ich selbstverständlich auch. Was noch?“

 

„Eine Massage wäre toll…“

 

„Deal. Was noch?“

 

„…du könntest mich jetzt küssen…“

 

Christopher ist offenbar ein wenig erstaunt darüber, dass ich das Kriegsbeil so schnell begraben und seine Nähe spüren möchte. Sein weiches Lächeln zeugt aber auch davon, dass er deswegen unheimlich glücklich ist, und er setzt meinen Vorschlag dann auch sofort in die Tat um, beugt sich vor und presst seine Lippen auf meinen, während seine Hand in meinen Nacken wandert. Es ist ein keuscher kurzer Kuss, und dennoch fühlt er sich fantastisch an.

 

„Verzeihst du mir?“, haucht er gegen meinen Mund, ehe er diesen wieder mit seinem versiegelt.

 

„…habe ich schon längst“, entgegne ich leise, als er meine Lippen wieder freigibt.

 

„…danke…“ Christopher klingt erleichtert. Richtig, richtig erleichtert, dass es mir mittlerweile richtig leidtut, dass ich ihn habe zappeln lassen.

 

„Ich schulde dir auch noch eine Entschuldigung“, sage ich also, und mein Freund runzelt die Stirn.

 

„Wofür?“

 

„Dass ich so blöd war, vorhin auf Kim zu hören, und wir zwei nicht sofort gesprochen haben, als du mit Henning angekommen bist, und dass ich auch nicht ans Telefon gegangen bin. Kim hat sich so hochgefahren und, naja, hat mich damit irgendwie angesteckt. Das war dämlich. Ich bin übrigens auch ein bisschen traurig, dass sie die Blumen weggeschmissen hat. Das war… das war eine Spur zu hart“, erkläre ich ihm und lächele ganz leicht. Doch dieses Lächeln verschwindet sofort wieder von meinem Gesicht, als ich die Härte in Christophers Zügen erblicken kann.

 

„Kim…!“, knurrt er den Namen von Hennings Ehefrau beinahe und schüttelt genervt den Kopf.

 

„Sei bitte nicht sauer auf sie, ich habe ja auf sie gehört“, versuche ich die Brünette in Schutz zu nehmen.

 

„Ja, und ich hoffe, das machst du nie wieder!“, kontert er eine Spur zu hart. Merkt er aber selbst. Seine Gesichtszüge entspannen sich sofort wieder und er blickt mir entschuldigend in die Augen. „Sorry, ich habe gar kein recht, auf dich sauer zu sein und ich bin es auch nicht. Es ist einfach…“ Er seufzt laut und lässt den Kopf etwas resigniert hängen. „Kim ist eine furchtbare Frau“, platzt es dann aus ihm heraus. „Ich weiß, das ist auf den ersten Blick nicht unbedingt erkennbar, aber ich kenne sie ja jetzt auch schon mittlerweile knapp 15 Jahre, und ich sage dir: Sie ist ein fieses Miststück.“

 

„Äh…“, mache ich und bin total verwirrt. „Ich fand Kim eigentlich total nett. Klar, sie war sauer, aber auch zu recht, sagtest du selbst, und, ähm, ja… wie gesagt, das mit den Blumen fand ich in der Tat etwas zu hart, und das mit dem ‚lass die Männer zappeln‘ nicht unbedingt gut in unserem Fall, aber… Das ist ja jetzt nicht das erste Mal, dass sie euch so erlebt hat, und jetzt waren ja wirklich noch die Kids involviert: Da kann man schon verstehen, dass sie halt extrem frustriert ist… und dann vielleicht halt mal überreagiert.“

 

„Ja, sie hat jedes gute recht, sauer auf Henning und mich zu sein, das stimmt schon. Aber Kim ist jemand, der sich dann an Henning rächt, anstatt Probleme verbal zu lösen, und das nicht nur, wenn er mit mir abstürzt. Und sie rächt sich auf eine richtig üble Art und Weise, die für mich schon ein Trennungsgrund wäre…“

 

„…meinst du etwa das Wegschmeißen von Panini-Stickern?“

 

Christopher schnaubt kalt-amüsiert. „Hat sie dir also davon erzählt?“ Ich nicke, und Christopher sagt: „Das war ja noch eine der harmloseren Aktionen…“

 

„…aha?“

 

„Ich finde es schon total daneben, dass sie Henning wie ein Kleinkind behandelt und ihn, wenn sie sauer auf ihn ist, zunächst komplett ignoriert; einfach jegliche Form von Gesprächsversuchen abblockt, keine Entschuldigungen annimmt, und das Ganze manchmal so lang durchzieht, bis ihn das völlig zermürbt. Und das Schlimmste dabei ist, dass sie das auch tut, wenn Henning eigentlich gar keinen Mist gebaut hat. Kim lebt ihre Frustrationen an ihm aus, darüber, dass sie ihren Job in der Apotheke aufgegeben hat, um Vollzeitmutter zu werden. Davor… Keine Ahnung. Kim war schon immer frustriert, nicht zufrieden mit sich selbst, und das hat sie schon immer an Henning ausgelebt. Es gab schon Abende, da sind wir mit mehreren Leuten unterwegs gewesen, und Henning hatte seine Liebste tausendfach gefragt, ob das in Ordnung für sie wäre, was sie ständig bejaht hatte – und dann plötzlich klingelt sein Telefon ununterbrochen an dem Abend und sie fragt stündlich, wann er wieder zu Hause sein wird. Henning haut superfrüh ab – und ist dann trotzdem der Arsch und kriegt von Madame tagelang die kalte Schulter gezeigt…“

 

„…Äh… Wow? Zu mir sagte sie, sie sei keine dieser Ehefrauen, die ihrem Mann den Gang in die Kneipe verbietet…“

 

„Das hängt halt immer von ihren Launen ab…“, sagt Christopher im bitteren Ton.

 

Ich bin tatsächlich ein wenig überrascht von dieser Erzählung – und will natürlich mehr wissen „…und, äh, was war jetzt schlimmer als die Panini-Sticker-Aktion?“

 

„Sie hat mal seine wichtige Hausarbeit komplett vom Rechner gelöscht samt aller Back-ups, damit er das Wochenende vor Abgabe nicht auf die Idee kommt, saufen zu gehen oder sich sonst irgendwie mit Freunden zu amüsieren, sondern das Ding nochmal von A bis Z schreibt. Ich glaube der Auslöser dafür war, dass er irgendein Jubiläum der beiden verpennt und sich mit ein paar Freunden an dem Tag zum Bowlen verabredet hatte.“

 

Ich schlucke. „Das ist… echt übel.“

 

„Sie hat auch schon mal sein Lieblings-Playstationspiel verkauft. Und einmal – und das ist richtig brutal – hat sie ein Video von Henning aufgenommen, als er nach einem Abend mit mir vollkommen breit nach Hause gekommen ist, und es, naja, leider nicht mehr bis zur Toilette geschafft hat, um sich… den Abend noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen… und dann halt vollgereihert auf dem Boden saß und irgendwelchen Mist gefaselt hat. Und dieses glorreiche Video hat sie dann seinem Vater geschickt, der ähnlich wie mein alter Herr sehr strikt war, und daraufhin enorm viel Druck auf seinen Sohn ausgeübt hat, damit gedroht hat, ihn zu enterben und all so witzigen Kram. Richtig perfide finde ich auch, dass sie dieses Video dann auch selbst noch als Druckmittel genutzt hat. Sie hat immer wieder damit gedroht, es an gewisse Personen zu schicken, sollte ihr Ehemann, beziehungsweise damals noch Freund oder schon Verlobter – das kriege ich jetzt nicht mehr richtig zusammen – wieder irgendwelchen Mist bauen oder einfach nicht das tun, was sie von ihm verlangt.“

 

Ich bin baff. „Heilige Scheiße. Ist das wahr?“

 

„…sonst würde ich es dir nicht erzählen.“

 

„Wow…“, murmele ich und starre das Wasser an. „Das schockiert mich jetzt irgendwie… Weil…“

 

„Ja, ich weiß“, unterbricht Christopher mich, „wenn man Kim kennenlernt, ist man eigentlich total begeistert von ihr. War ich auch. Bis sie sich das erste Mal so an Henning gerächt hat und es irgendwann zur Norm wurde, dass er sich bei mir ausgeheult hat, weil Kim ihn mal wieder tagelang ignoriert hat und er nicht einmal wusste, was er schon wieder falsch gemacht haben sollte, weil sie es ihm ja auch nicht gesagt hat.“

 

„Oh…“

 

„Kim stellt sich saugern als Opfer da – ist aber viel öfter Täterin, weißt du?“, fasst Christopher seufzend zusammen, und ich versuche, das Ganze zu verarbeiten.

 

„Warum…“, entfährt es mir dann. „Warum hat er sie dann überhaupt noch geheiratet? Wenn sie so schlimm ist?“

 

Christopher zuckt mit den Schultern. „Weil er ein Idiot und aus unerklärlichen Gründen in sie verliebt ist. Und wohl auch, weil er sich irgendwann angefangen hat einzureden, er würde sonst keine andere finden, weil nur sie seine ganzen Macken akzeptieren würde und Ähnliches. Henning ist ein toller Typ, mit dem man verdammt gut reden kann, aber er hat verdammt viele Komplexe, weiß der Teufel warum, die er mit seiner manchmal sehr überheblichen Art bekämpft. Das macht ihn zwar auch irgendwie zu einem guten Anwalt, er prescht immer nach vorn und kann gut bluffen, aber im Privaten eckt er damit bei vielen an – und durch seine ganzen Komplexe lässt er sich halt von Kim oft behandeln wie das letzte Stücke Scheiße. Achja: Und er hat sie geschwängert, das ist natürlich auch ein Grund für die Hochzeit.“

 

Und plötzlich macht die beiläufige Bemerkung über den unromantischen Antrag ohne Ring auf dem Sofa ein bisschen Sinn. „Mann…“, schnaufe ich, und weiß gar nicht, was ich noch anmerken soll.

 

Mein Freund sucht meinen Blick. „Versprich mir, dass wir uns auch in Zukunft – wenn wir fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre zusammen sind – weiterhin zusammensetzen werden, um über unsere Probleme zu sprechen – und zwar so schnell wie möglich, und dass wir uns nicht in irgendeiner blinden Wut anfangen zu ignorieren und den anderen eben so zappeln lassen, um ihm eins auszuwischen. Ich weiß, dass du manchmal so deine Probleme mit ernsthaften und vielleicht auch sehr unangenehmen Gesprächen hast… aber du merkst ja selbst: sie bringen uns etwas. Oder nicht?“

 

Ich nicke heftig, auch weil ich ein wenig überwältigt bin, dass mein Freund mir damit quasi in Aussicht stellt, dass er sich vorstellen kann, fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre mit mir zusammen zu sein… „Versprochen.“ …und plötzlich fällt mir ein, was Kim mir über Adrians Lektion nach einem Christopher-Henning-Besäufnis erzählt hat. „…Adrian hat sich auch mal an dir gerächt. Hat Kim erzählt…“, fließt es aus mir heraus, ehe ich diese Bemerkung überdenken kann.

 

Christopher schweigt und mustert mich mit einem prüfenden Blick, wahrscheinlich, weil er irritiert darüber ist, dass ich seinen Ex schon wieder verbal herauskrame, und dann auch noch in einem solchen recht intimen Moment. Er antwortet dennoch, nachdem ich meine Frage nicht zurückgezogen habe, weil ich nicht unbedingt weiß, wie ich das jetzt noch machen soll. „Ja, er hat unser gemeinsam geplantes Wochenende mit jemand anderem verbracht“, bestätigt er dann Kims Erzählung. „Übrigens hat ihn Kim dazu angestachelt…“, fügt er ruhig hinzu, „und als er dann ein weiteres Mal auf sie gehört hat, und meinte, mich wegen irgendwelcher Scheiße mit einer ähnlichen Ignorier-Taktig zermürben zu wollen, habe ich ihn ordentlich zur Sau gemacht, und er hat es kein weiteres Mal versucht.“

 

Ich grinse, weil mir der Gedanke, wie Christopher Adrian ordentlich zur Sau macht, ein wenig gefällt…

 

„Ich werde sowas nicht machen“, wiederhole ich dann noch mein Versprechen und schaue ihm dabei tief in die Augen. Christophers Lippen gleiten in ein sanftes Lächeln.

 

„Ich weiß“, sagt er dann, „es tut trotzdem gut, das zu hören. Und ich verspreche dir, dass ich dich nie wieder wegen einem Besäufnis mit Henning versetzen werde, und ich werde daran arbeiten, dass diese Eskalationen endlich ihr Ende finden, weil ich ehrlich gesagt nicht möchte, dass du mich in einem Zustand erlebst, in dem du mich eklig findest…“

 

Ich seufze. „Ich will aber nicht wie Kim sein, und dir Dinge komplett verbieten…“

 

Christophers Hand berührt meine Wange und streichelt mich ganz sanft dort. „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun“, meint er dann mit warmer Stimme. „Du hast mir nie gesagt, dass ich nicht mehr mit Henning saufen darf. Du hast mich nur gebeten, es erstmal nicht zu tun, und dem komme ich zu gern nach. Dass ich das in Zukunft idealerweise komplett unterbinden möchte, und damit meine ich unsere kompletten Abstürze und kein zivilisiertes Trinken, ist mein persönlicher Wunsch, okay?“

 

„Okay…“, gebe ich schwach zurück und erwidere sein Lächeln.

 

„Und jetzt steig aus dem Wasser, das ist ja schon ganz kalt“, fordert mich mein Freund auf. „Außerdem muss ich echt aufs Sofa…“, fügt er etwas amüsiert hinzu, und mir fällt mal wieder auf, wie fertig Christopher eigentlich gerade aussieht.

 

Und so ziehen wir aufs Sofa um und kuscheln. „Die Session…“, setze ich an und ernte ein kaum hörbares „Hm?“ von Christopher, der die Augen geschlossen und seine Arme um mich geschlungen hat und innerhalb weniger Minuten fast eingeschlafen ist. „…wann holen wir denn Session nach?“, frage ich heiser.

 

Christopher hebt langsam seinen Kopf, um mir in die Augen blicken zu können. „…morgen. Nachdem ich ausgeschlafen habe“, verspricht er.

 

…und er hält sein Versprechen, nachdem ich ihn bis circa 16 Uhr ausschlafen lasse. Er gibt mir ein ordentliches Spanking. Bedeckt die Haut meines gefesselten Körpers mit heißem Wachs. Zwingt den Monsterdildo in mich hinein. Schiebt mir seinen Schwanz in den Mund und lässt mich seinen Saft schlucken. Und ist am Ende so gnädig, dass er mir die Keuschheitsvorrichtung abnimmt und es mir erlaubt, mich vor seinen Augen anzufassen und den Druck loszuwerden – aber nur, nachdem ich ihm verspreche, mein Sperma von seinen Stiefeln zu lecken.

 

…und auch ich halte mein Versprechen.

 



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Kommentare zu dieser Fanfic (317)
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Von:  ReinaDoreen
2022-01-31T15:39:55+00:00 31.01.2022 16:39
Ich bin gefühlte Ewigkeiten nicht mehr hier gewesen und wie ich sehe, ist es auch schon lange her, das ein neues Kapitel erschienen ist. Wird denn die Geschichte noch fortgesetzt?
LG reni
Von:  -CherrySperm-
2019-05-02T04:37:10+00:00 02.05.2019 06:37
Ich habe deine Story die letzten Tage erfolgreich durchgesuchtet und bin begeistert von den beiden, ich fieberte bei jedem Streit mit, bei den manchmal etwas kopflosen Aktionen der beiden und ach bei allem
Ich freue mich schon auf weitere fesselnde, Wortspiel beabsichtigt ;), Kapitel über die beiden

Von:  BurningSuns
2019-04-06T16:43:46+00:00 06.04.2019 18:43
Freut mich wirklich, dass Du weiter schreibst. Ich war unheimlich froh, als ich hier eines Abends das Update gesehen habe.
Ich schließe mich da KillaKyo total an, was die Keuschhaltung angeht: ich lese sehr gerne mehr dazu.

Mal so als Randnotiz- was würde ich nicht für so einen Putzsklaven geben D:
Von:  Schwabbelpuk
2019-03-01T02:13:11+00:00 01.03.2019 03:13
Wie die Vorredner komme ich einfach nicht daran vorbei, dir zu schreiben, wie außergewöhnlich toll dein Schreibstil ist. Ich war mit jeder Zeile gespannt, wie es weitergehen würde. Hut ab! Dein Talent steht wirklich außer Frage.
Zu der Story sag ich mal im ersten Kapitel noch nichts, aber ich finde Christopher als Charakter wirklich sehr, sehr interessant.
Lg.
Von:  G-Saite
2019-01-25T21:03:33+00:00 25.01.2019 22:03
Einen wundervollen Abend,

ich hab ein bisschen darüber gebrütet, was ich schreiben könnte. Das Eifersuchtsdrama fand ich wie gesagt sehr unsympathisch. Das hier auch. Damit sind die beiden Hauptfiguren also erst mal quit.

Dennoch war ich gut unterhalten...

Ähm. Fünf, zehn oder sogar fünfzehn Jahre lang 24/7? Da blieb mir dann doch die Spucke weg.

Mir hat übrigens die Beschreibung von Kims Figur gut gefallen. So was ist mir zuvor noch nicht begegnet.

Von:  KillaKyo
2019-01-23T06:23:56+00:00 23.01.2019 07:23
Diese Story ist wirklich der einzige Grund warum ich mich noch nicht abgemeldet habe und jedes Mal wenn die Update Email kommt, startet der Tag super :D danke dafür !!
Freu mich auf die kommenden Kapitel und ich hoffe (sehr) dass die beiden die Keuschhaltung noch sehr lang und gerne und intensiv betreiben ;)
War ein spannendes Kapitel, ich bin immer wieder überrascht was für Seiten unser Chris so von sich preisgibt
Von:  Lorelai28
2019-01-14T12:21:00+00:00 14.01.2019 13:21
Hallihallo,
du kannst doch jetzt nicht einfach nen Cliffhanger machen ;-) War wieder ein tolles Kapitel und bin schon gespannt auf das Nächste und wie es weitergeht. Das Gespräch zwischen den Beiden war überfällig. Na mal sehen, was es mit Karamellauge auf sich hat. Du schreibst echt super und realistisch. LG
Von:  G-Saite
2019-01-13T19:33:41+00:00 13.01.2019 20:33
Grüße zum ersten Kapitel im neuen Jahr!

Ich fühle beim Lesen ehrlich gesagt immer so sehr mit, dass ich viel entspannter bin, wenn es die Handlung auch ist. Aber, und ich möchte es mal ganz plump sagen, Du hast es halt drauf, und jetzt gibts nen Cliffhanger.

Ich freue mich sehr darüber, dass es weitergeht. Karamellauge gegen arktisches Blau - wer wird dominieren?
Von:  G-Saite
2018-11-10T12:43:05+00:00 10.11.2018 13:43
Einen herzlich schönen Tag wünsche ich Dir,

beim Lesen habe ich mich gefragt, was ich in meinem (vorerst) abschließenden Kommentar überhaupt erwähnen soll, was nützt mein persönliches Empfinden im Gegensatz zu konstruktiven Einwürfen?

Da ich bis hierhin dabeigeblieben bin, hat mir die Geschichte natürlich gefallen, keine Frage. Bis auf wenige Male war ich begeistert von den Personenbeschreibungen und wie authentisch sie waren. Auch die Ausdrucksweise hat mich angesprochen, später wurde sie zwar vulgärer, aber alles in einem für mich vertretbaren Rahmen. (So viel zur Meinung - es ist ja Deine Sache, wie Du das aufziehst.)

Eigentlich möchte ich nicht zu sehr mit dem Wort "authentisch" um mich werfen, denn wie realistisch kann so eine limitierte Darstellung eines BDSM-Konzepts sein? Man schaut als Leser im Endeffekt auch nur auf bestimmte Momente. Dennoch denke ich, ist die Gesamtdarstellung gut getroffen. Wie realistisch - das kann ich nicht beurteilen und brauche ich auch nicht. Für mich kommt es darauf an, dass ich mir beim Lesen nicht ständig denke, wieso zur Hölle jede einzelne Darstellung so unglaublich überspitzt ist.

Ich habe wirklich versucht, mich der Geschichte so unvoreingenommen wie möglich zu nähern. Das Klischee vom Sub, der bestraft werden will, ist allerdings eins, bei dem mir das schwerfällt. Andererseits ist dieses 24/7-Konzept sowieso eines, in das sich wahrscheinlich viele Menschen nicht reinversetzen können, die es nicht selbst leben würden oder sogar tun, nehme ich an. Gelegentlich hab ich mich dabei erwischt, wie ich über Nikos devotes Verhalten den Kopf geschüttelt hab. Andererseits... wer weiß, was noch kommt. Ein Niko, der selbstbestimmter leben möchte? Gerade was das angeht, bleibe ich natürlich gespannt.

Wenn ich es bewerten müsste, würde ich sagen, dass Christopher durchaus immer wieder Grenzen überschreitet. Jemand kann eine Woche lang nicht sitzen, freut sich auch noch darüber und ein bisschen Salbe soll das ausgleichen? Nun, wie gesagt, es ist eine Bewertung von jemandem, der hier ganz andere Maßstäbe ansetzen würde. Diesbezüglich hätte ich mir gerne mehr Einblicke in die Regelungen zwischen den beiden gewünscht. Haben sie überhaupt eine getroffen, was Bestrafungen angeht, die zu blutenden Wunden führen?
Positiv finde ich jedenfalls, wie gut sich Christopher abgrenzt und z. B. bei der Sache mit dem Handy nicht sofort zu einer Bestrafung übergegangen ist.

Mir gefällt sehr gut, dass immer wieder der Sicherheitsaspekt genannt wird. An einer Stelle vermisse ich ihn allerdings: Ein kleiner Disclaimer Deinerseits, hast Du Dir das mal durch den Kopf gehen lassen?

Finde ich den Inhalt zur hart? Nein. Warum? Angenommen, ich kannte jemanden, der so eine Form der Beziehung führt, würde ich mich schon für meinen eigenen Seelenfrieden darauf verlassen, dass sie in alles freiwillig einwilligt. Man kann nun mal nicht alle retten...

Ich werde dranbleiben und verweile gespannt.
Von:  G-Saite
2018-11-09T13:51:26+00:00 09.11.2018 14:51
Wie Dir aber auch immer wieder was Neues einfällt.


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