New York City, 2AM von Berendis (Teil 2 der "Enough To Go By" Serie) ================================================================================ New York City, 2AM ------------------ Disclaimer: Nix meins ausser die Idee, wie immer. A/N: Da ist mein Computer mal für zwei Tage kaputt und ich habe plötzlich Zeit um Dinge zu tun, die sonst viel zu kurz kommen. Zum Beispiel Schreiben. Obwohl ganz sicher kein zweiter Teil oder irgendwas Ähnliches zu „Fünf Tassen Kaffee“ geplant war, spielt diese Geschichte trotzdem im selben "Universum" in etwa demselben Zeitraum, hat aber nicht direkt etwas damit zu tun. Ob es weitere Geschichten in dieser Serie geben wird, weiss ich noch nicht - aber psst, die eine oder andere Idee hab ich schon noch ;) -- -- -- -- -- -- I’m not running from, no, I think you got me all wrong I don’t regret this life I chose for me But these places and these faces are getting old So I’m going home - Home – Daughtry - „Hallo, Kibum.“ Koreanisch am Telefon, morgens um zwei. Die Stimme am anderen Ende klingt vage bekannt, aber sie ist unmöglich zu erkennen vor der lauten Geräuschkulisse. Die nächsten Worte – vielleicht ein Name, ein Hinweis darauf, wer Kibum mitten in der Nacht aus dem Schlaf reisst – gehen im Lärm unter. Dröhnende Motoren vielleicht, vermelden Kibums langsam erwachende Hirnzellen, und Stimmengewirr in einer grossen Halle. Ein Flughafen? „Holst du mich ab? Ich habe keine Ahnung, wo du wohnst“, fragt die Stimme, ein bisschen erschöpft, aber fröhlich und ganz so, als wäre es selbstverständlich, dass Kibum mitten in der Nacht einen Unbekannten vom Flughafen abholt. Und dann, dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. „Donghae?“ Die Strassen von New York sind nie ganz leer, selbst um halb vier Uhr morgens nicht. Kibum folgt den roten Rücklichtern vor ihm, versucht, die Augen offen zu halten und nicht an den Tag zu denken, der ihn morgen – heute – erwartet. Versucht, nicht ständig nach rechts zu sehen, wo Donghae mit halbgeschlossenen Augen sitzt und schweigt, ein schmales Lächeln auf den Lippen. Sie haben sich seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen, seit Kibum in die Staaten zurückgegangen ist, und im Grunde sitzt neben ihm nun ein Fremder. „Was machst du hier?“, hat Kibum gefragt, als sie sich am Flughafen gegenüber gestanden sind. Donghae hat die Schultern gezuckt und gegrinst, fast so unbeschwert wie damals. Als wäre die Zeit spurlos an ihm vorbeigegangen, mit Ausnahme der kleinen Fältchen um seine Augenwinkel. Und nun schweigen sie sich an, die Stille fast unangenehm. Kibum weiss nicht, was er sagen oder fühlen soll; ob er sich über das unerwartete Wiedersehen freuen oder sich darüber ärgern soll, dass Donghaes unerwartetes Auftauchen ihn um seinen dringend benötigten Schlaf bringt. Ob er Donghae wirklich fragen kann, was er hier in New York will; und ob er eine ehrliche Antwort bekommen wird, oder nur dasselbe nichtssagende Schulterzucken wie vorhin schon. Kibum schämt sich fast für seine Wohnung, für die zwei engen Zimmer und das winzige Bad; für die Küche, die er nie benutzt, aber in der die leeren Bierflaschen sich stapeln. Soju trinkt er nur an den Tagen, an denen er sich fragt, welcher Teufel ihn geritten hat, als er Seoul verlassen hat; aber diese Tage sind selten und die leeren Sojuflaschen in seiner Küche lassen sich an einer Hand abzählen. Jetzt nimmt er eine dieser Flaschen aus dem Kühlschrank und zwei sauber aussehende Whiskygläser aus dem Regal, schenkt ein, wie es ihm beigebracht worden ist. Fast wie damals, auch wenn es die falschen Gläser sind und das einmal so alltägliche Ritual hier, zehn Jahre später in einem schäbigen New Yorker Vorort, fast etwas Groteskes hat. „Und jetzt?“, fragt Kibum, als sie sich an seinem Küchentisch gegenübersitzen, meint Donghaes plötzliches Auftauchen, aber auch den Wecker in seinem Schlafzimmer, der unaufhörlich der Fünf entgegentickt, dem unvermeidlichen Klingeln. „Keine Ahnung“, sagt Donghae. Wieder das Schulterzucken, der Blick, der Kibum nichts verrät. „Kann ich…?“ Kann ich was?, denkt Kibum. Kann ich einfach so bei dir hereinplatzen? Aber das hätte Donghae vorher fragen müssen, und wahrscheinlich meint er sowieso: Kann ich hier bleiben? Und Kibum nickt, auch wenn er nicht weiss, worauf er sich hier einlässt. Er ist sich nicht sicher, ob er das überhaupt wissen will. „NIT Marketing, Kibum Kim, Assistent der Geschäftsleitung, wie kann ich Ihnen helfen?“ Standardtext. Manchmal gibt Kibum sich die Mühe, nicht so gelangweilt zu klingen, aber heute nicht; heute hat er Kopfschmerzen und die Müdigkeit sitzt wie Blei in seinen Knochen. Der wässrige Kaffee aus dem Automat im Flur wirkt noch weniger als sonst, und der Berg Papierkram auf seinem Schreibtisch will nicht schrumpfen, egal, wie lange Kibum ihn anstarrt. „Wow“, sagt Donghae am Telefon, „das klingt wichtig.“ Kibum schnaubt ein Lachen. Der hübsche Titel und das glänzende Schild auf seinem Schreibtisch sind nur Farce; im Grunde ist er das Mädchen für alles, das den langweiligsten Papierkram erledigt und seinem Chef den Kaffee ins Büro bringt, oder das Mittagessen, oder eine neue Packung Zigaretten. „Was willst du?“, fragt er, mürrischer als beabsichtigt, aber er entschuldigt sich nicht. „Oh, nichts Besonderes“, sagt Donghae, und Kibum schwört, dass er ihn grinsen hören kann. „Wollte nur sehen, ob du noch nicht eingeschlafen bist.“ Kibum unterdrückt ein Stöhnen, aber er kann Donghae nicht böse sein. Seine Stimme am Telefon ist unendlich viel angenehmer als das Ticken der Uhr an der Wand, die sich doch kein bisschen weiter in Richtung Mittagspause bewegt. „Und die anderen?“, fragt Kibum abends über einer Pizza Prosciutto vom Kurier, nachdem Donghae ihm lang und breit von den Jahren nach Super Junior erzählt hat; aber nie davon, weshalb er ein Flugticket in die USA gebucht hat. „Sie schlagen sich alle irgendwie durch“, sagt Donghae, aber seine Stimme wird ein bisschen ruhiger, ein wenig wehmütig vielleicht. „Manche habe ich so lange nicht mehr gesehen wie dich.“ Wenn die Worte ein leises Schuldgefühl in Kibum hervorrufen, so ignoriert er es erfolgreich. „Hee-chul?“, fragt er, weil es der erste Name ist, der ihm in den Sinn kommt; weil er sich an stundenlange einseitige Gespräche erinnert, an Heebum auf seinem Schoss und Heechuls Stimme in seinem Ohr. „Noch immer im Geschäft“, sagt Donghae, grinst. „Noch immer derselbe.“ Aber Kibum hat das Gefühl, dass das eine Lüge ist; niemand übersteht zehn Jahre, ohne sich zu verändern. Nicht einmal Heechul. „Wie lange willst du bleiben?“, fragt Kibum irgendwann, als Donghae schon fast einen Monat bei ihm ist. Er weiss noch immer nicht, was Donghae nach New York getrieben hat, aber er hat sich fast damit abgefunden, dass er es nie erfahren wird. „Bis irgendwann“, ist Donghaes Antwort, so wenig aufschlussreich wie fast alles, was er sagt. Nur wenn Kibum nach den anderen fragt, wird er weniger kryptisch; er erzählt von Shiwons Erfolg als Model und Schauspieler rund um den Globus, von Donghees Karriere im Comedy-Business. „Und Henry“, sagt er einmal, „Henry hat die besten Karten gezogen.“ Er zeigt Kibum die Bilder eines Mannes, der kaum gealtert zu sein scheint, und der auf den bekanntesten Bühnen der Welt Geige spielt. Kibum erstickt den leisen Neid, der in seinem Magen brodelt, denkt: Nicht alle von uns waren gut genug. Nicht alle am richtigen Ort. Der Gedanke ist fast schmerzhaft, und er schiebt ihn beiseite; er erinnert sich nicht gerne an die Fehler, die er gemacht hat. „Das ist Donghae“, sagt Kibum, „ich kenne ihn von früher.“ Früher, das sind für die Leute, die er hier kennt, einige unbedeutende Jahre in Südkorea, während denen sich Kibum mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen hat. Niemand hier weiss, wer er gewesen ist, und Kibum ist dankbar dafür. Donghae sitzt schweigend neben ihm, nippt an seinem Bier und scheint der Konversation zwischen Kibum und seinen drei Arbeitskollegen aufmerksam zuzuhören, auch wenn Kibum weiss, dass er kaum die Hälfte davon versteht. Sein Englisch ist so schlecht wie damals, als sie Full House gedreht haben. Jeder Konversationsversuch mit ihm scheitert, und wenn Kibum übersetzt, klingen die Ge-spräche nur noch halb so interessant, manchmal sogar völlig unsinnig. Der Abend ist ein Reinfall. Auf dem Heimweg fragt Donghae Kibum über seine Arbeitskollegen aus, will wissen, ob sie Familie haben, was ihre Hobbies sind. Kibum kann die Fragen nicht beantworten, weil er diese Männer kaum kennt; aber sie bieten ihm ein wenig Gesellschaft, hin und wieder, wenn Kibum seine Wohnung nicht mehr aushält. „Weisst du“, sagt Kibum, mit zu viel Alkohol im Blut und einem schlechten Actionmovie auf dem Fernsehbildschirm, „jeder andere hätte dich längst wieder auf die Strasse gestellt.“ Donghae schweigt, zu lange, als dass Kibum sich dabei wohl fühlt; und als er den Kopf zu ihm dreht, entdeckt er einen merkwürdigen Ausdruck auf Donghaes Gesicht. „Ja“, sagt Donghae irgendwann leise. „Du hast Recht.“ Kibum erinnert sich daran, dass Donghae damals von den Fans manchmal mit einem Welpen verglichen worden ist; gerade jetzt fühlt er sich, als hätte er diesen Welpen getreten. „Hey“, sagt er, schluckt. „Das war nicht so gemeint. Ich…“ Aber er weiss nicht, was er sagen will. Was er sagen kann, um die Traurigkeit auf Donghaes Gesicht zum Verschwinden zu bringen. „Schon okay“, murmelt Donghae, steht auf. „Noch ein Bier?“, fragt er, geht ohne zu warten in die Küche. Kibum starrt ihm hinterher, fragt sich, woran er Donghae erinnert hat. Weshalb Donghae hier ist. „Deine Freundin?“, fragt Donghae, hält ein Foto hoch. Kibum weiss nicht, wo er es ausgegraben hat, aber es ist alt. Alt genug, dass Kibum zwei Sekunden braucht, bin ihm der Name der blonden Frau einfällt, die neben ihm in die Kamera strahlt. Kibum schüttelt den Kopf. „Nicht mehr“, sagt er, versucht sich zu erinnern, wann er mit Haley zu-sammen gewesen ist. Vor drei Jahren? Vier? Er weiss nur, dass nach ihr Jeanette gekommen ist. Und dann Sarah. Und dann… dann niemand mehr. „Was ist passiert?“ Die Frage trifft Kibum völlig unvorbereitet. Er weiss nicht, was passiert ist. Nur, dass Haley ihn eines Tages gebeten hat, ihr den Schlüssel zu ihrer Wohnung wiederzugeben. Kibum vermisst sie nicht; hat keine von ihnen vermisst, seit Donghae hier ist. „Mein Flug geht morgen um sieben Uhr.“ Donghaes Worte haben Kibum getroffen wie ein Blitzschlag, und jetzt sitzt er in seinem Büro, starrt die lindgrünen Wände an und fragt sich, ob er es hat kommen sehen. Die Antwort ist nein, und eine leise, stichelnde Stimme in seinem Hinterkopf sagt ihm, dass er nicht will, dass Donghae geht. Dass er sich so sehr an dieses bequeme Zusammenleben gewöhnt hat, dass er jeden Gedanken an eine Abreise ignoriert hat. Kibum gibt der Stimme Recht, wenn auch widerwillig. Die Aussicht darauf, sich wieder von Donghae zu verabschieden, widerstrebt ihm. Noch hat er die Antwort auf die Frage nicht, die ihn seit Dong-haes Ankunft quält. Aber bisher hat er sich immer auf einen späteren Moment vertröstet, auf den richtigen Moment, um die Frage wirklich zu stellen. Der Moment ist nie gekommen, und nun liegt Donghaes Flugticket auf dem Küchentisch in Kibums Wohnung. Sein Koffer ist gepackt, zu voll mit den Dingen, die Donghae in seinen drei Monaten hier gesammelt hat. Er geht; er geht wirklich. Der John F. Kennedy International Airport ist so laut wie in der Nacht, als Donghae Kibum um zwei Uhr morgens geweckt hat, auch wenn um diese Zeit verhältnismässig wenig los ist. Sie stehen sich gegenüber, in derselben Halle, in der Kibum Donghae zum ersten Mal nach fast zehn Jahren wieder gesehen hat. Er ist nicht viel schlauer geworden seither, weiss nicht viel mehr über Donghae, wie er jetzt ist; weshalb er so ist, wie er jetzt ist. „Na dann“, sagt Donghae, klingt ein bisschen verlegen, ein bisschen verloren. „Warum bist du hergekommen?“ Die Frage stellt sich fast von selbst, auch wenn der Moment nicht der ist, den Kibum sich dafür gewünscht hat. Aber es ist der letzte. „Ich wollte dich wiedersehen“, sagt Donghae. „Vor drei Monaten war es zehn Jahre her, seit du in den Flieger gestiegen bist. Auf den Tag genau.“ Kibum schluckt. Das Datum hat ihm nichts gesagt, und er hat immer gedacht, es seien noch keine zehn Jahre gewesen. Donghae sieht ihn lange an, dann lächelt er und schüttelt den Kopf. „Du hast die ganze Zeit nach einer anderen Antwort auf die Frage gesucht“, sagt er, klingt weder enttäuscht noch höhnisch, nur so, als könnte er nicht glauben, dass Kibum die logischste aller Antworten nicht gesehen hat. Kibum fühlt sich dumm, weil er die Antwort nicht gesehen hat, und weil er diese einfach Frage so lange aufgeschoben hat. Weil er so viele andere Fragen nicht gestellt hat, und nun zerrinnt die Zeit ihm zwischen den Fingern. Die Wohnung ist leer ohne Donghae, der auf ihn wartet, mit Abendessen vom Pizzakurier um die Ecke und einem Lächeln. Es ist still, einsam, und Kibum fragt sich plötzlich, wie er es vorher hier aus-gehalten hat, mit den leeren Wänden und den Möbeln, die nicht aussehen, als wären sie hier zu Hause. Der Fernseher verdrängt die Stille nicht, und der Nachrichtensprecher auf CNN hat nichts von Donghaes Herzlichkeit, der Schusseligkeit, die er über die Jahre nie verloren hat, und die Kibum zu schätzen gelernt hat. Keine neuen E-Mails, verkündet ihm sein Posteingang, und Kibum starrt die fast leere Seite minutenlang an. Keine neuen E-Mails, keine Leute, die irgendwie irgendwas mit ihm zu tun haben. Donghae ist weg, und Kibum fragt sich zum ersten Mal seit neun Jahren ernsthaft, weshalb er immer in den Staaten geblieben ist, nachdem ihm klar geworden ist, dass er hier nicht wirklich hingehört. Fast unbewusst klickt er sich zur Website von Korean Air durch, tippt ein Datum für den Flug ein – morgen, heute, am liebsten gestern. Rückflugsdatum, fragt das Formular. Kibum lässt das Feld leer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)