Severine von Only ================================================================================ Kapitel 1: Der Alptraum beginnt ------------------------------- Meine Mom meinte, es wäre eine gute Idee, zu meinem Vater nach Cleveland – Oklahoma – zu ziehen. Ich hingegen fand die Idee nicht sehr berauschend. Doch leider konnte ich sie nicht davon überzeugen, dass ich auch alleine zurecht kam. Ich wusste ja auch, dass es besser wäre, wenn ich bei ihm aufwuchs - da sie ja ständig unterwegs war - aber ich wollte nicht aus Wyoming – Michigan – wegziehen. Ich liebte es hier. Und in Cleveland kannte ich doch niemanden. Aber auch dagegen hatte meine Mom ein Argument >Du wirst schon neue Freunde finden.< Immer das gleiche. Und was wäre, wenn ich das gar nicht wollte? Keiner fragte mich nach meiner Meinung. Sie entschieden einfach über meinen Kopf hinweg. Die Taschen waren gepackt und das Ticktet gekauft. Es gab kein zurück mehr. Ich stand einfach nur da – in meiner blauen Lieblingshose und einem schwarzen T-Shirt mit Kapuze, das mir meine Mom vor 2 Jahren mal in einem Laden - in der Nähe von der Küste - gekauft hatte. »Zieh deine Jacke an.«, mahnte mich meine Mutter. »Du erkältest dich sonst.« Ich sah ihr an, dass sie ein wenig unruhig war. »Pass auf dich auf, hörst du?« »Es war deine Idee, schon vergessen?« Ich sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Aber es ist das Beste für dich.« Sie versuchte die Schuld von sich zu weisen, aber das ließ mich kalt. Ich war immer noch sauer, dass sie das über meinen Kopf hinweg entschieden hatte. Dann blinkte mein Flug auf. »Ich muss gehen.«, sagte ich bloß und ging ohne ein Wort des Abschieds. »Sophie...« Der Flug war langweilig. An Bord zeigten sie einen französischen Film der mich nicht wirklich interessierte. Also zog ich mein MP3 Player raus und hörte ein wenig Musik, um mich abzulenken. Ich musste eingeschlafen sein, da ich von einer Stewardess geweckt wurde, als der Landeanflug begann. Sie wollte, dass ich mich anschnalle. Gesagt – getan. Die Leute drängten sich an mir vorbei, sie schienen es alle eilig zu haben. Nur ich nicht. Ich hatte nicht sonderlich große Lust meinen Dad wiederzusehen. Nachdem er und Mom ihren eigenen Weg gegangen waren, hatte er sich irgendwie verändert. Auf eine Art und Weise die ich einfach nicht verstand. Plötzlich griff etwas nach mir und hielt mich an der Schulter fest. Der Schock war mir sichtlich ins Gesicht geschrieben. »Warte mal.«, sagte eine männliche Stimme hinter mir. »Du bist doch die Kleine von Ben?« Ich drehte mich um. Es war Adam, ein guter Freund von meinem Dad. Er hatte seine braune Wollmütze auf und einen Rollkragenpullover an. Das trug er eigentlich schon immer, zumindest seit ich ihn kannte. Mit seinen großen blauen Augen sah er mich an. Er schien darauf zu warten, dass ich irgendetwas sagte. »Wo ist Ben?«, fragte ich schließlich, um seinen Erwartungen gerecht zu werden. »Er hat mich gebeten dich abzuholen, da er noch einen wichtigen Termin hat.« Na toll, da komme ich den weiten Weg aus Wyoming geflogen und er hält es nicht mal für nötig mich abzuholen. Ich war stock-sauer, versuchte es mir aber nicht anmerken zu lassen. Adam begleitete mich aus dem Flughafen. »Hast du Hunger?«, fragte er mich, als wir an einem Imbiss vorbeigingen. »Nicht wirklich...« Nachdem wir dann den Rest des Weges zum Apartment geschwiegen hatten, sah Adam mich verwundert an. »Früher warst du irgendwie gesprächiger.«, bemerkte er beiläufig. Ich reagierte gar nicht erst darauf und schaute mir das Apartment an. Es sah noch genauso aus wie vor fünf Jahren – da war ich das letzte Mal hier. »Danke fürs Herbringen.« »Kein Problem. Dein Vater müsste auch bald kommen, er hat gesagt um neun ist er wieder zu Hause.« Adam winkte noch mal bevor er durch die Tür verschwand. Und dann war ich wieder allein. So wie immer, wenn ich in Cleveland war, irgendwie hatte ich hier nie Freunde gefunden. Und jetzt sollte es so einfach werden? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich setzte mich auf das weiße Sofa das im Wohnzimmer stand. Bei näherer Betrachtung war eigentlich alles weiß in dem Zimmer – die Schränke, der Teppich, die Wände. Sogar der Fernseher war weiß. Ich hatte keine Ahnung woher mein Dad diesem Fetisch hatte. Lag es vielleicht daran, dass er Arzt war? Ich versuchte mich abzulenken. Da klingelte das Telefon. Eine Weile stand ich davor. Sollte ich einfach ran gehen? Zögernd hob ich den Hörer ab. »Ja?«, fragte ich leise. »Sophie! Wie ich sehe bist du gut in meinem Apartment angekommen. Wie war der Flug?« »Langweilig.« »Das ist aber schade. Ich muss dich leider noch ein bisschen länger vertrösten. Heute ist einer der Kollegen ausgefallen und ich muss für ihn einspringen. Im Tiefkühlschrank ist noch eine Pizza, mach sie dir warm, wenn du Hunger hast. Also wir sehen uns dann Morgen.« »Ja, bis später dann.«, erwiderte ich, dann legte er auf. Ich blieb noch eine Weile mit dem Hörer in der Hand stehen und überlegte, ob ich nun wütend sein sollte oder eher traurig. Da ich mich für keins von beiden entscheiden konnte, legte ich auf und setzte mich wieder auf das Sofa. »Und jetzt?« Ich schaute mich um. Was konnte ich hier schon großartig machen? Keine Spielkonsole, kein Videorekorder – geschweige denn Videos – nichts, es gab nichts womit ich mich auch nur ein paar Minuten hätte beschäftigen können. So entschloss ich mich Musik zu hören. »Severine?« Ich schreckte hoch. Draußen war es noch dunkel, also konnte ich nicht lange geschlafen haben. Ich schaute mich um, es war niemand da. »Severine...« Da war es wieder. Wo kam diese Stimme her? Und wer ist Severine? »Severiiiine...« Die Stimme kam immer näher. »Severine...« Langsam bekam ich angst. Panisch drehte ich mich hin und her. »Severine...bist du es nicht Leid, so alleine zu sein?« »Wer spricht da?« Plötzlich kam dunkler Nebel von allen Seiten auf mich zu und verschnürte mir die Atemwege. Mir wurde Schwarz vor Augen und ich fiel ohnmächtig zu Boden. »Sophie?! Oh mein Gott, was ist mit dir? Mach doch bitte die Augen auf.« Irgendwer redete mit mir und rüttelte kräftig an meinen Schultern, doch ich bekam meine Augen nicht auf. »Sophie, bitte sag doch was!« Diese Stimme kannte ich, sie klang so vertraut. Mein Dad! Mit viel Mühe und der Hilfe von meinem Dad gelang es mir, mich aufzurichten. Ich öffnete die Augen. »Ein Glück!« Er nahm mich in die Arme. »Was ist mit dir passiert?«, fragte er besorgt. »Ich, ich weiß es nicht...« Ich war immer noch etwas benommen. »Du hast mir einen riesigen Schreck eingejagt. Einfach so bewusstlos auf dem Boden zu liegen.« Jetzt machte er mir auch noch Vorwürfe, weil ich ohnmächtig geworden war. Typisch Dad. Er trug mich in das Zimmer, was er für mich vorbereitet hatte und legte mich ins Bett. »Schlaf dich erstmal richtig aus. Morgen wird ein anstrengender Tag.« Ich schaute auf die Uhr, die neben meinem Bett auf dem Nachttisch stand. Es war kurz vor Mitternacht. Hatte ich das alles nur geträumt? Aber diese Angst, sie fühlte sich so real an. Mein Dad küsste mich auf die Stirn. »Gute Nacht mein Schatz.« Dann machte er das Licht aus und ging aus dem Zimmer. Ich versuchte zu schlafen, aber die Angst, dass dieser Alptraum wiederkehren könnte, war zu groß. Nachdem ich mich Stunde um Stunde im Bett hin und her gedreht hatte, überkam mich schließlich doch die Müdigkeit und ich schlief ein. Am morgen wurde ich durch einen lauten Knall geweckt. Ich sprang aus dem Bett und rannte in die Wohnstube. »Was ist passiert?«, rief ich laut. »Oh, du bist schon wach?«, fragte mein Dad, als er sich gerade Frühstück machte. »Hast du den Knall eben nicht gehört?« Ich wedelte wie wild mit meinen Armen herum. »Ach das. Draußen ist eine Baustelle. Den Arbeitern ist anscheinend ein Stahlseil gerissen und einer der Stahlträger ist herunter gefallen. Das passiert hier öfter. Daran gewöhnt man sich mit der Zeit.« Er lächelte mich an und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Kaffeetasse. »So Schatz, ich muss jetzt los. Adam kommt dich um halb acht abholen.« Ich sah ihn verwundert an. »Er bringt dich zur Schule. Ich hatte dich dort zwar schon angemeldet, aber am besten ist, du meldest dich erstmal beim Direktor. Er wird dir dann deinen Stundenplan geben.« Er schaute auf die Uhr. »Mist, jetzt komm ich zu spät.« Und weg war er. Wieder stand ich mutterseelenallein in dem riesigen Apartment. Und jetzt? Immer die selbe Frage. Zum schlafen war ich zu aufgekratzt. Also entschloss ich mich erstmal duschen zu gehen. Es war herrlich wie das warme Wasser an meinem Körper herunterlief. Nach der Dusche machte ich mir erstmal Frühstück. Ich guckte in den Kühlschrank, doch er war - bis auf eine Flasche Milch - komplett leer. Also roch ich an der Milch um zu testen ob sie noch gut war. Ein Glück, man konnte sie noch trinken. Wenn er jetzt noch Cornflakes oder Müsli hätte, wäre ich überglücklich. Nachdem ich dann in allen Schränken gesucht hatte, fand ich schließlich welche über der Spüle. Kein sehr ausgefallenes Mahl. Aber fürs Frühstück reichte es. Nach dem Essen zog ich mir erstmal was an. Ich entschied mich nach langer Überlegung für mein rotes T-Shirt mit weißem Blumenaufdruck und einer gewöhnlichen Bluejeans. Danach föhnte ich mir noch schnell dir Haare und kämmte sie durch. Da klingelte es auch schon an der Tür. Ich schaute durch den Spion. Es war Adam. Pünktlich auf die Minute. Ich machte die Tür auf. »Morgen, bist du fertig?« »Ja, ich hole nur noch schnell meine Tasche, dann können wir los.« Ich rannte schnell in mein Zimmer, griff meine rote Umhängetasche und rannte anschließend wieder zur Tür. »Jetzt können wir.«, sagte ich etwas außer Atem. Der Weg zur High School war nicht weit. Aber ohne Adam hätte ich mich da nie hin gefunden. Ich war einfach unglaublich Orientierungslos. Ich verlief mich sogar mal in einem Kaufhaus in Michigan - echt peinlich. Als ich den Namen der Schule las, wurde mir übel. >Cleveland District State High School< Oh mein Gott. Wie kam mein Dad auf die Idee, mich hier anzumelden? Mit mulmigen Gefühl ging ich hinein. Adam brachte mich noch bis zum Direktor, der mich sogleich in seine Fittiche nahm. »Wir sehen uns nach der Schule.«, rief Adam als er Richtung Ausgang ging. »So Sie sind also Sophie Hale?«, fragte mich der Direktor. »Ja.«, antwortete ich. Er reichte mir einen Zettel, wo mein Stundenplan drauf stand. »Dann kommen Sie mal mit, ich bringe Sie zu Ihrer ersten Stunde.« Ich folgte dem Direktor unauffällig. Vor einem der Unzähligen Türen blieben wir stehen. Ich las auf dem Stundenplan nach, welches Fach ich als erstes hatte. Mathematik - nicht gerade eines meiner Lieblingsfächer. »Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, an Ihrem ersten Schultag an der >Cleveland District State High School<.« Er drehte sich um und ging zurück zu seinem Büro. Vorsichtig klopfte ich an die Tür. »Herein.«, rief eine Stimme aus dem Raum. Ich trat ein. »Ah! Sie müssen Sophie Hale sein. Ich hab ja schon so viel von Ihnen gehört.« Der Lehrer griff nach meiner Hand und schüttelte sie kräftig. »Ich bin Mr Miller.«, stellte er sich vor. »Guten Tag.«, erwiderte ich. »Am besten ist, Sie stellen sich erstmal der Klasse vor.« Oh nein. Das war das Letzte was ich wollte. Ich hatte gehofft ich müsste so etwas nicht tun. Aber da ich es mir ja leider nicht aussuchen konnte, stellte ich mich vor die Klasse und begann mich vorzustellen. »Hallo, mein Name ist Sophie Hale, ich bin aus Wyoming hierher gezogen.« Eingige sahen richtig interessiert aus. Andere schrieben sich Zettelchen oder machten irgendetwas anderes. Als der Lehrer merkte, dass es unruhig wurde, signalisierte er mir, dass ich mich auf einen freien Platz setzen sollte. Ich schaute mich um. Da es nur einen freien Platz gab - der direkt am Fenster war - setzte ich mich dahin. Kaum war ich am Platz, sprach mich meine neue Banknachbarin sofort an. »Hi.«, flüsterte sie. »Ich bin Jennifer, aber du kannst mich ruhig Jenn nennen.« Ich schaute sie verwundert an. Damit hatte ich nicht gerechnet. »Ähm, hi.«, erwiderte ich bloß. Und da begann sie wie ein Wasserfall zu plappern. Sie erzählte mir, dass sie auch erst vor kurzem hierher gezogen war und noch nicht so viele Leute kannte. Als sie mir ihre Lebensgeschichte in jedem Detail erzählte, schaute ich sie mir genauer an. Sie war fast einen ganzen Kopf kleiner als ich und etwas kräftiger gebaut. Ihre roten Haare – sie waren gefärbt – hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Als sie merkte, dass ich sie mir genauer anschaute, hielt sie kurz inne. »Hab ich was im Gesicht?«, fragte sie verwirrt. »Nein, nein. Ich war nur so begeistert von deiner Geschichte, dass ich den Blick nicht von dir lassen konnte.«, log ich. Sie schien mir zu glauben. »Ach so, na dann.« Und weiter ging ihre Geschichte. Ich hörte ihr jetzt schon nicht mehr zu. Sie schien ja ganz nett zu sein. Aber sie redete mir eindeutig zu viel. Ich lachte kurz in mich hinein. Da ermahnte mich Mr Miller. »Wenn Sie das so lustig finden Miss Hale, dann können sie auch gerne nach vorne kommen und es den anderen erklären.« Alle starrten mich an und ich versank vor Scham fast unter den Tisch. Den Rest der Stunde hörte ich aufmerksam dem Lehrer zu. Ich verstand zwar kein Wort, aber wenigstens konnte er mich nicht wegen Störung des Unterrichts ermahnen. In der zweiten Stunde hatte ich Englisch. Endlich mal ein Fach in dem ich auch etwas verstand. Jetzt musste ich nur noch den Raum finden. »Was hast du in der nächsten Stunde?« Ich drehte mich um. Jenn stand hinter mir. Sie schien mir helfen zu wollen. »Englisch.«, sage ich schnell. »Das ist ja prima, ich hab jetzt auch Englisch.« Nach einem kurzen Stundenplanvergleich viel mir auf, dass wir genau den gleichen hatten. Ob ich das Gelaber von ihr den ganzen Tag ertragen würde? Sie griff nach meiner Hand und zog mich halb über den Flur. Sie ließ meine Hand erst los, als wir im Raum angekommen waren. Schnell setzte sie sich auf ihren Platz. Ein Glück. In Englisch saß schon jemand neben ihr. Ich schaute mich um, ob ich noch einen freien Platz ergattern konnte. Da erblickte ich einen in den hinteren Reihen - neben einem Mädchen. Sie hatte wie Jenn auch rote Haare, aber ihre waren kurz und sie hatte eine weiße Strähne, die an ihrem Scheitel entlang lief. Wir schienen gleich groß zu sein und sie war fast genauso gebaut wie ich. Langsam ging ich auf den freien Platz zu. »Ist hier noch frei?«, fragte ich vorsichtig. »Ja.«, erwiderte sie mit einem Lächeln. Sie nahm ihre Tasche von dem Stuhl und ich setzte mich hin. »Du bist neu hier oder?«, fragte sie neugierig. »Ja, gestern erst angekommen.«, erwiderte ich. »Ich bin Franzi.«, stellte sie sich vor. »Schön, deine Bekanntschaft zu machen.« »Sophie, sehr erfreut.«, sagte ich. Da kam Jenn auf mich zu. »Ah, du hast Franzi schon kennen gelernt.«, freute sie sich. »Ähm, ja.«, stotterte ich. Franzi und sie schienen sich zu kennen - was ja nicht ausblieb, wenn man auf die gleiche Schule ging. Der Lehrer klopfte laut mit einem Buch auf den Tisch. Die Schüler drehten sich um und rannten schnell auf ihre Plätze. Dann begann er zu sprechen. »Da wir heute einen neuen Schüler begrüßen dürfen, stelle ich mich erstmal vor. Ich bin Mr Papper. Ich unterrichte Englisch. Miss Hale, wären sie so nett, sich der Klasse vorzustellen?« Er winkte mich nach vorne. Ich stand langsam auf und zwängte mich durch die Tischreihen. Als ich fast vorne war, stolperte ich über eine der Taschen und fiel hin. Alle lachten. Es störte mich nicht weiter, da es mir an meiner alten Schule nicht anders erging. Ich klopfte mir den Dreck von der Hose, drehte mich um und sagte den gleichen Text, wie schon in der ersten Stunde. Dann ging ich wieder auf meinen Platz zurück. »Wenn mir das passiert wäre, wäre ich vor Scham gestorben.«, flüsterte mir Franzi zu. »Ich bins gewohnt.«, sagte ich trocken. Da heulte plötzlich eine Sirene auf. »Feueralarm!«, rief einer der Schüler. »Hast du ein Glück Sophie.«, lachte Franzi. »Gleich an deinem ersten Tag, kannst du früher nach Hause.« Ich musste auch lachen. Geschlossen gingen wir alle aus dem Gebäude, zu einem großen Parkplatz in der Nähe. Die Lehrer begannen durchzuzählen, damit sie sich sicher seien konnten, dass nicht noch irgendwer im Gebäude war. Da gesellte sich ein schwarz haariger Junge zu uns. Er war einen halben Kopf größer als ich, sehr dünn und trug seinen Rucksack lässig an einer Schulter. »Jake...«, zischte ihn Franzi an. »Was denn?«, fragte er unschuldig. Da kam auch schon Mr Papper. Er tippte uns auf die Schultern und sagte Nummern. Dem entnahm ich mal, dass er noch zählte. »Du weißt genau, dass das Ärger geben wird.«, mahnte Franzi. »Es hat mich doch keiner gesehen.«, erwiderte er beiläufig. Ich sah ihn immer noch an, dass schien er zu bemerken. »Wer ist das?«, fragte er neugierig. Franzi wollte gerade was sagen, da viel ihr Jenn ins Wort. »Das ist Sophie. Sie ist neu hier.« Jake musterte mich. Ich schaute ihm in die Augen. Sie waren grün – aber nicht so ein strahlendes Grün, eher ein blasses verwaschenes. Jetzt erwiderte er meinen Blick und sah auch mir in die Augen. Ich bekam herzrasen und schaute schnell weg. Ich merkte wie das Blut in meinen Kopf stieg und ich langsam rot wurde. Beruhige dich, sagte ich mir immer wieder und atmete langsam ein und aus. »Sie ist süß.«, sagte er und verschwand, ehe ich etwas darauf antworten konnte. »Wer war das?«, fragte ich so uninteressiert, wie es mir möglich war. Franzi sah mich an. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mir abnahm, dass ich kein Interesse an ihm hatte. »Das ist Jacob...Jacob...«, sie überlegte kurz, dann sprach sie weiter. »Ähm...ich kenne seinen Nachnamen gar nicht.« Sie fing an zu lachen und steckte mich damit an. Jenn schüttelte nur den Kopf. Durch die Lautsprecher ertönte die Stimme des Direktor. Er sagte nur, dass aus Sicherheitsgründen, die Schule für heute erstmal geschlossen blieb. »Was machen wir jetzt?«, fragte Jenn. Franzi sah zu mir. »Was haltet ihr von einer Stadtführung? Du bist doch neu hier, oder? Also zeigen Jenn und ich dir die Stadt. Okay?« Wie konnte man bei so einem netten Angebot >nein< sagen? Da klingelte es in meiner Schultasche. Verwundert guckte ich hinein. Ein Handy? Wo kam das denn her? Ich konnte es mir schon denken. Dad hatte es mir sicher gestern Nacht in die Tasche gepackt. »Willst du nicht ran gehen?«, fragte mich Jenn verwirrt. »Oh.«, sagte ich bloß und ging ran. »Ja?«, fragte ich. »Ah Sophie! Schön, dass du das Handy gefunden hast.« Es war mein Dad. »Mich hat gerade die Schule angerufen.« Oh nein, dachte ich bloß und wollte am liebsten gleich auflegen. »Sie haben gesagt, dass für heute Schulschluss ist und da habe ich gleich mal Adam angerufen, damit er dich abholen kommt. Also mein Schatz, ich lieb dich. Bis heute Abend.« Bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, hatte er schon aufgelegt. »War das dein Dad?«, fragte Franzi ungläubig. »Ja.«, seufzte ich. »Adam holt mich gleich von der Schule ab.« »Wer ist Adam?«, fragten die beiden fast im Chor. »Ein guter Freund meines Vaters.« Wir gingen Richtung Ausgang. Adam wartete schon dort und kam ein paar Schritte auf mich zu. »Und? Wie war dein erster Schultag?«, fragte er mich. Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte, da ich ja nicht mal zwei Stunden hier war. Jenn und Franzi musterten Adam ganz genau. Dann nickten sie sich zu und flüsterten miteinander. Ich konnte leider nicht hören was sie sagten. »Ähm...«, begann ich schließlich. »Adam? Eigentlich wollte ich mit Franzi und Jenn mir die Stadt anschauen gehen. Wenn du nichts dagegen hast - versteht sich.« Die beiden hörten auf zu tuscheln und warteten mit mir auf die Reaktion von Adam. »Hmm...Ben meinte zwar, ich solle dich nach Hause bringen, aber ich denke mal, gegen einen kleinen Spaziergang hat er nichts einzuwenden.« »Danke!«, rief ich ihm zu. Ich war schon mal losgegangen, da ich wusste, dass Adam mir keine Bitte abschlagen würde. »Wir sehen uns!«, riefen wir alle drei im Chor. Adam stand da, wie bestellt und nicht abgeholt. Dann grinste er. »Aber erzähl es nicht deinem Dad! Okay?« Ich winkte ihm zustimmend zu. Der Stadtbummel war schön. Sie zeigten mir die ganze Stadt. Als ich dann auf die Uhr schaute wurde ich ganz blass. »Was hast du?«, fragte Jenn besorgt. »Ich muss sofort nach Hause! Mein Dad kommt gleich von der Arbeit.« Panisch sah ich mich nach einer Mitfahrgelegenheit um. Als neben mir ein schwarzes Motorrad anhielt. »Was macht ihr denn so spät noch hier?«, fragte eine vertraute Stimme. Es war Adam. »Adam! Ich hab die Zeit völlig vergessen. Und Dad kommt doch gleich nach Hause.« Ich wurde schon fast hysterisch. »Kein Problem.«, meinte er. »Ich nehme dich mit.« Er zwinkerte mir zu und gab mir einen Helm. Ich setzte ihn schnell auf und schwang mich hinter ihm auf sein Motorrad. »Wir sehen uns morgen in der Schule«, rief ich noch. Ich wusste nicht ob die beiden es noch gehört hatten, aber sie winkten mir noch zum Abschied zu. Adam fuhr sehr schnell. Wenn Dad das gesehen hätte, wäre er sicher an die Decke gegangen. Wie durch ein Wunder waren wir vor ihm zu Hause. Ich schloss schnell die Tür auf und bat Adam noch herein. Wir stellten den Fernseher an und setzten uns unschuldig auf das Sofa. Und da klapperte es auch schon an der Tür. »Hallo Dad.«, rief ich schnell. »Hallo Sophie.«, antwortete er. Als er ins Wohnzimmer kam, sah er Adam unschuldig neben mir sitzen. »Oh, du bist ja auch noch hier?« »Ja, Sophie war langweilig und hat mich gefragt, ob ich noch ein bisschen bleibe.«, log er. »Okay, aber es ist schon spät und Sophie muss morgen wieder zur Schule...« Adam viel ihm ins Wort. »Schon verstanden. Ich geh jetzt besser. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend Sophie.« Er zwinkerte mir zu. Beim Herausgehen sagte er noch etwas zu Ben, dass ich nicht hören konnte. Es musste etwas erfreuliches sein, den mein Vater fing an zu grinsen. »Geht klar, wir sehen uns dann morgen.«, sagte Adam noch und verließ dann das Apartment. »So, ab mit dir ins Bett, es ist schon spät.« Ich stand auf und machte mich Bettfertig. Ich wüsste nur zu gern, was Adam zu meinem Dad gesagt hatte. Ben sagte mir noch gute Nacht und lies mich allein in meinem dunklen Zimmer zurück. Ich schloss die Augen und begann zu träumen. Kapitel 2: Unerwarteter Besuch ------------------------------ Ich träumte diese Nacht viel. Von Franzi und Jenn - unserem Stadtbummel, von meinem ersten Tag an der neuen Schule...und auch von Jake. Gegen Mitternacht wachte ich auf. Ich schaute auf den Wecker der au meinem kleinen Nachtschrank stand. »11:56 Uhr p.m. ...«, murmelte ich leise. Dann drehte ich mich wieder um und versuchte weiter zu schlafen. Ich war allein in einem schwarzen langen Flur. Am Ende war eine weiße Tür. Sie sah aus wie die Tür zum Apartment von meinem Vater. Vorsichtig näherte ich mich ihr. Aber egal wie weit ich auch lief, ich kam ihr einfach nicht näher. Jetzt fing ich an zu rennen, ich war schon fast panisch. Als ich merkte, dass auch das nicht half, sank ich erschöpft zu Boden. Ich sah mich verwirrt um – irgendwo musste doch ein Ausgang sein, den man auch erreichen kann. »Severine«, sagte eine sanfte Stimme. Mein Herz fing an zu rasen. Diese Stimme – es war genau dieselbe wie gestern. Wieder schaute ich mich hektisch um. Als plötzlich mir plötzlich jemand eine Hand reichte. »Severine, du bist es doch Leid, so alleine zu sein.«, flüsterte die Stimme wieder, genau wie beim letzten mal. Ich griff nach der Hand und sie half mir vom kalten Boden hoch zustehen. Vor mir stand ein junger Mann, vielleicht einen Kopf größer als ich. Er trug einen weißen Smoking und eine Maske im Gesicht. Ich sah ihn mir eine Weile lang an, in der Hoffnung ich erkenne irgend wen in ihm wieder – vergebens. Nun griff er an meine Taille und zog mich an seinen Oberkörper. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Dann flüsterte er wieder. »Komm mit mir, ich werde dich niemals alleine lassen.« Seine Stimme klang so – so vertraut. Ich war völlig benebelt. Langsam schloss ich meine Augen und hoffte ich könnte mir einen Kuss erhaschen. Da fühlte ich einen kräftigen Schlag auf meinem Kopf. Irgendwas ist mir auf den Kopf gesprungen. Verwirrt riss ich mich los – ich konnte mir einen Aufschrei nicht verkneifen. Was auch immer da auf meinem Kopf saß, es hatte sich fest in meine Haare gekrallt. Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, sah ich mich um. Ich traute mir nicht auf den Kopf zu fassen, weil ich gar nicht wissen wollte, was für ein widerliches, riesiges und abstoßendes Untier da auf mir saß. Mein Blick streifte den jungen Mann im weißen Smoking. Irgendwie sah er jetzt nicht mehr so verführerisch aus. Um ihn herum loderten schwarze Flammen – er murmelte etwas unverständliches. Plötzlich löste sich das Ding von meinem Kopf. Es sprang in die Richtung aus der die Flammen loderten. »Was willst du von ihr?«, fragte das Ding nachdrücklich – es klang mehr wie ein Fauchen. Als ich näher hinschaute, sah ich, dass es eine schwarze Katze war. Ein kleiner Seufzer der Erleichterung kam mir über die Lippen. Ein Glück es war kein Hirn aussaugender, Menschen fressender Zombie der mich verschlingen wollte. Die Katze nahm eine Kampfhaltung an – bereit zum Sprung. Ich schaute zu dem Mann in weiß. Er hielt mir flehend die Hand hin. »Severine komm...«, sagte er leise, »lass uns in alle Ewigkeit glücklich sein. Ich werde dich nie...« Er konnte den Satz nicht mehr zu Ende sprechen, denn die Katze sprang hoch, zeigte die Krallen und schlug mit der Pfote zu. Drei weiße Linien blinkten parallel zueinander auf und der Mann verschwand. Ich sank zu Boden und musste erstmal nach Luft schnappen. Hatte die Katze da gerade wirklich einen Menschen getötet? Was war das hier für ein kranker Traum? Vorsichtig kam sie auf mich zu. Als sie merkte, dass ich zurückwich blieb sie stehen. »Keine Angst es ist vorbei«, schnurrte sie. Ich wollte ihr ja gerne glauben, aber der Schock war noch zu groß. Wieder kam sie ein paar Schritte auf mich zu, bis sie direkt vor mir stand. Vorsichtig stellte sie sich mit ihren Vorderbeinen auf mein Knie, um meinem Gesicht etwas näher zu sein. Ich kämpfte mit den Tränen. Warum war ich so erleichtert? War ich nicht eben gerade noch total geschockt? Meine Gefühle spielten völlig verrückt. Als die Katze merkte, dass mir Tränen die Wangen runter liefen, kam sie mir noch ein Stückchen näher bis ihre Schnauze mich berührte. Vorsichtig leckte sie mir die Tränen weg. »Hör auf zu weinen«, sagte sie sanft, »es ist vorbei.« Vorbei? Was war vorbei? Ein Haufen Fragen schwirrten durch meinen Kopf. Wer ist diese Katze? Warum hat sie den Mann getötet? War sie die Gute? Als ich langsam wieder klare Gedanken fassen konnte, fragte ich schließlich: »Wer bist du?« Einen kleinen Momente sagte keiner was. Dann begann sie zu sprechen. »Ich bin ein Guardian. Es ist meine Aufgabe, die Menschen vor den so genannten >Nightmare< zu schützen.« »Nightmare?«, fragte ich verwirrt. »Die Nightmare sind nicht irgendwelche Alpträume, sie sind...wie soll ich sagen...«, sie überlegte kurz, dann sprach sie weiter. »sie sind wie wahr gewordene Alpträume. Das heißt, wenn du in deinem Traum stirbst, stirbst du auch in deinem richtigen Leben.« Erschrocken wich ich ein paar Meter zurück. »Man kann im Traum sterben?«, fragte ich nervös. Ich zitterte jetzt am ganzen Leib. Die Katze kam wieder ein paar Schritte auf mich zu. »Hab keine Angst Sophie...ich bin hier um die zu beschützen.« »Mich beschützen?«, fragte ich geschockt. »Ich dachte es wäre jetzt vorbei! Ich meine das Ding ist doch jetzt tot – oder nicht?« Wieder stiegen mir die Tränen in die Augen. Tröstend kam sie zu mir und legte sich in meinen Schoß. »Ich werde dich beschützen, egal was passiert.« Sie steckte sich kurz und rollte sich dann auf meinen Beinen zusammen. »egal was passiert...«, murmelte sie noch und schlief dann auf mir ein. Ich schaute ihr eine Weile beim Schlafen zu – es beruhigte mich. Langsam legte ich mich auf den Boden und schlief dann auch ein. Ein energisches Piepen drang in meinen Kopf ein. »Verdammt!«, schrie ich und sprang aus dem Bett. Ich schaute auf meinen Wecker, es war kurz vor sieben. »Mist, ich habe verschlafen...warum klingelt der erst jetzt?« Leicht schwankend begab ich mich ins Bad und sprang unter die Dusche. Kaum hatte ich mir das Handtuch um die Taille gewickelt, klingelte es auch schon an der Tür. Geistesabwesend öffnete ich sie, ich hatte völlig vergessen, dass ich noch nicht angezogen war. Als Adam vor mir stand und peinlich berührt zur Seite schaute, erwachte ich aus meinem Tagtraum. Ich spürte wie mir das Blut in den Kopf stieg und ich rot anlief. Schreiend schlug ich die Tür wieder zu. Ich verharrte einen Moment, um mich wieder zu beruhigen. Von draußen hörte ich Adam etwas sagen. Ich glaube er wollte mich darauf hinweisen, dass wenn ich mich jetzt nicht beeile, ich zu spät zu Schule komme. Schnell föhnte ich mir sie Haare über, trocknete mich ab und zog mir eine blaue Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit Kapuze an. Jetzt noch schnell Zähne putzen – und fertig. Ich griff nach meiner Schultasche und öffnete wieder die Tür. Adam grinste mich an. »Rekordzeit«, sagte er bloß. Und wir fingen beide an zu lachen. »Da du jetzt sicher – wenn du zu Fuß läufst – zu spät kommen wirst – und dass dein Vater sicher nicht gerne sieht – hätte er bestimmt nichts dagegen einzuwenden, wenn ich dich auf dem Motorrad mitnehme.« Er hielt mir einen roten Helm hin. Schnell setzte ich ihn auf und wir gingen zu seiner Maschine. Es war so ein schönes Motorrad, nur leider kannte ich mich in solchen Dingen nicht aus, somit wusste ich nicht mal, was es für eins war. Aber dafür hatte ich jetzt keine Zeit. Ich setzte mich hinter ihn und schlang die Arme um seinen Bauch. Dann fuhren wir los. Ich hätte zu gerne den Wind in meinen Haaren gespürt, wusste aber auch, dass das zu gefährlich wäre. Wir kamen noch pünktlich, sogar weit vor Schulbeginn. Am Tor warteten Jenn und Franzi schon. Seit wann sie wohl schon da waren? Ich nahm den Helm ab und gab ihn Adam. Es wies mich mit einem Blick darauf hin, das meine Haare total zerzaust waren. Mit de Fingern versuchte ich sie ein wenig zu bändigen – mit eher weniger Erfolg. Ich verabschiedete mich schnell von Adam und rannte zu Franzi und Jenn. »Morgen«, rief ich noch beim laufen. Franzi sprang mir förmlich in die Arme. »Morgen«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht. Wenn ich ein Junge gewesen wäre, hätte man fast meinen können sie wäre in verliebt – so sehr strahlten ihre Augen. Jenn sah etwas ein geschnappt aus, sie schien das Gleiche vorgehabt zu haben und nach der Begrüßung von Franzi, war ihre eher...Mittelmaß. Franzi krallte sich an meinem Arm fest und wir gingen über den Schulhof. »Und? Gut geschlafen?«, fragte sie nach einer Weile. »Eher weniger«, murmelte ich. Da viel mir der merkwürdige Traum wieder ein. War es vielleicht doch nur ein Traum? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass so etwas real sein konnte. Ich meine...wie zum Teufel kann eine Katze...eine Katze – ich wurde darüber einfach nicht fertig - einen Menschen zerschneiden? Ich musste mich kurz schütteln. »Alles okay?«, fragte Franzi besorgt. »Ist dir kalt?« »Nein nein«, sagte ich. »War nur ein kalter Schauer.« Wir gingen zum Biologieunterricht. Ich freute mich darauf. Bio war mein absolutes Lieblingsfach. Wieder schaute ich mich um – genau wie an meinem ersten Schultag – ob noch irgendwo ein Platz frei war. In der zweiten Reihe erblickte ich schließlich einen. Der Tisch war komplett leer, dass hieß also für mich, dass ich meine ganze Aufmerksamkeit dem Unterricht widmen konnte. Mit einem Grinsen setzte ich mich hin. Ich wollte gerade meine Tasche auspacken, da trat jemand neben mich. »Entschuldigung?« Ich drehte mich um. »Der Platz ist leider schon besetzt.« Ich verzog das Gesicht zu einem Schmollmund. Ich hatte mich so darauf gefreut alleine zu sitzen. »Oh, tut mir Leid. Das wusste ich nicht«, sagte ich traurig. Ich überlegte kurz, dann fragte ich »Wo ist denn noch ein Platz frei?« Er zeigte auf die letzte Reihe. »Okay, danke« Ich stand auf und nahm meine Sachen mit nach hinten. Neben einem Jungen blieb ich stehen. »Ist hier noch frei?«, fragte ich höflich. Er schaute zu mir auf und zuckte nur mit den Schultern. Ich fasste das mal als >ja< auf und setzte mich hin. Ich schaute mich im Klassenzimmer um. Überall waren ausgestopfte Tiere und eingelegte Sachen – eine sah aus wie ein toter Embryo – widerlich. Nach kurzem hin und her schauen erblickte ich auch Franzi und Jenn. Franz schaute mich traurig an, sie wollte anscheinend lieber neben mir sitzen als neben Jenn. Ich zuckte nur mit den Schultern und grinste sie an. Sie bewegte die Lippen, ohne das ein Laut zu hören war, aber ich wusste genau, was sie mir sagen wollte. >Es tut mir so Leid<, las ich ab. In dem Moment kam auch schon die Lehrerin mit schnellem Schritt herein. Sie hielt einen Behälter vor sich – leider konnte man nicht erkennen, was sich darin befand. »Guten Morgen«, sagte sie kalt. »Heute werden wir das menschliche Auge näher betrachten.« Sie öffnete den Behälter. »Ich werde jetzt herum kommen und jedem Team ein Auge zum sezieren und ein Skalpell auf den Tisch legen. Bitte seid vorsichtig, die Skalpelle, sind sehr scharf.« Langsam ging sie durch die Reihen. Dann stand sie neben mir. Genau in dem Moment, wo ich das Auge vor mir liegen sah, wurde ich kreidebleich und verlor das Bewusstsein. Langsam kam ich wieder zu Bewusstsein. Ich öffnete meine Augen und es dauerte eine Weile bis ich wieder klar denken und sehen konnte. Eine Krankenschwester stellte mir einen Eimer neben das Bett und ging dann wieder, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ich musste ziemlich schlimm ausgesehen haben. Bei der Vorstellung kam die Erinnerung an das Auge wieder und ich war dankbar, dass mir die Krankenschwester den Eimer da gelassen hatte. Kaum war sie weg, ging es auch schon los. Ich wusste nicht mal, ob ich überhaupt was ausbrechen konnte, da ich heute morgen ja keine Zeit zum Frühstücken hatte. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Ich hatte völlig vergessen wie schmerzhaft es war Magensäure raus zu würgen. Mir brannte der ganze Hals. Zum Glück haben meine Haare nichts abbekommen. Als sich mein Magen dann endlich wieder beruhigt hatte, schloss ich die Augen und versuchte mich etwas zu entspannen. Plötzlich hörte ich eine mir vertraute Stimme. »Geht es ihr gut?«, fragte sie. »Ja«, antwortete die Krankenschwester. »Sie hat sich nur übergeben. Das kommt öfters mal vor.« Ich versuchte den Kopf etwas anzuheben, um hinter den Vorhang zu schauen. Doch da kam Adam schon um die Ecke. »Oh man, was soll ich bloß mit dir machen...«, sagte er spöttisch. »Das ist nicht lustig«, flüsterte ich leise. Mehr brachte ich auch nicht heraus, mein Hals tat viel zu sehr weh. »Die Schule hat Ben angerufen...du hättest sehen sollen, wie der vor Sorge fast aus gerastet ist«, sagte er – meiner Meinung nach – mit etwas zu viel Begeisterung in seinen Augen. »Und warum schickt er dann dich?«, fragte ich leise. »Du weißt doch, dass er nicht einfach aus dem Krankenhaus stürmen kann, um nach dir zu sehen.« »Na toll, und da schickt er dann einfach seinen dummen Grünschnabel – der kann sich ja genauso gut um seine Tochter kümmern.« Ich sah Adam an, dass ihn meine Worte verletzt hatten. Adam war ein echt guter Arzt, auch wenn er noch in der Ausbildung steckte. »Es tut mir Leid, so war das nicht gemeint.«, entschuldigte ich mich, »es ist nur...ich habe Ben so lange nicht gesehen. Und jetzt, wo ich sogar mit ihm zusammen wohne, sehe ich ihn vielleicht eine halbe Stunde am Tag...ich verbringe mit dir viel mehr Zeit als mit ihm...« Mir stießen die Tränen in die Augen. Ich drehte mich weg, damit Adam das nicht sehen musste. Adam seufzte und legte mir eine Hand unter mein Kinn und zwang mich ihn anzusehen. Jetzt kullerten mir die Tränen über die Wange. Er lächelte mich an und zog mich an seine Brust. »Ist ja gut...wein dich erstmal richtig aus.« Ich war so froh das er da war, in seiner Nähe fühlte ich mich irgendwie wohl. Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen öffnete lag ich zu Hause im Bett. Hatte Adam mich nach Hause gebracht? Als ich an mir herunter schaute sah ich, das ich immer noch meine Schulsachen an hatte, nur die Schuhe hatte mir jemand ausgezogen. Draußen hörte ich Stimmen. Sie schienen zu streiten. Ich ging zu meiner Zimmertür und lauschte. »Meinst du wirklich es war so klug, sie hierher zu holen?« »Es war nicht mein Vorschlag Adam, und dass weißt du auch!« »Du hättest sie sehen sollen, sie war völlig fertig...« »Schreib mir nicht vor, wie ich mein Kind zu erziehen...« Er sprach den Satz nicht zu Ende, als er mich an der Tür weinend stehen sah. »Sophie...«, sagte er leise. »Bitte hört auf zu streiten.«, wimmerte ich. Die Tränen hörten gar nicht mehr auf zu laufen. Ben kam auf mich zu und nahm mich in die Arme. »Es tut mir so Leid...« Adam ging ohne ein Wort zu sagen, draußen hörte man noch das Röhren seines Motorrades. »Es tut mir so Leid, dass ich so wenig Zeit für dich habe Sophie...«, sagte er. »Ist schon okay Dad...ich bin dir nicht böse...ich war nur enttäuscht, dass du so wenig Zeit für mich hast.« Zum Glück hatte ich mich wieder etwas beruhigt und die Tränen zum versiegen gebracht. »Du sag mal Dad?«, begann ich, »wer hat mich eigentlich nach Hause gebracht?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Adam mich mit dem Motorrad nach Hause gefahren hatte. Zumal ich dabei sicher aufgewacht wäre. »Adam hat mich angerufen und gesagt ich soll dich nach Hause fahren. Er konnte dich ja schlecht mit dem Motorrad mitnehmen.« Er musste bei der Vorstellung, wie ich schlafend auf dem Motorrad saß, leise kichern. Ich stimmte mit ein und aus dem Kichern wurde ein herzhaftes Lachen. »Und jetzt?«, fragte ich mit einem Grinsen auf dem Gesicht. »Keine Ahnung, ich hab mir den Rest des Tages frei genommen.«, er überlegte kurz. »Worauf hast du denn Lust?«, fragte er schließlich. »Hmm...was hältst du von Eisessen?«, schlug ich vor. »Sehr gute Idee«, stimmte er mir zu. Ich holte schnell meine andere Tasche aus meinem Zimmer, packte mein Portemonnaie hinein und stand wenige Minuten später an der Tür. Mein Dad brauchte ein bisschen länger weil er wie immer seine sieben Sachen nicht beieinander hatte. Ich wartete geduldig bis er alles hatte und dann ging es auf zum großen Eisessen. Jedes Jahr, wenn ich bei ihm zu Besuch war, sind wir zu dem kleinen Eisverkäufer im Park um die Ecke gefahren. Ich konnte mir nie merken wie der Park eigentlich hieß – was ja auch nicht wichtig ist. Wichtig war nur, dass ich wusste wo er war. Grinsend ging ich mit meinem Dad zum Eisstand. »Eine Vanille- und eine Schokoladenkugel bitte«, sagte Ben. Er wusste genau das mir das Vanille-Eis hier am besten schmeckte. Genüsslich aß ich mein Eis, als der Piepser von meinem Dad los ging. Ich verzog meinen Mund und begann zu schmollen. Das war nicht fair! Da nimmt sich Ben mal einen Tag frei und dann piepen sie ihn doch an. Ben sah mich traurig an. »Es tut mir Leid Süße«, begann er, »aber ich muss leider los, es ist ein Notfall.« Ich sagte nichts und setzte ein Lächeln auf – keine Ahnung ob es echt aussah – und versuchte meine Enttäuschung ein wenig zu überspielen. Als ich mir sicher war, dass ich etwas sagen konnte, ohne mich aufzuregen, atmete ich tief durch und schaute Ben in die Augen. »Schon gut, ich weiß doch, dass dein Job vorgeht«, sagte ich gezwungen. Es sollte zwar normal klingen, doch dass hatte ich völlig versaut. Mein Dad sah mich traurig an. Ich hasste es, wenn er diesen Blick aufsetzte – das war meine Masche. »Nun geh schon, bevor der arme Kerl stirbt«, seufzte ich. Er tätschelte mir den Kopf. »Ich bring dich vorher noch nach Hause«, sagte er schließlich. »Das brauchst du nicht«, log ich, »ich wollte mir den Park eh schon immer mal anschauen.« Ich lächelte ihn an, drehte mich um und lief dann den Kiesweg nach, der sich durchs Grüne schlängelte. Warum immer er? Gibt es nicht noch andere Ärzte in diesem verdammten Krankenhaus? Am liebsten würde ich sie alle anschreien. Diese...ich wollte den Gedanken lieber nicht zu Ende denken. Ich merkte immer noch, wie mir die Wut ins Gesicht geschrieben war. An einem kleinen See blieb ich stehen. Nicht weit vom Ufer entfernt, sah ich einen Schwan, der mit seinen Jungen unterwegs war und weiter hinten eine Familie die sich ein Boot gemietet hatte, sie sahen alle so glücklich aus. Warum konnte ich nicht auch einfach glücklich sein? Ich betrachtete eine weile das Schauspiel. Und versank dabei ganz in meine Gedanken. Plötzlich tippte mich wer auf die Schulte und riss mich aus meinem Tagtraum. »Ich hätte nicht gedacht, dass du die Schule schwänzt«, sagte eine Stimme hinter mir. Verwirrt drehte ich mich um. Ich traute meinen Augen nicht. Der Typ von gestern mit den schwarzen Haaren und den tollen grünen Augen. »Jake?!«, schrie ich – vor Schreck und lies mein Eis fallen. »Das schöne Eis«, trauerte er. Was machte der denn hier? Ich stand da wie ein Stein und bewegte mich nicht. »Das Atmen nicht vergessen...«, erinnerte er mich. Ich holte schnell Luft. »Jake«, sagte ich wieder. »Ja, dass hatten wir schon.« »Was machst du denn hier?«, fragte ich fast schon hysterisch. Ich wusste nicht warum ich solche Panik hatte. Hektisch wich ich einen Schritt zurück und stolperte dabei über einen Stein. Jake griff nach meiner Hand, um mich festzuhalten, doch er verlor den Halt und wir fielen beide in den See. »Okay, dazu sag ich jetzt nichts...«, sagte Jake ruhig. Er half mir auf und nahm mir die Seetangblätter aus den Haaren. Ich zitterte am ganzen Leib, als ein Windstoß an mir vorbei fegte. »T-tut mi-mir L-l-leid«, brachte ich nur heraus. Die Sache war mir so peinlich, ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. »Schon okay, ich wollte mich eh mal wieder waschen«, scherzte er. Ich war erstaunt darüber, dass er so ruhig war, ich glaube jeder andere hätte mir die Hölle heiß gemacht. »Du solltest nach Hause gehen und dir was trockenes zum Anziehen holen.« Er schien zu merken, dass mir die Idee nicht so gut gefiel, denn er schlug schnell etwas anderes vor: »Was hältst du davon, wenn wir zu meinem Auto gehen, ich hab noch einen Pullover im Kofferraum und ich leih ihn dir, damit du nicht nach Hause musst.« Er lächelte mich an und mir wurde ganz warm ums Herz. Ich merkte wie mir das Blut in den Kopf schoss und ich rot anlief. Verlegen versuchte ich in eine andere Richtung zu schauen. Ich lief ihm hinterher, wie eine kleine Ente, die ihrer Mom folgte. Als wir bei seinem Auto waren öffnete er den Kofferraum und holte einen Pullover heraus. »Hier«, sagte er und reichte ihn mir. Ich nahm ihn dankend an und zog ihn über. Wie nicht anders zu erwarten, war der Pullover viel zu groß – aber warm. »Ist dir jetzt wärmer?«, fragte er. »Ja«, erwiderte ich glücklich. »Und? Was machen wir jetzt?« »Was ist das für ein Auto?«, fragte ich neugierig und zeigte auf den silbernen schneidigen Flitzer. »Ein Mercedes SLR«, sagte er stolz, »den hat mir mein Dad geschenkt, als ich den Führerschein bekommen habe.« Ich hatte von Autos keine Ahnung, aber ich nahm mal an, dass es ein gutes Auto war. Als er merkte, dass ich mit meinen Gedanken schon wieder abschweifte, griff er nach meiner Taille und zog mich zu sich ran. »Ist alles okay mit dir? Du wirkst so abwesend.« »Ja, alles okay«, sagte ich und lächelte vergnügt in mich hinein. »Du zitterst ja immer noch, ich sollte dich nach Hause bringen, nicht das du dich noch erkältest.« Ich konnte ihm nicht mal ein Wiederwort geben, da nahm er mich und schob mich zur Beifahrertür. Er rannte um den Wagen und setzte sich auf den Fahrersitz. »Das schöne Auto, jetzt wird es ganz nass«, jammerte ich. »Schon okay, deine Gesundheit geht vor« Kaum hatte er das gesagt, trat er auf die Pedale und raste los. Es dauerte keine fünf Minuten und ich war zu Hause. Kapitel 3: Die Qual der Wahl ---------------------------- Ich freute mich heute schon auf de Schule, zum einen, weil ich meine Freunde alle sehen konnte und zum andern, weil ich nur drei Stunden hatte – Geschichte, Englisch und Mathe. Mit einem strahlenden Lächeln empfing ich Adam morgens an der Tür. Er sah überrascht aus, als ich ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange gab. Heute gingen wir zu Fuß zur Schule, um das gute Wetter zu genießen. Als wir an einer Ampel warteten fragte mich Adam warum ich so gut gelaunt bin. Ich grinste übers ganze Gesicht und sagte: »Ich liebe es, wenn das Wetter so schön ist und ich nur drei Stunden in der Schule verbringen muss.« Adam fing an zu lachen. Dann schaute er auf meine Schultasche. »Für nur drei Stunden Unterricht, ist deine Tasche aber ziemlich voll gepackt.« »Ich muss noch jemandem etwas wiedergeben.« Ich faste mit der rechten Hand an meine Tasche. Darin war der frisch gewaschene Pullover von Jake. Ich wurde rot als ich an ihn dachte. Zum Glück merkte es Adam nicht, ich hätte nicht gewusst wie ich ihm die Sache hätte erklären sollen. Als wir an der Schule ankamen, warteten Jenn und Franzi ungeduldig auf meine Ankunft. Franzi erblickte mich als erste, stürmte auf mich los und sprang mir an den Hals. »Einen wunderschönen guten Morgen«, wünschte sie mir und küsste mich auf die Wange. »Dir auch«, sagte ich. »Okay Sophie, ich muss jetzt los, schreib mir einfach kurz bevor du Schluss hast, ich hol dich dann ab«, sagte Adam eilig. »Mach ich«, versprach ich. Jenn stand immer noch am Eingang und wartete, dass wir zu ihr kamen. »Morgen«, sagte ich zu ihr und umarmte sie. Sie lächelte mich an und erwiderte den Gruß, dann gingen wir rein. Nun stand mir das langweiligste Fach aller Zeiten bevor. Ich hasste Geschichte, dass war das einzige Fach, was mich ja mal so rein gar nicht interessierte. Gelangweilt hörte ich zu und wartete darauf, dass es endlich zur Pause klingelte. Englisch und Mathe waren heute nicht viel spannender. Und somit zog sich mein Schultag ewig in die Länge. Doch da – endlich – klingelte es zum Schulschluss. Ich sprang auf und rannte aus dem Raum ins freie. Auf dem Schulhof warteten Jenn und Franzi schon auf mich. »So was machen wir jetzt?«, fragte ich neugierig. »Zu unseren Wahlpflichtkursen gehen, was sonst?«, antwortete Franzi. »Wahlpflichtkurse?«, wiederholte ich ungläubig. »Ja, hast du noch gar keinen gewählt?«, wunderte sich Jenn. »Nein...dabei hatte ich mich so auf einen kurzen Schultag gefreut...«, sagte ich traurig. »Was meinst du eigentlich wieso wir Mittwochs nur drei Stunden haben?«, lachte Franzi. Darauf antwortete ich gar nicht mehr – ich war zu enttäuscht. Wahlpflichtkurse...wer hatte sich solchen Scheiß eigentlich ausgedacht? Und was zum Teufel sollte ich für in Fach nehmen? Was gab es überhaupt für Fächer zur Auswahl? Fragen über Fragen gingen mir durch den Kopf. Plötzlich griff Jenn nach meinem Arm und zerrte mich hinter ihr her. Vor einem Raum wo >Werkstatt< stand, blieben wir stehen. Sie öffnete die Tür und ging rein. Ich folgte ihr unauffällig. »Willkommen in meiner Welt«, sagte sie stolz. Okay, da hatte sie mich auf dem falschen Fuß erwischt, es wäre eine Gefahr für jeden hier, wenn man mich an so eine Bohrmaschine stellte. Bei meinem Geschick würde ich mir die Hans durchbohren. Ich lachte innerlich. Jenn sprach inzwischen mit dem Lehrer, er schüttelte den Kopf als sie was fragte, was ich nicht verstand. Dann kam sie wieder zu mir. »Tut mir Leid. Der Handwerkkurs ist schon voll«, sagte sie traurig. Ich atmete erleichtert auf. »Macht nichts, es wäre sowieso viel zu gefährlich für mich gewesen«, ermunterte ich sie. »Was gibt es noch so für Kurse?« Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, da griff mich Franzi auch schon am Ärmel und zog mich mit. Sie brachte mich zu einer Halle außerhalb des Schulgebäudes. Vor der Tür blieb sie kurz stehen, dann öffnete sie sie mit einem kräftigen Ruck. Ich traue meinen Augen nicht. Vor mir war ein riesiger Saal, an deren Ende eine riesige Bühne war – für die Zuschauer waren Stühle im Halbreis um sie gestellt. Es sah fast aus wie in einem Theater – nur nicht ganz so groß. Auf der Bühne Stand ein Flügel und mehrere andere Instrumente. Franzi stürmte auf den Flügel zu, sie setzte sich auf den Hocker und hob den Deckel von den Tasten. Ich folgte ihr, bis ich neben ihr stand. Sie atmete tief ein, dann legte sie die Finger auf die Tasten und begann zu spielen. Ich kannte diese Melodie – aber woher? Da fiel es mir wieder ein. Sie spielte >all the leaves are brown<, ich liebte dieses Lied. Ohne das ich es richtig merkte, begann ich mit zu singen. Erst ganz leise, beim Refrain wurde ich dann lauter. Es machte Spaß mal wieder aus voller Kraft seine Stimme erklingen zu lassen. Ich hatte früher viel gesungen, ob im Chor oder einfach nur zum Spaß. Aber mit der Zeit gab es immer weniger Anlässe, bei denen man hätte singen können. Wir ließen gemeinsam das Lied ausklingen, ich wette, wenn noch mehr mitgesungen hätten, hätte es sich bestimmt noch besser angehört. Da ich mit dem Rücken zu den Stuhlreihen stand, hatte ich nicht gemerkt, wie die anderen Musikkursleute langsam in den Raum gekommen waren. Neben mir Klatschte der Musiklehrer in die Hände und nun begannen auch die anderen Schüler zu applaudieren. Einige pfiffen sogar. Peinlich berührt drehte ich mich zu Franzi. Die grinste nur und freute sich über den Applaus. Sie verbeugte sich sogar und verteilte Luftküsse. Mein Blick blieb die ganze zeit über gesenkt und wanderte am Boden der Bühne entlang. Bei einer Violine blieb er hängen. Ich wollte schon immer mal Violine spielen...hatte aber nie die Gelegenheit gehabt. Der Lehrer schaute in die Richtung in die ich sah und hob daraufhin die Violine hoch. Er reichte sie mir. »Wenn du spielen magst, dann spiel«, sagte er mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Ich wollte eigentlich sagen >Nein, das kann ich nicht<, aber die Versuchung war zu groß. Ich nahm die Violine in die Hand und legte sie an. Ich holte einmal tief Luft und legte den Bogen auf die Saiten. Als ich ihn auch nur ein bisschen bewegt hatte, ertönte ein ohrenbetäubendes Geräusch. Alle stöhnten und hielten sich vor Schmerzen die Ohren zu. »Wärt ihr das nächste Mal bitte so nett, mich zu fragen, ob sie meine Violine vergewaltigen darf?« Oh mein Gott...das war die Stimme von Jake. Ich stand stocksteif da und merkte wie mir die Schamröte ins Gesicht stieg. Er blieb vor mir stehen und nahm mir die Violine ab. Dabei flüsterte er mir ins Ohr. »Deine Stimme ist Wahnsinn, aber bitte verschone meine arme Violine mit deiner Unfähigkeit.« In dem Moment wusste ich nicht was ich fühlen sollte. Ich war sauer, geschockt, beleidigt, geschmeichelt...das reinste Gefühlsgewirr. Als ich mich dann halbwegs wieder beruhigt hatte, schaute ich zu Jake. Er sah so...ich fand nicht das richtige Wort dafür. Wie er da stand und die Saiten seiner Violine nachzog und testete ob der Ton wieder richtig eingestellt war. Ich war hin und weg. Erst als mich Franzi mit ihrem Ellenbogen in meine Rippe schlug, merkte ich, das ich Jake die ganze Zeit angestarrt hatte. Und wieder wurde ich rot im Gesicht. Ich hoffte, dass es nicht jeder gesehen hatte – vergebens. Sie tuschelten schon. Zum Glück bat der Lehrer um Ruhe. »Okay, was wollen wir heute spielen?«, fragte er dann. Wieder ging Raunen und Gemurmel durch die Reihen. »Warum spielen wir nicht >all the leaves are brownKatze< zu ihr gesagt hatte. Aber sie hatte eine männliche Stimme, demnach musste er wohl ein Kater sein. Er hatte kurzes schwarzes Fell und seine grünen Augen – sie kamen mir so bekannt vor. Wo hatte ich solche Augen schon mal gesehen? Ich überlegte eine Weile, dann machte es klick. Jake...er hatte genau die gleichen Augen. Zufall? Sicher nicht. Oder doch? Ich zweifelte ein wenig an meinen Worten. Wieso sollte er mich denn beschützen? Und warum als Katze...Kater? Er schien zu merken, das ich einen inneren Konflikt mit mir aus trug. Also stand er auf und legte sich auf meinen Schoß. »Okay«, schnurrte er, »was willst du wissen?« Ich hatte so viele Fragen, doch mit welcher sollte ich anfangen? »Ähm...«, überlegte ich. »Wie ist dein Name? Ich kann dich ja nicht die ganze Zeit Katze...äh Kater nennen.« »Guardians haben keine Namen, sie müssen sich ihre Namen erst verdienen.« »Ach so«, murmelte ich. »Aber wie nenne ich dich dann jetzt?« »Denk dir was aus«, schlug er vor. Ich überlegte einen Moment. Ein guter Name? Was war ein guter und auch passender Name für einen Kater? Ich strich ihm über das Fell während ich nachdachte – er schnurrte laut. Mir wollte einfach kein Name einfallen. »Jetzt hab ich´s«, rief ich laut. Er schreckte hoch und ging auf Abstand. »Ich werde dich...« Ich konnte den Satz nicht zu ende sprechen, da wurde ich von einem lauten schrillen Ton geweckt und der Kater verschwand. »Verdammter Wecker«, meckerte ich. »Na ja vielleicht ist es besser, wenn ich noch etwas Zeit habe«, sagte ich leise zu mir selbst. Ich stand auf und ging in die Stube. Ben war schon zur Arbeit gegangen. Ich fragte mich, ob Adam mich heute wohl zu Schule abholen würde. Aber ich glaubte nicht daran, so sauer wie er gestern davon gelaufen war. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen, obwohl ich überhaupt nichts dafür konnte, dass Adam Jake nicht mochte. Und mich ging die Sache zwischen den beiden ja auch nichts an. »Sollen sie sich doch ruhig gegenseitig umbringen«, murmelte ich. Ich ging duschen, dann zog ich mich schnell an und aß ein paar Cornflakes. Dann holte ich meine Tasche und wollte gerade aufbrechen, da klingelte mein Handy. Ich überlegte kurz, ob ich ran gehen sollte – vielleicht war es Adam, der mir sagen wollte, dass er mich nie wieder sehe wollte. Oder Dad. Ich kannte die Nummer auf dem Display nicht. Nach kurzem zögern klappte ich das Handy auf. »Ja?«, fragte ich leise. »Hi Sophie, lange nichts von dir gehört. Wie geht es dir?« »Colin?«, schrie ich in den Hörer. »Jetzt bin ich taub«, sagte er schmerzverzerrt. Warum rief mich Colin an? Und vor allem um diese Zeit? Und überhaupt, wie meinte er das mit dem lange nichts von dir gehört, ich war doch erst seit letzten Sonntag weg. »Bist du noch da?«, fragte er nach einer Weile. »Ja«, flüsterte ich. Ich weiß nicht warum ich flüsterte. »Ich hab voll Sehnsucht nach dir, genau wie Andrea und Chris« Ich wusste nicht was ich davon halten sollte, dass Colin Sehnsucht nach mir hatte. Okay wir waren Sandkastenfreunde und wir hatten echt viel Scheiße gebaut. Und da war ich mal vier Tage nicht da und er vermisste mich. Plötzlich fing mein Herz an zu rasen. Vielleicht – aber nur vielleicht – vermisste er mich, weil er mich... Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, dass war mir zu peinlich. Er würde mich niemals...nein – ganz sicher nicht. »Das tut mir leid. Aber wenn ihr mich so sehr vermisst, kommt mich doch einfach mal besuchen – ja? Ich würde mich echt freuen« »Wirklich? Okay, ich sag den andern beiden bescheid, und dann kommen wir sobald wir Zeit haben«, schlug er vor. »Ich freu mich schon drauf«, sang ich. »Du ich muss jetzt Schluss machen, ich muss zur Schule.« »Okay, wir telefonieren«, sagte er schnell und legte dann auf. Ich legte auf – woher hatte er eigentlich meine Nummer? Ach egal, wenigstens konnte ich mal wieder mit ihm reden und er vermisste mich anscheinend. Ich grinste bei dem Gedanken, dass ich ihm fehle. Kaum hatte ich mich zur Tür gedreht, da klopfte es leise. Ich öffnete die Tür und Adam stand mit gesenktem Kopf vor mir. »Tut mir leid«, murmelte er. »Ist schon okay«, sagte ich, »du wirst schon deine Gründe dafür haben.« Ich lächelte ihm ins Gesicht, und er konnte gar nicht anders, als mich in den Arm zu nehmen und mich fest zu drücken. Ich fühlte wie meine Wangen heiß wurden und ich wieder rot im Gesicht wurde. Er ist zu alt, er ist zu alt, er ist zu alt, hielt ich mir immer wieder vor. »Na los, lass uns zur Schule fahren, du bist spät dran«, drängte er und ließ mich los. Auf der Fahrt zur Schule klammerte ich mich fester als sonst an ihn. Das lag zum einen daran, dass er viel zu schnell fuhr und zum andern daran, dass ich unheimlich fror. Ich hatte mich nicht warm genug angezogen, und dass kam mir teuer zu stehen. Als wir dann endlich da waren, stieg ich zitternd vom Motorrad ab. Ich hielt mir die Arme fest an de Körper geschlungen. Warum musste es heute auch so kalt sein? Ich verabschiedete mich von Adam und ging frierend zu Jenn und Franzi, die wie immer am Eingang auf mich warteten. »Guten Morgen«, riefen sie im Chor. »M-m-morgen«, zitterte ich. »Ist dir etwa kalt?«, fragte Jenn, schadenfroh. Ich wollte ihr gerade ein paar Wörter an den Kopf schmeißen, da legte jemand den Arm um mich.Ich hielt kurz inne, dann drehte ich mich zur Seite und schaute in ein breit grinsendes Gesicht. »Ich kann dich wärmen – wenn du magst.« Ich stand stocksteif da und musste erstmal schlucken. Hatte mir Jake gerade angeboten mich zu wärmen? Ich merkte wieder, dass ich rot im Gesicht wurde – das war ganz schön lästig. Ich holte einmal tief Luft, um mich zu beruhigen. »Komisch«, sagte Franzi nachdenklich, »seit wann kommst du eigentlich so häufig zur Schule Jake? Sonst lässt du dich nur zum Musikkurs blicken, und gelegentlich mal zu eins zwei Stunden, wenn du nichts besseres zu tun hast.« Jake sagte nichts, er schien nachzudenken. Ich sah ihm ins Gesicht und wartete auf seine Reaktion. Ich merkte wie mein Puls raste. »Keine Ahnung«, sagte er schließlich und zuckte mit den Schultern. Ich wand mich aus seinem Arm und nahm Franzi und Jenn bei der Hand. »Kommt wir müssen zum Unterricht«, platzte es aus mir heraus. Ich ging ohne mich noch mal nach ihm um zu drehen – ich war irgendwie sauer auf ihn, aber warum? Kapitel 4: Eine erschreckende Erkenntnis ---------------------------------------- »Seit wann hast du eine Katze?«, fragte mich Jenn verwundert. »Ich habe keine Katze«, erwiderte ich »wie kommst du darauf?« Jenn nahm meine rechte Hand und hob sie an. Ich traute meinen Augen nicht, als ich die drei kleinen Kratzer darauf erkannte, die mir der Kater gestern Nacht zugefügt hatte. Oh mein Gott! Dass konnte nicht wahr sein. Es ist nicht möglich! Es war doch nur ein dummer Traum. Ein Traum. Oder stimmte es wirklich, dass alles was ich träumte real wurde? Wie ist das möglich? Ich fühlte wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich und mir schlecht wurde. Mein Magen rebellierte heftig – zu heftig. Ich sprang auf und rannte aus dem Raum. Ich hörte, das mir Mrs Ellen noch etwas nach rief, aber ich war schon auf dem Weg in die nächste Toilette. Ich schaute nicht auf, ich versuchte nur noch das Waschbecken zu erreichen und erbrach mich schließlich. Ich hasste es mich zu übergeben. Es ist widerlich! Ich merkte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten – das taten sie immer, wenn ich mich erbrach. Langsam beruhigte sich mein Magen wieder. Ich machte das Wasser an, um die Magensäure weg zu spülen, dann ich griff nach links zu den Papiertüchern, um mir den Mund ab zu wischen und die Nase zu schnäuzen. Erst jetzt merkte ich, dass mir jemand die Haare gehalten hatte. Ich schaute auf und sah in den Spiegel über dem Waschbecken. Meine Augen wurden groß vor entsetzen. Jake? Was hatte er hier zu suchen? Ein Junge im Mädchenklo? Nein! Hinter uns klappte eine Tür und ein Junge trat aus der Kabine. Nicht er war im Mädchenklo, sondern ich im Klo der Jungen. Ich hatte in meiner Panik die falsche Tür erwischt. Ich sah im Spiegel, das ich rot anlief. War es Scham oder Wut? Ich konnte es nicht deuten. Ich schlug mit meiner Hand nach hinten, so dass er meine Haare loslassen musste, dann rannte ich so schnell ich konnte aus dem Klo. Ich lief den leeren Flur entlang in Richtung Ausgang. Ich wollte nur noch weg. Auf dem Hof blieb ich einige Sekunden stehen, um tief Luft zu holen. Dann taumelte ich zu einem Baum und lehnte mich an. Danach sank ich auf den Boden, zog meine Knie an meinen Oberkörper und hielt sie mit den Armen fest. Vorsichtig legte ich meinen Kopf auf die Knie und verharrte so eine ganze Weile. Ich merkte wie meine Wangen feucht wurden und die Tränen auf meine Hose tropften. Ich ließ alles noch mal Revue passieren. Wie kam es dazu, dass mir schlecht wurde? Ach ja, der Kratzer. Ich betrachtete ihn und streichelte mit dem linken Daumen darüber. Warum regte ich mich eigentlich so darüber auf? Vielleicht war es Zufall, dass der Kratzer an der gleichen Stelle war, wo mich der Kater gekratzt hatte. Vielleicht, hatte ich mich einfach selbst gekratzt oder gestoßen. Zufall – mehr nicht! Damit tat ich die Sache in meinem Kopf ab. »Geht es dir jetzt besser?«, fragte Jake besorgt. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er mir nach gelaufen war. »Ja«, flüsterte ich. »Was war denn los? So oft wie du dich übergibst, könnte man glauben du wärst...« Er brachte den Satz nicht zu ende, als er meinen Blick sah. »Ich hab nur einen empfindlichen Magen«, log ich. Ich konnte ihm ja nicht erzählen, dass mein Traum wahr geworden ist und ich deshalb völlig am Rad drehte. »Soll ich dich nach Hause fahren?« »Nein... es geht schon wieder. Ich werde mich den Rest der Stunde hier noch ausruhen, danach geh ich wieder zum Unterricht.« Er nickte. Als er mich ansah, blieb sein Blick an meiner rechten Hand hängen. Als ich merkte, dass er sie anstarrte, versuchte ich seinen Blick zu deuten. Seine Augen sahen besorgt und gleichzeitig völlig entsetzt aus. Er zog die Augenbrauen zusammen und runzelte die Stirn. Machte er sich wirklich Sorgen? Und wenn ja – worüber? Über den kleinen Kratzer hier? Das konnte ich mir nicht vorstellen. »Was ist?«, fragte ich neugierig. Er schüttelte den Kopf, als ob er irgendeinen Gedanken los werden wollte. Dann sah er mir ins Gesicht. Ich musste in dem Moment schrecklich ausgesehen haben. Ein Glück, dass ich keinen Spiegel hatte, sonst wäre ich vor Scham sicher im Erdboden versunken. Ich kicherte. Er sah mich mit einem liebevollen Blick an. In dem Moment raste mein Herz so schnell, als ob ich gerade einen Marathon gelaufen wäre. Ich errötete. Er kam auf mich zu und kniete sich vor mich. Ich versuchte seinem Blick auszuweichen, doch ich konnte nicht. Seine Augen hatten mich gefangen und wollte mich einfach nicht mehr gehen lassen. Er kam immer näher an mein Gesicht heran. Oh nein, ich musste doch schrecklich riechen – nach Erbrochenem. Jetzt war sein Gesicht nur noch wenige Millimeter von meinem entfernt. Wenn mein Herz nicht sicher in meiner Brust angewachsen wäre, wäre es mir sich gleich heraus geschlüpft. Seine Stirn berührte meine. Nur noch ein Stück! Komm schon! Dann sprang er plötzlich auf und grinste. »Okay, Fieber hast du schon mal nicht.« Mir klappte der Mund auf und ich musste mich erstmal daran erinnern, wie man ihn wieder zu machte. Wie peinlich. Wie konnte ich nur erwarten, dass er mich küssen wollte. Mir gingen diverse Schimpfwörter durch den Kopf, die ich ihm am liebsten zugerufen hätte. So was wie: Mistkerl, Arschloch, … Ich holte einmal tief Luft, um wieder auf den Teppich zu kommen. Warum sollte ich mich wegen dem aufregen? Reine Zeitverschwendung. Schnell stand ich auf und wollte an ihm vorbei sausen. Satz mit X. Kaum war ich ausgestanden, taumelte ich schon hin und her und mir wurde schwarz vor Augen. Klar – wenn man schnell aufsteht – dass das Blut da nicht so schnell hinterher kommt. Schwankend und taumelnd ging ich an ihm vorbei. Ich wollte mir keine Blöße geben, also hielt ich nicht an, um zu warten, bis das Blut wieder in meinem Kopf ankam. Fehler. Ganz großer Fehler. Keine zwei Meter hinter ihm viel ich um. Als ich aufwachte, lag ich im Krankenzimmer. Was war eigentlich passiert, nachdem ich umgefallen war? Ich versuchte mich zu erinnern – aber da war nichts. Hatte mich Jake hier her getragen? Ich drehte mich zur Seite und wollte gerade noch mal die Augen schließen, da grinste mich Jake an. »Guten Morgen mein Engel«, sagte er spöttisch »gut geschlafen?« Ich machte vor Schreck einen Satz zurück und fiel aus dem Bett. Zum Glück hatte ich mich nirgends gestoßen. Er lehnte sich über das Bett und schaute zu mir runter. »Alles Okay?«, fragte er mit einem unterdrückten Lachen in der Stimme. Ich funkelte ihn nur böse an, stand auf und klopfte mir den Deck von der Hose. Eigentlich war da kein Deck – reine Angewohnheit. »Geht es dir jetzt besser?« »Mir geht’s prima«, zischte ich ihn an. Kaum war ich zwei Schritte gegangen gaben meine Beine schon wieder nach. Jake fing mich auf, ehe ich mich an der Bettkante stoßen konnte. »Du solltest dich lieber wieder hinlegen.« »Lass mich los, ich muss zum Unterricht«, schrie ich ihn an. Doch er weigerte sich mich auch nur einen Schritt alleine gehen zu lassen. Er packte mich an der Taille, legte meinen Arm um seine Schultern und stützte mich. »Ich bring dich nach Hause. Du hattest einen Schock, damit ist nicht zu spaßen.« »Aber...« »Kein aber«, unterbrach er mich »du fährst jetzt nach Hause und wenn du da bist, wirst du dich ausruhen. Und vor Montag will ich dich hier nicht mehr sehen. Hast du das verstanden?« Ich wollte widersprechen, aber sein Blick sah mich flehend an. Also nickte ich nur. Die Schulschwester machte uns die Tür auf, es schien abgesprochen zu sein, dass ich nach Hause gehen sollte. »Wissen die Lehrer denn Bescheid?«, flüsterte ich. »Ja. Es ist auch abgesprochen, dass du bist Montag zu Hause bleibst. Es war keine gute Idee, gleich nach deiner Ankunft zu Schule zu gehen. Eins – zwei Tage Wandlungszeit hättest du dir schon nehmen können.« Ich konnte mir ein grinsen nicht verkneifen. Er war so...fürsorglich. Das hätte ich ihn nie zugetraut. Wir gingen zusammen den Flur entlang nach draußen auf den Hof. Er hielt mich die ganze Zeit fest. Irgendwie war es ein komisches Gefühl, aber nicht unangenehm. Ein paar Meter vor dem Schultor blieb er ruckartig stehen. Erst verstand ich gar nichts, aber dann sah ich Adam, wie er am Tor mit verschränkten Armen stand. Wenn sein Blick hätte töten können, wäre Jake sofort umgefallen. Adam kam auf uns zu und streckte eine Hand nach mir aus. Jake reagierte nicht. »Gib sie mir!«, sagte Adam fordernd. »Warum?«, fragte Jake verwirrt. »Weil ich sie nach Hause bringen werde.« Adams Ton wurde immer unfreundlicher. »Und wie willst du das anstellen? Willst du sie tragen?« Jake sah zu seinem Motorrad, »oder willst du sie umbringen?« Einen Moment sagte keiner der Beiden etwas. Das war meine Chance mich einzumischen. Doch kaum hatte ich den Mund geöffnet, ging es wieder von vorne los. »Denkst du du bringst sie sicherer nach Hause?«, fragte Adam zornig. »Ja.« Warum fragten die beiden nicht mich, mit wem ich lieber fahren würde? Dann könnte man sich das hier sparen. »Warum lassen wir das nicht Sophie entscheiden?«, fragte Jake. Oh mein Gott, konnte er etwa Gedanken lesen? Ich sah ihn verdattert an. »Okay – na dann entscheid dich mal Pia« Pia? Was zum...was war das denn für ein Spitzname, den mir Adam da verpasste? Fand er das lustig? Pia... Pia... Ich musste mich erstmal beruhigen. »Einmal tief durch atmen«, sagte ich zu mir selbst. »Ich fahre mit Jake...«, sagte ich schließlich. Ich hatte nämlich weder Lust auf dem Motorrad zu fahren und Todesängste aus zustehen, noch wollte ich von Adam den ganzen Weg gestützt oder getragen werden. Voll peinlich. Da ist doch so ein Mercedes viel bequemer. Cool, ich hatte mir gemerkt was Jake für ein Auto fährt. Glanzleistung, so etwas merkte ich mir sonst nie. Ein Lächeln trat auf mein Gesicht. Adam schien das ein wenig falsch zu interpretieren. Er verzog das Gesicht und legte seine Stirn in Falten. »Ist das dein letztes Wort?«, fragte er sauer. Ich nickte und drückte mich enger an Jake. Adem würdigte mich danach keines Blickes mehr. Er starrte nur Jake an. So nach dem Motto >Wehe ihr passiert etwas, sonst...<. Dann drehte er sich um und ging zu seinem Motorrad, setzte den Helm auf, sah noch mal zu Jake und fuhr dann weg. »Ist er immer so?«, fragte mich Jake, als Adam nicht mehr in Sichtweite war. »Ich glaube er macht sich nur Sorgen um mich«, erwiderte ich. Er seufzte leicht, dann sah er zu mir und lächelte. »Mach dir keine Sorgen, ich werde dich heil nach Hause bringen, das verspreche ich dir.« Ich lächelte zurück. »Ich weiß.« Wir fuhren ziemlich schnell, was mich nicht weiter störte. Er hatte das Verdeck offen gelassen, damit ich frische Luft hatte. Es war sehr angenehm, wie mir der Wind durch die Haare wehte. Ich schloss die Augen und lauschte der Musik die im Radio lief. Es war eine Symphonie von Sonata Arctica. Meine Absolute Lieblingsband. Anscheinend hörte Jake sie auch gerne, denn er schlug mit dem Finger im Takt aufs Lenkrad. Ich grinste freudig vor mich hin und sang in Gedanken mit. Als wir dann endlich bei mir zu Hause waren, half Jake mir noch die Treppen herauf und brachte mich bis vor zur Tür. Er wartete noch bis ich aufgeschlossen hatte und wollte sich dann wieder aus dem Staub machen. »Willst du mit reinkommen?«, fragte ich schnell. Er hielt kurz inne, als ob er überlegte. »Ein andern Mal vielleicht«, sagte er im Weggehen. »Schade«, murmelte ich und ging in das Apartment. Ich schloss hinter mir die Tür und ließ meine Tasche am Eingang fallen. Als ich aufschaute bekam ich fast einen Herzinfarkt. »God damn, Adam«, schrie ich, als ich zum Sofa schaute und er ziemlich angespannt da saß. »Was hast du hier zu suchen? Sag bitte nicht, du hast auf mich gewartet, um zu sehen, dass ich wirklich nach Hause komme...« Er saß einfach nur da und musterte mich von oben bis unten. Es sah fast so aus, als würde er nach Verletzungen suchen oder so. Dann stand er auf und kam auf mich zu. Ein paar Schritte vor mir blieb er stehen. »Was?«, fragte ich scharf. »Warum bist du mit dem nach Hause gefahren und nicht mit mir?« »Weil ich keinen Bock darauf hatte, vom Motorrad zu fallen, wenn ich´n Schwächeanfall oder so bekommen hätte und von dir nach Hause getragen werden wollte ich auch nicht...das ist mir zu peinlich...« »Aber von ihm lässt du dich stützen oder was?«, viel er mir ins Wort. Ich musste erstmal schlucken, um den Kloß aus meinem Hals zu bekommen. Was sollte ich dazu sagen? Ich mag Jacob halt und daran lässt sich nichts ändern... ich wollte daran auch nichts ändern – Warum auch? Außerdem wollte er doch nur helfen. »Was hast du gegen Jacob? Er wollte mir nur helfen.«, fragte ich, als der Kloß sich etwas gelöst hatte. »Sophie«, fing er an – warum betonte er meinen Namen so? »Er spielt nur mit deinen Gefühlen. Warum willst du das nicht verstehen? Er liebt dich nicht!« »Aber du oder was?«, schrie ich ihn an. Als ich seine Reaktion sah, hätte ich mir gewünscht, es nie gesagt zu haben. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Ohne ein Wort zu sagen ging er an mir vorbei, riss die Wohnungstür auf und knallte sie hinter sich zu. Ich sank zu Boden. Und ich fühlte wie mir die Tränen in die Augen stießen. »Es tut mir leid«, wimmerte ich. Konnte ich wissen, dass er so für mich empfand? Woher denn? Ich war völlig verwirrt. Er war immerhin fast acht Jahre älter als ich – wer rechnet da mit so was? Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Jetzt erstmal duschen. Ich musste unbedingt einen klaren Kopf bekommen. Leider hielt das nur während dem Duschen an. Kaum war ich wieder aus der Dusche umschwärmten mich meine nervigen Gewissensbisse und Gedanken wieder. Musik hören – das ist immer eine gute Ablenkung. Ich ging in mein Zimmer steckte den MP3-Player an meine Stereo-Anlage. Juliet. Ich liebe dieses Lied. Da ich wusste, dass mich niemand hören konnte setzte ich mich auf mein Bett und begann laut mit zu singen: »"These are my final lines, I've lived all my nine lives, My nights are over, cannot feel your heart anymore" I lived only trough you, My scar, my heart, my truth, I do not want to die, But no more can I love you!!! How hard it is to understand My wish to die hand in hand? This night's like a dream You will be the last thing I will see I hold your hand, close my eyes all I love finally dies Drank the poison most foul with you... But why do you smile? ...Don't smile Don't you smile You were supposed to wither away with me, so, Juliet Please don't smile I'm paralyzed and you are still alive.« Mitten im Text brach ich ab. Hatte es geklingelt? Ich stellte die Musik aus, damit ich das Klingeln besser hören konnte. Es war mein Handy. Ich ging aus dem Zimmer, um es zu suchen. Wo hatte ich es noch mal hingelegt, als ich nach Hause kam? Ach ja, in meiner Schultasche... und die stand wo? Ich lauschte auf das Klingeln – es kam von der Wohnungstür. Ah! Ich kramte es aus meiner Tasche und ging ran. »Ja?«, fragte ich tonlos. »Hey!«, rief eine gut gelaunte Stimme aus dem Telefon. »Hat dich Adam noch dolle ausgeschimpft?« Das klang jetzt schadenfroh. »Jacob du bist´n Arsch...« »Oha, so schlimm? Tut mir leid, dass ich nicht mit rein gekommen bin, aber ich hänge doch sehr an meinem Leben. Und so wie Adam aussah, als du dich vorhin dazu entschieden hattest mit mir mitzufahren, hatte ich nicht wirklich lust ihm in die Arme zu laufen.« »Woher wusstest du, dass er im Apartment war?« »Ich hatte sein Motorrad gesehen, als wir in die Einfahrt bogen. Er hatte es hinter einen Baum gestellt.« Mistkerl, er hätte mich ja wenigstens mal warnen können... »Was machst du heute noch so?«, fragte er neugierig. »Weiß nicht, vielleicht lesen oder Musik hören. Mal schauen.« »Ach so, okay, na dann noch viel Spaß dabei.« Es lag Enttäuschung in seiner Stimme. Was hatte er erwartet? Das ich ne Party feiere? Egal. Darüber wollte ich mir keine Gedanken machen. »Wir sehen uns dann Montag in der Schule. Ruh dich mal richtig aus und genieße deine Freizeit.« »Mach ich«, sagte ich und legte auf. Und jetzt? Ich schaute zur Uhr, es war gerade mal Mittag durch. Hmm. Was könnte man machen? Vielleicht putzen? Nee. Auf keinen Fall. Ich gähnte herzhaft und streckte mich. So´n kleines Nickerchen wäre jetzt genau das Richtige zum Entspannen. Ich schleppte mich zurück in mein Zimmer, stellte die Musik wieder an – diesmal leiser – und ließ mich auf mein Bett fallen. Ich lauschte noch eine Weile der Melodie und schlief dann ein. Ich träumte wieder von Jake, wie er diese wunderschöne Melodie auf seiner Violine spielte. Da fiel mir ein, dass ich meinen Text – den ich mir dazu ausgedacht hatte – noch aufschreiben wollte, damit ich ihn nicht vergaß. Ich weiß nicht, wie lange ich der Melodie gelauscht hatte, doch plötzlich verstummte die Violine. Egal wie oft er über die Saiten strich, es kam kein Ton mehr heraus. Erschrocken stand ich auf und lief zu ihm. Ich wollte ihm helfen doch er warf die Violine auf den Boden und trat darauf. Er fluchte und schrie herum. Ich konnte aber nicht verstehen, was er sagte. Alles war wie in einem Stummfilm. Da tauchte plötzlich Adam auf und die beiden stritten heftig miteinander. Ich versuchte dazwischen zu gehen, doch egal wie weit ich auch lief, ich konnte die beiden nicht erreichen. Aber warum? Warum verließen sie mich? Hatte ich etwas falsches gesagt oder getan? Mir liefen die Tränen wie kleine Perlen über mein Gesicht. Als ich weinend weiter versuchte sie zu erreichen, hörten sie auf sich zu streiten und hielten mir beide eine Hand hin. Kurz bevor ich sie erreichen konnte sprang eine schwarze Katze dazwischen und ich schreckte zurück. Jake und Adam lösten sich vor meinen Augen auf. »Es ist besser so«, schnurrte der schwarze Kater. »Aber?«, erwiderte ich. Der Kater schüttelte den Kopf. Traurig sah ich in die Dunkelheit. Hieß das jetzt, dass ich keinen von beiden jemals lieben durfte? Und woher wollte der Kater das wissen? War er Hellseher? Ich drehte mich von ihm weg und trocknete mir die Tränen mit dem Ärmel meines Pullovers. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)