Finera - New Adventures von Kalliope ================================================================================ Kapitel 104: Ewigkeit --------------------- Es dauerte ein paar Minuten, doch dann fühlte Faith sich bereits vollkommen schrecklich. Sie schluchzte noch immer und saß mit angezogenen Knien auf der obersten Treppenstufe, aber ihre Tränen begannen bereits zu trocknen, als ihr bewusst wurde, wie dämlich sie sich verhalten hatte. Sie war nicht besser als eine der keifenden Cheerleaderinnen aus den Fernsehserien – sie hatte ihren eigenen Fehler auf Joel übertragen und konnte nicht zu ihrem Versagen stehen. Joel musste sie nach ihrem unentschuldbaren Verhalten hassen, ganz sicher. „Oh Gott“, dämmerte es ihr. Sofort erhob sie sich schwankend, wischte sich die letzten Tränen aus den Augen und ging auf wackelnden Beinen die Stufen runter zurück auf den Flur. „Ich muss mich bei ihm entschuldigen.“ Je näher sie dem Gemeinschaftsraum mit dem Kamin kam, desto schneller wurde sie, doch es war bereits zu spät, als sie mit rasendem Herzen und zugeschnürter Kehle den Raum betrat. Er war fort. Faith musste sich zusammenreißen, um nicht an Ort und Stelle wieder weinend auf den Boden zu sinken. Ihr Blick fiel auf das fast ausgebrannte Kaminfeuer und die verkohlte Geschenkschachtel in der Mitte der weißen Asche. Sie schluckte schwer, spürte einen ungewohnten Schmerz in ihrer Brust und angelte das Geschenk mit spitzen Fingern aus der Glut. Die weiße Schleife war mit Ruß behaftet und an einigen Stellen bereits restlos verbrannt, das rosa Geschenkpapier war weitestgehend nicht mehr vorhanden. Auch die Pappschachtel wies Brandlöcher auf, war schwarz und voller Asche. Wieder kamen erstickte Schluchzer in ihr hoch. Faith ließ sich auf dem Boden nieder, klopfte die Asche von der zerstörten Verpackung und hob die Reste des Deckels ab. Im Inneren der Schachtel befanden sich ebenfalls Ruß und Asche, das weiße Seidenpapier war so gut wie vollständig verbrannt. Doch die Ohrringe und die Kette lagen noch immer an ihrem Platz. Obwohl sie durch die Hitze und das Feuer angelaufen waren, schwarze Stellen aufwiesen und nicht mehr glänzten, erkannte Faith, dass die bronzefarbenen Schmuckstücke mit den kleinen, goldenen Herzen die passenden Gegenstücke zu ihrem Armband waren – das Armband, das Joel ihr in Nautica City einst geschenkt hatte. Sie hob gerührt und beschämt die Hand vor den Mund, nahm mit der anderen den Schmuck aus der Verpackung und betrachtete ihn einen Moment auf ihrer Handfläche. Dann schloss sie vorsichtig die Hand darum, packte den Schmuck in ihre Hosentasche und warf die Reste der Geschenkverpackung wieder zurück ins Feuer. Wie lange sie noch reglos so dasaß, wusste sie nicht, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Am nächsten Morgen war Faith vor allen anderen aufgestanden, hatte Schwester Joy aufgelauert und sie sofort mit ihrem Problem bombadiert. Sie erklärte Schwester Joy, dass sie den Anmeldeschluss für die Finera-Liga verpasst hatte, dass es ihr großer Traum war und sie alles tun würde, wenn sie noch in das Turnier gelassen wurde. Das Glück war der Jungtrainerin an diesem Morgen hold, denn Schwester Joy hatte die Anmeldepapiere noch nicht weggeschickt, ließ sich von Faiths Flehen erweichen und ließ sie das Teilnahmeformular ausfüllen, woraufhin auch Faith die lang ersehnte Teilnehmerkarte an sich nehmen konnte. Obwohl Faith von Erleichterung erfüllt wurde, war diese Freude nur von kurzer Dauer, denn sie konnte Joel vor lauter Scham nicht unter die Augen treten. So kam es, dass sie ihm aus dem Weg ging, Blickkontakt mied und sich auch von Evan, Itsuki, Mira und Trixi nicht zu einer Aussöhnung bewegen ließ, auch wenn die anderen nicht den Grund für den Zwist zwischen Faith und Joel kannten. Als am nächsten Tag der Moment der Weiterreise über den Schneepfad nach Eisbergen anstand, hatte die frisch vereinte Gruppe sich getrennt. Joel und Trixi reisten mit dem Bus, Evan zeterte aufgrund der Kälte die ganze Zeit und schloss sich den beiden deshalb an. Itsuki, Mira und Faith traten alleine den Tagesmarsch über den Schneepfad an. Die drei schulterten ihre Rucksäcke, wobei sie sich wie unbewegliche Pinguine vorkamen, denn dank Winterjacken, Stiefeln, Schal, Mütze und Handschuhen hatten sie weniger Bewegungsfreiheit. Da war es schon ein Akt der Anstrengung einen verrutschten Rucksack wieder gerade zu schieben. Gerade verließen sie das Pokémoncenter, als Mira auch schon das offensichtliche Problem ansprach. „Joel und du habt euch gestritten oder?“ „Wie kommst du denn darauf“, erwiderte Faith trocken und wünschte sich in diesem Moment, dass sie den Tagesmarsch alleine auf sich nehmen könnte. „Geht dich nichts an, Mira.“ „Ja, sicher“, meinte diese daraufhin zögerlich, brach ihren Besänftigungsversuch jedoch ab und schwieg. Sie erkannte, dass niemand auf der Welt Faith in diesem Augenblick umstimmen konnte. Itsuki betrachtete die beiden und schwieg bis zum Stadtrand. Dort blieb er stehen und deutete auf den Wegweiser, der direkt auf einen verschneiten Bergpfad deutete. „Das ist der Schneepfad, er ist die gefährlichste Route in ganz Finera. Gerade jetzt im Winter darf man den Weg auf keinen Fall verlassen. Der Anstieg wird uns schnell zu schaffen machen, dazu kommen Kälte und das Gewicht unserer Kleidung und unserer Rucksäcke. Wenn wir bis Sonnenuntergang nicht in Eisbergen sind, müssen wir ein Zelt aufschlagen. Im Dunkeln auf dem Schneepfad zu wandeln ist schon gefährlich genug, jetzt im Winter bei dem Wetter ist es lebensgefährlich.“ „Dann sollten wir hier nicht sinnlos herumstehen sondern losmarschieren.“ Faith setzte sich als Erste in Bewegung, ging voraus und gab einen strammen Schritt vor. „Je eher wir diese gottverdammte Stadt hinter uns gelassen haben, desto besser. Ich brauche jetzt die raue Wildnis, um den Kopf frei zu kriegen. Vor so einem großen Ereignis wie der Finera-Liga ist das wichtig.“ Mira und Itsuki tauschten einen besorgten Blick aus. Sie glaubten eher, dass Faith sich mit ihrem Stechschritt an die Grenze ihrer körperlichen Leistung bringen wollte, um nicht an Joel denken zu müssen. Denn dass zwischen den beiden irgendetwas war, das war schon länger nicht mehr zu übersehen, auch wenn Faith es wohl nicht sehen wollte. Nach kurzem Zögern folgten Itsuki und Mira Faith alleine schon deshalb, weil Itsuki in dieser Gegend aufgewachsen war und sie über den Schneepfad navigieren musste. Bei diesem Wetter waren normale Routenmarkierungen mit Schneewehen überladen, sodass man ohne Ortskenntnisse niemals auf dem schmalen Pfad bleiben konnte. „Faith, vielleicht sollten wir langsamer laufen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und wenn wir gleich zu Anfang zu schnell laufen, müssen wir nachher zu viele Pausen einlegen und schaffen es nicht vor Einbruch der Dunkelheit.“ Bei Itsukis mahnenden Worten schnaubte Faith in ihren Schal und behielt alleine schon aus Protest ihr Tempo bei. „Macht doch, was ihr wollt, ich bleibe in dieser Geschwindigkeit.“ Ihre beiden Begleiter seufzten resigniert, taten ihr aber den Gefallen und ließen sie weiterhin das Tempo bestimmen. Es schien ihr zu helfen sich emotional zu beruhigen. „Eisbergen ist keine große Stadt, weil sie fast am Gipfel des Mount Ni liegt. Das Pokémoncenter dort wird überladen sein, weil das Große Festival und die Liga anstehen. Ich schlage vor, dass wir gar nicht erst in die Stadt gehen, sondern den Schneepfad bis zum Ende durchlaufen und zu mir nach Hause gehen. Der Tempel des Bergwächters steht an der Spitze des Berges, dort ist genug Platz für uns drei.“ „Ein einsamer Tempel mitten in der Wildnis?“, fragte Faith nach und als Itsuki ihr dies noch einmal bestätigte, nickte sie. „Sehr gut.“ Wieder tauschten Mira und Itsuki besorgte Blicke, rissen sich aber zusammen und folgten Faith. Schon bald hörten sie nur noch das regelmäßige Knirschen von Schnee unter ihren Schuhen. Nun gab es nur noch den Schneepfad und sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)