In/adäquat von Fujouri (OneShot- & Drabble-Sammlung [Various] - New: YULLEN) ================================================================================ Spuren im Schnee [Kanda x Allen] -------------------------------- Fünf Jahre. Eine lange Zeit. Aber nicht lang genug, um damit Wunden zu heilen. Die Zeit hatte Allens Wunden noch nie heilen können. Dabei gibt es doch dieses dämliche Sprichwort, das das Gegenteil behauptet. Daran hatte er immer glauben wollen. Und er tat es auch. Immer noch. Mit Ausnahme eines besonderen Datums, das er auf dem Kalender am liebsten streichen würde, wenn er könnte. Jedes Jahr. Und so auch heute. »Moyashi!« Allen fühlte sich wie vom Blitz getroffen. Er drehte sich langsam um und schaute in ein wütendes, allzu bekanntes Gesicht. »Lass die Tagträumerei und geh endlich weiter.« Allen blinzelte. Als er sich umsah, fand er sich in der Kantine des Schwarzen Ordens wieder. Genauer gesagt direkt vor Jerrys Nase, welcher hinter der Theke stand und auf dem leeren Tablett herumtippelte. »Und noch ein dritter Versuch: Was möchtest du essen, Allen-kun?« »Zaru Soba«, meinte Kanda prompt, zog Allen unsanft zurück und stellte sich vor ihn, »wegen dir warte ich nicht noch länger auf mein Mittagessen!« Allen öffnete den Mund, aber die Worte blieben aus. Er schüttelte den Kopf. Ihm war ein wenig schwindelig. Als er Jerrys Blick suchte, zuckte dieser mit den Schultern und ging Kandas Aufforderung nach. Etwas anderes blieb ihm bei diesem Kerl auch gar nicht übrig. Aber nicht nur deshalb gab Allen sich kompromisslos geschlagen. Im Normalfall hätte er sich jetzt mit Kanda angelegt. Wahrscheinlich hätte es in einem gegenseitigen Austausch von Todesblicken geendet. Oder Morddrohungen. Vielleicht sogar einem Kampf. Aber diese und andere Späße blieben heute aus. Allen seufzte und starrte zu Boden. Er hörte, wie Jerry ein beladenes Tablett auf den Tresen stellte. Und dann spürte er prüfende Blicke an sich haften. Er sah auf. Kanda schielte ihn aus dem Augenwinkel heraus an. Als fühle er sich ertappt, wandte Kanda sich sofort um, schnappte nach dem Tablett und lief mit schnellen Schritten an einen freien Platz. Allen schluckte. Auch er fühlte sich ertappt. -:o:- »Es tut mir so leid!« Komui verbeugte sich seit den letzten zehn vergangenen Minuten zum etwa fünfunddreißigtausendsten Mal. »Gerade an Weihnachten auf eine Mission gehen zu müssen, ist wirklich schrecklich. Aber es geht nicht anders! Euer Job macht selbst vor Feiertagen keinen Halt. E-« Bevor er die nächste unbrauchbare Entschuldigung ausspucken konnte, war Kanda ihm ins Wort gefallen. »Ist gut jetzt, ich hab‘ genug davon! Ist doch egal, welcher Tag heute ist. Mission ist Mission.« Damit hatte Kanda ausnahmsweise recht. Feiertage sollten Exorzisten nicht von Bedeutung sein. Vor allem Weihnachten. Ganz besonders Weihnachten. Allen fasste sich an die Schläfen. Komui hielt sich mit weiteren Rechtfertigungen zurück. Nüchtern wie üblich begann er die Mission zu erläutern. Allen hörte vereinzelte Satzfetzen und verstand sie nicht. In seinen Ohren dröhnten ganz andere Dinge. Plötzlich stand Komui vor ihm und drückte ihm eine Bezirkskarte in die Hand. ›Norwegen‹ stand dickgedruckt auf der oberen Hälfte. Allen faltete die Karte zusammen, ohne sie genauer betrachtet zu haben, und schob sie in die Jackentasche. Kanda setzte sich in Bewegung, und er tat es ihm gleich. »H-Hey!«, rief Komui. Sie drehten sich noch einmal zu ihm um. »Passt bitte auf euch auf. Und frohe Weihnachten, ihr zwei!« Er lächelte ein seltenes, väterliches Lächeln. Allens Herz raste. Er wandte sich schnell ab. »Che«, machte Kanda und verließ das Büro. Allen trottete ihm nach. -:o:- Wenn man aus dem Fenster eines fahrenden Zuges sieht, besteht die Landschaft aus dünnen, kunterbunten Strichen. Sie sind endlos lang - sie beginnen nirgends und sie enden nirgends. Wenn es schneit, formen sich selbst die Schneeflocken zu kleinen Strichen, die an der Fensterscheibe vorbeisausen. Ein schönes, bizarres Bild. Die Welt zog an Allen vorbei. Er hatte den Ellbogen auf die Armlehne und das Kinn auf die flache Hand gestützt. Er spürte, wie sein Handgelenk allmählich taub wurde. Er regte sich nicht. »Gibt es was Besonderes zu sehen?« Dass Kanda bei einer Zugfahrt auf Konversation aus war, wunderte ihn. »Oder warum glotzt du so aus dem Fenster?« »Interessiert‘s dich denn?« Lieber eine Gegenfrage als keine Antwort. »Nicht wirklich. Es nervt mich nur, weiter nichts.« Kanda überschlug die Beine und schloss die Augen. Die Arme waren wie immer verschränkt. Diese Haltung sollte Allen demonstrieren, dass das Gespräch nun zu Ende war. Das wusste er natürlich. Man brauchte Kanda nicht lange und gut zu kennen, um das zu wissen. Es reichte aus, ihn überhaupt zu kennen. Allens Aufmerksamkeit galt jetzt nicht mehr dem Fenster. Er besah Kandas Gesicht. Weder musterte er es eindringlich noch starrte er gedankenlos in diese Richtung. Er sah Kanda einfach an. Dieser hatte sich leicht schräg gegen das Fenster gelehnt. Eine der Haarsträhnen, die er nicht in den Zopf band, fiel wie Lametta über seine Wange. Durch das gleichmäßige Tuckern des Zuges wehten einzelne Haare über die schmale Nase. Kanda ließ sich davon nicht stören. Er schien eingenickt zu sein. Um all das zu sehen, musste Allen ihn nicht genauestens mustern. Um nicht mehr als all das zu sehen, musste er nicht frei von Gedanken sein. Es war gut so, wie es war. Allen atmete aus. Er fühlte sich etwas entspannter als zuvor. -:o:- Norwegen war kälter als England. Das bewiesen die geografische Lage des Landes, die meterhohen Schneeschichten und nicht zuletzt das Thermometer, sofern Allen eines bei sich hätte. Als er nach Kanda aus dem Zug stieg, schlang er reflexartig die Arme um den Körper. Es war schweinekalt. Anders ließ es sich gar nicht ausdrücken. Kanda sah ihn verächtlich an. »Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen.« Allen war an einem Punkt angelangt, an dem er einer solchen Aussage zugestimmt hätte. Momentan gab es für ihn nichts, das dagegen sprach. Er krallte die Finger tiefer in den Stoff seiner Jacke. Er lief voraus und stapfte durch den Schnee. Es knisterte unter seinen Füßen. »Halt die Klappe«, zischte er, ohne Kanda anzusehen. »Wir haben uns verdammt nochmal verlaufen!« Kanda lief stur geradeaus und stampfte dabei die Schneedecke platt. Allen tat sich schwer, mit ihm mitzuhalten. »Wir haben uns nicht verlaufen. Wir... haben nur einen kleinen Umweg genommen«, versuchte Allen sich vergeblich rauszureden. Auf einmal hielt Kanda an, drehte sich um hundertachtzig Grad, schritt geradewegs auf Allen zu und riss ihm die Karte aus der Hand. »Von wegen ›Umweg‹! Du hast uns total in die Irre geführt, gib‘s doch zu!« »Nein, ich...« Wieder blieben ihm die Worte im Hals stecken. Es half nichts. Selbst zu den alltäglichen Streitereien mit Kanda war er nicht in der Lage. Wie sollte er also fähig sein, eine Karte zu lesen? Kanda atmete aus. »Ach, ist jetzt auch egal. Wir sollten versuchen, zurück auf den Gehweg zu finden. Dann nützt uns die Karte vielleicht mehr.« Er ging weiter, jedoch deutlich langsamer als zuvor. Allen blieb einen Augenblick lang stehen und starrte in den bewölkten Himmel. Kanda hatte es aufgegeben, weiter auf ihm herumzuhacken. Er hatte das, was geschehen war, akzeptiert, statt es noch schlimmer zu machen. Das sah ihm ganz und gar nicht ähnlich. Als Kanda mit einem »Jetzt komm schon!« gegen den tosenden Wind anbrüllte, weiteten sich Allens Augen, und er setzte sich in Bewegung. -:o:- Der Wind hatte nachgelassen. Aus der Ferne war Rauch zu sehen. Er stieg wie ein einziger grauer Wolkenklumpen empor. Ein paar Schritte weiter erkannte Allen den dazugehörigen Schornstein. Es hatte zu dämmern begonnen. Kanda und er hatten Glück gehabt. »An Feiertagen haben wir eigentlich geschlossen...« »Nun lass sie schon rein, Schatz! Du kannst zwei Reisende doch nicht an Weihnachten vor der Tür stehenlassen. Bei der Kälte!« Eine Dame mittleren Alters drängte sich an ihrem Mann vorbei. »Kommt schon rein, keine falsche Bescheidenheit!« Allen schielte unsicher zu Kanda. Dieser rollte mit den Augen, ehe er ins Haus trat. Als die Dame sie zu ihrem Zimmer geleitete, liefen sie an einem kleinen, schlicht geschmückten Christbaum vorbei. Die Kerzenlichter flackerten und erfüllten den ganzen Raum. Allen ging nur ungern an ihm vorbei. Er sah so schön aus. »Gute Nacht. Und frohe Weihnachten!«, wünschte die Dame herzlich und schloss die Tür leise hinter sich. Kanda seufzte. Er schien nicht sonderlich angetan von dem ganzen Trara um Weihnachten zu sein. Das Angebot, mit dem Ehepaar zusammen zu speisen, hatte er sofort abgelehnt. Das war Allen nur recht gewesen. Weihnachten hatte nichts Schönes an sich. Und das konnten weder Kerzen noch Christbäume, noch ein gutes Essen ändern. Das war es, was Allen sich einredete. Kanda schloss die Tür ab. Allen zuckte zusammen, als er den Schlüssel klirrend aus dem Schloss zog und in der Hosentasche verschwinden ließ. Dann fixierte er Allen. Dieser wich zurück, bis er sich in eine Ecke gedrängt wiederfand. Kanda hatte sich vor ihm aufgebaut und mit der Handfläche neben dem weißen Schopf gegen die Wand geschlagen. Wie ein Stromschlag jagte der Schreck durch Mark und Bein. »Was zum Teufel ist los mit dir, Moyashi?!« Er sah Allen direkt in die Augen. Er studierte sie so genau, dass man meinen könnte, er versuche aus ihnen schlau zu werden. Allen kämpfte innerlich darum, sich abzuwenden. Aber es gelang ihm nicht. Etwas Undefinierbares zwang ihn, Kandas Blicken nicht auszuweichen. Sich ihnen vielleicht sogar entgegenzustellen. »W-Was meinst du...«, stotterte er und merkte erst jetzt, dass seine Zähne vor Kälte klapperten. Ihm war gar nicht aufgefallen, wie kalt ihm von dem langen Marsch durch den Schnee noch immer war. Kanda wartete kurz, schien Allens Gesichtsausdruck einzufangen, ehe er weitersprach: »Was wohl? Du benimmst dich schon den ganzen Tag über wie der größte Idiot! Das tust du zwar immer, aber heute... tust du es irgendwie anders! Was auch immer. Und es kotzt mich an! Wenn du dich weiterhin so erbärmlich verhältst, bist du mir nur im We-« Allen unterbrach Kanda mit einem Schluchzen. Er hatte sich mit dem Rücken fest gegen die Wand gedrückt, als wolle er von ihr verschluckt werden. Er suchte nach Worten für das, was in ihm vorging. Er suchte nach Rechtfertigungen, Entschuldigungen, Erklärungen. Er fand etwas, das alles und doch nichts von all den Begriffen beinhaltete. Und es musste raus. »...Mana ist... g-gestorben...« Durch den Tränenfluss verschwamm die Sicht. Allen meinte zu erkennen, dass Kanda die Stirn runzelte. Er wusste nicht, wer Mana war. Allen musste sich besser erklären. Er schniefte, senkte den Blick und setzte noch einmal an: »M-Mana... hat mich adoptiert. An Weihnachten. Und drei Jahre später... i-ist dann...« Er stoppte wieder. Er wusste nicht, wie er es erzählen sollte. Wo er ansetzen sollte. Wie man jemandem so etwas verständlich machen sollte, dem es eigentlich völlig egal war. Er wagte es, zu Kanda aufzusehen. Dieser hatte die Hand von der Wand zurückgezogen und in der Hosentasche vergraben. Den Kopf hatte er etwas schiefgelegt. Die dunklen Augen schauten in die Allens. Nicht bohrend, nicht stechend, nicht ausdruckslos. Allen atmete tief durch. Er glaubte, jetzt die richtigen Worte zu finden. Er hörte nicht auf zu weinen. Aber es gelang ihm trotzdem zu sprechen. Er erzählte Kanda, dass Mana sein Ziehvater war. Dass er mit ihm um die halbe Welt gereist war. Dass es nicht immer leicht gewesen war. Dass er glücklich gewesen war. Und dass Mana an Heiligabend, genau drei Jahre, nachdem er ihn adoptiert hatte, gestorben war. Allen schmeckte Salz. Die Tränen rannen weiter. Er fühlte sich kleiner und verlorener als je zuvor. Aber er schämte sich nicht. Er schämte sich nicht, diesem Ba-Kanda seine größten Geheimnisse preisgegeben zu haben. Im Zusammenspiel mit dem erbärmlichen Bild, das er gerade abgab. Dabei konnte er ihn nicht mal ausstehen. Von Anfang an hatten sie auf Kriegsfuß gestanden. Anders waren sie sich nie begegnet. Anders hatten sie sich nie begegnen wollen. Kanda küsste Allen. Die warmen Lippen brannten auf den kalten. Allen wusste nicht, wie ihm geschah. Der Verstand setzte aus. Die Augenlider waren geschmälert. Es kam ihm vor, als seien sie geschlossen. Er nahm das schummrige Licht wahr, das sich durch die tränenbenetzten Wimpern stahl. Er nahm Wärme wahr. Er nahm Kanda wahr. Sein Körper wurde auf einmal ganz schwer... »Oi, willst du jetzt bewusstlos werden?!« Allen rappelte sich auf, bevor er sich seinen weichen Knien geschlagen geben konnte. Auf einmal sah er das Licht, den Raum und Kandas Gesicht klarer als vorher. Er hatte die Augen weit geöffnet. Er schaute an sich herab. Kandas Hand lag auf seiner Taille. Er selbst hatte sich mit dem Rücken noch fester gegen die Wand gepresst. Verständnislos starrte er in die dunklen Augen. »Was... sollte das eben?« »Du hast nicht aufgehört zu heulen.« Kanda sprach es wie das Selbstverständlichste aus. Dann zog er die Hand zurück, verschränkte die Arme und drehte den Kopf zur Seite. Damit endete das Gespräch. Oder? Allen fühlte sich hilflos. Er tat einen Schritt nach vorn. Näher heran. Er ließ sich fallen. Zumindest kam es ihm so vor. Seine Stirn berührte Kandas Brust. Die Arme hingen reglos nach unten. Suchte er Halt? Allen wusste nicht, was er tat. Aber er wusste, dass es in Ordnung war. Er beobachtete, wie Kanda die Arme vor sich löste. Er spürte, wie er sie um ihn schloss. Allen atmete leise, aber schnell. Er hörte Kandas Herzschlag, der um so vieles ruhiger und gleichmäßiger war als sein eigener. Das hatte etwas Beruhigendes an sich. Etwas Tröstendes. Keiner der beiden sagte etwas. -:o:- Vielleicht waren mehrere Stunden verstrichen. Vielleicht auch nur ein paar Sekunden. Vielleicht eine Ewigkeit. Vielleicht eine gefühlte. Vielleicht war es nur Einbildung, als Kanda die Umarmung löste, Allens Hand nahm und sich mit ihm auf eines der schmalen Einzelbetten legte. Als er ihn wieder in die Arme nahm und mit der Hand zaghaft durch das weiße Haar fuhr. Vielleicht war Allen bereits eingeschlafen, als er heißen Atem an seinem Ohr spürte. Vielleicht träumte er nur, dass ihm »Frohe Weihnachten« zugeflüstert wurde. Vielleicht war das, was hier geschah, so unbegreiflich, dass es einfacher war, es auf Träume und Einbildungen zu schieben. Die Zeit heilt keine Wunden. Allen brauchte sich nichts mehr vorzumachen. Wer Wunden heilt, sind die Menschen, die einem in schlechten Zeiten beistehen. Allen schloss die Augen. -:-:-:-:-:- the. end. ___ KITSCH! „Der Vorleser“ ist noch ziemlich frisch in meinem Hirn, deshalb sieht der Schreibstil so aus, wie er aussieht. Hier hast du bzw. deinen ukigen Uke-Allen, . xD Es hat Spaß gemacht, ihn so zerbrechlich darzustellen, harhar. Bildet einen schönen Kontrast zu seiner nervigen Helden-Mainchar-Attitüde. Und warum „Spuren im Schnee“? - Weil Metapher oder so. Denkt euch was aus. ;) Frohe Weihnachten und liebe Grüße :D, Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)