Shadows of the NewMoon von Darklover ================================================================================ Kapitel 31: 31. Kapitel ----------------------- Die Nacht war voll realistischer Albträume gewesen und schien Amanda mehr Kräfte geraubt, als gegeben zu haben. Sie fühlte sich wie gerädert, als sie aufwachte, und wehrte sich dagegen, die Augen zu öffnen, und beschloss den neu angebrochenen Tag noch eine Weile zu ignorieren. Nataniel neben ihr strahlte eine derartige Hitze aus, dass Amanda die Decke von ihren Beinen ziehen musste, um nicht davon zu fließen. Trotzdem legte sie ihren Arm um ihn, drückte ihren Bauch an seinen Rücken und vergrub ihre Nase an seinem Nacken, während sie seinen Bauch streichelte. Sie döste noch eine Weile vor sich hin, was erfrischender war, als der gesamte Schlaf zuvor. Neben Nataniel aufzuwachen machte sie glücklich. Ein breites Lächeln spielte um ihre Lippen, die sich leicht auf seine Haut legten. Sie würde ihn nie wieder hergeben. Am nächsten Morgen war es, als würde er immer noch träumen, auch wenn er wusste, dass dem nicht so war. Konnte denn die Realität wirklich so süß und voll Zärtlichkeiten sein? Nataniel spürte Amandas Lippen in seinem Nacken, ihren Bauch an seinem Rücken und ihre Hand in der Region seines Bauchnabels. Sofort begann er wieder zu schnurren. Selbst, wenn er es in diesem Augenblick gewollt hätte, hätte er es nicht abstellen können. Dazu fühlte er sich einfach zu überirdisch wohl. Eine Weile genoss er die stille Zuwendung, ohne sie mit irgendwelchen Worten zu unterbrechen. Doch schließlich nahm er ihre Hand, führte sie zu seinem Mund und küsste sie. Danach drehte er sich zu seiner Gefährtin herum und lächelte sie an. Vermutlich konnte sie es noch nicht einmal sehen. Es war immer noch sehr dunkel, selbst wenn sein innerer Rhythmus ihm sagte, dass die Sonne vor Kurzem aufgegangen war. Seine Finger auf ihren Lippen waren eine gutgemeinte Vorwarnung, damit sie nicht einfach erschreckte, als sie schließlich seinen Mund auf sich spüren konnte. Während er Amanda besitzergreifend aber sehr sanft küsste, legte er seine Arme um sie und zog sie dicht an sich heran. Seine Hände streichelten ihr durchs Haar, während sein Bein sich halb um ihre schlang, um sie am Weglaufen zu hindern. Auch wenn er nicht glaubte, dass sie das vorgehabt hätte. Nataniel wollte damit nichts erreichen. Der Zeitpunkt und die Umgebung waren dafür einfach nicht günstig. Aber gerne hätte er Amanda gesagt, wie leid es ihm tat, dass sie nur so wenig Zeit miteinander gehabt hatten. Zumindest jene Momente, die sie harmonisch miteinander verbrachten. Die kleinen Neckereien zählten für ihn dabei auch dazu. Während er sie also küsste, als wäre es vermutlich das letzte Mal, musste er daran denken, wie wenig Amanda seine Entscheidung gefallen würde. Bestimmt wollte sie mit ihm gegen Nicolai zu Felde ziehen, aber er konnte das von vornherein nicht zu lassen. Wenn sie verletzt werden würde, oder gar dabei starb, könnte er das nicht ertragen. Ihr Tod würde für ihn und den Panther jeglichen Sinn aus seinem Leben nehmen. Selbst das Rudel könnte niemals so viel für ihn sein wie seine Gefährtin. Das hatte er ihr schon einmal gesagt, nur würde es ihm bei ihrer Sturheit nichts bringen. Überraschend für sie beide drehte er sich während des Kusses mit ihr zusammen auf dem Rücken, sodass sie halb auf seinem Körper lag. Danach sah er sie an. „Kannst du mir etwas versprechen?“, wisperte er leise, während er ihre Wange streichelte und seine andere Hand auf ihrer Taille ruhte. Amanda versuchte Augenkontakt mit Nataniel herzustellen, was sich gar nicht als so schwierig erwies, wie sie es sich gedacht hatte. Das wenige Tageslicht, das sie erreichte, ließ seine blauen Augen hell aufscheinen. Auf was er mit seiner Frage hinaus wollte, wusste sie nicht genau. Es konnte sich um alles Mögliche handeln. Aber eins hatte Amanda gelernt. Bevor man ein Versprechen gab, musste man sich anhören, um was es sich handelte. Noch nie in ihrem Leben hatte Amanda ein Versprechen gebrochen und sie würde es auch nicht tun. Daher war sie keine von denen, die sich einfach im Taumel der Gefühle dazu hinreißen ließen, zu allem 'ja und Amen' zu sagen. Auch wenn sie so in seinen Armen, nach dem Kuss, den er ihr gegeben hatte, durchaus versucht war, ihm sehr viel zu versprechen. Amanda verschränkte ihre Arme auf Nataniels Brust und legte ihr Kinn darauf ab, wobei sie ihn weiter aus aufmerksamen Augen ansah. „Was soll ich dir versprechen?“, sagte sie sehr leise. Bestimmt konnten viele der Wandler in ihrer Katzenform jedes Wort mithören, das Nataniel und Amanda in ihrer kleinen Höhle sprachen. Aber so machte sie es den neugierigen Ohren hoffentlich zumindest ein wenig schwerer. In dem Wissen, dass er gleich die ganze Stimmung komplett zerstören würde, umarmte er sie noch einmal und beugte sich etwas nach vorne, damit er ihr einen letzten Kuss auf die Lippen hauchen konnte. Wenn er könnte, er würde es niemals aussprechen. Wenn er könnte, würde er sie niemals verlassen und mit ihr irgendwohin gehen, wo sie in Frieden leben konnten. Doch er konnte es nicht. Sie war seine Gefährtin und daher ein guter Grund, einfach kampflos seiner Wege zu gehen. Aber er konnte so viele Wandler nicht im Stich lassen, und außerdem würde Amanda sicher auch nicht einfach so kampflos abziehen. Er hatte gesehen, dass es ihr auch wichtig war, was mit dem Rudel geschah. Sonst hätte sie sich kaum so viele Gedanken darüber gemacht, was die Leute von ihr hielten. Also war es wohl hoffnungslos und zugleich sinnlos. Trotzdem musste er seinem Protest Ausdruck verleihen, damit er sich vielleicht später, wenn alles zu Ende ging, nicht vorwerfen musste, dass er es nicht wenigstens versucht hatte. Also ließ er die Katze sprichwörtlich aus dem Sack. „Ich will, dass du mir versprichst, nicht gegen Nicolai oder irgendjemanden aus seinem Rudel zu kämpfen. Ich möchte, dass du bei unserem Clan bleibst und sie in Sicherheit bringst.“ Amanda schien sprichwörtlich der Schlag zu treffen, als sie seine Worte hörte. „Was?!“ Als Reaktion auf ihr lautes Zischen hörte sie weit hinter sich, wie sich etwas bewegte. Aber das war ihr im Moment so egal, wie ihr nur irgendetwas sein konnte. In einer wütenden Bewegung riss sie sich aus seinen Armen und stützte sich auf seiner Brust ab, um ihn von oben herab anzufunkeln. „Du weißt genau, dass ich dir das nicht versprechen werde!“ Natürlich war ihr klar gewesen, dass er sich Nicolai irgendwann stellen wollte. Und sie hatte sogar damit gerechnet, dass er sie dann nicht bei sich haben wollte. Aber das würde an ihrer Entscheidung nichts ändern. „Palia kann das Rudel in Sicherheit bringen. Von mir werden sie sowieso keine Hilfe annehmen.“ Sie hoffte ihn mit diesen Argumenten zu treffen, die ihrer Meinung nach richtig waren. Aber ihre Wut war derart hochgeflammt, dass sie kaum noch logisch denken konnte. Ihre Finger krallten sich in seine Brust, weil sie gleichzeitig nicht zu nah bei ihm sein wollte, sich aber genauso wenig von ihm entfernen konnte. War es das etwa gewesen? Hatte er das gemeint, als er sagte, dass das Rudel zuerst kam und er deshalb keine Gefährtin haben wollte? Schön und gut, aber dann war es doch wohl auch egal, wenn sie mit ihm kam! „Warum soll ich nicht gegen Nicolais Gefolgsmänner kämpfen. Ich bin verdammt nochmal nicht so schwach, wie ihr alle glaubt! Erinnerst du dich? Ich hab schon mal einen von ihnen umgebracht. Und dir das Leben gerettet! Ich werde sicher nicht zurückbleiben und bibbernd in der Ecke sitzen, darauf hoffend, dass du lebend zu mir ...“ Gerade noch so schaffte sie es, sich zu unterbrechen. Aber um ihre Unsicherheit und die Wahrheit der Worte, die sie eigentlich hatte benutzen wollen, zu verbergen, stieg sie von ihm herunter. „Ich werde mit dir kämpfen, ob du willst oder nicht. Und ich werde mit dir sterben, wie jeder andere Kämpfer in deinem Rudel, wenn es sein muss.“ Inzwischen war sie so laut geworden, dass bestimmt jeder sie hören konnte. Ihr Atem kam stoßweise und Nataniel musste ihre Augen eigentlich aufflammen sehen. Wieso konnte es ihn nicht überraschen? Wieso hatte er genau gewusst, dass sie so reagieren würde, wie er es von ihr erwartete? Konnte sie nicht wenigstens nur dieses eine Mal jemand sein, der sich einfach nur von ihm beschützen ließ, anstatt ihm ständig den Hintern zu retten? Amanda hatte nämlich wirklich Recht. Sie war nicht schwach und sie hatte ihn schon oft genug aus dem Dreck gezogen, aber gerade deshalb hatte er solche Angst, sie mitzunehmen. Sie war auf ihre Weise so selbstlos, dass es ihr egal war, ob sie dabei draufging. Das bewies doch nur die Geschichte mit dem Geparden, der ihr beinahe die halbe Seite herausgebissen hätte. Alles nur wegen der Tatsache, dass sie ihm hatte helfen wollen, obwohl sie sich zu diesem Zeitpunkt gar nicht gut verstanden hatten. Ja, genau deshalb wollte er sie nicht dabei haben. Damit sie nicht irgendetwas tödlich Dummes tun konnte. Und damit er selbst nicht abgelenkt war, sollte es wirklich hart auf hart kommen. Sie in Gefahr zu wissen, war wirklich nicht gerade die Methode, die ihm einen freien Kopf und einen ruhigen Verstand bescherte. Doch bevor er ihr auch nur irgendetwas davon sagte, ließ er sie zurückweichen und richtete zugleich seinen Blick in die dunklen Schatten der Höhle und die Umrisse, die er dort genau erkennen konnte. „Lasst uns allein!“, knurrte er in einem herrischen Tonfall, der Übles versprach, wenn sich auch nur einer seinem Befehl widersetzen sollte. Kein Wunder, dass auf einmal eine ganze Schar von Pfoten auf dem Boden zu hören war, ehe es vollkommen still wurde. Ein Schweigen, das so schwer in der Luft lag, wie sein Herz sich anfühlte. „Genau das ist es doch, was ich befürchte“, sagte er schließlich ruhiger an Amanda gewandt, während er sich ganz aufsetzte. „Ich will nicht, dass du für so eine Sache stirbst. Und schon gar nicht, bei dem Versuch mir zu helfen. Auch wenn du mir vielleicht nicht glaubst. Gerade, weil ich dich für stark halte, will ich dich nicht dabei haben. Das ist nicht dein Kampf und ich will auch nicht, dass er es wird.“ Nataniel hatte gewusst, dass es schwer werden würde und er wusste tief in sich drin auch, dass es keinen Sinn hatte, mit ihr darüber zu diskutieren. Aber verdammt nochmal, er würde nicht kampflos nachgeben. Und wenn sie sich gegenseitig aneinander die Zähne ausbissen, das war besser, als einfach nur dabei zuzusehen, wie sie sich in die Gefahr stürzte! „Verstehst du denn nicht? Ich will einen guten Grund haben, der mich davon abhält, zu verlieren und mich wieder sicher nach Hause bringt, aber der ist bestimmt nicht das Rudel, sondern du! Aber wenn du tot bist, was nützt mir das dann noch? Da kann ich mich gleich selbst erschießen!“ Den letzten Satz hatte er fast gebrüllt, ehe er sich wieder fassen konnte. Trotzdem ging seine Atmung aufbrausend. „Und ich soll das einfach so hinnehmen? Bloß, weil du hier der große Anführer bist, darfst du die Entscheidungen für mich treffen?!“ Sie kniete halb und versuchte die animalische Kraft, die ihrer Stimme im Gegensatz zu seiner fehlte, mit wilden Gesten wettzumachen. „Du hast verdammt nochmal mehr als einen Grund, dich nicht umbringen zu lassen. Wie du schon sagtest, das Rudel wird immer an erster Stelle stehen. Und trotzdem werde ich dich nicht allein gehen und sterben lassen! Weil ich dich liebe, du Idiot!“ In der bleiernen Stille, die sich auf sie beide legte, ließ sich Amanda auf ihre Fersen zurücksinken, zog sich die Decke um den halbnackten Körper und massierte sich mit den Fingern die Nasenwurzel. „Das war nicht fair, entschuldige.“ Ihre Stimme war ruhig, aber immer noch von Emotionen durchsetzt, die sie gar nicht verleugnen wollte. Sie hatte die Wahrheit gesagt, auch wenn es ihr im völlig falschen Moment über die Lippen gekommen war. Sie würde es nicht zurücknehmen, aber vielleicht konnte sie ein wenig Schadensbegrenzung betreiben. „Fühl dich nicht genötigt, irgendwas dazu zu sagen. Das wollte ich nicht erreichen.“ Sie schickte sich an, ihre Sachen im Dunkeln zusammenzusuchen, damit ihre Hände mit irgendetwas beschäftigt waren. Wenn der Drang, wegzulaufen, am vergangenen Abend schon groß gewesen war, dann war er jetzt übermächtig. „Ich werde deine Leute in Sicherheit bringen, wenn du das willst. Und wenn sie es zulassen.“ Sie hatte tatsächlich alle ihre Klamotten im Zwielicht gefunden und fing an, sich anzuziehen. Sie musste unbedingt hier raus. Die Höhle schien auf einmal mit der gesamten Wucht und dem Gewicht des Steins, der über ihnen prangte, auf Amanda zu lasten. Amandas impulsive Erwiderung hallte so stark in seinem völlig erstarrten Körper wider, dass selbst sein Herz einen Moment lang stillstand, ehe es von neuer Kraft beseelt um vieles schneller weiter pochte. Bis sein Gehirn allerdings ebenfalls wieder richtig in die Gänge kam, war Amanda schon halb angezogen, weshalb ihm wieder einmal der Panther dort half, wo sein Verstand versagte. Ohne zu zögern, packte er Amanda bei den Händen, zog sie zu sich herab und hielt sie mit dem Rücken an seine Brust gepresst fest umschlungen. Seine Arme waren wie Fesseln und ebenso unnachgiebig. Aber um nichts auf der Welt hätte er sie jetzt losgelassen. Selbst wenn sie schreiend um sich schlagen würde, hätte er nicht die Kraft dazu besessen. Stattdessen vergrub er verzweifelt sein Gesicht in ihrem Haar, während er um Ruhe rang. „Verdammt, Amanda. Ich liebe dich doch auch“, flüsterte er leise und mit völlig verrauchter Wut dicht an ihrem Ohr. „Darum, egal was es mich kostet, lauf bitte nicht vor mir weg. Bitte tu das niemals. Ich könnte es nicht ertragen.“ Seine Arme schlossen sich daraufhin noch etwas enger um ihren Körper. Beschützend, verlangend und zugleich nach Halt suchend. Sie durfte nicht gehen. Das konnte er nicht zulassen. Aber wenn er sie in Sicherheit wissen wollte, würde er sie gehenlassen müssen. Ihren letzten Worten zu entnehmen, hatte er diese Auseinandersetzung gewonnen. Sie hatte nachgegeben und sich bereit erklärt, das Rudel in Sicherheit zu bringen. Aber da hatte er ihre Liebe auch noch nicht mit seinen eigenen Worten erwidert. Es war verdammt bezwingend. All die Gefühle, die er inzwischen wesentlich leichter zulassen konnte, da er nicht mehr Angst um Amanda haben musste. Zumindest nicht, was den Panther anging. Mann und Tier zogen in diesen Dingen nun am gleichen Strang, weshalb er sich auch nicht mehr zurückhielt. Scheiß auf mögliche Konsequenzen! Sollte er heute oder morgen sterben, müsste er es mit der Gewissheit tun, dass er vor Amanda noch etwas zurückgehalten hatte. Damit könnte er nicht leben. „Du stehst für mich über dem Rudel, Amanda“, begann er die aufgekommene Stille erneut mit einem Wispern zu durchbrechen. Aber wenn er es jetzt nicht sagte, würde er nie die Kraft dazu aufbringen. „Wenn du mich darum bitten würdest, ich würde noch heute mit dir fortgehen. Weit weg von diesem Land und Nicolai.“ Das meinte er ernst. Selbst wenn er ein Leben lang mit der Tatsache leben müsste, dass er sein Rudel im Stich gelassen hatte. Es war besser, als die Frau zu verlieren, die er liebte. Denn dass es so war, wusste er nun so deutlich, wie niemals zuvor. Ein wenig wehrte sie sich gegen seinen Griff, versuchte seinen warmen Körper so wenig zu berühren, wie möglich, um nicht an das Gefühl erinnert zu werden, das sie hatte, als sie neben ihm aufgewacht war. Doch ihre Gegenwehr schmolz dahin wie Schnee in der Sonne, als sie seine Worte warm an ihrem Ohr spürte. Zuerst glaubte sie an einen Streich, den ihr Kopf ihr spielte. Er musste das, was Nataniel gesagt hatte, in das umgewandelt haben, was sie hatte hören wollen. Seine Arme schlossen sie noch stärker ein und Amanda gab die Gegenwehr auf. Sie wollte doch gar nicht davonlaufen. Eigentlich hätte sie das doch gar nicht gekonnt. Genau das war doch das Problem. Selbst von dem leichten Kratzen in ihrer Stimme überrascht, zwang sich Amanda doch weiter zu sprechen. Nataniel hatte sie nicht abgelehnt und was er gesagt hatte, war ihm sicher nicht leicht gefallen. Selbst wenn es nicht sein Ernst war, erkannte sie doch das Opfer, das er allein mit seiner Aussage gebracht hatte. „Wer wäre ich, von dir zu verlangen, dass du dein Rudel aufgibst? Das würde ich niemals tun. Wir stehen das schon durch. Alle zusammen.“ Sie wussten beiden, dass es schwer werden würde, und dass die Trennung nur die erste Verletzung sein würde, die sie beide ertragen mussten. Amanda schmiegte sich in Nataniels Arme, die sie immer noch warm umfingen. Er roch wie immer beschützend und gemütlich. „Komm einfach wohlbehalten zu mir zurück.“ Sie wollte ihm kein Versprechen abringen, das er nicht geben konnte und dabei wäre es genau das gewesen, was sie wollte. Amanda würde ihn gehenlassen, aber sie wollte am liebsten die Garantie. Amanda war genau die, die er wollte, so wie sie war. Genau deshalb bedeutete sie ihm doch so viel. Hoffentlich würde das Rudel sie nach der Beseitigung von Nicolai wieder als einen Teil von sich betrachten. Denn genau das war sie. Teil des Rudels und ein großer Teil in ihm drin, der sich wärmend dort ausgebreitet hatte. Wie sie schon sagte, sie würden es irgendwie überstehen, aber es fiel ihm trotzdem nicht leicht. Ganz und gar nicht leicht. Nun etwas besänftigt drehte er sie langsam in seinen Armen zu sich herum, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. Zärtlich streichelten seine Fingerknöchel über ihre Wange. „Alles, was in meiner Macht steht, werde ich tun, um dafür zu kämpfen, wieder bei dir zu sein. Immerhin, ich will dich doch meiner Pflegefamilie vorstellen.“ Er lächelte warm. „Sie wird dir gefallen. Aber auch die Ranch und die weiten Wälder und Felder rundherum.“ Ein Seufzen entkam ihm, als er daran dachte und sich fast bildlich vorstellen konnte, wie er sie über das Land seines Dads führte. Ihr die kleinen verborgenen Winkel zeigte, die er schon als Kind für sich alleine entdeckt hatte und nun unbedingt mit ihr teilen wollte. „Es gibt noch so viel, das ich dir zeigen möchte“, gestand er schließlich kaum noch hörbar, ehe er sich zu ihr herabbeugte und ihre Lippen küsste. Versöhnen fühlte sich wirklich tausendmal besser an, als zu streiten und trotzdem war das zwischen ihnen einfach immer wieder unvermeidlich. Aber im Augenblick wollte er nicht mehr streiten. In wenigen Stunden könnte Amanda schon mit dem Rudel auf den Weg in Richtung Zufluchtsort sein, während er den entgegengesetzten Pfad einschlug, um sich Nicolai vorzuknöpfen. Ein paar seiner Leute würden ihn begleiten, und auch wenn von ihnen jemand fallen würde, wäre es ein tragischer Verlust. Aber nicht so tödlich, als wenn er seine Gefährtin verlieren würde. Das würde ihn umbringen. „Ich liebe dich“, hauchte er ihr noch einmal gegen die Lippen, als er sie näher zu sich heranzog, um den Kuss zu intensivieren. Einmal noch, nur noch einmal wollte er diese Lippen in vollen Zügen besitzen, ehe er sie vielleicht nie wieder berühren würde. Ein Gedanke, der ihm schon jetzt verdammt wehtat. Nach einer ganzen Weile hatten sie sich doch voneinander losreißen müssen. Amanda fühlte sich bereits jetzt so, als würde sie jede Minute mehr von Nataniel trennen. Und doch musste sie es aushalten. Sie wollte nicht theatralisch wirken, schon gar nicht vor den neugierigen Augen, die sie vor der Höhle sicher erwarten würden. Ob sie schadenfroh darauf warteten, dass der Streit zwischen Amanda und Nataniel in einer Trennung geendet hatte? Um nicht noch weiter in eine absolut depressive Stimmung zu verfallen, versuchte Amanda nicht an Gefühle zu denken. Sie hatte Nataniel versprochen, sein Rudel in Sicherheit zu bringen. Das würde sie tun. Ob es den Rudelmitgliedern nun gefiel, oder nicht. Nataniel hatte sie an der Hand durch die dunkle Höhle geführt, die jetzt, wo sie zu Fuß ging und nicht von ihm getragen wurde, nur noch weitläufiger wirkte. Krampfhaft versuchte Amanda nicht zu oft zu stolpern oder gar hinzufallen. Sie wollte hoch erhobenen Hauptes draußen ankommen und nicht mit aufgeschlagenen Knien wie ein kleines Kind. Bereits aus einiger Entfernung konnte sie den Lichtschein von draußen sehen. Die Sonne war inzwischen schon ein Stück den Himmel hinauf geklettert und Amanda hob eine Hand über die Augen, um nicht zu oft blinzeln und ihre Augen zusammenkneifen zu müssen. Irgendetwas kam in fast wahnsinniger Geschwindigkeit auf sie zu und allein die Tatsache, dass sie ihren Namen von einer bekannten Stimme hörte, ließ Amanda das Etwas auffangen, anstatt es abzuwehren. Und es hatte sich gelohnt, denn im nächsten Moment erkannte Amanda, was oder vielmehr wer ihr da in den Armen hing und sich so fest an sie drückte, dass Amanda fast die Luft wegblieb. „Nele!“ Amanda strahlte mit der Sonne und mit Nele um die Wette, als sich ihre braunen Augen mit denen des kleinen Mädchens trafen. „Du bist wieder da“, war alles, was Nele sagte, bevor sie sich wieder an Amanda drückte. „Ja, bin ich. Und ich werde euch auch nicht mehr alleinlassen.“ Die Worte hatte sie nicht nur an Nele gerichtet, sondern dabei auch Nataniel angesehen, der immer noch neben ihr stand. Und sie meinte es so ernst, wie kaum etwas in ihrem Leben zuvor. Nataniel betrachtete diese glückliche Wiedersehensszene, warf dabei aber auch einen flüchtigen Blick zu Neles Eltern hinüber. Sie sahen nicht besonders froh darüber aus, wie sehr ihre Tochter an Amanda hing. Aber da war keine Abscheu in ihren Augen, sondern einfach nur Sorge. Nataniel lächelte ihnen beruhigend zu, was diese etwas zu entspannen schien, danach richtete er seine volle Aufmerksamkeit auf die beiden Ladys an seiner Seite. Nele so freudestrahlend zu sehen, war auch für ihn eine enorme Erleichterung. Hatte er doch noch nicht vergessen, wie traurig sie jedes Mal gewesen war, als er ihr erklären musste, dass Amanda vermutlich nie wieder zu ihnen zurückkam. Und nun wollte sie sogar bei ihnen bleiben? Für immer? Bis zu diesem Zeitpunkt war für Nataniel noch nicht hundertprozentig klar gewesen, ob sie nicht doch irgendwann gehen würde. Auch wenn er es nicht geglaubt hatte, so war es auf jeden Fall etwas ganz anderes, auf diese Weise zu hören. Deshalb nahm er Amanda mit Nele zusammen auch noch einmal in den Arm und küsste sie vor dem versammelten Rudel auf die Lippen, während er dem Mädchen mit seiner Hand durchs Haar streichelte. In diesem Augenblick war das Gefühl voll und ganz zu einer Familie zu gehören, selbst wenn man seine Blutsverwandten getötet hatte, stärker denn je. Für ihn waren nicht nur das Rudel oder seine Pflegeeltern samt seinen dazugehörigen Geschwistern Familie, sondern nun auch Amanda. Sie war der erste Teil eines neuen engen Kreises familiärer Bande – seiner eigenen Familie. „Ich lass euch zwei jetzt einmal alleine. Ihr habt sicher vieles nachzuholen und ich muss noch einige Dinge klären, bevor es losgeht.“ Nataniel drückte aufmunternd Amandas Hand und schenkte ihr eines seiner wärmsten Lächeln, die nur wenigen vorbehalten blieben. Danach drehte er sich um und verschwand zusammen mit Palia und ein paar älteren Rudelmitgliedern vom Platz. Die Anderen sollten sich derweil noch um die Vorräte kümmern, da sie auf ihrer Reise bestimmt nicht dazu kamen, stundenlang auf Beute zu lauern. Das würde einfach zu viel Zeit kosten. Während seine 'Berater' sich schon einmal an den Ort begaben, wo sie in Ruhe alles besprechen konnten, hielt Nataniel Palia noch einen Moment lang am Arm zurück. Woraufhin sie sich fragend zu ihm herumdrehte. Noch einmal sah er sich im Umkreis um, musterte jeden einzelnen Gestaltwandler, ehe sein Blick wieder auf die Pumadame fiel. „Niela ist weg. Seit wann?“ Schon sein kühler Tonfall sagte ihr, dass sie hier rein mit dem Alphatier sprach, das sich um sein Rudel sorgte. „Das letzte Mal habe ich sie gesehen, als du gestern mit Amanda ankamst. Danach war sie wie vom Erdboden verschluckt“, berichtete Palia ihm. „Sie ist abgehauen.“ Keine Frage. Eine Feststellung. „Ja. Und ich denke, du weißt auch, warum. Sie hatte Hoffnungen.“ Nataniel seufzte noch nicht einmal, sondern holte lediglich einmal tief Luft. „Woher sie die nahm, weiß ich wirklich nicht. Aber das ist jetzt auch nicht wichtig. Sollte sie doch noch wieder zu der Gruppe hinzustoßen, lass sie mitgehen. Ich zwinge hier niemanden zu etwas, solange er uns nicht schadet. Wenn sie gehen will, soll sie das tun. Sie ist schließlich erwachsen.“ Mit diesen Worten machte er sich zusammen mit Palia auf den Weg zu den Anderen. Es wurde Zeit, die genaue Route zu planen und bestimmte Plätze für Zwischenstopps einzubeziehen. Vor allem wollten sie eines vermeiden: Solange sie nicht an ihrem Ziel angelangt waren, sollten keine Menschen sie zu Gesicht bekommen. Sven würde später für jeden Einzelnen von ihnen eine neue Identität schaffen, was sein Rudel vor der Moonleague wieder eine Weile sichermachen sollte. Aber bis dahin war es einfach zu gefährlich, sich wieder der Zivilisation anzuschließen. Amanda war nicht wirklich überrascht, dass Nataniel sich ihr so offensichtlich vor dem gesamten Rudel zuwandte. Das Streitgespräch hatte sie nur noch näher zusammengebracht und gerade die Geste, in der er sie mit Nele in den Arm nahm und ihr einen leichten Kuss gab, fühlte sich so an, als wäre an ihrer Beziehung nicht zu rütteln. Mit einem Nicken und ebenfalls einem Lächeln ließ sie ihn verstehen, dass sie verstand. Sie würde die Zeit, bevor sie aufbrachen, noch nutzen, um ein wenig die Angst aus den Augen der Wandler verschwinden zu lassen. Nataniel war Anführer des Rudels und Amanda gehörte zu ihm. Da sollten seine Rudelmitglieder keine Sorge haben, dass Amanda ihnen irgendwie schaden würde. Sie neigte ein wenig den Kopf und sah Nele in die großen Augen, die mit der Sonne um die Wette strahlten. „Ich freue mich wirklich, dich wieder zu sehen. Hm ...“ Mit einem verschwörerischen Lächeln senkte Amanda die Stimme und sah sich kurz so um, als wolle sie sichergehen, dass niemand lauschte. „Ich hab unser Geheimnis nicht vergessen“, flüsterte Amanda, was Nele sofort dazu brachte, sich gespannt auf die Unterlippe zu beißen. Dabei sah der einzelne Schneidezahn weiß hervor. Am liebsten hätte Amanda die Kleine nie wieder losgelassen. „Du hast auch nichts verraten, nicht wahr? Nicht einmal Nataniel.“ Nele schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Haare Amandas Gesicht streiften. „Gut. Ich auch nicht.“ Amanda war überrascht, dass Nele zu kichern anfing, und sah das Mädchen fragend an. „Er hat dich geküsst.“ Jetzt musste Amanda mit Nele lachen, die sich sogar die kleine Hand vor den Mund hielt, was sie nur noch niedlicher wirken ließ. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, deshalb schwieg sie einfach und trug Nele zu ihren Eltern hinüber und reichte ihnen die Hand. „Ich glaube, wir haben uns noch nie vorgestellt. Ich bin Amanda. Eine Freundin ihrer Tochter Nele.“ Neles Eltern nickten und versuchten sogar ein Lächeln, bevor sie Amandas Hand nahmen und sie schüttelten. Das fühlte sich fast so gut an, wie das Lächeln des kleinen Mädchens, das so lange auf Amanda gewartet hatte. Ja, sie würde diese Leute sicher hier wegbringen. Und das nicht nur, um Nataniels Bitte zu erfüllen. Nachdem sie sich von Nele und deren Eltern verabschiedet hatte – allerdings mit der Zusicherung, dass sie sich zum Abendessen wiedersehen würden – versuchte Amanda sich, so gut es ging, nützlich zu machen. Die meisten hatten wenig persönliche Dinge dabei, die verstaut werden mussten, aber Amanda bot an, dort zu helfen, wo ein paar starke Jäger ausgeschwärmt waren, um Beute für Vorräte zu machen. Wer sich nicht helfen lassen wollte oder wer ihr feindselige Blicke zuwarf – was durchaus nicht selten vorkam – den ließ sie allein. Aber es gab doch einige Familien, die für ihre Hilfe dankbar waren. Immerhin gab es auch ältere Rudelmitglieder oder Mütter, die mit mehreren Kindern allein waren und daher eine helfende Hand durchaus zu schätzen wussten. Nach einer Stunde fing Amandas Magen zu knurren an. Sie hatte noch kein Frühstück zu sich genommen und war etwas orientierungslos, was ihren eigenen Rucksack anging. Der musste entweder in der Höhle sein, wo sie übernachtet hatten oder noch an der Stelle stehen, wo sie abends mit Palia gesprochen hatte. Amanda wusste es nicht mehr, aber im nächsten Moment stellte sich auch heraus, dass es egal war. Sie hatte der Löwin mit den drei Rabauken unter die Arme gegriffen, an die sie sich noch von ihrem ersten Aufenthalt erinnerte. Jetzt saßen die Jungs einigermaßen ruhig in einer Höhle, aßen Trockenfleisch mit etwas Brot und die Löwin war so nett, auch Amanda etwas anzubieten. Sie hatte noch nie Trockenfleisch zu sich genommen, war aber überrascht, dass es ihr doch recht gut schmeckte. Außerdem würde es sicher eine Weile vorhalten. Vor dem Abendessen würden sie wahrscheinlich nicht mehr viel zu Essen bekommen. Amanda rechnete damit, dass Nataniel den Plan hatte, so bald, wie möglich, aufzubrechen. Es dauerte wirklich lange und war verdammt ermüdend, eine Route anhand von Karten festzulegen. Hinzu kam auch noch die Tatsache, dass sie für mehrere Tage, wenn nicht sogar noch länger vorplanen mussten. Sie konnten in ihrer Anzahl keine Verkehrsmittel verwenden. Sonst bräuchten sie mehrere Reisebusse. Aber Nataniel wollte seine Leute auch so schnell wie möglich in Sicherheit bringen, weshalb er sich dazu entschied, nur einen Teil der Strecke zu Fuß zurückzulegen. Zumindest so lange, bis sie weit weg von der Gefahrenzone waren, die diese Gegend darstellte. Nataniel und Palia organisierten auch die Bewachung. Ein Teil der stärksten Rudelmitglieder würde er selbst mitnehmen, aber ein Großteil davon würde beim Rudel bleiben, um es im Notfall beschützen zu können. Natürlich hatte er nicht vor, dass man sie erwischte, aber er kalkulierte lieber Probleme im Vorhinein ein, bevor sich dem der Clan ganz alleine stellen musste. Schließlich konnten sie sich alle gemeinsam darauf einigen, dass sie sich in einer winzigen Kleinstadt, die sie bereits einige Tage vorher auskundschaften würden, als durchreisende Touristen ausgaben und sich dort zwei Tage lang niederließen. In dieser Zeit könnte Sven – sein Freund in allen möglichen Menschenfragen – die nötige Anzahl Busse samt vertrauenswürdigen Fahrern besorgen. So, wie er seinen Freund kannte, würden selbst die Gestaltwandler sein. Das war auch der beschränkte Zeitrahmen, in dem Nataniel mit seinen Leuten Zeit hatte, zu dem Rudel zu stoßen. Immerhin würde er sich ebenfalls zu Fuß auf den Rückweg machen müssen. Wenn er denn zurückkam. Auch für diesen Fall hatte er vorgesorgt. Er nahm auch einen Geparden mit, ließ ihn aber nicht ganz in die Nähe von Nicolai kommen. Sollte irgendetwas passieren, würde dieser so schnell er konnte, die Neuigkeiten dem Rudel überbringen. So oder so, würde der Clan also erfahren, was passiert war. Schließlich war alles besprochen und der Rat löste sich wieder auf, um sich den Familien zu widmen und um noch bei den letzten Vorkehrungen zu helfen. In zwei Stunden wollten sie aufbrechen. Um vor Einbruch der Nacht noch ein gutes Stück der Strecke zu schaffen. Zwei Stunden also, bis er sich von Amanda verabschieden musste. Vielleicht sogar für immer. Kein Wunder, dass er, trotz der guten Organisierung und Planung, absolut kein gutes Gefühl bei der Sache hatte. Auch der Panther war unruhig, tänzelte in seinem Käfig ständig auf und ab und wollte es lieber gleich hinter sich haben. Damit diese Spannung endlich aus ihm weichen konnte, die sich immer mehr und mehr aufzubauen schien. Nataniel fand Amanda dabei, wie sie einer alten Berglöwendame beim Packen half. Da sie schon fast fertig waren, lehnte er sich an den borkigen Stamm eines Baumes und sah ihr dabei zu, wie sie sich für ihr gemeinsames Rudel einsetzte. Seine Augen beobachteten dabei jede einzelne ihrer Bewegungen. Wie sie der alten Dame ab und zu ein Lächeln schenkte, weil diese ihr ebenfalls sehr freundlich gesonnen zu sein schien. So war das wohl mit dem Alter. Entweder man ist griesgrämig und senil, oder man fürchtet sich vor nichts mehr und bleibt auch dann noch freundlich und zuvorkommend, wenn einem das Leben bedroht wird. Nachdem Amanda sich von der alten Dame verabschiedet hatte und sich offenbar nach weiterer Arbeit umsah, entdeckte sie ihn schließlich. Weshalb er sich vom Baumstamm löste und auf sie zukam. „Keine Sorge, wir werden jemanden finden, der Ihnen beim Tragen hilft.“ Amanda wischte sich nicht zum ersten Mal an diesem Tag die Hände an ihrer Hose ab und streckte sich leicht, während sie sich umsah. Bis jetzt war es nicht unbedingt anstrengend gewesen, aber sie musste trotzdem daran denken, dass sie alle ihre Kräfte noch brauchen würden. Egal, ob es nun an das lange Laufen ging, dass die meisten Wandler einfacher bewältigen würden, als Amanda selbst oder das Tragen des Gepäcks. Viele würden in ihrer menschlichen Gestalt laufen müssen, um ihre Habseligkeiten mit sich nehmen zu können. Das würde ein verdammt langer Zug an Wandlern werden, den sie da in Sicherheit bringen mussten. Um nicht betrübt zu wirken, da das im Moment das absolut falsche Zeichen an ihre Umgebung gewesen wäre, unterdrückte Amanda ein Seufzen und versuchte jemanden zu erspähen, dem sie weiterhelfen konnte. Stattdessen sah sie Nataniel, der sich von einem Baum löste und auf sie zukam. Amanda brachte nur ein kleines Lächeln zustande. Der Plan stand also, sie würden bald aufbrechen. „Hast du einen Moment Zeit für mich?“, fragte er sie sanft und nahm sie auch schon bei der Hand, um sie ein Stück vom Lager wegzuführen. Bei einem kleinen abseits gelegenen Bächlein angekommen, kniete er sich am Ufer hin und schöpfte sich frisches, kristallklares Wasser zuerst in sein Gesicht, um sich etwas zu erfrischen und trank dann in großen Zügen, bis sein Durst gestillt war. In leicht behaglicher Position setzte er sich ins weiche Gras zurück und lehnte sich an einen großen Felsen. „Wir haben zwei Stunden, dann geht es los.“ Wie sehr ihm diese Tatsache zu schaffen machte, konnte er zum Glück gut verbergen. Selbst wenn seine Stimme etwas farblos geklungen hatte. Aber Amanda musste nun einmal auch in die Pläne eingeweiht werden, und auch das würde etwas der kostbaren Zeit in Anspruch nehmen. Als Nataniel ihr sagte, wie bald schon, begann es in Amandas Hirn zu rasen. Zwei Stunden? Würden sie das überhaupt alles schaffen? Die Kinder würden noch etwas essen müssen und sie sollten über eine Reihenfolge nachdenken. Die schwächsten Mitglieder des Rudels sollten in die Mitte genommen werden ... Amanda ließ sich neben Nataniel nieder und zählte ihm die Sachen auf, die ihr diesbezüglich eingefallen waren. „Ich bin mir sicher, dass ihr alle mehr Erfahrung habt als ich. Wer ist dafür zuständig, die Gruppe in die richtige Richtung zu führen? Wir werden das Tempo an diejenigen anpassen müssen, die am langsamsten sind. Immerhin ist es sicherer, zusammenzubleiben. Gerade die Schwächsten müssen von den Stärkeren beschützt werden. Allerdings solltest du die besten Krieger mit dir nehmen.“ Sie sah Nataniel in die Augen. Er hatte bis jetzt noch gar nichts gesagt. „Hast du die geringste Ahnung, wie groß Nicolais Rudel ist? Ihr dürft nicht in eine Übermacht hineinrennen.“ Krieg … Das war das Wort, das ihm in den Sinn kam, als er Amanda zuhörte und zugleich an all die Vorbereitungen dachte. Als würde er einen gesamten Haushalt zusammenpacken, um die Familie in Sicherheit zu bringen, während er und einige andere Männer in die Schlacht zogen. Es war vielleicht in einem wesentlich kleineren Ausmaß als gewöhnlich, aber für ihn war es dennoch bitterer Ernst. Trotzdem ließ er sich davon nicht runterziehen. Er klang zwar nicht allzu enthusiastisch, aber auch sicherlich nicht wie ein reiner Schwarzdenker. „Palia und ein paar der erfahrensten Mitglieder kennen den Weg. Sie werden sich mit dem Führen abwechseln. Natürlich beschützen wir die Schwächsten und halten uns an ihr Tempo. Mir ist an dem Wohl aller etwas gelegen. Immerhin sind wir nicht nur Tiere, die dem Recht des Stärkeren verfallen sind, sondern auch Menschen und somit Wesen mit Mitgefühl. Darum mach dir also keine Sorgen. Du wirst nicht dafür sorgen müssen, dass sich niemand unmenschlich verhält.“ Nataniel rieb sich den Nacken, während er das klare Wasser anblickte. „Ich werde dir eine Handynummer aufschreiben. Sobald ihr die von mir vorgesehene Kleinstadt erreicht habt und du ein Telefon zwischen die Finger bekommst, rufst du sie bitte an. Sven ist einer meiner engsten Freunde und verdammt gut, was Computer, Organisationen und vor allem Identitätsfälschungen angeht. Sag ihm, dass dich 'Nate' schickt. Dann wird er dir glauben. Ab der Ankunft in der Stadt bleiben euch zwei Tage Zeit, um euch auszuruhen, bis es weiter geht. Bis dahin musst du Sven sagen, dass er dir Reisebusse besorgen soll, die euch abholen. Palia kennt ab dort den weiteren Weg, falls ich … in diesen zwei Tagen nicht wieder bei euch sein sollte.“ Nataniel schwieg einen Moment, bis er wieder die Kraft und den Willen hatte, weiterzusprechen. „Ich nehme so viele Leute mit mir, wie ich entbehren kann, damit auch ihr geschützt seid.“ Wenn es zu wenige sein würden, wäre es das eben gewesen. Aber Nataniel würde sicher keinen seiner Leute in den sicheren Tod schicken. Vorher gab er sich lieber einer Niederlage preis und trat den Rückzug an. Allerdings wusste er nicht, ob das auch für ihn selbst galt. Doch das verschwieg er Amanda wohlweislich. „Mach dich auf einen Fußmarsch von ungefähr einer Woche gefasst. Also schone deine Kräfte, so gut du kannst. Es gibt genug helfende Hände.“ Mit diesen Worten sah er sie wieder an. Besorgt darüber, sie könnte sich zu sehr für das Rudel einsetzen, während sie sich selbst keine Pause gönnte. Sie war zu selbstlos, als dass er glaubte, sie würde sich ausruhen, wenn sie es nötig hatte. „Versprich mir bitte, dich nicht zu überfordern, okay?“ Er nahm ihre Hand und zog sie zu sich ins Gras. Seine Arme schlossen sich automatisch um sie, während sein Kopf gegen ihren lehnte. Amandas Kiefer hatten sich fest aufeinandergepresst, während sie Nataniel zuhörte. Es hatte etwas von der Einsatzplanung, wie sie es bei der Moonleague gewöhnt gewesen war. Dort hatte sie immer Anweisungen von ganz oben bekommen. Immerhin hatten über ihr nur die Gründer, die Sammler 1. Klasse gestanden. Mit Nataniels befehlsmäßigem Ton konnte Amanda in diesem Moment mehr anfangen, als wenn er an ihr Gefühl appelliert hätte. Aber das war so oder so nicht seine Art. Da waren sie sich ähnlich. „Es war nicht so gemeint, dass ich dachte, ich würde bei unseren Leuten auf Unmenschlichkeit stoßen. Aber ...“ Sie sah ihn an und wusste, dass sie auf dem Gebiet, auf das sie hier geraten waren, mehr Erfahrung hatte als er. „Hast du mal darüber nachgedacht, dass sie Angst bekommen könnten? Sie mögen alle Raubkatzen in sich tragen, aber das heißt nicht, dass sie zum Kämpfen geboren sind.“ Amanda seufzte und strich Nataniel die dunklen Haare aus der Stirn. „Aber der Zusammenhalt wird bestimmt größer sein als jede Angst. Immerhin sind sie eine Familie.“ Auf Nataniels Anweisungen bezüglich Sven und der Reisebusse nickte Amanda nur. Zu der Andeutung, dass Nataniel zu diesem Zeitpunkt nicht bei ihnen sein konnte, wollte sie nichts sagen. Er hatte sich zwar gebremst, aber Amanda war nicht dumm. Sie wusste auch so, was er meinte. Er würde nur dann nicht mit den Anderen zu seinem Rudel zurückkehren, wenn er tot war. Wenn er den Kampf mit Nicolai verlieren sollte. Amanda kannte die eisige Kälte, die sich bei dem Gedanken daran, dass Nataniel wirklich nicht zurückkommen würde, um ihr Herz legte. Aber sie würde dieses Gefühl nicht zulassen. Sich Sorgen um ihn zu machen, Angst um ihn zu haben, das war nur natürlich. Aber sie würde keine Trauer oder Ähnliches in ihr Herz lassen, bevor überhaupt etwas passiert war. Amanda glaube zwar nicht an Vorsehung, aber sie wollte auch nicht irgendetwas heraufbeschwören, indem sie sich zu sehr in Gefühle von Verlust hineinsteigerte. Daher ließ sie sich von Nataniel in die Arme ziehen und schloss die Augen, um seine Wärme und Nähe zu genießen. „Ich werde auf mich aufpassen, mach dir keine Sorgen.“ Amanda befreite sich so weit von seinen Armen, dass sie sich umdrehen und ihn küssen konnte. Ihre Hände hielten ihn so fest, wie sie es nur vermochte, bevor sie von seinen Lippen abließ. „Und du komm bloß heil zu mir zurück. Sonst bekommst du verdammt großen Ärger mit mir.“ Es klang nicht so leicht, wie es geplant gewesen war und ihr Lächeln misslang. Aber nicht einmal den Ansatz von Tränen ließ sie in sich hochsteigen. Angst hatte hier wohl jeder auf seine Weise. Zum Glück mussten sich seine Leute eher Sorgen darum machen, ob sie ein gutes neues Zuhause fanden. Die Moonleague würde noch etwas brauchen, um sich von Amandas Schlag zu erholen. Bestimmt hatte sie Besseres zu tun, als unauffällig reisende Gestaltwandler zu jagen. Zumal sie absolut nicht wussten, wohin sie verschwunden waren. Dazu reichten auch ein paar Daten nicht aus. Nataniel war daher auch überaus erleichtert, dass Amanda nicht mehr darauf bestand, mit ihm zu kommen. Sie in Sicherheit zu wissen, war im Grunde seines Herzes vorangehend vor allen anderen Gefühlen. Er hätte sich nicht auf das Kommende konzentrieren können, wenn er sie in Gefahr wüsste. Als er ihre Worte hörte, die nicht einmal annähernd einer Drohung glichen, zog er sie dicht an sich heran und vergrub sein Gesicht an ihrer Halsbeuge. Leise flüsterte er ihr zu. „Den bekomme ich doch sowieso, oder nicht? Immerhin habe ich das Schleckverbot missachtet, schon vergessen?“ Es klang auch nicht viel komischer, als Amandas Worte geklungen hatten, aber zumindest ließ es ihn vergessen, was auf ihn zukam. Denn viel mehr musste er an all die Momente denken, die hinter ihnen lagen. Hätte man ihm am Anfang gesagt, dass Amanda und er einmal ein Paar werden würden, er hätte gelacht, bis sich die Balken bogen. Wie hätte er das auch glauben können? Sie war so starrköpfig wie er und zugleich unterschieden sie sich total, aber dann wieder doch nicht. Ihre Eltern waren beide getötet worden, jeweils von der anderen Gruppe. Sie kämpften für das, woran sie glaubten und hatten dennoch nicht ihr Mitgefühl verloren oder gar die Fähigkeit zu lieben, trotz all der Verluste. Im Grunde machte es keinen Unterschied, ob sie ein Mensch war oder er ein Gestaltwandler. Was machte das schon? Sie wären nicht das erste Mischlingspärchen und würden auch sicherlich nicht das letzte sein. Dafür war die Liebe einfach zu unberechenbar. „Ich muss dir etwas gestehen“, begann er immer noch leise flüsternd, direkt in ihr Ohr zu hauchen. „Weißt du noch, damals im Wald, als ich mich vor deinen Augen zum ersten Mal verwandelt habe?“ Nataniel löste sich etwas, um Amanda in die Augen zu sehen. „Eigentlich war ich dir damals schon etwas schuldig, weil du mich von meiner Amnesie befreit hast. Der Schlag auf dem Kopf beim Autounfall hat mich völlig vergessen lassen, dass ich eigentlich auch ein Mensch bin. Erst mit deinem Schattentrick hast du mir wieder gezeigt, wie sich eine Wandlung anfühlt und mir somit meine Erinnerungen wiedergegeben. Damals konnte ich es nicht, aber jetzt danke ich dir dafür.“ Sanft verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Nun musste Amanda tatsächlich lächeln. Aus einer Laune heraus biss sie Nataniel ins Ohrläppchen, als er ihre immer wiederkehrende Neckerei über das Schlecken erwähnte. „Dafür wirst du noch die Quittung bekommen, verstanden? Das ist aber ein Versprechen und keine Drohung.“ Amanda konnte sich kaum vorstellen, wie sie die nächsten paar Tage ohne ihn durchstehen sollte. Dieser Geruch, der sie sich immer so sicher fühlen ließ, würde sie nicht umfangen, sie würde nicht in seinen Armen liegen können. Vielleicht nie wieder ... Als Nataniel ihr für diese erste, für sie beide doch recht schmerzhafte Begegnung dankte, rollte doch eine einzelne Träne über Amandas Wange. Sie wischte sie erst weg, als sie ihr Kinn erreicht hatte, und lächelte Nataniel dann an. „Ich liebe dich“, gestand sie ihm, anstatt direkt auf seine Worte zu reagieren. Gott, wie sie Abschiede hasste. Deshalb ging sie lieber, ohne dass es jemand mitbekam. Dann musste sie sich nicht mit diesen miesen Gefühlen auseinandersetzen, sondern konnte ignorieren, dass sie diejenigen, die sie gern hatte, vielleicht nicht wiedersehen würde. Nataniel hatte das Geräusch vor Amanda wahrgenommen, denn sein Blick zuckte zu einem Punkt hinter Amanda. Sie drehte sich um und sah nur Palias blondes Haar hinter ihr herwehen, als sie Nataniel und Amanda wieder allein ließ. „Es ist Zeit, was?“ Amanda löste sich von Nataniel und zog ihn mit sich auf die Füße. Sie standen sich gegenüber und keiner schien so genau zu wissen, was er sagen sollte. „Wir sehen uns in ein paar Tagen.“ Der Abschiedskuss wurde lang und sofort danach riss sich Amanda von Nataniel los und lief zum Lager zurück, wo sie glücklicherweise gleich auf Palia traf und um Aufgaben bat, die ihr zugeteilt wurden. Dass sie Nataniel nicht noch einmal zu Gesicht bekam, bevor sie schließlich aufbrachen, war nur gut so. Ansonsten hätte sie sich wahrscheinlich an ihn gekrallt und nicht mehr losgelassen, bis er sie mit sich nahm oder doch noch etwas derart Dummes tat, wie mit ihr wegzugehen, und das Rudel zurückzulassen. Als sie sich zum letzten Mal küssten und danach trennten, war es, als würde man ihm das Herz herausreißen. Aber er war durch dieses Gefühl nur noch entschlossener, zu ihr zurückzukehren. Egal wie, er würde es tun. Selbst wenn es als verdammter Geist sein würde! Nachdem er eine Weile nur so dagestanden und ihr hinterher gesehen hatte, machte er sich auf, um sich von seinen Leuten zu verabschieden. Erst wenn sie losgezogen waren, würde auch er sich mit den Männern aufmachen, um Nicolai und seinem Rudel gegenüberzutreten. Wie schon zuvor bei Amanda war auch hier der Abschied nicht sehr lange, sondern lieber kurz und fast schmerzlos. Sie alle sprachen ihm gut zu und dass sie sich freuten, ihn schon bald wiederzusehen. Danach packten sie ihre Sachen und zogen unter Palias Führung los. Amanda hatte er die ganze Zeit über nicht mehr gesehen, aber er war auch nie der Versuchung erlegen, sich nach ihr umzuschauen. Vielleicht hätte er danach gar nicht mehr gehen können. Schließlich aber kam der Moment, an dem das Rudel zwischen den Bäumen verschwunden war und er sich zu dem einen Dutzend Männern umsah, das ihn begleiten würde. Nataniel brauchte keine großen Reden zu schwingen. Die Entschlossenheit in ihren Augen, war mehr als er wollte. Sie würden nicht von seiner Seite weichen und das wusste er. Also zogen sie sich ihre Kleider aus, ließen sie an einer Stelle in den Höhlen zurück, um sie eventuell auf ihrem Rückweg mitzunehmen, ehe sie sich wandelten. Wie ein jagendes Rudel Wölfe liefen sie als eine Einheit durch den Wald. Lautlos und mit einem deutlichen Ziel vor Augen. Jeder Herzschlag in seiner Brust galt Amanda und dem Rudel. Genauso wie jeder Atemzug es bis zu Letzt tun würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)