Fragments von Schangia (Bruchstücke zweier Seelen (SasuNaru)) ================================================================================ Kapitel 2: Opfer bringen ------------------------ Als Sasuke am nächsten Morgen aufwachte, war er müde und ausgelaugt. Sein Körper fühlte sich schwer und träge an, fast so, als würde er tief unter der Oberfläche eines Ozeans schwimmen. Irgendetwas drückte ihn auf die weichen Laken, und es dauerte einige Momente, bis er erkannte, dass es sich dabei um den gesamten Kissenvorrat des Uchiha Clans handelte. Etwas, das er sich von Naruto abgeschaut hatte; Kissenburgen bauen, bis spät in die Nacht hinein, und dann am nächsten Morgen eine Panikattacke nach der nächsten bekommen, wenn man nicht richtig atmen konnte. Für besagte Panikattacke war er jetzt aber schlichtweg zu müde und zu faul. Er hatte kaum Schlaf gefunden und war dankbar dafür, dass er erst gegen Mittag aus dem Haus musste. Gezwungenermaßen musste er letzte Nacht allein in dem großen Bett schlafen, das einst seinen Eltern süße Träume beschert hatte. Was blieb ihm auch anderes übrig, wenn Naruto nicht da war? Anfangs war da nur ein klaffender Abgrund gewesen, der neben ihm lag und ihm jegliche Erholung raubte. Der Abgrund schloss sich erst, wenn Naruto wieder seinen Platz neben ihm eingenommen hatte. Deswegen hatte Sasuke es immer vermieden zu Hause zu sein, wenn besagter Shinobi auf Mission ging. Aber wenn die Hokage Naruto auf eine Mission schickte, dann war das eben so; ein unumstößlicher Befehl, den es zu befolgen galt. Und wenn Sasuke ihn nicht begleiten durfte, weil »dem Verräter eine dreimonatige Ausgangssperre auferlegt wurde«, war das genauso besiegelt wie die Tatsache, dass er einige Nächte einsam in dem viel zu großen Bett verbringen musste. Er war heilfroh gewesen, als diese dumme Sperre endlich aufgehoben worden war. Leise murrend wälzte er sich umher, bis sein Blick endlich die Uhr traf, und stöhnte genervt auf, als der Wecker halb Elf anzeigte. Ein erneutes Einschlafen konnte er eindeutig vergessen. Diese verfluchte Zeremonie begann um zwölf Uhr, und leider Gottes war die Hokage stets pünktlich – und gerade für ihn würde sie keine Ausnahme machen. Des Weiteren hatte er Naruto hoch und heilig versprochen zu kommen, und das, wenn möglich, direkt zu Beginn. Blieb ihm also nur die bedingungslose Kapitulation. Mühselig krabbelte Sasuke aus seinem Kissenberg, immerhin dazu bereit, der Welt seinen ganzen Vorrat an Sarkasmus aufzuzeigen. Als die Warmwasserleitung seiner Dusche versagte, ließ der erste Kommentar auch nicht lange auf sich warten. Strahlen eiskalten Wassers schossen auf seinen Körper hinab, und der spitze Aufschrei ließ den Schluss zu, dass er die volle Breitseite abbekommen hatte. Nach einigen Augenblicken des Wartens hatte sich die Wassertemperatur um gefühlte drei Grad erhöht, also ergab sich Sasuke resigniert seufzend seinem Schicksal und stellte sich zögerlich unter die erbarmungslosen Strahlen. Wenigstens würde die kalte Dusche seine Gedanken ordnen. Sie würde den aufgebrachten Schwarm Hornissen in seinem Kopf zur Ruhe kommen lassen, und das war nach den letzten Tagen auch dringend notwendig. Oder ich bekomme zusätzlich zu dem ganzen Scheiß der vergangenen Woche noch eine Grippe. Erneut seufzte er. Die Minusgrade des Wassers nahm er kaum noch wahr. »Aber wieso?« Eine gute Frage. Wieso hatte er das getan? Wieso hatte er nachgegeben? Wieso war er nicht einfach weitergegangen? Und wieso war er überhaupt nach Konoha zurückgekehrt? Alles Fragen, die eine Antwort suchten. Diese zu finden würde nicht leicht werden; doch erst einmal galt es, Narutos Frage angemessen zu beantworten. »Wieso zum Teufel willst du wieder gehen?!« Schon fast die ganze Zeit seit sie beide wieder aus der Narkose aufgewacht waren, tigerte der Blonde unruhig in dem weißgetünchten Krankenzimmer umher. Das weit geöffnete Fenster ließ frische Luft in den relativ großen Raum wehen, verdeckte den abstoßenden Geruch nach Desinfektionsmittel und verschiedenen Medikamenten, der so typisch für Krankenhäuser war. Alles in dem Zimmer wirkte kalt und steril, von den unangenehm weißen, grellen Wänden, über die karge Einrichtung – ihre zwei Betten, zwischen denen ein winziger Nachttisch stand, und einige wenige Besuchersessel – und das kleine Waschbecken, bis hin zu den im Wind flatternden, langsam ergrauenden Vorhängen, die neben den unsteten Schritten das einzige Geräusch lieferten. Obwohl man ihnen nach dem harten Kampf strenge Bettruhe verordnet hatte – und Tsunade hatte sich dabei mehr als deutlich ausgedrückt –, war Naruto gleich nach seinem Erwachen hastig aufgesprungen, hatte sich einen der schlecht gepolsterten Sessel geschnappt und sich zu ihm ans Bett gesetzt. Woher er die Energie nahm, ihn mit all diesen banalen und vollkommen sinnentfremdeten Fragen zu bombardieren, war ihm schleierhaft. ›Hast du gut geschlafen?‹ Nein. ›Willst du lieber Ramen oder den Krankenhausfraß zum Frühstück?‹ Es ist bereits später Mittag. ›Ist deine Bude überhaupt noch bewohnbar, oder schon verfallen?‹ Keine Ahnung. ›Willst du nicht bei mir einziehen?‹ Gott bewahre, nein. Die erste Viertelstunde sagte Sasuke nichts, sondern starrte seinen Freund nur etwas perplex an. Dieser schien das allerdings falsch zu deuten, wie so vieles andere auch. »Ach so, du hast Schmerzen! Na, sag das doch gleich. Ich meine, ich hab dir ja schon übel zugesetzt und gezeigt, wer hier der Boss ist.« »Es war ein Unentschieden«, hatte er ruhig erklärt und damit für einen Moment das breite Grinsen auf Narutos Gesicht gefegt. Ein kurzer Triumph, denn danach hatte er etwas sehr Dummes gesagt: »Sobald die Wunden verheilt sind, ziehe ich weiter.« Jetzt stand ein ziemlich wütender Naruto vor seinem Bett. Er krallte sich so sehr an dem Metallgestell fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Der Sessel, auf dem er zuvor gesessen hatte, lag achtlos am Boden; er hatte ihn umgeworfen, als er voller Wut und Unglaube hochgefahren war. »Das kannst du doch nicht ernst meinen!« Doch, eigentlich konnte er das sehr wohl. Es war sein Leben; seine Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Rache, denn Zukunft wäre ein unpassender Begriff gewesen für das, was ihn erwartete. Einige Momente lang fixierte er seine Bettdecke, nicht wissend, wie Naruto mit seinen Antworten umgehen würde. Sie würden ihn verletzen, und das konnte er ihm nicht antun. Nicht schon wieder. Aber sein Gegenüber wollte die Wahrheit wissen, also würde er die Konsequenzen tragen müssen. »Natürlich meine ich das ernst. Ich will nicht länger hier bleiben, als unbedingt nötig.« Und vielleicht noch anderen Teilen meiner jungen Vergangenheit begegnen, die mich meine Entscheidungen anzweifeln lassen könnten, fügte er mental hinzu. »Ich gehöre nicht hier her.« Als er ein lautes Krachen hörte, sah Sasuke schließlich auf. Trotz seines gleichgültigen Blicks war er schockiert, Naruto so außer sich zu sehen. Er hatte sich einen zweiten Sessel geschnappt und ihn in wilder Rage gegen die Wand geschleudert. Was war in den vier Jahren seiner Abwesenheit nur mit Naruto geschehen? »Du hast dich verändert«, stellte Sasuke gespielt gelangweilt fest, schrak dennoch innerlich zusammen, als die blutroten Iriden seine schwarzen trafen. Wenn der Dämon in ihm langsam die Oberhand gewann, erinnerten Narutos Augen ihn immer an sein Bluterbe; leere Tiefen, die sich nur zeigten, wenn Zerstörung, Wut oder tiefe Trauer in der Luft lagen. »Natürlich habe ich das! Du hast uns hier verdammt noch mal zurückgelassen! Hast uns den Rücken gekehrt, als wäre es dir völlig egal, was—« »Es ist mir egal«, unterbrach Sasuke ihn ruhig. Das hätte er nicht sagen sollen. Allerdings wusste Sasuke nicht im Geringsten, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Natürlich kannte er auch Narutos aufgebrachte Seite, doch diese Wut war so viel anders als die, die er vor vier Jahren erlebt hatte. Sein Freund schien gebrochen; tot, als wäre ein Splitter seiner Seele abhanden gekommen. Doch hinter der aggressiven Fassade konnte er auch Angst erkennen. Angst, ihn schon wieder verlieren zu müssen. »Du hast mir versprochen, dass du zurückkommst«, brachte der blonde Shinobi heraus, die Stimme zittrig vor Verzweiflung, als er sich wieder ein wenig beruhigt hatte. »Nun, ich bin zurückgekommen. Dass ich bleiben würde habe ich mit keiner Silbe erwähnt.« Es war schon fast zu einfach, mit Naruto zu diskutieren. Jedes Argument, das diesem in seiner hektischen Ungeduld einfiel, konnte Sasuke mit Leichtigkeit zu Nichte machen. Tatsächlich starrte ihn sein Gegenüber nun verwirrt an; seine Augen hatten wieder ihren wunderbar azurblauen Farbton angenommen. Naruto so zu behandeln schmerzte Sasuke um einiges mehr als seine körperlichen Wunden. Eigentlich hatte er sich damals geschworen, ihm das nie wieder anzutun. Aber sein Freund schien es darauf anzulegen. »Aber...«, begann Naruto ein wenig verloren, doch er unterbrach den zaghaften Ansatz mit fester Stimme: »Nichts aber. Ich werde sobald wie möglich aus Konoha verschwinden. Leg dich jetzt hin, sonst reißen deine Wunden wieder auf.« Leise seufzend schloss Sasuke die Augen. Er musste sich einen guten Plan überlegen, um das Dorf ohne größere Schwierigkeiten zu verlassen. Wie viele Leute wussten, dass er hier war? Naruto natürlich, und Tsunade. Was, wenn Sakura und Kakashi ebenfalls Bescheid wussten? Das wäre ja wirklich großartig. Die unvermutete Ruhe ließ ihn stutzen. Vorsichtig sah er auf, nur um Naruto immer noch vor sich stehen zu sehen. »Hast du mich nicht verstanden? Leg dich hin, du tust dir doch nur wieder weh.« Hinter all der Gleichgültigkeit war es schwer, seine Sorge rauszuhören. Naruto hätte es gekonnt, doch etwas in ihm schien sich dagegen zu wehren. »Als ob dich das kümmern würde.« Jetzt wurde er auch noch zickig. Genervt blitzte Sasuke den aufgebrachten Shinobi vor sich an. Er wollte sich nicht streiten; nicht jetzt, nicht hier, nicht nach all dem, was geschehen war. »Wenn es mir egal wäre, würde ich es dir nicht sagen, du Idiot«, zischte er bedrohlich, ließ Naruto an die Zeit zurückdenken, in denen Team 7 gerade mal seit ein paar Tagen bestanden hatte. Früher wäre er schmollend zurückgeschreckt, aber nun hatte Naruto genug. Tausend Emotionen hatten sich seit jenem verhängnisvollen Ereignis in ihm angesammelt. Immer mehr hatte er all seine Gefühle – ob nun Zorn, Leid oder Verzweiflung – in sich aufgenommen, begierig aufgesogen wie ein Schwamm, denn er fürchtete, sie zu vergessen. Hatte Angst sie zu verlieren, genauso, wie er Sasuke verloren hatte. Unendliche Freude und ein anormal großes Glücksgefühl hatten ihn ausgefüllt, als sein Freund sich entschieden hatte, ihn zurück in seine einstige Heimat zu begleiten. Und jetzt wollte er wieder verschwinden? »Wenn dir meine Verfassung wichtig wäre, dann würdest du hier bleiben.« Damit hatte Naruto eine Grenze überschritten. Ihre Freundschaft war immer etwas gewesen, das nicht in Frage gestellt wurde. Trotz wachsender Rivalität und den vergangenen Jahren hatte niemand an der starken Bindung der beiden gezweifelt. Bis jetzt. Und das trieb Sasuke die Galle hoch. »Glaubst du allen Ernstes, ich mache das, um dir wehzutun?« Blutrote Raserei blickte Naruto wild entgegen; ließ ihn seine nächsten, unüberlegten Worte hinunter schlucken, als er das Sharingan seines alten Freundes erblickte. Die bedeutungsschweren Worte hingen träge in der Luft, machten die unangenehme Stille noch drückender, als es ohnehin der Fall war. Minuten vergingen, die sich wie eine kleine Ewigkeit zogen, und unwillkürlich stellte sich Sasuke die Frage, wo die Iryōnin blieben, um nach dem Rechten zu sehen. Hatten das Geschrei und der Lärm sie nicht alarmiert? Oder waren sie zu feige, sich zu den beiden tobenden Shinobi hineinzuwagen? »Wieso willst du dann gehen?« Sasuke hatte nicht bemerkt, dass Naruto auf seinem Bett Platz genommen hatte, so wie er es ihm vor einigen Momenten aufgetragen hatte. Kurz schloss er die Augen, sammelte seine Gedanken, um ihm eine Antwort zu geben, die sie beide zufrieden stellen würde. »Weil es nicht anders geht.« Das war die Wahrheit. Aber das würde Naruto leider nicht verstehen. Er hatte niemals akzeptieren wollen, wie wichtig Sasuke die Rache an seinem Bruder war, konnte es wahrscheinlich schlichtweg nicht nachvollziehen. Aufgrund dieser Denkweise überraschte Naruto ihn mit seinen nächsten Worten gleich doppelt. »Ist es denn unbedingt notwendig, deinen Bruder zu töten?« Dass sein Gegenüber so mutig war, sein Ziel, seine Aufgabe in Frage zu stellen, überging Sasuke. Stattdessen nickte er leicht und schockte ihn mit einem kaum merklichen Lächeln. »Du hast dich wirklich sehr verändert«, erklärte er, als Naruto keine Anstalten machte, weiterzusprechen. Verlegen sah der Jinchūriki zur Seite. »Vier Jahre sind eine lange Zeit.« Sasuke konnte ihm nur zustimmen. In dieser Zeitspanne waren unendlich viele Wandel möglich, und es war an sich nicht verwunderlich, dass auch Naruto gereift war, dass er andere Kleidung trug, seine Stimme tiefer und sein Charakter stärker geworden war. Er nickte kurz, wusste aber nicht, ob der andere es gesehen hatte. »Ja, es hat sich viel verändert«, stimmte er noch einmal verbal zu, die tiefe Stimme leise und belegt. »Ich habe dich vermisst.« Narutos Flüstern war zwischen dem unruhiger gewordenen Wind schwer zu verstehen, aber Sasuke hörte jedes seiner Worte so laut und klar, als hätte er sie ihm ins Gesicht geschrien. Schlecht verheilte Wunden, die schon seit Jahren hässliche Narben auf seiner Seele hinterlassen hatten, rissen wieder auf, sein Magen rebellierte und sehnte sich nach Befreiung. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass die Ohnmacht ihn überfiel und ihn vor dieser schrecklichen Situation rettete. Immer noch fixierte Naruto stur den gefliesten Kachelboden, wartete schier verzweifelt auf eine Reaktion seinerseits. »Es ist nicht so, dass mir eine Wahl bleibt«, versuchte Sasuke nach einiger Zeit das Thema zu wechseln. Es schien zu funktionieren, sah Naruto doch auf und funkelte ihn mit diesen stürmischen, aufgebrachten Ozeanen an. »Warum das denn? Bleib doch einfach hier!« »Naruto, du verstehst nicht, dass— «, begann er, doch der Angesprochene unterbrach ihn barsch: »Und ob ich das verstehe! Du hast einfach nur Angst, deinen Freunden irgendwann gegenüber stehen zu müssen, wenn du in Konoha bleibst. Elender Feigling!« Falsch. Mein einziger Freund in diesem Dorf sitzt gerade vor mir und schreit mich an. Schließlich gab Sasuke nach. »Und wenn es so wäre? Was sollte ich dann tun?« Naruto war sichtlich überrascht von dieser Gegenfrage, ließ sie ein wenig sacken und vergaß so seinen Unmut. »Fragst du mich hier gerade um Rat?«, wollte sein Freund zweifelnd wissen. Bisher hatte er sich immer anhören müssen, wie unnütz seine Ratschläge waren, und dass gerade Sasuke ihn nun um einen bat... Besagter Shinobi schnaubte kurz, musste ihm darauf einfach eine polemische Antwort geben: »Nein, ich frage dich nach dem Wetter, du Schwachkopf.« »Ach so, sag das doch gleich.« Nach einem prüfenden Blick aus dem Fenster fuhr er fort. »Also ich schätze die Außentemperaturen mal grob auf sonnige 22 Grad. Es weht ein mäßig starker Wind, und am Himmel sind kaum Wolken zu erken—« »Das habe ich nicht gemeint, Volltrottel«, fuhr Sasuke ihm genervt ins Wort, als er seinem Gegenüber ein bitterböses Funkeln aus tiefroten Augen schenkte. Naruto grinste ihn frech an. »Weiß ich doch.« Aber als Sasukes Blick diesen vertrauten, mörderischen Glanz bekam, fügt er hastig und nervös lachend hinzu: »Reg dich ab, das war doch nur ein Scherz. Ein Scherz, verdammt!« In Gedanken schleuderte Sasuke seinem Freund jede Beleidigung entgegen, die ihm in den Sinn kam, von denen allerdings nur ein abfälliges ›dämlicher Kindskopf‹ den Weg über seine schmalen Lippen fand. »Humorloser Sack«, nuschelte Naruto schmollend, und ließ Sasukes Ärger so unwissend langsam abebben. Diesmal reagierte dieser schnell genug, bevor die nächste Stille den Raum einnehmen konnte. »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.« Der andere seufzte schwer, offensichtlich überfordert mit der bedeutungsvollen Frage. »Sie... ach, wie soll ich dir das erklären?« Lange Finger krallten sich in dem frisch gewaschenen Bettlaken fest, als Naruto mit sich selbst und seinen Worten haderte. »Die anderen haben schon ziemlich früh daran gezweifelt, dass du je zurückkommen wirst. Nur Sakura-chan, Kakashi-sensei und ich wollten und konnten uns nicht damit abfinden. Aber vor einigen Monaten haben dich auch die beiden aufgegeben.« Obwohl Sasuke mit seinem Aufbruch auch die emotionalen Bindungen zu den meisten seiner Freunden und Bekannten zurückgelassen hatte, traf ihn diese Aussage unerwartet hart. Er wollte es nicht wahrhaben, wollte auch seinem Gegenüber nicht zeigen, wie sehr ihn diese Tatsache irritierte und verletzte. »Du weißt aber schon, dass du mir gerade Gründe dafür lieferst, wieder zu verschwinden, oder?«, fragte er mit unverändert monotoner Stimme, wobei er innerlich in einem Strudel aus wieder hervorgekrochenen Gefühlen zu versinken drohte. Nein, offensichtlich war Naruto das nicht bewusst. Wie immer konnte man ihm jedes seiner Gefühle ansehen, und so war es ein Leichtes für Sasuke zu erkennen, dass erst Staunen, Zweifel, dann Verstehen, und schließlich Scham über die markanten Gesichtszüge seines Freundes glitten. »Aber so ist doch die Chance, einen Neuanfang zu starten, viel größer!«, versucht der blonde Shinobi sich und seine Theorie zu verteidigen, hatte er doch gemerkt, dass sein Gegenüber ihm nicht ganz folgen konnte. »Ich meine, es könnte alles so einfach sein«, begann Naruto erneut, sehr darum bemüht, Sasuke zum Bleiben zu bewegen. »Du ruhst dich aus, ziehst nach ein paar Trainingsstunden zusammen mit mir und einer kleinen Truppe los, tötest deinen Bruder und kehrst dann wieder endgültig in deine Heimat zurück. Das ist am einfachsten, macht uns beide glücklich und Itachi... na ja, ist ja auch egal.« Während dieser banalen Ansprache hatte Sasuke den Versuch gestartet, sich selbst mit einem Kissen zu ersticken, doch war sein Selbsterhaltungstrieb immer noch stärker. Suizid fiel damit als Lösung aller Probleme schon mal weg. Nach einiger Zeit begann sein Hirn, das Gehörte zu verarbeiten, und als Naruto sich längst dem Malträtieren des dritten Besuchersessels gewidmet hatte, erkannte er das langverkannte Genie in seinem Freund. ...zumindest war er nicht ganz so weltfremd und dumm, wie er vorher gedacht hatte. »Die Idee ist gar nicht schlecht«, murmelte er leise zu sich selbst, aber Naruto hatte ihn dennoch verstanden. »Echt?« Seine Krallen ließen von dem mittelweichen Stoff ab, den er zuvor aus purer Langeweile bearbeitet hatte, und mit einem verwirrten, wenn auch zufriedenen Gesichtsausdruck wandte er sich dem Uchiha zu. »Ich wusste ja schon immer, dass ich genial bin, aber das der große Uchiha Sasuke jemals einen meiner Geniestreiche als akzeptabel ansehen würde, habe ich mir in meinen kühnsten Träume nicht vorstellen können..« Mit einem langen Seufzer rollte besagter Uchiha mit den Augen. »Jetzt übertreib nicht gleich wieder. Wenn man den Teil mit dem Hilfetrupp weglässt, dann könnte man die Idee ganz passabel nennen, aber da ist noch ein verdammt großer Feinschliff nötig«, gab er entnervt zurück, als er im Kopf bereits an einer fertig ausgearbeiteten Version des Plans arbeitete. Erneut schmollte Naruto, nahm seine katzenähnlichen Aktivitäten mit dem Sessel wieder auf. »So was Arrogantes«, murrte er etwas lauter als in dieser Situation angebracht. »Jetzt leg dich hin und halt den Mund, ich muss arbeiten.« Mittlerweile war Sasuke in die bequemen Kissen zurückgesunken, hatte die Augen geschlossen. »Ich bin nicht eher ruhig, bevor du mir nicht versprichst, dass du in Konoha bleibst, nachdem du deine dämliche Rache ausgelebt hast«, gab Naruto aufbrausend zurück, vergrub seine Fingernägel einmal mehr in dem Polster. Der Hauch eines Lächelns stahl sich auf seine Lippen, als Sasuke sein Gegenüber durch dichte Wimpern spöttisch ansah. »Genau genommen, mein überaus intelligenter Freund, habe ich dir das bereits versprochen.« Mit viel zu großer Genugtuung blickte er in das ungläubige Gesicht Narutos, beobachtete genau, wie er jegliche Kontrolle über seine Muskeln verlor, und etwas verloren wirkend in sich zusammensackte. »Du meinst...«, begann der Uzumaki zaghaft, als würde er nicht zu hoffen wagen, dass er sein Etappenziel wirklich erreicht, sein Versprechen wirklich gehalten hatte. »Genau das, Naruto.« Hätte Sasuke geahnt, dass die Gefühle mit seinem Freund durchgehen würden, er hastig aufspringen, auf sein Bett zustürmen und sich ihm beinahe weinend um den Hals werfen würde, er wäre vorsichtiger mit seinen Worten umgegangen. Wobei, nein, wäre er nicht. Dennoch war ihm diese Situation peinlich. Er war es nicht gewohnt, einem anderen Menschen so nah zu sein, auch wenn er mental fluchend zugeben musste, dass ein wenig körperliche Nähe bei Zeiten etwas Wunderschönes war. Sein Blick huschte hilfesuchend durch das karge Zimmer, während er unbewusst anfing, seinem nun schluchzenden Freund die Schulter zu klopfen, und wie durch ein Wunder erblickte er den reichlich demolierten Sessel. Die Stimme auf Süffisanz und liebenswerten Spott getrimmt, drückte er Naruto sanft von sich. »Sag mal...« Unsicher blickte der Angesprochene Sasuke aus großen Augen an. »Seit wann benutzen Füchse eigentlich Sessel als Kratzbäume?« Als der Jinchūriki verschämt den hochroten Kopf zur Seite wandte, konnte Sasuke sich ein leises Lachen nicht mehr verkneifen. Fehler Nummer fünf. Er lag ja wirklich hervorragend im Rennen. Sein lautes Niesen ließ den ratternden Zug seiner Gedanken stoppen. Zitternd stieg er aus der Dusche, griff unkoordiniert nach einem Handtuch, um die klamme Kälte ein wenig vertreiben zu können. Sein Unterbewusstsein hatte sich schon einige schlimmere Momente ausgesucht, um ihn in Erinnerungen schwelgen zu lassen. Dennoch war es in seinen Augen hinterhältig, ihn im Meer der Gedanken schwimmen zu lassen, wenn er dieses anhand der Kälte nicht von der Dusche unterscheiden konnte. Tief durchatmend und langsam bis zehn zählend beendete er seine Morgenroutine; er zog sich an, frühstückte nicht, verstaute sein Kusanagi und andere kleine Waffen sicher an seiner Kleidung. Nicht zurückblicken. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging er leisen Schrittes auf die Tür zu und öffnete sie weit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)