Sirenenfang von Ur (Immunität ist alles) ================================================================================ Kapitel 2: Diese ---------------- So... da ich ja im Moment kein Internet habe (ich klaue es schon wieder bei meinen Nachbarn), dauern die Updates etwas länger. Aber hier ist das neue Kapitel und ich hoffe, dass ihr es mögt. Danke für die lieben Kommentare! Viel Spaß beim Lesen, Liebe Grüße, _____________________ Mein Wohnzimmerfenster steht weit offen, ich sitze auf der Fensterbank und hab mir einen Glimmstängel angezündet. Unten auf der Straße gehen viele Passanten vorbei, ich wohne direkt an einer Hauptstraße. Manchmal macht es Spaß, einfach nur hier zu sitzen und Leuten dabei zuzusehen, wie sie vorbeihasten oder Sachen fallen lassen und mit Freunden lachend herumalbern. Aber ich bin selten nur Beobachterin. Diesen Part habe ich auf meinen Lieblingsplatz auf dem Fensterbrett beschränkt. Viel lieber bin ich der Mittelpunkt des Geschehens. Ich mag mich so, wie ich bin und mache daraus auch keinen Hehl. Deswegen nennen mich viele Leute – vor allem neidische Mädchen und verbitterte Kerle, die keine ins Bett kriegen – arrogant. Wenn das bedeutet, dass ich kein Problem mit mir habe, dann bin ich gerne arrogant. Ich puste das letzte Mal den Rauch gen Himmel, dann drücke ich die Zigarette auf dem Fenstersims aus und schnippe sie hinunter auf die Straße. Anschließend rutsche ich vom Fensterbrett und mach das Fenster wieder zu, strecke mich kurz und werfe einen Blick auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand. Es ist halb sieben. Ich beschließe, dass es an der Zeit ist, duschen zu gehen und mich fertig zu machen. Ich will nachher noch weggehen. Leo hat leider keine Zeit, aber ich hab mich stattdessen mit zwei Mädels aus meinem Studiengang verabredet und sie überzeugt, mit mir zur Ladies Night in unserem Homo- Schuppen hier zu gehen. Sie sind zwar beide nicht lesbisch und haben blöde gekichert, als ich ihnen erzählt hab, dass sie wohlmöglich mal angebaggert werden, aber so ist es besser als ganz allein hinzugehen. Ganz manchmal mache ich das, aber es macht mehr Spaß, wenn man nicht ohne irgendjemanden an der Bar warten muss. Nachdem ich unter der Dusche war, trockne ich mich ab und mache mich daran, meine Haare in Form zu bringen. Meistens bin ich ungeschminkt, aber meine Frisur ist mir heilig. Ich sehe es förmlich schon vor mir, wie gestylt Lilli und Caro sein werden, wenn ich sie abhole. Ich selbst mag es lieber lässig und bequem, auch wenn ich abends ausgehe. Dann ist das höchste der Gefühle ein etwas größerer Ausschnitt. Ich nicke meinem Spiegelbild zufrieden zu und verlasse das Bad vollkommen nackt, husche in mein Schlafzimmer und krame in meinem Kleiderschrank herum, bis ich mich schließlich für eine schwarze Jeans und ein ebenfalls schwarzes T-Shirt entscheide. Leise summend packe ich alles, was ich brauche, in meine kleine, schwarze Eastpack- Tasche und werfe einen kurzen Blick auf mein Handy. ‚Eine Kurzmitteilung erhalten’, kündigt das Display an. Leise pfeifend schnappe ich meine Tasche, gehe ins Wohnzimmer und lasse sie auf meine dunkelrote Couch fallen. Dann setze ich mich daneben und öffne die Sms. »Hey Königin der Nacht, treib’s nicht zu wild heute Abend. Morgen Mittag telen? Lieb dich sehr, Leo« Ich grinse breit und puste mir eine blonde Ponysträhne aus dem Gesicht. Leo ist wirklich kreativ, was meine Spitznamen und Anreden angeht. Manchmal witzelt sie, dass ich sicher jedes Mal enttäuscht bin, wenn ich eine Sms von ihr anstatt von einer meiner hundert Verehrerinnen bekommen hab. Aber da irrt sie sich gewaltig. Ich freu mich immer riesig, wenn sie mir schreibt und abgesehen davon können meine hundert Verehrerinnen mir ohnehin nicht schreiben. Ich gebe niemals meine Handynummer raus. In meinem Telefonbuch stehen genau sechs Handynummern. Leo, Katja, Lilli, Caro, meine Eltern und meine kleine, siebzehnjährige Cousine Nina, auf die ich einen ziemlich schlechten Einfluss hab und mit der ich ab und an mal einen DVD- Abend starte. »Hallo Herzblatt! Du weißt doch, ich würde nichts tun, was ich sonst nicht auch tue. Ich ruf dich an, wenn ich ausgeschlafen hab und wieder nüchtern bin! Kuzzkuzz, Melli« Ich weiß genau, dass sie jetzt den Kopf schüttelt, grinst und sich denkt, dass sie wohl niemals etwas an meiner ausschweifenden Lebensart ändern kann. Aber es ist ein gutes Gefühl, dass sie mich trotzdem so nimmt, wie ich bin. Während ich mir meine ausgelatschten Stiefel binde und die Jeans hinein stecke, erinnere ich mich daran, wie es damals war, als wir beide langsam aber sicher herausgefunden haben, dass wir irgendwie anders sind als die Mädchen aus unserer Klasse. Leo und ich waren immer schon zusammen. Wir sind wie siamesische Zwillinge, auch wenn ich weiß, dass Leo mit mir nicht über alles reden kann. Über ihre Bücher oder ihre Einstellung zur Liebe. Aber sie weiß, dass ich mir den Arsch für sie aufreißen würde und dass sie sich immer auf mich verlassen kann. Ich war damals die Erste, die es gemerkt hat. Und witzigerweise war Leo diejenige, die mich darauf gebracht hat. Ich finde sie toll, fand sie immer schon toll. Aber damals, mit vierzehn, fand ich sie auf andere Art und Weise toll. Ich glaube, ich war vielleicht ein bisschen verschossen in sie. Aber man hört ja öfter davon, dass Mädchen in ihre beste Freundin verknallt sind, deswegen hab ich mir zuerst nichts dabei gedacht. Bis ich dann auf irgendeiner Party dieses Mädchen gesehen hab. Lara hieß sie, glaub ich. Sie war schon älter, hatte dunkle Haare, einen Undercut, eine Kippe im Mund und ein T-Shirt mit der Aufschrift ‚Nobody knows that I am Lesbian’. Ich wusste, dass ich es unbedingt ausprobieren wollte. Also hab ich’s getestet. Eigentlich wollte ich nur knutschen, aber dann kam doch alles anders und Lara war die Erste, mit der ich geschlafen hab. Sie hat mir auch später noch einiges beigebracht und mich in die Szene eingeführt. Heute hab ich keinen Kontakt mehr zu ihr, sie ist schon vor Jahren weggezogen: ich trauere ihr nicht nach, aber ich denke gerne an die Zeit zurück. Als ich es Leo gesagt hab, meinte sie ganz lässig, dass sie es sich schon gedacht hat. Bei ihr hat es anderthalb Jahre länger gedauert. Herrgott, ich weiß noch, wie sie gelitten hat. Liebeskummer ist wirklich Mist. Damals, als ich sie ständig trösten musste, da hab ich mir geschworen, dass ich niemals so durchhängen will. Ich hab beschlossen, dass Verliebtsein scheiße ist. Ich frag mich echt, woher Leo diesen Optimismus nimmt, wo sie doch fast ein Jahr lang hinter dieser Verena her war. Blöd nur, dass die nichts von Frauen wissen wollte. Seit damals ist Hanna allerdings die Erste, in die Leo sich wieder verliebt hat. Zwischendrin herrschte bei ihr eher Flaute. Die Haustür fällt hinter mir zu und ich knöpfe meine Jacke zu, summe immer noch leise vor mich hin und stecke mir eine Kippe an. Ein ziemlich kühler Wind weht mir um die Nase und es ist schon fast dunkel. Die Straßenlaternen spenden ekelhaft künstliches Licht und ich schiebe eine Hand in die Tasche meiner Jacke, mit der anderen halte ich meine Zigarette. Lara und Verena. Leo und ich sind uns einig, dass es gut so war, wie es war. Auch wenn ich eindeutig das bessere Los gezogen hab. Leo ist da anderer Meinung. Aber sie ist ja ohnehin ein komischer Kauz. »Liebeskummer gehört nun mal dazu«, pflegt sie zu sagen. Ich kann darüber nur die Augen verdrehen. Liebe ist so was Masochistisches. Nein, danke. »Es hat zwar wehgetan, aber ich hab auch daraus gelernt. Ich bin daran gewachsen. Du kannst dich auch nicht ewig drum herum schiffen!« Ja, Leo ist nicht nur eine hoffnungslose Romantikerin, sondern auch ungebrochene Optimistin. Manchmal frage ich mich, wie wir eigentlich so lange miteinander auskommen konnten. Aber es funktioniert wirklich ganz hervorragend. Und das obwohl ich ein emotionaler Krüppel und ein elender Realist bin. Wie ich erwartet habe, sehen Caro und Lilli aus, als wollten sie auf eine Miss- Wahl gehen. Caro ist größer als ich, hat lange, braune Haare und so lange Wimpern, dass sie fast bis zu ihren Augenbrauen reichen. Ihre langen Beine stecken in einem sehr kurzen Rock und enden in hohen Pumps. Ich frage mich, wie sie darauf tanzen will. Lilli hat eine knallenge, weiße Röhrenjeans an. Ihre roten Korkenzieherlocken beißen sich ziemlich mit dem kräftigen Blau ihres T-Shirts, das so einen riesigen Ausschnitt hat, dass ihre großen Brüste mir beinahe entgegen fallen. Als ich demonstrativ darauf starre, kichert Lilli. »Wenn du vorhast, dich heute Nacht abschleppen zu lassen, dann ist das genau das richtige Outfit«, sage ich leicht spöttelnd und Caro und Lilli lachen mädchenhaft hoch und winken ab. Ich bin mir sicher, dass Lesben für sie so ähnlich sind wie Kerle. Nur, dass sie mit denen nicht schlafen. Ich muss in unserem Homoschuppen nie anstehen. Die Einlasskontrollen sind eigentlich immer dieselben und ich hab – bis auf eine, die mir eindeutig zu maskulin ist – mit allen schon gevögelt. Caro und Lilli kichern noch exzessiver, als ich ihnen erkläre, wieso wir nicht anstehen mussten. Sobald wir unsere Jacken abgegeben haben, hat Lilli eine Kampflesbe am Hosenzipfel und ich helfe ihr nicht, sondern grinse nur und sehe zu, wie sie immer röter anläuft. »Ich hab sie ja gewarnt«, sage ich zu Caro, die aussieht, als wäre sie halb neidisch, halb erleichtert darauf, dass Lilli nun eine Interessentin an der Backe hat. Ich meine mich dunkel zu erinnern, dass die Kampflesbe Krissie heißt. Ich beobachte sie und Lilli eine Weile lang amüsiert, dann will ich was trinken und beschließe, dass ich Lilli hier nicht allein stehen lassen kann. »Hey«, sage ich lässig und schiebe mich zwischen die beiden. Krissie sieht mich an und ich bin mir sicher, dass bei ihr der Groschen fällt. »Melina«, sagt sie und es klingt, als wäre sie nicht sicher, ob sie begeistert oder abwertend reden will. »Gehört sie zu dir?«, will Krissie wissen und ruckt in Richtung Lilli. Ich grinse. »Ich würde nicht ‚Nein’ zu ihr sagen, aber sie ist ne Hete«, erkläre ich. Krissie hebt die Augenbrauen, dann grinst sie. »Sag das doch«, meint sie an Lilli gewandt, dann hebt sie die Hand und verschwindet in der Menge. Lillis Wangen leuchten knallrot. »Ich will Tequila«, sage ich ausgelassen und schiebe mich nach der Rettungsaktion hinüber zur Bar. Caro und Lilli folgen mir, hektisch miteinander tuschelnd. Zweifellos geht es um die gerade erlebte Baggeraktion. Ich rette die beiden noch aus zwei brenzligen Situationen, dann haben sie den Dreh raus und geben sich einfach als Pärchen aus. Nach dem sechsten Tequila geht es mir ziemlich gut und ich tanze ausgelassen mit den beiden, während ich es mir nicht verkneifen kann, den Blick über die Menge schweifen zu lassen, um eine eventuelle Kandidatin für heute Nacht zu finden. »Meintest du nicht, dass es heute Abend Live- Musik gibt?«, ruft Caro mir durch den dröhnenden Bass zu. Ich nicke und deute auf die kleine Bühne, auf der schon Instrumente aufgebaut sind. »Wie heißt die Band denn?«, fragt Lilli laut. Ich grübele kurz, dann zucke ich die Schultern. Ich weiß, dass die gleiche Band hier ziemlich oft spielt. Eigentlich immer zur Ladies Night. Und wie zur Bestätigung meiner Gedanken geht die Musik aus und einige Scheinwerfen richten sich zitternd auf die Bühne. Die anwesenden Frauen und Mädchen drehen sich der Bühne zu und einige johlen und klatschen schon. Lilli und Caro sehen ziemlich gespannt aus, als wäre es ein echtes Highlight, das eine Band in einem Homoschuppen spielt. Sie scheinen sehr neugierig zu sein, wie eine Lesbenband aussieht. Vier junge Frauen schieben sich auf die Bühne. Die Frontsängerin trägt einen schwarzen Hut und Armstulpen und ein weißes Tanktop. Sie schiebt das Mikrophon in den Ständer und lässt den Blick über die Menge schweifen. Für einen kurzen Moment streifen ihre dunklen Augen mein Gesicht. Empört erkenne ich sie wieder. Das Mädchen, dem ich nach gepfiffen hab und die mir darauf nur ihren Mittelfinger gezeigt hat. Als sie ihren Blick abwendet grinst sie breit. »Schönen guten Abend«, sagt sie lässig ins Mikro und würdigt mich keines Blickes mehr. »Du starrst sie an wie das achte Weltwunder«, sagt Lilli grinsend. Ich werfe ihr einen bösen Blick zu. »Ich hab nicht gestarrt. Ich hab nur gerade beschlossen, dass ich die heute Nacht mit nach Haus nehme!« Caro und Lilli sehen beeindruckt aus, so als hätte ich gerade den Weltrekord im Langzeittauchen gebrochen. Ich wende mich der nächstbesten Frau neben mir zu. »Wie heißt die Sängerin gleich noch mal?«, frage ich stirnrunzelnd. »Calla«, antwortet die Fremde und grinst breit, »sie ist klasse, oder?« Ich antworte nicht, sondern starre sie nur an. Ihre Stimme klingt wie Marta von Die Happy. Witzigerweise covern sie sogar zwei Lieder von meiner Lieblingsband. Calla sieht mich den ganzen Abend nicht an, aber ich mir sicher, dass sie mich erkannt hat. Lilli und Caro scheinen sich prächtig zu amüsieren, ich selbst tue so, als hätte ich glänzende Laune und singe mit, klatsche ab und an und tanze zum einen oder anderen Lied. Aber insgeheim brodele ich darüber, dass sie mir einen Korb gegeben hat – auch wenn das eigentlich lächerlich ist, da ich ihr ja lediglich hinterher gepfiffen habe. Trotzdem. Ich bin verlegenes Blinzeln, geschmeicheltes Grinsen und interessierte bis begehrliche Blicke gewöhnt. Und nicht berechnende Ignoranz und einen ausgestreckten Mittelfinger. Callas Band ist wirklich gut und heute achte ich das erste Mal so richtig darauf. Calla strahlt so eine Art lässig schlichten Glanz aus, wie sie da auf der Bühne steht, eine Hand locker über das Mikrophon gelegt und immer im Takt der Musik in Bewegung. Sie ist so cool, dass ich kotzen könnte. Und singen kann sie auch noch. Eine Stunde lang spielen sie, – ich hab den Namen der Band schon wieder vergessen – dann verabschieden sie sich unter Jubelrufen und Applaus von der Bühne. »Ich bin mal eben kurz weg«, rufe ich Lilli und Caro zu, schiebe mich durch die Menge an der Bar vorbei, bis nach hinten, wo eine schlichte weiße Tür zu den Toiletten und dem Backstage- Bereich führt. Ich will gerade an die Tür klopfen, da öffnet sie sich von allein und Calla rennt fast gegen mich. Offensichtlich wollte sie aufs Klo. Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Den Hut hat sie abgesetzt. Ich sehe ein paar kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn. Links über ihrer Oberlippe hat sie ein Muttermal. Gerade will ich den Mund öffnen und irgendetwas Cooles sagen, aber mir fällt nichts ein und das leicht amüsierte Grinsen auf Callas Gesicht hilft mir nicht gerade. Wortlos schiebt sie sich an mir vorbei. »Autogramme gibt’s heut nicht«, sagt sie noch, dann schwingt die Tür der Toilette zu und ich stehe da wie der letzte Trottel. Aber eins weiß ich. Ich werd sie schon noch kriegen und wenn’s das letzte ist, was ich tue. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)