Shadows of the NewMoon von Darklover ================================================================================ Kapitel 6: 6. Kapitel --------------------- Erst jetzt, als er das Licht aufdrehte, konnte er seinen zerzausten Zustand erkennen. Allerdings war das nicht weiter tragisch. Jedes Mal, wenn er sich längerer Zeit nicht mehr in einen Menschen verwandelt hatte, sah er so aus. Dagegen konnte er problemlos angehen. Nataniel ließ die Decke fallen und trat an den Badezimmerspiegel heran. Er öffnete den Schrank, um zu sehen, ob dort etwas Nützliches zu finden war. Sein Fund beschränkte sich auf eine Kernseife und einen Kamm. Besser als nichts und mehr, als er sonst so zur Verfügung hatte, wenn er in tierischer Mission unterwegs war. Als er den Badezimmerspiegel wieder schloss, fiel ihm zum ersten Mal etwas an seinem Hals auf. Zuerst hatte er keine Ahnung, was das sein konnte. Vielleicht ein Stück Schmutz, doch als er darüber rieb, blieb es haften und es fühlte sich fest an. Also nahm er es zwischen Daumen und Zeigefinger und zupfte es sich herunter, was nicht gerade schmerzfrei vonstattenging. Danach sah er sich das Teil genauer an. Okay, Blondchen hatte soeben bewiesen, wie wenig er ihr trauen konnte. Das war doch sicher irgendein Teil zur Überwachung. Hatte sie ihn deshalb so leicht im Wald finden können? Dieses Weib ging ihm wirklich verdammt auf die Nerven! Mit einem deutlichen Knurren ließ er die Wanze ins Klo fallen und betätigte die Spülung. „Na dann, auf einen guten Rutsch.“ Er schloss den Deckel und stieg unter die Dusche. Kaum dass das Wasser auf seine Haut traf, drehte er es merklich kälter, da es sonst auf seinen Wunden brannte. Danach wusch er sich systematisch und ohne das Gefühl wirklich zu genießen, da er noch etwas vorhatte. Er trocknete sich rasch ab und kämmte sich kurz durch die Haare. Bevor Nataniel ans Fenster trat, löschte er das Licht, damit ihn von draußen niemand sehen konnte. Nachdem sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, öffnete er es, prüfte kurz die Höhe und kletterte dann hinaus, da das Dach der Veranda direkt unter ihm lag. Von dort aus war es nur noch ein Katzensprung bis zum Boden, ehe er ungesehen in der Nacht verschwand. Amanda hatte sich nach seinem Abgang zunächst nur umgedreht und bewegungslos in ihrem Zimmer gestanden. Warum hatte sie ihn einfach gehen lassen? Gut, sie würde ihn schon wieder finden. Das war nicht das Problem. Was sie wirklich wurmte und ihren Magen so schwer werden ließ, dass sie nach einer Weile zitternd gegen die Tür gelehnt zusammensank, war die Tatsache, dass sie Eric keinen Schritt näher gekommen war. Die wievielte Nacht verbrachte sie denn schon in diesem Kaff, ohne ihrem Bruder auch nur ansatzweise geholfen zu haben? Die Fünfte oder schon die Sechste? Mit einem unterdrückten Wutschrei warf sie sich aufs Bett, grub ihre Finger genauso wie ihr Gesicht in die Matratze und versuchte das schmerzhafte Pochen ihres Herzens unter Kontrolle zu bringen. Erst als sie wieder einigermaßen gleichmäßig atmen konnte, stieg ihr der unbekannte Geruch in die Nase, den ihr Besucher auf dem Bett verteilt hatte. Leicht angewidert verzog sie das Gesicht, als ihr bewusst wurde, dass sie sich mehr oder weniger genau auf die Stelle geworfen hatte, die vorhin noch der Wandler in Beschlag genommen hatte. Mit einer einzigen Bewegung sprang sie vom Bett und riss das oberste Laken herunter, um es in die hinterste Ecke des Zimmers zu werfen, wo es eine kleine Vase mit Papierblumen zu Boden riss. In einer nicht weniger heftigen Geste rupfte sie sich die Kleider vom Leib und ließ sich dann wieder auf das Bett fallen, um durchzuatmen. Nach einer Weile legte sie ihre rechte Hand, die sie im Wald als Waffe benutzt hatte, auf ihrem Bauch ab, damit sie im Mondlicht lag, und schloss die Augen. Vielleicht hatte sie gar keine Stunde Zeit, bevor er zurückkam. Vielleicht – und das hielt Amanda eigentlich für wahrscheinlicher – würde er gar nicht zurückkommen. Egal was passierte, sie musste zumindest versuchen, ihren Geist und ihren Körper wieder vollkommen in Ordnung zu bringen. Denn so wie sie den Panther einschätzte, würde sie ihre Fähigkeit in nächster Zeit noch öfter brauchen, als ihr lieb war. Wenn er wüsste, wie viel Schmerzen mit jedem Gang verbunden waren, hätte er sie wahrscheinlich liebend gern dazu gezwungen. Einatmen. Hier und Jetzt. Ausatmen. … Einatmen.    *** Nataniel klopfte nur deshalb an Blondchens Tür, weil er nicht sicher war, ob sie abgeschlossen hatte und er sicherlich nicht die Geduld aufbrachte, nachher noch einmal zu klopfen. Eher würde er einfach das Schloss aufbrechen. Warum er nicht einfach abgehauen war, konnte er selbst nicht so genau sagen, aber eigentlich hatte er nur seine versteckten Sachen holen wollen. Weshalb jetzt auch die Decke nicht mehr nötig war, da er seine eigene Jeans und ein Shirt anhatte. Über seiner gesunden Schulter hing ein Seesack mit seinem Gepäck. Zwar hatte er nicht vor, sich hier einzuquartieren, aber bevor sie ihn wieder irgendwo aufspürte, kam er lieber zu ihr. So wusste Nataniel wenigstens, woran er war. Natürlich verging keine ganze Stunde, bis es leise an der Tür klopfte und Amanda trotzdem unsanft aus ihrer Meditation riss. Ihr Körper fühlte sich schwer an und sie schaffte es gerade so, sich im Bett aufzurichten und ein „Moment“ zu murmeln, bevor sie in ihrer Tasche kramte und ein langes T-Shirt und Shorts herauszog. Der Waffenholster lag auf dem Nachttisch und Amanda konnte ihn leicht erreichen, sollte hinter der Tür Gefahr drohen. Sie öffnete einen Spalt und sah im ersten Augenblick nur weißen Stoff, bis ihr Blick ein wenig nach oben wanderte und ein ihr bekanntes Gesicht traf. Allerdings verriet ihre Reaktion durchaus, wie begeistert sie war, ihn gerade jetzt wiederzusehen. „Wenn du jetzt schon aus dem Bordell zurück bist, hast du eindeutig zu wenig Stehvermögen oder sie haben dich für 'nen simplen Blowjob abgezockt.“ Gezwungenermaßen wich sie einen Schritt zur Seite, als er sich durch die Tür zwängte und seinen Seesack auf ihrem Boden abstellte. „Moment mal. Was soll das denn bitte werden?“ Wo er die Sachen herhatte, wollte sie gar nicht wissen. Das war ihr ehrlich gesagt scheißegal. Aber er kam doch bitte nicht auf die Idee, die Nacht hier verbringen zu wollen? Nataniel reagierte nicht auf ihren Spruch, da es ihn schon genug nervte, die Nacht in der Nähe seines Feindes zu verbringen und er noch immer nicht die Sache mit der Wanze vergessen hatte. Weshalb er sich auch mehr oder weniger selbst einlud, als er den Seesack zu Boden gleiten ließ und sich nach einer passenden Stelle zum Schlafen umsah. Da er allerdings nur das Bett fand, ging er schließlich zum Sessel hinüber und begann sich auszuziehen. „Ich dachte mir, ich gönn dir einmal eine ruhige Nacht, in der du mir nicht hinterherspionieren musst“, gab er schnippisch zurück und zog sich das Shirt über den Kopf. Er würde heute eindeutig wieder mit einem Boden vorlieb nehmen müssen, und da sein menschlicher Körper garantiert nicht darauf erpicht war, blieb ihm nur sein Fell. Außerdem schlief er gerne in Form seiner Raubkatze, weil da seine Sinne viel wachsamer waren und er nicht so tief einschlief. Beim kleinsten Geräusch konnte er hochschrecken, als Mensch würde ihm das schwerer fallen. Seine Schuhe trat er unter den Stuhl, denen kurz darauf auch die Socken folgten. Danach zog er sich die Jeanshose über den Hintern und machte dabei nur zu deutlich klar, was er von Unterwäsche hielt. Nämlich rein gar nichts. Schließlich drehte er sich zu der Blondine herum. „Also dann, gute Nacht.“ Schon während er sich auf die Knie begab, wandelte er sich, bis er nur noch als Jaguar vor ihr stand. Nataniel entschied sich für den Platz direkt vor dem Fenster, falls er einen raschen Fluchtweg brauchte. Er gähnte noch einmal kräftig, ehe er eine Runde im Kreis ging und sich dann auf dem Boden zusammenrollte und die Augen schloss. „Das musste ich auch nicht, als du in deinem Käfig gehockt hast.“ Beinahe hätte sie die Tür zugeknallt, besann sich aber doch eines Besseren und schloss sie bloß wieder ab, wobei sie diesmal den Schlüssel stecken ließ. Immerhin würde sie nichts dagegen haben, wenn sich dieser Kerl irgendwann nachts doch verkrümelte. Dass er sich hier aufführte, als gehörte das Zimmer ihm, ging Amanda schon wieder wahnsinnig auf den Geist. Sie war auch nicht mit allzu großem Schamgefühl beladen, aber dass er sich einfach so vor ihr auszog und sich dann auch noch nackt zu ihr umdrehte, fand sie dann doch etwas zu offensiv. Aber was sollte man von jemandem erwarten, der zu einem Teil Tier war? Anscheinend brach das nicht nur in Gestalt und Temperament immer wieder aus ihm hervor. Immer noch wie angewurzelt stand sie neben der Tür, als der Dunkelhaarige sich bereits wieder in seine tierische Form gewandelt und sich unter dem Fenster zusammengerollt hatte. Na toll. Sie warf sich wieder aufs Bett und zog sich eins der dünnen Laken über den Körper, während sie auf ihren pelzigen Besucher hinunterfunkelte. Das konnte ja eine tolle Nacht werden. Bestimmt würde sie sich kein Stück erholen, während er gemütlich vor sich hin schnarchte.    *** Amanda hörte die Schreie ihrer Eltern so laut wie ihren eigenen, sich überschlagender Atem und das Weinen von Eric an ihrem Hals. Sie hielt ihn so fest, dass sie seine Rippen unter ihren Fingern durch sein dünnes Nachthemd fühlen konnte. Es war heiß und gleißend hell. Vor den Kindern schlugen Flammen in die Höhe und Amanda konnte nur die Umrisse dessen erkennen, was sich vor ihr abspielte. Es brachte sie dazu, ihre Hand auf den Kopf ihres Bruders zu legen und ihn davon abzuhalten, von ihr weg zu sehen und sich zum Haus umzudrehen. Der Tiger hatte sich aufgebäumt und ihrem Vater den Arm einfach aus dem Schultergelenk gerissen. Grausamerweise war er nicht sofort tot, sondern wehrte sich weiter mit Händen, Füßen und allem, was er sonst finden konnte, um seine Familie zu beschützen. Es nützte nichts. Amanda warf sich im Schlaf hin und her. Schweiß zog sich über ihren Körper und sie strampelte sich noch das dünne Laken von den Beinen. Sie sah die Augen ihrer Mutter. Wie sie ihre schlanken Arme um den mächtigen Leib des Wandlers legte, um ihn mit sich in die Schatten zu reißen. Der Atem ihres Vaters war nur ein leises Röcheln zwischen seinen blutüberströmten Lippen, als er ihr das Versprechen abnahm, immer auf Eric aufzupassen. Tränen brachen sich ihren Weg aus Amandas geschlossenen Augen und über ihre Wangen, obwohl sie es noch nicht einmal schaffte, sich aus dem Alptraum zu befreien, der Teil ihres Lebens war und sie fast jede Nacht wieder verfolgte. Nataniel hatte eine Weile vor sich hingedöst, als seine Ohren plötzlich in Richtung Blondchen zuckten. Zwar hatte sie nichts gesagt oder sonst ein auffälliges Geräusch von sich gegeben, aber ihr Atem hatte sich merklich erhöht. Da er auch ihr Herz wie wild rasen hörte, da er relativ dicht neben dem Bett lag, hob er schließlich den Kopf und sah sie von der Seite her an. Eine Weile beobachtete er ihre rollenden Augen unter den geschlossenen Lidern, stand dann aber auf, als sie sich wild hin und her zu werfen begann. Der Geruch von Angst und Panik stieg ihm stechend scharf in die Nase, während er vorsichtig etwas näher kam. Sie musste einen Alptraum haben, denn ihre Haut war von Schweiß bedeckt und sie hatte sogar das Laken von sich gestrampelt. Außerdem wimmerte sie ab und zu. Nataniel wusste nicht, was er machen sollte. Sollte er sie wecken oder in Ruhe lassen? Bestimmt machte sie ihm die Hölle heiß, wenn er zu erkennen gab, dass er ihre Schwäche gesehen hatte. Allerdings war er kein Freund von Alpträumen, die er durchaus schon in seinem Leben gehabt hatte. Nur hatte er dabei wohl nie zu weinen begonnen. Was sah sie bloß? Nataniel beobachtete unschlüssig eine Zeit lang, wie immer mehr Tränen ihre Wangen benetzten und auch wenn diese Frau alles andere als ein Freund war, er konnte nicht länger zusehen. Also gab er ihr mit der Schnauze einen Stupser in die Seite, worauf sie jedoch überhaupt nicht reagierte. Weshalb er noch etwas fester stupste, aber auch darauf sprach sie nicht an. Wieder überlegte er, ob er sie in Ruhe lassen sollte. Sie würde sich sicher bald beruhigen. Nataniel versuchte sich einzureden, dass er deshalb keinen Frieden gab, da er sonst nicht schlafen konnte und nicht etwa, weil er ihre Tränen nicht länger mit ansehen konnte. Also tat er das Einzige, was ihm in seiner tierischen Form einfiel. Er begann lautstark zu schnurren und leckte ihr dabei übers Gesicht, um die Tränen fortzuwischen. Wenn sie das nicht aufweckte oder zumindest beruhigte, würde er sie wohl oder übel aus dem Bett werfen müssen. Amanda schlug die Augen auf, als sich gerade der Kopf einer Raubkatze über sie beugte und mit der Zunge abermals über ihr Gesicht streichen wollte. Weiße Reißzähne blinkten im fahlen Licht über ihr auf. Mit einem Schlag raste noch mehr Adrenalin durch ihren Körper und sie riss die Arme schützend vors Gesicht. Gerade noch streifte ihr Unterarm das Fell seiner Schnauze, bevor sie im Schatten versank und sich ihre Körper auflöste. So unerwartet hatte sie noch nie einen Gang gewagt. Sie war doch noch nicht einmal richtig wach, was sich schnell änderte, als der Schmerz einsetzte. Amanda wehrte sich nicht gegen das Leiden, sondern badete regelrecht darin. Noch immer sah sie das Gesicht ihrer Mutter vor sich, wie sie mit angsterfüllten Augen in den Schatten gegangen war, um nie wieder zurückzukehren. Dann die blutüberströmten Lippen ihres Vaters, wie er vor ihren Füßen lag und qualvoll sterben musste. Sie konnte ihnen nicht helfen. Sie konnte niemandem helfen. Warum sollte sie dem Schmerz ein Ende bereiten, wo sie doch so vollkommen unfähig war. Vielleicht würde sie ihre Mutter hier wiederfinden. Wenn es sie in so viele Teile zerriss, dass sie in der Welt verstreut wurde, konnte sie ihrer Mutter vielleicht sogar näher sein, als sie es sonst je sein würde. Und doch war da etwas. Sie hatte eine Aufgabe. Zwar mochte sie nutzlos sein, aber man hatte ihr eine Aufgabe gegeben. Etwas musste sie tun, um ihre Schuld abzubüßen, die sie damals auf sich geladen hatte. Nichts hatte sie getan, um ihre Eltern zu retten. Doch sie konnte etwas tun, was sie damals versprochen hatte. Eric. Sie musste Eric beschützen. Unter größter Anstrengung versuchte Amanda, irgendwo Licht zu erkennen. Nur einen einzelnen Strahl, an den sie sich klammern und sich hier heraus retten konnte. Noch mehr kalter Schweiß überzog ihre Haut, als sie Sekunden später neben dem Fenster auf dem Boden wieder auftauchte und sich vor Schmerzen krümmte, während sich ihr Körper nur langsam wieder vollständig zusammensetzte. Sie konnte spüren, wie die Schatten an ihr klebten wie schmieriges Öl, und sogar um sich schlugen, um zumindest irgendetwas Lebendes mit sich zu reißen, wenn Amanda ihnen schon durch die Lappen gegangen war. Kurz bevor sie einfach verschwand, stellten sich all seinen Nackenhärchen auf und auch der Rest von seinem Fell sträubte sich, als hätte man ihm eine Klapperschlange vor die Nase gesetzt. Fauchend wich er vor dem zurück, was er nicht sehen, aber deutlich fühlen konnte. Nataniel sah sich gehetzt im Raum um, während er sich immer weiter zurückzog und verwirrt nach der blonden Frau Ausschau hielt. Wohin war sie so plötzlich verschwunden? Mit einem Gefühl, als hätte man ihm kaltes Wasser in den Nacken gegossen, fiel ihm wieder die Sache im Wald ein. Wo er sie fast angesprungen hätte, als sie ebenfalls so plötzlich verschwunden war und er dann einen Moment lang diesen altvertrauten Schmerz gespürt hatte. Da er sich sehr schnell verwandeln konnte, machte ihm dieses Gefühl schon lange keine allzu großen Probleme mehr. Er hatte gelernt, damit zu leben. Allerdings war das jetzt überhaupt nicht wichtig. Sein Körper zuckte noch lauter fauchend zurück, als plötzlich eine Gestalt vor dem Fenster auftauchte. Er konnte blonde Locken erkennen, aber teilweise etwas so absolut Fremdartiges und Finsteres, das ihm fast schon schlecht vor blinder Angst wurde. Das Tier in ihm fürchtete sich davor, doch der Mann in ihm konnte sehen, dass sie Schmerzen hatte und sich im schmalen Mondlichtstreifen krümmte. Um seine Angst zu schwächen, verwandelte er sich gegen seinen Erhaltungstrieb in einen Menschen zurück, marschierte mit ausholenden Schritten zum Fenster und riss den Vorhang auf. Da das Licht ihr zu helfen schien. Er wagte nicht, die Frau anzufassen, hockte sich aber vor sie hin, während ihr ganzer Körper im Mondlicht badete und die Schatten langsam wieder verschwanden. Auch in dieser Form standen ihm dabei alle Haare zu Berge, aber er war in der Lage, seine Angst unter Verschluss zu halten. Schweigend sah er ihr dabei zu, wie sie sich langsam wieder etwas beruhigte. Das hatte er wirklich nicht gewollt und es tat ihm ehrlich leid. Aber wie hätte er wissen können, dass sie ebenso absonderlich war, wie er? Menschlich, aber nicht nur ein Mensch. Was für eine Ironie. Konzentriert hörte sie ihrem Atem zu, als wäre er das Einzige, das sie zusammenhalten konnte. Einatmen. Ausatmen. Ihre Muskeln zuckten unkontrolliert, bevor das Ganze in ein krampfhaftes Zittern überging, das sich nur langsam löste und sie völlig ermattet liegen ließ. Sie wusste nicht einmal, wo sie sich genau befand, aber mit einem Mal wurde es leichter, die Schatten zu verscheuchen, auch wenn Amanda nicht wusste, warum es so war. Erleichtert atmete sie weiter tief durch, als sie endlich das Mondlicht auf ihrer Haut und ihren Kleidern spüren konnte. Zuerst wurde ihr kalt und dann konnte sie den Teppich unter sich fühlen, als ihr Gefühl für die Welt um sie herum ebenfalls zurückkehrte. Eine Weile blieb sie so liegen, da sie gar nicht in der Lage gewesen wäre, etwas Anderes zu tun. Ihr war bewusst, dass sie nicht allein war. Aber in diesem Moment hätte jeder über sie herfallen können. Es wäre ihr egal gewesen. Schlimmer als die letzte halbe Minute – oder war es ein Jahr gewesen? – konnte der Tod auch nicht sein. Dann schlug sie aber doch die Augen auf und ihr Blick fiel direkt auf einen nackten Männerkörper vor ihr. Völlig verwirrt, versuchte Amanda die viele nackte Haut vor ihren kohlenschwarzen Augen wegzublinzeln. Langsam wich sie leicht zurück, konnte sich aber gar nicht wirklich von ihm entfernen, da sie mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt dalag. „Was?“ Ihre Stimme war leise und selbst dieses eine Wort brachte sie nur schleppend hervor, während sich ihre Lider schon wieder schlossen und sie kaum eine Sekunde später in einen traumlosen Schlaf sank. „Das könnte ich dich fragen“, murmelte er leise, als sich ihre schwarzen Augen wieder schlossen und sie reglos liegenblieb. Nataniel würde es ihr sicher niemals sagen, aber selbst jetzt noch, nachdem der Zauber langsam vorüber war, spürte er Angst in sich. Er wollte sie nicht einmal anfassen, so sehr widerstrebte es seinen Sinnen, doch wenn hier schon einer am Boden schlief, dann würde er das sein und nicht sie. Außerdem hatte sie ohnehin schon eine harte Nacht hinter sich. Für den Moment beschloss er, einen Waffenstillstand auszuhandeln, solange er sie auffressen könnte, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte. Das wäre ziemlich langweilig und schon gar nicht sein Stil, weshalb er sie schließlich hochhob. Selbst mit seiner verletzten Hand war sie keine Last für ihn, obwohl er sie völlig verkrampft hielt und zum Bett zurück trug. Was auch immer sie da noch immer wie einen Hauch umgab, schnürte ihm regelrecht die Kehle zu. Nein, er wollte es nicht anfassen, aber er hörte nicht auf das Tier in ihm. Also legte er die blond gelockte Frau ins Bett und deckte sie wieder zu. Einen Moment lang betrachtete er sie. „Mit Reißzähnen und Krallen gefällst du mir besser“, gab er zu, auch wenn er das nicht wortwörtlich meinte. Schließlich verwandelte er sich wieder zurück in den schwarzen Jaguar und legte sich an die Tür, falls sie noch einmal auf die Idee kommen sollte, vor dem Fenster aufzutauchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)