Orthogonalität am Beispel des virilen Objekts von abgemeldet (Herr Branner und ich) ================================================================================ Bitter End ---------- Da passiert jetzt n bisschen viel 'aufeinmal' ___________ „Tim“, flüsterte jemand. Ich schlug die Augen auf. Und alles war verschwommen. „Woah“, machte ich „wasn los?“ Joe lachte leise, dann spürte ich seine Hand, sie fuhr über mein Gesicht, hielt kurz meine Wange fest, dann strich sie eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr. „Ist alles klar bei dir?“ fragte er. Ich schüttelte den Kopf: „Nein.“ Er beugte sich vor und legte seine Arme um mich. Von irgendwo hörte ich freies Gelächter, rauschen und Knallen. Ich drehte mich zum Fenster und nahm hell aufleuchtende Farbe wahr, die genauso schnell verschwanden, wie sie kamen. „Oh man es is zwölf Uhr!“ rief ich aus und richtete mich von der Couch auf „ich bin eingeschlafen?“ „Ist schon okay, das macht doch nichts.“ sagte Joe. Er stand neben mir, er hielt mich fest. Gerade stehen konnte ich nicht, mein Körper wankte gefährlich und mir war klar, dass ich sehr stark angetrunken war. Leichte Übelkeit breitete sich schon in meinem Bauch aus. „Oh, Joe“, machte ich dann und drehte mich zu ihm um: „Du hast ja Geburtstag.“ Ich lehnte mich ungeschickt vor und wollte ihn umarmen, stattdessen ließ ich mich von ihm auffangen, weil ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Etwa hilflos kamen wir zurück zum Sofa und ließen uns grob in die Polster fallen. Es war Neujahr. Der erste Tag in einem Jahr. Ein Neuanfang, so zu sagen. Etwas altes, was man hinter sich lassen sollte, war zu ende, und etwas neues, was man mit offenen Armen empfangen sollte, stand vor einem. Und mir kamen die Tränen, als ich an Marc dachte. Etwas ungeschickt schniefte ich und strich mit dem Ärmel des Hemdes über mein Gesicht. „Was ist los?“ fragte Joe. Ich kniff die Augen zusammen, drehte mich von ihm weg und schüttelte den Kopf. Versuchte, mit aller Kraft, meine Emotionen und Tränen in mir zu halten „nichts ist. Nichts.“ „Komm schon“, sagte Joe, er legte seine Arme von hinten um meine Schultern und zog mich zu sich heran. Das erinnerte mich daran, wie Marc mich immer anfasste. Ich vermisste ihn so wahnsinnig, ich wünschte mir so sehr, dass Marc hier wäre. „Marc“, nuschelte ich dann leise und gegen meinen Willen, der im Moment aber sowieso ausgeschaltet war. „Marc?“ machte Joe verwirrt. „Oh Gott Joe, weißt du, was er gesagt hat, nachdem er mich geküsst hat?“ Joe verkrampfte etwas. „Er sagte, er würde nicht gerne rumfuschen in Beziehungen. Er würde mich so lieben“, ich stockte kurz, das war gelogen „aber er würde sich nie zwischen Zwei drängen. Er dachte wirklich, du und ich seien zusammen.“ Meine Wangen waren feucht von den salzigen Tränen und ich drehte mich halb in seiner schlaffen Umarmung um, um sein Gesicht zu sehen. Seine Augen waren blau, und sie sahen direkt in meine. „Sowas“, krächze seine Stimme, dann senkte er schnell den Blick und räusperte sich. „Oh Gott“, machte meine Stimme und sie klang so schrecklich herzzereissend, dass ich selbst von meinem Gefühlsausbruch überrascht war „ich vermisse ihn so, ich will, dass er ihr ist.“ Meine Finger verkrampften sich und krallten sich in Joes schwarzen Pullover fest. Er war so warm. Etwas verzweifelt drückte ich mich an, doch er legte nur zögerlich seine Arme um mich. „Aber wieso ist er nur so?“ fragte ich und schmiegte mein Gesicht an seine Brust. „Ähm“, sagte Joe unsicher. Er tätschelte meinen Kopf, strich über meinen Rücken und wirkte ziemlich ratlos. Dann war alles schwarz. Bis ich wieder eine Stimme hörte, weit weg, doch sie wurde immer lauter. „Tim...“, sagte sie, klang stark und kräftig, doch ein etwas besorgter Unterton schwang in ihr mit. Ich öffnete noch mal die Augen. Die Welt drehte sich um mich und ich sah nur dunkle Farben, die ich nichts zuordnen konnte, verschwommene Konturen und Umrisse, aber nichts richtig und niemanden wirklich. „Timmi“, sagte die Stimme wieder, jemand packte meinen Arm und zog mich hoch. In mir drehte sich alles um und ich musste würgen. „Musst du kotzen?“ fragte er. Ich schüttelte den Kopf. Meine Arme waren so schwach, ich konnte sie nicht anheben. „Hey, ist alles in Ordnung?“ fragte er. Ich sah auf, kurz flog mein Blick verwirrt umher, dann wurden blauen Augen klar. Die kannte ich genau und zum ersten mal in meinem Leben war ich wirklich froh, sie zu sehen. Ich seufzte erleichtert auf, ließ mich nach vorn fallen und von Josh auffangen. Dann sagte ich: „Verdammt hast du keine eigenen Freunde bei denen zu feierst?“ Josh lachte, er hielt mich fest in seinen starken Armen, und die Welt drehte sich um uns „nichts ist mir wichtiger als dein Wohlbefinden.“ „Ach du Lügner.“ Er lachte wieder auf, strich mir vorsichtig über den Kopf, dann setzte er meinen wehrlosen Körper zurück auf das Sofa. Ich hasste dieses Sofa. Steve und Ray und Lilly standen hinter ihm und sahen mich mitleidig an. „Ray hat mich angerufen“, erklärte Josh „du hat's wohl ein Moralischen.“ „Ein was?“ Verwirrt sah ich Josh ins Gesicht. Seine Wangenknochen waren hoch, seine Lippen schmal und sein Haar war kurz und dunkelbraun. Er hatte tolles, kurzes, dunkelbraunes Haar, das mich an Marc erinnerte. Ich schluckte hart. Die aufkommende Trauer runter. Die Tränen. „Oh man“, machte ich und mein Körper begann, komisch zu zittern. Josh griff nach meinem Arm und zog mich zu sich hoch, sodass ich ganz nah bei ihm stand und sein Herz schlagen spüren konnte „Komm Tim, ich bring dich nach Hause.“ „Hm“, machte ich, unfähig, etwas anderes zu antworten. Der Vorschlag klang gut. Zu Hause. Josh hielt mich in seinen starken Armen fest und drehte uns zu Steve und Ray um. „Steve?“ fragte er. In der Frage war soviel mehr als nur der Name. Man hörte eine Entschuldigung, die Frage nach Verständnis und eine Bitte mit heraus. Steve nickte, er tätschelte auf Rays Schulter herum und sagte: „Schon okay, Josh.“ „Okay“, hauchte mein Bruder, er trat an Steve heran und drückte ihn einen Kuss auf die Lippen. Ein komisches, aufregendes Gefühl durchfuhr mich, ich fühlte mich kurz klarer im Kopf und wacher. Ich wusste, dass sie zusammen waren, aber ich hatte darüber niemals nach gedacht. Josh war schwul. Mein Blick fixierte Ray. Und Ray sah mich an, zuerst mitleidig, dann komisch, dann verstehend und dann hob er abwehrend die Hände: „Oh nein Tim, wag es nicht!“ Josh und Steve lachten leise. Dann redeten sie noch kurz miteinander, leise. Man konnte sie hören, doch ich hatte noch etwas zu tun. Verwirrt sah ich mich im Raum um, doch es war niemand da. „Ich such Joe“, sagte ich deshalb und verließ das Zimmer. Ich kannte mich ja wirklich gar nicht in diesem Haus aus, und es war riesig, aber ich vertraute auf mein Bauchgefühl, ging die Treppe in die Eingangshalle runter und steuerte eine unauffällige, weiße Tür an. Konnte natürlich auch am Licht gelegen haben, welches unter dem Schlitz hervorschein, dass ich mich ausgerechnet für diese entschieden hatte. Ich drückte sie auf und fand mich in einer großen Küche wieder, in dessen Mitte, allein auf einem Hocker an einer Theke, Joe saß. Joe, ihn hatte ich gesucht und sofort gefunden. Orangenduft kroch mir sofort in die Nase. „Joe“, lächelte ich und ging zu ihm. „Tim“, erwiderte er kühl. „Ich wollte mich entschuldigen“, erklärte ich „weil wegen ich hab dir dein Geburtstag versaut.“ Joe sagte nichts, er zuckte nur mit den Schultern und ich verstand ihn nicht. „Na ja“, machte ich „Ich fahr jetzt nach Hause. Viel Spaß noch bei deiner Party.“ „Hm“, entgegnete er matt. Ich sah in seine blauen Augen, sie waren kalt und er wirkte ein bisschen enttäuscht. „Hm“, sagte ich und aus der Unklarheit meiner Gedanken kristallisierte sich nur eine logische Aktion heraus. Ich wollte mich vorlehnen, ihn umarmen, kam seinem Gesicht mit meinem näher, mein Herz raste, als sich unsere Gesichter fast berührten und ich spürte eine Sehnsucht in mir, die ich vorher noch niemals gefühlt hatte und ich wusste, dass sie gestillt war, wenn ich ihn jetzt küsste. Doch Joe wandte sich ab, er drehte den Kopf zur Seite und drückte mich dann von sich weg. Nun war ich daran, enttäuscht zu sein: „Was denn los?“ „Tim“, sagte er ernst „ich fusche nicht gern rum.“ Dann wurde die Tür aufgeschlagen und Joshs Stimme drang zu uns vor: „Tim komm jetzt!“ Mir wurde schlecht, ich drehte mich um, beugte mich vor und kotze. „Scheiße“, hörte ich Josh zischen. Ich fühlte mich komisch, meine Beine sackten zusammen, mir wurde schwarz vor Augen und ich spürte zwei Arme, die sich um mich schlangen, bevor ich den Aufprall auf die weißen Fließen erwartete. Ich war im Auto. Dann war ich in Joshs Armen und er fummelte irgendwie unangenehm an mir und vor allem an meiner Hose herum. „Wasn los?“ fragte ich verwirrt und versuchte, zu erkennen, wo ich war, wo Josh war und allem voran, was er an meiner Hose machte. „Die Schlüssel, Tim.“ erklärte er und ließ dann von mir ab. Ich brummte genervt, griff in meine Tasche und drückte sie ihm in die Hand. Er öffnete die Haustür, wir schleppten uns die Treppe hoch und kamen dann in die nach Tannenbaum und Lebkuchen riechende Wohnung. Josh dirigierte mich in mein Zimmer und ließ mich dann auf meinem Bett fallen. Ich rollte mich auf die Seite und sah Josh an „Joshua?“ „Hm?“ etwas entnervt setzte er sich zu mich auf die Bettkante „Bleibst du hier?“ Er tätschelte mir sanft über den Kopf und nickte. „Gut“, sagte ich und schloss die Augen. Alles drehte sich um mich, nur Josh nicht. Sofort öffnete ich die Augen wieder, suchte kurz nach Josh, dann griff ich seine Hand, zog sie zu meinem Gesicht und legte meinen Kopf drauf. „Ach Timmi“, flüsterte er. „Joshua“, sagte ich leise „es tut mir Leid, dass ich dich hasse.“ „Schon okay.“ entgegnete er leise. Er legte sich zu mir aufs Bett, ich machte ihm sogar ein bisschen Platz. „Josh?“ „hm?“ „Wieso nennt man sein Kind Johann Sebastian?“ Johann Sebastian und Lisa standen am nächsten Tag vor meiner Tür. Ich war aufgewacht und hatte eine irre Kopfexplosion, aber um mich herum war es wunderbar warm und es duftete einfach herrlich. Im ersten Moment, als ich den warmen Körper hinter mir spürte, dachte ich, ich sei bei Marc, dann erinnerte ich mich aber an den Streit und meine Flucht zu den Gebrüder Bacardi und Wodka und dann versuchte ich, mich zu erinnern was passiert war. Vorsichtig drehte ich mich in der Umarmung meines Bettgenossen um und sah dann Josh friedlich schlafendes Gesicht vor mir. Und dann fragte ich mich, wie lange er wohl nicht mehr hier übernachtet hatte und kam zu dem Entschluss, dass er noch nie hier bei uns in dieser Wohnung geschlafen hatte und das fand ich auf eine merkwürdige Art traurig. Immerhin war er mein Bruder, und das erste Kind von meiner Mutter. Wer weiß, wie fatal sie mich verzogen hätte, wenn sie nicht ein Übungsobjekt gehabt hätte. Ich seufzte friedlich auf und tätschelte Joshs Gesicht. Er roch nach Tannenbaum und ich hatte noch niemals vorher jemals den Duft von jemanden wahrgenommen. Das war seltsam aufregend und kirbbelig. Sein Gesicht zuckte, dann öffnete er die Augen, erblickte mich und lächelte. „Hm, guten Morgen, mein kleiner, schwuler Freund!“ Er drehte sich auf den Rücken und streckte sich. Ich zog grimmig die Augenbrauen zusammen (Kopfschmerzen!!!) und sagte: „Ich dachte, darüber wären wir hinweg!“ „Oh“, Josh sah mich an „du erinnerst dich?“ Josh duschte in unserem Bad, als ich in den Schränken in der Küche nach etwas essbarem suchte, wovon mir nicht schlecht wurde, und das war eine schwierige Mission. Denn hatte ich ja die letzten Tage ziemlich erfolgreich nur von Lebkuchen gelebt, gestern hatte ich wegen Liebeskummer nichts gegessen, deshalb hatte ich auch so schnell den Totalabsturz dank Wodka, und heute war ein Feiertag und Aldi hatte zu. Vorausdenken war nicht meine Stärke und so saßen Josh und ich jetzt hier, ohne was zum Essen, als es an der Tür klingelte. Die Uhr zeigte Nachmittag und ich fragte mich, ob sich irgendein Nachbar beschweren wollte, weil ich irgendwann mal in der Nacht laut gewesen war oder so. Ich drückte den Türaufknopf und öffnete die Wohnungtür und schielte über das Geländer im Treppenhaus, um zu sehen, welche zwei Gestalten hoch kamen. Lillys langes, blondes Haar erkannte ich sofort, und sehr schnell kroch mir auch der bekannte Zimtkeksgeruch, der von Joe ausging, in die Nase. Mein Herz fing binnen Sekunden an, zu rasen. Was wollte Joe hier? „Hey Tim“, sagte Lilly zur Begrüßug und umarmte mich kurz. „Lilly“, antwortete ich, lächelte sie an, dann sah ich zu Joe, der da stand und so schrecklich unnahbar wirkte, dass es schon weh tat. „Joe“, krächze ich „was... was ist los?“ Lilly und Joe tauschten gefühlvolle Blicke aus, dann gingen sie in die Wohnung und Lilly meinte: „Wir wollten sicher gehen, dass du heil angekommen bist und dass es dir gut geht.“ „Aha!“ Machte ich und lehnte mich in den Türrahmen meines Zimmers. Lilly hatte eine Mappe auf meinen Schreibtisch gelegt, die mich ziemlich neugierig machte, aber ich hielt mich zurück. Sie stand dar, mit verschränkten Armen und man merkte, wie sehr sie etwas sagen wollte und sich zurück hielt. Joe sah sich im Raum um, als er Marcs Foto erblickte, wurde sein neutraler Blick etwas sauer. Joe war komisch. „Wir müssen mit dir reden!“ machte Lilly endlich und man spürte, was für eine Anspannung von ihr fiel. Trotzdem war noch eine große Sache unausgesprochen und ich bekam Angst. „Was müsst ihr beide mit mir bereden?“ Was mussten vor allem Lilly und Joe mit mir bereden? Die beiden hatten doch mit einander so gut wie nichts zu tun. Dachte ich zumindest. „Es geht um Marc!“ sagte sie und umfaste sich selbst etwas fester. Lilly zitterte, aber ich konnte nicht erahnen, weshalb. Meine Beine kribbelten und machten den Eindruck, als würden sie gleich nachgeben, meine Brust durchfuhr ein aufregendes Gefühl und von dem flutete eine Welle Angst meinen Körper. „Äh“, stotterte ich „Marc? W... wer ist Marc?“ „Ach“, sie war sauer „tu nicht so!“ Lilly griff die mitgebrachte Mappe, ließ sie wieder los und setzte sich dann auf meinem Schreibtischstuhl. „Wir wissen, was du treibst, das geht schon eine Weile so!“ „äh“, machte ich, zu etwas anderem war ich auch gar nicht fähig. Ich konnte nichts sagen, nicht handeln und nichts denken. „Du bist ein Idiot Tim, das vorweg!“ sagte sie streng, stand wieder auf und ging zu Joe „Dieser Junge hier“, sie deutete auf Joe „der liebt dich so wie...“ sie hielt inne und suchte nach einem passenden Vergleich „der liebt so wie Romeo seine Julia geliebt hat“, und sie fand keinen tollen „und du Vollhonk“, Lilly kam auf mich zu und schubste mich grob nach hinten, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, ich musste mich am Türrahmen fest halten „du rennst mit einem Tunneblick durch die Welt und am anderen Ende steht dieses pädophile Arschloch!“ Das waren grausam gewählte Worte, die mir mindestens genauso weh taten, wie sie Marc weh getan hätte. „Äh“, machte ich, dann sah ich zu Joe. Seine Wangen waren leicht rot, sein Blick jedoch war noch kalt und enttäuscht. „Aber... das hab ich doch nicht gewusst...“ versuchte ich, mich zu rechtfertigen, doch Lilly schnaubte nur. Sie griff nach der Mappe und warf sie nach mir „gucks dir an. Guck, was für ein toller Mann dein blöder Herr Branner ist.“ Ich verstand ihre Wut nicht, vor allem weil sie selbst auch gesagt hatte, Herrn Branner würde sie „nicht von der Bettkante stoßen“; sie hatte ihn auch durchaus nett und toll gefunden. Ich hockte mich auf den Boden und griff die Mappe. „Was ist das?“ fragte ich, doch niemand antwortete. Das erste, was mir entgegen fiel, als ich sie öffnete, war ein Foto. Marc und ich, hier vor meinem Haus. Er hatte seinen Arm um mich geschlungen und grinste dreckig. „Woher hast du das?“ ich sah auf, wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte, wusste aber doch, dass Lilly jetzt gar kein Recht hatte, sauer zu sein; viel eher ich. „Guck weiter!“ forderte sie mich auf. Und ihr Tonfall war so beißend, dass ich mein Recht aufs Sauersein freiwillig abgab und weiter die Unterlagen durchblätterte. Ich fand noch einige andere Fotos von mir und Marc, in seinem Lotus, in seinem Hausgang, eins mit Nils, Marc und mir. Das roch nach Stalking und der Geruch stank. „Was ist das, woher habt ihr das?“ fragte ich nochmal etwas nachdrücklicher und sah Lilly und Joe enttäuscht und sauer an. „Joes Dad“, erklärte das Mädchen „er ist Privatdetektiv. Er hat Nachforschungen über deinen tollen Macker angestellt.“ „Wieso?“ „Weil er eine perverse Sau ist. Guck doch“, Lilly hockte sich zu mir auf den Boden und hielt mir ein Dokument hin, vom Schiller-Gymnasium. „Strafversetzt“, sagte sie und ich nahm das Blatt entgegen „wegen Sex mit Schülerin.“ Ich las den Namen Marc Branner und Miriam-Anna Koke, und der kam mir verdächtig bekannt vor. Dann legte mir Lilly ein weiteres Blatt auf dem vorherigen, von der Geschwister-Scholl-Schule. „Strafversetzt wegen Sex mit einem Schüler“, sagte sie und zeigte auf die Namen. Marc Branner und Manuel Groß. „Hier“, sagte Lilly, sie drückte mir noch mehr in die Hände „während des Studiums hat er's mit einigen minderjährigen Zehntklässlern getan, im Praktikum hatte er einen Schüler und als er Abiturient war, war seine Freundin gerade mal in der siebten Klasse.“ Lilly deutete auf den Namen Laura Berger. Den kannte ich auch. „Aber“, machte ich und las mir den Zettel noch mal genau durch „aber... wieso?“ „Er hat sich vorher nie strafbar gemacht, Sex zwischen Lehrer und Schüler ist eigentlich nicht verboten, wenn sie volljährig sind, Tim. Aber du bist erst sechzehn.“ Erklärte sie mir, ihre Stimme klang plötzlich so lieb und sie nahm sogar meine Hand. „Du musst nur gegen ihn aussagen.“ „Ach“, meinte ich, entriss mich ihrem Griff und richtete mich vom Boden auf „und wieso sollte ich das tun? Wie kommst du überhaupt darauf, dass Marc und ich Sex hatten?“ Meine Stimme zitterte, genauso, wie meine Hände und Knie. „Tim“, sagte sie, erstaunlich verständnisvoll, dafür, dass sie eben so sauer war. Frauen! „Nichts Tim!“ schrie ich „haut ab. Geht weg, verschwindet!“ Ich drehte mich um, ging ins Wohnzimmer und schlug mir die Hände gegen die Ohren. Ich war verwirrt, enttäuscht, wütend und traurig, mein ganzer Körper zitterte vor Ekstase und Gefühlswallungen und in meinen Augen sammelten sich Tränen, die ich unter keinen Umständen unterdrücken konnte. Sie stellten Marc als Perversen dar. Sie meinten, er sei ein gemeines Arschloch, sie meinten, er würde mich gar nicht lieben. Aber er musste mich doch lieben. Er war mein erster Freund! Niemand war jemandes erster Freund, wenn er den nicht lieben würde. Das war unfair und gemein! Das war falsch, betrügerisch und total schmierig. Sie wollten mir gerade verkaufen, dass mein erster Freund ein scheinheiliger, abartiger Betrüger war. Und ihre Argumentation war so unumstößlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)