Die Nacht trug deinen Namen von Jadis ================================================================================ Kapitel 6: S E C H S -------------------- Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf. Wieso stand er mitten in der Nacht vor meiner Tür? Ging der Fahrstuhl eigentlich wieder oder war er wirklich zu Fuß bis in den vierten Stock gekommen? Woher hatte er überhaupt meine Adresse? Fragen über Fragen. Doch noch bevor ich all dies erfragen konnte, stammelte ich nur voller Überraschung: „Mr. Sanders?“ Der ältere Herr antwortete nicht, sondern schaute sich nur vergewissernd im Raum um. Seine blassen Augen huschten hin und her. „Ist er da?“, wollte er schließlich wissen und ich wunderte mich noch nicht einmal über diese offene Frage. Ich überlegte kurz, ob ich mich dumm stellen sollte, doch seine vom Alter gezeichneten Augen zeigten einen so klaren Verstand, dass ich bezweifelte damit Erfolg zu haben. „Nicht mehr“, gestand ich also und machte eine einladende Geste. „Kommen Sie doch bitte herein.“ Er folgte meiner Bitte und als er langsam an mir vorbeilief, bemerkte ich schmerzlich, dass er sich bereits eine neue Gehhilfe zugelegt hatte. Vermutlich hatte er nicht vor das Diner so bald wieder zu besuchen. Doch warum? Er setzte sich auf einen einfachen Holzstuhl welcher meinem Sofa gegenüberstand und beäugte missmutig die Lederjacke welche Bill vergessen hatte. Absichtlich? Ich beschloss, dass es mir egal war, denn so oder so musste er noch einmal wiederkommen, wenn er sie zurück haben wollte. Und das erfüllte mich mit einer unsagbaren Vorfreude. Ich bot Mr. Sanders etwas zu Trinken an und er lehnte ab. Ich ging trotzdem in die Küche um mir einen Tee zu machen. Also setzte ich einen Topf Wasser auf meinen Herd, denn der Wasserkocher war noch immer kaputt. Ja, wirklich unglaublich. Er hatte sich noch nicht von allein repariert. Tz, diese Technik. Mit einem wärmenden Kamillentee in der Hand, setzte ich mich auf mein Sofa und sah Mr. Sanders offen an. Er nestelte an dem Saum seines abgetragenen, dünnen Anoraks herum und fixierte immer noch die Lederjacke mit seinem Blick. Ich zog abwartend meine Füße neben mich auf die Couch und blies den heißen Dampf der von meinem Tee aufstieg beiseite. „Ich hatte eine Frau“, begann Mr. Sanders unvermittelt und ich sah zu ihm, als ich seine gebrochene Stimme bemerkte. In Gedanken schien er ganz weit weg zu sein. „Sie war jung, schön und Ihnen sehr ähnlich.“ Ich sagte nichts, sondern lauschte nur seinen stockenden Worten. Ich hatte keine Ahnung, worauf er hinaus wollte, und ob ich es wirklich hören wollte. „Sie erzählte mir eines Tages, dass sie sich verfolgt fühlt und dass sie glaubt jemand sei hinter ihr her. Ich wollte ihr nicht glauben, obwohl sie jeden Tag davon erzählte. Irgendwann merkte ich, dass sie sich verändert hatte. Sie redete nicht mehr viel mit mir und ging nachts oft alleine weg, als sie glaubte ich würde schlafen. Einmal bin ich ihr gefolgt und habe sie mit einem anderen Mann gesehen. Er hing wie ein Tier an ihrem Hals und-“ Er hielt in seiner Erzählung inne und ich war mir sicher, dass er gedanklich gerade bis zu einer Stelle vorspulte die weniger schmerzlich war. „Ich bin weggerannt. Ich wusste, dass ich sie verloren hatte, aber ich wollte sie nicht gehen lassen. Als Amalia am nächsten Morgen wieder nach Hause kam roch sie nach… Unterwelt. Sie war gekommen um sich zu verabschieden, sagte sie wäre jetzt endlich frei. Ich war so wütend, dass ich auf sie losgegangen bin. Sie fiel aus dem Fenster. Ich erinnere mich noch genau an das Geräusch, als ihr Genick brach. Sie hätte tot sein müssen. Doch sie stand einfach wieder auf und verschwand in der Dämmerung ohne sich noch einmal umzuschauen.“ Ich blickte Mr. Sanders fassungslos an. Sein Blick fokussierte sich langsam wieder und er sah zu mir. „Verstehen Sie, was ich Ihnen damit sagen will?“ „Dass sie Ihre Frau ermordet haben?“ „Nein, sie war schon tot“, schrie er mir förmlich entgegen und ließ seinen Gehstock quer durch den Raum fliegen. „Verstehen Sie denn nicht? Er hat ein Monster aus ihr gemacht. Er ist der Teufel!“ „Teufel? Meinten Sie das mit ‚Diabolus’ wirklich ernst?“ „‚Diabolus’, ‚Lamia’. Es ist völlig egal, was für Namen man ihnen gibt. Es sind Verdammte. Hexen, Vampire, Werwölfe, Dämonen. Ich will Sie doch nur warnen, denn er ist zurückgekehrt und Sie tragen bereits seinen Geruch. Das ist kein gutes Zeichen.“ Ich trage seinen Geruch? Plötzlich ergab alles Sinn. Auf eine verquere, unheimliche Art und Weise. Wäre das hier ein Comic, dann würde über meinem Kopf jetzt wahrscheinlich eine Glühlampe erscheinen. Deswegen war Mr. Sanders so überstürzt aus dem Diner geflohen. Er hatte den Geruch wieder erkannt. Den Geruch desjenigen der ihm seine Frau genommen hatte? War er vor mir weggelaufen? Und dachten deswegen alle, ich hätte angefangen mir die Lungen zu verteeren? Oh Mann… „Ich kann Sie beruhigen“, versuchte ich seine Ängste zu zerstreuen. „Es ehrt mich, dass sie sich Sorgen um mich machen, aber ich werde nirgendwo hingehen. Ich werde nicht so einfach verschwinden. Ich bin nicht wie Ihre Frau.“ Mr. Sanders wurde traurig. „Kindchen“, flüsterte er beinahe und ich musste mich anstrengen um seine rauen Worte zu verstehen. „Sie sind bereits sein Eigentum. Der Geruch der Ihnen nun anhaftet soll anderen seiner Art sagen, dass Sie unantastbar geworden sind. Er hat nun den alleinigen Anspruch auf Sie. Und jeder der sich nicht daran hält wird… vernichtet.“ Mooooooment mal. Ich hatte weder eine Besitzurkunde unterschrieben, noch sah ich mich als jemandes Leibeigene. Und überhaupt… hätte es nicht ein großes Schild mit der Aufschrift „Finger weg, meins!“ auch getan? Mir wurde schwindelig. Das war zu viel für eine Nacht. Ich war müde und wollte mich in wirre Träume flüchten. Wenigstens hatte ich heute meinen freien Tag. „Woher glauben Sie, das alles zu wissen?“, fragte ich trotzdem. „Ich bin alt, und ich habe viel Zeit meines Lebens in den dunkelsten Bereichen unzähliger Bibliotheken verbracht. Doch das alles hat mir meine Frau auch nicht wieder gebracht. Ich will nur nicht, dass Ihnen dasselbe Schicksal widerfährt.“ Das wollte ich allerdings auch nicht. Mein Blut sollte schön in meinem Körper bleiben und auch wenn Amalia der Meinung gewesen war, endlich frei zu sein, wollte ich hundertprozentig menschlich bleiben. „Was soll ich jetzt Ihrer Meinung nach tun?“ Mr. Sanders quälte sich in den Stand und ich beeilte mich ihm seinen Gehstock zu bringen. Er nahm ihn mir ab und wir gingen wortlos zur Tür. „Lassen Sie alles hinter sich und gehen sie weit, weit weg. Bleiben Sie nie länger als zwei Monate an einem Ort. Gibt es Anzeichen dafür, dass er Sie wieder gefunden hat, zögern Sie nicht weiterzureisen. Und wenn Sie sich dagegen entscheiden sollten, dann sei Gott Ihrer Seele gnädig.“ Ohne ein weiteres Wort trat Mr. Sanders in den Flur und verschwand im Treppenhaus. Ich hatte noch immer meinen Tee in der Hand, von dem ich keinen Schluck getrunken hatte und ging in die Küche um das kalt gewordene Getränk zu entsorgen. Wunderbar, ein Leben auf der Flucht? Niemals. Nicht ohne Aaliyah. Aber auch nicht mit Aaliyah. Ich blieb schön wo ich war. Vorerst. Ich stützte mich mit beiden Händen auf meiner Arbeitsplatte ab und durchbohrte meinen Wasserkocher mit Blicken, ohne ihn wirklich zu sehen. Jemand trat hinter mich und umschloss meine Taille mit festem Griff. Ich war noch nicht einmal erschrocken und bewegte mich nicht, als Bill sein Kinn auf meine Schulter legte und sein Haar mich kitzelte. „Von Freiwilligen“, flüsterte er mir ins Ohr. „Ich ernähre mich von Freiwilligen. Es ist nicht nötig sie zu töten. Es dauert länger bis man satt ist und man muss ständig aufpassen nicht die Kontrolle zu verlieren, aber man wird nicht zum Mörder.“ Ich wollte mich umdrehen, doch sein eiserner Griff hielt mich umschlossen und so gab ich es schließlich auf und starrte weiter meine Fliesen an. „Hat er Recht? Bin ich dein Eigentum?“ Sein Griff lockerte sich und als ich mich umdrehte stand er am Fenster und beobachtete den Sonnenaufgang. „Nur, wenn du dich dafür entschieden hast.“ AHA! Innerlich vollführte ich einen Siegestanz. Ich hatte mich NICHT dafür entschieden. Na ja, zumindest nicht bewusst. War seine Anziehungskraft auf mich etwa so groß, dass ich bei der erstbesten Gelegenheit Signale à la „Ich will!“ ausgesendet hatte? Nein. Definitiv nicht. Das hätte ich doch gemerkt, oder? Ich gehörte nur mir. Ich trat neben ihn und bemerkte, dass er im goldenen Licht der aufgehenden Sonne seltsam hübsch aussah. „Was ist mit Amalia passiert?“, wollte ich wissen und verschränkte meine Arme vor meinem Körper, weil mich fröstelte. In der nächsten Sekunde hatte ich bereits Bills Lederjacke um meine Schultern liegen. Ich blinzelte. Er schien sich keinen Augenblick bewegt zu haben. Ist wohl so eine Vamp-Sache, dachte ich seufzend. „Amalia ist tot“, sagte er schließlich ohne den Blick vom Horizont zu nehmen und seine Stimme wurde eine Spur härter. „Adrian hat sie getötet, weil sie sich für mich entschieden hat. Jetzt ist er hinter dir her. Aber keine Angst, ich passe auf dich auf.“ Mir blieb die Spucke weg. Oi, das war mies. Warum musste er auch so direkt sein? „Ich werde dir dafür nicht mein Blut geben“, wollte ich nur noch einmal klarstellen und fragte mich jetzt das erste Mal in was für eine Horror-Geschichte ich da eigentlich geraten war. Unfassbar. Bills Kopf drehte sich langsam zu mir. „Gut“, sagte er und sah auf mich hinab. Gott, ich hatte das Gefühl, dass er bis auf den Grund meiner Seele schaute. „Und du wirst es dir auch nicht mit Gewalt nehmen?“, fragte ich vorsichtshalber noch einmal nach und zog die Lederjacke enger um meine Schultern. „Nein“, erntete ich ein amüsiertes Lächeln. „Gut“, sagte auch ich und wir gingen wieder dazu über, zu beobachten wie die Sonne aufging. Ich fragte mich, was Mr. Sanders für ein Problem hatte. Man konnte doch über alles Reden und musste nicht gleich übereilt das Land verlassen. Und was Amalia anging stand es mir nicht zu zu Urteilen. Sie hatte in einem anderen Jahrhundert gelebt und war bereits weiß Gott wie lange nicht mehr am Leben. Ihre Geschichte ging mich absolut nichts an. „Liegt es in deiner Natur eine so große Anziehungskraft auf mich auszuüben?“, fragte ich um die aufkommende Stille zu durchbrechen und hätte mir am liebsten augenblicklich auf die Zunge gebissen. Offensichtlicher ging’s wirklich nicht, oder? Aber so war es wirklich. Es gab Momente, da könnte ich mir die Kleider vom Leib reißen und ihn splitternackt anspringen. Und ich könnte schwören, dass es ihm genauso ging. Und ich sag euch, dass ich so ein Gefühl noch nie verspürt hatte, nur davon gehört. Doch es machte mich mehr als fertig. Ob das die Vamp-Hormone waren? Ich rechnete es ihm hoch an, dass er nicht einfach über mich herfiel, sondern sozusagen nur einmal kurz an mir geschnuppert hatte. Er war ein guter Typ, hatte Prinzipien. Ich mochte ihn. Er lächelte nur traurig und blieb mir eine Antwort schuldig. War auch besser so. Für heute waren alle Klarheiten erst einmal beseitigt. ~ Ende des 6. Kapitels ~ Hm... diesmal kein Kliffhänger... aber beim nächsten Kapie... versprochen *muhahahahahha* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)