Christopher und Ich von SummoningIsis ================================================================================ Kapitel 15: 15 -------------- „Ich will einen klaren Kopf haben, wenn ich dich später vögel.“ Wie konnte ich bei dieser Äußerung ruhig bleiben? Wie sollte ich mich zusammenreißen, wenn meine Gedanken immerzu nach diesen Worten griffen und sie erneut abspielten, wie ein auf Repeat gestelltes Lied, von dem man nicht genug bekommen kann; eine sich immer weiter drehende Platte, die Hitze generiert und sich einfach weiter bewegt, so lange man nicht interveniert. Bis alles brennt. Und ich war unfähig, in diesen mentalen Prozess einzugreifen, während Christopher wieder in seine Lederschuhe schlüpfte und nach seinem Mantel griff, während er abermals meine Wohnung abschloss und wir die Treppen hinunter stiegen, zu seinem Wagen gingen. Ich konnte seine dunkle Reisetasche nicht vergessen, die jetzt direkt neben meinem Bett stand; aus der Christopher zuvor seine legerere Kleidung genommen hatte; in der noch weitere Dinge verstaut waren. Was für Dinge? Wir hielten an einer roten Ampel. Christopher legte seine Hand auf mein Knie. Einen Moment lang herrschte Stille. „Nervös?“, fragte er mich dann leicht spitzbübisch und grinste. „Ein wenig…“, gab ich zu, ohne den wirklichen Grund zu nennen, den ich in diesem Moment sowieso nicht hätte konkret formulieren können. Was bewahrte er in der Reisetasche auf? „Keine Sorge“, fuhr er fort und seine Hand verließ mein Knie, da sie nun wieder die Gangschaltung bedienen musste, als das Auto sich erneut in Bewegung setzte. „ich benehme mich schon nicht daneben“, beendete er den Satz amüsiert. Ich schmunzelte. Und konnte mir keine Situation ausmalen, in der er sich daneben benehmen könnte. Aber wie würde er sich nach der Party verhalten? Wenn wir allein sein würden. Erneut war ich in einem emotionalen Wechselbad gelandet. Szenarios überschlugen sich wild. Bis alles nur noch eine wirre, zuckende Masse an Gedanken darstellte, als wäre es ein Graben gefüllt mit orientierungslosen Würmern, die in der Dunkelheit gefangen waren und unkoordiniert übereinander krochen. Ich durfte nicht daran denken. Ich bemerkte, wie Christopher mich bereits aus dem Augenwinkel heraus beobachtete. Ich durfte diesen Abend nicht ruinieren. Vor allem nicht, weil ich ihn das erste Mal meinen wenigen Freunden vorstellen würde. Wieso hatte ich an dieses signifikante Erlebnis keinen Gedanken mehr verschwendet? Es ausgeblendet, wie schon die potenzielle Angst vor dem Test? Wir hielten an und ich sprach mir Mut zu, den Anschnallgurt lösend. Als ich mich zu Christopher drehte, lächelte dieser. Seine Finger fassten zärtlich unter mein Kinn und er drückte mir einen sanften, kurzen Kuss auf meine Lippen. Es war einfach nur ein kleines Streicheln, kaum bemerkbar. Und doch löste es ein angenehmes Kribbeln in meinem Bauch aus. Ich seufzte grinsend und sprach mir zu, die kommenden Stunden zu genießen. Hatte ich nicht mit Christopher angeben wollen? Ich beäugte seine imposante Statur ein weiteres Mal, als wir uns langsam dem Pub näherten. Christopher hatte etwas abseits geparkt, in einer schmalen Gasse. Nun überquerten wir die spärlich befahrene breite Straße, die direkt zur Uni führte. Doch an die Hochschule war keine Zeit zu denken. Wie ein Gentleman öffnete er mir die Tür unseres Zielortes und ließ mich als erstes eintreten. Ich schaffte es noch ein vages „Danke“ zu hauchen, bevor ich von den Musikklängen und dem Rauschen reger Konversationen wie von einer Wolke eingenommen wurde. Der Pub war zwar neu, bei den Studenten allerdings schon sehr populär. Vielleicht lag das auch an den freien Schnaps-Runden, von denen wir heute noch viele erleben sollten… Ich ging entlang der Theke weiter in den großen Raum hinein. An den Wänden hingen lauter Bierdeckel, irische Flaggen, einige akustische Gitarren, deren Saiten wohl seit Jahren schon niemand mehr zum Klingen gebracht hatte; einige Leute spielten Dart in der hinteren Ecke des Lokals. Die Tische waren aus massivem, dunklem Holz gefertigt. Fast alle Stühle und Bänke waren zu dieser frühen Zeit schon besetzt. „Niko!“, erhaschte ich eine mir bekannte Stimme. „Niko!“, rief Frank mir nun lauter zu und ich entdeckte ihn an einem der etwas längeren Tische, die auf einer höheren Ebene platziert waren, zu der man über drei Treppenstufen gelangen konnte. „Da hinten“, sagte ich zu Christopher und er nickte einfach nur, bedeutete mir, weiter zu gehen. Frank war der einzige, der auf uns wartete. Und irgendwie war ich wegen dieses Umstandes ziemlich froh, da Frank mein engster Freund war und ich ihm in dieser Situation nun auch als erstes und vor allem in Ruhe Christopher vorstellen konnte. Mein ehemaliger Mitschüler stand auf, als wir an den Tisch herantraten. Er begrüßte mich mit einem festen Handschlag. Der erste große Moment folgte sogleich. „Frank, das ist Christopher“, sagte ich grinsend und deutete auf meinen Freund. Frank lächelte kurz. Die beiden schüttelten sich formal die Hand. Christopher nickte, während er mit dieser freudigen und doch bestimmten Stimme verkündete: „Ich freue mich, dich kennen zu lernen.“ Frank rutschte auf der gepolsterten Bank an der Wand durch, sodass wir ebenfalls auf ihr Platz fanden. Und erst als wir uns setzten, fiel mir ein, dass mein alter Mitschüler mir doch an jenem Abend auch jemanden Besonderen vorstellen wollte. „Wo ist denn deine Sarah?“, fragte ich ihn deshalb auch umgehend. Frank grinste etwas verlegen. „Sie kommt mal wieder zu spät“, erklärte er dann lachend. „Ach, das scheint wohl öfters zu passieren?“, hakte Christopher milde amüsiert nach. Frank trommelte sachte mit seinen Fingern auf dem dunklen Blatt des Tisches. „Also bis jetzt ist sie zu jedem unserer Dates zu spät gekommen“, verriet er dann. „Wobei wir auch erst fünf hatten!“, fügte er unmittelbar hinzu. „Pünktlichkeit kann man lernen“, schmunzelte Christopher und als sich unsere Blicke trafen, war da dieser leichte Schimmer, der wahrscheinlich nur für mich sichtbar war. „Ich hoffe“, fuhr Frank einfach fort. „Allerdings sind all die anderen auch zu spät, da fällt das auch nicht so sehr auf.“ Wie auf Kommando erschien plötzlich dieses lange Mädchen mit welligen, straßenköterblonden Haaren vor mir, beugte sich über den Tisch und hielt mir ein kleines Päckchen unter die Nase, gehüllt in pinkes Geschenkpapier mit weißer Schleife. „Für dich!“, sagte Mareike kichernd. „Hast du gekifft?“, fragte ich sie emotionslos und Frank lachte laut auf. Mareike hingegen verdrehte die Augen und drückte mir das Päckchen ruppig in die Hand. „Oh, Herr BWL-Student, bitte entschuldige, dass ich Biologin trotz meiner wissenschaftlichen Karriere noch nicht meine Lebensenergie verloren habe und Sinn für Humor beweisen kann!“ Mit diesen Worten ging sie einen Schritt zur Seite, sodass sie nun genau Christopher gegenüber stand. Sie hielt ihm ihre Hand entgegen. „Hi, ich bin Mareike und bevor Sie fragen: ich bin 1,78 m groß, ja.“ Er lachte charmant, stand auf, nahm ihre Hand und sah ihr direkt in die Augen. „Hallo Mareike, ich bin Christopher, Nikos Freund, und für dich ab jetzt ‚du’, alles klar?“ Sie grinste. „Sorry“, murmelte sie dann. „So ne Angewohnheit…“ Damit setzte sie sich ihm direkt gegenüber. Christopher grinste immer noch. „Gegenüber alten Leuten?“, zog er sie auf und Mareike lachte peinlich berührt. „Das habe ich nicht gesagt!“, erwiderte sie dann. Als sie ihn wieder ansah, zwinkerte er ihr zu und sie lachte. Ich starrte auf das pinke Päckchen in meinen Händen. „Mach’s endlich auf“, forderte Frank mich auf. Ich starrte weiter. Da spürte ich Christophers Hand an meinem Nacken. Seine Finger strichen vorsichtig über meine Haut, sodass sich die kleinen Härchen dort aufstellten. „Na los“, forderte er mich mit sanfter Stimme auf. „Sei brav und öffne es“, fügte er flüsternd hinzu. Überzeugt davon, dass mir eine durchaus sichtbare Röte ins Gesicht gestiegen war, riss ich das grelle Geschenkpapier auf, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf das Päckchen zu richten. Eigentlich wollte ich doch keine Geschenke haben… „Eine Quietschente“, kommentierte ich den ausgepackten Fund. „Mit pinkem Hut!“, fügte Mareike total begeistert an. Ich richtete meinen Blick auf sie. „Wie gut, dass ich eine so große Badewanne habe…“, sagte ich sarkastisch. Für einige Sekunden spiegelte sich so etwas wie Unsicherheit in Mareikes Augen wieder. Und dann grinste sie einfach. Schelmisch sagte sie: „Naja, aber vielleicht hat Christopher ja eine.“ Sie wandte sich an ihn: „Hast du eine?“ „Badewanne vorhanden“, antwortete dieser leger und seine Hand wanderte zu meinem Oberschenkel, während er sich etwas zurücklehnte und in meine Richtung grinste. „Na, also!“, fasste Mareike zufrieden zusammen. „Sieh es als weibliche Intuition an“, erklärte sie. Frank lachte kopfschüttelnd. Christopher und ich in der Badewanne… Würde er mich da an die Armatur binden? Müsste ich mit Handschellen baden? Würde er mich schon heute unter die Dusche zerren? Würde er mich heute Nacht schon auspeitschen wollen? „Ich hoffe das war’s mit Geschenken heute, ich will doch einfach nur mit euch trinken“, scherzte ich, dankte Mareike aber dennoch für ihre Geste. „Äh, naja“, setzte Frank an und kramte in seiner grauen Eastpak-Tasche herum. „Sagen wir mal, es ist kein Geschenk, sondern eine kleine Aufmerksamkeit meinerseits, die ich schon angekündigt habe“, sagte er und drückte mir eine Spindel gebrannter DVDs in die Hand. „Meine Best-of-Collection der koreanischen Filme, von denen ich dir erzählt hatte.“ „Ach, wie geil!“, rief ich aus und betrachtete die schätzungsweise 20 Filme, die ich nun besaß. „Horrorfilme?“, hakte Christopher nach. Ich drehte mich zu ihm und nickte begeistert. Er lachte. „Du bist echt süß, was das angeht“, fügte er noch hinzu. Mein Master sagte so etwas zu mir, vor meinen Freunden, mit dieser ehrlichen, wundervoll milden Stimme… „Was kann ich euch bringen?“ Die junge Kellnerin mit kurzen blonden Haaren war an unseren Tisch getreten. Christopher machte mit freundlicher Stimme klar, dass meine Freunde sich ruhig alles bestellen konnten, was sie wollten. Während wir also auf unser erstes Bier warteten, fragte Frank Christopher plötzlich über dessen Beruf aus. Als ich das Wort ‚Arbeit’ hörte, wurde mir kalt. Ich hielt inne. Ich spreche nicht über meine Arbeit. „Ich bin Anwalt. Dank meines Vaters, der ebenfalls Anwalt war, habe ich bereits seit einigen Jahren eine gute Reputation, auch wenn ich noch so jung bin.“ „Wie alt denn?“, kam es von Mareike. Dann nur ein. „Ups! Das fragt man nicht!“ Christopher lachte und antwortete dann seelenruhig: „Ich bin 33.“ „Das ist ja noch wirklich sehr jung für einen Anwalt“, bemerkte Frank nachdenklich. „Ich sagte ja, ich hatte Glück, dass mein Vater so ein hohes Ansehen genossen hat und mir ein vorzügliches Studium mit hohem Praxisteil finanzieren konnte. Ich habe bei meinem Vater gearbeitet und Erfahrungen gesammelt, während meine Freunde noch nicht einmal wussten, ob sie überhaupt mal irgendwann Abitur machen würden. Und mein guter Herr hat mir beinah sein ganzes Vermögen dagelassen, das er über Jahre gesammelt hatte…“, erzählte er weiter. „Was war denn dein krassester Fall?“, hakte Frank nach einiger Zeit interessiert nach. Im selben Moment trat die Bedienung an uns heran und balancierte die Pints gekonnt auf den großen Tisch. Christopher hatte sich ein Ginger Ale bestellt. „Trinkst du denn gar nichts heute?“, fragte Mareike meinen Freund, der den Kopf in Verneinung schüttelte. „Ich bin heute Nikos Chauffeur“, erklärte er. „Außerdem haben wir schon mal allein vorgefeiert“, erklärte ich, weil ich ihren nächsten Kommentar eh schon kommen sah. Doch meine Bemerkung brachte sie nur noch mehr zum grinsen. „Verstehe…“, sagte sie und auch Frank lachte auf. Christopher sagte gar nichts. Und ich dachte an diesen gut versteckten Klub mitten im ruhigen Außenbezirk der Stadt. An die schwarzen Lack- und Latexoutfits. An die Show, die sich vor meinen Augen abgespielt hatte. An das Halsband, welches Christopher mir umgelegt hatte. An seine Worte. Seine Regeln. Wir stießen auf mein Wohl an. Und wie auf Bestellung tauchten plötzlich meine Kommilitonen Paul und Markus auf. Mit einem gemeinsamen Geschenk, dass Markus mir auch direkt in die Hand drückte. Jetzt, wo ich die beiden betrachtete, fiel mir auf, dass sie sogar etwas kleiner als Mareike waren. Die grüne Jacke Pauls kontrastierte mal wieder wundervoll mit seinen roten Haaren. In diesem kurzen Moment, bevor er sie auszog, verstand ich schon, warum in manche Leute auch einfach „Ron“ nannten, mit der Anspielung auf Harry Potter. Ich schmunzelte. Allerdings hatte Paul dann doch das hübschere und vor allem männlichere Gesicht als dieser englische Schauspieler. Markus hingegen war der wohl typische Nerd. Sein braunes, gelocktes Haar war mal wieder viel zu lang geraten, doch er hatte wohl absolut keine Lust, zum Frisör zu gehen. Wenigstens hatte er sich vor einigen Monaten ein moderneres Brillengestell zugelegt, was man wohl auch als elegant hätte bezeichnen können. „Sorry, dass wir so spät sind, uns ist die Bahn vor der Nase abgehauen“, erklärte Markus. „Alles Gute nachträglich!“ „Äh, ja, danke“, entgegnete ich und legte das etwas größere Päckchen erstmal ab. „Das ist übrigens Christopher“, sagte ich dann entschlossener und mein Freund begrüßte meine Kommilitonen mit einem männlichen Handschlag. Paul setzte sich natürlich neben Mareike. Die beiden konnten mir sagen, was sie wollten. Ab und an lief da immer noch etwas. Vielleicht wenn beide gerade niemanden anders hatten. Oder wenn ihnen die Langweile jegliche Sinne raubte und sie es nicht besser wussten. Doch das war eine Angelegenheit, die mich eigentlich absolut nicht betraf. „Pack aus, Mann!“, fauchte Paul grinsend. „Ja, ja, chill’ mal“, entgegnete ich und packte nun schon das zweite Päckchen aus. Es war ein essbarer G-String. Mit einem halbnacktem Mädchen auf dem Cover. Und ein BWL-Buch. „Was für eine skurrile Komposition…“, bemerkte Christopher, als zunächst niemand etwas sagte. Mareike fing an zu kichern und schlug Paul kameradschaftlich auf die Schulter. „Das ist doch auf deinem Mist gewachsen!“, zog sie ihn auf. „Was?! Markus fand die Idee ebenso gut, wie ich!“, protestierte dieser und Frank schüttelte einfach nur ungläubig den Kopf. „Wieso? Wenn er Hunger beim Lernen hat, kann er direkt naschen“, fügte Markus Schultern zuckend hinzu. „Das ist so wunderbar mitfühlend von euch, ich glaube, ich breche gleich in Tränen aus“, sagte ich sarkastisch. Meine Kommilitonen grinsten mich dümmlich an. Ich musste lachen. „Los, bestellt euch was zu trinken“, forderte ich sie also auf. Erneut stießen wir alle an. „Trinkst du nichts?“, fragte nun auch Paul nach und Christopher schüttelte abermals den Kopf. „Er ist Chauffeur“, antwortete Mareike für ihn. „Ah…“, sagte Paul und trank sein Bier still. Ich ließ meinen Blick durch die mittlerweile fast komplette Runde wandern. Es lag in der Natur der Sache, dass ich beobachten wollte, wie meine Freunde meinen festen Partner betrachteten. Ich war neugierig und immer noch aufgeregt. Frank verhielt sich so wie immer. Er war einer der Menschen, die Leuten sofort in die Augen blickten. Dies tat er auch bei Christopher. Sie unterhielten sich gerade quasi hinter meinem Rücken über die Börse. Und ich saß in der Mitte und starrte alle an. „..wie alt ist der…?“, erhaschte ich die Flüster-Konversation von Paul und Mareike. „…oh... aha.“ Ich nahm einen weiteren großen Schluck Bier. Natürlich war unser Altersunterschied nicht zu verdecken. Selbst mir fiel auf, dass meine Freunde viel jünger aussahen, als mein fester Partner. 33 war noch kein hohes Alter und Christopher sah heute Abend in seinem schlichten schwarzen Pulli und der – wundervoll eng sitzenden – Jeans auch eher aus wie Mitte, oder gerade Ende 20, aber es war diese Reife in seinem Gesicht, die sich nicht durch irgendwelche langsam abzeichnenden Falten äußerte, sondern durch einen für mich nicht greifbaren Aspekt, die diese Distinktion verdeutlichte. Vielleicht lag es auch einfach an meinem Wissen, dass diese Gedanken mir durch den Kopf schießen; dass ich meinte, diesen Unterschied zu entdecken. Ich trank weiter. Markus fragte mich wegen des Stundenplans für das nächste Semester – und bekam sofort verbal eins auf den Deckel von Paul, der „auf einer Party nicht über die dämliche Hochschule reden wollte“. Und ich auch nicht. Ich hatte schließlich Semesterferien, in denen ich zwar schon ein bisschen was tun musste, diese Dinge allerdings auf ein Minimum beschränken wollte. Schließlich existierte gerade etwas viel spannenderes in meinem Leben. Ich änderte es gerade. Komplett. Christopher begann, Mareike über ihr Biologie-Studium auszufragen. Sie würde bald eine Auslandsemester wagen und die beide unterhielten sich über Unis in England. Paul hörte zu und Frank und Markus redeten über irgendwelche Computerspiele. Die Atmosphäre war… locker. Ich hätte sogar behaupten können, dass eine gute Stimmung am Tisch herrschte. Ich blickte ein weiteres Mal in die Runde. Niemand starrte Christopher seltsam an. Trotz des Altersunterschiedes passte er plötzlich in meinen Augen in die Runde. Wieso war mir das eben so anders erschienen? Mein Bier war leer. Ich winkte die Bedienung zu uns heran. „Will noch jemand was?“, fragte ich in die Runde. „Jo!“, kam es von den Jungs beinahe gleichzeitig. „Kann ich mir auch nen Irish Coffee bestellen?“, fragte Mareike vorsichtig. „Klar“, entgegnete ich. „Was du möchtest“, fügte Christopher charmant hinzu und das Mädchen grinste. Wenn meine Freunde wüssten, wie Christopher im Privaten manchmal drauf war… Ich dachte an seine Hand, die mir den Hintern versohlte… Wie ich nackt vor ihm kniete. Wie er mir hart in den Hals biss und meine Arme fest pinnte. An die schwarze Reisetasche. Wurde ich wieder nervös? Ich betrachtete ihn von der Seite. Er lächelte. Seine Augen strahlten. Er unterhielt sich nun mit Paul über irgendeinen Autounfall, der gerade von den Zeitungen gepusht wurde, weil diese wahrscheinlich kein anderes Thema gefunden hatten. Natürlich ging es um rechtliches. Und dann fragten Markus und Frank ihn noch wegen irgendwelcher Medienrechte aus. Während dieser Konversation brachte uns die Bedienung die kommende Runde. Ich trank sofort einige Schlücke meines neuen Pints. Diese aufkeimende Nervosität musste unterdrückt werden. „Du hättest ja wenigstens mit mir anstoßen können“, zog Christopher mich mit seinem neuen Ginger Ale in der Hand auf. „Sorry“, murmelte ich und prostete ihm zu. Das Glas klirrte etwas. Und ich genoss einige weitere Schlücke meines Getränks. „Jetzt legst du richtig los, was?“, bemerkte Mareike amüsiert und rührte ihren Irish Coffee um. Ich spürte Christophers Blick auf mir. Als ich ihm in die Augen sah, beugte er sich kurz zu mir und gab mir einen seichten Kuss auf die Wange. Wurde ich wieder rot? Drängte das meine Nervosität in den Hintergrund? Die letztere Frage musste ich mir selbst sogleich mit einem ‚nein’ beantworten. „Wo bleibt denn nun deine Kleine?“, richtete ich das Wort an Frank. Mein Schuldfreund griff seufzend nach seinem Mobiltelefon. „Weißt du, das frage ich mich auch schon die ganze Zeit“, sagte er dann, während er begann eine Nachricht zu schreiben. „Wo hast du die überhaupt kennen gelernt?“ Frank lachte. „Das ist jetzt total doof.“ „Ich stehe auf total doofe Geschichten“, entgegnete ich. Frank legte das Gerät beiseite und machte es mir nach, genehmigte sich großzügige Schlücke seines frischen Bieres. „Ich hab sie in einer total versoffenen Nacht bei dem McDonald’s im Hauptbahnhof kennen gelernt.“ „Wie romantisch!“, flötete Markus, der ihm gegenübersaß, sarkastisch und ich musste grinsen. „Eine Liebe über BigMacs, großartig“, sagte ich und Frank lachte. „Naja, da haben wir nur Nummern ausgetauscht bzw. hat sie mir ihre mit Edding auf den Arm geschrieben. Hab ich dann am nächsten Morgen festgestellt“, erklärte er grinsend. „Lass mich raten“, kam es nun von Christopher, dessen Hand ich plötzlich an meinem Rücken spüren konnte. „Du konntest dich absolut nicht erinnern, wem diese Nummer gehörte und wie sie auf deinen Arm gekommen ist?“ Frank lachte auf. „Vorhersehbar, oder?“, fragte er. Mein Freund nickte. „So ziemlich“, sagte er dann süffisant, grinste aber dabei. Ich bekam eine Gänsehaut. Diese Stimme… Ich griff erneut nach meinem Bier. „Jedenfalls hab ich dann stumpf angerufen und sie konnte sich zunächst auch nicht an mich erinnern und ne Woche später sind wir spontan ins Kino, danach Essen und dann hat’s irgendwie erst so langsam gefunkt“, beendete Frank seine Geschichte. „Und wann seid ihr zusammen gekommen?“, fragte ich. „Vor zwei Wochen oder so.“ „Ah, also alles noch sehr frisch!“, sagte ich grinsend. „Ja, bei euch doch auch, oder?“, gab Frank zurück und sah Christopher und mich an. „Ja, genau“, sagte nun auch Paul. „Woher kennt ihr beiden euch denn?“ „Wir haben uns im Park kennen gelernt“, erklärte Christopher völlig ruhig. Markus und Paul sahen sich an. „Bist du…“, setzte Paul dann in Christophers Richtung an und stockte kurz, so als würde er sich seine Wortwahl noch einmal überlegen wollen. „Bist du der Kerl, dem Niko da ständig aufgelauert hat?“ „Aufgelauert, tse“, bemerkte ich sarkastisch. Christopher grinste. „Ja, was?“, kam es von Paul. „Du bist sogar im Herbst in den Park lernen gegangen, was für ein Idiot macht das denn, bitte?“ Christopher lachte auf. „Mein Idiot macht das“, sagte er dann scherzend und zog mich näher an sich heran. Ich konnte seine Wärme nun spüren. Seine Hand wanderte auf meinen Oberschenkel. Er war so locker, so freundlich. So zärtlich. Er war mein Master. „Und letztendlich hat es sich ja gelohnt, oder?“, richtete er das Wort an mich. „Vielleicht“, sagte ich neckend und meine Freunde lachten. „Warte ab, bis wir nach Hause kommen“, sagte Christopher in einer gespielt empörten Stimme. Ich hielt den Atem an. Meine Freunde lachten und unterhielten sich einfach weiter. Warte ab, bis wir nach Hause kommen. Da tauchte sie wieder auf, die schwarze Reisetasche. Der Gummimaskenmann. Die erregenden Erinnerungen an Christophers harsche Umgehensweise. Die Furcht. Die Geilheit. Schon wieder diese Nervosität. Als ich die grinsende Bedienung mit einem Tablett voll gefüllter Schnapsgläser auf uns zukommen sah, erschien sie mir wie ein Zeichen der Rettung. „Na, Lust auf eine kleine Kostprobe?“, neckte die kurz geschorene Blondine und stellte das gesamte Tablett ab. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“, sagte sie noch. „Wenn ihr noch was wollt, einfach Bescheid sagen. Der Schnaps geht aufs Haus!“ „Wie geil ist das denn!“, rief Paul aus und verteilte prompt die erste Runde der Kurzen. Mir gab er gleich zwei. „Du trinkst alle von Christopher!“, verkündete er. Ich hatte nichts dagegen. Das Zeug brannte ein wenig und verursachte dieses wohlig warme Gefühl. Und Paul verteilte unmittelbar die zweite Runde Kurzer, sodass das Tablett sofort leer war. „Auf Niko!“, verkündete er. Christopher streichelte meinen Oberschenkel, während sich das Gefühl der seichten Hitze weiterhin in meinem Bauch ausbreitete. Wohlige Wärme. Ich kippte den Rest des Bieres hinterher. Schloss kurz die Augen. Der Alkohol begann zu wirken. „Ich bin gleich wieder da, OK?“, kam es von Christopher. „Bringst du mir einen Long-Island-Ice-Tea mit?“, rief ich ihm hinter und er nickte, verschwand in Richtung der Toiletten. „Dein neuer Freund ist ja echt fast das Gegenteil von Marcel“, sagte Frank plötzlich. „Ja?“, hakte ich völlig überflüssig nach. Frank nickte. „Der sieht echt krass gut aus!“, kam es von Mareike. Paul verzog kurzzeitig das Gesicht. Ich musste grinsen. „Ich fass es nicht, dass der Kerl tatsächlich schwul ist“, sagte Markus dann. „Ich meine, du lungerst die ganze Zeit in diesem Park rum, weil du ihn einmal gesehen hast und dann ist er auch noch tatsächlich schwul und ihr kommt zusammen. Wie krass ist das denn?“ „Wenn das Schicksal jemanden zusammenführen will, dann tut es das auch“, sagte Mareike und Paul verdrehte die Augen. „Kein Esoterik-Scheiß bitte“, sagte er. „Esoterik? Was hat das denn bitte mit Esoterik zu tun?“, bemerkte sie empört. Ein belangloses Gespräch entwickelte sich, in denen die beiden sich ihren gegenseitigen Sticheleien hingaben. Frank und ich lachten. Und dann kam plötzlich diese junge Frau auf uns zu und strich sich durch das schulterlange, glatte, kastanienbraune Haar. Ihre dunklen Augen musterten mich zuerst und als sie Frank ansah, grinste sie und die kleine Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen wurde sichtbar, die ihr seltsamerweise stand. Ihr Kleopatra-Make-Up allerdings nicht so recht. „Sorry, es tut mir wirklich leid!“, redete sie sofort los, während sie ihren hellen Mantel ablegte. Sie sah sich in der kleinen Runde rum. „Ich bin Sarah, Franks Freundin“, sie kicherte und wandte sich wieder an ihren Freund. „Tut mir echt leid, Samira war noch bei mir und hat sich totaaaaal wegen ihrem Typen bei mir ausgeheult, da musste ich was mit ihr trinken, sorry!“ „Ist schon OK“, sagte Frank. „Das hier ist übrigens Niko“, sprach er weiter und deutete auf mich. Sie gab mir lächelnd ihre Hand. „Hi, ich bin die Sarah. Herzlichen Glückwünsch, wünsch ich dir!“, sagte sie laut und irgendwie langgezogen. „Danke. Wenn du was trinken willst, bestell dir, was du möchtest, OK?“ „Ja, cool, danke, echt! Ist super lieb von dir“, sagte sie immer noch grinsend und sah wieder in die Runde. Markus warf mir den was-ist-das-denn-Blick zu und ich musste grinsen. So schlimm fand ich Sarah gar nicht. Fast schon irgendwie süß. Nicht so verdammt geil wie Christopher, aber… für Franks Freundin war sie in Ordnung. Kaum hatte ich an ihn gedacht, konnte ich ihn auch schon an der Bar erblicken. Graziös drehte er sich um, das hohe Cocktailglas in seiner Hand und als er meinen Blick erhaschte, grinste er. Sarah erzählte Frank unterdessen aufgebracht von Samira und deren „Dreckskerl“. Doch diese Konversation rauschte an mir vorbei. Mit nur wenigen Schritten erreichte Christopher unseren Tisch und der Drink fand seinen Weg direkt vor meine Nase. „Danke“, murmelte ich und wollte gerade den ersten Schluck trinken, als mir der weitere Gast an unserem breiten Tisch einfiel. „Ach, das ist übrigens Samira. Nein! Sarah“, korrigierte ich mich eilig und grinste die Angesprochene entschuldigend an. Ich konnte das Fünkchen Empörung noch in ihren braunen, schwarz umrandeten Augen erhaschen. Vermutlich wollte sie noch etwas zu dieser misslichen Verwechslung sagen, doch als ihr mein Freund die Hand ausstreckte und sich mit „Christopher“ vorstellte, umfasste sie diese und sagte einfach gar nichts, außer „Hi“. Frank boxte mir spielerisch in die Schulter. Und Markus warf mir seinen typischen ‚oha’-Blick zu. Als ich Mareike ansah, wusste ich sofort, dass sie Sarah nicht leiden konnte. Wie beschrieb man es noch sogleich? Stutenbissigkeit? Sie war umgehend zu erkennen, man konnte diese Aversion unmittelbar spüren. Ich nahm einen großen Schluck des schmackhaften Drinks und versuchte die entstandene, leicht verstörte Atmosphäre dennoch zu ignorieren. Der beginnende angenehme Schwindel erleichterte dieses Unterfangen ungemein. „Stehst du eigentlich auf Long-Island-Ice-Tea?“, fragte ich Christopher. „Ich trinke lieber puren Whiskey. Oder Wein“, antwortete er. „Aha“, machte ich und trank weiter. „Du scheinst ja alles zu mögen, was?“, neckte er mich. „Ich hätte auch nichts gegen eine weitere Runde Schnaps“, erwiderte ich grinsend darauf. Christopher lachte. „Das lässt sich arrangieren“, murmelte er verheißungsvoll und verließ den Tisch erneut. „Er trägt dich auf Händen“, flötete Mareike und lachte. Ich grinste einfach nur dümmlich vor mich hin, doch nur wenige Sekunden später spürte ich plötzlich, wie mich jemand von der rechten Seite antippte. „Hey!“, es war Sarah, die sich über den Tisch beugte und Frank ein wenig zurückdrängte, um näher an mich heran zu kommen. „Wer ist das?“, fragte sie direkt und deutete in die Richtung, in der mein Freund eben erst verschwunden war. Ihre Worte verwirrten mich, hatte sich Christopher doch erst gerade eben vorgestellt. „Wer ist das? Hallo?“, wiederholte sie ihre Frage lauter und aufdringlicher und lachte weiter, mit den Augen rollend. „Äh, das ist Christopher“, antwortete ich kopfschüttelnd. Was für einen Blick Markus mir gerade zuwarf, wollte ich gar nicht erfahren. „Ja, das weiß ich auch, du Genie!“, sagte sie etwas aufgebrachter. „Aber wer ist das? Woher kennst du den?“ „Hä? Das ist mein Freund.“ „Boah“, sie drehte sich zu Frank. „Dein Kumpel kapiert aber auch nix, oder?“ Ich sah meinen Schulfreund an. Und erst dann stellte ich mir die Frage, ob er Sarah überhaupt über die Art der Beziehung, die ich offiziell mit Christopher führte, aufgeklärt hatte. Meine Gedanken strömten eilig durch mein Hirn. Etwas anderes konnte sie doch nicht meinen... Bevor Frank das Wort ergreifen konnte, sagte ich bestimmend: „Das ist mein fester Freund. Was willst du überhaupt?“ Sie blinzelte und fing an laut zu lachen. Dann betrachtete sie mich abermals. „Du verarscht mich doch jetzt…“ Als ich nichts sagte, meinte sie: „Laber nicht!“ Und Frank seufzte. „Na, du bist ja vielleicht ein Held!“, meinte Mareike zu ihm und Markus… grinste einfach nur debil vor sich hin. Natürlich kam das Tablett mit den kostenlosen Schnapsgläsern genau in dieser Lage. Die Blondine des Pubs grinste und ich versuchte sie zu imitieren, doch dieser Akt war mir momentan nicht möglich. Ich erschrak, als Christopher wieder zu mir kam, eine Cola in der Hand. Er setzte sich, legte seinen Arm um meine Schultern und ich konnte Sarahs Blick deutlich auf uns spüren. Frank redete im Flüsterton mit ihr und Paul und Markus hatten angefangen, die kleinen Gläser wieder auszuhändigen. „Oah ne, dieses Mal ohne mich, Jungs“, jammerte Mareike und schob mir ihr Glas zu. „Niko kriegt drei!“, bestimmte sie und Paul fand scheinbar, dass das tatsächlich eine gute Idee war. „So, runter damit“, befahl der Rothaarige und trank sein Mini-Glas mit einem Zug leer. Und wir anderen taten es ihr nach. Ich gleich volle drei Mal. Mittlerweile war mir heiß, der angenehme Schwindel hatte mich komplett eingenommen. Und die Nervosität…? Plötzlich wurde mir bewusst, dass Sarah mich wieder anstarrte. Ich warf Frank einen fragenden Blick zu und er sah mich leicht erschrocken an und zuckte etwas hilflos mit den Schultern. Seiner Freundin wurde unterdessen ein hohes Glas mit einer Menge Eis und einem schwarzen Strohhalm serviert. „Was ist das denn?“, hakte Markus verwundert nach. „Sekt mit Eis“, erklärte sie sofort und begann ihren Drink zu schlürfen. Und zwar ziemlich schnell. Sie grinste meinen Kommilitonen unverhohlen an. „Hatte schon n paar davon mit Samira.“ Dann legten sich ihre Augen wieder auf mich. „Was grinst du denn so?“, hakte sie laut nach und erst in diesem Moment bemerkte ich, dass sich meine Lippen tatsächlich von alleine bewegt hatten. „Nur so“, sagte ich. „Ja ja, du Schwuli, schon klar, hier mit Christopher, ne“, zog sie mich auf und aus dem Augenwinkel konnte ich erkennten, wie Frank die Farbe aus dem Gesicht wich. Um ehrlich zu sein, fand ich diesen Moment eher amüsant als irgendwie beleidigend, weil Sarah scheinbar tatsächlich den Ernst meiner Äußerungen von vor einigen Minuten nicht verstanden hatte. „Sarah“, ermahnte Frank sie nun. „Ja, was?“, schnauzte sie ihn regelrecht an. Christopher räusperte sich und als ich ihm meinen Kopf zudrehte, hob er seine Augenbraue in Skepsis und seufzte kurz. Ich zuckte mit den Schultern. „Hast du was gegen Schwule, oder was?“, ging Markus allerdings auf ihren in Unwissenheit und Naivität geäußerten Kommentar ein. „Ne, ich hab nix gegen Schwule. Wie kommst du darauf? Aber ich lass mich nicht verarschen hier“, erklärte sie lachend. „Wir verarschen dich aber nicht“, sagte ich dann lauter. Und auch Frank mischte sich ein. „Sarah, die sind wirklich zusammen, okay? Thema abgehakt?“ Das Mädchen blinzelte. Ihr Blick wechselte zwischen Christopher und mir. Mein Freund hatte noch immer seinen Arm um mich gelegt. Als ich meine Augen zu ihm wandern ließ, blickte ich in dieses ernste Gesicht; seine Augen spiegelten diese triumphierende Ruhe wieder; er wirkte wie ein Panther, der sich seiner Beute sicher war. „Okay…“, murmelte Sarah dann und stocherte mit ihrem Strohhalm zwischen den Eiswürfeln herum. „Bin ma auf Klo“, erklärte sie und verließ den Tisch. „Alter, sorry“, kam es unmittelbar von Frank, der sich an Christopher und mich wandte. „Die ist irgendwie schon ein bisschen breit und labert dann immer ziemlich viel scheiße…“ „Das ist eine Tatsache, die man definitiv nicht leugnen kann“, entgegnete Christopher mit einer reichlich großen Prise Sarkasmus in seiner Stimme. „Tut mir echt leid…“, wiederholte Frank. „Schon OK“, sagte ich dann. Markus warf mir einen mann-ist-die-scheiße-Blick zu und ich musste lachen. Vielleicht war sie ja doch nicht so nett, wie ich zu Anfang gedacht hatte. Vermutlich lag es am Alkohol… Die Konversationen an unserem Tisch begannen erneut und ich sprach mit Frank über einen Film, der bald erscheinen sollte. Wir überlegten, ob wir ihn nicht zusammen schauen wollten. Ich bemerkte kaum, dass Sarah wieder an den Tisch zurückgekehrt war. Erst als diese viel zu laute und verzerrte R’n’B-Musik plötzlich ertönte, die sich als Klingelton entpuppte, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Franks neue Freundin. Ob das wohl Samira war…? „Ey, Süße, was geht, Mann?“ In Anbetracht ihrer sich nicht ändernden Artikulation fragte ich mich langsam, ob Sarah ihrem Frank intellektuell nicht ziemlich unterlegen war… Ich versuchte, ihrem belanglosen Telefongespräch nicht zuzuhören, wie alle anderen Anwesenden am Tisch, aber ihre dröhnende Stimme übertönte einfach jegliche Konversationsversuche. Vor allem, als sie begann aus voller Kehle zu lachen. „…ey, ja, Mann! Ich… Ich bin hier grad auf nem Tucken-Geburtstag…. Ich schwör!“ Ich erschrak leicht, als Christopher sich plötzlich mit einer einzigen Bewegung über den Tisch beugte und ihr gekonnt das mobile Gerät aus den Hand zog, ihren einzigen Protestschrei vollkommen ignorierend. Das Telefon gab einen Piepton von sich. Das Display erlosch. Und Christopher knallte das abgeschaltete Gerät vor sich auf den Tisch, als er sich wieder setzte. Niemand sagte etwas und auch Sarah brachte plötzlich keinen Ton mehr heraus. Lag es an dieser arktischen Kälte, die Christophers Augen unerwartet versprühten? „Das reicht jetzt“, sagte er mit völlig kalter und so ruhiger Stimme, dass sie mir eine Gänsehaut bescherte, wie sie es bis jetzt schon immer getan hatte. „Du packst jetzt deine Sachen zusammen, gehst an die Bar und bezahlst deine Getränke selbst und dann verschwindest du.“ „Ey, gib mir mein Handy zurück, Mann, was ist dein Problem?“ „Sarah, jetzt sei ruhig!“, schnauzte Frank sie unvermittelt mit aggressiver Stimme an, sodass sie fast zusammen zuckte. Christopher richtete nun das Wort an ihn. „Nimm es nicht persönlich, Frank, du scheinst ein netter Kerl zu sein, aber bitte bring deine unterbelichtete Freundin nach Hause und lass sie ausnüchtern. Ich will nicht, dass sie Nikos Geburtstagsparty noch weiter ruiniert“, erklärte er ihm mit harter Stimme. „Keine Sorge“, erwiderte Frank, als er sich bereits erhob. „Das ist mir mega peinlich“, sagte er zu mir. „Ich ruf dich an, OK?“ „Klar“, entgegnete ich, immer noch im leichten Schockzustand über die sich gerade abgespielte Szene. Er nickte den anderen zu. Sarah ärgerte sich lauthals über den „Affen“, der ihr das Handy abgenommen hatte, das sich nun in Franks Hosentasche befand, doch mein alter Schulfreund drängte sie einfach weiter an die Bar. Bis wir sie nicht mehr hören konnten. „Alter“, lachte Markus dann und sah sich nach den beiden um. „Was war das denn bitte?“ „Das, mein Lieber, war so ein Exemplar, das wir in der Biologie als dumme Tusse bezeichnen!“, erklärte ihm Mareike und grinste Christopher an. Mein Herz klopfte wie wild in meiner Brust. Immer noch sah ich diese kalten Augen vor meinem inneren Auge. Ich verspürte weiterhin diese Dominanz, die eben gerade von Christopher ausgegangen war. Ich dachte an die schwarze Reisetasche… „Ich muss eine rauchen“, erklärte Markus plötzlich und schaute Paul an. „Kommst mit?“ Paul nickte. „Bis gleich!“ Und fort waren sie. Christophers Hand legte sich wieder um meine Schulter, er zog mich dichter an sich heran. Ich drehte ihm meinen Kopf zu. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er mich mit milder Stimme. „Denke schon“, entgegnete ich viel zu schnell und mein Freund grinste. „Mach dir wegen dieser Sarah keine Gedanken, okay?“, sagte er dann. „Ja, das ist ne hohle Nuss“, fügte Mareike empört hinzu. „Unfassbar dumm…“, murmelte sie weiter und ich musste lachen. „Echt blöd für Frank“, meinte ich dann nur und musste feststellen, dass ich meinen Long Island Ice Tea schon ausgetrunken hatte. Ich spürte Christophers Blick auf dem leeren Cocktailglas verweilen. „Ich glaub, ich nehm noch einen“, sagte ich laut. Er seufzte. „Bist du sicher?“, hakte er nach. „Ich bin das Geburtstagskind, vergessen?“ Er grinste vage und erhob sich erneut. „Willst du auch noch etwas?“, richtete er das Wort nun an Mareike. „Ich nehm auch so einen Ice Tea.“ „Alles klar“, sagte er und winkte in Richtung der Bedienung. Unerwartet tauchte eine etwas fülligere Person neben ihr auf. Das Mädchen müsste etwa 1,60 m groß gewesen sein und hatte kinnlanges, schwarz gefärbtes Haar. Sie trug ein ebenso dunkles, halterloses Kleid. Die knallrote Perlenkette um ihren Hals passte hervorragend zu den ebenfalls roten, langen Ohrringen, die unter dem schwarzen Haar hervorlinsten. In ihrer Hand hielt sie einen zur Hälfte getrunkenen Pint. „Mareike?“, fragte sie und Pauls Ex bzw. ab-und-an-Freundin drehte sich zu der jungen Frau um. „Ach!“, rief sie aus. „Lisa, oder?“ „Ja!“, rief Lisa begeistert aus. „Mensch, lange nicht mehr gesehen!“ Die beiden Mädchen umarmten sich. „Du studierst jetzt auch hier? Oder besuchst du die Familie?“, hakte Mareike nach, während Lisa sich neben sie setzte. „Nur Familienbesuch. Leider“, entgegnete sie. Dann fanden ihre Augen den Weg zu mir und Christopher. „Hi, ich bin Niko“, stellte ich mich kurzerhand vor und hob signalisierend die Hand, weil ich keine Lust hatte, ihr formal die Hand zu reichen. Um mich herum drehte sich eh schon alles. Ich empfand aufstehen daher als eine Art Risiko… „Christopher“, stellte mein Freund sich vor. Er stand kurz auf, um dem Mädchen die Hand zu geben. Lisa verstummte. Für einen kurzen Moment. „Was kann ich euch bringen?“, erklang dann die Stimme der Blondine, die an den Tisch trat. Christopher bestellte unsere Drinks. Und währenddessen flüsterte Lisa etwas in Mareikes Ohr. Sobald die Kellnerin unseren Tisch verlassen hatte, wandte sich Lisa an „Christopher. Christopher Lang, oder?“ „Ja, das ist richtig. Wir kennen uns?“, hakte er ruhig nach. „Nicht so richtig, aber… Sagt Ihnen der Name Theobald Rüdig noch etwas?“ Christopher dachte kurz nach. „Ah!“, machte er dann und lächelte charmant. „Der Firmenchef aus Ostfriesland.“ „Ja, genau! Das ist mein Onkel. Ich glaube, wir haben uns ganz kurz auf seiner Siegesfeier gesehen“, sprach Lisa erfreut weiter, während mein Hirn noch immer Schwierigkeiten hatte, diese Konversation einzuordnen. Oder sie überhaupt zu verstehen. Der Druck auf meine Blase war kaum mehr auszuhalten. „Ich muss pissen“, murmelte ich und versuchte aufzustehen. Christopher rutschte von der Bank und seine Arme gaben mit Halt, als ich mich vollkommen ungraziös erhob und dabei beinahe über meine eigenen Füße stolperte. „Danke…“, murmelte ich noch. „Soll ich mit dir gehen?“, bot er flüsternd an. Wieso bekam ich eine Gänsehaut? Warum dachte ich an Verbotenes? Was war der Grund für meine düsteren und hoch erotischen Vorstellungen? Würde er mich direkt in eine Kabine drücken, mich mit einem Kleidungsstück knebeln, meine Arme zurückreißen und sie mit meinem eigenen Pullover zusammenknoten und mich dann gnadenlos ficken? „…schaff ich schon allein…“, meinte ich noch zu murmeln. Über Umwege und etliche Stolperfallen legte ich den Weg zu den sanitären Einrichtungen zurück. Nachdem ich meine Hände gewaschen hatte, betrachtete ich mich eine ganze Zeit lang im Spiegel. Ich will einen klaren Kopf haben, wenn ich dich später vögel. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Wie viel Zeit verging, weiß ich nicht. Irgendwann zwang ich mich selbst, wieder zurück zu gehen. Es war direkt an diesem Spielautomaten, der vor den WCs platziert war, dass ich beinahe in Mareike rannte, die aufgeschreckt aufschrie und sich dann vor Lachen fast nicht mehr einkriegen konnte. „S-sorry…“, brachte ich heraus. „Du bist so betrunken…“, kicherte sie. „Du auch!“, gab ich patzig zurück und sie seufzte, noch immer grinsend. „Dein Christopher scheint ein richtig krasser Typ zu sein“, sagte sie plötzlich, gegen die Wand lehnend. Ich schaute sie fragend an und versuchte, nicht zu sehr zu schwanken. „Lisa hat ja grad erzählt, dass er ihren Onkel vor Gericht wegen einer ganz blöden Sache vertreten hat. Wegen so nem dämlichen Mitarbeiter, der Scheiße erzählt hat und richtig Mist gebaut hat, den er ihrem Onkel anhängen wollte. Und Christopher soll da ne richtig krasse Show abgezogen hatte, sodass ihr Onkel sogar diese Siegesfeier organisiert hat, um den Triumph vor Gericht zu feiern. Soll ihm wohl echt den Arsch gerettet haben… Tja, krasser Fang, sage ich da nur, Niko!“ Kameradschaftlich klopfte sie mir auf die Schulter und verschwand hinter der Tür mit dem großen „D“. Krasser Fang. Oh Gott, Christopher war ein krasser Fang. Sein Arm fand seinen Weg direkt wieder um meine Schulter. Er sagte nichts. Wir lauschten den Erzählungen Pauls, der sich abermals über seine wirre Familie aufregte. Ich trank den Drink. Beinahe auf Ex. Alles drehte sich. Wir verabschiedeten uns. Christopher beglich die Rechnung und gab meinen verbleibenden Freunden sogar noch eine letzte Runde aus. Er stützte mich. Irgendwann waren wir im Wagen. Seine Lippen fanden ihren Weg auf die meinigen. „Gleich kümmere ich mich um dich“, lauteten Christophers ruhige Worte, die aus einer nicht greifbaren Ferne zu mir zu dringen schienen. Wenn man einen Filmriss genau definieren und einen akkuraten Anfangspunkt des Vergessenen bestimmen könnte, dann wäre dieser genau hier. Denn das nächste, was mein Gehirn registrierte, waren die schwachen Sonnenstrahlen, die in mein Schlafzimmer drangen, in dem ich mit einem Ruck erwacht war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)