All You Wanted von Nikolaus (Taichi x Yamato) ================================================================================ Kapitel 8: To Show You The Way (Yamato/Taichi) ---------------------------------------------- Special now: gebatet by & ~ Yamatos POV ~ Es war ein unglaubliches Gefühl. Noch nie war ich jemandem so nahe gewesen und hatte es auch noch selbst gewollt. Noch nie hatte mich jemand so bereitwillig in sein Herz gelassen, ohne den eigenen Nutzen daraus zu ziehen. Ich wusste nicht, wieso Taichi das tat. Wahrscheinlich aus demselben Grund, weshalb mir Herr Heiji immer so nahe kam, aber bei ihm konnte ich mir das nicht vorstellen. Es musste etwas anderes sein. War es möglich, dass er mich einfach nur mochte? Wie… einen Freund? Oder bildete ich mir das nur ein, damit ich mich nicht so schmutzig fühlen musste, wenn ich in seinen Armen lag? Ich wusste, dass ich auf die meisten Menschen nicht sehr freundlich wirkte und auch ihm hatte ich schon einige unfreundliche Sachen an den Kopf geworfen. Es ergab einfach keinen Sinn, dass er sich bedingungslos in meine Nähe begab und auch noch freiwillig dort blieb. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass er gar nicht mehr weg wollte. Das war natürlich reine Fiktion, aber allein das Gefühl, das dabei entstand, war schön. Zu wissen, dass man von jemandem gebraucht wurde. Nicht so, wie ich von Dad und Takeru gebraucht wurde. Sie könnten mich auch jederzeit durch eine Hausfrau ersetzten und es würde sie möglicherweise genauso glücklich machen. Bei ihm war ich mir sicher, dass niemand anderes mich ersetzen konnte. In seiner Nähe fühlte ich mich… einzigartig. Ein Gefühl, dass ich nur selten in meinem Leben gehabt hatte. Wie konnte ich denn nur jemals glauben, ihn nicht zu mögen? Vielleicht hatte ich zu sehr an meinen Vorurteilen gehangen – ja, das war sogar sehr wahrscheinlich. Denn nichts von meinen Beschuldigungen bewahrheitete sich. Er war weder ein Egoist, noch war er überheblich, pervers oder engstirnig. In einigen Momenten konnte ich sogar so etwas, wie eine unscheinbare Intelligenz in den braunen Augen aufflammen sehen und die Worte, die danach seinen Mund verließen, kombiniert mit dieser weichen, tiefen Stimme, jagten mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken. Er zeigten mir, dass ich ihm wirklich etwas bedeutete. Und er mir. Noch nie hatte ich mich so einsam gefühlt, wenn ich alleine war. Natürlich, auch früher war die Einsamkeit in mir aufgestiegen, wenn die Präsenz eines anderen Wesens fehlte, aber nun… solange er nicht bei mir war, fühlte ich mich einfach nicht komplett. Wie als würde ein Teil von mir fehlen, dass er rücksichtslos mit sich nahm, wenn er ging und erst wieder brachte, wenn er morgens an meine Seite trat. Das war ein furchtbar naives Gefühl, oder? Schließlich wusste ich tief in meinem Innern schon, was für Symptome ich aufzählte, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Es würde das Alles zerstören. Einfach so. Mit einem Schlag. Jetzt hatte ich endlich einmal etwas, woran ich mich festhalten konnte und ich würde es nicht wieder gehen lassen. Auf keinen Fall. Und selbst wenn es ich mich blamieren oder als Idioten darstellen würde. Es war mir egal. Ich hatte Takerus Blicke bemerkt und seine Fragen in diese Richtung, doch bei ihm konnte ich beruhigt sein, dass er nichts davon merkte. Er war eifersüchtig, weil sein großes Vorbild öfter mit mir zusammen war, als mit ihm. Bei anderen Leuten konnte ich das leider nicht so einfach sagen. Es gab mehrere, deren Blicke nicht mehr einfach nur zweideutig waren. Einer seiner Freunde schien förmlich zu wissen, was ich für ihn empfand und spielte mit jeder spitzen Bemerkung darauf an. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er sich wegen mir mit zwei seiner Freunde so zerstritten hatte. Sie waren meine Peiniger gewesen, aber… war ich dieses Opfer wirklich wert? So sicher war ich mir da nicht. „Yama, hör auf Trübsal zu blasen!“ Ich hob erschrocken den Kopf und sah zu Taichi. Grinsend lief er neben mir her, die Sporttasche lässig über die Schulter gehängt. Heute war das Wetter einigermaßen gut, ein seltener Zustand um diese Jahreszeit, und wir konnten zu Fuß gehen ohne vom Regen bis auf die Knochen durchnässt zu werden. Ich mochte es, einfach so neben ihm herlaufen zu können. „Ich blase kein Trübsal“, erwiderte ich. „Natürlich tust du das“, sagte er und sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Sofort stieg in mir ein mulmiges Gefühl auf und ich wandte den Blick ab. Ich wusste, was das bedeutete. In diesen zwei Wochen, die unsere Freundschaft nun schon zählte, war es oft genug passiert und es wurde mir immer wieder übel dabei, wenn ich daran dachte, dass ich der Grund war. Wenn Taichi ernst wurde, hieß das für mich, die Wahrheit zu sagen. Ich konnte gut lügen, aber ihn anzulügen… ich konnte es einfach nicht. Es war unangenehm und erschreckend zu gleich, wie sehr ich mich selbst an ihn band. Dennoch machte es mich verlegen, dass er jede meiner Stimmungen anhand meines Gesichtsausdrucks erkennen konnte. Hieß das nicht, dass er mich beobachtet hatte, um genau das zu wissen? Das er sich... für mich interessierte? „Wenn es wegen Shusuke und Yuri ist“, fing Taichi an und das Hochgefühl, dass ich gerade selbst herauf beschworen hatte, verschwand, ersetzt durch die Furcht. Furcht vor dem, was sicherlich kommen würde. Das Thema Shusuke und Yuri hatte ich in der letzten Woche bewusst ausgelassen. Ich wollte nicht über die beiden reden und eigentlich hatte ich auch nicht vor, es jemals wieder zu tun. Immer wenn Taichi es angesprochen hatte, lenkte ich ab oder schaltete auf stur. Natürlich tat es in gewisser Weise weh ihn zu ignorieren, aber mir blieb einfach keine andere Wahl. Sonst müsste ich reden und das wollte ich nicht. Schließlich hatte Taichi durch mich die beiden verloren und ich wusste, dass sie davor sehr gut befreundet gewesen waren. Nur konnte ich ihnen nicht ins Gesicht sehen, ohne die Schreie und das Gelächter in meinem Kopf zu hören. Es war wie ein immer wieder kehrender Alptraum, der mich einholte und als Film vor meinem inneren Auge ablief, sobald die beiden in meiner Nähe waren. Es war die Paranoia, die mich allmählich durch fraß und die auch Taichis Nähe nicht verhindern konnte. Die Angst vor dem Zerbrechen, die Tief in meinem Inneren wohnte und jeden Moment auszubrechen drohte. Der Drang, dem Allen ein Ende zu setzen. Letzteres wurde durch Taichis Gegenwart in Schach gehalten, aber die anderen Ängste nicht. Sie waren immer präsent, bereit mich zu verschlucken und nicht mehr herzugeben. „Hör mal Yama“, sagte Taichi besänftigend und hielt mich an einem Arm fest. Ich blieb stehen und sah konstant zu Boden, wollte jetzt nicht mit dem besorgten Blick der braunen Augen konfrontiert werden. Sonst würden die Emotionen überschwappen, ich wusste es. „Ich weiß ja, dass das schwer für dich ist, aber irgendwann müssen wir mal darüber reden. Schließlich sind die beiden meine Freunde und… es ist immer besser, wenn man darüber redet.“ Ist es nicht. „… möglich.“ „Es ist nicht nur möglich, Yama. Es ist so, glaub mir einfach.“ Ich hätte es gerne getan. Ehrlich. Ich würde ihm wirklich gerne glauben, aber etwas hinderte mich daran. Wahrscheinlich die Furcht, die ich vor anderen Menschen hatte und die sich auch bei Taichi noch nicht gänzlich gelegt hatte. Er war mein Hafen, in den ich jeder Zeit zurück kehren konnte, wenn ich es draußen nicht mehr aushielt, aber der Hafen zerbröckelte, sobald Taichi etwas über mich wissen wollte. Was sollte ich ihm denn schon sagen? Dass ich ein emotionales Wrack war, das es nicht schaffte, sein eigenes Leben auf die Reihe zu kriegen und das Angst vor seinen Mitbürgern hatte? Nein, niemals. „Okay“, seufzte Taichi neben mir ergeben. „Du willst nicht darüber reden, schon verstanden. Aber irgendwann musst du es tun. Wir können nicht die ganze Zeit vor ihnen davon laufen, ich hoffe das ist dir klar. Die letzten zwei Wochen mag das ja funktioniert haben, aber jetzt nicht. Ich gehe mit ihnen in eine Mannschaft und sie sind in deiner Klasse. Irgendwann wird die Konfrontation kommen.“ Ich weiß. Aber ich sagte nichts. Ihm jetzt recht zu geben, hieß, dass ich mit ihm darüber reden musste. Und ich glaubte einfach nicht daran, dass es mir danach besser gehen würde. Bisher hatte es doch auch so geklappt, wieso sollte ich das jetzt ändern? Mein ganzes Leben lang hatte ich meine Gefühle für mich behalten, die Wünsche versteckt, die Sehnsüchte unterdrückt. Er konnte nicht einfach so kommen und etwas Anderes verlangen! Ich… ich konnte nicht plötzlich darüber reden! Ich wusste ja nicht einmal, wie. Meine Hände zitterten. Ich krallte sie in den Saum meines T-Shirts und starrte stumm auf den Asphalt, während wir uns wieder in Bewegung setzten. Es würde keine Minute mehr dauern und wir würden um die Ecke biegen, das große Schulgebäude direkt vor uns. Und Taichi würde zu seinen Freunden gehen und nicht so wie die letzten zwei Wochen, sich mit mir zwischen den Schülern verdrücken. Ich müsste in meine Klasse, zu meinen persönlichen Peinigern. Sie hatten mich ignoriert, aus offensichtlichem Zorn, aber das war nun wahrscheinlich vorbei. Es war praktisch das Omen alles Bösen, das über dem Schultor hing, als wir es passierten. Taichi griff nach meiner Hand, aber als er merkte, dass ich mich dabei nur noch mieser fühlte, ließ er sie los. Sein Blick richtete sich auf die linke Ecke des Schulhofs. Direkt auf die große Traube von Jungen, zu denen auch Takeru, Shusuke und Yuri gehörten. Yuris Haare waren heute wieder blond, dafür trug er ein sehr schrilles Outfit. Wieder stellte sich mir die Frage, wie er seine Homosexualität verbergen konnte, wenn er so angezogen war. „Ich geh dann mal“, sagte ich leise zu Taichi und drehte mich um. Das Gefühl, ein Stück von mir zurück gelassen zu haben, stellte sich sofort ein und am liebsten hätte ich mich wieder umgedreht, aber ich tat es nicht. Da packte mich eine Hand und zog mich mit einem Ruck zurück. Ich geriet ins Stolpern und nur Taichis guter Reaktion hatte ich es zu verdanken, dass ich nun nicht auf dem Boden lag. Er half mir mit einem verlegenen Lächeln wieder hoch und sah mich entschuldigend an. Ich zuckte abwehrend die Achseln. „Du willst doch jetzt nicht ernsthaft gehen, oder?“, fragte er. „Wieso nicht? Es sind deine Freunde.“ „Ja, schon“, räumte er ein und kaute kurz auf seiner Unterlippe herum, bevor er hinzufügte: „Aber du auch, Yama. Und ich will, dass du endlich dazugehörst.“ „Ich werde nie dazu gehören“, entgegnete ich stur. „Das weißt du doch gar nicht.“ „Sie mögen mich nicht“, sagte ich nun noch deutlicher und um eine Spur schärfer, als nötig gewesen wäre. Taichi zuckte zusammen und sah mich an. Er wusste, dass ich Recht hatte. Seine Freunde mochten mich nicht, weil ich in ihren Augen ein Außenseiter war. Ein komischer Freak, der nur durch Zufall den nettesten Bruder der Welt hatte. Ein kleines, bösartiges Biest, das nur darauf wartete, sich in ihre Reihen zu involvieren und sie von innen heraus zu zerstören. Natürlich war das Unsinn, aber sie sahen es als die Wahrheit an. Ich hatte nicht vor, ihnen das Gegenteil zu beweisen, denn ihre Abneigung war keine schöne Begrüßung. Als Taichi mich letzten Mittwoch zum Mittagessen mit an ihren Tisch genommen hatte, wurde ich von ihren hämischen und ungläubigen Blicken praktisch bei lebendigem Leibe gefressen. Denn nur weil Taichi mich mochte, schienen sie nicht geneigt zu sein, mir ebenfalls eine Chance zu geben. Nicht, dass ich das erwartete, aber… Taichi eben schon. Es schien ihn sehr zu frustrieren, dass seine Freunde mich nicht mochten. Ich trug einen großen Teil dazu bei, mit meiner Wortkargheit, den bösen Blicken oder meiner zurückhaltenden Art, doch wenn ich ehrlich zu mir selbst war, würde ich das nicht ändern. Taichi nahm mich so hin, wie ich war. Wenn die anderen das nicht tun wollten, würde ich sie nicht dazu zwingen. „Bitte Yama“, flehte Taichi leise und griff wieder nach meiner Hand. Erschuf den Körperkontakt, den ich bei anderen Menschen so sehr verabscheute. Nur bei ihm nicht. Bei ihm gab es mir Vertrauen und Sicherheit. Nur dieses Mal nicht. „Ich kann nicht“, erwiderte ich und zog meine Hand zurück. „Du weißt doch ganz genau, dass es ihnen nicht gefällt, wenn du mich mitbringst.“ „Das ist mir doch egal.“ Ich stockte und sah zu ihm hoch. Wieso log er? Es war ihm doch förmlich vom Gesicht abzulesen, dass er sich nichts Anderes wünschte, als genau das. „Bitte Yama“, flehte er wieder und umschloss mit festem Griff meine Hand. In meinem Kopf schwirrten die Gedanken umher und ich war unfähig, auch nur einen von ihnen zu fangen. Selbst wenn ich jetzt mit Taichi zu ihnen gehen würde, um ihn glücklich zu machen, würde es mir nichts als Frustration bringen. Aber… war es nicht immer das gewesen, was ich schon immer gemacht hatte? Wieso fiel es mir jetzt so schwer? Seit wann war ich denn so selbstsüchtig? Ich hatte keine Antwort darauf, aber ich wusste nur einen Wimpernschlag später, dass ich mit ihm mit gehen würde. „Alles in Ordnung?“, er klang besorgt. Ich rang mir ein Lächeln ab und schüttelte den Kopf, sagte leise: „Alles okay. Und jetzt sollten wir besser gehen.“ Obwohl ich wieder zu Boden sah, wusste ich, dass er grinste. Es machte ihn glücklich und auf eine sehr surreale Weise, machte es mich das auch. Ich war glücklich, weil er glücklich war. Einfach total abstrus. Die Meter bis zu der Menschentraube kamen mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Der Asphalt schien an meinen Füßen zu kleben und machte jeden Schritt zu einer Herausforderung. Am Liebsten hätte ich mich einfach fallen gelassen, gespürt, wie der Boden unter mir schwand, und wäre in die bodenlose Dunkelheit gefallen, aber ich tat es nicht. Taichis gleichmäßiger Schritt hielt mich davon ab und gab mir gleichzeitig die Klarheit im Kopf, die ich so dringend benötigte. Wenn ich mich ihren Schikanen aussetzen wollte, dann musste ich es bewusst tun. Wer wusste schon, wie ich sonst reagieren würde. „Hey Tai!“ Taichis Hand, die bis dato noch mein Handgelenk umklammert hatte, verschwand plötzlich und machte einer eisigen Kälte platz. Das kleine Stückchen meiner selbst wehte davon, Taichi hinterher. Ich hob den Kopf, obwohl ich es nicht wollte und sah zu den anderen Jungen. Takeru kam auf mich zu, mit einem breiten Grinsen im Gesicht und den Arm um die Schulter eines Mädchens gelegt. Sie hatte braune, lange Haare. Braune Augen. Ein freundliches Lächeln. Sie sah aus wie Taichi. „Yama!“, rief Takeru freudig, wie als hätten wir uns nicht erst vor einer halben Stunde voneinander verabschiedet, und fuhr mir durch die Haare. Eine Geste, die wohl ich bei ihm hätte machen sollen, aber Dank unseres Größenunterschieds ging das nicht. „Hi“, erwiderte ich und musste mit Schrecken feststellen, dass meine Stimme eiskalt klang. Takeru schien es nicht zu bemerken, aber das Mädchen verzog den Mund. Dann streckte sie mir jedoch die Hand entgegen und sagte: „Hey, Yamato, ich bin Hikari. Taichis kleine Schwester. Er hat schon ´ne Menge über dich erzählt.“ Ich schüttelte sie und spürte gleichzeitig, wie mir heiß wurde. Hikari lächelte freundlich. „Keine Angst, nur gute Sachen.“ „Oh… o na dann, ist ja gut.“ Ich lächelte zaghaft zurück. Hikari kicherte. Aus den Augenwinkeln gewahrte ich eine Bewegung und tief in mir wusste ich, wer sie verursacht hatte. Wer da hinter mir stand und mich ansah. Aber ich wollte es nicht wahr haben. Vor mir stand Takeru, mit Hikari und dort irgendwo in der Menge war Taichi. Sie würden es nicht wagen, mir etwas zu tun. Nicht jetzt, nicht hier… Wann dann? „… Na sieh mal einer an.“ Yuris Stimme klang hämisch und rachsüchtig. Äußerlich ungerührt drehte ich mich zu ihnen um und sah sie an. Auf Shusukes Wange war ein kleiner, blauer Fleck zu sehen. Yuris Unterlippe war noch immer grässlich entstellt, bot den Anblick einer mit Gewalt aufgekratzten Fahrbahn, deren etliche Krater metertief gingen. Weiße Salbe über der Unfallstelle, ließ die Wunde schmierig und eiternd wirken. Ich würgte und wandte den Blick ab. Solche Wunden waren widerlich und sie erinnerten mich nur zu genau daran, dass ich normalerweise derjenige war, der nach einem unserer Zusammentreffen so entstellt war. Sicherlich schürte das ihre Wut nur noch mehr, dass ich, bis auf ein paar blaue Flecken und den kleinen Kratzer an der Stirn, unversehrt geblieben war. Ich wusste, dass Taichi nicht immer bei mir war, spürte die kalte Stelle in meinem Sein, die Taichi jedes Mal mit sich fort riss, und stellte mich schon einmal darauf ein, dass ich das nächste Mal wieder die Blessuren davon tragen würde. Viele Blessuren. „Was suchst du denn hier, Ishida?“, fragte Shusuke mit einem hämischen Lächeln und kam einen Schritt auf mich zu. Ich unterdrückte den panischen Drang wegzulaufen und blieb standhaft, so schwer es mir auch fiel. Die Hoffnung, dass Takeru oder Taichi mir helfen würden, wurden zu einem blassen Nebelschweif, der mir durch die Finger glitt, sobald ich ihn zu fassen versuchte. Panik kroch mir die Kehle hoch und besetzte mein Denken. Die bekannte Paranoia gesellte sich dazu. Langsam verschwamm meine Sicht, drehte und veränderte sich und ich hatte für einen Moment das Gefühl, als würde die Welt auf dem Kopf stehen. Dann sah ich die herabschnellend Fäuste, spürte den Schmerz. Der Film vor meinem inneren Auge begann zu laufen, schnell, rasend. Unaufhaltsam. Ich sah Dad, wie er betrunken in der Wohnung herumtorkelte und die alten Familienfotos schreiend zerstörte. Takeru, wie er weinend in seinem Zimmer saß und den großen Plüschteddybären umklammerte. Ich sah Mum, mit dem freundlichen Lächeln. Mit dem Loch im Kopf. Das Blut, über ihren ganzen Körper verteilt. Der Mund, zu einem stummen Schrei geöffnete. Stimmen erklangen hinter meinen Schläfen, fingen hektisch an zu reden und schimpfen. Eine klang wie Dad, eine Andere wie Shusuke. Imaginärer Schmerz durchzuckte mich. Meine Stirn pochte. Ich krallte die Hände in die Haare und wollte nur noch, dass es aufhörte. Sie waren so lange verstummt gewesen, wieso waren sie jetzt wieder da? Wieso ließen sie mich nicht endlich in Ruhe?! Wieder sah ich die Bilder, zahlreicher als jemals zuvor. Dad. Mum. Blut. Überall Blut. Meine Lider flackerten und der Asphalt unter meinen Füßen schien zu beben. Mein Gleichgewicht schwand, ich taumelte. Mein Körper zitterte unkontrolliert. Die Welt vor meinen Augen begann zu verschwimmen. Angst vernebelte mein Denken. Und dann hörte ich einen Schrei. Hoch, verängstigt, panisch. Mein Schrei. ~ Taichis POV~ Regungslos beobachtete ich, wie sich Shusuke und Yuri Yamato langsam näherten. Wie Raubtiere, die ihre Beute fixierten, um sich jeden Moment auf sie zu stürzen. Ich ignorierte Fu, der neben mir stand und mit mir redete. Oder es auch schon nicht mehr tat, ich bekam es nicht mit. Meine Augen hefteten sich auf die Beiden. Sie begannen mit Yamato zu reden. Yamato drehte sich kühl zu ihnen um und sah sie an. Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass er keine Angst vor ihnen hatte. Ich hatte das Zusammentreffen von den Dreien immer gefürchtet. Doch es sah zuversichtlich aus. Shusuke sagte erneut etwas, worauf Yamato stumm blieb. Er ging auf ihn zu und ich konnte das kaum wahrnehmbare Zucken seiner Hände sehen. Ein Zeichen dafür, dass er wegrennen wollte. Ich bewunderte ihn dafür, dass er es nicht tat. Aber dann veränderte sich seine Haltung. Die blauen Augen, die gerade noch Shusuke fixiert hatten, schweiften ab. Hastig ging ich zu ihm, musste mir mit den Ellenbogen einen Weg durch die Traube von Schülern bahnen, die sich schon um sie angesammelt hatte. Als ich endlich da war, trat Yamato einen Schritt zurück. Er zitterte am ganzen Körper. Sein Blick huschte hektisch umher. Sein Atem rasselte. „Yama?“ Er reagierte nicht. Er schien mich nicht einmal wahrzunehmen. Neben mir versuchte es Takeru ebenfalls ohne Erfolg. Meine kleine Schwester stand neben ihn, sah so besorgt aus, wie ich mich fühlte. Die Angst schnürte mir die Kehle zu und nur mit Mühe konnte ich meinen Blick wieder auf Yamato richten. Er zitterte immer noch, wimmerte leise. Shusuke und Yuri machten betretene Gesichter, wollten verschwinden, aber sie blieben stehen. Konnten sich nicht von dem Schauspiel losreißen. Ich ging vorsichtig auf Yamato zu und berührte ihn an der Schulter. Yamato taumelte. Sackte auf die Knie und krallte die Hände in die Haare. Sein Mund öffnete sich, hektischer, lauter Atem erfüllte die Stille ringsherum. Dann begann er zu schreien. Ohrenbetäubend laut. Erschrocken machte ich einen Satz zurück, sah verzweifelt zu Takeru. Diesem stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Die Umstehenden gaben keinen Laut von sich. Yamato beugte den Oberkörper nach vorne, das Schreien wurde lauter. Es klang, wie als ob ihn jemand foltern würde. Er holte keine Luft, schien sie nicht zu brauchen. Der Laut hallte in meinen Ohren nach, verklang langsam und bitter. Es erinnerte mich an den monotonen Hupton, den tote Autoinsassen nach einem Unfall verursachten, wenn ihr Kopf auf das Lenkrad fiel. Nur, dass Yamato nicht tot war. Er lebte. Und schrie. Und schrie. Meine Füße wollten sich nicht vom Boden heben, aber mit aller Macht kämpfte ich mich nach vorne. Es kam mir so surreal vor, wie ich ihn an den Schultern packte und schüttelte. Yamato zeigte kein Zeichen der Reaktion. Als ich seinen Kopf anhob, sah ich die Tränenspuren. Panik breitete sich in mir aus. Unverständnis und Verzweiflung. Ich wusste nicht, was gerade hier vor sich ging. Wieso schrie er? Was war der Anlass für die Tränen? Was passierte in seinem Innern, dass ihn so in Schrecken versetzte? Hektisch flogen meine Augen umher, ich suchte einen Grund dafür, aber ich fand keinen. Ich konnte ihm nicht helfen und das machte alles nur noch schlimmer. Ich presste seinen Körper an mich und der Schrei wurde erstickt. Bis er verklang. Ich hörte das laute Aufatmen der Menge und tat es ihr gleich. Ich hoffte, dass es vorbei war. Schlanke Finger krallten sich in mein T-Shirt, eine kalte Nase drückte sich gegen mein Schlüsselbein. Ich vergrub meine Nase in seinem Haar und flüsterte leise seinen Namen. Einen Moment kam keine Antwort. Dann: „… Taichi?“ Nur ein Hauchen, aber es war da. Ich hörte es und es versetzte mir einen Stich. Seine Stimme klang verweint, verzweifelt und ängstlich. Er regte sich in meinen Armen, ich sah es als ein Zeichen der Besserung. Aber das Winden und Kratzen, das gleich darauf einsetzte, konnte ich dem nicht zuschreiben. Yamatos Fingernägel ritzten Furchen in meine Haut, er stemmte sich gegen meinen Brustkorb. Aber ich ließ ihn nicht los. „Lass mich endlich... gehen!“, fauchte Yamato wütend und drückte sich von mir. Sein Tonfall ließ mich kurz die Kontrolle verlieren und er schaffte es, sich von mir zu lösen. Auf zitternden Beinen rappelte er sich hoch und sah mich hasserfüllt an. Ich verstand nicht. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Was war hier los? Was war mit Yamato passiert? Wer war dieser verstörte Fremde vor mir? Meine eigenen Arme zitterten, als ich mich aufrecht hinsetzte und seinen Blick erwiderte. Normalerweise würde ich mich sofort abwenden, aber ich konnte es nicht. Dort, wo Yamato die Handballen gegen die Schläfen gepresst hatte, waren rote Abdrücke zu erkennen. Die blauen Augen waren panisch geweitet, er wirkte wie unter dem Einfluss einer heftigen Droge. Seine Hände zitterten. Er krallte die Finger in die Seite und entfernte sich einen Schritt von mir, mich nicht einen Augenblick lang aus den Augen lassend. Seine Lippen formten meinen Namen, aber aus seinen blauen Iriden sprach der Hass. In mir stieg die Verwirrung. Dann löste sich plötzlich eine Gestalt aus der Menge und ich erkannte Takeru, der auf seinen Bruder zulief und ihn am Arm packte. Ihn zu sich herum wirbelte und ihm verständnislos in die Augen blickte. Yamato kämpfte gegen seinen Griff an, wand sich wie ein Fisch im Netz. Doch Takeru blieb standhaft, schickte mir einen verzweifelten Blick zu. Ich konnte nicht mehr tun, als zurück zu starren. In mir herrschte eine Leere, die ich nicht ausfüllen konnte. Mit regungsloser Miene sah ich zu, wie Yamato erneut taumelte. Takeru wich erschrocken einen Schritt zurück und kam zur spät zur Besinnung, als Yamato bewusstlos zusammen sackte. „Yama!“ Er stürzte zu ihm, ließ sich neben ihm auf die Knie sacken und beuge sich über ihn. Hikari stand daneben und ich kannte den Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie würde gleich anfangen zu weinen. Die Menge schloss sich um Yamato und Takeru. Schüler für Schüler versperrten sie mir die Sicht, aber es rührte mich nicht. In meinem Kopf hallte der hohe Schrei nach und dennoch fühlte ich dumpf, wie mich mit Watte ausgestopft. Ich war unfähig mich zu rühren, meine Beine waren an den Asphalt geklebt. Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung und erkannte Toshi, Fu und Shusuke. Sie allen waren unnatürlich blass und der Schock stand in ihren Augen. Als sie sich neben mich knieten, hörte ich ihre Stimmen wie aus weiter Ferne. „Tai, bist du… bist du okay?“ Ich ignorierte sie. Ich wollte nicht mit ihnen reden. Mit niemandem. „Hey.. hörst du uns?“ Wieso konnten sie nicht einfach abhauen? „Tai, jetzt sag schon was!“ Haut ab! „Bitte… man…“ „Tai?“ Sie wollten es nicht verstehen. Sie waren wie lästige Parasiten, die sich in meine Haut krallten und nicht mehr losließen. Mit letzter Kraft wandte ich ihnen den Kopf zu. Sie alle gaben ein schreckliches Bild ab, aber Shusuke sah am Schlechtesten aus. Und es freute mich. Er bezahlte. Endlich. „Verschwindet“, zischte ich drohend und ignorierte ihre erschrockenen Mienen. Mir war bewusst, wie kalt ich geklungen hatte, aber es war mir egal. Die Leere in meinen Innern füllte sich mit weicher Watte aus und eine eigenartige Kälte bemächtigte sich meiner Selbst. Sie rückte bis in meine Fingerspitzen vor, schaltete mein Denken aus. Ich starrte nach vorne. Zu dem unsichtbaren Punkt in der Menge, wo Yamato liegen musste. Part VIII END ♠ Allem voran: Es tut mir SO leid, dass so lange nichts mehr von mir gekommen ist. Als ich gesehen habe, dass das letzte Kapitel wirklich im März gekommen ist, bin ich fast in Ohnmacht gefallen. Aber ich hatte einfach unglaublich viel mit meinen Prüfungen um die Ohren und obwohl ich noch ein Abi habe, um alle Fehler wieder raus zu hauen, war mir mein Abschluss schon enorm wichtig. Und jetzt habe ich es endlich ALLES hinter mir und hoffe einfach mal, dass ich nicht in die mündliche Prüfung muss. Noch mal danke für all die lieben Glückwünsche für meine Prüfungen, es hat alles geholfen (jedenfalls fühlt es sich bis jetzt so an und durchfallen kann ich eh' nicht mehr ;D) Ich werde jetzt möglichst viel Zeit an AYW verbringen und weiter daran arbeiten, dass das mit dem Hochladen endlich mal schneller geht. Und vielen, vielen, vielen Dank für die zahlreichen und lieben Kommentare zum letzten Kapitel! Ich war wirklich baff als ich gesehen habe, dass es so viele sind ._. - und vor allem, dass sogar bis vor ein paar Tagen immer noch neue dazu gekommen sind! Ihr seid eine grandiose Unterstützung, mit euch geht das alles gleich viel besser :D Ihr seid so genial >3 Noch ganz kurz zum Kapitel (da ich eh schon so viel laber): Ich weiß, an mancher Stelle ist es furchtbar kitschig. Ich bin deswegen schon gespannt auf eure Meinung! :D Mal sehen, ich hoffe, die Geschichte wird nicht allzu rosa, sonst müsst ihr mich echt in wachrütteln *lach* Alles Liebe, Nikolaus PS: Meine beiden Betas nicht zu vergessen, ihr seid natürlich auch erste Sahne xD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)