All You Wanted von Nikolaus (Taichi x Yamato) ================================================================================ Kapitel 9: So I Took Your Hand... (Yamato/Taichi) ------------------------------------------------- Gebatet by & ~ Yamatos POV ~ Es war ein Moment gewesen, der mich zu Fall gebracht hatte. Ein Moment, in dem ich die Kontrolle verloren und die Dunkelheit hatte siegen lassen. Ein Moment, den ich mein ganzes Leben lang bereuen würde. Ich hatte schon immer gewusst, dass ich anders als die anderen Kinder war. Nicht nur deswegen, weil wir weniger Geld hatten oder ich keine Freunde. Es lag an der Art, wie ich war. Die meisten Menschen um mich herum lachten und amüsierten sich, aber selbst wenn ich es versuchte, hatte es keinen Sinn. Es gab in meinem Innern die Sperre, die ich nie überwinden konnte. Meine Mutter hätte es fast einmal geschafft die Schranken einzureißen. Bei ihr hatte ich mich wohl gefühlt, musste keine Angst davor haben, dass öffentlich zur Schau gestellte Emotionen Ärger hervor riefen. Sie liebte mich, einfach so. Weil sie meine Mutter war. Mein Vater hatte das nie geschafft. Für ihn war Takeru das Wunschkind. Takeru war sportlich und liebte Fußball, konnte so die Träume erfüllen, die in Dads Leben nie in Erfüllung gegangen waren. Ich war für ihn ein Klotz am Bein. Nach Moms Tod, hatte er kein Verständnis mehr dafür, dass Bildung oder besondere Talente gefördert werden mussten. Für ihn gab es nur Takeru und den kleinen, runden Ball aus Leder. Da er aber keine Ahnung von Haushalt hatte, war er auf mich angewiesen. Wenn man früher erwachsen wird, sieht man die Welt anders. Das hatte ich gemerkt. Zu dieser Zeit war mir auch immer mehr bewusst geworden, dass ich so anders war. Die Unfähigkeit, sich wirklich zu über kleine Dinge zu freuen, ehrliches Mitgefühl zu empfinden oder einmal im Leben aus ganzem Herzen die Wahrheit zu sagen. Takeru lebte als Kind weiter, während ich erwachsen werden musste. Er erlebte all die Dinge, die ich nur aus der Ferne beobachten konnte und doch versuchte ich, seine Freude zu teilen. Die Freude, die so rasch aus meinem Leben verschwunden war. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass das Alles nicht gerecht war. Wieso musste ich mich um zwei Menschen kümmern, obwohl ich selbst nicht einmal ausgewachsen war? Wieso musste ich Dinge tun, die andere Kinder nicht tun mussten? Dad sagte immer nur, ich solle doch, bitte, endlich aufhören, mich mit anderen Kindern zu vergleichen. Wir waren eben nicht so wie sie, sagte er immer, und wir würden es auch nie sein. Ich wollte ihm nicht glauben, aber ich musste einsehen, dass er Recht hatte. Doch die Zeit der Rebellion kam und sie versiegte nie wirklich. Mit der Einsicht, dass sowieso niemand auf mich hörte, fing ich an, mein Leben in mir zu führen. Eine eigenartige Angewohnheit, die ich wohl nie richtig ablegen konnte. Ich merkte, dass es so viel einfacher war, alles für mich zu behalten, als mit jemanden darüber zu reden, der mir gar nicht zuhörte. Ich konnte nicht verletzt werden, wenn ich mich niemanden mehr öffnete. Manchmal stiegen die Zweifel in mir auf und ich versuchte, so zu sein, wie die anderen. Ich konnte nicht verstehen, weshalb Takeru und ich so unterschiedlich waren, obwohl wir doch verwandt waren. Wie konnte er so lebensfroh sein und ich solch ein Frack? Die Antwort kam nie. Aber der Schmerz wurde häufiger, kam in größeren Wellen, die über mir zusammen schlugen und mich erbarmungslos unter sich begruben. Nie war ich fähig, ihnen auszuweichen. Es kam der Moment, in dem wir in der Schule das Thema Suizid durchgenommen hatten. Bis dato fand ich solche Handlungsweisen idiotisch, kindisch und ohne jeglichen Sinn. Was sollte es einem schon helfen, wenn man sich selbst verletzte? Danach sah die Welt doch genauso aus, wie davor auch. Es hatte keinen Sinn! Aber die Einstellung blieb nicht. Als ich das erste Mal das glänzende Blut fließen sah, fühlte ich mich gut. Besser als ich es mir vorgestellt hatte. Es war eine Erleichterung und all die angestauten Emotionen, die dafür sorgten, dass ich unkonzentriert und nervös wurde, schwammen in einem roten Fluss hinaus. Über die Ellenbeuge, hinab in die Dunkelheit. Ich stand am Rand meines Seins, manchmal mit einen Fuß über der Klippe, mal einen Schritt davor. Diese Verletzungen waren unschön, sie hinterließen Narben und wenn das Gefühl der Erleichterung verschwand, kehrte der Schmerz zurück, den ich davor nicht gespürt hatte. Aber es half. Es war der imaginäre Ansprechpartner, den ich mir gewünscht hatte und der mir immer zuhörte. Bald merkte ich, dass Takeru darauf aufmerksam wurde. Glücklicherweise fand er es nie heraus, aber an manchen Tagen waren seine Blicke so misstrauisch, dass ich Angst hatte, sie zu erwidern. Wie albern! Ich war der große Bruder und doch war ich nicht fähig, ein Vorbild zu sein. Wahrscheinlich schob Takeru mich deshalb als Solches ab. Aber die Abart, die mich von den anderen unterschied, wurde immer größer. Immer öfter hatte ich das Gefühl Stimmen zu hören, die greifbar waren und dann doch wie eiskalter Nebel durch meine Finger glitten. Ich dachte, dass ich verrückt wurde. Wirklich verrückt. Mit allem drum und dran; Schizophrenie, Borderline-Syndrom, Depression. Nie konnte ich mir sicher sein, dass ich es nicht wirklich war. Tief in meinem Innern ein gestörter Freak, dessen Ende, als Vergewaltigungsopfer in einer Seitenstraße, schon auf ihn wartete. Die Dunkelheit, an deren Abgrund ich stand, griff nach mir und zog mich hinunter. Manchmal hatte ich das Gefühl, schon längst gefallen zu sein. An anderen Tagen dachte ich gar nicht daran. Takeru war mir immer eine große Hilfe gewesen, auch wenn er es nicht merkte. Und Taichi auch. Selbst wenn nur für kurze Zeit. All das ging mir durch den Kopf, als ich auf der ledernen Liege saß und den Mann vor mir ansah. Herr Fuji. Er war groß, hatte schwarze Haare und trug eine randlose Brille auf der Nase. Die grünen Augen sahen mich wissend an, der Kugelschreiber ruhte geduldig auf dem schneeweißen Blatt. Er wartete darauf, dass ich etwas sagte, aber diese Genugtuung würde ich ihm nicht gönnen. Er war ein Psychiater – mein Psychiater, wie mir die Krankenschwester versichert hatte. Aber ich brauchte ihn nicht. Ich war kein Kontrollfreak und ich klammerte auch nicht. Ich hatte mein ganzes Leben sehr gut so verbracht, wie ich es verbracht hatte und das mit Taichi… war ein kleiner Ausrutscher gewesen. Er war mir einfach zu nah gekommen und ich hatte es zugelassen. Das würde nicht noch einmal passieren. Der Moment der Schwäche würde nie wieder kehren. Doch um zu dieser Erkenntnis zu kommen, brauchte ich ihn nicht. „Yamato, willst du mir nicht sagen, was passiert ist?“, fragte er nun schon zum dritten Mal und rieb den Handballen an seinem Schreibbrett. Ein Zeichen seiner Ungeduld, auch wenn er sich als recht geduldig gab. Meiner Meinung nach, waren die meisten Leute, die therapiert wurden, viel intelligenter und wissender, als die Psychiater selbst. Denn so jemand, der nicht einmal zehn Minuten still sitzen konnte, wusste sicherlich nicht, was in mir vorging. Zudem kannte er mich nicht und konnte mich nicht beurteilen, egal auf wie vielen Seminaren er dafür war. „Ich dachte, das wüssten Sie“, wiederholte ich meine Antwort. „Natürlich weiß ich das“, sagte er und seufzte leise. Fuhr sich durch das schwarze Haar und blickte mich durchdringend an. „Aber ich würde es gerne aus deiner Sicht hören.“ „Wozu?“ „Damit ich dir helfen kann.“ „Ich brauche keine Hilfe“, antwortete ich kühl. Er lächelte leicht und setzte sich wieder aufrecht hin. „Einsicht ist der erste Weg zur Besserung, Yamato“, sagte er weise und ich konnte mir nur mit Mühe ein Schnauben verkneifen. Stattdessen erwiderte ich ungerührt: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, Herr Fuji.“ Er zog die Augenbrauen zusammen. Mir war nicht klar, ob ich ihn nun verärgert hatte oder ob er sich nur wunderte. Diese dämliche Freundlichkeit von Leuten, die in seinem Metier arbeiteten, mochte ich nicht. Wenn er mich nicht mochte, sollte er nicht freundlich zu mir sein. „Das hast du schön gesagt“, meinte er lächelnd. „Sie auch“, sagte ich. „Dennoch würde ich jetzt gerne die Geschichte hören.“ „Es ist keine Geschichte“, sagte ich und lehnte mich in auf der Liege etwas zurück. Das Gespräch würde länger dauern, das war mir klar. Selbst wenn ich nichts sagen würde, müsste ich hier bleiben. Denn er schien offensichtlich darauf zu hoffen, dass ich es von alleine erzählte. Aber weshalb sollte ich das tun? Nur damit er sich besser fühlte und einen geheilten Patienten mehr auf seiner Liste hatte? Ich war nicht krank und musste auch nicht geheilt werden. „Harry Potter ist eine Geschichte.“ „Entschuldigung, Yamato“, lächelte er und meinte wohl, dass er mich hiermit aus der Reserve lockte. „Tut mir leid. Dann erzähl mir doch einfach… was passiert ist. Den Ablauf.“ „Und wenn ich nicht will?“ „Ich will dir doch nur helfen, Yamato“, sagte er und mir viel auf, wie oft er meinen Vornamen sagte. Falls er Vertrauen schaffen wollte, schlug er fehl. Ich wollte ihm nicht vertrauen und ich wollte ihm auch nichts erzählen. „Das sagten Sie schon.“ „Dann sorge doch dafür, dass das nicht noch einmal passiert und erzähle es mir einfach.“ Nun klang er angespannt. Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr und schnalzte mit der Zunge. „Dir ist bewusst, dass jede Stunde kostet?“ „Ich würde gerne gehen“, sagte ich und erhob mich. Sofort schnellte sein Kopf nach oben und ich sah die Erkenntnis in seinen Augen flackern. Die folgenden Worte bestätigten es. „Das war kein Angebot, Yamato. Du kannst noch nicht gehen. Du bist in einem sehr kritischen Zustand.“ „Ach wirklich?“, entgegnete ich und konnte es nicht verhindern, dass ich genervt klang. Die ganze Situation ging mir gehörig gegen den Strich. Ich hatte immer gewusst, dass es irgendwann so weit kommen und ich gegen meinen Willen festgehalten werden würde. Die Möglichkeit einfach davon zu rennen, würde nicht funktionieren. Ich merkte jetzt schon, wie die Wut in mir aufstieg und ich musste dagegen ankämpfen, ihn einfach anzuschreien: „Ich liege nicht in einem Krankenbett, ich kriege keine Medikamente, ich hatte keine Operation hinter mir und ich habe auch keine gebrochenen Knochen. Was ist an meinem Zustand denn bitte sehr kritisch, Herr Fuji?“ „Du hattest einen Nervenzusammenbruch, Yamato“, erklärte Herr Fuji es mir ruhig, in dem Tonfall, indem man sich auch mit naiven Dreijährigen unterhielt. Wahrscheinlich wusste er, was er damit anrichtete, aber ich zeigte ihm nicht, wie wütend es mich machte. Er wollte mich aus der Reserve locken, aber ich würde nicht reden. Und ich würde weder weinen, noch schreien. Ich war nicht krank. „Und wir haben die Narben an deinen Armen entdeckt.“ „Gehört es jetzt auch schon zur der Arbeit von Notärzten unerlaubt in die Privatsphäre des Patienten einzudringen?“ „Du hattest einen Nervenzusammenbruch!“ „Ich war ohnmächtig, Herr Fuji. Das ist etwas ganz anderes“, sagte ich zu ihm und äffte seinen Tonfall nach. „Und ich würde jetzt gerne gehen.“ „Du kannst nicht…“, das Telefon klingelte und er brach ab. Kurz warf er mir noch einen mürrischen Blick zu, dann nahm er ab und redete mit der Stimme am anderen Ende der Leitung. Ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Decke. Ich würde mich hier nicht festhalten lassen. Nicht gegen meinen Willen. Gab es denn niemanden, der mich hier raus holen konnte? Dad, Takeru… Taichi? Keiner der drei war hier gewesen. Als ich vor ein paar Stunden im Nebenraum aufwachte, war ich vollkommen alleine gewesen. Ich hatte eine Weile gebraucht, um wieder zu wissen, wo ich mich befand und was passiert war. Es war ein kleiner Schock gewesen, dass ich mich so hatte gehen lassen. Doch der größere Schock war das Eintreten von Herr Fuji und seine Ansage, wo ich hier war. In einem Krankenhaus mit einer extra Nervenheilanstalteinrichtung – Klapse, hätte ich gesagt, aber er umschrieb es mit diesen Worten, wohl in der Annahme, dass ich es so nicht erkennen würde. Am liebsten hätte ich geschrieen und wäre davon gerannt. Aber ich tat es nicht, sondern blieb solange stumm auf dem Bett liegen, bis er wieder ging. Letztendlich musste ich doch mit ihm reden und eine Krankenschwester hatte mich zu ihm gebracht. Ich hätte zwischendurch abhauen können. Aber ich tat es nicht. Lieber still und schweigsam, als aufsässig und auf Jahre hier. Glücklicherweise war es eigentlich nur ein Krankenhaus. Spätestens in vier Stunden musste Herr Fuji mich gehen lassen, wenn er nicht noch einen sehr triftigen Grund fand, um mich hier zu behalten. Und ich würde alles tun, damit er keinen Grund fand. „Du hast Besuch, Yamato“, sagte er zu mir, nachdem er aufgelegt hatte. Ich sah ihn an und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Dein Bruder und ein Freund. Willst du mir nicht verraten, weshalb dein Vater nicht hier ist? Schließlich muss er sich doch um dich sorgen.“ „Nein.“ „Nein?“ „Ich will Ihnen nicht sagen, weshalb er nicht hier ist“, antwortete ich und richtete den Blick auf die Tür. Dass Takeru jetzt erst kam erfreute und erboste mich zugleich. Wer der so genannte Freund war, konnte ich mir auch denken. Taichi. Dass er mich besuchte, löste ein unkontrolliertes Kribbeln in meinem Magen aus und machte mich etwas nervös. Er sollte mich nicht hier sehen, in ein und demselben Zimmer wie dieser krankhafte Psychiater, der mir diese Fragen stellte. Ich wollte nicht, dass Taichi dachte ich sei… krank. Ich war es nicht. „Yama!“ Die Türe flog auf und aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Herr Fuji an seinem Schreibtisch zusammen zuckte. Takeru rannte ins Zimmer und brachte eine Welle aus Verwirrung, Sorge und Freundlichkeit mit, die mich überrollte. Ausnahmsweise machte es mir nichts aus. Ich war froh, dass er sich so darüber freute mich zu sehen. Und ich zuckte auch nicht zusammen, als er mich stürmisch umarmte. „Dir geht’s gut“, flüsterte Takeru aufgelöst. „O Gott… ich dachte schon, dass was Schlimmes passiert ist.“ Er presste mich so fest an sich, dass ich kaum Luft bekam. Vorsichtig drückte ich gegen seine Brust und er löste sich von mir. Mit vor Freude strahlenden Augen sah er mich an und lächelte erleichtert. Ich lächelte zurück, sah dann zu Taichi. Er stand im Raum und wirkte auf gewisse Weise verloren. Das breite Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden und es versetzte mir einen Stich. Seine Miene war ernst, gefasst. Wie als dachte er, ich wäre wirklich… … krank. „Hi“, sagte er leise. Ich nickte nur und wandte den Blick ab, die Lippen fest aufeinander gepresst. Wenn ich jetzt die Beherrschung verlor, wäre das für Herr Fuji ein gefundenes Fressen. Er lauerte nur darauf, dass die Maske bröckelte und er etwas fand, was er beschuldigen konnte. Aber diese Möglichkeit würde ich ihm nicht geben. Ich war der Meister der Masken. Ich stand auf und sah ihn an. Herr Fuji schien überrascht, dass ich meine Worte an ihn richtete. „Ich möchte, dass Sie raus gehen.“ „Was? Yamato…“ „Das ist ein vertrauliches Gespräch und Sie haben kein Recht mitzuhören, wenn es nicht in meinem Wohlwollen geschieht“, unterbrach ich ihn kühl und beobachtete, wie er böse den Mund verzog. „Wenn du meinst, Yamato.“ Ruckartig erhob er sich und verließ den Raum, offensichtlich darüber erbost, aus seinem eigenen Büro geworfen zu werden. Takeru stieß neben mir einen leisen Pfiff aus und stupste mich in die Seite. Er ließ die Fingerknöchel knacken und beobachtete, wie die Türe laut ins Schloss fiel. Mit dem Knallen wurde es kalt im Zimmer und ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Ich wollte nicht zu ihnen sehen. Ich war schreiend auf dem Schulhof zusammen gebrochen und landete in einem Krankenhaus. Wurde unter die Aufsicht eines Psychiaters gestellt, der glaubte, ich sei psychisch krank. Und jetzt waren sie beide hier her gekommen, in dem festen Glauben, ein seelisches Frack vorzufinden, das nie wieder die Wände dieser Einrichtung verlassen durfte. Aber ich war nicht krank. Ich hörte keine Stimmen und das mit der Selbstverletzung… das taten so viele Leute und gerade mich wollten sie dafür bestrafen? Das… das konnte nicht sein. Taichis Gesichtsausdruck war Strafe genug gewesen. Ich hatte vorhin Recht gehabt; Taichi war mir ebenfalls eine Hilfe gewesen, dem Abgrund nicht zu Nahe zu kommen. Selbst wenn nur für kurze Zeit. „Wir haben uns ganz schön Sorgen gemacht“, sagte Takeru nach einer Weile. Ich drehte mich nicht zu ihnen um, stand regungslos neben dem Sessel und starrte aus dem Fenster. Ich hatte nicht die Kraft mich umzudrehen und ihren Blicken zu begegnen. Würden sie mich verachten? Als Irren abstempeln? „Wir wussten nicht, was los war.“ „Ich auch nicht“, erwiderte ich leise. Meine Stimme zitterte. Ich war wieder dabei die Beherrschung zu verlieren. Nur für einen Moment. Und falls ich wirklich verlieren sollte, würde dieser Moment erneut alles entscheiden. Das durfte einfach nicht passieren. Für einen Augenblick presste ich mir die Hand auf den Mund und zwang mich, durch die Nase tief ein und auszuatmen. „Es war echt… grauenvoll“, redete Takeru weiter. „Du hast plötzlich geschrieen und… wir wussten nicht, was los war. Ich dachte, du… was war los?“ Er sprach nicht aus, was er gedacht hatte. Aber er musste es auch nicht. In gewisser Weise wusste ich es schon und es behagte mir nicht. Ich dachte, du bist verrückt geworden. Ich war es aber nicht und es entfachte einen kleinen Funken Wut in mir, dass Takeru dachte, er könnte es beurteilen. Diese Reaktion war übertrieben, schließlich wollte er mir nur zeigen, wie die Situation ihn verwirrt hatte, aber momentan erschien es mir die einzig richtige Möglichkeit überhaupt zu reagieren. Ich durfte keine Wut zeigen und nicht anfangen zu weinen, sonst würde Herr Fuji mich hier behalten, aber ich konnte doch… ich konnte es doch nicht einfach so hinnehmen! Und so lange es man mir nicht ansah, war es in Ordnung. Das dachte ich jedenfalls. Woher hätte ich denn auch wissen sollen, dass Psychiater immer etwas fanden, was sie einem anhängen konnten? Und sei es noch so klein. „Keine Ahnung“, wich ich einer direkten Antwort aus und hörte, wie Takeru hinter mir seufzte. „Was wollte der Mann wissen?“, fragte er stattdessen und ließ sich auf die Liege sinken, in der ich noch vor ein paar Minuten gesessen hatte. Wo Taichi war, konnte ich von meinem Standpunkt aus nicht sehen. Das kleine Stück, das er immer von mir nahm und normalerweise wieder zurück brachte, wenn er wieder bei mir war, behielt er dieses Mal für sich. Ich fühlte mich klein, verletzlich und angeschlagen. „Ich sollte ihm erzählen, was passiert ist“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Und? Hast du?“ „Nein.“ „Was noch?“, wollte er wissen. Sofort wusste ich, dass ich seine Neugier entfacht hatte. Takeru würde wohl noch für immer ein kleines Kind bleiben. „Er wollte wissen, wieso Dad mich nicht besucht. Und er hat mir unterstellt, ich hätte einen Nervenzusammenbruch gehabt und wäre in einem zu kritischen Zustand, um das Krankenhaus jetzt zu verlassen. Ich hab ihm nicht geantwortet“, sagte ich tonlos und beobachtete unten auf dem Bürgersteig eine Mutter, die eine Einkaufstasche trug und einen Kinderwagen vor sich her schob. Sie wuselte weiter und entschwand meinem Blick, der nun auf dem trostlosen, grauen Asphalt der Straße klebte. „Hattest du nicht einen Nervenzusammenbruch?“, fragte Takeru verwirrt. Mir wurde klar, dass die Krankenschwester ihm das wohl erzählt hatte, bevor sie zu mir kamen. Dass sie sorgsam mit mir umgehen, langsam sprechen und nicht überschwänglich handeln sollten. Idioten. „Nein.“ „Oh…“, macht er leise. „Was war es dann?“ „Ich habe kurz die Kontrolle verloren“, sagte ich und erfreute mich praktisch an dem Schweigen, das daraufhin entstand. Ich wollte mit Takeru nicht darüber sprechen, was passiert war. Er hatte Moms Tod gut weggesteckt und war immer in der Annahme gewesen, dass es sonst keine Sorgen gab und ich wollte ihm keine bereiten. Wenigstens er sollte normal leben, wenn ich es schon verbockt hatte. Nach einer Weile ging schwungvoll die Türe auf und Herr Fuji kam herein, seine schlechte Laune über seinen Rausschmiss, schien verflogen. Mit einer fließenden Bewegung setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und sah uns alle hintereinander an. Anhand von seinem Blick, der hinter mir haftete, vermutete ich, dass dort Taichi war. Einen Moment verspürte ich den Drang, mich zu ihm umzudrehen, um ihn zu sehen und zu wissen, dass er mich nicht für verrückt hielt, aber ich tat es nicht. Ich hatte zu große Angst davor, dass mich das Gegenteil erwarten würde. „So Yamato“, fing er gutgelaunt an und sah zu mir. Ich nickte stumm. „Ich habe über dich nachgedacht und über deine Worte, dein Verhalten. Du meinst du hattest keinen Nervenzusammenbruch, ja?“ „Hatte ich das nicht schon gesagt?“, entgegnete ich kühl. „Natürlich, Yamato. Das hast du schon.“ Er lächelte väterlich. In mir stieg die Übelkeit hoch. „Deiner Meinung nach hast du nur kurz die Kontrolle verloren.“ „Ich wusste nicht, dass Psychiater seit Neuestem die privaten Gespräche ihrer Patienten abhören dürfen, Herr Fuji“, sagte ich, meine Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. Ich wunderte mich, dass ich so klar denken konnte. Mein normaler Hang zum Abdriften oder Abschalten bei Situationen, die mir nicht gefielen, schien hier aus irgendeinem Grund nicht vorhanden zu sein. „Wäre das für mich nicht ein Grund auf der Stelle hier raus zu gehen und sie zu verklagen?“ Er wurde weiß im Gesicht und schluckte. Er nahm meine Worte ernst und es erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung, auch wenn ich in dem geheimen Wissen war, dass ich das nie gemacht hätte und auch nie konnte. Nicht ich. „Und ich habe folgende Diagnose daraus gezogen“, redete er mit gepresster Stimme weiter, wie als hätte ich nie etwas gesagt. „Deine Depressionen sind nur allzu offensichtlich. Genauso wie dein gestörtes Sozialverhalten. Hinzu kommt das Borderline-syndrom und der Verdacht auf Schizophrenie.“ Er lächelte mich gütig an. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. „Depressionen? Gestörtes Sozialverhalten? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Doktor?“, kam mir Taichi unerwartet zur Hilfe. Seine tiefe Stimme und das, ungewohnt kalte, Lachen, schickten mir einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken. „Yamato ist nicht krank.“ „Entschuldigen Sie, aber das kann ich ja wohl besser beurteilen“, erwiderte Herr Fuji steif und richtete sich auf. „Nach einer Stunde, ja?“ „Das ist mein Beruf!“ „Ich kenne Yamato schon deutlich länger als Sie und sein Sozialverhalten ist alles andere als gestört. Zudem liegen Sie bei den Depressionen auch sehr daneben“, sagte Taichi scharf und seine Gestalt löste sich aus den Schatten. Ich zuckte zusammen, als er plötzlich neben mir stand. Ärgerte mich einen Moment später dafür schon wieder unglaublich, als ich sah, wie Herr Fuji interessiert die Augenbraue hob. „Und selbst wenn er sich ritzt – ist doch egal, oder? Wenn er es längere Zeit nicht mehr getan hat, hat er sich selbst geheilt. Ohne Ihre verdammte Hilfe, Sie Quacksalber!“ „Sie können das sehr schlecht beurteilen, Sie sind emotional in diese Sache…“ „Hören Sie doch auf damit!“, rief Taichi sauer. „Sie wollen ihn doch nur hier behalten, damit sie etwas mehr Geld bekommen und weil es sie ärgert, dass er nicht mit Ihnen redet. Sagen Sie mir nicht, ich wäre emotional in diese Sache verwickelt, wenn Sie sich selbst nicht einmal davon distanzieren können!“ „Junger Mann, jetzt lehnen Sie sich eindeutig zu weit aus dem Fenster!“ „Ach wirklich?“ „Ja!“, donnerte Herr Fuji, vor Zorn pochte eine Ader auf seiner Stirn. Ich packte hektisch Taichis Handgelenk, wollte ihn dazu bewegen, mich anzusehen und damit aufzuhören, aber er schüttelte meine Hand ab. „Sie können nicht entscheiden, was ich mit ihm mache, er ist mein Patient!“ „Ist er nicht!“ „Natürlich ist er das und ich entscheide, dass er hier bleibt!“ „Ach ja? Und weswegen? Weil Sie ihn nicht leiden können und ihn gerne ein bisschen quälen? Damit er in diesem Irrenhaus gänzlich zerbricht und Sie etwas haben, woran Sie herum kritteln können, ohne dass Ihnen jemand dazwischen funkt?!“ Taichi stützte die Hände vorne auf seinem Schreibtisch ab und sah Herr Fuji erzürnt an. Dieser blickte genauso böse zurück. Takeru war neben mir aus seinem Stuhl geschnellt, traute sich allerdings nicht an Taichi heran. Ich stand regungslos da und wusste nicht, was ich tun sollte. In meinem Innern schwankte es zwischen Entsetzen, Freude, Wut und… einem riesigen Bienenschwarm, der mich von Innen aufzufressen drohte. Ich trat von einem Fuß auf den anderen und sah zu ihnen hinüber, mein Atem war flach. „Lassen Sie ihn gehen oder ich hetze Ihnen meinen Vater auf den Hals“, drohte Taichi mit bedrohlicher tiefer Stimme, die mich an das Knurren eines Hundes erinnerte. Herr Fuji schreckte kurz zurück, dann blitzten seine grünen Augen genauso sauer wie zuvor. „Susumo Yagami, richtig?“, zischte er wütend. Taichi lehnte sich ein Stück zurück und grinste selbstgefällig. „Richtig.“ „Dann sehen wir uns vor Gericht“, sagte Herr Fuji gefasst und setzte sich wieder hin, schien uns zu ignorieren. Taichi nickte in Richtung Tür und machte Anstalten das Zimmer zu verlassen. Ich sah verwirrt zu Takeru hinüber, der ebenso wenig begreifen zu schien, wie ich. Eilig folgten wir Taichi nach draußen. Als wir uns von der Krankenschwester in mein Zimmer führen ließen, legte sich die spürbare Wut um Taichi etwas und er atmete laut aus. „Tut mir leid, dass ich so ausgerastet bin“, sagte er leise und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. „Ich konnte einfach nur nicht mit anhören, was er über dich gesagt hat.“ Mir schoss augenblicklich die Röte ins Gesicht und der wütende Bienenschwarm in meinem Magen flog orientierungslos durch die Gegend. Ich lächelte ihn aufmunternd an und sagte leise: „Kein Problem. Ich… ich … danke.“ Er grinste, ungemein erleichtert und nur einen Moment später fand ich mich in seinen Armen wieder, die Nase gegen sein Schlüsselbein gedrückt. Kurz war ich unsicher, wie ich reagieren sollte, dann schlang ich zögernd die Arme um ihn. Die Bienen summten zufrieden. „Äh, Tai“, sagte Takeru neben uns und räusperte sich vernehmlich. Ich zuckte zusammen, aber Taichi machte keine Anstalten die Umarmung zu lösen. Über meinen Kopf hinweg sah er meinen kleinen Bruder an. „Was meinte er damit, dass wir uns vor Gericht sehen?“ Taichi löste sich nun doch von mir. Lächelte verlegen. „Mein Dad ist Anwalt. Ich hab ihn praktisch… verklagt“, erklärte er. „Was?!“, rief ich erschrocken aus. „Taichi, du kannst ihn doch nicht verklagen!“ „Wieso nicht?“, erwiderte er überrascht. „Du hast doch gesagt, du würdest es auch tun. Außerdem hat mein Dad bisher noch keinen Prozess verloren. Und das wird er auch nicht – nicht gegen so einen Idioten.“ Ich war zu verlegen, um jetzt auch noch etwas zu erwidern. Schließlich hatte er es für mich getan. In meinem Magen stieg ein unbekanntes Gefühl auf. Er hatte das für mich getan. Er hatte sich für mich eingesetzt und somit verhindert, dass der Psychiater mich für unbestimmte Zeit hier behalten hatte. Ganz ohne dabei an die Konsequenzen zu denken oder an sich. Nur an mich. Es war ein gutes Gefühl. ~ Taichis POV ~ Die Türen öffneten sich und ein Schwall kalter Luft drang uns entgegen. Hastig schloss ich meine Jacke, Yamato steckte die Hände in die Jackentaschen und zog die Schultern hoch. Einzig und allein Takeru schien gegen die Kälte immun zu sein. Er ging, wieder gut gelaunt, neben uns die Straße entlang und warf immer wieder interessierte Blick in die Umgebung. Ein kleiner Hund kam an uns vorbei und rieb sich zutraulich an Yamatos Bein, bis sein Herrchen ihn weiter rief. Takeru lachte. Wir liefen hinunter in den U-Bahnschacht und stiegen in einen der Züge ein, der Richtung Innenstadt fuhr. Yamato stand die ganze Zeit schweigend da und starrte zu Boden. Einen Moment stieg in mir der Gedanke auf, ihn zu fragen, ob ich mich nicht umsonst für ihn eingesetzt hatte, aber ich ließ ihn wieder fallen. So etwas wollte ihn jetzt nicht fragen. Er war gerade erst der Hölle entkommen, da musste ich ihn nicht wieder dran erinnern. Dennoch stand er mir etwas zu weit weg, aber ich wagte es nicht, ihn zu mir zu ziehen, da ich noch immer Takerus misstrauischen Blick vor Augen hatte, als ich Yamato vorhin im Krankenhaus umarmt hatte. Als wir wieder hinauf in die Freiheit kamen, war es dunkel. Neben mir gähnte Takeru herzhaft und ließ ein müdes Brummen hören. Kurz wanderte mein Blick hinüber zu Yamato, aber er starrte noch genauso zu Boden, wie ein paar Minuten zuvor. Er schien so sehr in Gedanken versunken, dass er zuerst gar nicht mitbekam, dass ich ihn ansprach. „Yama?“, versuchte ich es ein zweites Mal und er sah verwirrt auf. „Hm?“ „Du…“, fing ich an und stockte, als mir nicht dir richtigen Worte einfielen. Was sollte ich denn auch fragen? Ob er sich sicher war, dass er nicht doch verrückt war und in dieses Krankenhaus gehörte? Ich atmete tief ein und entschloss mich, es sanfter an zu gehen. „Stimmt es, dass du dich ritzt?“ Das war zwar nicht unbedingt die sanfte Art, die ich hatte haben wollen, aber solange Yamato in meiner Nähe war, konnte ich keinen vernünftigen Gedanken fassen. Yamato stutzte und warf einen vorsichtigen Blick zu Takeru. Dieser blieb stehen und sah seinen Bruder verständnislos und etwas misstrauisch an. Mir wurde klar, dass Takeru davon nichts wusste und ich Yamato gerade in eine große Bredouille gebracht hatte. Ich lächelte ihn entschuldigend an. „Wieso sollte er das tun?“, fragte Takeru mich scharf. „Ich weiß nicht, ich…“, fing ich unsicher an, fühlte mich furchtbar unwohl. Ich wollte die Situation nicht noch schlimmer machen, als sie ohnehin war. Glücklicherweise kam Yamato mir zu Hilfe. „Takeru, er wollte es doch nur wissen“, sagte er besänftigend zu seinem Bruder. „Schließlich hat Herr Fuji es gesagt.“ „Und, tust du es?“, wollte Takeru missgelaunt wissend. Er sagte dies in einem Ton, wie als wäre es das Dümmste, was man machen konnte, um sich selbst und seine Mitmenschen zu blamieren und entstellen. Yamato wand sich sichtlich und schüttelte dann den Kopf. Es verwunderte mich etwas, aber ich sagte nichts dazu. Takeru warf mir einen spöttischen Blick zu, schnaubte und trabte voran. Er schien damit zufrieden, doch ich hatte kurz die Angst in seinen Augen aufflackern sehen, als Yamato gezögert hatte. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, schlenderte er vor uns dahin, warf immer wieder einen kurzen Blick zurück. Yamato lief dich hinter mir. Sah kurz zu seinem Bruder, dann hielt er mich am Ärmel fest und ich blieb überrascht stehen. Er räusperte sich leise und schluckte. „Sag es ihm nicht, okay?“, flüsterte er und blickte mich verzweifelt an. „Er… er weiß es nicht. Und er soll es auch nicht wissen. Takeru würde es nicht verstehen. Er… du hast seinen Blick gesehen. Er denkt, es ist idiotisch und dumm.“ Fassungslos starrte ich ihn an. Sagte er mir damit, dass er sich selbst verletzte? „Bitte, Taichi…“ Ich nickte stumm, schluckte den großen Klos in meinem Hals hinunter. Yamato lächelte mich zaghaft an und wandte sich ab, ging Takeru hinterher, der ungeduldig an der nächsten Straßenecke auf uns wartete. Als er sah, dass wir uns wieder in Bewegung setzten, bog er ab und verschwand in der Dunkelheit. In meinem Kopf ratterte es unablässig, ich hatte das Gefühl, gleich den Boden unter den Füßen zu verlieren. Bevor Yamato sich all zu weit von mir entfernen konnte, griff in nach seinem Handgelenk und zog ihn zurück. Er sah mich erschrocken an. „Wie lange?“, platzte ich heraus, konnte mich nicht mehr zurück halten. Ich musste es wissen! Wenn Yamato sich wirklich selbst verletzte, dann… ich konnte mir gar nicht vorstellen, was alles in seinem Leben schief gelaufen sein musste, damit dass passiert war. Von Takeru wusste ich, dass ihre Mutter gestorben war, kurz darauf die Großmutter. Jedoch schien Takeru das alles überwunden zu haben, wieso Yamato nicht? Sie waren doch Brüder. „Was meinst du?“, fragte Yamato, sah mich dabei allerdings nicht an. Mir war klar, dass er eigentlich ganz genau wusste, was ich meinte. „Wie lange?“, wiederholte ich deshalb nur und zwang ihn, mich anzusehen. Mit zwei Fingern fixierte ich sanft sein Kinn und hob es an. Die blauen Augen huschten umher, bis sie sich auf einen fernen Punkt über meinem Kopf fixierten. „Seit ich… zwölf bin, glaub ich“, flüsterte Yamato leise. „Aber ich…“ „Wieso?“, unterbrach ich ihn verständnislos. Mittlerweile konnte ich Takerus Reaktion nachvollziehen. Es tat weh zu wissen, dass er innerlich so verzweifelt war. Takeru musste es wahrscheinlich noch viel mehr schmerzen. Er lebte schließlich schon immer mit ihm zusammen. „Es…“, er stockte und biss sich auf seine zitternde Lippe. „Es wurde zuviel. Alles… Ich hab’s nicht mehr ausgehalten.“ Er riss sich von mir los und verschränkte die Arme vor der schmalen Brust, rieb sich fröstelnd über die Oberarme und fügte leise hinzu: „Aber ich hab’s nicht mehr getan. Ehrlich.“ Ich wusste nicht, ob ich ihm glauben konnte, aber ich wollte ihn zu nichts zwingen. Jedenfalls nicht hier. Zudem sah ich das Zittern seines Körpers, auch wenn er es zu verbergen versuchte, und das hatte sicherlich nichts mit der Kälte zutun. Wie als hätte er meine Gedanken gespürt, wandte Yamato sich von mir ab und straffte die Schultern. Er war stark, das musste man ihm lassen. „Gehen wir weiter, sonst muss Takeru so lange vor der Haustüre warten“, sagte er und seine Stimme war wieder gefasst. Tonlos. Ich fragte mich, ob ich zu nah an ihn heran getreten war und traute mich nicht mehr, das Wort an ihn zu richten. Wie würde ich wohl reagieren, wenn mich jemand auf dieses pikante Thema ansprechen würde? Wahrscheinlich wäre es mir unangenehm und ich wäre nicht gewillt darüber Auskunft zu geben. Dass, was Yamato mir verraten hatte, war eigentlich schon viel zu viel. Schweigend gingen wir nebeneinander her, seine Worte schwirrten in meinem Kopf herum. Als weiße Dunststreifen, die wie Wasser durch meine Finger glitten, wenn ich sie ergreifen wollte. Es waren zu viele und doch zu wenige. Es wurde alles zu viel… Alles. Ich hab’s nicht mehr ausgehalten. Was meinte er damit? Was war in seinen Augen alles? War seine Psyche um so viel schwächer, als die von Takeru oder war Takeru einfach nur nicht so anfällig für solche Reaktionen? Hatte Yamato etwas erlebt, was Takeru nicht erlebt hatte? Die Antwort darauf fand ich nicht. Nicht nur deswegen, weil Yamato so dicht neben mir lief und ich die ganze Zeit über den Drang verspürte, nach seiner Hand zu greifen, sondern auch deswegen, weil sich etwas in mir dagegen wehrte, die Antwort hören zu wollen. Wahrscheinlich würde ich sie nicht einmal hören wollen, wenn Yamato sie mir höchst persönlich erzählte. Ich schielte zu Yamato hinüber, bemerkte, dass er meinen Blick erwiderte. Er wandte sich hastig ab, während sich ein Lächeln auf mein Gesicht schlich. Kurz warf ich einen Blick nach vorne. Dort in der Dunkelheit konnte man das große Hochhaus erkennen, in dem die beiden Ishidas wohnten. Mein Auto parkte davor und heute Abend würde ich wieder nach Hause fahren. In eine Welt ohne Yamato. Ich atmete tief durch und ergriff seine Hand. Yamato zuckte zusammen, sah mit undefinierbarem Blick zu mir hoch, dann senkten sich die blauen Augen wieder gen Boden. Lange Finger schlangen sich um die Meinen und mein Händedruck wurde zaghaft erwidert. Part IX END ♠ Nach langer Zeit endlich mal wieder was von AYW - und natürlich ein Lebenszeichen von mir :D Tut mir leid, dass es doch wieder so lang wurde, der viele Urlaub hat mich doch irgendwie fertig gemacht.... >_> Jaahh, das mit dem Anwalt war heftig, aber nach langen Gesprächen (xD), weiß ich jetzt, dass es passend war... oder was meint ihr? Und falls es noch jemandem komisch vorkommen sollte, warum Herr Fuji gleich wusste, er Taichis Vater ist: In meiner Vorstellung sieht Taichi genauso aus wie sein Dad >D Aber das kommt eh noch mal. Ich möchte mich hier noch mal dafür bedanken, dass so viele Kommentare zum letzten Kapitel eingegangen sind, das ehrt mich jedes Mal wirklich sehr - außerdem gebt ihr mir so viel Inspiration, dass ich gar nicht mehr weiß, wohin damit :D Wie immer bin ich jetzt schon ganz gespannt darauf, was ihr alle so zu dem neuen Kapitel sagt... :) Alles Liebe & einen schönen Schulanfang (wobei ich glaube, dass alle außer Bayern eh schon dran sind, oder? oô) Nikolaus PS: Und wieder ein großes DANKE an meine Erste-Sahne-Betas :D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)