Finera - New Adventures von Kalliope ================================================================================ Kapitel 59: Schwerelos ---------------------- Regen. Unendlich viel Regen prasselte auf Moorbach herunter, das nun wirklich zu einem einzigen Bach im Moor zu werden schien. Alle Straßen waren von Rinnsalen überflutet worden, der Himmel von einer dicken, grauen Wolkendecke überzogen. Es hatte noch an jenem Abend zu regnen angefangen, als Faith ziellos durch die Straßen der Stadt geirrt war. Jener Abend, an dem sie Mira in dem Restaurant mit allem konfrontiert hatte. Jener Abend, an dem ihre Freundschaft irgendwo auf der Strecke geblieben war. Das alles war nun bereits zwei Tage her. Jetzt fühlte es sich an, als hätte es diese Freundschaft nie gegeben, als wäre Faith davon gelöst worden und schwebte nun schwerelos im Orbit. Sie brauchte einen Anker, der sie auf dem Boden hielt. Jemanden, der die Erde darstellte, um die sie im Moment kreisen konnte. Dieser Jemand war Joel. „Du solltest nicht so alleine hier oben sitzen.“ Das Geräusch von nassen Schuhen erklang, als er zu Faith ging, einen Regenschirm über ihren Kopf hielt und sich genau wie sie gegen das schneeweiße Geländer des Balkons vom Pokémoncenter lehnte. „Du wirst ganz nass.“ Sie wusste, dass seine braunen Augen auf sie gerichtet waren. „Ich dusche gleich sowieso, dann macht es keinen Unterschied, ob ich nass bin oder nicht.“ Joel schüttelte ein wenig den Kopf, wobei ihm einzelne Haarsträhnen ins Gesicht fielen. „Du wirst dich erkälten. Tu mir den Gefallen und komm mit rein, okay? Trixi hat uns heiße Schokolade besorgt und deine Pokémon bei Schwester Joy abgeholt.“ Als sie nicht sofort reagierte, seufzte er und machte einen Schritt zurück zur Balkontür, sodass sie wieder im Regen stand. „Faith, komm.“ Einen Augenblick blickte sie noch in den Himmel, direkt in den Regen hinein, dann lächelte sie und folgte ihm in die Galerie. Sie hatte gar nicht gewusst, dass das Pokémoncenter so etwas hatte, aber Trixi und Joel hatten ihr den Ort noch an jenem Abend gezeigt. Überall hingen die Bilder, die Schwester Joy in ihrer Freizeit gemalt hatte. Nur wenige Trainer verirrten sich hier hoch in den ausgebauten Speicher mit dem großen Balkon und den großen Fenstern. Nachdem Faith aus dem Restaurant gelaufen war, hatte es bis weit nach Einbruch der Dunkelheit gedauert, bis Trixi sie in einem Schnellrestaurant gefunden hatte. Sie hatte Faith keine Vorwürfe gemacht, sondern ihr lediglich die Hand hingehalten und „Komm, wir gehen jetzt zusammen zurück ins Pokémoncenter“ gesagt. Von diesem Zeitpunkt an war Trixi immer für sie da gewesen, hatte ihr zugehört, Zeit mit ihr verbracht und mit Faiths Pokémon trainiert. Faith hätte nie gedacht, dass sie ausgerechnet in Trixi Light so etwas wie eine Freundin finden würde. „Ah, da bist du ja.“ Lächelnd kam Trixi auf sie zu und drückte ihr eine Tasse heißer Schokolade in die Hand. „Du bist nass, Faith. Trink deine Schokolade und nimm ein heißes Bad, sonst wirst du krank.“ „Das habe ich ihr auch schon gesagt. Stures Mädchen.“ Joel klopfte Trixi auf die Schulter und nippte an seiner eigenen Tasse, während er den Blick auf ein Bild von Schwester Joy wandte, das eine schöne Herbstlandschaft zeigte. „Wie geht es eigentlich bei eurem Training voran?“ „Wunderbar.“ Trixi ließ sich auf das große Sofa mitten im Raum fallen und überschlug ladylike die Beine. „Faith ist eine gute Trainerin, du solltest sie besser als Konkurrentin ernst nehmen.“ „Trixi ist eine gut Trainingspartnerin“, meldete sich nun auch Faith zu Wort und schaute auf den Boden, wo sie für eine kleine Pfütze verantwortlich war. „Ich lerne viel von ihr. Mehr als ich mit… Mira hätte lernen können.“ Zeitgleich senkten Trixi und Joel bei der Erwähnung von Miras Namen den Blick auf den Parkettboden. Faith hing einen kurzen Moment ihren Gedanken hinterher, dann reichte sie Trixi ihre leere Tasse. „Ich gehe jetzt duschen, wir sehen uns später.“ Schnell ging sie zur Tür und eilte die Treppe runter in das Stockwerk, in dem die Einzelzimmer lagen. Mira war zu einem Tabuthema geworden, selbst bei Begegnungen, die sich hier im Pokémoncenter nicht vermeiden ließen, gingen die beiden Mädchen wortlos aneinander vorbei. Wie Fremde. „Denkst du, es wird ihr besser gehen, wenn sie sich auf den Arenakampf konzentrieren kann?“ „Ich denke, es wird nichts bringen, sie schonen zu wollen. Genau das hat zu der Katastrophe mit Mira geführt. Faith ist niemand, den man mit Samthandschuhen anpacken muss.“ Schmunzelnd stand Trixi auf und sammelte auch Joels Tasse ein. „In der Hinsicht ist sie genau wie du, Brüderchen. Vielleicht ist auch das der Grund, warum du sie so magst.“ „Wie kommst du darauf?“ „Du bist mein Bruder, Joel, mein Zwillingsbruder.“ Ihr Schmunzeln wandelte sich in ein wissendes Grinsen, als sie mit dem Zeigefinger über seine Wange strich. „Ich kenne dich und wenn ich Faith nicht mögen würde, würde ich schon längst gegen sie intrigiert haben.“ Joel stieß einen Grunzlaut aus und fixierte die Ältere. „Faith ist keine Spielfigur!“ „Ich weiß. Das sagte ich doch gerade.“ Mit schwingender Hüfte stolzierte Trixi zur Balkontür und schaute hinaus in den Regen. „Du kannst mir vertrauen, ich werde sie in Ruhe lassen und ihr die Freundin sein, die sie jetzt braucht.“ Tonlos lachte Joel auf und stapfte zur Treppe. „Ich hoffe es für dich, Schwesterherz. Ich bin kein Freund deiner kleinen Spielchen.“ Als Faith aus dem Bad kam und sich ein Handtuch um die nassen Haare wickelte, stand Trixi im Flur und lächelte sie an. Faith erwiderte das Lächeln. „Hey, was machst du hier?“ „Ich habe auf dich gewartet.“ Trixi zog zwei Karten aus ihrer Hosentasche. „Und ich habe Karten fürs Kino mitgebracht.“ „Kino? Ich weiß nicht…“ „Na los Faith, das wird lustig. Wir schauen uns einen guten Film an und lassen Joel beim Pokern mit den anderen Trainern in Ruhe. Er braucht es, dass er ab und an abschalten kann. Also, was sagst du?“ Nach kurzem Zögern stimmte Faith zu. „Ich werde mir nur noch schnell etwas Frisches anziehen und mir die Haare föhnen, dann können wir los.“ „Super, ich warte unten auf dich. Wenn wir im Kino fertig sind, musst du mir auch unbedingt von deiner Strategie für den Arenakampf erzählen.“ „Sicher.“ Faith lächelte sie an. „Ich bin gleich da.“ Zehn Minuten später kam Faith in den Eingangsbereich des Pokémoncenters, wo sie sofort Matt, Mira und – zu ihrer Überraschung – auch Miras kleine Schwester Kohana stehen sah. Mira drehte sofort den Kopf in Faiths Richtung, biss sich auf die Unterlippe und wurde von Matt und Kohana in die Kantine gezogen. Faith ging an Mira vorbei, die Schultern berührten sich kurz, doch es folgte kein Blick, keine Reaktion. Nichts. Einfach nur Schwerelosigkeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)