Leap In Time - Alice Brandon von abgemeldet (Alice' menschliches Leben) ================================================================================ Kapitel 7: Die Gabe ------------------- Kapitel 7: Happy Birthday? Schön wär’s! Es waren schon ein paar Minuten vergangen. Nun hatten sich wirklich ALLE um uns herum versammelt – zumindest alle die ich kannte. Nagut, um mich. Maurine war irgendwo in der Masse untergegangen gemeinsam mit Dylan und Michael. Alle starrten mich an. Es war ja logisch, dass alle wissen wollten, was hier los war und warum ich wusste, dass das passierte. Das Problem war nur, dass ich es selbst nicht wusste. Ich hörte natürlich all ihre Vermutun-gen, woran das gelegen haben könnte und es waren echt bekloppte Sachen dabei. Ich hörte Dylan raus, wie er etwas von „übermenschlichen Fähigkeiten“ labberte. Wann würde er end-lich erwachsen werden? Plötzlich nahmen all die Vermutungen, die sich die Schüler zuflüsterten – außer die von mei-nen Freunden -, eine gemeinsame Richtung: Ich musste irgendwie an dem „Beinaheunfall“ Schuld sein. »Die hat doch bestimmt was damit zu tun« - »Meinst du echt, die würde ihre Freundin killen wollen?« - »Ey, guckst du kein Harpers Island? Du kannst selbst deinen Freunden nicht trauen.« - »Hmm, ich weiß nicht?«, hörte ich zwei Typen aus meiner Stufe hinter mir aufge-bracht miteinander besprechen. Die mussten ganz schon dumm sein, ich meine, wie soll ich das bitte gemacht haben? Ein anderer Spinner hat irgendwas davon gequatscht ich hätte das „gedanklich manipuliert“. Sauer lief ich zu dem Rand des Kreises, der sich um mich gebildet hatte und lief über den Schulhof. Alle sind mir vorsichtshalber aus dem Weg gegangen, als ich in ihre Nähe kam, sodass ich keine Probleme hatte mein Ziel zu erreichen: die Mädchentoilette. Ich spürte die Blicke der anderen in meinem Rücken bis ich die Tür hinter mir geschlossen hatte. Erleichtert lehnte ich mich an sie und seufzte. Ich hasste es im Mittelpunkt zu stehen. Langsam ging ich zu der Waschbeckenreihe, die an der rechten Wand war, gegenüber von den Toiletten und schaute in einen der Spiegel, die über ihnen hingen. Ich sah mitgenommen aus. Meine Haare waren zerzaust und Blätter hingen in ihnen, von dem bereits runter gefalle-nem Laub, das auf dem Boden gelegen hatte, als ich Maurine aus der „Schussbahn“ gezogen hatte. Ich stütze mich mit der einen Hand an einem der Waschbecken ab und drehte mit der anderen den Wasserhahn auf. Mein Gesicht glühte und das kalte Wasser, das aus dem Hahn kam, kam mir daher sehr gelegen. Mein Make-up war eh ruiniert, da kam es jetzt auch nicht mehr darauf an. Aus irgendeinem Grund – vermutlich Aufregung – atmete ich sehr schwer. Was war da gerade passiert? Wie konnte ich gestern Abend unbewusst das gezeichnet haben, was heute passierte? Außerdem noch etwas so schlimmes. War es nur Zufall? Ich denke nicht. Das wäre ein ZU großer Zufall. Aber anders konnte ich es mir nicht erklären. Eine andere Lösung exis-tierte dafür einfach nicht. Vor der Tür der Mädchentoilette hörte ich Schritte. Eindeutig Schuhe mit Absätzen. »Och ne!«, flüsterte ich genervt und zog die Nase kraus. Die Schnepfen haben mir gerade noch gefehlt. Schnell lief ich zu einer der Kabinen – die, die direkt an der Wand war. Mit einer kurzen Handbewegung schloss ich sie ab und stellte mich mit dem Rücken an die Türen. Überall an den Wänden der Kabine standen Sprüche in verschiedenen Farben, Stiftsorten und -größen. Wer schreibt eigentlich immer diese dummen Sprüche an die Wand wie »an alle meine Chikas ich lieb euch voll«? Wenn man so etwas an eine Toilettenwand schreibt, kann es einem ja nicht viel bedeuten. Die Tür der Mädchentoilette ging auf und, wie ich mir schon gedacht habe, waren es wieder die „Roboter“. »Wow, Sam, das war doch mal was, oder?«, fragte irgendeine „Freundin“ von Saman-tha aufgeregt. »Hm, das kann ich nicht behaupten. Das war doch bestimmt nur gespielt«, antwortete Ms Supertoll schnippisch. Vorsichtig stellte ich mich auf die Klobrille und guckte über den Rand der Tür. Die schminkten sich doch nicht ernsthaft, oder? Oh Gott! »Meinste echt? Wie soll das denn funktioniert haben?«, fragte ihre Freundin ungläubig und, ihrem Blick zu Folge, mochte sie Samantha selber nicht besonders. Ich musste auflachen und bereute es sofort. Schnell ging ich ein bisschen runter. Hoffentlich haben die mich nicht gesehen! »Was war das«, fragte Samantha sofort, aber nach einer Weile der Stille sprach sie weiter: »Ich habe keine Ahnung, wie die das hätte machen können. Ist doch auch egal! Die will sich auf jeden Fall mal wieder in den Vordergrund schieben«, fauchte sie sauer. »Nur weil das Prinzesschen Geburtstag hat!« Ich spürte, wie die Wut in mir aufstieg. Die hat doch keine Ahnung! Das einzige Prob-lem, das sie haben könnte, ist vielleicht, dass ihre Nase glänzt. Die weiß doch gar nichts über mich. Dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Plötzlich wurde mir schwarz vor Au-gen. Ich konnte nichts mehr sehen. Alles war pechschwarz. Bei meinem Gleichgewichtssinn rutschte ich sofort von der Klobrille und landete unsanft auf den kalten, ekeligen, Fliesen, direkt neben der Toilette. Ich saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Ich konnte allerdings nicht genau sagen an welcher. Was war denn jetzt los? Ich konnte nichts mehr sehen. »Was war das denn?«, hörte ich Samantha erschrocken fragen, aber es war nichts wei-ter als ein Echo, das wirkte, als sei es ganz weit weg in irgendeiner anderen Zeit. Mein Puls war sofort auf 180. Mit zitterigen Händen tastete ich mein Gesicht ab bis ich bei meinen Au-gen angelangt war und erschrak, als ich feststellen musste, dass meine Augen geöffnet waren. Wieso konnte ich nichts sehen? Ich hörte wie Samantha immer näher kam, aber das Klackern ihrer Schuhe war auch nicht mehr als leise Echos in der Ferne. Jetzt durfte ich bloß kein Mucks machen, sonst würde sie merken, dass ich hier bin. Falls ich überhaupt noch in der Kabine war, denn alles um mich herum hörte sich an, als wäre ganz wo anders, als wäre es nicht real. Ich konnte immer noch nicht mehr sehen als schwarzes Nichts. »Sam, es hat geklingelt«, meinte ich Samanthas Freundin sagen zu hören. Das Kla-ckern der Schuhe wurde wieder leiser, bis nichts mehr zu hören war. Waren sie weg? Sie mussten weg sein, denn es war nichts mehr zu hören. Nun saß ich hier. Allein, ich konnte nichts sehen, nicht all zu gut hören… Vorsichtig tastete ich mich an der glatten Kabinentür entlang und suchte vergebens nach der Türklinke, um wenigstens eine Kleinigkeit zu haben, an der ich festhalten konnte, in der tiefschwarzen Nacht. Schließlich hatte ich sie doch gefunden und hielt sie fest zwischen meinen zitterigen, eiskalten Händen. Plötzlich meinte ich etwas zu sehen. Feiner, dunkelgrauer Rauch schlich über das schwarze Bild vor meinen Augen und tanzte immer weiter in Richtung Mitte des Bildes. Wei-tere, dichtere Rauchschwaden flogen über das Bild und tauchten es in einen Grauton. Was war das? Immer mehr Wolken schwebten durchs Bild. Sie waren weiß und in verschiedenen Blau- und Grautönen. Langsam verdichteten und verwarben sich die verschiedenen Farben und das Bild war nun eher weiß bis hellblau statt schwarz. Vorsichtig stellte ich noch einmal sicher, dass ich immer noch die Türklinke in den Händen hielt und umklammerte sie umso fester, sodass sich meine Hände fast schon taub anfühlten. Völlig erschrocken stellte ich fest, dass der Rauch begann ein Bild zu ergeben. Es war ein … Flugzeug? Ein hellgraues Flugzeug auf einem eisklaren Hintergrund aus hellem blau, der wahrscheinlich einen Himmel darstellen sollte. Ich löste eine Hand von der Klinke und überprüfte noch einmal, ob mein Auge immer noch geöffnet war – es war immer noch aufge-rissen vor Schreck. Wie war das möglich! Wieso sah ich etwas, was nicht da war und wieso habe ich vorher gar nichts sehen können, obwohl meine Augen nicht geschlossen sind? Das Bild wirkte ruhig und harmonisch, was nicht zu meinem derzeitigen Zustand passte. Mein Herz schlug immer schneller und alles was zu hören war, war mein schwerer Atem, der in einer anderen Dimension – außerhalb dieses Bildes – zu sein schien. Ich dachte bereits, das Bild sei zu Ende gestellt, bis eine letzte, knallrote Wolke ins Bild geschleudert wurde und es fertig stellte: Sie teilte sie auf und jedes Stück bildete einen großen Buchstaben auf dem riesi-gen Flugzeug. Auch wenn das Bild klar zu erkennen war, wirkte es etwas verschwommen und unsicher. Als könnte eine leichte Brise alles völlig verändern und ihm einen neuen Sinn ge-ben. Das Bild bewegte sich – soweit dies bei einem fliegenden Flugzeug erkennbar war – und die Bewegungen verschwammen ineinander wodurch es noch unwirklicher wirkte. Nun wusste ich, was es darstellen sollte, aber ich konnte mir keinen Reim darauf ma-chen, was das zu bedeuten hatte. Was ist das für ein Flugzeug? Ich meinte, sogar die Turbinen hören zu können. Geduldig wartete ich auf das, was ich jetzt sehen sollte, aber es rührte sich nichts, bis auf das Flugzeug, das ruhig durch die klaren Wolken glitt. Plötzlich flog noch eine kleine Rauchwolke ins Bild. Sie hatte eine orangene Farbe und tu-ckerte gemütlich durchs Bild. Gespannt wartete ich darauf, was sie darstellen würde und hörte kurz auf zu atmen. Langsam kam sie dem Flugzeug näher. Ein gewaltiger Krach war zu hören, womit ich jetzt eigentlich nicht gerechnet hatte. Reflexartig ließ ich die Klinke los und drückte meine Hände auf meine Ohren, obwohl dies nichts nützte, da das Geräusch in meinem Kopf zu hören war. Auch auf dem Bild war eine Reaktion zu erkennen. Aus dem kleinen orangenen Fleck wurde eine riesige Explosion die das komplette Flugzeug umschloss und riesige Flammen in den Himmel schoss. Der Krach war ohrenbetäubend und das helle Licht durch die Explosion brannte in meinen Augen. Aber viel größer war der Schreck, der durch mich schoss. Bevor ich überhaupt realisierte, was da passiert war, spulte sich die ganze Szene innerhalb einer Sekunde zurück; die Explosion wurde somit zu Implosion und mit einem weißen grellen Aufblitzen befand ich mich wieder in der schmutzigen, ekelhaften Toilettenkabine und sah die Sprüche und Kritzeleien, die an die Wand geschrieben und gemalt worden waren. Ich blinzel-te ein paar Mal und schüttelte automatisch den Kopf. In diesem Moment dachte ich nichts. Mein Kopf war leer. Auch mein Atem schaffte es nicht sich zu beruhigen und mein Herz war immer noch dabei, sich aus meiner Brust kämpfen zu wollen. Meine Beine, die angewinkelt vor mir auf dem Boden standen, zitterten wie verrückt. Könnte ich mit ihnen überhaupt aufstehen, wenn ich es wollte? Ich war nicht fähig es zu tes-ten und wollte es auch nicht. Geschockt vergrub ich mein Gesicht in meinen Handflächen, die eiskalt waren, was mir allerdings eher recht war. »Was geht denn hier ab?«, flüsterte ich mit zitteriger Stimme in meine Hände und ich spürte, wie die Nässe in meinen Augen aufstieg. …Sekunden verstrichen. Minuten. Ich wusste nicht genau wie lange ich nun so sitzen bleiben wollte und wie lange die Schulstunde schon dran war. Nachdenklich zeichnete ich die Sprüche auf die Wand mit meinem Finger nach, während sich mein Herz ganz langsam wie-der beruhigte. Langsam fing ich tatsächlich an wahnsinnig zu werden, allerdings lag das weniger an mir, als an den Dingen, die um mich herum passierten: Ich habe gerade irgendeinen Flugzeugabsturz, oder eher ein explodierendes Flugzeug, in meinem Kopf sehen dürfen; ich habe gestern den Tod meiner Freundin gezeichnet, den ich verhindern konnte; ich habe gestern eine total merk-würdige Person kennengelernt, die irgendwie nicht normal ist und irgendein merkwürdiges Wesen - was ich schon fast vergessen hatte und bei dem erneuten Gedanken an es, wurde mir augenblicklich übel - war hinter mir her. Kaum hatte ich diesen Gedanken gedacht, tauchten wieder diese unglaublichen Kopfschmerzen auf, die ich seit der Begegnung mit Henry Scotts gestern immer wieder bekam. Erschöpft lehnte ich meinen Kopf an die Wand hinter mir. Endlich hatte ich mal einen Mo-ment Ruhe, aber ich entschied mich letzten Endes doch aufzustehen und rappelte mich ir-gendwie auf. Vorsichtig sicherte ich den Halt unter meinen wackeligen Beinen, die sich an-fühlten wie Wackelpudding… wie mein zermatschter Wackelpudding vom Vortag. Leise – ich wusste selber nicht genau wieso – öffnete ich die Tür und trat in den gro-ßen Raum, nachdem ich sichergestellt hatte, dass niemand da war. Ich befand mich tatsächlich wieder in der ‚Realität’. Langsam ging ich zu der Spiegelreihe – ein Wasserhahn von einem der Porzellan-Waschbecken tropfte unheilvoll – und betrachtete mich währenddessen. Wenn ich vorhin schlimm ausgesehen hatte, sah ich nun grässlich aus. Mein Blick strotzte nur so vor Leere und meine Augen sahen vor Schock leicht gerötet aus. Erneut wusch ich mir das Gesicht, in der Hoffnung, ich würde danach besser aussehen. Vergebens. Ich hatte nun zwei Optionen: Zum Einen konnte ich hier bleiben und mir Sorgen und Gedanken machen, bis ich total übergeschnappt und wahnsinnig wurde, oder, ich konnte zum Unterricht gehen und versuchen das gerade passierte zu ignorieren. Ich entschied mich für letzteres und ging Richtung Ausgang. Das helle Licht draußen brannte in meinen Augen, die sich an die Dunkelheit in der Kabine gewöhnt hatten. Der Schulhof war wie leer gefegt – kein Wunder, es war ja schon längst Unterricht – und es war leicht windig. Einzelne Blätter, die bereits vom Baum gefallen waren, obwohl sie nicht einmal richtig braun waren, flogen über die Wiese. Ruhig ging ich den überdachten Weg entlang zum Hauptgebäude der Schule, wo mich wieder eine Stunde Mathe erwartete, was mich aber im Augenblick nicht störte, denn mir war alles Recht. Obwohl der Schulhof komplett leer war, fühlte ich mich beobachtet. Ich warf einen kurzen, unsicheren Blick um mich herum – es war nichts zu sehen. Trotzdem beschleunigte ich mein Tempo und lief zur Eingangstür der Schule. Mit einem Knall krachte die Tür in die Wand, soweit hatte ich sie aufgestoßen. Jetzt litt ich wieder unter Verfolgungswahn! »Keine Panik«, sagte ich leise zu mir selbst, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte und lief zum Matheunterricht. Laut klopfte ich an die Tür des Klassenraums und wartete erst gar nicht darauf, dass ich herein geboten wurde, sondern öffnete sie direkt. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, als ich durch den Klassenraum in Richtung Pult stampfte. »Oh, Ms Brandon, wie ich sehe wollen sie uns auch beehren«, sagte Mr Goodwill und schaute auf seine Taschenuhr. »Und wie ich sehe haben sie den Rekord gebrochen!« »Rekord, Sir?«, fragte ich, während ich zu meinem Platz lief, erwartete aber keine Antwort. Maurine hatte mir offensichtlich einen Platz freigehalten, direkt neben ihr und lä-chelte ein wenig nachdenklich, als ich näher kam. Samantha – die zu allem Überfluss den Platz vor mir hatte – grinste mich fies an, als ich an ihr vorbei ging. Wie es schien, fand sie es lustig, dass ich zu spät war. »Nun ja, viele Schüler schaffen es zu spät zu kommen, das ist offensichtlich, aber gan-ze 35 Minuten hat selbst der Späteste meiner Schüler noch nicht geschafft. Zu mindestens nicht mitten in der Unterrichtszeit«, sagte Mr Goodwill ironisch amüsiert, während ich mich auf meinen Platz fallen ließ. »Das wird den Schulleiter bestimmt sehr interessieren.« »Super«, sagte ich gelangweilt und holte automatisch meine Sachen aus meiner Ta-sche. Maurine saß tapfer neben mir, aber man merkte ihr an, dass sie ziemlich besorgt war. Mit dem Zuklappen seiner Taschenuhr und dem Satz »Wo waren wir stehen geblieben« be-gann Mr Goodwill endlich wieder mit dem Unterricht, sodass ich abgelenkt war. Samantha warf mir ein paar Blicke über die Schulter zu. Sie sah… nachdenklich aus?! Wieso das? Ganz bestimmt überlegte sie nicht, was wohl gerade gewesen sein könnte, denn ihrem fiesen Blick zu folgen suchte sie wohl doch eher einen blöden Spruch oder ähnliches. Wie kann man jemanden nur so nerven? Dann trat auf einmal ein fettes Grinsen auf ihr Ge-sicht – sie hatte die Erleuchtung, soweit das bei ihr möglich war – und schließlich lehnte sie sich zu mir zurück. Ich wartete schon fast auf das, was sie sagte. »Na, wie geht’s Bloody Mary?«, fragte sie lachend. Diesmal verstand ich ihren blöden Kommentar nicht. Mary war mir klar, aber was meinte sie mit bloody? Sah ich etwas gerade aus wie Bloody Mary, diese Horrorfigur? Plötzlich hörte ich ein leises, dumpfes Geräusch, das von meinem Heft aus kam. Noch eins. Verwirrt schaute ich nach unten. Zwei kleine, dunkelrote Blutstropfen breiteten sich auf meinem weißen Heft aus. Langsam fuhr ich mit meinem Finger zu meiner Nase und fühlte die warme Flüssigkeit unter ihr. »Alice, du…äh..«, machte Maurine und fuchtelte in ihrem Gesicht rum, was so viel bedeuten sollte wie >Du hast Nasenbluten<. »Ja, ich weiß«, sagte ich leise und holte ein Taschentuch aus meiner Tasche, wobei noch ein Tropfen auf den Boden des Klassenraums fiel. »Na, hast du dich geprügelt?«, flüsterte Samantha mir zu, die sichtlich amüsiert war. Jetzt reicht’s. »Weißt du was…«, sagte ich etwas lauter und bereute es sofort. »Ms Brandon, können sie vielleicht wiederholen, was ich eben sagte?«, fragte Mr Goodwill, der natürlich mal wieder nur mich gehört hatte, und wieder guckten mich alle an. »Nein, Sir«, antwortete ich sauer. »Soso«, sagte er und wandte sich wieder der Tafel zu. Diese Stunde war wahrschein-lich eine 6 für mich. Den Rest der Stunde hielt Samantha ihre dumme Klappe und zu meiner Verwunde-rung beteiligte Maurine sich kaum am Matheunterricht. Sie würde mich gleich löchern, soviel stand fest. Vielleicht überlegte sie gerade, wie sie dabei wohl vorgehen könnte, auf jeden Fall wirkte sie nachdenklich. Ich ging meine Möglichkeiten durch, was ich ihr sagen könnte. Ich könnte behaupten, mir sei schlecht gewesen – oder eher nicht, das wüsste dann die Schul-krankenschwester. Oder die Türklinke von der Mädchentoilette wäre abgebrochen gewesen und ich musste aus der Kabine klettern. Ja, und dabei hab ich mir fast den Fuß gebrochen. Wobei, das war wohl doch etwas bescheuert. Ich hab einfach Hausaufgaben für die nächste Stunde machen müssen – Mist, für die nächste Stunde hatten wir nichts auf. Nachdenklich hämmerte ich mit meinem Bleistift auf dem Tisch rum. Was wäre denn halbwegs realistisch? Ich konnte meine beste Freundin doch nicht anlügen, oder? Sollte ich einfach die Wahrheit sagen? Allerdings würde das total bekloppt klingen, außerdem wusste ich ja selbst noch nicht mal was gerade passiert ist. Sauer, weil ich keine Idee hatte, kaute ich auf meinen Fingernä-geln rum und kritzelte ich mein Hausaufgabenheft. Dann war es soweit, die Stunde war vorbei. Schweigend packten wir unsere Taschen und liefen aus dem Raum. Ich bereitete mich auf das bevorstehende vor, während Maurine neben mir hertrabte. Schließlich blieb sie stehen. Ich drehte mich um. »Alice…«, fing sie an, aber ich unterbrach sie. »Bevor du mich löcherst, was gerade passiert ist, sollte ich vielleicht erstmal erwäh-nen…« »Ich hab nicht vor dich zu löchern«, unterbrach sie mich. O…k.., ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Sie wollte gar nicht wissen, was da gerade passiert ist. »Ach echt«, brachte ich nur verwirrt heraus. »Ich wollte eigentlich zu dem Thema, was gerade war, nur sagen, dass du mir nichts sagen brauchst, wenn du nicht willst. Das ist deine Angelegenheit, nicht meine. Wenn du mir sagen willst, was du gerade sage-und-schreibe 35 Minuten getrieben hast, kannst du das, aber du musst nicht weil… ja, es geht mich vielleicht nichts an.« Perplex starrte ich sie an. Maurine wurde von Tag und Tag immer gruseliger, was ihre Selbstlosigkeit anging. Wenn sie fast eine ganze Schulstunde auf mysteriöse Art und Weise gefehlt hätte oder ähnliches, hätte ich sie bestimmt den ganzen Tag ausgefragt. Aber dass sie nichts wissen braucht, da es sie nichts angehen könnte, überraschte mich mal wieder aufs Neue. »Öhm… ok«, sagte ich kurz angebunden, während Maurine wieder weiter lief. Schnell ging ich ihr hinterher. »Ich freu mich übrigens schon auf nachher«, sagte sie und schloss somit das Thema für ihren Teil komplett ab. Nachher? Ach ja, mein Geburtstag. »Das hab ich schon ganz vergessen«, sagte ich leise und schaute auf meine Füße. »Ich bin gespannt wie du mein Geschenk finden wirst«, sagte sie und versuchte Span-nung auf zu bauen. Diesmal war ich die, die stehen blieb. Verwirrt sah sie mich an. »Was?« »Wie viel hast du ausgegeben?«, fragte ich sofort. Wenn sie so ein Pohei darum mach-te, musste es ja ziemlich teuer gewesen sein. »So etwas verrät man nicht!« »Egal«, sagte ich. Sie seufzte. »Nicht viel«, sagte sie schließlich und verdrehte die Augen, während sie sich umdrehte, um weiter den Flur entlang zu gehen. »Ok«, sagte ich und folgte ihr weiter durch die Schule. Den ganzen Schultag verfolgten mich die Blicke anderer. Zum einen, weil ich meiner Freun-din das Leben gerettet hatte, was aber nicht alle glaubten, und zum zweiten, da ich in den Au-gen meiner Mitschüler eine Schulstunde geschwänzt hatte. So ein Schwachsinn, als würden die anderen das nicht auch machen, vor allem habe ich ja noch nicht mal geschwänzt, was sie allerdings nicht wissen konnten. Dann war er zu Ende, der lange Schultag voller Überraschungen. Maurine hatte mich nicht einmal auf die Ereignisse des Tages angesprochen, weder auf meine Lebensretteraktion noch auf mein Fehlen im Unterricht. Das einzige was sie mir erzählte war, dass sie sich am Tag zuvor noch am Abend mit Michael getroffen hatte und es war ja >soooo schön<, wie sie sagte. Wie immer verließen wir zusammen das Schulgebäude. »Also ich werde wohl gegen 4 zu dir kommen«, sagte sie nachdenklich, während sie versuchte ihre Uhr zu erkennen die schon total alt und ziemlich winzig war. »Alles klar«, antwortete ich und musste mir ein Lachen verkneifen, denn es sah zum Schießen aus, wie sie ihre Uhr las. Als sie schließlich fertig war und festgestellt hatte, dass wir drei Uhr hatten sagte sie: »Ähm, Alice, ist das da deine Cousine.« Maurine kannte nur ihren Wagen, daher fragte sie sehr unsicher. Ich drehte mich um, um nach zu sehen. »Ja, das ist sie«, stellte ich fest. »Die ist aber hübsch!«, sagte Maurine abwesend und musterte meine Cousine, die mit ihren, neuerdings schwarzen, VW Beatle auf der anderen Straßenseite stand. »Ich glaube, ich muss dann mal los«, sagte ich zum Abschied und lief über die Straße, wobei ich Maurine zu winkte. »Dann bis nachher!« »Ok«, antwortete sie. Caroline lehnte an der Fahrerseite und beobachtete mich, wie ich auf ihren Wagen zu lief. »Hi«, sagte sie, als ich nah genug war um mit ihr reden zu können. »Hi«, gab ich zurück und lief um den Wagen herum. Gleichzeitig setzten wir uns ins Auto, allerdings startete sie den Wagen nicht, sondern musterte mich einen Moment mit ihren großen, smaragdgrünen Augen. »Was?«, fragte ich, als es mir langsam unangenehm war so beäugelt zu werden. »Ich frag’ mich bloß, wo du dich rumgetrieben haben musst, um so auszusehen. Also im Gegensatz zu heute Morgen siehst du ganz schön schrecklich aus«, sagte sie nach-denklich. »Och, nicht so wichtig«, sagte ich leise und wartete, dass sie endlich den Wagen an-ließ. »Ok«, sagte sie langsam und fuhr aus der Parklücke. Wir redeten, wie so oft in letzter Zeit, nicht viel. Caroline regte sich einmal über einen Auto-fahrer auf, aber sonst sagte sie eigentlich gar nicht - Ich allerdings auch nicht – bis wir vor dem Haus meiner Familie standen. »Die Verwandtschaft kommt um 6 Uhr«, erklärte sie mir kurz. »Alles klar«, sagte ich, wartete noch eine geschätzte halbe Minute und stieg schließ-lich aus. Ich drehte mich noch mal zu ihr um. »Kommst du auch?« Ich glaube es hörte sich ein bisschen flehend an. Sie grinste. »Natürlich!« Ich schloss die Tür und sah ihrem Wagen hinterher bis sie um eine Kurve verschwand. Ende - Kapitel 7: Happy Birthday? Schön wär’s! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)