Orthogonalität am Beispel des virilen Objekts von abgemeldet (Herr Branner und ich) ================================================================================ Summarische Einführung in die Oberstufenmathematik -------------------------------------------------- Mein bester Freund war genau deshalb mein bester Freund. Natürlich hätte er mit ein wenig mehr Entgegenkommen ein noch besserer Freund sein können, aber so, wie er war, war er im Ganzen schon ein toller bester Freund. Einen besseren besten Freund konnte man wohl kaum noch erwarten. Nichts desto trotz brauchte ich natürlich auch eine beste Freundin, denn so tolerant, wie Ray-Ray auch war, einige Sachen gingen nunmal nicht mit einem besten Freund. Und das war das Thema des ersten Montagnachmittags nach den Sommerferien. „Niemals!“ sagte Ray laut und lief stur weiter zur Bushaltestelle. Ich folgte ihm schnell, die Hände vor der Brust ineinander gefaltet und sah ihn aus sehr großen, grünen Augen heraus an. Doch er blieb stur: „Nein Tim, zum allerletzten Mal. Ich werde niemals, unter keinen Umständen jemals High School Musical mit dir gucken.“ Er sah mich sehr ernst an. Ich schluckte und sank verletzt den Blick „Aber ich schwörs dir, der sieht aus wie Zac Efron.“ „Du verstößt gegen die Regeln, Tim!“ rief er über seine Schulter hinweg zu mir herüber. Ich sog scharf die Luft ein und lief schnell zu ihm hin. Wir hatten die Haltestelle erreicht und er nahm sich eine Zigarette aus seiner Hosentasche „für solchen Kram hast du Lilly! Wo ist sie überhaupt?“ „Urlaub.“ Nuschelte ich. Er zündete die Zigarette an und nickte „ruf sie halt an und erzähl es ihr. Ganz aaaufgeregt“ Ray fuchtelte zynisch mit den Händen vor seinem Gesicht herum, dann grinste er. „Nicht lustig“, sagte ich, konnte mein eigenes Grinsen aber nicht unterdrücken. „Ach man.“ Er seufzte hart und sah kurz zum Boden, ehe er einen weiteren Zug nahm und dann nochmal, etwas widerwillig, auf seufzte: „Nagut. Aber nur, weil Lilly heute nicht da ist!“ Ich quietschte vergnügt auf, hüpfte auf den Zehenspitzen auf und ab und warf meine Arme um Ray. Der hob abwehrend seine Hände „Tim, Tim, Tim, Tim! Tim! Die Regeln!“ rief er aus. Ich ließ von ihm ab, sah mit roten Wangen zum Boden und murmelte gepresst ein „Tschuldigung“ hervor. Ray brummte genervt. „Also“, sagte ich dann und sah ihn wieder grinsend an „Heeer Branner sieht echt genauso aus, wie Zac Efron. Nur älter. Na ja, ein bisschen älter. Eigentlich.. nein, eigentlich nicht älter. Eher wie Zac Efron ungeschminkt. Wobei du natürlich keine Ahnung hast, wie Zac Efron aussieht, weil du High School Musical ja nicht kennst!“ „Deine Zimmerwände sind vollgekleistert mit Postern von diesem Typ!“ warf Ray ein, doch ich ignorierte ihn natürlich „und seine Stimmte klingt so, wie Zac Efrons deutsche Stimme. Und die Haare, man, die Haare. Genauso glatt und glänzend und perfekt, die gleichen Augenbrauen und die Augen selbst. Als Herr Branner rein kam ins Klassenzimmer hab ich echt gedacht, das wäre Zac Efron!“ „Bist du deshalb hysterisch kreischend vom Stuhl gefallen?“ „Natürlich gibt es die kleinen, feinen Unterschiede. Zac Efron ist größer als Herr Branner. Und die Haarfarbe, na ja, ist bei Zac ja unterschiedlich. Herr Branners Haare sind bestimmt immer dunkelbraun. Und er ist ein bisschen... dicker!“ „Ich würde das trainierter nennen!“ Ich japste empört auf. Dieses Kommentar konnte ich ihm nicht durchgehen lassen. „Du kannst das nicht!“ sagte ich genervt und drehte ihm den Rücken zu. „Ja, ich bin auch ein Mann.“ „Aber ich rede mit dir auch über Frauen!“ antwortete ich enttäuscht. „Ja, weil du so denken kannst wie Frauen.“ Ich schnaubte nochmal. Ray lachte leise „ist doch so. Du bist dann nur nicht sofort eingeschnappt, wenn man ein falsches Wort sagt.“ Ich glaubte, nicht nur ich erfreute mich einer wunderbaren Freundschaft mit Ray-Ray, sondern er sich auch an einer mit mir. Natürlich waren nicht alle Jungs so stoisch wenn es um das vermeintliche Thema „Schwul“ ging. Sie waren eher verspannter und etwas leidig. Ray-Ray rauchte, akzeptierte und stellte bald fest, dass es nebst einiger höchst schwuchteliger Eigenschaften auch ganz praktisch sein konnte, einen schwulen Freund zu haben. Wie zum Beispiel das große und allseits beliebte Platz eins Thema Frauen. Nicht nur, dass ich sie bedingungslos verstand und mein Wissen diesbezüglich gern an meinen besten Freund weitergab, nein, es wirkte bei Mädchen gerade anziehend, wenn man schwul war. Ähnlich wie der Trick mit dem Baby-Hund. „Es gibt Tage, da wünschte ich, ich sei auch schwul, dann wäre es viel leichter, Mädchen kennen zu lernen.“ hatte Ray mal gesagt. Natürlich konnte er nicht nach vollziehen, was genau ich jetzt an Zac Efron oder diverse Männchen aus dem Pub verlockend fand und gegen überschwules Verhalten in der Öffentlichkeit gab es vereinzelte Regeln, denen ich mich zugunsten seiner Heterosexualität fügen sollte. Die hatte Ray vor eineinhalb Jahren verfasst und er musste, zugegeben, mich dennoch täglich daran erinnern. Es fiel mir nunmal nicht besonders leicht, mich gegen mein natürliches Verhalten zu stellen und mich zu verstellen. Und über Jungs oder Zac Efron quatschen, das ging auch nicht mit ihm. Dafür hatte ich dann Lilly. Wobei sie, genauso wie Ray-Ray, meine Zuneigung gegenüber Zac auch nicht wirklich nach vollziehen konnte, aber in gewissen anderen Dingen war sie eben unersetzlich. Und da fing die Geschichte an. Nach den Sommerferien, die uns innerhalb von sechs Wochen zu den großen Oberstufenschülern machten. Es lief alles doch erheblich anders ab, als in der Mittelstufe. Wie wir unsere Pflicht- und Wahlkurse vor den Ferien gewählt hatten, erhielt jeder Schüler am ersten Montag einen eigenen Stundenplan mit Raum- und Lehrerangaben und von da an mussten wir zusehen, wie wir zurecht kamen. Es gab Deutschkurse und Englisch, Physik und Musik, Sozialwissenschaften und Sport und und und. Und Ray-Ray und ich, wir hatten fast alles zusammen. Was für ein ausgesprochenes Glück. So auch Mathe. Und Mathe war eine Angelegenheit in meinem Leben, die ich alles andere als gern ansprach. Mathe war mir unbegreiflich. Ich hasste Mathe. So sehr, dass ich manchmal Nachts nicht schlafen konnte. Und Mathe hasste mich. So sehr, dass es sich alle Mühe gab, sich voll und ganz gegen mich zu versperren. Und wir hielten das schon ziemlich stur vier Jahre durch. Und keiner von uns sah sich in Naher Zukunft aufgeben. Hatte ich bis zum Abschluss der zehnten Klasse noch geglaubt. Stimmte nicht. Nun ja, Mathe an sich würde für mich auch in der Oberstufe ein einziges Rätsel bleiben, das war uns allen klar. Aber ich fing am ersten Montagnachmittag nach den Sommerferien an, mich auf Mathe zu freuen. „Wie zur Hölle konnte das denn passieren?“ fragte Lilly empört am Telefon, als ich ihr diese Nachricht überbrachte. Ich zuckte lächelnd die Schultern „Vielleicht wegen Zac.“ Sie schnaubte „Was hat der denn jetzt damit zu tun?“ Offensichtlich nervte ich mit Zac. Was mir sehr egal war. „Du wirst es kaum glauben, aber Zac unterrichtet jetzt an unserer Schule Mathe. Unseren Kurs.“ „Wie darf ich das denn verstehen?“ „Ja, du hast Recht“, gab ich zu „es ist nicht wirklich Zac, aber er sieht aus wie er. Fast ganz genau so. Frag Ray.“ Lilly lachte. „Er heißt Branner. Marc Branner. Ist neu an der Schule seit jetzt, wir sind seine erste eigene Klasse. Kurs. Wie auch immer.“ „Hey Tim“, begrüßte Ray-Ray mich am nächsten Morgen an der Bushaltestelle. Er nickte zu mir rüber, nahm den letzten Zug seiner Zigarette und ließ den Stummel dann auf den Boden fallen, um drauf zu treten. Ich gähnte und erwiderte sein begrüßendes Nicken. „Na, alles klar?“ fragte ich müde und riebe mir das linke Auge. Er nickte knapp „jap. Du, sag mal...“ „hm?“ Ray sah mich kurz musternd an, dann redete er weiter: „wenn du jetzt auf Herr Branner stehst... hörst du dann auf, ständig von Zac Efron zu reden?“ Ich schnaubte leicht empört „bist du verrückt?“ Mit einem Mal war ich hell wach, als wenn ich nie geschlafen hätte „wie kann ich jemals meine erste große Liebe vergessen?“ „Tim...“ Ray seufzte genervt, doch natürlich reagierte ich nicht darauf „glaubst du wirklich, dass es wahrscheinlicher ist, dass Herr Branner eines Abends mit Popcorn vor meiner Haustür steht und einen High School Musicla Abend machen will, als dass Zac anruft um zu erklären, dass er die Dreharbeiten für den vierten Teil hinschmeißt und zu mir in mein Zimmer ziehen will?“ Ray tat so, als würde er kurz darüber nachdenken, natürlich wusste ich, dass er das nur mit „Ja“ beantworten konnte, doch stattdessen sagte er: „du würdest wirklich auf den vierten High School Musical Teil verzichten?“ Überrascht ob dieser Frage zog ich die Augenbrauen zusammen und legte meinen Kopf nachdenklich schief. Das ist eine doch sehr bedenkswerte Frage, die in der Tat einige Zeit brauchen würde. Ich sah Ray böse an, steckte mir die Ohrhörer meines lila iPods in die Ohren und als der Bus kam und wir einstiegen, hörte ich nur noch Brian Molkos Stimme, die laut und entspannend in mein Ohr säuselte. Ray-Ray, eigentlich Ramon Schuster, war ungefähr zur Hälfte Spanier, zur anderen Deutscher und sein Name brachte diesen Umstand deutlich zur Geltung. In der fünften Klasse handelte er sich durch den Englischunterricht den Spitznamen Ray ein, weil unsere damalige Lehrern, echt gebürtige Kanadiern, es nie auf die Reihe brachte,  Ramon echt deutsch oder wenigstens spanisch auszusprechen, sondern immer diesen leichten, englischen Akzent drinnen hatte und er so jede vierte Stunde nicht mehr Ramon, sondern Raymon war. Er war äußerst muskulös mit breiten Schultern und schmaler Hüfte und unter seinen dunklen Locken glänzten fast schwarze Augen. Lilly war klein und schmal, hatte helle Haut, helle Augen und helles Haar. Sie war ein sehr verwöhntes Einzelkind und wir munkelten, dass sie adoptiert war, weil sie mit Cleverness und Intelligenz überzeugte, ihre Eltern hingegen eher normal waren; streng und hart arbeitende Workaholics, die es irgendwie schafften, ihrer Tochter trotz der rundum-arbeiterei genügend Aufmerksamkeit entgegen zu bringen, dass sie auf ein Glückliches Sein schauen konnte. Und dass wir bemerken konnten, dass Lisa, so hieß sie eigentlich, eine erstaunliche Kombinationsgabe besaß, ganz im Gegensatz zu „Mom“ und „Dad“. Natürlich liebten wir Herrn und Frau Wolf trotzdem. Über Herr Branner wusste ich so gut wie nichts. Er sah aus wie meine erste große Liebe, im Unterricht war er locker, trotzdem diskret und wenn es sein musste, konnte er auch ganz schön laut werden. Und um ehrlich zu sein, das fand ich extrem sexy. Er schien mir am Anfang etwas nervös zu sein, aber ich glaube, dass überdeckte er ganz geschickt mit seinem eben angeeignetem Wissen. Herr Branner, Marc, hatte vor gar nicht so langer Zeit erst seine Abitur-Prüfungen gemacht   und neben Mathe unterrichtete er auch noch Sport und ich beneidete die Klassen, die Sport bei ihm hatten. Doch wahrscheinlich würde ich am laufenden Band in spontane Ohnmacht fallen, würde ich diesen Mann hautnah in engen T-Shirts sehen, wie er seine Schüler womöglich mit Körpereinsatz zum Sport und Spiel animierte. Und ich würde wahrscheinlich die Leichtathletik gar nicht überstehen, wenn er mir nur einmal Hilfestellung geben würde. Lilly wartete im Bus auf uns und zwinkerte mir zu. Es war Dienstag und das bedeutete, zwei Stunden Mathe standen auf dem Plan. Gleich, nachdem wir Philosophie hinter uns gebracht hätten, nach unserer zwanzig-minütigen Pause würde Herr Branner wieder irgendetwas reden von Definitionen und Funktionen. Ich hörte ihm zu. Gerne. Mit vollstem Genuss, ich ließ mich durch Nichts ablenken, durch gar nichts. Nicht durch Ray-Ray oder Lilly, einem Eichhörnchen auf dem Baum vorm Fenster oder durch Patricks alltägliche Alberein zum allgemeinen Vergnügen. Ich lächelte Lilly vergnügt an und bedeutete ihr dann, dass ich gerade sauer auf Ray war und deshalb nicht mit ihm sprach und deshalb laut Musik hörte, weshalb ich auch mit ihr nicht sprechen konnte. Und natürlich dachte ich an Ray-Rays Frage, ob ich auf einen vierten High School Musical Teil verzichten könnte, wenn ich dafür Zac oder wenigstens Herr Branner bekäme. Und ich dachte an  Definitionen von Funktionen und Lineare, denn alles, was mit Mathe zutun hatte, brachte ich neuerdings zwangsläufig mit Herrn Branner in Verbindung. Er war einfach toll. Ganz besonders an diesem Morgen, als Lilly, Ray-Ray und ich das Schulgebäude betraten und uns für den Rest der Wartezeit an einen Tisch in der großen Pausenhalle niederlassen wollten. Ich hörte nur noch auf einem Ohr Musik,  nämlich auf dem, welches Ray-Ray (und deshalb auch Lilly) zugewandt war, als ich Zacs und Herr Branners Stimme neben mir wahrnahm: „Tim“, sagte sie freundlich. Mir blieb der Atem stehen und ich drehte mich, mir kam es vor wie in Zeitlupe, zu ihn um. Meine Augen wurden größer und größer, doch er merkte das nicht. Er lächelte nur lieb, umwerfend, einfach göttlich. Nicht dieses blöde Lächeln, dass ihn wirken ließ, wie ein Idiot, sondern das andere Lächeln. Das Lächeln, dass wohl jedes Mädchen auf der ganzen Welt zum Schmelzen brachte. Und mich. Und bei meinen Knien fing es an. „Guten Morgen“, sagte sein Lächeln. Und ich starrte es an. Die rosigen Lippen, die so zart aussahen, die sicherlich nach etwas ganz besonderem schmeckten, und diese perfekten Zähne im perfektem Weiß. Ich stotterte „ähm.. äh...“ „Was hörstn da?“ Herr Branner nickte zu meinem Ohr. Ich schluckte hart und zog den Kopfhörer raus. „Placebo“, nuschelte ich und spürte, wie das Blut in meine Wangen schoss, sie aufwärmten und mit Sicherheit leicht rot färbten. Wie peinlich. „Sind gut“, lächelte Herr Branner, er zwinkerte, drehte sich dann nach rechts um und ging  in die Richtung der Klassenzimmer, und zum Abschluss sagte er: „das neue Album ist nicht schlecht.“ Lilly legte ihre Hand auf meine Schulter. Mit rasendem Herzen drehte ich mich zu ihr um und sah nur ihr blondes, langes Haar irgendwo vor mir. „Atmen nicht vergessen“, hörte ich ihre Stimme, doch sie klang gedämpft, wie durch Wände, sehr weit weg. „Das ist doch bescheuert“, hörte ich auch Ray-Rays Stimme, sie klang deutlich genervt. Ich sah, wie er sich seine Tasche enger auf die Schulter klemmte und uns dann verließ. „Mach dir nichts daraus, er ist noch müde.“ entschuldigte Lilly sein unsensibles Verhalten. Welches mir herzlich egal war an diesem Morgen. Herr Branner hatte mich persönlich begrüßt. Herr Branner hatte meinen Musikgeschmack für gut befunden. Herr Branner hatte mich bemerkt. Ich war total in Herrn Branner verschossen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)