Finera - New Adventures von Kalliope ================================================================================ Kapitel 48: Schuld ------------------ Regen schlug gleichmäßig gegen eine Fensterscheibe, als Faith spürte, wie dumpfe Schmerzen durch ihre Arme und Beine drangen. Ihr Hals fühlte sich staubtrocken an, das Atmen fiel ihr schwer und ihr Kopf schmerzte, als hätte ein Vorschlaghammer stundenlang darauf eingeprügelt. Stöhnend öffnete sie die Augen, ein Kraftakt, so fühlte es sich an. Im nächsten Moment berührten zwei warme, weiche Hände Faiths Wangen. Ein erstickter Schluchzer war zu hören, dann streichelte jemand ihre Wangen. Dazu kam das Geräusch von leisem Flügelrascheln. Faith lenkte ihren Blick von der sterilen, weißen Decke zu der Frau mit den blauen Locken, die sie voller Liebe und Sorge anschaute. „Mom…?“ „Ja. Faith, Liebes, wie geht es dir?“ Ihre Mutter küsste sie auf die Stirn, ließ die Wangen ihrer Tochter los und zog einen Stuhl näher an das Bett heran. „Oh Gott, ich bin so froh, dass du wach bist.“ Erneut schluchzte Faiths Mutter auf und auch ihr altes Startpokémon, das Plaudagei auf der Stuhllehne, stimmte auf seine Weise in das erleichterte Schluchzen mit ein. „Mom…“ Für einen Moment musste Faith die Augen schließen, dann begann sie sich zu erinnern. Die Holzhütte, Team Dark, der Bunker, das Labor, der Kampf, das Feuer… Ihre Augenbrauen verzogen sich zu einem Strich, als sie die Augen wieder öffnete. „Ich bin in einem Krankenhaus?“ „Ja“, sprach ihre Mutter sofort und griff nach Faiths Hand. „Ich werde jetzt den behandelnden Arzt holen, damit er mit dir reden kann. Faith, Liebes, ruh dich etwas aus.“ „Ich gehe davon aus, dass ich mich schon lange genug ausgeruht habe“, entgegnete Faith mit einem Anflug von Trotz in der Stimme. Ohne auf die Warnung ihrer Mutter zu hören setzte sie sich in ihrem Krankenbett auf und schob das große Kopfkissen hinter ihren Rücken. „Wie bin ich hier her gekommen? Was ist passiert, nachdem das Labor Feuer gefangen hat?“ „Du bist schon immer ein abenteuerlustiges Kind gewesen.“ Tränen sammelten sich in den Augen ihrer Mutter. „Du musst mir aber versprechen, dass du nie wieder so eine riesige Dummheit machst! Faith, Schatz, du hättest dort unten sterben können!“ „Mom…“ „Nein, nichts da! Tu mir sowas nie wieder an!“ Ihre Mutter rang sich ein tapferes Lächeln ab und wischte sich mit dem Handrücken Tränen aus dem Gesicht, während ihr Plaudagei auf ihre Schulter flog und es sich dort bequem machte. „Deine kleine Freundin, Mireillia, und ihr Bekannter, Matt, haben sofort eine Nachricht an Officer Rocky geschickt, als sie den Rauch aus dem Bunker kommen sahen. Das Labor von Team Dark ist vollkommen ausgebrannt, du hattest wahnsinniges Glück. Wenn du bei dem Feuer noch dort unten gewesen wärst, hättest du vermutlich nicht überlebt.“ Irritiert kniff Faith die Augen zusammen. Was hatte ihre Mutter da gerade eben gesagt? Wenn sie noch dort unten gewesen wäre? Aber sie war doch dort! „Ich war in dem Labor“, meinte Faith vorsichtig und zweifelte nicht an ihren Erinnerungen. „Ja, sicher, Schatz.“ Beruhigend drückte ihre Mutter Faiths Hand. „Itsuki konnte sich bis zu der Treppe retten, aber durch den Rauch konnte er schon nicht mehr sehen, was hinter ihm war. Er dachte, du wärst direkt hinter ihm. Als Officer Rocky dich gefunden hat, hast du in einem kleinen Lagerraum gelegen, der durch eine Feuerschutztür gesichert war. Du hast dich dort hineingeschleppt mit deinen Verletzungen oder dann dort das Bewusstsein verloren.“ „Nein“, protestierte Faith und ihre Stimme wurde etwas lauter als beabsichtigt. „So war das nicht! Ich habe schon im Labor das Bewusstsein verloren, ich habe das Glumanda doch dort beschützt!“ „Vermutlich kannst du dich nicht mehr daran erinnern. Oh Liebling, du musst solche Angst gehabt haben!“ Wieder kamen ihrer Mutter die Tränen und sie legte sich die Hände an die geröteten Wangen. „Dem Glumanda geht es übrigens gut, es ist wie deine anderen Pokémon im Pokémoncenter und wartet dort auf dich. Ruh dich aus, ich werde jetzt den Arzt holen.“ Ihre Mutter ließ keine Zeit mehr verstreichen und eilte aus dem Krankenzimmer, ließ Faith mit verwirrtem Gesichtsausdruck zurück. Das konnte nicht sein, sie wusste doch ganz genau, dass sie in dem Labor das Bewusstsein verloren hatte. Im nächsten Augenblick fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich, Caleb! Er hatte sie also wirklich gerettet und in dem Lagerraum abgelegt, weil sie dort sicher war, bis Officer Rocky mit Hilfe kam. Caleb hatte ihr das Leben gerettet. Und nicht nur das, er hatte ihr auch das Glumanda überlassen, das sie aus dem Labor befreit hatte. Wieso zum Henker hatte er das getan? „Faith, guten Abend, wie geht es dir?“ Die Stimme von David, dem Arenaleiter, erklang im Raum, als er mit ihrer Mutter im Schlepptau eintrat. „Hast du Schmerzen?“ Faith starrte den Arenaleiter an, dann fiel ihr wieder ein, dass er Arzt war und vermutlich hier im Krankenhaus arbeitete. „Mir geht es gut soweit, allerdings tun mir die Schnittwunden an Armen, Beinen und mein Kopf noch ein wenig weh.“ David nickte und schaute in Faiths Patientenakte. „Du hattest eine mittelschwere Rauchgasvergiftung, Schnittwunden an Armen und Oberschenkeln sowie eine Überreizung der Lungen und Nasenschleimhäute durch Gase im Labor. Alles in allem hattest du noch Glück, es hätte schlimmer kommen können. Die ersten beiden Tage sah es etwas kritisch aus, aber dann warst du über den Berg.“ „Moment mal“, unterbrach Faith den Arzt und schaute unsicher zwischen ihm und ihrer Mutter hin und her. „Die ersten zwei Tage? Wie lange war ich ohnmächtig?“ „Wir haben dich für sechs Tage in ein künstliches Koma versetzt, um sicherzugehen, dass wir in Ruhe die Schäden durch die Giftgase kurieren konnten. Die Laborexplosion liegt eine Woche zurück.“ „Ich war eine ganze Woche ohne Bewusstsein?“ Erschrocken legte Faith sich eine Hand auf den Mund und schaute zur Seite. „Das ist… Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Deinen Freunden geht es übrigens gut. Der Junge, Itsuki, hatte nur eine leichte Rauchvergiftung, wir konnten ihn schon am nächsten Morgen wieder entlassen. Ich muss jetzt weiter zu einer Visite, aber ich werde Kangama sagen, dass es dir ein Schmerzmittel und Essen bringen soll. Wir sprechen uns dann später wieder.“ „Ich werde dich dann jetzt auch alleine lassen.“ Fürsorglich tätschelte Faiths Mutter ihre Hand und nahm ihre Handtasche vom Boden hoch. „Wenn etwas sein sollte, dann ruf mich bitte sofort an. Der Herr Doktor hat meine Nummer, aber du kannst mich jederzeit im Pokémoncenter erreichen. Mach’s gut, Liebes, und schlaf viel, das tut deinem Körper gut.“ Es war ja nicht so, dass sie die letzten sieben Tage geschlafen hatte, dachte Faith gequält, erwiderte jedoch nichts, sondern drückte nur kurz die Hand ihrer Mutter. „Ist gut. Kommst du morgen wieder?“ Ihre Mutter nickte sofort. „Morgen früh nach dem Frühstück. Ich bin mir sicher, dass deine Freunde dich auch besuchen kommen werden. Also dann, bis morgen mein Schatz.“ „Bis morgen.“ Faith wartete, bis ihre Mutter und der Arzt gegangen waren, dann ließ sie sich tief in das Kissen sinken und hing ihren Gedanken nach. Warum Caleb sie gerettet hatte, war ihr schleierhaft. Er war Vorstandsmitglied von Team Dark, die geheime Forschungen mit der DNA von Pokémon und scheinbar auch Legendären anstellten, wenn sie sich an die Notiz bei Glumanda erinnerte. Es war einfach alles so verwirrend… Kurz darauf kam Kangama mit einem Tablett, auf dem sich eine Schmerztablette, eine Flasche Mineralwasser und eine Schale mit Apfelmus, Zimtzucker und Vanillepudding befand. Das Pokémon klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und verschwand schnell wieder. Faith beäugte das leckere Essen, verspürte jedoch keinen Appetit. Der Kloß in ihrem Magen wog zu schwer, als dass sie auch nur einen Bissen hätte schlucken können. Die Erinnerung an das Labor war zu sehr in ihr Gedächtnis eingebrannt, als dass sie nicht daran denken konnte. All die Pokémon und Eier, die in dem Feuer umgekommen waren… und es war ihre Schuld. Faith fühlte sich schuldig für das, was geschehen war. Wenn sie nicht unbedingt in den Bunker gewollt hätte, dann würden all diese Pokémon noch am Leben sein. So schlimm es ihnen dort auch gegangen war, sie würden noch leben. Sie hatte mit ihrer eigenen unvorsichtigen, dummen und naiven Art ihr Todesurteil unterzeichnet. Sie war eine Mörderin. Mit einem Aufschrei warf Faith das Tablett zu Boden, sah zu, wie sich Apfelmus und Pudding über den Boden verteilten und brach verzweifelt in Tränen aus. Sie schrie, schlug in das Kissen und weinte, wie sie noch nie in ihrem Leben geweint hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)