Orthogonalität am Beispel des virilen Objekts von abgemeldet (Herr Branner und ich) ================================================================================ Billy Talent needs to take Placebos ----------------------------------- Als Ray und ich am Freitagmorgen den Klassenraum betraten, war das Gerede aufgeregter als sonst. „Habt ihr es schon gehört?“ kam uns sofort Pat entgegen, er klang wahnsinnig aufgeregt, und hinter ihm hibbelte Flo, mit der Information auf der Zunge, die er kaum zurück halten konnte. „Was gehört?“, sagte Ray müde „ist Frau Dahlmann explodiert?“ „Nein, so ein Quatsch“, meinte Flo „es gibt neues über Herrn Branner!“ „Eher ein Gerücht, eigentlich“, erklärte Pat und mein Puls schoss augenblicklich in die Höhe. Was war das jetzt schon wieder, was alle wussten, nur ich nicht? Zitternd legte ich meinen Rucksack auf den Tisch und Ray ließ sich genervt auf den Holzstuhl fallen. „Er wurde gefeuert.“ sagte Flo aufgebracht und nun kam auch Julie zu uns, ohne das vorherige Gespräch mit bekommen zu haben. Sie sah mich mit komischem Blick an, den ich um alles in der Welt nicht verstand. „Er hatte doch eine Affäre mit einem Schüler“, meinte sie, und ihre Stimme zitterte. Genauso, wie meine Knie. Mein Herz blieb plötzlich stehen und das Gerede um mich herum verstummte. Die Welt hörte auf, sich zu drehen und ich taumelte einen Schritt zurück, ließ mich unsanft auf den harten Stuhl fallen und hörte Rays Stimme, wie durch Watte, aufgebracht reden „Was? Wer erzählt so was? Wisst ihr überhaupt, ob das stimmt? Wer verbreitet denn solche miesen Gerüchte?“ „Schon gut Ray“, kicherte ein Mädchen „sei nicht eifersüchtig.“ „Halt dein Maul“, entgegnete er entzürnt, und das beruhige mich irgendwo. Ray war doch niemand, der schnell ausrastete, doch jetzt klang er so, als würde er gleich explodieren. „Das ist doch nicht mehr nachvollziehbar, irgendwer hat's wohl irgendwo auf geschnappt, die ganze Schule redet davon...“ Als ich auf sah, sah ich blaue Augen. Ich war kurz verwirrt, dann erkannte ich Joe Engel. Er lächelte. Er hielt mich fest. Die Stimmen wurden leiser und ich sah nur ihn. „Ist alles klar?“ fragte er leise. Ich nickte und fühlte mich wie betrunken, aber plötzlich sehr zufrieden und auf eine komische Art glücklich. „Keine Sorge, Tim“, sagte Joe leise, so leise, dass es niemand um uns herum hören konnte „das ist nur ein Gerücht. Oder wollte jemand von der Schule mit dir reden?“ Ich schluckte hart. Dann schüttelte ich den Kopf. Niemand hatte mich angesprochen, ins Sekretariat oder gar zur Schulleitung verlangt, alles war eigentlich wie immer gewesen, ich war nach wie vor der unauffällige Schüler gewesen. „Dann ist doch alles in Ordnung.“ Joes Stimme war sanft und mitfühlend, er lächelte mich so liebevoll an. „Ja, ja“, ich nickte, dann spürte ich, wie die Erde wieder zu rotieren begann, die Stimmen wurden wieder lauter, bis die Welt um uns herum wieder normal war. Wie alles war wieder normal. Dann kam Frau Dahlmann, um mit dem Englischunterricht zu beginnen, und die aufregenden Gespräche um Herrn Branner und seine Affäre verstummten und fremdsprachige Diskussionen begannen. Dennoch spürte ich die Anspannung im Raum und wusste, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. ~*~ „Oh mein Gott, habt ihr das gehört?“ kreischte Christine, als sie kurz nach dem Schellen in den Klassenraum stürmte. Ich befürchtete, dass es etwas mit Marc und dem komischen Gerücht zu tun hatte, als sie auch schon, hysterisch mit den Armen fuchtelnd, bei ihren Freunden ankam und so laut, dass auch ja jeder, inklusive unserer Englischlehrerin Frau Dahlmann, es hören konnte „Herr Branner soll versetzt worden sein weil er 'ne Affäre mit Josh Sutherland aus der dreizehn hatte!“ „Was?“ Ertönten mehrere Stimmen gleichzeitig, und ich konnte nur meine eigene ausmachen. Ich ließ meinen Rucksack los und ging zu Christine hin „Was?“ fragte ich noch mal und sah sie scheinbar sehr bedrohlich an, denn sie wurde kleiner und ging einen Schritt zurück „Ähm.“ „Was hast du gesagt, mit wem soll Marc...“, ich stoppte im Satz, wich einen Schritt von der kleinen Mädchengruppe zurück, die mich interessiert und verwirrt musterte. „Ähm“, ich räusperte mich, versuchte, meinen Puls zu beruhigen und sammelte meine Worte „Josh Sutherland?“ Die Dunkelhaarige nickte „Unfassbar, oder? Er war immer so ein netter Typ. So ein toller, gutaussehnder Junge“ „Mit Herrn Branner?“ „Ist niemanden zu verübeln“, meinte das Mädchen schulterzuckend, und ahnte nicht, wie falsch sie damit lag „sind beides Männer zum anbeißen. Nicht?“ „Tz!“ ich drehte mich um, nahm meinen Rucksack und ging runter in die Pausenhalle. Das Getuschel war groß, das Gerücht war nun auch hier angekommen und mein Freund und mein Bruder waren das Gesprächsthema schlechthin. Die Dreizehner tummelten sich in ihrer üblichen Ecke, und auch Steve saß dabei, eingehüllt im schwarzen Kapuzenpullover, still schweigend. Er wirkte müde. „Steve“, sagte ich, als ich fand, dass ich nah genug bei ihm war, und außer seinem, drehten sich auch einige andere, verwirrte Gesichter zu mir um. „Wo ist er?“ sagte ich, streng und mit kraftvoller Stimme. Ich war wütend auf ihn. Steve zuckte müde die Schultern. Ich brummte genervt, drehte mich um und kramte nach meinem Handy, um Josh anzurufen, als es mir schlagartig klar wurde. Das Telefon glitt zurück in meine Hosentasche und ich verließ das Schulgebäude, um über den Hof hin zu den Treppen zu gelangen, die zum unteren Schulhof führten. Ich sah ihn schon von oben dort stehen, wo es moderig roch und eiskalt war, vom Wind, der vom Fluss hoch kam. „Joshua!“ rief ich, dieses mal klang die Stimme nicht mehr so sauer, und ich lief die Stufen runter. Er drehte sich zu mich um, zuerst sah er verwirrt aus, dann traurig. Als ich bei ihm ankam, begrüßte er mich friedlich „Hey.“ „Hey?“ entgegnete ich verwirrt und ein bisschen verärgert. Er zuckte nur die Schultern. „Was ist mit diesem Gerücht?“ sagte ich. Josh lächelte, er tätschelte müde meinen Kopf, dann drehte er sich von mir weg und sah zum Fluss runter. „Ich dachte, es sei besser.“ „Was?“ entgegnete ich laut. Ich trat vor ihn, damit er mir ins Gesicht sehen musste, was er jedoch nicht tat. Er war immerhin sehr viel größer als ich, sodass er einfach über mich hinweg sah. Doch dass er wirklich müde aussah, und leicht mitgenommen und ziemlich fertig war, bemerkte ich erst jetzt. „Was... was ist los? Ist alles in Ordnung?“ fragte ich leise. Josh lächelte, seufzte, sank dann den Blick und schluckte hart die aufkommende Tränen. Seine Finger verkrampften sich, die Hände zitterten und er schüttelte den Kopf. „Josh!“ sagte ich leise, trat näher an ihn heran und legte meine Hand auf seine Schulter. „Ich wollte nicht, dass er in deiner Nähe ist.“ meinte er dann und sah wieder zu mir auf. Ich zog meine Hand zurück „was?“ „Marc. Der Kerl ist... er soll nicht in deiner Nähe sein, er hat dir schon genug weh getan.“ „Heißt das“, sagte ich leise „das kommt von dir? Er ist wegen dir weg?“ „Ich war bei der Schulleitung“, nickte er „war meine Idee. So verschwindet er von der Schule, von hier, von dir und den anderen.“ „Was ist mit Steve?“ sagte ich aufgebracht, denn das war das Erste, was mir in den Sinn kam. Nicht Marcs Verschwinden oder Josh Idee, ihn verschwinden zu lassen, sondern Joshs Freund. „Steve?“ seine Stimme zitterte. „Hast du ihm...“ Josh unterbrach mich, schüttelte den Kopf und wandte den Blick wieder ab „Steve hat's wenig gut verkraftet; zumindest wollte er mich nie wieder sehen und“, Josh hielt kurz inne, überlegte, suchte nach den Wörtern „ich sei mies, gemein, ein Arschloch, ein betrügerischer Heuchler... na ja, alles eben, was Marc ist.“ Dann sah Josh mich wieder an. Ich nickte. Verstehend. Und langsam begriff ich, was da hinter stand. Mein Bruder hatte etwas für mich getan, was seinem Image komplett geschadet hatte. Was ihm Missachtung auf Lebzeiten eingebracht hatte, was ihn vermutlich seine Freunde gekostet hatte. Und seinen Freund. Seine Liebe. Seine erste große Liebe, seinen ersten Freund. Wieso stellte er das nicht richtig? „Aber wieso sagst du ihm nicht die Wahrheit?“ fragte ich, vollkommen vergessend, was das alles für Marc bedeutete. Josh lächelte wieder, zynisch irgendwie „Ich will wirklich nicht, dass jeder von dir und dem Typen weiß, Tim.“ „Aber wenn du die schmutzige Affäre hast, ist es okay, oder wie?!“ meine Stimme wurde wieder lauter. „Es ist einfach besser so“, erklärte Josh, er legte seinen Arm um meine Schulter, zog mich zu sich heran, drückte meinen Körper ganz nah an seinen und ich spürte seine Wärme, sein schlagendes Herz, seine Trauer. ~*~ Als ich nach dem Unterricht auf den Schulhof kam, um mit Ray und Joe nach Hause zu fahren, stand Joe allein dort und wartete auf mich. Mein Herz hüpfte aufgeregt, als ich ihn sah und erinnerte mich ein wenig daran, als ich mich damals in Marc verliebt hatte. „W-wo is Ray?“ stotterte ich, und Joe, der mindestens genauso aufgeregt war, wie ich, zuckte die Schultern: „Irgendwas mit seinem Bruder.“ Ich nickte verstehend, wollte da auch nicht weiter drauf eingehen und gemeinsam, nebeneinander her, gingen wir dann langsam zur Haltestelle. Es war ein angenehm schönes Gefühl, Joe um mich herum zu haben, ich fühlte mich wohl und erwünscht bei ihm. „Tim?“ sagte er leise und ich sah auf, zu ihm hin, in seine Augen, die mich schüchtern ansahen. „Hm?“ „K-kommst du heute Abend mit? Wir treffen uns im Pub.“ Ich schmunzelte. Joe wurde etwas rot. „Kommst du?“ fragte ich grinsend und Joe nickte: „Klar.“ „Dann komm ich auch.“ sagte ich und sah wieder nach vorn, als er mein Handgelenk packte und mich so zwang, mich zu ihm umzudrehen. „Was...?“ fragte meine Stimme verwirrt und ich sah ihn an, seine Augen leuchteten, seine Wangen waren etwas rot, von der Kälte, seine vollen, rosa Lippen waren etwas geöffnet und sein Atem formte kleine, niedliche Wölkchen in der Janaurkälte. „Trink nicht wieder so viel.“ sagte er dann, grinste und ging dann lachend an mir vorbei. Sein Lachen war so schön. Ich glaubte, ich war in ihn verliebt. Es tutete eine Weile, eher es klackte und Ray müde antwortete: „hm?“ „RAY!“ rief ich in mein Handy und spürte quasi, wie mein Gesprächspartner erschreckte „scheiße, was'n los?“ „Du sollst nicht so viel rauchen“, entgegnete ich, lächelte kurz, erinnere ich aber dann an den Grund, wieso ich ihn überhaupt angerufen hatte. Gleich nachdem ich nach Hause gekommen war von der Schule, sofort, als ich in mein Zimmer getreten und die Tür zugeknallt hatte. Jacke und Schuhe hatte ich noch an, der Schal hing noch um meinen Hals. „Rääähääääi“, jammerte ich, und ließ mich schwerfällig auf mein Bett fallen. „Oh je Tim“, seufzte er „die Regeln?“ „Außer Kraft gesetzt!“ „hmpf“, Ray seufzte genervt, aber tat wenigstens so, als würde er es nicht sein und sagte: „Was ist denn los?“ „Ich bin eine Schlampe!“ quängelte ich und öffnete schwer ächzend meine Jacke. „Okay...“ hörte ich ihn sagen, deutlich verwirrt und wohl nicht wissend, was er darauf entgegen sollte. „Ja“, nickte ich wehleidig, schloss die Augen, strich mir über das Gesicht und begann, es ihm zu erklären: „Ich glaub, ich hab mich voll verknallt.“ „Ist doch nichts Neues...“ „So richtig. Mein ich.“ „Hm“, Ray klang nachdenklich und ich erhoffte mir eine Antwort auf all meine Probleme, doch nichts kam. Eine ganze Weile, dann hörte ich ihn schwer ausatmen „Wo ist das Problem?“ Jetzt zog ich die Stirn in falten und dachte kurz nach. „Ich mein, du bist ständig in irgendwen verknallt. Der Typ aus der Kneipe, dieser Schauspieler, der Kellner im Eiscafé, dein Lehrer...“ zählte er dann auf und ich zuckte kurz zusammen. Das mit Marc war nur am Anfang eine Schwärmerei gewesen, ihn hatte ich ja wohl so richtig geliebt. Glaubte ich. „Das waren doch nur Schwärmerein, die fand ich süß; aber dieses Mal ist es anders. Es ist...“ wehmütig seufzte ich. „Okay, und wo war jetzt das Problem?“ fragte Ray noch mal, und ich zuckte die Schultern. „Ist er nicht schwul?“ „Doch...“ „Kennt er dich nicht?“ „Doch...“ „Er hat einen Freund und mag dich nicht...“ „Doch... tut er. Das weiß ich sogar ziemlich genau!“ lächelte ich und dachte an den Tag, an dem ich die Wahrheit erfahren hatte. Leichte Gänsehaut zog sich über meinen Rücken. „Boah“, sagte Ray laut und deutlich genervt „jetzt mal ernst, WO ist dann das Problem?“ Entweder verstand Ray mich nicht, oder ich verstand mich nicht. Denn im Grunde, da hatte er doch Recht, oder? Aber andererseits war da immer noch Marc, mit ihm war doch wegen dieser ganzen Sache nicht gleich Schluss, oder etwa doch? Er war mir irgendetwas schuldig, irgendetwas musste er doch tun, es konnte doch nicht sein, dass ich ihn nie wieder sehen oder nie wieder hören würde. Immerhin waren wir ein richtiges Paar gewesen, für ganze drei oder vier Wochen, da vergaß man sich doch nicht einfach so? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)