Orthogonalität am Beispel des virilen Objekts von abgemeldet (Herr Branner und ich) ================================================================================ This Picture - Placebo ---------------------- „Hey ihr Schwuchteln“, flüsterte jemand und holte mich so sanft, trotzdem unangenehm aus meinem kurzen Schlaf. Um mich herum war es ungewohnt warm und ich erinnerte mich an den vorherigen Abend, als ich mit Herrn Branner im Bett lag und wir kuschelten. Ich lächelte, freute mich, weil ich aus einem Traum aufwachte und mein tiefstes Begehren Realität war und öffnete dann meine Augen. Es war Ray, der mich vergnügt ansah. Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Ray hatte hier nichts verloren. Etwas ratlos hob ich den Kopf, dann bemerkte ich, dass ich gar nicht bei Herrn Branner unter der Decke lag. Dann kroch die Erinnerung an den traurigen Abschied von gestern in mein Kopf und dass mein Bett besetzt war, als ich zurück ins Zimmer kam. Erschrocken drehte ich mich um, erblickte Joe neben mir, der seinen Arm um mich geschlungen hatte, aber immer noch fest schlief. „Oh scheiße“, sagte ich, schlug die Decke zur Seite und strampelte mich aus dem Bett. Rays schallendes Gelächter erfüllte dabei den Raum. „Meine Fresse“, nuschelte ich, hielt mir den Kopf und fand, dass der Boden, auf dem ich mich gerettet hatte, ziemlich kalt war. „Und ich dachte, du verbringst die Nacht wieder bei deiner süßen!“ sagte Ray und hielt mir die Hand hin, um mich hoch zu ziehen. Ich brummte, rieb mir den Hintern und antwortete: „Ich würd' viel lieber über deine Süße reden.“ Rays Gesicht färbte sich rot und er stotterte: „Keine Ahnung, was du meinst.“ „Ja klar“, entgegnete ich „was ist mit Lilly und dir?“ „Ähm“, er verschluckte sich, hustete kurz, dann räusperte er sich und zuckte die Schultern: „Alter. Lilly!“ „Ja“, sagte ich „ganz genau man. Lilly, sie ist unsere Freundin. Und du weißt genau, dass zwischen Freunden nichts läuft.“ Dass Joe das gehört hatte, wusste ich nicht; und dass er wach war, als ich mich so erschrocken hatte, neben ihn zu liegen, das wusste ich auch nicht; doch wenn ich gewusst hätte, wie es in ihm aussah, dann wäre ich vielleicht umsichtiger gewesen. Und dass ich ihm damit ins Herz stach, konnte ich in meiner rosa Naivität wirklich nicht ahnen. Der letzte Abend in Aachen verlief ungefähr genauso. Ich verließ das Zimmer mit dem Vorwand, die Betrunkenen seien wir zu nervig, schlich mich rüber zu Herrn Branner und blieb bei ihm bis sechs Uhr in der Früh. Dann weckte er mich sanft und ich ging zurück in mein Zimmer, kroch in mein kaltes Bett und schlief wieder ein, bis die Jungs mich um neun weckten. Sie ließen es, mir dämliche Fragen zu stellen über meine ständige Abwesenheit, vielleicht hatten sie das auch nicht mehr gewusst, denn wer drei Tage am Stück betrunken war, der konnte schon einiges gut vergessen. Tagsüber versuchte ich, Herrn Branner so gut wie es ging normal gegenüber zu treten, doch war irgendwo in mir immer noch die Furcht, irgendwer könnte an einer Gestik oder Mimik genau erkennen, was zwischen uns war. Deshalb mied ich ihn so gut, wie es ging. Am dritten Abend nahm ich mein Handy mit zu ihm auf das Zimmer, wollte seine Nummer haben und ein Foto machen. „Wozu brauchst du ein Foto?“ hatte er mich gefragt, als er gerade in seiner Jackentasche kramte und sein Mobiltelefon hervor nahm. „Na, zum Haben!“ hatte ich geantwortet. Er hatte mich verwirrt angesehen, die Tasten des Telefons entsperrt und nach seiner Nummer gesucht „wieso musst du ein Foto von mir haben?“ „Weil ich es nunmal will. Außerdem; tu nicht so, als hättest du nicht Fotos von mir gemacht heute Mittag auf dem Weihnachtsmarkt!“ Seine Mundwinkel zuckten und seine Wangen wurden leicht rot. Er setzte sich neben mich auf das Bett, in dem wir die meiste Zeit küssten und kuschelten: „Ich habe Fotos von den Schülern gemacht, für die Abizeitung und so.“ „Ja, klar. Und fünfundzwanzig für deine private Sammlung?“ ich klang wohl etwas schärfer, als ich wollte, denn das Rot in seinem Gesicht wurde gleich dunkler. „Hm“, er brummte, dann strich er sich sein Haar aus dem Gesicht, doch ich hielt ihn davon ab: „Nicht. Mir gefällt es so besser.“ „Ah ja?“ er lächelte und ich nickte. Dann durfte ich mit meiner kleinen Handykamera ein Foto machen. Und das war das erste Bild, das ich von meinem ersten Freund hatte. Ein kleiner Herr Branner in meinem Handy, der nur mir gehörte und welches mich wieder daran erinnerte, was für eine verblüffende Ähnlichkeit er mit Zac Efron hatte. Seine Nummer bekam ich auch. Er natürlich auch meine, und das nutzte er gleich am Sonntag, als wir im Regionalexpress nach Hause saßen, aus. Die Lehrer waren scheinbar noch am entspanntesten von allen; den Schülern dröhnte der Schädel im Kater, immerhin waren sie drei Tage lang dauerbesoffen gewesen, doch für sie hatte sich nichts geändert. Aber für mich. Als total unerfahrene Jungfrau mit einer erbaulichen Schwärmerei bin ich dort hin gefahren; liebend in einer richtigen Beziehung steckend kehrte ich zurück. Ich war unschuldig gewesen, nun hatte ich ein schmutziges Geheimnis. Und dabei fühlte ich mich natürlich ungeheuer gut. Es war aufregend, erfrischend, spannend und irgendwie erregend. Niemand durfte irgendetwas ahnen oder richtig deuten oder sogar wirklich sehen. Herr Branner lief (sonst) Gefahr, seinen Job zu verlieren. Das war die milde Sache, die er mir am frühen Abend nahe legte. Später erklärte er mir, dass ich so jung so sei, dass es für ihn wirklich ernsthafte Konsequenzen haben könnte, wenn auch nur irgendwer Wind von der Sache bekäme. „Und das willst du doch nicht, oder?“ hatte er gefragt. Ich hatte den Kopf geschüttelt und ihn dann wieder auf seine Brust gelegt, um seinem Herzschlag zu lauschen. Ich wusste, dass ich bei ihm bleiben wollte und soviel Zeit, wie es ging, mit ihm zusammen sein wollte, und wenn das hieß, immer achtsam zu sein und aufzupassen, was man tat, dann konnte ich damit umgehen. Dachte ich. Ich saß also allein in meinem Sitz in der Bahn und hörte zu, wie Brian über einen Aschenbecher und ein Mädchen und ein Bild sang, als ich spürte, wie mein Mathelehrer sich näherte. Mein Herz klopfte schneller gegen die Brust. Ich umklammerte meinen iPod fester und verspannte etwas. Im Augenwinkel dann sah ich seine dunkle Jeans, sie strich meine Schulter. Seine Hand war zu einer Faust geballt, doch der Zeigefinger stand ab. Er wollte mir etwas sagen. Doch tat er es so unauffällig, dass niemand was merkte und ich nicht mal darauf kam, was er wollte. Wenig später vibrierte dann mein Handy. Ein Lächeln zuckte über mein Gesicht, ich wusste schon, dass er es war. „Komm mit“ stand in der SMS. Ich legte meinen MP3-Player in meinen Rucksack und stand dann auf. Als ich mich umsah, sah ich nur die müden Gesichter der Mitschüler, einige fremde Passagiere, doch keinen Herr Pieper, keine Frau Berger und keine Rescher. Joe saß auf seinem Sitz einige Reihen hinter mir und schien zu schlafen, zumindest waren seine Augen geschlossen und Billy Talent dröhnte aus seinen Kopfhörern bis zu mir vor. „Wohin gehst du?“ fragte Lilly, ich antwortete knapp mit: „Klo.“ und sie akzeptierte, bevor sie weiter in ihrem Buch las, was auch sonst. Ray und die anderen schliefen. Eigentlich ein guter Moment für ein kurzes, geheimes Treffen. Ich stieg die kleine Treppe hinab und ging an der Boardtoilette vorbei durch einen kleinen Gang zum Fahrradwagen. Hier standen keine Fahrräder, auch keine Fahrgäste, was für ein Glück, nur einsam und allein mein Lehrer. Der ja jetzt nicht mehr mein Lehrer war, sondern mein Freund. Hier stand einsam und allein mein Freund. „Was gibt’s?“ fragte ich lächelnd, als ich zu ihm hin kam. Er drehte sich zu mir um, lächelte auch und antwortete: „Nichts besonderes. Ich hatte bloß... Langeweile.“ Er beugte sich zu mich vor, zog mich an sich ran und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Mein Herz pumpte nicht nur wild Adrenalin in meinen Körper, weil es so aufregend war, meinen neuen Freund zu küssen, sondern auch, weil es verdammt nervenaufreibend war, ihm ausgerechnet hier auf diese Art so nah zu sein. Wo mein ganzer Jahrgang nur wenige Meter weiter saß, mein Oberstufenleiter irgendwo ganz nah nichts ahnte und meine Vertrauenslehrerin sicher dachte, wir seien zumindest dahin sichtlich ziemlich artige Gesellen. „Hm“, machte ich in den Kuss, dann löste ich mich und sah mich verstört um. Niemand war da, niemand hatte uns gesehen, niemand konnte uns verpetzten. „Meine Fresse“, flüsterte ich wegen dem geringen Schock, der noch in meinen Gliedern saß. „Doch nicht hier, verdammt, doch nicht so, Sie haben mir gestern ewig eingetrichtert, was auf dem Spiel steht!“ Er grinste verschmitzt: „Ich bin doch auch nur ein Mann.“ Ich brummte. Dann drückte ich mich gegen ihn, stellte mich auf die Zehenspitzen, Herr Branner war immerhin sieben Zentimeter größer als ich, und drückte ihm einen festen Kuss auf die Lippen. Dann wandte ich mich ab, nicht, ohne breit zu Grinsen und wollte wieder gehen. Doch seine Stimme hielt mich fest: „Wirst du abgeholt?“ Ich drehte mich zu ihm um: „Was?“ „Vom Bahnhof nachher.“ Herr Branner sah mich an. Ich zuckte die Schultern „Wieso...“ „Ich kann dich nach Hause fahren.“ Ein Auto hatten wir ja sowieso nicht, was anderes als mit der Straßenbahn Heim zu fahren wäre mir nicht übrig geblieben. Und das reizte mich ja nun überhaupt nicht. Also nahm ich an und ging dann leise lächelnd zurück zu Brian und den Meds. Als wir am Mittag am Hauptbahnhof ankamen, schneeregnete es und die Luft schien kälter zu sein, als sie es in Aachen gewesen war. Ich erschauderte kurz, als ich auf dem Bahnsteig stand, einen Rucksack auf dem Rücken, eine Tasche in der Hand haltend und mich von den anderen knapp verabschiedete. „Willste mit uns fahren?“ fragte Ray, als er sich ein Snickers in den Mund schob und deutete auf den hinteren Ausgang des Bahnhofs. Ich verspannte und suchte schnell, während ich langsam den Kopf schüttelte, nach einer plausiblen Ausrede dafür, nicht mit Ray nach Hause zu fahren. „hm?“ hakte er nach und sah mich erwartend aus seinen dunklen Augen an und ich antwortete mit dem ersten, was mir in den Sinn kam: „Ich geh zu Papa!“ „Hm“, entgegnete Ray, sah etwas verwirrt aus, zuckte dann jedoch die Schultern, warf die Snickersverpackung in den Mülleimer und ging dann „Alles klar, bis Morgen dann.“ „Bis dann.“ Mein Vater wohnte nicht weit weg vom Bahnhof, zu Fuß kam man da in sieben Minuten hin, doch hatte ich sicher nicht vor gehabt, Josh zu begegnen. Ich wartete in der Halle, bis sich das Getummel gelegt hatte und wirklich jeder Schüler mit Sicherheit nicht mehr in der Nähe war. Dann machte ich mich auf dem Weg zum hinteren Ausgang, wo ich Herrn Branner schon stehen sah. Mit dem Rücken zu mir und er machte die ganze Zeit keine Anstalt, sich um zudrehen. So grinste ich böse, nahm die letzten Meter Anlauf, ließ die Tasche unterwegs fallen und sprang mit soviel Kraft, wie ich aufbringen konnte – das war bei weitem nicht alles, wozu ich eigentlich fähig war – und sprang ihm auf den Rücken, schlang meine Arme um seine Schultern und lachte ihm laut ins rechte Ohr. Herr Branner erschreckte sich so sehr, dass er einige Schritte unkoordiniert nach hinten setzte, dann nach vorn baumelte und sich anstrengen musste, das Gleichgewicht wieder zu bekommen. Dann ließ ich los, rutschte runter zum Boden und grinste ihn sehr breit an. Er grinste zurück. Wortlos nahmen wir unsere Sachen und ich lief neben ihm her zum Parkplatz. Über sein Auto war ich plötzlich gespannt, obwohl ich mich für so etwas wirklich nicht interessierte. Ich ahnte es schon, als wir uns dem Ding näherten, doch wirklich wahr haben wollte ich es wohl nicht. Dieses Auto war uns auf dem Parkplatz vor dem Schulgebäude auf jeden Fall schon öfter aufgefallen, teilweise hatten wir Spaße über die Farbe gemacht, die Autointeressierten waren aber auch deutlich neidisch. Das Einzige, was ich darüber sagen konnte, war, dass es in einem sehr auffälligem, leuchtend quietsche blau war und für mich aussah, wie ein Porsche. Selbstverständlich wurde ich für diese Aussage imaginär gelyncht. Wobei dieses Gefährt ein ziemlich direkter Konkurrent für Porsche war und sich die Geschmäcker auch hier entscheidend teilten, doch waren meine Autointeressierten Kameraden sich einig darüber, dass dieser Wagen in dieser heraus stechenden Farbe besser sei. „Meine Fresse“, sagte ich beeindruckt „ich dachte, wir sollten uns unauffällig benehmen!“ Herr Branner grinste, als er die Heckklappe öffnete und seine Tasche achtlos in den kleinen Kofferraum warf „Kein Mensch achtet auf den Fahrer.“ „hm“, entgegnete ich und suchte den Aufmachknopf an der Tür. „Und was fürn Auto willst du fahren?“ fragte er mich, als er zu mir kam und mir die Beifahrertür öffnete, die nicht, wie wohl bei jedem normalen Auto einfach zur Seite hin auf ging; nein, der Mathelehrer brauchte eine extravagante Art für seine Autotüren, die sich nämlich nach vorn hin anhoben. Und da war ich mir gar nicht mal mehr so sicher, ob er nicht einen kleinen Komplex hatte, vielleicht irgendetwas kompensieren musste mit diesem Luxusgefährt. „Meine Fresse“, kommentierte ich sein Auto „ich habe mir wirklich noch nie Gedanken darüber gemacht.“ „Hm“, er lächelte, als ich einstieg, die Innenverkleidung bestaunte und er die Tür von außen schloss. „Gut“, sagte er dann, als er einstieg, seine Tür zuging und er den Schlüssel in das Zündschloss steckte. Der Motor startete, die Karosserie vibrierte und ich war nicht minder beeindruckt. Dann fuhr das Auto los, reihte sich in dem wenigen Sonntagsverkehr ein und fuhr genau in die andere Richtung von da, wo ich wohnte. „Herr Branner?“ „hm?“ „Sie sind doch seit zwei Jahren erst Lehrer?“ „hab eigentlich erst im Sommer das zweite Examen gemacht“, erklärte er. „Wie können Sie sich so ein Auto leisten?“ Er schwieg. An einer roten Ampel kam das Ding zum Stillstand, er legte den ersten Gang ein, sah dabei doch ziemlich nachdenklich aus, dann sah er mich an, zuckte die Schultern und sagte: „Ja, wie eigentlich?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)