Fortune & Misfortune von abgemeldet (Goldmarie & Pechmarie) ================================================================================ Kapitel 1: Pechmarie -------------------- Es war relativ dunkel im Raum. Von den drei Glühbirnen, die das Zimmer normalerweise aufhellten, war eine just in diesem Moment durchgebrannt und die Ecke, in der das schmale Bett stand, verfinsterte sofort. Das Pech schien ihn zu verfolgen. Sinedd fluchte leise vor sich hin. Nicht, dass ihn die Dunkelheit störte. Im Gegenteil, sie passte zu diesem immer-finsteren Planeten, auf dem er sich gerade befand. Was ihn hingegen aufregte, war, dass der Verschleiß an Glühbirnen mittlerweile durchschnittlich bei vier Stück pro Woche lag. Er hatte es satt, sich darüber beim Hotelservice zu beschweren. Dabei befürchtete er weniger, dass er die überhöflichen Damen und Herren nerven konnte, als dass sie ihm mit ihrer gespielten Freundlichkeit und ihrem zuvorkommenden Verhalten auf den Zeiger gingen. Als mindestens genauso nervtötetend empfand er die gesamte Raumausstattung. Er wusste nicht, wie die restlichen Zimmer seine „Kollegen“ aussahen, doch er konnte sich kaum vorstellen, dass das Ambiente dort genauso armselig ausfiel. Er hatte einfach Pech mit so was. Stöhnend platzierte er seinen Schreibtischstuhl unter der Lampe an der Decke und schaltete das Licht aus, um keinen Stromschlag zu bekommen. Ungeduldig drehte er die kaputte Birne aus ihrer Fassung und schmiss sie wütend auf den Boden. Selbstbeherrschung gehörte nicht zu seinen Stärken. Er konnte nicht erkennen, wohin die Glassplitter flogen und fluchte ein weiteres Mal. Er wurde wirklich vom Pech geliebt. Vorsichtig stieg er vom Stuhl herab und bewegte sich auf Zehenspitzen zurück zum Lichtschalter. Wieder einmal kam der Handfeger zum Einsatz. Er hasste es, aufräumen zu müssen. Doch dem Hotelpersonal vertraute Sinedd in dieser Hinsicht nicht. Und der kleinste Splitter im Fuß könnte für ihn als Fußballspieler schwere Konsequenzen haben. Mitten in Aktion, klingelte jedoch das Zimmertelefon mit einer kitschigen Melodie, welche sofort ein Augenverdrehen hervorrief. „Ja?“ „Runterkommen. Trainingsraum. Sofort!“ Und das war’s dann auch schon. Er hasste es, diese Stimme zu hören. Und er hasste die Art seines Trainers genauso. Zumindest redete er es sich täglich ins Gewissen. Grundsätzlich nahm Artegor ihn härter ran als den Rest der Shadows-Mannschaft. Natürlich liebte, wenn man das so sagen konnte, er das Fußballspielen und er wüsste nicht, wo er ohne seinen derzeitigen Coach gelandet wäre. Voraussichtlich hätte er einen Stammplatz auf der Snow-Kids-Bank sicher gehabt, wäre nie zum Einsatz gekommen und wäre bis heute ein Niemand in der Galactik-Football-Welt. Sicherlich hätte er bei den Schneekindern sogar noch sehr viel mehr Pech gehabt. Doch andererseits wäre er dort voraussichtlich auch Cup-Gewinner geworden. Alles, was er zum Feldeinsatz gebraucht hätte, wäre ein verletztes Snow-Kid gewesen. Vielleicht ein gebrochenes Bein...vielleicht eine ausgekugelte Schulter...Sinedd war sich sicher, dass er im Training einiges hätte „organisieren“ können. Alles hätte, wenn und aber interessierte doch nicht. Die Shadows hatten das Finale denkbar knapp verloren. Und nur Sinedd schien zu wissen, woran es damals wirklich gelegen hatte. Das Pech klebte an ihm wie Insekten am Fliegenpapier. Artegor hatte ihm nicht (vollständig) die Schuld an der Niederlage gegeben. Nach der verpassten Chance auf ewigen Ruhm hatte Sinedd sich so leer gefühlt, dass er gar nicht mehr wusste, worauf Artegor am meisten geschimpft hatte. Wahrscheinlich mal wieder Aarch. Doch auch die Mannschaft hatte in der Folgezeit all seine Wut zu spüren bekommen. Ganz nach dem Motto „Schneller, besser, stärker, härter, konzentrierter“ und vor allem „unfairer“ hatte der geborene Drill-Instructor von seiner Mannschaft alles abverlangt. Nur selten hatten sich die Spieler nach den Trainingseinheiten noch sicher auf den Beinen halten können, doch letztendlich hatte es sich ausgezahlt. Zum Folgecup war die Mannschaft so gut wie nie zuvor. Behaupteten zumindest die Medien. Für Sinedd bedeutete das eigentlich nur, dass er, als Herz der Mannschaft, so gut war wie nie zuvor. Doch ein Spieler wie er in Bestform hätte wohl kaum einen Pokal allein gewinnen. Natürlich hatte die gesamte Shadows-Mannschaft Pech gehabt. Fluxlos und dadurch irritiert hatten sie das K.O.-Spiel gegen die Pirates verloren, die jedoch daraufhin disqualifiziert worden waren, was dazu führte, dass die Shadows wieder ins Rennen kamen. Jeder Laie würde an dieser Stelle von Glück reden, doch Sinedd wusste, wem er die folgende, noch viel schmerzlichere Niederlage gegen die Xenons zu verdanken hatte. Schuld war nur das verdammte Pech. Er war besser als Luur und da ließ er keine Diskussion zu. Von wegen „One-Man-Show“. Ein hässliches Fischgesicht mit Raucherlunge, das im Begriff war, ihm seinen Ruf als Bad Boy-Nummer Eins streitig zu machen. Hätten elf Sinedds gegen elf Luurs gespielt, hätten die Xenons nicht den Hauch einer Chance gehabt. Doch es war doch eigentlich nur ein Sinedd gegen elf Xenons gewesen. Seine eigene Mannschaft? Alles talentfreie Idioten. In Gedanken brannte er ihnen ein unübersehbares „Loser“ auf die Stirn. In dieser Mannschaft konnte man eigentlich nichts anderes als Pech haben. Trotzdem war er immer noch hier, gefangen in einem Alltag, beherrscht von Monotonie. Jeder Morgen fing gleich an. Aufstehen um fünf Uhr morgens. Nicht selten echauffierten sich seine „Teamkollegen“ über die frühe Uhrzeit. Sinedd war das egal. Egal, ob fünf Uhr morgens oder zwölf Uhr mittags, für ihn stand fest, dass die Welt zu jedem Zeitpunkt gleich scheiße war. Das Training bei den Shadows passte sich den monotonen Abläufen an. Pure Langeweile, die ihm nur durch Artegors Hasstiraden auf Aarch und seine Snow Kids und Aufrufe zu exzessiven Fouls ein wenig versüßt wurden. Das Schicksal war nicht sein bester Freund und der Fußballgott eindeutig kein Shadows-Fan. Anders ließ sich das unsägliche Pech, das seit je her an ihm klebte wie... na ja, Pech halt... nicht erklären. Langsam schrieb er sich selbst ein „L“ auf die Stirn. Seitdem er bei diesen Shadows war, waren auch diese von seinem Pech angesteckt worden. Er würde niemals Lotto spielen. Das Gleiche galt von nun an auch für Netherball. Die Sphäre schien zerstört (und dabei war er noch in eine nette Schlägerei geraten, die ihm mehrere blaue Flecken beschert hatte) und er hätte dort eh nichts mehr zu suchen gehabt. Nur diesem verfluchten Rocket hatte er diese Blamage seiner Niederlage zu verdanken, dazu kam ein verletzter Fußknöchel, der ihm beim nächsten Spiel auch nicht sonderlich zu Gute kam. Und er gab nur ihm die Schuld. Daran, dass er umsonst ein gefährliches Spiel promotet hatte, ohne bezahlt zu werden, dafür, dass er ungeheure Schmerzen hatte erleiden müssen, und natürlich war Rocket auch verantwortlich für die Niederlage der Shadows im nächsten Spiel. Es passte doch eigentlich alles. Jedoch musste er dafür den Gedanken verdrängen, dass er sich freiwillig auf Harris’ Unternehmen eingelassen hatte, dass er das Risiko einer Verletzung von allein eingegangen war. Er hatte sich provozieren lassen, vielleicht hatte auch seine Selbstüberschätzung dazu beigetragen. Für seine Spielweise war er außerdem selbst noch nie zum fairsten Spieler der Liga gewählt worden. Egal. Es war einfach alles Rockets Schuld. Auch hier hatte Sinedd also einfach nur Pech gehabt. Einen Moment lang überlegte er ernsthaft, das Training sausen zu lassen. Stattdessen ran an die Hotelbar und sich die Situation schönzutrinken. Was für ein dummer Einfall. Es würde Schwäche bedeuten und er besaß keinerlei Schwächen. Schwächen waren etwas für Schwächlinge, hatte seit jeher sein Lebensmotto geheißen. Den modernen Schwächling verkörperten für ihn Pfeifen wie Micro-Ice oder Möchtegern-Warren D’Jok, dessen Name in Sinedd immer wieder eine frustrierte Wut auslöste, sobald der Schwarzhaarige ihn irgendwo hörte. Und das kam nicht selten vor: Die Medien schienen besessen zu sein von diesem, seiner Meinung nach, zweitklassigen Rotkäppchen, wobei doch inzwischen jeder wissen sollte, dass Sinedd bei weitem der bessere Fußballer war. Ein verlorenes Duell vor einigen Jahren hatte es nicht geschafft, ihn eines Besseren zu belehren. Wenn er an Niederlagen dachte, kam ihm auch –wieder einmal – Rocket wieder in den Sinn. Von wegen Super-Netter-Lieber-Höflicher-Schüchterner-Typ, in Wirklichkeit war er doch der reinste Psychopath! All die Aggressionen, die er zuhause nicht rauslassen durfte, hatte er in der Sphäre auf Sinedd gerichtet und ihm dabei fast beide Beine gebrochen. Als er wieder zu den Snow Kids zurückgekehrt war, wurde er natürlich gleich wieder als Everybody’s Darling gehandelt, egal, wie sehr er Luur im Finale hatte zusammenschlagen wollen. Liebend gerne hätte Sinedd eine Schlägerei auf dem Feld gesehen – sein Pech, dass daraus dann doch nichts geworden ist. Mit solchen Leuten wollte er nichts zu tun haben. Grundsätzlich wollte er eigentlich mit niemandem etwas zu tun haben. Auf dem Weg zum Trainingsraum begegnete er dem Rest seiner Teamkollegen, der dem Training sehr viel freudiger entgegen zu sehen schien als er selbst. „Alles klar, Sinedd?“ Als würde das irgendjemanden ernsthaft kümmern. Der Junge nickte nur desinteressiert und ging unbeirrt weiter. „Gesprächig wie immer“, murmelte sein Kollege herablassend und beeilte sich, um noch pünktlich den Trainingsraum zu erreichen. Er war nicht hier, um Freunde zu finden. Das sagte er sich täglich. Wenn es sein musste, stündlich. Er hatte nie Freunde gehabt. Wieso also jetzt? Und er spielte auch nicht Fußball, damit ihm die Menge zujubelte. Sollte die Leute ihn doch verehren oder ausbuhen-es war ihm egal. Es war ihm genauso gleichgültig, was in den Zeitungen dieser Welt über ihn berichtet wurde. Sie sollten doch sagen, was sie wollten. Lob oder negative Kritik, egal ob angebracht oder nicht, was konnte er sich davon kaufen? Selbst diese Redewendung passte nicht richtig. Er wollte sich gar nichts kaufen können. Geld? Luxus? Damit hatte er nie viel zu tun gehabt. Die Frage nach dem Sinn des Lebens hatte ihn verfolgt, aber es hatte sie längst abgehängt. Zu viel Psychologie tat ihm nicht gut. Wieso sollte er über sein Leben philosophieren? Hatte er denn nichts Besseres zu tun? Dass er zu viel nachdachte, bereute er im nächsten Moment, als er sich, wie aus der Trance erwacht, auf dem Fußboden des Hotels wiederfand. Gestolpert über eine Delle im edlen Teppich. Diesmal würde er sich ganz sicher wieder beim Personal beschweren, auch wenn zurzeit kein Mensch in Reichweite war. Dafür bemühte sich etwas anderes um seine Aufmerksamkeit. Eine kleines, silbernes Ding, das er als das wertkleinste Geldstück der Währung auf diesem Planeten identifizierte, lag in greifbarer Nähe. „Mmmpf.“ Langsam richtete er sich wieder auf, ohne die Münze aus den Augen zu lassen. Ein kleiner Glücksbringer. Aufheben oder ignorieren? Glück oder Pech? Wie albern! Er war der Einzige, der für seinen Zustand verantwortlich war. Kein abergläubiges Symbol würde ihn je eines Besseren belehren können, egal, wie greifbar es war. Minutenlang stand er da und führte sich vor Augen, dass er bis jetzt auch so vielleicht doch nicht so schlecht davon gekommen war, wie er gedacht hatte, als er erneut aus seinen Gedanken gerissen wurde. „Ey, Sinedd!“ Er schaute sich verwirrt um. „ Das Training fällt aus! Artegor hat gerade erfahren, dass Aarch zum besten Trainer der Saison gewählt worden ist. Er muss jetzt schnell Protest einlegen!“ Und manchmal, davon war er in diesem Moment überzeugt, hatte er vielleicht zur Abwechslung doch noch mal Glück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)