Sengoku-Jidai Chronicles - Zeit des Wandels von Jenny-san ================================================================================ Kapitel 7: Irrungen und Wirrungen --------------------------------- Die Aufregung des vergangenen Tages steckte Yukina auch noch bis zum nächsten Morgen in den Gliedern. Seither war sie stets darum bemüht, einen großen Bogen um die Füchse und besonders um Prinzessin Harumi zu machen. Da kam es ihr sehr gelegen, dass Miyuki sie zu einer gemütlichen Tasse Tee in ihre Zimmer eingeladen hatte. Nachdem die beiden eine Zeit lang über verschiedene Dinge geredet hatten, lenkte Yukina das Gespräch schließlich auf ein Thema, das sie insgeheim schon länger interessierte: “Sag mal, Miyuki, wenn du mit Ashitaka-sama zusammen bist, worüber redet ihr beide dann so?” Nach anfänglicher Überraschung antwortete Miyuki lächelnd: “Nun ja, wir reden über alles. Ashitaka ist wirklich süß! Er ist so aufmerksam und hört mir immer zu. Allerdings kann er es noch immer nicht lassen, mich hin und wieder etwas zu ärgern, so wie früher. Aber wie kommst du plötzlich darauf?” “Ach, einfach nur so.” Yukina nippte kurz an ihrem Tee, bevor sie ein wenig zögerlich weiterfragte: “Und… kannst du mir auch sagen, wie es ist, wenn man … geküsst wird?” “Wie?” Miyuki legte den Kopf ein wenig schief. Das war das erste Mal, dass sie von ihrer Freundin so direkt über ihre Beziehung zu Ashitaka ausgefragt wurde. Denn normalerweise stellte Yukina solche Fragen nicht. Dazu war sie bisher schlichtweg zu schüchtern gewesen. Ihr unsicherer, zugleich aber neugieriger Blick ließ Miyuki nach einem Augenblick jedoch unbefangen antworten: “Tja, wie soll ich sagen? Ein Kuss ist schön. Es kommt natürlich darauf an, wen du küsst, es sollte schon die Person sein, die du liebst. Aber wenn das der Fall ist, dann hast du das Gefühl, als würdest du ihn seinen Armen dahinschmelzen. Und du möchtest am liebsten die Zeit anhalten und wünschst dir, dass dieser Augenblick niemals zu Ende geht.” Ein amüsiertes Lächeln stahl sich auf Miyukis Lippen. “Hm… Ich kann mir schon denken, von wem du gerne mal geküsst werden würdest, Yukina.” Schlagartig wurde Yukina schamrot. Ihr war klar, dass es keinen Sinn hatte, zu leugnen. Stattdessen nahm sie gleich mehrere lange Züge von ihrem Tee. “Übrigens, ich habe das mit dieser komischen Harumi gehört. Sie ist wie eine Furie herumgerannt”, sprach Miyuki auf einmal weiter. Yukina schaute wieder auf, schwieg aber betreten. Das war Miyuki Bestätigung genug. “Jetzt guck nicht gleich wieder so!”, forderte sie ihre Freundin auf. “Freu dich lieber, dass Subaru dir geholfen hat. Wer weiß? Vielleicht findet er ja bereits Gefallen an dir.” “Glaube ich nicht”, erwiderte Yukina leise und ließ ihre Tasse sinken. “Bestimmt hat er mir nur geholfen, weil er gerade vorbeikam und die Situation schlecht ignorieren konnte.” Miyuki seufzte auf. “Warum denkst du immer so negativ? Hab doch ein bisschen mehr Selbstvertrauen!” Yukina rang sich zu einem kleinen Lächeln durch. Möglicherweise hatte Miyuki ja Recht. “Miyuki? Kann ich… dich noch etwas fragen?” “Sicher. Nur raus damit!” Yukina holte kurz Luft. “Sag mal, du und Ashitaka-sama, habt ihr eigentlich auch…? Ich meine, habt ihr schon mal…?” “Hm? Was haben wir?” “Na, du weißt schon…” Miyuki zog leicht eine Augenbraue hoch. Aber dann begriff sie, worauf Yukina hinaus wollte, und hätte fast ihre Teetasse fallen gelassen. Sie errötete verlegen. “Tja, ehrlich gesagt…” Als sie daraufhin bestätigend nickte, stieg Yukina abermals die Schamesröte ins Gesicht. “Ehrlich? Oh… Hattest du… denn keine Angst?” “Nicht direkt Angst, aber ich war doch ziemlich aufgeregt. Ich konnte mir da noch nicht genau vorstellen, wie es wohl werden würde.” “Uhm... Und?” Vor Verlegenheit noch immer leicht errötet, senkte Miyuki ein wenig den Blick. “Es… es war schön. Zugegeben, es hat beim ersten Mal ein wenig weh getan, aber Ashitaka war wirklich sehr vorsichtig und sanft…” Nach kurzer Überlegung fügte sie hinzu: “Hmm… Ich glaube, mein Bruder weiß es nicht mal…” Yukina war sichtlich verblüfft. “Nicht?” “Nein. Ashitaka prahlt nicht mit so etwas. Und ich werde mich hüten, mit meinem Bruder über so etwas zu sprechen! So sehr ich ihn auch liebe und ihm vertraue, das ist eines der wenigen Dinge, mit denen ich mich nicht mit ihm auszutauschen gedenke.” Daraufhin musste Yukina doch etwas lachen. Zugleich überkam sie ein merkwürdiges Gefühl der Bedrücktheit. “Hm… Irgendwie beneide ich dich, Miyuki. Du hast einen tollen großen Bruder, einen lieben Gefährten … Ich habe weder das eine noch das andere.” Obwohl sie wusste, dass es lächerlich war, fühlte sich Miyuki Yukina gegenüber plötzlich irgendwie schuldig. Von diesem Blickwinkel hatte sie das alles bisher noch gar nicht gesehen. Da fasste sie einen Entschluss. “Hey, Yukina! Ich mache dir einen Vorschlag: Ich helfe dir dabei, an Subaru heranzukommen. Wie wär’s?” “Hä?! Aber, Miyuki…!” Yukina war so überrumpelt, dass sie gar nicht wusste, was sie sagen sollte. Doch das konnte sie auch gar nicht, da Miyuki bereits weiter sprach: “Nichts da! Es ist beschlossen! Du wirst sehen, das klappt garantiert! Wir pirschen uns gemeinsam an die Sache ran!” Zwar war Yukina noch sichtlich unschlüssig und auch irritiert, doch Miyukis aufmunterndes Zwinkern und ihr erfrischender Tatendrang führten letztendlich dazu, dass sie sich doch dazu überreden ließ. Vielleicht könnte das wirklich funktionieren… Lächelnd nickte Yukina einverstanden. “Uhm… Danke.” Nicht nur Miyuki und Yukina unterhielten sich zu diesem Zeitpunkt über traute Zweisamkeiten. Auch Ashitaka und Tôya führten in Ashitakas Zimmer ein ähnliches Gespräch. “Ich frage mich, ob Sesshoumaru etwas bei Kimie-chan erreichen konnte…”, überlegte Ashitaka. “Er ist ja schon eine ganze Weile weg. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?” Tôya zuckte mit den Schultern. “Wir können wohl nur abwarten. Obwohl es mir lieber wäre, wenn Sesshoumaru-sama möglichst bald zurückkommen würde. Irgendwie fühle ich mich nicht wohl bei dem Gedanken, was während seiner Abwesenheit passieren könnte…” “Wie meinst du das?” “Die Füchse… Da ist irgendetwas im Busch. Es kommt mir so vor, als würden sie etwas aushecken.” “Hmm…” Ashitaka verschränkte die Arme hinter dem Kopf. “Mich wundert es ja, dass Prinzessin Saori so merkwürdig ruhig ist. Ich meine, immerhin ist sie mit Sesshoumaru verlobt. Trotzdem scheint es sie gar nicht zu kümmern, dass sie von ihm keinerlei Aufmerksamkeit bekommt. Eher im Gegenteil…” “Wer weiß? Vielleicht liegt ihr ja gar nicht so viel an der geplanten Hochzeit”, wagte Tôya zu vermuten. “Oder aber, das ist eine sehr geschickt inszenierte Taktik. Sie heuchelt Desinteresse vor, aber in Wirklichkeit wartet sie nur auf die richtige Gelegenheit, um hinterhältig zuzuschlagen, wie eine im Gras lauernde Schlange.” “Klingt aber ziemlich intrigant, so wie du das ausdrückst”, fand Ashitaka und streckte sich ein Mal ausgiebig. “Ach! Da bin ich ja fast schon froh, dass meine Eltern nie eine Verlobung für mich arrangiert haben. Mal abgesehen davon, dass ich Miyuki-chan nie gegen eine andere Frau eintauschen würde.” “Zwischen euch beiden läuft es wohl gut, was?”, fragte Tôya nach, woraufhin Ashitaka lächelnd nickte. “Ja, alles bestens! Und mach dir nur keine Sorgen. Ich werde deine Schwester stets auf Händen tragen. Jedoch… Da drängt sich mir die Frage auf, weshalb du noch nie irgendwelche Anstalten gemacht hast, dich nach einer festen Gefährtin umzusehen. Aber man muss ja nicht zwangsläufig verheiratet sein, um sich zu vergnügen, nicht wahr?”, fragte Ashitaka zweideutig. Als er daraufhin das doch recht entgeistert wirkende Gesicht seines Freundes sah, musste er lachen. “Das war doch nur ein Scherz! Dich kann man ja leicht reinlegen.” Tôya zog leicht eine Augenbraue hoch. “Hm… Witzig wie eh und je, was? Dürfte ich dir dann auch noch eine Frage stellen?” Ashitaka bejahte unbekümmert. “Wie oft hast du schon an meiner Schwester herumgeknabbert?” Im ersten Moment schien es so, als müsste Ashitaka erst mal begreifen, was Tôya ihn da gerade gefragt hatte. Aber dann geriet er in Erklärungsnot. “Äh… Aber, Tôya! Was redest du denn da?! Wie kommst du darauf?! Das ist doch…” “Ach, komm schon, Ashitaka!”, unterbrach Tôya ihn mit einer abwinkenden Handbewegung. “Hältst du mich vielleicht für zurückgeblieben? Ihr beide seid schon so lange ein Paar. Du kannst mir nicht erzählen, dass da nicht schon mehr zwischen euch gelaufen ist. Außerdem…” Er machte eine kurze Pause. “… konnte ich es meiner Schwester praktisch immer an der Nasenspitze ansehen. Vermutlich denkt sie genau so wie du, ich wüsste nichts.” Tôya fiel auf, dass Ashitakas Gesicht inzwischen leicht errötet war. Ein amüsiertes Lächeln huschte über seine Lippen. “Hey! Kein Grund, sich zu genieren, mein Freund. Wir sind doch schließlich alle erwachsen, oder? Allerdings…” Diese eigenartige Pause verunsicherte Ashitaka nur noch mehr. “Allerdings was…?” Tôyas Gesichtsaudruck wurde eine Spur ernster. “Wenn du Miyuki jemals in irgendeiner Form unglücklich machen solltest… dann werde ich ihn dir abschneiden. Verstanden?” Sämtliche Gesichtszüge verflüchtigten sich danach aus Ashitakas Mimik und bei der genaueren Vorstellung bezüglich Tôyas Worten wurde er leichenblass. Ganz gleich, wie gut die beiden auch befreundet waren, auf seine kleine Schwester ließ Tôya nie etwas kommen. Aber dass er das auch so klar und deutlich ausdrückte… Zwar war sich Tôya mehr als sicher, dass Ashitaka niemals bewusst etwas tun würde, was Miyuki verletzen könnte, doch allein dessen momentaner Gesichtsaudruck war es in Tôyas Augen wert gewesen, seinem Freund ein wenig Angst einzujagen. “Ich muss los. Die Pflicht ruft”, verkündete Tôya plötzlich und ging zur Tür. Im Weggehen zwinkerte er Ashitaka noch belustigt zu. “Man sieht sich, Ashitaka!” Der Jüngere war zu keiner Erwiderung fähig. Erst lange, nachdem Tôya gegangen war, fand er seine Sprache wieder. “Da… habe ich mir ja was Schönes eingebrockt…” Das eigenartige Verhalten des obersten Generals ihres Vaters bereitete Saori zunehmend Kopfzerbrechen. Und weder Aoshi noch ihr Bruder Taiga, der Kuro scheinbar immer heimlich verfolgte, wenn dieser das Schloss verließ, hatten ihr etwas dazu erzählen wollen. Also beschloss die Prinzessin, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und Kuro offen mit ihren Fragen zu konfrontieren. Sie erwischte ihn gerade, als er die ihm zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten verließ. “Kuro!” Der General hielt sogleich inne. Als er Saori entdeckte, verneigte er sich vor ihr. “Prinzessin Saori. Welch angenehme Überraschung. Was kann ich für Euch tun?” Die junge Frau entschied sich dazu, nicht lange um ihr Anliegen herumzureden. Entschlossen trat sie Kuro gegenüber. “Es interessiert mich, was du tagtäglich tust. Hinter dem Rücken meines Vaters.” Der General hob kaum merklich eine Augenbraue. “Ich bitte um Verzeihung, aber ich verstehe Euch nicht so ganz.” Doch Saori wollte sich auf solche Spielereien von vornherein nicht einlassen. Zugleich blieb sie zwar freundlich, aber auch bestimmt. “Bitte versuch nicht, mich hinters Licht führen zu wollen, Kuro. Du bist fast jeden Tag außerhalb des Schlosses unterwegs. Du gehst frühmorgens fort und kommst meist erst spätabends wieder, wenn überhaupt. Der Punkt ist, dass du nie ein Wort darüber verlierst, wo du warst, was du getan hast und vor allem, warum.” “Dies ist eine sehr beschauliche Gegend. Ich genieße sie nur. Findet Ihr daran etwas verwerflich?”, erwiderte Kuro jedoch nur weiterhin, als könnte ihn kein Wässerchen trüben. Saori entwich ein leises Seufzen. “Kuro… Du bist schon seit langer Zeit in den Diensten meines Vaters. Deine Fähigkeiten im Kampf und der Magie sind überragend, und du hast deine Loyalität in der Vergangenheit mehr als ein Mal bewiesen. Ich schätze dich wirklich sehr. Immerhin hast du mir schon einige Male das Leben gerettet. Und deswegen bekümmert es mich zutiefst, wenn ich nun den Eindruck bekommen muss, dass du dich plötzlich von meiner Familie abzuwenden scheinst. Was verbirgst du?” Auf ihre Worte hin schien sich Kuros Haltung ein wenig zu verändern. Er lächelte leicht. “Prinzessin Saori. Seid versichert, dass meine Hochachtung Euch gegenüber viel zu ehrlich gemeint ist, als dass ich mich je von Euch abwenden könnte. Allerdings betrübt es mich, sehen zu müssen, wie man Euch hier behandelt.” “Wie meinst du das?” Anstatt sofort auf ihre Frage zu antworten, trat er zunächst nur schweigend näher an Saori heran. Als er weiter sprach, klang er eigenartig betrübt: “Euer Verlobter… Anstatt bei Euch zu sein, ist er in diesem Augenblick bei einer anderen Frau. Trotzdem bewahrt Ihr Haltung. Man könnte gar den Eindruck gewinnen, es kümmere Euch gar nicht. Verbietet es Euer Stolz, Eure hohe Position, Eure Gefühle zu zeigen? Oder steckt was anderes dahinter?” Angesichts seiner direkten Fragen war Saori einen Moment lang wie vor den Kopf gestoßen. “Das… Jetzt wagst du zu viel, Kuro!” Der General verneigte sich respektvoll. “Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Prinzessin. Es stand mir nicht zu.” Ehe sich die Prinzessin versah, hatte er ihre Hand genommen und ihr einen zarten Kuss auf diese gegeben. Saori war so überrumpelt, dass sie kurzzeitig Gefahr lief, ihre Haltung gänzlich zu verlieren. Kuro schaute wieder zu ihr auf. “Ich wünsche Euch einen angenehmen Tag.” Da sie darauf nichts mehr entgegnete, zog sich der General nun zurück. Saori hingegen stand noch eine Weile ein wenig verstört im Gang. Ebenso ruhte ihr stummer Blick auf ihrem Handrücken. Es bedurfte eines weiteren kleinen Moments, ehe die Prinzessin ansatzweise begriffen hatte, was gerade passiert war. Sie wurde schamrot, als sie sich dessen bewusst wurde und verbarg rasch ihre Hand, vor potenziellen neugierigen Blicken, obwohl sie wusste, dass sie vollkommen allein war. >Bleib ganz ruhig… Das hatte sicher nichts zu bedeuten!<, versuchte sie sich einzureden, als sie sich schleunigst auf dem Rückweg zu ihren Gemächern machte. In einem anderen Teil des Schlosses saßen Kakeru und Sakura bei einem kleinen Plausch zusammen. Sie hatten sich schon länger nicht mehr ausgiebig miteinander unterhalten. Da bot ein gemütliches Beisammensein bei einer schönen Tasse Tee die ideale Gelegenheit. “Kakeru, mal ganz im Ernst. Diese Sache mit Sesshoumaru-sama und Kimie-dono… Du weißt doch etwas, nicht wahr? Den Eindruck hatte ich von Anfang an.” Sakuras prüfenden Blick konnte Kakeru ganz genau auf sich ruhen spüren. Trotzdem ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen, als er seinerseits lächelnd fragte, fast schon so, als wollte er sie herausfordern: “Und wenn ich diese Vermutung bestätigen würde, Sakura-dono?” Sakura erwiderte sein Lächeln. “Dann würdest du nichts verraten, so wie ich dich kenne. Wenn du nicht mal Sesshoumaru-sama etwas erzählt hast…” Sie trank einen Schluck aus ihrer Teetasse, die sie in den Händen hielt. Einige Minuten lang schwiegen die beiden. “Kimie-dono erwartet ein Kind”, sprach Sakura es plötzlich unbefangen aus. Zwar wirkte Kakeru im ersten Moment überrascht, doch legte sich das rasch wieder. “Hm… Euch kann man nichts vormachen, nicht wahr?” “Ich bin selbst Mutter eines Sohnes und habe daher so ein Gespür dafür”, erwiderte Sakura mit einem gewissen Unterton von Triumph in der Stimme. “Und was dich angeht, dir bleibt ja ohnehin nur selten etwas verborgen. Aber Sesshoumaru-sama hat es bisher nicht gemerkt, wenn ich das alles richtig deute?” Bevor Kakeru darauf antwortete, trank er einen Schluck aus seiner Teetasse. “Zugegeben, er hat zwar viele Talente und besitzt herausragende Fähigkeiten, aber was das angeht… Dafür scheint ihm noch ein wenig das Gespür zu fehlen. Wen wundert’s? Er ist ja noch jung. Und er wird zum ersten Mal Vater.” Sein Lächeln schwand etwas. “Ich hoffe nur, dass Kimie-dono sich nicht zu sehr übernimmt.” Sakura horchte auf. “Inwiefern?” Nachdenklich ließ Kakeru seine Tasse sinken. “Nun, es ist zwar nur so ein Gefühl, aber…” Er hielt inne, als suchte er nach den richtigen Worten, um seine Eindrücke beschreiben zu können. Doch dann schüttelte er den Kopf. “Ach, vermutlich mache ich mir darüber zu viele Gedanken. Vergesst das bitte wieder.” Anfangs setzte Sakura dazu an, noch mal nachzuhaken, unterließ es dann allerdings. Dennoch, eine gewisse Beklemmung blieb zurück. * ~ * ~ * ~ * Der Tag im Haus der Familie Higurashi hatte angefangen wie gewohnt. Der Großvater war als Erster auf den Beinen gewesen und hatte bereits früh am Morgen den Hof gefegt, während der Rest der Familie ihren Tätigkeiten im Haus nachgegangen war. Kagomes Mutter hatte gemeinsam mit ihrer älteren Schwester das Frühstück vorbereitet, während ihre Kinder und Kimata im Wohnzimmer zusammen gesessen haben. Bis zum frühen Nachmittag verlief der Tag ohne besondere Vorkommnisse. Die Familie saß gemeinsam im Wohnzimmer. Während Souta seine Nase in einem Schulbuch hatte, las der Großvater die aktuelle Zeitung. Akie und ihre Schwester plauderten miteinander, während Kimata ein wenig an seinem Laptop arbeitete und Inuki und Buyo dösend in einer Ecke des Zimmers lagen. Und Kagome und Kimie schalteten sich etwas durch das Fernsehprogramm. Nachdem sie nach mehreren Minuten noch immer nichts Interessantes gefunden hatten, gähnte Kimie müde. “Geht doch ein wenig nach draußen”, schlug Kimata seiner Tochter und seiner Nichte vor, woraufhin Kimie ihren Vater etwas skeptisch beäugte. “Paps, du redest mit uns, als wären wir kleine Kinder, die du zum Spielen auf den Hof schickst.” Kimata lachte erheitert. “Frische Luft tut gut. Aber natürlich bleibt die Entscheidung euch überlassen.” Kagome seufzte leise. “Hach… Ich wünschte, Inu Yasha wäre hier…” Und als ob sie ihn mit ihren Worten praktisch “herbeigezaubert” hätte, öffnete sich auf einmal die Schiebetür des Wohnzimmers. “Hallo, Kagome! Da bin ich wieder!” “Inu Yasha!” Stürmisch umarmte Kagome den plötzlich aufgetauchten Hanyou. “Ich habe gerade von dir gesprochen. Schön, dass du wiedergekommen bist! Komm, setz dich!” Inu Yasha ließ sich nicht zweimal bitten und setzte sich, nachdem er auch die anderen Familienmitglieder begrüßt hatte. Während sie ihre Cousine und Inu Yasha ein wenig beobachtete, musste Kimie unwillkürlich lächeln. Die beiden waren wirklich süß, wenn sie zusammen waren. Da sprach Inu Yasha sie unerwartet an: “Ach, Kimie? Bevor ich es vergesse: Ich soll dir ausrichten, dass Sesshoumaru oben in deinem Zimmer auf dich wartet.” “Hä?” Kimie horchte auf. Sesshoumaru war also auch da. Das hätte sie sich aber fast schon denken können. Na gut, da sie ihn ja schlecht warten lassen konnte, stand sie auf und ging hinaus zur Tür. Seltsamerweise hatte Kimie das unbestimmte Gefühl, ihr würde ein immer dicker werdender Kloß im Hals stecken, je weiter sie die Treppenstufen zum 1. Stock hinaufging. Sie hoffte, dass Sesshoumaru nicht wieder irgendwelche Fragen stellen würde, denn so langsam gingen ihr die Ausreden aus. Während sie die ganze Zeit an ihrem Schreibtisch saß, spürte Kimie pausenlos Sesshoumarus beobachtende Blicke in ihrem Rücken. Sie selbst schaute allerdings nur in den kleinen Spiegel, der direkt vor ihr stand. Hingegen saß Sesshoumaru schweigend auf Kimies Bett. Es schien als wollte er es darauf ankommen lassen, wer von ihnen beiden als Erster das Wort ergreifen würde. “Musst du nicht langsam wieder zurück?”, fragte Kimie irgendwann, ohne sich dabei jedoch zu ihm umzudrehen. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass du es dir momentan leisten kannst, so lange fortzubleiben. Deinen Gästen wird das sicher nicht gefallen.” Da war er wieder: dieser zynische Unterton in ihrem letzten Satz. Doch davon ließ sich Sesshoumaru nicht aus der Ruhe bringen. Er erwiderte nicht mal etwas auf Kimies Worte, sondern fragte stattdessen zurück: “Wie lange willst du mir noch den Rücken zuwenden und stattdessen diesen Spiegel anstarren?” Kimie seufzte zunächst nur leise auf. “Ein Spiegel zeigt immer die Wahrheit. Das sagt man zumindest so… Aber was sehe ich, wenn ich in einen Spiegel schaue?” So richtig begreifen, konnte Sesshoumaru ihre Worte zunächst nicht. Anstatt aber nachzufragen, wartete er darauf, dass sie dem noch etwas hinzufügte. “Im Grunde könntest du doch auch froh sein”, sprach Kimie kurz darauf weiter. “Du hast die Chance, mich gegen eine wunderschöne Youkai-Prinzessin auszutauschen. Sie würde es dir zumindest ersparen, dabei zusehen zu müssen, wie sie irgendwann im Alter langsam aber sicher dahinsiecht.” Sesshoumaru stand nun vom Bett auf und näherte sich ihr. “Wirst du mir diese Sache noch ewig vorhalten? Ich habe bereits alles dazu gesagt. Worauf möchtest du schon wieder hinaus?” Als Kimie sich nun ebenfalls aufrichtete und sich zu ihm umdrehte, sprach sie einerseits ruhig, andererseits merklich bedrückt weiter: “Du wirst mich spätestens dann nicht mehr begehren, wenn ich einmal alt bin… Du kannst mir nicht erzählen, dass du dich nicht davor gruselst, mich in ein paar Jahren zu sehen, wenn mein Verfallsdatum abzulaufen beginnt. Während du in 50 oder 60 Jahren wohl noch genau so jung aussehen wirst wie jetzt, könnte ich dann glatt als deine Urgroßmutter durchgehen. Vorausgesetzt natürlich, ich schaffe die Strecke bis da hin überhaupt. Ich könnte vorher ja schließlich auch irgendeine banale Krankheit bekommen, über die du als Youkai nur lachen kannst. Die Frage, welche Frau du unter solchen Umständen lieber an deiner Seite haben würdest, stellt sich dann doch erst gar nicht mehr!” Sie drängte sich an ihm vorbei und setzte sich auf ihr Bett. Einen Moment lang herrschte Stille zwischen den beiden. “Deinem Verhalten nach zu urteilen, bleibt nur noch ein Schluss, den ich daraus ziehen kann.” Diese Worte von Sesshoumaru ließen Kimie aufhorchen. Doch traf sie fast der Schlag, als er fortfuhr: “Du hast kein Vertrauen zu mir. Zumindest kein echtes.” “Eh?” Im ersten Augenblick war Kimie derart überrumpelt, dass sie zu keiner Erwiderung fähig war. “Ich… ich soll kein Vertrauen haben?! Das ist doch Unsinn!” “Dann verstehe ich nicht, warum du mir solche Unterstellungen machst.” “Gut, dann sag es!” Energisch sprang Kimie wieder vom Bett auf. “Sag mir hier und jetzt direkt ins Gesicht, dass es dir vollkommen egal ist, dass ich irgendwann alt sein und sterben werde. Komm schon! Ich warte!” Doch Sesshoumaru schwieg. Stattdessen sah er sie nur mit seinem undurchschaubaren Blick an. Kimie deutete sein Schweigen auf ihre eigene Art. “Es ist dir gar nicht so egal, nicht wahr? Sag es ruhig. Ganz offen und ehrlich”, fordert sie ihn nunmehr ruhiger auf. Nachdem er sich zunächst weiterhin dazu ausschwieg, antwortete Sesshoumaru ihr: “Ja, es stimmt. Allerdings habe ich es bisher vermieden, mit dir darüber zu sprechen, weil ich das Gefühl hatte, ich dürfte es dir nicht sagen.” Und obwohl Kimie schon damit gerechnet hatte, trafen sie diese Worte doch, hatte sie sich insgeheim schließlich was anderes gewünscht. Seufzend setzte sie sich wieder auf ihr Bett. “Lassen wir es gut sein. Das habe ich mir schon gedacht. Und der Witz ist, dass ich es dir nicht mal übel nehmen kann... Im Gegenteil, ich verstehe es…” In diesem Moment fühlte sich Kimie so unwohl, wie bisher nur selten in ihrem Leben. Eigentlich hatte sie es ja mit dem Gedanken gespielt, Sesshoumaru endlich die Wahrheit zu sagen. Aber nach diesem kurzen Gespräch zog sie das nicht mehr in Erwägung. Zugleich war sie sich dessen bewusst, dass sie es ihm nicht ewig verschweigen konnte. >Was soll ich machen…? Ich weiß es nicht…< Zugegeben, ein wenig schlecht fühlte sich Sesshoumaru danach schon. Aber Kimie hatte von ihm eine ehrliche Antwort erwartet und die hatte er ihr gegeben. Denn in der Tat hatte er schon oft daran gedacht, wie es in der Zukunft aussehen sollte. Allerdings rührten seine Worte nicht daher, dass er sich davor fürchtete, wie sich ihr Aussehen im Alter verändern würde. Es ging ihm mehr darum, wie er fühlen würde, wenn er dabei zusehen müsste, wie sie langsam verblüht. Was würde er tun, wenn es sie irgendwann mal nicht mehr gäbe? Der Gedanke daran bereitete ihm Unbehagen. Zugleich fühlte er sich schuldig gegenüber ihr. “Warum?”, fragte Kimie plötzlich, ohne dabei aufzuschauen. “Warum hast du das mit uns überhaupt erst zugelassen? Ich weiß, das habe ich dich in der Vergangenheit schon mal gefragt, aber ich verstehe es immer noch nicht. Bitte versuch, es mir zu erklären, damit ich es begreife…” Als sie nun abwartend zu ihm hochblickte, hüllte sich Sesshoumaru anfangs in Schweigen. Und seine nachfolgende Antwort war sicherlich nicht das, was Kimie hatte hören wollen: “Das geht nicht. Weil ich es nicht erklären kann.” Enttäuscht schüttelte sie den Kopf. So langsam wusste sie nicht mehr, was sie noch hätte sagen sollen, um sich wieder besser zu fühlen. “Aber kann es dir nicht eigentlich egal sein?”, fragte Sesshoumaru nun. “Warum bist du plötzlich der Ansicht, du wärst meiner nicht würdig? Nur wegen Saori? Ist sie der Grund, dass du glaubst, du bist mir nicht mehr gut genug?” “Genüge ich denn überhaupt deinen Erwartungen?”, fragt Kimie daraufhin zurück. “Als ich Saori das erste Mal sah, hatte ich auf einen Schlag den Eindruck, als würde ich die ganze Zeit gegen den Strom anschwimmen. Plötzlich wurde mir klar, was du alles haben könntest. Aber was kann ich dazu beitragen? Was kann ich dir schon bieten? Im Grunde doch eigentlich gar nichts, was auch nur in irgendeiner Form erwähnenswert wäre. Und was ist mit deinen Leuten? Sie denken doch bestimmt genau so, oder? Vielleicht nicht alle, aber viele von ihnen. Sesshoumaru, ich… ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich, aber… Ich weiß auch nicht…” Sesshoumaru konnte ganz genau fühlen, wie sehr sich Kimie gegenwärtig mit ihrem Gefühlschaos selbst quälte. Doch wie konnte er ihr begreiflich machen, dass seine Gefühle ihr gegenüber nach wie vor ehrlich und ernst gemeint waren? Denn ganz gleich, was er ihr auch sagte, sie schien darin auch immer noch etwas anderes, etwas Negatives zu sehen. “Ich schere mich nur sehr selten um die Meinung anderer. Das weißt du”, sagte Sesshoumaru ruhig. Nach einem Moment der Stille fuhr er fort: “Aber bevor du wieder fragst, bin ich besser gleich ehrlich zu dir. Hinter vorgehaltener Hand wird darüber geredet, warum es noch keinen Erben gibt.” Auch das noch! Das hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt… Kurzzeitig überkam Kimie der starke Drang, Sesshoumaru nun doch die ganze Wahrheit zu sagen, nur um sich irgendwie rechtfertigen zu können. Sie hatte bereits den Mund zum Sprechen geöffnet, machte dann aber im letzten Moment wieder einen Rückzieher. “Was?”, fragte Sesshoumaru daraufhin. “Du wolltest doch eben etwas sagen. Dann sag es auch.” “Nein, war nicht wichtig”, versuchte Kimie ihm einzureden, allerdings mit eher mäßigem Erfolg. “Den Eindruck hatte ich nicht”, entgegnete der Youkai ernster. “Du wolltest von mir, dass ich offen mit dir rede. Also tu das nun ebenfalls.” Wunderbar! Jetzt benutzte er auch noch ihre eigenen Worte gegen sie selber. Was sollte Kimie darauf erwidern? Ihr fiel nichts ein, womit sie sich hätte verteidigen können. Während sie noch angestrengt überlegte, spürte sie plötzlich, wie Sesshoumaru sie an den Schultern packte und sie rücklings auf ihr Bett drückte. “Ah! Was zum…?!” “Warum willst du nicht mit mir reden?”, fragte er Kimie eindringlich. “Gut, du nimmst es mir übel, dass ich dir nie etwas über Saori und die Verlobung erzählt habe. Aber für mich ist das keine Rechtfertigung dafür, dass du dich mir so verschließt.” “Ach! Und was ist mit der Tatsache, dass du nicht klarstellen konntest, welche Rolle ich in deinem Leben einnehme?”, fragte Kimie entschieden zurück, ehe sie ihn fast schon provokant ansah. “Spiele ich in deinen Augen überhaupt irgendeine Rolle in deinem Leben? Oder bin ich jetzt endgültig abgeschrieben? Immerhin hast du ja deine perfekte Verlobte!” Sesshoumaru musste sich schon sehr beherrschen, kein genervtes Seufzen verlauten zu lassen. “Ich werde mich nicht noch mal zu meiner Position gegenüber dieser Verlobung äußern. Das habe ich schon zu genüge. Allerdings erwarte ich von dir, dass du endlich mit mir redest. Was ist es, was du vor mir zu verbergen versucht?” Verunsichert schaute Kimie zu Sesshoumaru hoch. In diesem Moment fühlte sie sich irgendwie eingeschüchtert und versuchte, seinem Blick auszuweichen. “Ich… Ich kann es dir nicht sagen. Ich kann es auch nicht erklären. Du würdest es vermutlich eh nicht verstehen.” “Warum nicht? Was würde ich nicht verstehen?” Warum sie ihm die Wahrheit vorenthielt. Das würde er bestimmt nicht nachvollziehen können. Mittlerweile konnte Kimie das ja selbst noch kaum. Aber sie hatte das Gefühl, als steckte sie inzwischen schon viel zu tief im Geflecht ihres Schweigens. Sie fürchtete die möglichen Konsequenzen. Egal, was sie täte… “Schau mich an!”, forderte Sesshoumaru sie plötzlich auf. Zögerlich kam Kimie dem nach. Kaum hatten sich ihre Blicke getroffen, beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie vollkommen unvorhergesehen. Kimie riss die Augen weit auf. Sie war so überrumpelt und irritiert, dass sie sich gar nicht mehr rührte. Steif wie ein Brett lag sie unter ihm. Ihr stockte der Atem, als Sesshoumaru plötzlich auch noch mit seiner Hand unter ihr Shirt glitt, genau bis zu ihrer Brust, und direkt ihren BH hochschob. Da löste sie sich wieder aus ihrer Starre und befreite sich hastig von dem Kuss. “Ahh…! Nicht… Hör auf! Was… soll denn das…?” Sesshoumaru jedoch schien gar nicht wirklich auf ihre Verwirrung eingehen zu wollen. Stattdessen antwortete er nur ihn gewohntem Ton: “Da ich mit Worten offenbar nicht bei dir weiterkomme, werde ich es anders versuchen.” Und noch bevor Kimie etwas darauf erwidern konnte, hatte er ihren Mund abermals mit seinen Lippen verschlossen. Merklich fordernder küsste Sesshoumaru sie nun. Wie aus einem Reflex heraus verweigerte sie ihm zunächst dem Einlass, doch gegen den von ihm ausgeübten Druck kam sie nicht an, sodass er letztendlich sein Ziel erreichte. Ein Schauer jagte durch Kimies Körper, als Sesshoumaru ihr Oberteil gänzlich hochschob und den Kuss löste. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. Sie spürte seine Lippen auf ihrer Haut und konnte ein intensives Seufzen nicht länger unterdrücken. Was sollte sie tun? Sie konnte ihn doch nicht einfach weitermachen lassen! Aber diese intime Nähe zu ihm… Es bereitete ihr ein wohliges Gefühl. Ein Gefühl, dass sie schon seit längerer Zeit vermisst hatte. Kimie lief Gefahr, sich Sesshoumaru jeden Augenblick zu ergeben. Erst, als er seine Lippen weiter über ihren Körper wandern ließ, bis hinunter zu ihrem Bauch, stemmte sie ihre Hände gegen seine Schultern. “Uhm… Nein, bitte hör auf damit!” Sesshoumaru hielt inne. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Kimie ihn in der Vergangenheit schon einmal abgewiesen hatte. Allerdings war dies seine kleinere Sorge. Vielmehr beschäftigte ihn, dass sie ihm allem Anschein nach etwas Wesentliches verschwieg, was sie ihm einfach nicht erzählen wollte. Kimie hatte abschirmend einen Arm über ihrer Brust, den anderen über ihren Bauch gelegt und beschämt den Kopf zur Seite geneigt. Sie konnte Sesshoumaru jetzt unmöglich ins Gesicht blicken. Vermutlich wäre alles viel geworden, hätte sie ihm hier und jetzt geradeheraus die Wahrheit gesagt. Aber sie konnte es einfach nicht. Als hinderte sie etwas daran. “Verrätst du mir endlich, was mit dir los ist?” Seine Frage traf Kimie wie ein Blitz, doch sie schwieg weiterhin. >Warum tu ich ihm und mir das nur an? Es ist doch eigentlich so einfach…<, dachte sie. Eine Weile blieb Sesshoumaru noch abwartend über sie gebeugt. Aber letzten Endes sah er ein, dass sie dazu nichts mehr sagen würde, und so ließ er schließlich von ihr ab. In diesem Augenblick zog Kimie hastig ihr T-Shirt wieder runter und setzte sich auf. “Ich gehe wieder zurück”, sagte Sesshoumaru an sie gewandt, als er bereits am Fenster stand. “Wenn du dich doch noch dazu entscheidest, mit mir reden zu wollen, dann findest du mich im Dorf.” Im ersten Moment hatte Kimie schon gedacht, er wollte zurück in die westlichen Länder. Irgendwie verspürte sie so was wie Erleichterung, dass dem offenbar nicht so war. Aber ein Gefühl der Reue blieb zurück, als Sesshoumaru letztendlich durch das geöffnete Fenster verschwand. >Halte ihn auf! Lauf ihm nach, du dummes Huhn! Mach schon<, schalt sich Kimie sich gedanklich selbst, doch stattdessen blieb sie wie angewurzelt auf dem Bett sitzen. “Verdammt…”, fluchte sie leise. In der Zwischenzeit war Sesshoumaru bereits im Schrein angekommen. Auch, wenn er noch immer nicht wusste, was Kimie vor ihm verbarg, früher oder später würde er es schon erfahren. Ob nun mit oder ohne ihr Dazutun. Bis sie eventuell selbst zu ihm kommen würde, wollte er warten. Gerade, als Sesshoumaru auf die andere Seite des Brunnens wechseln wollte, nahm er hinter sich die Gegenwart eines anderen wahr. Inuki stand der geöffneten Tür und schaute verunsichert zu dem Youkai, der nun noch einen Augenblick lang an Ort und Stelle verharrte. “Du weißt es, nicht wahr?”, fragte Sesshoumaru ruhig. “Du weißt, was mit Kimie los ist. Aber du wirst es mir nicht sagen. Schon aus Loyalität zu ihr.” Reumütig senkte Inuki den Kopf, als wollte er sich entschuldigen, ehe er langsam die hölzerne Treppe hinab auf Sesshoumaru zuging. Dieser musterte den Hund zunächst schweigend, dann kniete er sich zu ihm hinunter. “Achte gut auf sie”, wies er Inuki an, wobei es fast schon wie eine Bitte klang. Dabei strich Sesshoumaru ihm behutsam über den Kopf, ehe er wieder aufstand. Inuki neigte den Kopf, als wollte er ihm signalisieren, dass er verstanden hatte. Auf Sesshoumarus Anweisung hin verließ der Hund wieder den Schrein. Zumindest musste sich Sesshoumaru keine Sorgen darüber machen, dass Kimie allein sein könnte. Immerhin war neben Inuki auch ihre Familie hier. Das beruhigte ihn dann doch in gewisser Weise. Mit einem Sprung verschwand er letztendlich im Brunnen. * ~ * ~ * ~ * Ein ganzer Monat verstrich, ohne das Kimie seither noch mal etwas von Sesshoumaru gehört hatte oder durch den Brunnen in die Sengoku-Ära gegangen war, um ihn selbst aufzusuchen. Der Einzige, der noch regelmäßig im Haus der Familie Higurashi ein und aus ging, war Inu Yasha. Zumindest hatte Kimie von ihm erfahren, dass sich Sesshoumaru in der Tat ständig entweder im Dorf oder in dessen Nähe aufhielt. Manchmal verbrachte er laut Aussage des Hanyou auch mehrere Stunden am Stück am Brunnen, als wartete er auf etwas. Kimie konnte sich denken, auf was oder besser wen er wartete. “Kimie, so geht das doch nicht weiter! Du musst ihm endlich die Wahrheit sagen!”, redete Kagome irgendwann eindringlich auf ihre Cousine ein, als die beide jungen Frauen mal in Kagomes Zimmer beisammen saßen. Kimie schwieg zögernd, ehe sie etwas darauf erwiderte. “Das ist nicht so leicht…” “Warum?”, fragte die Jüngere verständnislos, ja fast schon aufgebracht. “Du hast doch gehört, was Inu Yasha gesagt hat, oder? Sesshoumaru scheint nur darauf zu warten, dass du endlich zu ihm kommst. Willst du etwa warten, bis das Baby da ist und bis dahin so tun, als wäre nichts? Das hältst du doch unmöglich durch! Stell dir vor, Sesshoumaru findet es selbst heraus, was willst du ihm dann sagen? Wie willst du ihm alles erklären?” “Ich weiß es ja! Ich weiß!”, entgegnete Kimie nunmehr lauter. “Aber so einfach, wie du dir das vorstellst, ist es für mich nicht, Kagome! Sesshoumaru hat mir erzählt, dass alle offenbar nur darauf warten, dass ich endlich ein Kind von ihm bekomme. Als wäre ich sonst zu nichts anderem gut! Außerdem…” Sie machte eine kurze Pause. “Außerdem scheint er sich insgeheim schon davor zu grauen, wenn ich irgendwann meine ersten Falten kriege…” “Was?”, fragte Kagome irritiert. “Hat er das so gesagt?” “Natürlich nicht! Aber was er gesagt hat, läuft auf das selbe hinaus.” Kimie senkte den Blick und hüllte sich in langes, nachdenkliches Schweigen. “Kagome? Machen wir beide vielleicht den selben großen Fehler?” “Wie meinst du das?” “Ich meine, wie lange soll das gut gehen? Sowohl bei Sesshoumaru als auch bei Inu Yasha spielt das Alter keine Rolle. Aber bei uns… Möglicherweise haben wir beide uns nur in eine Illusion hineinziehen lassen.” “Kimie…” Kagome war leicht erschrocken, doch konnte sie nicht leugnen, dass ihre Cousine irgendwie Recht hatte. “Entschuldige. Ich will dir natürlich nicht in dein Leben reinreden”, fuhr Kimie fort. “Aber selbst, wenn ich wieder zurück in mein altes Leben wollte, ich kann es nicht mehr. Dazu ist es zu spät…” Ihre Hand wanderte zu ihrem Bauch. Sie hatte keine Ahnung, was die Zukunft noch bringen würde. Und vor allem, wie sie damit umgehen sollte. Schließlich setzte sich Kagome neben ihre Cousine und legte den Arm um sie. “Kimie… Mal unabhängig von allem anderen… Was ist es, was du fühlst? Du liebst Sesshoumaru doch nach wie vor, nicht wahr? Dann rede mit ihm! Das ist das beste, was du machen kannst.” Kimie seufzte leise. Sie antwortete nicht sofort auf Kagomes Worte. “Ich denke darüber nach, in Ordnung?” Kagome nickte einverstanden. Das war zumindest ein Anfang. “Hey! Wollen wir nach unten gehen?”, schlug sie irgendwann vor. Da Kimie im Moment eh nichts anderes mit sich anzufangen wusste, stimmte sie zu. Doch kaum, dass sie aufgestanden war, verharrte sie mitten in der Bewegung. Kagome stutzte. “Kimie? Was ist los?” “Ah… Nichts weiter. Schon in Ordnung”, erwiderte Kimie nach einem Moment. Kurzzeitig war ihr so, als hätte sie etwas gespürt; ein unangenehmes Ziehen. Und sie spürte es noch immer. Und gerade, als sie zwei Schritte getan hatte, blieb sie abermals stehen und hielt sich den Bauch. Noch bevor sie es so richtig registriert hatte, sank Kimie von einem starken Krampf heimgesucht keuchend auf die Knie. Erschrocken eilte Kagome an ihre Seite. “Kimie! Was hast du auf einmal?” Kimie wollte ihrer Cousine antworten, brachte aber kein Wort heraus. Von starken Schmerzen gepeinigt ging sie zu Boden. Kagome wurde kreidebleich. Gerade wollte sie aufspringen und Hilfe holen, als sie eine vertraute Stimme hinter sich vernahm: “Kagome? Was ist denn passiert?” Inu Yasha lugte vollkommen verwirrt durch das offene Fenster in das Zimmer. Was war hier los? Kagome kniete vollkommen aufgelöst neben Kimie, die sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmte. Zunächst wurde ihm auch keine genauere Erklärung diesbezüglich abgeliefert, stattdessen bat Kagome ihn eindringlich: “Inu Yasha! Bitte bleib bei Kimie!” Und noch ehe er eventuell etwas darauf hätte erwidern können, war sie schon zur Tür hinausgestürmt. “Mama! Mama, komm schnell!” Kimies Zusammenbruch hatte die ganze Familie aufgeschreckt. Besonders Akie und Kimata drängten danach darauf, mit ihrer Tochter ärztliche Unterstützung aufzusuchen. Doch Kimie war damit nicht einverstanden. Ihre strikte Weigerung, zu einem Arzt oder direkt ins Krankenhaus zu gehen, bereitete der Familie großes Kopfzerbrechen. Aber Kimie konnte und wollte das Risiko nicht eingehen, dass bei möglichen Untersuchungen Uneinstimmigkeiten im Bezug auf das Ungeborene festgestellt würden, die nicht ganz dem menschlichen Standard entsprachen. Da die Krämpfe inzwischen wieder abgeklungen waren, sah Kimie zudem keinen Grund mehr, einen Arzt zu konsultieren. Sie verordnete sich selbst lediglich Bettruhe und hoffte, das dies ausreichen würde. Auch, wenn sie es nicht offen aussprach, für einen Moment lang hatte sie die Panik davor befallen, das Kind möglicherweise zu verlieren. Umso erleichterte war sie letztendlich, als sich ihre Angst nicht bewahrheitet hatte. “Fühlst du dich wirklich wieder besser, Kleines?”, fragte Akie ihre nunmehr im Bett liegende Tochter sichtlich besorgt. Kimie nickte bejahend. “Ja, alles in Ordnung.” “Sollen wir wirklich keinen Arzt hinzuziehen?”, fragte der Großvater nochmals nach, doch Kimie blieb bei ihrer Haltung diesbezüglich. “Ruh dich aus, Kimie”, riet Kimata ihr nun. “Und wenn du etwas brauchst, sag einfach Bescheid. “Ja, mach ich, Paps. Danke.” Kagomes Mutter wandte sich an die Anwesenden: “Kimata hat Recht. Kimie braucht jetzt Ruhe. Kommt! Wir gehen wieder ins Wohnzimmer.” Nachdem sie die versammelte Mannschaft, bis auf Kagome und Inu Yasha, die noch ein wenig bei Kimie bleiben wollten, aus dem Zimmer hinausgeschafft hatte, schloss die Frau leise die Tür. Erst jetzt setzte sich Kimie seufzend wieder auf. Als Erstes fiel ihr der argwöhnische Blick von Inu Yasha auf. “Was ist? Warum guckst du so?”, fragte Kimie ihn. Der Hanyou schüttelte nur fassungslos den Kopf. “Nichts. Ich kann nur nicht fassen, dass du das wirklich mit dir hast machen lassen. Und das auch noch mit Sesshoumaru…” “Was?” “Na, es ist doch sein Kind, oder etwa nicht?” Erst da begriff Kimie, was er meinte. Kurzzeitig hatte sie verdrängt, dass Inu Yasha durch die ganze Aufregung nun ebenfalls mit eingeweiht war. Als sie noch immer nicht auf seine Frage antwortete, hakte er abermals nach: “Ist es nun seins, oder was?” “Von wem denn bitteschön sonst?! Was glaubst du denn, was ich für Eine bin?!”, fragte Kimie daraufhin etwas aufgebracht zurück. Im ersten Moment war Inu Yasha zwar leicht erschrocken zurückgewichen, fing sich aber recht schnell wieder. “Und… wie lange geht das schon so?” Kimie bemühte sich nun um einen ruhigeren Ton. “So genau weiß ich das auch nicht. Aber es dürfte vielleicht so das Ende des dritten oder der Anfang des vierten Monats sein.” Inu Yasha ließ einen Pfiff verlauten. “Ui! Und Sesshoumaru weiß bisher wirklich nichts davon? Hm… Nein, muss wohl so sein. Sonst wäre er bestimmt pausenlos in deiner Nähe und wäre nicht wieder abgehauen. Warum sagst du es ihm eigentlich nicht?” Kimie seufzte abermals. Jetzt war es auch egal. Da Inu Yasha schon Bescheid wusste, konnte sie ihm auch den Rest erzählen. Nachdem sie das getan hatte, begriff der Hanyou zwar einiges mehr, wirklich nachvollziehen konnte er es aber nicht. “Also…”, begann er nach einem Moment. “Du hast Sesshoumaru zunächst nichts erzählt, weil du nicht wolltest, dass er sich womöglich nur wegen dem Kind für dich und gegen diese Prinzessin entscheidet. Und inzwischen willst du es ihm deshalb nicht sagen, weil du dich nicht mehr würdig genug fühlst, an seiner Seite zu bleiben? Das ist doch bekloppt!” Kagome schreckte hoch. “Inu Yasha!” “Was ist? Es stimmt doch!”, entgegnete er entschieden, ehe er sich wieder Kimie zuwandte. “Willst du dieses Theater etwa bis in alle Ewigkeit durchziehen? Das klappt doch nie! Früher oder später findet Sesshoumaru es sowieso heraus. Spätestens dann, wenn man es nicht mehr übersehen kann.” Kimie schwieg anfangs. So was Ähnliches hatte zuvor bereits Kagome zu ihr gesagt. “Was bringt es dir außerdem, wenn du es weiterhin für dich behältst?”, fragte Inu Yasha weiter. “Letzten Endes hättest du davon doch überhaupt nichts. Oder hattest du etwa vor, das Kind selbst noch nach er Geburt vor Sesshoumaru zu verstecken?” Als Antwort darauf schüttelte Kimie nur den Kopf. Inu Yasha verschränkte die Arme vor der Brust. “Sag es ihm! Das ist das beste.” Eigentlich wusste Kimie ja selbst, dass er Recht hatte, so wie auch alle anderen, die ihr dazu geraten hatten. Gerne würde sie Sesshoumaru alles sagen, doch verspürte sie abermals diese Zweifel. Es war wie ein Teufelskreis. Nachdem Kimie eine Zeit lang nichts mehr dazu gesagt hatte, setzte sich Kagome zu ihrer Cousine aufs Bett. “Kimie? Zögerst du, weil du nun befürchtest, so was wie eben könnte wieder passieren? Und dann… weniger glimpflich enden?” Schweigend senkte Kimie etwas den Blick. “Ich… ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen könnte… Würde das passieren, dann…” Zitternd vergrub sie ihre Finger in der Bettdecke. “… dann hätte ich doch endgültig auf ganzer Linie versagt!” “Kimie…” Kagome war irritiert. In ihren Ohren klang das so, als hätte ihre Cousine das wirklich so gemeint. “Von versagen kann in diesem Fall ja wohl keine Rede sein!”, widersprach Inu Yasha nach einem Moment. “Schone dich einfach, dann wird schon alles gut gehen. Wie auch immer, wenn du Sesshoumaru alles erzählen möchtest, dann sag es ruhig. Ich gehe dann und hole ihn her. Was ist?” Erneut hüllte sich Kimie anfangs in Schweigen. Allmählich bekam sie den Eindruck, sie hätte Sesshoumaru gegenüber von Anfang an mit offenen Karten spielen sollen. Gut, die Zeit zurückdrehen konnte sie nicht, aber noch war es ja nicht zu spät. Schlussendlich nickte sie. “In Ordnung… Einverstanden.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)