Orthogonalität am Beispel des virilen Objekts von abgemeldet (Herr Branner und ich) ================================================================================ Der Engel --------- „Na ja“, er zuckte die Schultern „deine Eltern sind seit... elf Jahren getrennt. Glaubst du denn, sie ist danach frigide geworden?“ „Ach sag so was nicht!“ entgegnete ich und warf mein Kissen nach Joe, welches ich mir zum Festhalten mit auf seinen Sessel genommen hatte. Nachdem ich jetzt auch noch trockene Socken und irgendeine Sporthose von ihm anziehen musste, als er bemerkt hatte, wie nass ich in Wahrheit doch war, versuchte er nun, meine kleine Welt für mich richtig zu biegen. Er fing das Kissen auf und lachte, und sein Lachen brachte mich zum Lachen, denn es war das Schönste, dass ich je gehört hatte. „Nein ehrlich“, meinte er dann, noch immer amüsiert, und legte das Kissen neben sich auf die Couch „letztendlich ist deine Mutter auch nur eine Frau.“ Ich nickte abwesend, dachte kurz darüber nach, verstand es, irgendwo, aber dennoch „wieso hat sie mir diese Affäre ein Jahr verschwiegen? Was will sie denn damit bezwecken...“ „Sie wollte dich nicht verletzten oder so“, antwortete Joe „du bist...“ er zog die Schultern an und sah mich kurz überlegend an, dann seufzte er aus und fuhr fort „du bist doch schon noch ziemlich kindlich... sehr naiv... weltfremd...“ „was?“ „natürlich weiß sie das, und natürlich wusste sie, dass du... deine Umgebung wie sie ist so für dich brauchst. Magst keine Veränderungen...“ Er sah mich an. Und ich sah ihn an. Nicht mehr lachend, oder lächelnd, sondern entrüstet, über das, was er sagte, die Worte, die er nutzte, um mich zu beschreiben und meine Mutter zu recht fertigen. „Du brauchst eben jemanden, der deine Hand hält“, meinte er dann, nahm das Kissen wieder und legte es auf seinen Schoß „Josh, deine Mutter, Ray, Lilly, dein... Lehrer...“ etwas verstört sah er auf, sein Blick begegnete meinem, er wandte sich ab und warf das Kissen dann wieder zurück zu mir. „Was redest du da?“ fragte ich verwirrt, und irgendwo in mir drinnen war es mir klar, dass er Recht hatte, mit seiner kurzen, aber konkreten Psychenanalyse und dass ich Angst haben sollte darüber, dass er hier saß, mir gegenüber auf der weißen Couch und mir all das über mich selbst erzählte. „Ich kann das einfach... ich bin... ein Beobachter!“ verteidigte er sich und zuckte rechtfertigend die Schultern. Kurz schwiegen wir uns an. Ich beobachtete ihn, seine vorsichtigen Bewegungen, sein strubbeliges Haar, seine geröteten Wangen und die plötzliche Unsicherheit mir gegenüber. „Du... Joe...“, sagte ich dann leise und er sah mich sofort gespannt an: „Ja?“ „Die Sache mit dem Lehrer und mir“, begann ich und sah, wie er sich anspannte, und das verunsicherte mich natürlich „also, du hast gesagt, dass du... irgendwie... na ja...“ Ich beendete den Satz nicht, sah ihn abwartend an und Joe zuckte die Schultern. Ich holte tief Luft, sammelte meinen gesamten Mut, den ich hatte, und das war weiß Gott nicht sehr viel, sank den Blick und packte das Kissen fest „Ich will mit dir zusammen sein! Ich bin... ich bin sehr in dich verliebt, Johann Sebastian Engel.“ Das Blut schoss mir in die Wangen, das Adrenalin durch die Venen und kurz fühlte es sich so an, als würde mein Herz stehen bleiben und keine Luft mehr in die Lungen kommen. Beschämt hob ich den Blick. Er fummelte sich unsicher an den Händen rum, zitterte eine wenig vor Aufregung, sah mich bewusst nicht an, ließ seinen Blick unten. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Die Spannung zwischen uns wurde immer unangenehmer, mein Herzrasen immer schneller und je mehr stille Zeit verstrich, desto mehr Angst bekam ich, dass das alles nur in eine riesengroße Katastrophe führte. Dann räusperte er sich. Gespannt hob ich den Blick wieder um ihn anzusehen, doch war sein Gesicht noch immer gesenkt. „Ich bin von Anfang an in dich verliebt gewesen. Am ersten Schultag nach den Sommerferien... du kamst zu spät. Zehn nach Acht oder so, du, Ray, Flo, Dennis und Lennart kamt in die Aula und niemand hat sich gestört gefühlt. Ein Paar haben die Köpfe zu euch umgedreht, ich auch. Ich hab... ich weiß auch nicht, ich hab mich einfach umgedreht und dann hab ich dich gesehen und dann wusste ich, dass ich... in dich verliebt war.“ erklärte er und ich fragte mich, wer Lennart und Dennis waren. „Ich hab dich... beobachtet und... na ja, jeder der länger als fünf Minuten mit dir zusammen ist, weiß sofort, dass du vom anderen Ufer bist, das ist keine Frage“, lächelte er und ich lächelte auch. Damit hatte er Recht, und das machte mir überhaupt nichts aus. „Na ja und dann... dann tauchte dieser schmierige Lackaffe auf und du... du rennst mit einem Tunnelblick durch die Welt und am Ende steht dieser Pädophile Sack.“ er klang etwas bitter, als er Lillys Worte aufgriff, um mir mein Verhalten zu erklären. „Aber...“ machte ich, als mir klar wurde, wie sehr ich Joe verletzt haben musste in den letzten Monaten. Als ich immer zu nur von dem Mathelehrer gesprochen hatte, er immer und überall mein heißester Typ war und als Joe dann auch noch rausgefunden hatte, dass er und ich tatsächlich Etwas miteinander hatten. Das musste schlimmer gewesen sein, als der Freund oder die Homophobie meiner Mutter. „Aber das ist vorbei“, meinte ich dann leise, dennoch erkennend, wie sorglos ich mit Joe umgegangen war. Dass er in mich verknallt war hatte er wohl einige Male gezeigt. Als wir im Zug nach Aachen saßen und er mich küssen wollte. Daran hatte ich seitdem nie wieder gedacht, weil ich irgendwo Angst hatte, dass der Mathelehrer das gesehen haben konnte. Und dass er mich so komisch angesehen hatte, als wir im Jungenkreis von unseren Liebschaften geredet hatten. Und der Kuss auf die Stirn beim Sommerfest, sowas macht man doch nicht einfach so aus Freude heraus, schon da wollte er es mir mitteilen. Und natürlich Silvester, als er mir so unsicher gegenüber gesessen hatte und als er sich um mich gekümmert hatte, als es mir so schlecht ging und dass er plötzlich so abweisend geworden war. Er war enttäuscht, als ich ihm sein Herz gebrochen hatte; als ich angefangen hatte, vom Mathelehrer zu reden und wie schlimm es war, nicht bei ihm zu sein, an Silvester. Da war Joe monatelang in mich verliebt gewesen, und war endlich mit mir allein, an seinem achtzehnten Geburtstag, nur, damit ich ihm die Ohren vollheulte, wie schwer die Beziehung zu einem elf Jahre älteren Mathelehrer war. „Darum geht es doch gar nicht, Tim“, sagte er und seine Stimme zitterte „es ist, weil... wegen... du... du bist mit dem Mathelehrer ins Bett gegangen. Das ist... du warst... du hast jeden Tag von ihm geredet und geschwärmt und ach so toll...“ Er hielt kurz inne, hob die Hand an sein Gesicht, atmete tief durch, und hielt den Blick immer noch gesenkt, die ganze Zeit schon. „Joe“, sagte meine Stimme dann und klang erstaunlich fest, bei unseren aufgewühltem Gemüt „erzähl mir von deinem ersten Freund.“ Endlich sah er auf, deutlich überrascht, mit etwas geröteten Augen und Wangen. Er strich sich fahrig über das linke Auge und zog die Schultern an „Wieso... sollte ich das tun?“ er lächelte verwirrt, strich sich drei Strähnen aus dem Gesicht und sah mich dann an. „hm, nur so...“ ich zuckte die Schultern und er lächelte auch, und das ließ mein Herz kurz erleichtert aufhüpfen. „Ach Tim“, schmunzelte er „man erzählt denen, in die man verliebt ist, nicht von seinen vorherigen Partnern...“ „Wieso nicht?“ sagte ich und beugte mich grinsend vor „ich möchte das wissen. Was für ein Typ er so war...“ Er lachte kratzig auf, griff nach einem Kissen und drückte es sich gegen die Brust „du willst was über Aykut wissen...“ „Aykut“, entgegnete ich knapp, konfus und er nickte: „Aykut ist absolut nicht wie du, kein bisschen; du wirst kein Muster bei meiner Partnerwahl finden.“ Ich wussten kurz nicht, wie ich seine Worte zu deuten hatte, doch hatte ich auch nicht die Zeit und die Lust, jetzt darüber nachzudenken. „Er war... in der Zwölften, 'n ziemlich schmächtiger Kerl... na ja, bist du ja auch“, stellte er nebenbei fest und beäugte mich nochmal „wir waren sehr diskret, niemand sollte wissen, was zwischen uns wahr, oder dass er oder ich schwul waren; wir waren einfach nicht die Typen, die schwul waren. Er, na ja, Muslim, Türke, dieser zerstörerische Anführertyp, weißt du?“ Ich schüttelte de Kopf, hatte keine Ahnung, was er meinte, doch er zuckte nur die Schultern „Na ja, egal, er verstellte sich. Vor seinen Freunden, in seiner Familie, bei mir... zuerst sollte nicht mal jemand wissen, dass wir überhaupt Freunde waren, hinterher ging das; aber nicht etwa, dass wir zusammen waren. Du weißt schon, Image wahren und so, aber ich nahm ihm das nicht übel, ich hab das gar nicht so gesehen wie jetzt, mir ging es genauso. Irgendwann waren wir leider zu fahrlässig, irgendwer hat uns gesehen, es an die große Glocke gehängt... war zum Glück kurz vor meinem Abschluss, deshalb bin ich auch von der Schule weg und hier zum Gymnasium gewechselt...“ Ich nickte verstehend und fragte mich, was das für ein Typ war, der Joe verleugnete „hast du ihn geliebt?“ Sein Blick war komisch, als er mich an sah, etwas verwirrt und bestürzt, er nickte leicht, dann sagte er: „Das reicht jetzt, davon. Wir sollten schlafen.“ Joe stand auf, streckte sich, mied es, mich noch mal anzusehen und ging dann zum Durchgang zum anderen Zimmer. Da blieb er kurz stehen, sah mich aber doch nicht an, und sagte: „Gute Nacht, Tim.“ und ich spürte, dass es nicht das war, was er eigentlich hatte sagen wollen. Dann ging er rüber, schaltete nicht mal das Licht in diesem Raum an; sein Bett knarrte kurz und leise, als er sich rein legte und die Decke rauschte kurz, als er sich mit ihr zudeckte. Scheinbar hatte ich ihn verwirrt, seine Gefühle durcheinander gebracht und rastlos aufgewühlt. Dabei fand ich das nicht schlimm. Es machte mir nichts aus, das von Joe zu wissen, über seinen ersten Freund, wer er war. Ich fühlte mich ihm gegenüber nicht anders, er war mir jetzt nicht weniger attraktiv oder liebenswert. Für mich machte ihn das nur noch menschlicher. ~*~ Wir saßen in unserem Café, der süße Kellner stand hinter dem Thresen und lächelte mich verliebt an und ich aß eine Tafel Milka Traube Nuss. Es war schön warm, ein Feuer prasselte in dem Kamin, mein Kopf war gehüllt in der violetten Strickmütze und ich erfreute mich am unermesslichen Frieden, als sich jemand neben mich setzte. Verwirrt drehte ich mich zu ihm als, erkannte dann aber sofort, dass es Aykut war. Er war schmächtig, hatte schwarze Haare, einen Drei-Tage-Bart und dunkle Augen. Er lächelte „Hey.“ „Hey“, antwortete ich und nahm seine Hand entgegen, die er mir hinhielt. „Du solltest zu ihm gehen. Er will dich bei sich haben.“ sagte er dann und leiherte ein komisches Echo mit sich. „Wie... jetzt?“ fragte ich verwirrt und Aykut nickte. Dann stand er auf und ging. Der süße Kellner nickte mir aufmunternt zu, dann folgte er Aykut, das Feuer erlisch und das Café um mich herrum verblasste langsam. Dann wachte ich auf. Der Mond strahlte durch das große Fenster direkt auf mein Gesicht. Müde rieb ich mir dir Augen, dann wurde mir langsam die erdrückende Kälte um mich herum bewusst. Ich drehte mich auf die Seite und sah zum Durchgang in das andere Zimmer. Es war schwarz, ich konnte nichts erkennen, und es war leise, ich konnte nichts hören außer die belastende Stille. Dann erinnerte ich mich an die Worte vom Traum-Aykut und ehe ich darüber nachdenken konnte, schlug ich die Decke zurück und stand von der Couch auf, um ins dunkle Nebenzimmer zu tapsen. Er atmete leise und gleichmäßig, als ich mich vorsichtig zu ihm legte, immer mit den Worten „Er will dich bei sich haben“ im Hinterkopf. „Tim“, brummte er dann müde. „Sch“, entgegnete ich, strich über seine Stirn, Haare aus seinem Gesicht und beugte mich vor, um seinen Nacken zu küssen. „Tim, lass das!“ murmelte er, und zeigte dabei deutlich, wie sehr er es genoss. Ich ließ es nicht. Ich fuhr mit der Hand über seine Schulter zu seiner Brust, legte sie flach drauf und drückte seinen Körper gegen meinen. Es wurde ganz warm um uns und ich wusste nicht, wessen Herz schneller schlug, seines oder meines. Vorsichtig umfasste ich sein Kinn, drehte sein Gesicht zu mir. Es war dunkel, ich konnte ihn nicht sehen, nur unklare Schatten und Konturen, doch beugte ich mich vor und berührte ihn vorsichtig mit den Lippen. Ein warmes Gefühl ging von da aus und durchfuhr unsere ganzen Körper. „Tim“, murmelte er in unseren Kuss hinein, doch er drückte mich nicht weg, er erwiderte, er genoss es. Als wir uns lösten, hörte ich seinen schweren Atem. Jetzt war mit Sicherheit wach. „Bitte“, flüsterte Joe leise „tu das nicht.“ Ich spürte seinen Blick auf mir, er musterte mich genau, obwohl er mich nicht sehen konnte. Ich sagte nichts. Ich wollte mich noch mal vorbeugen, ich wollte ihn noch mal küssen, ich wollte ihm zeigen, wie sehr es kein Problem gab, welches es zu lösen galt. Doch er hielt mich zurück. Er griff nach mir, er legte seine Hand auf mein Kinn, auf meinen Mund und drückte mich nach oben. „Du weißt, dass ich dir nicht widerstehen kann“, sagte er dann, ließ mich los und drehte sich wieder auf die Seite, mir den Rücken zu. „Also bitte“, flüsterte er „tu das nicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)