My Sorrow, Your Pain [8059] von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Meine Trauer, dein Schmerz ------------------------------------- Er kniete alleine an seinem Bett. Alle anderen waren schon gegangen, hatten sich damit abgefunden. Tsunayoshi Sawada, zehnter Boss der Vongola Famiglia, war tot. Und er war nicht da gewesen. Hatte ihn nicht schützen können, als er ihn am meisten gebraucht hätte. Hayato ballte die Hände auf dem weißen Laken zu Fäusten. Sie zitterten, zitterten vor Wut, vor Hass, vor Trauer. Er hasste sich selbst, hasste die anderen Wächter, weil keiner ihm helfen konnte, hasste auch denjenigen, der diesen schrecklichen und dazu noch feigen Mord begangen hatte – wer immer er auch sein mochte. Aber noch stärker, noch viel, viel stärker als der Hass war die Trauer. Hayato hatte nicht nur seinen Boss verloren. Er hatte einen Freund verloren. Seinen besten – oder? Takeshi stand im Türrahmen, betrachtete Hayato, der sich vor Emotionen schüttelte, und brachte kein einziges Wort heraus. Auch ihm hatte Tsuna als Freund viel gegeben, auch er war traurig, doch mit der Erschütterung Hayatos konnte es wohl niemand aufnehmen. Niemand war so traurig wie er, wahrscheinlich nicht einmal Kyoko. Obgleich er sich egoistisch vorkam, konnte Takeshi den Gedanken nicht unterdrücken. Die Frage, ob Hayato über seinen Tod genau so bestürzt wäre, ob er auch für ihn Tränen vergießen würde. Noch mehr als die Trauer jedoch schmerzte es ihn, Hayato so zu sehen. So verletzlich, so verloren... Er wollte ihn umarmen, wollte ihm Trost spenden, doch zugleich sträubte sich etwas in ihm dagegen. Ein unterdrücktes Schluchzen Hayatos ließ Takeshi aus seinen Gedanken aufschrecken. Der Halbitaliener glaubte sich wohl allein, denn vor den anderen hatte er sich bislang zusammengerissen. Kurz zögerte Takeshi, doch als Hayato erneut schluchzte, hielt er es nicht mehr aus. Er ging die wenigen Schritte, die zwischen ihnen lagen, auf ihn zu, legte eine Hand auf seine Schulter und sagte leise: „Komm, Gokudera, wir gehen.“ Der Angesprochene schreckte auf und schüttelte Takeshis Hand ab, ohne ihn anzusehen. „Lass mich in Ruhe, Baseball-Freak...“ Fast musste Takeshi schmunzeln. Es war eine Weile her, dass Hayato ihn so genannt hatte. „Gleich kommt jemand, um ihn abzuholen“, erwiderte er mahnend. „Dann musst du dich eh von seiner...“ Er brachte das Wort Leiche nicht über die Lippen. „...von ihm trennen.“ „Dann lass mir wenigstens noch die letzten Minuten“, zischte Hayato wütend und hob jetzt den Blick, um Takeshi anzufunkeln. Dieser ließ zwar endlich die Hand sinken, erwiderte den Blick des anderen jedoch stur. Es fühlte sich an wie der sprichwörtliche Stich ins Herz, von dem er noch vor ein paar Wochen gesagt hätte, so etwas gäbe es gar nicht. Wenn dies ein Kampf um Hayato war – verlor er dann tatsächlich gerade gegen einen Toten? Takeshi schüttelte langsam den Kopf. Während er so Hayatos Gesicht betrachtete, bemerkte er, wie rot seine Augen waren. Wie blass er war. Er sollte nicht mehr hier alleine sitzen und leiden. „Nein, du musst dich endlich zusammenreißen“, sagte Takeshi in einem Ton, der zugleich bestimmt und freundlich klingen sollte, am Ende jedoch wie ein Befehl wirkte. Hayatos Augen wurden schmal. „Was willst du eigentlich von mir?!“ Er stand auf. Takeshi hatte einen kurzen Sekundenbruchteil lang im Sinn, auf diese Frage wahrheitsgemäß zu antworten, doch das hielt er für nicht sehr angebracht - nicht im Moment. „Ich will, dass du einen Schlussstrich ziehst, Gokudera.“ Während sein Gesicht ruhig – wenn auch entschlossen – war, war das seines Gegenüber inzwischen wutverzerrt. „Halt den Mund und verpiss dich“, drohte Hayato in kaum hörbarem Flüsterton, der Takeshi ziemlich überraschte. Selten hatte er ihn so wütend erlebt. „Gokudera...“, setzte er wieder an und hob abermals die Hand, um sie auf Hayatos Schulter zu legen, da holte dieser mit der rechten aus und schlug ihm seitlich ins Gesicht. Takeshi war so überrascht, dass er ein paar Schritte rückwärts stolperte und beinahe hingefallen wäre. Entgeistert hob er die Hand und hielt sich die Wange, sah Hayato sprachlos an. Auch der Halbitaliener sagte nichts, starrte ihn aber weiterhin wütend an, ehe er sich schließlich schnaubend abwandte. Takeshi senkte den Blick und verließ den Raum. Die nächsten Tage waren – kurz gesagt – eine Qual. Takeshi wünschte, er hätte Hayato in Tsunas Zimmer alleine gelassen, dann wäre da jetzt nicht diese tiefe Kluft zwischen ihnen. Dann könnte er ihn doch noch trösten, in den Arm nehmen... Aber es wäre lächerlich, das jetzt zu versuchen. So beschränkte er sich darauf, Hayato von weitem zu betrachten, von weitem mit ihm zu leiden und zu schweigen. Jeder war bemüht, den Täter zu finden und das Rätsel um Tsunas Tod aufzuklären, doch Takeshi hatte das Gefühl, das alles ginge irgendwie an ihm vorbei. Er tat, was er tun musste; erfüllte Aufträge, befragte Leute... Doch richtig bei der Sache war er nicht. Die anderen fanden erstaunlich schnell in ihre Aufgaben, ihre Leben, zurück, doch Takeshi sah, wie schwer es Hayato fiel – und das machte es umso schwerer für ihn selbst. Die Bestattung fand in kleinem Kreise statt. Niemand sprach viel. Ein paar Worte von Ryouhei, der sagte, wie großartig Tsuna doch gewesen war, und das war's. Es war nicht so, dass sie ihn nicht genug respektierten, um etwas über ihn zu sagen; vielmehr respektierten ihn alle so sehr, dass niemand die richtigen Worte dafür fand. Aber es war okay. Jeder spürte an eigenem Leibe, wie groß, wie tragisch dieser Verlust war. Und Taskeshi spürte doppelten Schmerz, als er sah, wie Tränen über Hayatos Wangen liefen. Als die anderen langsam gingen, waren Takeshi und Hayato erneut die letzten, die bei dem Toten blieben. Hayato stand eine ganze Weile da, starrte den Grabstein an, bis er irgendwann sagte: „Was willst du?“ „Wie kommst du darauf, dass ich etwas will?“, fragte Takeshi ruhig. „Weil du mich seit letztens die ganze Zeit beobachtest.“ Takeshi sagte nichts dazu. Es stimmte, also wie sollte er sich dazu äußern? „Es... Es tut mir Leid, dass ich dich geschlagen habe, okay?“, sagte Hayato langsam und hielt den Blick immer noch auf das Grab gerichtet. „Ich war eh schon total fertig und dann kamst du an mit deinen blöden Ratschlägen von wegen 'zusammenreißen' und...“ „Ist schon okay“, unterbrach Takeshi ihn. „Ich verstehe das. Ich war dir nicht böse.“ „Und warum hast du mich dann dauernd angestarrt?“ Takeshi seufzte und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Na ja...“ Er scharrte mit den Füßen über den Boden. Nun drehte sich Hayato zu ihm um und sah ihn fragend an. Auch wenn er immer noch müde, immer noch unglaublich traurig aussah, schien es ihm doch besser zu gehen als an jenem Tag. Wenn auch nur ein bisschen. Während Takeshi noch nach Worten suchte, holte Hayato eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und zündete sich eine an. Er nahm einen Zug, steckte die eine Hand in die Hosentasche und fragte: „Also? Warum?“ „Ich...“ Taskeshi seufzte erneut. „Ich kann es einfach nicht ertragen, dich traurig zu sehen... Es tut weh. Hier.“ Er legte eine Hand auf die Stelle seiner Brust, unter der sein Herz schneller als gewöhnlich schlug. Hayatos Blick wurde zuerst skeptisch, dann verwirrt. „Solltest du nicht eher um den Boss trauern?“ „Tue ich ja, glaub mir.“ Schweigen. Die beiden schwiegen so lange, bis Hayato seine Zigarette ausgetreten und dann aber wieder aufgehoben hatte, da schließlich kein Müll das Andenken an den 'Boss' beschmutzen sollte. „Trinken wir was zusammen?“, fragte er, nachdem er sie in den nächstbesten Mülleimer geworfen hatte. „Gerne.“ Takeshi war froh, dass sie wieder miteinander sprachen. Eine halbe Stunde später saßen er und Hayato in Takeshis Schlafzimmer in der Vongola-Basis und tranken Sake. Sie hatten eigentlich zuerst in den Aufenthaltsraum gehen wollen, doch der war schon von Hibari besetzt; dann wollten sie in Hayatos Schlafzimmer gehen, das jedoch Bianchi mit 'Trostkuchen' vollgestellt hatte, sodass man allein wegen des Geruchs beinahe tot umfiel. So waren sie in Takeshis Raum gelandet. „Ich frage mich, warum es dir so schwer fällt...“, murmelte Takeshi etwas abwesend. Hayato, der ihm gegenüber an dem kleinen Tisch saß, legte den Kopf leicht schief. „Du meinst das mit dem Boss?“ Takeshi nickte und nahm einen Schluck Sake. „Ich weiß es...“, gab Hayato mit einem Seufzen zu. „Aber dir erzähle ich es bestimmt nicht, Baseball-Freak!“ Ein leises Lächeln huschte über Takeshis Lippen, kaum bemerkbar. Er nahm noch einen weiteren Schluck. Als Hayatos Becher als erster leer war, stellte er ihn mit einem leisen klonk auf dem Tisch ab. Takeshi sah ihn an. „Willst du noch mehr?“ Aber der junge Mann ihm gegenüber hielt den Blick gesenkt und antwortete nicht. Unsicher beugte sich Takeshi ein Stück vor und stellte seinen eigenen Becher ab. Klonk. „He, Gokudera... Alles okay...?“ Zu seinem Entsetzen schien nicht 'alles okay' zu sein. Auf einmal fiel eine Träne auf den Tisch, dann noch eine. Hayato schniefte leise. „Gokudera...!“ Binnen zwei Sekunden war Takeshi an seiner Seite und legte zögerlich einen Arm um seine Schultern. Normalerweise hätte Hayato sich wohl heftigst dagegen gewehrt, aber jetzt ließ er es geschehen. Das war nur noch ein Zeichen dafür, wie mies es ihm ging. „Ich... Bevor ich den Boss kannte, war ich ein Einzelgänger, hab nur für mich gekämpft...“, brachte er mit brüchiger Stimme hervor, ohne dass Takeshi danach gefragt hätte. Natürlich war es trotzdem nicht so, dass er es nicht hören wollte. Hayato wischte sich mit der Hand die Augen und fuhr fort: „Aber bei ihm habe ich einen Platz gefunden, an den ich gehöre. Einen Ort, an dem man mich braucht. Und jetzt... Und jetzt...“ Er schluckte und seine Tränen verebbten. Takeshi zog die Augenbrauen zusammen und biss sich auf die Unterlippe. Zeigte das nicht nur, wie sehr Hayato Tsuna gemocht hatte – oder gar noch mehr? Wie sollte Takeshi dagegen ankommen? Auch der Schwarzhaarige schluckte, dann drehte er Hayato so zu sich, dass sie sich ansahen. Hayato sah ihn irritiert an – und dann noch irritierter, als er Takeshis Gesichtsausdruck bemerkte, der unerträglichen Schmerz ausdrückte. „Yama... Yamamoto, was hast du?“ „Wie kannst du... nur jemals...“, brachte Takeshi zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und drückte mit den Händen Hayatos Schultern ein wenig zu fest, sodass dieser ebenfalls das Gesicht verzog – wenn auch wegen ganz anderer Schmerzen. „Wie kannst du nur glauben, du hättest keinen Platz, an den du gehörst, an dem du gebraucht wirst...“ „Was...?“ Hayatos Augen weiteten sich, und ganz, ganz langsam kam die Erkenntnis in ihm auf. Takeshi senkte den Kopf ein wenig, als er die nächsten Worte aussprach: „Du hattest... bei mir... immer einen Ort, an den du gehörst...“ Und dann zog er den Halbitaliener in seine Arme, drückte ihn an sich, hielt ihn ganz fest. Er schloss die Augen und ließ die Wärme seines Körpers auf sich wirken. „Eh, Yamamoto...“ Hayato war vielleicht zu müde, zu erschöpft, um sich gegen den Mann zu wehren, mit dem er sich immer stritt und auf den er sich doch immer verlassen konnte, aber vielleicht wollte er es auch gar nicht. Takeshi war nicht nur erleichtert sondern tatsächlich froh, als Hayato nach einigen Sekunden die Arme hob und den anderen ebenfalls an sich drückte. Und obwohl Takeshi sich nicht sicher war, meinte er, ein leises, gemurmeltes „Danke“ zu hören. Selbst in Anbetracht der Tatsachen, dass sie Sake getrunken hatten, dass sie beide in Trauer waren, und dass zwischen ihnen eventuell mehr als nur Freundschaft bestand, dauerte diese Umarmung doch außergewöhnlich lange. Nach etwa vier Minuten wurde Takeshi skeptisch. „Ähm... Gokudera?“ Keine Antwort. „... Hayato.“ Immer noch keine Antwort. Vorsichtig drückte Takeshi Hayato von sich weg und hielt ihn zugleich fest, um ihn abzustützen. Mit einem Blick in sein Gesicht stellte er fest, dass er eingeschlafen war. Takeshi schmunzelte und machte sich vorsichtig daran, Hayato auf sein Bett zu tragen, da dessen eigenes Zimmer bestimmt immer noch voll mit tödlichem Kuchen war. Als er schließlich auf der Matratze lag, strich ihm Takeshi die Haare aus der Stirn, lächelte und brachte die Becher und die Flasche mit Sake weg. Einige Minuten später betrat er wieder den Raum. Hayato hatte sich auf die Seite gedreht und zusammengerollt. Er zitterte ein wenig. Takeshi ging zu ihm hin, legte die Decke über ihn und flüsterte in sein Ohr: „Du gehörst zu mir, Hayato.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)