All You Wanted von Nikolaus (Taichi x Yamato) ================================================================================ Kapitel 16: So Lonely Inside (Yamato) ------------------------------------- gebatet by ~ Yamatos POV ~ Er war wie aus heiterem Himmel aufgetaucht. Ohne Vorwarnung. Ohne die Möglichkeit zu einer passenden Reaktion. Er war einfach vor der Türe gestanden, mit seinem leicht gestressten, genervten und gleichzeitig wütenden Ausdruck im Gesicht, der Mund zu einem harten Strich verzogen und unter den Augen dunkle Ringe. Sein dunkelblondes Haar war verstrubbelt und ungewaschen, sein unordentlicher Krawattenknoten hatte sich gelöst, hing unschön um seinen Hals und die ersten zwei Knöpfte seines Hemdes waren geöffnet. Ich konnte sehen, dass er viel zu lange gearbeitet und nicht genug geschlafen hatte. Wahrscheinlich war er die letzten Tage gar nicht zu Hause gewesen. An seinen Schuhen klebte Schlamm, seine Hose war durchnässt. Mit einem kurzen Blick hinter ihn, konnte ich sehen, dass es regnete, aber er hatte keinen Regenschirm dabei. Nur sein Jackett, das über seinem Arm hing und pitschnass war. Auf seiner alten, ledernen Mappe perlten die letzten Tropfen ab, wahrscheinlich hatte er sie sich zum Schutz über den Kopf gehalten. Er äußerte sich in keiner Weise dazu, woher er wusste, dass ich hier war. Er stand einfach nur da, sah mich böse an und murrte etwas Undeutliches. Fuhr sich durch das wirre Haar und sorgte dafür, dass es noch mehr ab stand. Kurz blinzelte er, wie als könnte er nicht glauben, was er sah und sein Blick glitt über meinen Körper. Ich zog den Ärmel des Pullovers, den Taichi mir gegeben hatte, über meine Handflächen und verdeckte den Blick auf meine Arme. „Wir gehen nach Hause, Yamato“, sagte mein Vater mit gepresster Stimme und hielt mir auffordernd die Hand entgegen. Ich starrte sie ungläubig an, rührte mich nicht. Traute mich nicht, zu ihm hinauf zu sehen. „Es gibt noch einiges zu tun. Takeru wartet bestimmt schon.“ Die Fingerspitzen waren gelblich gefärbt, ein eindeutiges Zeichen für seinen häufigen Nikotinkonsum, die Fingernägel waren unsauber und brüchig. An seinem Daumen war eine kleine Kruste zu sehen, kurz unter dem Nagelbett war die Haut gerissen und blutig. Unwillkürlich schlang ich die Arme um den Oberkörper. „Yamato.“ Ein gefährliches Knurren. Leise und drohend. Er war gereizt, ich konnte es deutlich spüren. Er war müde und wollte gehen, die Anwesenheit von Yuuko und Taichi schien ihm nicht zu behagen. Obwohl ich ihn nicht ansah, wusste ich, dass er ihre Blicke mied und nur mich taxierte. Ich wollte weg. „Yamato, ich sagte, wir gehen jetzt nach Hause“, wiederholte er nachdrücklich. Mein Vater hasste es, sich zu wiederholen. Und er verabscheute jegliche Gründe, die ihn dazu veranlassten. Mum hatte sich immer wiederholt, wenn sie in Depressionen oder mit den Stimmen in ihrem Kopf geredet hatte. Immer und immer wieder hatte sie die gleiche Phrase gesagt, wie eine kaputte Kassette. Deshalb hasste es mein Vater so. Es rief nur unangenehme Erinnerungen wach. „Komm jetzt!“, wie ein Messer durchschnitt seine Stimme die dicke Luft zwischen uns, zerteilte die Anspannung und ließ seine unterschwellige Wut auf mich überschwappen. Ich zuckte zusammen und nickte hastig. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und suchte nach meinen Schuhen. Irgendwo hier mussten sie ja stehen… „Wollen Sie nicht erst einmal einen Moment hinein kommen, Herr Ishida?“, fragte Yuuko plötzlich. Ich erstarrte mitten in der Bewegung, auf halbem Weg hinunter zum Boden, um nach meinen gefundenen Schuhen zu greifen. Wartete auf eine barsche Erwiderung, die sicherlich kommen würde. Taichi ließ sich neben mir auf die Knie sinken und legte mir eine Hand auf die Schulter. Sein Gesichtsausdruck war besorgt und in seinen Augen spiegelte sich ein kleiner der Teil der Verunsicherung und Angst, die ich in diesem Moment empfand. Ich hatte bis dahin noch gar nicht gewusst, dass ein schöner Augenblick so schnell zerbrechen konnte. Eben gerade hatten wir noch in der Küche gesessen und Yuuko hatte uns nach und nach das ganze Obst aufgetischt, immer wieder betonend, dass ich unbedingt mehr essen müsste. Und Taichi hat es sich zum Spaß gemacht, mich zu füttern. Natürlich verschlang er die Hälfte des Essens selber, aber mir entging nicht, wie er die Stücke sogar mit den Augen abzählte und mir immer die exakte Hälfte zuschob, wenn nicht sogar ein Viertel mehr. Dass er sich so um mich kümmerte, war ein schönes Gefühl und als Yuuko einen Moment abgelenkt war, hatte ich mich hinüber gebeugt und ihn geküsst. Nur auf die Wange. Nur ganz kurz. Aber Taichi hatte gegrinst, wie ein Honigkuchenpferd, und war mir praktisch um den Hals gefallen. Für jedes Stück Obst, das er mir danach zwischen die Lippen schob, stahl er sich einen Kuss. Manchmal auch zwei. Oder drei. Allein bei dem Gedanken daran begannen meine Knie wieder weich zu werden. Dann hatte es plötzlich geklingelt. Taichi hatte seine Aufgabe nicht eingestellt, meinte nur, dass wahrscheinlich Hikari und Takeru von der Schule kommen würden, aber ich hatte gespürt, dass dem nicht so war. Ein Blick auf die Uhr, bestätigte mein Unbehagen. Und dann hatte ich seine Stimme gehört. Kalt, gehetzt und gepresst. Überanstrengt und entnervt. Wütend und barsch. Wie er hier her kam, wusste ich nicht. Auch nicht, woher er wusste, dass ich hier war. Es war mitten am Tag, normalerweise arbeitete er noch und schenkte Takeru und mir keine Aufmerksamkeit. Selbst wenn er abends nach Hause kam, sah er nicht nach uns. Eine Sekunde hatte ich gedacht, dass Takeru etwas Schlimmes passiert war, aber dann war mir eingefallen, dass in diesem Fall der Notarzt vor der Tür gestanden hätte und nicht er. „Nein danke“, hörte ich meinen Vater nun kühl antworten und war mir sicher, dass er gerade verächtlich die Augenbrauen zusammenzog. Dabei hatte Yuuko viel mehr Grund dazu, überheblich oder spöttisch zu sein, schließlich trug sie ein Kleid, wie es einer Edeldame gebührte, und mein Vater trug das verwaschene Hemd und die braune Kordhose. Aber das war sein Charakter. Seit Mums Tod war er einfach anders geworden. „Ich bin nur hier, um meinen Sohn abzuholen.“ „Das sehe ich“, erwiderte Yuuko. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber sie klang eine Spur schärfer, gereizter. „Aber ich habe ihnen doch gesagt, dass Yamato gerne die nächste Woche bei uns wohnen darf. Es macht uns nichts aus.“ „Aber mir“, es war unfreundlich, keine Frage, aber das fiel meinem Vater wahrscheinlich gar nicht auf. „So nett dieses Angebot auch sein mag, wir brauchen es nicht. Ich kann für meine Kinder sorgen und wir werden diese Sache schon alleine zu Hause regeln.“ Er tippte mit dem Schuh auf der Türschwelle auf und ab. Ein Zeichen für seine Angespannt- und Gereiztheit. „Yamato ist nicht dumm. Er wird schon wieder zu Vernunft kommen. Es war schließlich nur eine kleine Lappalie.“ Taichis Griff um meine Schulter verkrampfte sich und ich verlor für einen Moment das Gleichgewicht. Hastig half er mir dabei es wieder zu finden und wandte sich dann an meinen Vater. Ich wollte ihm sagen, dass er sich nicht für mich einsetzten musste, aber aus meinem Mund kam nur ein leises, klägliches Krächzen. Meine Schuhe schienen mir plötzlich unglaublich weit entfernt, mein Arm schien zu schwer, um sie zu mir zu holen. Neben mir änderte Taichi seine Stellung, verlagerte das Gewicht vom rechten, auf das linke Knie und nahm die Hand von meiner Schulter. Ich hörte, wie er hart Luft ausstieß. „Das war keine ´kleine Lappalie´“, zischte er plötzlich wütend und erhob sich ruckartig. Erschrocken von seiner Reaktion zuckte ich zurück und fiel auf den Boden. Ungläubig sah ich zu ihm auf, aber er sah nicht zu mir. Seine braunen Augen waren zu wütenden Schlitzen verzogen, fixierten meinen Vater. „Es hätte etwas Schlimmeres passieren können!“ „Das ist es aber nicht!“, schnarrte mein Vater zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Noch nicht!“, erwiderte Taichi sauer und machte einen Schritt auf ihn zu. Mein Vater rührte sich nicht, aber die Züge um seinen Mund verhärteten sich. Sofort war Yuuko zur Stelle, schob sich zwischen die beiden Männer und drängte Taichi zurück. Aber Taichi schien nicht gewillt zu sein aufzuhören. Mit vor Schreck geweiteten Augen, sah ich zu, wie er Yuuko einfach zur Seite schob und seine imposante Gestalt vor meinem Vater Stellung bezog. „Das wird nicht noch einmal passieren. Yamato ist vernünftig genug, um das zu wissen.“ „Das hat doch alles nichts mit Vernunft zu tun!“, rief Taichi und warf die Arme in die Luft, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. „Er war verzweifelt! Er wusste einfach nicht mehr weiter.“ „Dazu hatte er keinen Grund“, behauptete mein Vater steif und musterte Taichi misstrauisch von oben bis unten. Ich wusste, dass er sich innerlich darüber wunderte, warum sich dieser Junge für mich einsetzte. Woher und wie gut er mich kannte. Und weshalb Taichi solch ein Interesse an mir zu haben schien. Ich wusste die Antworten; auf jede einzelne Frage. Aber ich war nicht zu mehr fähig, als mich auf zitternden Beinen aufzurappeln und die beiden sprachlos anzustarren. Meine Kehle war trocken, aus meinem Mund kam nicht ein einziger Laut. Es war wie als hätte ich meine Stimme verloren und fände sie einfach nicht wieder. Dabei war diese Situation doch gar nichts Ungewohntes. Mein Vater war schon immer unbeherrscht und herrisch gewesen, und nachdem Mum gestorben war, war es nur noch schlimmer geworden. Vor Verwandten und Freunden konnte er sich nicht zurück- oder seine Meinung für sich behalten und schon bald wendeten sich die meisten Leute von uns ab. Da er Takeru und mir die Kontakte zu allen Menschen verbot, die er nicht mochte, war unser Bekanntenkreis praktisch gar nicht vorhanden. Er hatte nur seine Arbeitskollegen und Takeru seinen Freundeskreis. Ich hatte bis jetzt niemanden, den er hätte vergraulen können. Aber jetzt hatte ich jemanden. Ich wollte nicht, dass mein Vater etwas Unüberlegtes sagte oder vielleicht sogar Taichi. Ich wollte mich nicht von ihm fern halten müssen und ich wollte auch nicht umziehen. Ich wollte nicht, dass mein Vater die Kontrolle verlor. Und ich wollte nicht, dass Taichi etwas tat, das er später bereuen würde. Und jetzt, wo ich endlich einmal den Mut ergreifen und einschreiten musste, fühlte ich mich wie ein nasser Sack Reis—ohne Worte, ohne die Kraft, dazwischen zu gehen. „Yamato wird diesen Fehler nicht erneut begehen.“ „Das können Sie doch gar nicht wissen! Sie waren nicht einmal hier! Hätte meine Mutter Sie nicht angerufen, wären Sie doch gar nicht aufgetaucht!“, schleuderte Taichi ihm wütend ins Gesicht. Mein Vater versteifte sich und löste die Arme aus der Umklammerung. Er packte seine Aktentasche mit festem Griff und ballte die linke Hand zur Faust. Ich schluckte. Wenigstens wusste ich jetzt, weshalb er überhaupt hier war. Sicherlich hatte Yuuko es nur gut gemeint. Sie konnte ja nicht wissen, dass es in solchen Situationen nicht gut war, meinen Vater zu informieren. Wenn er auch nur Wind davon bekommen würde, was in Wirklichkeit geschehen war, würde er ausrasten. Allein von der Tatsache ausgehend, dass dies noch nicht geschehen war, nahm ich an, dass er nicht genau wusste, was passiert war. Und er sollte es auch nicht erfahren. Ich bückte mich hastig, streifte die Hausschuhe ab und schlüpfte in meine Turnschuhe. Meine Finger zitterten, als ich einen flüchtigen Knoten band und die Schnüre festzog. Ohne den Blick vom Boden zu heben, nahm ich meine Jacke vom Haken und war einen Moment versucht, Taichi seinen Pullover zurück zu geben. Aber ich behielt ihn an, beschloss ihn ihm morgen wieder zu geben und mir meine restlichen Sachen wieder zurückzuholen. „Du hast nicht das Recht mir vorzuwerfen, dass ich nicht für meinen Sohn da wäre!“, donnerte mein Vater plötzlich und ich zuckte erschrocken zusammen. „Ich bin sein Vater! Ich weiß, was am Besten für ihn ist. Und dieser kleine Unfall war nichts als ein dummes Malheur!“ „Malheur?“, echote Taichi fassungslos. „Malheur?! Yamato hat versucht sich umzubringen, das ist kein dummer Fehler! Er hätte einfach sterben können und Sie wüssten noch nicht einmal warum!“ Entsetzt starrte ich zu Taichi. Hoffte, dass ich mir seine letzten Worte nur eingebildet hatte. Er konnte—er durfte meinem Vater nicht gerade gesagt haben, dass ich— „Er hat was?“, seine Stimme klang rau und brüchig. Ohne ihn anzusehen wusste ich, dass ihm sämtliche Züge entgleist waren und er fast schon verzweifelt aussah. Die Augen in tief eingefallenen Höhlen. Nein… „Ich… also“, stotterte Taichi, dem offensichtlich aufzufallen schien, dass er etwas Falsches gesagt hatte. Er kaute nervös auf seiner Unterlippe herum, sah hilfesuchend zu seiner Mutter hinüber und zuckte dann mit den Schultern. „Ich dachte… Sie wüssten es“, fügte er leise hinzu. Nein. Mein Vater gab nur ein undeutliches Glucksen von sich. Es hätte in diesem Moment alles bedeuten können. Nein! Wortlos zog ich mir meine Jacke über, streifte die Kapuze über den Kopf und ging zu meinem Vater hinüber. Er sah in einer Mischung aus Entsetzten, Wut und Schockierung zu mir, aber ich erwiderte seinen Blick nicht. Ich hatte nie vorgehabt, es ihm zu erzählen. Er litt noch immer unter Mums Tod und würde wahrscheinlich auch nie darüber hinwegkommen. Für ihn war damit eine Welt zusammengebrochen und ich wollte ihm nicht noch mehr Kummer machen. Dazu hatte ich nicht das Recht. „Gehen wir Dad“, sagte ich leise und packte ihn sanft am Arm. Noch ließ er sich ohne Einwände von mir mitziehen, aber es würde sicherlich nicht lange anhalten. Er war niemand, der sich gerne herumkommandieren ließ. „Yama, ich…“, fing Taichi hinter mir an, aber ich würgte ihm mit einem Kopfschütteln ab. Er hat es nur gut gemeint. „Wir sehen uns morgen in der Schule“, sagte ich und versuchte möglichst zuversichtlich zu klingen, aber es gelang mir nicht. Mein Vater entwand sich meinem Griff und schenkte mir einen wütenden Blick. Er öffnete schon den Mund und ich wandte mich hastig von Taichi und Yuuko ab. Sie sollten nicht mitbekommen, dass mein Vater anders mit schmerzlichen Erinnerungen umging, als andere. Es war ein zu tiefer Einblick in seine Privatsphäre. Nur nebensächlich registrierte ich Taichis leises Seufzen und seine Entschuldigung. Eine nicht sichtbare Wand aus Watte schien uns zu trennen und ich konnte, ich wollte sie nicht umgehen. Nicht jetzt. Ich verließ zusammen mit meinem Vater das Haus und ging hinaus in den Regen. Schon nach zwei Schritten war ich bis auf die Knochen durchnässt, aber ich sagte nichts. Mein Vater hielt sich wieder die Aktentasche über den Kopf und machte ein grimmiges Gesicht, jeder Blick, den er mir zuwarf, schien von reinem Gift durchtränkt zu sein. Ich wusste, was passieren würde, sobald wir zu Hause waren. Mein Vater hielt nichts davon, seine Gefühle fremden Leuten mitzuteilen und dass sie sich um mich gekümmert hatten nach dem… Unfall, anstatt, dass ich es ihnen verheimlichte und lieber nach Hause ging, schien für ihn wahrscheinlich an Hochverrat zu grenzen. Aber seit Mums Tod war für Dad alles Verrat. Kurz bevor wir durch das eiserne Tor schritten, drehte ich mich noch einmal um. Yuuko und Taichi standen noch immer im Türrahmen und als ich die Hand zu Abschied hob, erwiderten sie den Gruß. Mutlos und irritiert, aber sie taten es. Vielleicht würde ich ihnen sogar erzählen, weshalb mein Vater so reagierte, nur… Nicht jetzt. „Trödel nicht herum!“, fuhr er mich plötzlich gereizt an, packte mich grob am Arm und zog mich durch den Torbogen auf die glitschige Straße. Ich trat in eine Pfütze. Sofort sogen sich meine Hosenbeine bis zu den Knien mit Wasser voll. Der Stoff klebte an meinen Beinen. „Du hast schon für genügend Ärger gesorgt.“ Ich nickte tonlos. Spürte, wie meine Augen brannten und schluckte. Nicht jetzt. Mein Körper begann auf Grund der klirrenden Kälte des Regens zu zittern und ich presste die Kiefer aufeinander, damit meine Zähne nicht klapperten. Aus meinen Fingern, den Zehen und meinen Beinen war sämtliche Wärme gewichen und langsam wurden sie taub. Das Gefühl schlich sich unaufhaltsam durch meinen Organismus, bei jedem Schritt wurde es stärker und als wir um die Ecke bogen und unser Haus in Sichtweite kam, spürte ich nur noch den Druck in meinem Kiefer, das Pochen in meinem Unterarm und das Hämmern in meinem Kopf. Die Schritte meines Vaters hallten hinter meinen Schläfen tausendfach wider, wie ein unendliches Echo, das niemals leiser zu werden schien. Er trat so energisch in die Pfützen, dass das dreckige Wasser seine Hose verdreckte und meine ebenfalls. In meinen Gedanken war ich schon dabei, dass ich die Hosen wieder waschen müsste. An etwas Anderes konnte ich nicht denken. Dazu herrschte eine zu große Leere, die ich nicht ohne Weiteres füllen konnte. In meinen Ohren rauschte es leise, zu leise für das Rauschen des Regens, aber zu laut, um gewöhnlich zu sein. Für einen surrealen Moment hörte es sich für mich so an, als ob ich einzelne Stimmen heraus hören konnte. Doch das war Einbildung. Es musste Einbildung sein. Ich konnte Mums Krankheit nicht geerbt haben, sie konnte nicht ausbrechen. Nicht jetzt. „Halt mal.“ Der barsche Ton meines Vaters holte mich aus der Abwesenheit. Überrascht sah ich auf die Stufen unter meinen Füßen und die große Tür davor. Wir waren zu Hause. Mein Blick glitt über die Briefkästen, über die Beine und Arme meines Vaters. Ich mied seinen Blick, wollte nicht sehen, was er gerade dachte, ich wusste es schließlich auch so. Wortlos betrachtete ich die lederne Tasche, deren Profil aufgequollen und aufgeweicht war. Er wackelte unruhig damit herum. Ich nahm sie entgegen. Dann kramte er den Hausschlüssel aus seiner Hosentasche und schloss die Tür auf. Ohne ein weiteres Wort an mich zu verlieren, schnappte er sich die Mappe und verschwand im Hauseingang. Kurz blieb ich stehen und wartete, bis zwei, drei Schritte Abstand zwischen uns waren, folgte ihm dann und beobachtete die Spur kleiner Pfützen, die er auf der Treppe hinterließ, war mir der Tatsache bewusst, dass es bei mir wohl auch nicht anders war. Hohl und einsam klangen unsere Schritte wider. Ich schüttelte den Kopf, um das Geräusch aus meinem Kopf zu vertreiben, aber es funktionierte nicht wirklich. Mein Vater öffnete die Türe zu unserer Wohnung und zu meiner Freude, und vielleicht auch nicht, schlug uns nur gähnende Stille entgegen. Takeru war noch nicht da, übernachtete wahrscheinlich bei einem Freund oder war zuerst zu Hikari und Taichi gegangen. Ich war mir sicher, dass sie ihn über Nacht dableiben lassen würden, schließlich regnete es in Strömen und Takeru war zu Fuß unterwegs. Ich streifte mir die Schuhe von den Füßen, stellte sie ordentlich auf die kleine Matte und rückte auch die meines Vaters zu Recht, der sie einfach gegen die Wand geworfen hatte. Kleine, schwarze Streifen zogen sich von der Aufprallstelle zum Boden. Eigentlich mochte er es nicht, wenn wir die Wände beschmutzten, da die Wohnung nicht uns gehörte. Takeru hatte dafür sogar einmal Hausarrest bekommen. „Yamato, wir müssen reden.“ Nicht jetzt. Ich unterdrückte den Impuls, den Kopf zu heben und ihn anzusehen. Stattdessen nickte ich nur stumm und zog mir die Jacke aus. Ging in die Küche und hängte sie über die Lehne eines Stuhls, damit sie trocknen konnte. Genau gleich verfuhr ich mit Taichis Pullover, meinem T-Shirt und meiner Hose. Mit leichtem Schrecken konnte ich auf dem Stoff kleine, rote Spritzer erkennen, einzig und allein Taichis Sachen waren rein. Bei dem Anblick begann mein Arm wieder zu pochen und der Stoff, gerade noch so leicht und nass, schien nun von Wasser durchtränkt und tausend Tonnen schwer zu sein. Hastig wechselte ich die Hand und hängte die Klamotten über die Lehne. Mein Vater setzte sich in seinen nassen Sachen zu mir in die Küche, machte sich nicht die Mühe, sich umzuziehen. Dass ich nur in Unterwäsche vor ihm stand, schien ihn nicht zu stören. Ich haderte einen Moment mit der Entscheidung, jetzt einfach zu gehen und mir etwas Trockenes überzuziehen. Letztendlich tat es ich doch. Schlüpfte in eine weite Trainingshose, T-Shirt und Pullover von Takeru, zog mir die Ärmel des Sweaters über die Hände und nahm die kleine Wolldecke aus dem Wohnzimmer mit. Mein Vater saß in genau der gleichen Pose auf seinem Stuhl, wie als ich ihn verlassen hatte. Vorsichtig, wie als könnte er jeden Augenblick explodieren, gleich einer Bombe, legte ich ihm die Decke um die Schultern, aber er schien es nicht zu bemerken. Sein Blick war auf die leere Spüle gerichtet. In dem dunklen Grau seiner Augen spiegelte sich etwas wider, was ich nicht deuten konnte und wollte. Er redete nie über seine Gefühle und doch zeigte er sie so offensichtlich, wie als wäre er nur darauf aus, jemandem damit ein schlechtes Gewissen zu bereiten. „Wir müssen reden“, wiederholte er mit hohler Stimme. „… okay.“ Ich wandte den Blick ab. „Stimmt das, was der Junge gesagt hat?“, fragte er nach einer Weile des Schweigens. Ich zögerte. Ich könnte natürlich behaupten, dass Taichi gelogen hatte oder dass er sich falsch ausgedrückt hatte, aber er würde es so oder so heraus finden. Seit Mums Tod drehte sich seine Welt nur noch um solche Dinge. Ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn Takeru oder ich wirklich starben, wusste ich nicht, aber es würde ihn sicherlich schockieren. Also nickte ich. Er schnappte hörbar nach Luft und stieß sie scharf durch die Zähne wieder aus. Seine zu Fäusten geballten Hände zitterten so stark, dass der ganze Tisch wackelte und die zwei Gläser darauf leise klapperten. Aus reinem Reflex heraus, sprang ich auf, presste die Hände aufs Gesicht und wandte mich ab. Wartete seine Reaktion mit pochendem Herzen ab. Mein Vater hatte mich schon öfters geschlagen, aus dem Affekt heraus, wenn die Situation eskalierte. Er war immer der Ansicht gewesen, dass man Kinder einzig und allein mit einer harten Hand erziehen konnte. Und obwohl der letzte Schlag schon Monate her war, hatte ich regelrecht Angst und traute mich nicht, mich umzudrehen. Es war dumm, sich vor so etwas Lächerlichem wie einem Schlag so sehr zu fürchten, aber ich konnte nicht anders. Mein Körper handelte von alleine, ich konnte die Hände nicht mehr herunter nehmen, geschweige denn, durch die Finger linsen. Meine Augen öffneten sich nicht, egal was ich tat. Mein Herz schlug so heftig gegen meinen Brustkorb, dass es ihn sicherlich jeden Moment sprengen müsste. Mein Blut rauschte laut in meinen Ohren. Nicht jetzt. Hektisch atmete ich ein und aus, versuchte mich zu beruhigen und konnte doch die Stimme in meinem Innern nicht zum Verstummen bringen, die mir immer wieder zurief, dass es gleich passieren würde. Jeden Augenblick. Jede Sekunde. Ich spürte, wie sich meine Rippen zusammen zogen, meine Lungen zusammen pressten und hatte das Gefühl zu ersticken. Aber ich öffnete den Mund nicht ein Stück, presste die Lippen krampfhaft aufeinander und wünschte mir, nicht hier zu sein. Überall, nur nicht hier. Ich hörte, wie er seinen Stuhl mit einem lauten Scharren zurück schob und seine großen Füße schwerfällig über den Boden tappten, mir mit jedem Schritt näher und näher kamen. Ich konnte die wütende Aura, die ihn umgab und waberte wie ein flackerndes Feuer, förmlich spüren und die Flammen streckten ihre glühenden Zungen nach mir aus, umschlungen mich und entfachten eine Glut ganz tief in mir. Doch das kalte Wasser meiner Angst war stärker und überschwemmte mein Inneres, löschte jegliche Funken. Er kam vor mir zum Stehen, atmete laut aus und ein und ließ ein abfälliges Schnauben hören. „Wie konntest du nur?“, knurrte er leise und erwartete offensichtlich eine Antwort, aber mein Mund wollte sich nicht öffnen. „Wie konntest du nur?!“ Sein Schrei zerriss die Stille der Wohnung wie ein Peitschschlag, traf mich mit solch einer Wucht, dass ich erschrocken zusammen zuckte und einen Stück nach hinten taumelte. Er packte mich unerwartet am Arm, zog mich brutal nach vorne und riss mir die Hände vom Gesicht. Ich wollte nicht in sein Gesicht sehen, aber meinen Augen flogen sofort darauf und ich konnte den Blick nicht mehr davon lösen. Seine grauen Iriden funkelten erzürnt, ein glasiger Schimmer lag über ihnen. Seine Wangen waren vor Erregung gerötet. Sein ganzer Körper zitterte vor Wut. Dann hob er den Arm. Holte aus. Und schlug zu. Wie aus weiter Ferne, hörte ich das Klatschen, als seine flache Hand mit aller Kraft auf meine Wange traf, meine Nase gewaltsam streifte und ich etwas Warmes meine Nasenwand hinunter rinnen spürte. Der Schock, der mich durch den erwarteten, aber trotzdem überraschenden Schlag, getroffen hatte, steckte tiefer als der Schmerz, der kaum eine Sekunde danach wieder Besitz von mir ergriff. Meine Wange pochte heiß und störend, mir klappte mit einem panischen Japsen der Mund auf, als ich bemerkte, dass ich durch die Nase nicht mehr atmen konnte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich zu meinem Vater, aber er sah nicht zurück. „Wie konntest du nur?“, fragte er erneut, aber diesmal klang seine Stimme unsagbar enttäuscht und kraftlos, gebrochen und mühevoll wie die Stimme eines alten Mannes. Ich fühlte nichts bei seinem Anblick. In mir war es kalt und leer. Unendlich leer. „Ich habe nichts getan“, sagte ich mit nasalem Unterton und wischte mir über die Nase, bemerkte das heiße Blut. Verwirrt sah ich auf meine Finger, auf die rote, dickflüssige Spur und schluckte hart. Mit einer automatischen Bewegung griff ich nach einem Küchentuch und presste es mir unter die Nase, damit der Schwall aufhörte zu fließen. Es war ein unangenehmes Gefühl zu spüren, wie das Blut durch die Nase floss und obwohl ich gehört hatte, man solle sich ein kaltes Tuch in den Nacken und den Kopf zurück legen, weigerte ich mich, es zu tun. Aus Erfahrung wusste ich, dass es noch schlimmer war das Blut im Mund zu schmecken, wenn es die Speiseröhre hinunter floss. Also beugte ich den Kopf nach vorne, meine Haare hingen mir ins Gesicht. „Lüg mich nicht an“, fauchte er zornig und setzte sich schwungvoll wieder auf seinen Stuhl zurück. „Ich habe den Verband an deinem Arm gesehen, als du dich gerade umgezogen hast!“, er wedelte mit einer Hand in der Luft herum, fasste die Küche und mich darin ein. „Weißt du überhaupt, wie dumm du bist? Wieso tust du solche idiotischen Dinge? Für Beachtung? War dir Natsukos Tod nicht genug?“ Er stieß hart Luft aus. Einen Augenblick bekam ich kein Wort heraus. Warf er mir gerade wirklich vor, dass meine Tat dumm und idiotisch vor? Wollte er ernsthaft sagen, dass ich mit meinem Tod Aufmerksamkeit erregen wollte und es nur aus Trotz getan hatte? Er wollte mir etwas vorwerfen?! Die Glut begann wieder zu glühen und diesmal war keine Angst da, um sie wieder zum Erlischen zu bringen. Die Wut kochte in mir hoch und das Gefühl war exakt das Gleiche, wie das, als ich mich gestern Morgen mit Taichi gestritten hatte. Nur stärker. Es saß so viel tiefer und hatte seine Wurzeln ganz wo anders. Es war die Wut auf ihn. Auf meinen Vater, weil er mir solche Fragen stellte, nachdem er sich über zehn Jahre komplett aus meinem Leben heraus gehalten hatte und jetzt Ahnung vortäuschte! „Du hast doch nicht den blassesten Schimmer“, fauchte ich ihn an und drückte das Tuch stärker gegen meine heiße Nase. Er hob den Kopf und sah mich ausdruckslos an, aber ganz hinten in den dunklen Iriden konnte ich Verblüffung aufflackern sehen. „Du bist doch nur sauer, weil die Yagamis davon wissen. Du kannst dich doch nur nicht an den Gedanken gewöhnen, dass es auch andere Leute gibt, die unter Mums Tod leiden. Du bist doch nur zu verklemmt um einzusehen, dass das Leben trotzdem weiter geht. Egal ob mit oder ohne ihr.“ Meine Hand zitterte, aber ich verkrampfte meine Finger und zwang mich zur Stärke. „Was redest du da für einen Mist?“, erwiderte er verärgert. „Ich lebe weiter—du tust es offensichtlich nicht. Du ziehst lieber solch eine Show ab, um Aufmerksamkeit zu erregen!“ Jetzt zitterten auch meine Arme. In meinem Kopf breitete sich eine eigenartige, schwere Leere aus, die nichts mit Gleichgültigkeit zu tun hatte. Ich wünschte mir irgendetwas, um den unglaublichen Druck in meinem Innern zu beseitigen. Ich wollte schreien und toben, wollte ihm endlich all das an den Kopf werfen, was ich all die Jahre mit mir herum trug. Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen und sehen wie er erschrocken zurück zuckte. Ich wollte, dass er endlich büßte für die Ignoranz die er Takeru und mir geschenkt hatte. Und plötzlich tat ich es. „Ich ziehe keine Show ab!“, schrie ich schrill, schmiss das durchtränkte Tuch achtlos auf den Boden und machte einen Schritt auf ihn zu. Seine Pupillen verengten sich. „Ich hab das nicht getan, weil ich Aufmerksamkeit erregen will! Du hast doch gar keine Ahnung, warum ich das tun könnte! Du weißt gar nichts von meinem Leben, du lebst in deiner eigenen Welt und schließt uns alle aus! Du bist derjenige, der nicht kapieren will, dass du mit Mums Tod abschließen musst! Du lässt mich und Takeru seit über zehn Jahren Tag für Tag hängen und scherst dich einen Dreck um uns! Du hast doch… verdammt keine Ahnung!“, ich holte Luft und wischte mir das Blut aus dem Gesicht, das warm über meine Lippen floss, „Weißt du überhaupt, was es heißt, vor einer ganzen Schule einen Nervenzusammenbruch zu haben und in einem Krankenhaus aufzuwachen? Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn man seinen einzigen Freund verliert, nachdem man so darauf gehofft hatte, dass es einmal klappt? Hast du auch nur den blassesten Schimmer, was es bedeutet, wenn dich der eigene Vater ignoriert? Wenn du jeden Tag die Angst mich sich herum trägt, dass die Stimmen in deinem Kopf real sind?! Weißt du es?!“ Er schrumpfte auf seinem Stuhl zusammen und öffnete wortlos den Mund. Doch egal was er sagte, es hätte mich nicht beruhigen können. Irgendwo in mir brach der Damm und alles schwemmte hervor. Verzweiflung kroch in mir hoch, schlich sich in mein Herz und in meinen Kopf und krachte als große Welle über mir zusammen. Tränen rannen zu tausenden aus meinen brennenden Augen und vermischten sich mit dem warmen Rot auf meinem Kinn. Meine Hände zitterten, meine Beine schienen mein Gewicht nicht länger tragen zu wollen. „Ich hab es getan, weil Takeru die Erinnerungen an Mum wieder in mir wach gerufen hat“, rief ich mit stockender Stimme. „Weil ich mit Taichi gestritten hatte! Weil Shusuke und Yuri mich seit fünf Jahren täglich zusammen schlagen, ganz plötzlich Schuldgefühle bekamen und wollten, dass ich es ihnen nicht übel nahm! Fünf verdammte, lange Jahre, haben sie mich verprügelt und das soll mit einem simplen ‚Tut mir Leid’ wieder verschwinden?! Ich hab es getan, weil ich mein ganzes scheiß Leben nicht mehr aushalte und es mir über den Kopf steigt!!“ „Yamato….“, sagte er mit leiser, schockierter Stimme und streckte seine Hand nach mir aus, aber ich schlug sie einfach weg. Ich wollte seine Berührungen nicht. Nicht jetzt. Nicht mehr. „Yamato, bitte…“ Nie mehr. „Ich hasse dich!“, schleuderte ich ihm ins Gesicht, bevor ich darüber nachgedacht hatte und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Er starrte mich unsagbar entsetzt an. Mein Herz hämmerte schmerzhaft gegen meinen Brustkorb. „Ich hasse dich, du verdammter, ignoranter Bastard! Ich hasse dich!“ Ich presste mir eine Hand auf den Mund und unterdrückte mein lautes Schluchzen, die Wellen von Verzweiflung drohten mich zu ertränken, mich in den bodenlosen Abgrund hinab zu reißen. Mein Vater saß einfach nur fassungslos vor mir, hob wie in Zeitlupe seine Hand und berührte seine Wange. Stockend entfloh der Atem seinen geöffneten Lippen. „Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich…“, murmelte ich unablässig vor mich hin, wie ein Manta, das mich davor bewahren sollte in die schwarze Tiefe zu fallen. Mein Gesicht brannte, der Tränenstrom wollte nicht stocken. Zitternd wischte ich mir über Mund und Nase, sah den roten Streifen und biss mir schmerzhaft auf die Lippe, als das nächste laute Schluchzen meiner Kehle entfloh. Ich hatte das Gefühl zu ersticken, aber ich konnte nichts dagegen tun. Hinter meinen Schläfen rauschte es, mein linker Arm pochte heiß und schmerzhaft. Die roten Punkte auf dem weißen Verband breiteten sich kontinuierlich aus. „Yamato…“, seine Stimme war rau, dunkel und brüchig. Es klang wie ein Knurren und gleichzeitig wie ein bitteres Flehen. Bei meinem Namen wich ich zurück, immer schneller und schneller sog ich Luft in meine Lunge. Befürchtete jeden Augenblick zu hyperventilieren. Wie gebannt starrte ich auf sein Gesicht, beobachtete wie er langsam den Kopf hob und mich ansah. Ich wusste, dass er mir diesen Schlag nicht verzeihen würde. Ich war sein Sohn und Söhne hatten nicht das Recht ihre Eltern zu schlagen, egal was passierte. Er würde mir nie verzeihen. Ich wimmerte hoch und verzweifelt auf und vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich hasse dich, ich hasse dich… o Gott, ich hasse dich…“ Ich wollte hier weg. So sehr. „… Yamato.“ Seine Tonlage ließ das Fass überlaufen, stieß mich an den Rand der Klippe, zerriss den dünnen Faden meiner Standhaftigkeit. Ich drehte mich auf den Absätzen um und rannte aus der Küche. Ich musste einfach von dort weg, ich hielt es nicht mehr aus. Die Angst hämmerte in meinem Innern, die Panik fraß mich auf. Mein Herz schlug hektisch und schnell, das Blut pulsierte in meinen Schläfen. Ich konnte nicht mit meinem Vater in einem Raum bleiben und warten, bis ihm erneut die Hand ausrutschte. Bis er sich für mein Vergehen rächte und mir seine Überlegenheit demonstrierte. Automatisch schlug ich den Weg zu meinem Zimmer ein, knallte die Türe hinter mir zu und sperrte ab. Drei Mal drehte ich mit zitternden Händen den Schlüssel um, aber es lieferte mir kein Gefühl vor Sicherheit. Dieses Stück Sperrholz schien viel zu dünn, zu unstabil, zu schwach, um auch nur irgendeiner Attacke stand zu halten. Doch ich konnte nicht mehr tun. Wimmernd und schluchzend lehnte ich mich mit dem Rücken an die Tür und rutschte kraftlos an ihr herunter, meine Beine konnten mein Gewicht nicht mehr länger halten. Ich zog die Knie an den Körper, vergrub hilflos das Gesicht in den Händen. Durch die Nase bekam ich schon lange keine Luft mehr, mein Mund schien verklebt, die Zunge schwer und pelzig. Erneut meinte ich nicht genügend Sauerstoff zu bekommen, atmete viel zu schnell. Die Panik kratzte von innen an meinen Augäpfeln, schrie und tobte, wollte um jeden Preis nach draußen. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich hörte, wie mein Vater plötzlich gegen die Türe schlug. Er schrie meinen Namen. Immer und immer wieder. Aber ich rührte mich nicht. Er wurde lauter. Das Trommeln seiner Fäuste stärker, heftiger. Eindringlicher. „Yamato! Komm da wieder raus! Yamato!“ Ein erstickter Laut entfloh meiner Kehle und ich presste mir die Hand auf den Mund, um es zu unterdrücken. Doch es half nichts. Das Weinen hörte nicht auf, heiße Tränen flossen endlos über meine Wangen und trübten meine Sicht. Kraftlos ließ ich den Kopf gegen die Türe sinken, die immer wieder unter den Schlägen meines Vaters erzitterte. „Yamato, jetzt heul nicht rum und komm sofort wieder da raus! Yamato! Was erlaubst du dir eigentlich?! Yamato!“ Die Verzweiflung kroch langsam aus meinem Herzen hoch, schlängelte sich um mein Bewusstsein und packte mich mit festem Griff. Sie hakte sich bei der Panik unter und gemeinsam ertränkten sie mich, drückten mich in die Tiefe, ertränkten mich in dem dunklen Meer. Ich konnte mich nicht wehren, mein ganzer Körper war taub, erbebte einzig und allein unter meinem kläglichen Schluchzen. „Yamato, mach die Tür auf! Yamato!“ Ich wünschte mir, an einem anderen Ort zu sein. In einem anderen Universum. Eine andere Person mit einem anderen Leben. Ich wollte weg von hier. „Komm jetzt endlich da raus! Yamato, hörst du mich?!“ Unendlich weit weg. „Yamato! Verdammt, mach auf!“ So unendlich weit weg. Part XVI END ♠ tbc... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)