Robin Hood von Kittykate (Das goldene Kreuz) ================================================================================ Kapitel 8: … um das Vertrauen zu stärken… ----------------------------------------- Robin versuchte seine Konzentration auf die vielen Unterlagen vor sich zu richten, allerdings wichen seine Gedanken ständig ab. König Richard befand sich auf Streifzug, würde aber bald zurückkommen. Er musste wenigstens einige der Unterlagen durcharbeiten. Aber so sehr er sich auch die Dringlichkeit einredete, seine Gedanken gehörten einzig und allein Marian. Er hatte nicht die geringste Vorstellung, was diese wunderschöne Frau durchlebt hatte. Sie erzählte, dass ihre Eltern sie verheiraten wollten. Sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Sie war einem anderen Mann versprochen. Auch wenn sie sagte, dass sie ihn nicht liebte, so würde ihr keine andere Möglichkeit bleiben, als ihn zu heiraten. Robin tat es von Herzen weh, sie in den Armen eines anderen Mannes zu wissen, dennoch würde er keinen Einfluss auf ihr Schicksal haben. Als sie ihm diese Nachricht am Nachmittag verkündete, erstarrte er. Seine Gefühle versteckte er hinter einer Maske, aber innerlich zerriss es ihn. Er legte die Feder zur Seite und raufte sich seinen braunen Haarschopf. Wieso war nur alles so schwierig? Warum musste alles so kommen, wie es kam? Er ärgerte sich ihr nicht früher seine Liebe gestanden zu haben. Vielleicht hätte er etwas verändern können. Ohne es zu wollen, drifteten seine Gedanken ab. Ihr Abschied kam so plötzlich und er fühlte sich, als wäre dieser erst ein paar Tage her. *************** Die Tage zogen ins Land. Das satte grün der Bäume und Büsche wich einem gelblichen Ton bis hin zum Braun. Der Herbst nahte und bereitete die Natur, den Sherwood Forrest und seine Bewohner auf den kommenden Winter vor. Marians Fieber senkte sich und verschwand. Der blonden Prinzessin ging es von Tag zu Tag besser. Die Fleischwunde in Marians Wade heilte sehr gut. Es würde eine Narbe zurück bleiben, aber durch ihre Stiefel oder langen Kleider könnte sie diese gut verstecken. Robin wachte an ihrem Bett, unterhielt sie, kümmerte sich um sie und achtete darauf, dass sie genug aß um schnell wieder zu Kräften zu kommen. Bruder Tuck war seit dem Morgengrauen aufgebrochen um Heilkräuter zu sammeln und auch die Nachricht über Marians Genesung den Freunden zu überbringen. „Hier, du musst etwas essen.“ Robin reichte ihr eine dampfende Schüssel und setzte sich auf den Stuhl neben ihrem Bett. Marian errötete, wandte sich schnell ihrer Suppe zu und löffelte sie langsam. Unsicher unterbrach sie ihre Tätigkeit und blickte auf. „Robin, du kümmerst dich so gut um mich. Danke!“ Sie lächelte ihn an. Schon schoss ihr die Röte auf die Wangen, ihr Herz klopfte unruhig in ihrer Brust und sie spürte das Kribbeln in ihrem Bauch, welches sie immer verspürte, wenn er bei ihr war. Schnell wandte sie wieder ihren Blick ihrer Suppe zu und aß weiter. Robin, der ebenfalls stark errötete, stellte erleichtert fest, dass sie sich abwandte. Nicht auszudenken welchen Eindruck sie von ihm bekäme, sollte sie ihn in solcher einer Verfassung sehen. Aufgeregt und nervös überlegte er nach passenden Worten. Er schuldete ihr eine Reaktion auf ihre Dankbarkeit. „Du musst mir nicht danken. Wir sind Freunde. Du würdest dasselbe für mich tun.“ In diesem Moment begann Marian so stark zu husten, da sie sich an ihrer Suppe verschluckt hatte. Es stimmte, sie würde auch alles für ihn tun; Aber nicht nur weil sie Freunde waren. Draußen wurden Stimmen lauter. Little John, die Sherwood Bande und die Huntington Geschwister befanden sich auf dem Weg zur Hütte von Bruder Tuck. Sie wollten Robin und Marian abholen. Bruder Tuck hatte ihnen am Vormittag mitgeteilt, dass Marian auf dem Weg der Besserung war und schon wieder das Haus verlassen könnte. Diese Gelegenheit ließen sich die Kinder des Sherwood Forrest nicht entgehen. Alle zusammen näherten sie sich der Hütte. Neugierig, von dem Stimmengewirr angelockt, stand Robin auf, half Marian aufzustehen und reichte ihr einen Stock. Sie durfte das verletzte Bein noch nicht belasten. Langsam humpelte sie ihrem Freund nach. Fröhlich lachend blieb die Gruppe vor der Tür stehen. Diese öffnete sich schon und Robin trat hinaus, dicht gefolgt von der blonden Prinzessin. Überrascht, all ihre Freunde zu sehen, stahl sich ein glückliches Lächeln auf ihre Lippen. „Das ist ja eine Überraschung!“ Robin grinste breit: „Sie sind alle nur wegen dir hier!“ „Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht!“ Barbara und Winnifred stürmten auf ihre Freundin zu und schlossen sie gleich in eine feste Umarmung. „Schön dich wieder zu sehen!“ Amüsiert beobachteten die Jungs das Wiedersehen, doch Little John setzte dem ein Ende: „Lasst uns gehen!“ Lachend setzte sich die Truppe in Bewegung. So durchquerte die Gruppe ihren Sherwood Forrest. Plötzlich vernahmen sie das Geräusch einer herannahenden Kutsche. Auch wenn jetzt Frieden herrschte, Little John hatte sich noch nicht daran gewöhnt. In ihm kam wieder der Räuber durch. „Was für eine Beute es wohl dieses Mal sein wird? Los, Jungs, versteckt euch. Das wird ein Spaß“, kommandierte Little John und sprang wie seine Kumpane hinter den nächsten Busch. Much lugte hervor und blickte die verbliebenen Kinder entsetzt an. „Was ist denn? Los, versteckt euch!“ Widerwillig folgten die Huntingtons und Marian den Anweisungen. Sie versteckten sich ebenfalls im Gebüsch und warteten auf die sich rasch nähernde Kutsche. Unsicher suchte Marian Robins Augen. Doch dieser schenkte ihr in diesem Moment keine Beachtung. Egal was Little John auch vorhatte, er würde es zu verhindern wissen. Aber zuerst musste er abwarten. Die Kutsche war nun ganz nah. Marian erstarrte. Diese weiße Kutsche, mit den silbernen Verzierungen an den Rundungen vom Dach zum Boden, kam ihr bekannt vor. Sie wollte soeben aufspringen und aus ihrer Deckung kommen, als die Banditen bereits lautstark angriffen. Sie sprangen aus ihren Verstecken und umkreisten die Kutsche. Der Kutscher hielt die Pferde an. Ängstlich saß er auf seinem Kutschbock und beobachtete die Banditen. Auch Little John trat aus seinem Versteck und baute sich vor der Kutsche auf. „Aussteigen! Aber schnell!“, befahl er selbstbewusst. Erst tat sich nichts, doch dann öffnete sich die Tür und ein stattlicher Mann stieg aus. Hinter ihm folgte eine gut aussehende Frau. Marian riss ihre blauen Augen auf. Ungläubig starrte sie das Paar an. Auch Robin wusste sofort, wen Little John angegriffen hatte. Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch blickte er kurz zu Marian. Diese erhob sich, griff nach ihrer Stütze und humpelte aus dem Gebüsch heraus. So schnell es ging eilte sie zwischen die Räuber. „Wir sind die Sherwood Bande und ich bin ihr Chef, Little John, persönlich! Und jetzt gebt uns euer Geld!“ Als Marian neben Much stehen blieb, erhob sie ihre Stimme: „Halt, Little John! Lass sie in Ruhe!“ Überrascht krochen auch die Huntington Geschwister aus ihren Verstecken und traten näher. Verärgert über den Zwischenruf, drehte sich der Chef der Räuberbande zu Marian. „Warum? Kennst du sie etwa?“ Robin trat ebenfalls zu Marian und betrachtete die Adligen ebenfalls. „Lord und Lady Lancaster!“ Beide blickten in die Richtung aus der ihre Namen erklangen. Dort entdeckten sie ihre Tochter. Mit weit aufgerissenen Augen betrachteten sie ihr inzwischen gewachsenes Kind. „Vater! Mutter“, rief Marian. Sie wollte zu ihnen, doch ihr Bein schmerzte wieder. Sie hatte sich wohl doch überanstrengt. „Marian“, besorgt blickte Robin seine Gefährtin an, doch diese schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. „Marian?“ Lady Lancaster konnte es nicht glauben ihrer Tochter im Wald zu begegnen. Sie hatte angenommen, dass Marian im Schloss Nottingham verweilte, seit König Richard wieder zurückgekehrt war. Sie musterte ihre Tochter. Alles an ihr war anders. Sie trug nicht mehr ihr Kleid, sondern nur noch ein weißes Unterkleid mit dem rosafarbenen Überrock. Zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass Marians Unterkleid ihr nur bis zur Mitte des Oberschenkels reichte und viel zu viel Bein zeigte. Auch dass sie auf einen Stock gestützt stand und ihre linke Wade dick verbunden war, entging Lady Lancaster nicht. Besorgt eilte sie zwischen den Banditen hindurch auf ihre Tochter zu. „Kind, was ist mit deinen Haaren passiert? Und wie bist du überhaupt gekleidet?“ Marian konnte nicht einmal antworten, da ihrer Mutter schon Tränen in die Augen stiegen. „Was haben sie dir angetan? Haben sie dich erpresst oder zu etwas gezwungen, dass du nicht wolltest?“ Schon liefen die ersten Tränen über das zarte und hübsche Gesicht von Lady Lancaster. Ehe Marian überhaupt etwas erklären oder richtig stellen konnte, trat ihr Vater mit vor Wut geballter Faust auf sie zu. Ängstlich wichen die Räuber zu einem Halbkreis auseinander, bis nur noch Robin neben den Lancaster Frauen stand, und der Lord sich ihm gegenüber stellte. Der stattliche, hoch gewachsene Edelmann ignorierte das Zurückweichen der Räuber, denn seine Augen waren einzig und allein auf Robin Hood gerichtet. „Robert Huntington, ich vertraute dir meine Tochter an, doch was sich mir nun zeigt entsetzt mich sehr. Hätte ich gewusst, dass du ein Räuber bist und meine Tochter nicht gut behandelst, hätte ich sie dir niemals anvertraut.“ Er ballte seine Hand so fest zur Faust, dass sie zu zittern begann. Robin erschrak über die Vorwürfe. Sie waren berechtigt, zwar nicht wie Lord Lancaster es ausdrückte, dennoch er wusste wie oft er Marian in Gefahr gebracht hatte. Die Gegner hatten sie oft als Geisel genommen um an ihn heranzukommen. Bestürzt über sein eigenes selbstloses Verhalten senkte er seinen Kopf. Die Sherwoodbande und die Huntingtons lauschten erschrocken den Vorhaltungen. Niemals hatte Robin Marian schlecht behandelt, aber keiner traute sich auch nur einen Ton zu sagen. Marian starrte ihren Vater entsetzt an. Sie konnte kaum glauben was sie hörte. Ihr Vater gab Robin an allem Schuld. Doch es war ihre eigene Entscheidung, sie hatte sich selbst oft in Gefahr begeben. Sie war töricht und dumm. Robin hatte oft genug versucht sie von ihren Vorhaben abzuhalten. Doch sie wollte nicht hören. „Vater, du irrst dich! Robin war sehr gut zu mir!“ „Schweig!“ Marian wich einen Schritt zurück. Ängstlich verstummte sie. „Ich verabscheue dich, Robert Huntington!“ Robin zuckte merklich zusammen und ballte seine Hand zur Faust. Doch er ließ seinen Kopf gesenkt. „Nein, Vater“, erwiderte Marian, doch ein weiterer Blick ließ sie verstummen. Lord Lancaster betrachtete seine Tochter misstrauisch. „Bring sie in die Kutsche!“ „Ja, Geliebter“, antwortete ihm seine Frau. Sanft umfasste sie die Schultern ihrer Tochter und schob sie nachdrücklich zur Kutsche. Marian weigerte sich und kämpfte dagegen an. Verzweifelt suchte sie Robins Gesicht, sie suchte seine blauen Augen, die ihr immer Kraft spendeten und sie nie den Mut verlieren ließen. Aber Robin stand nach wie vor mit gesenktem Haupt vor Lord Lancaster. Er rührte sich nicht. „Robin!“ Nichts tat sich. „Robin, bitte!“ Lady Lancaster verfestigte ihren Handgriff um Marians Schulter. Marian bemerkte wie sehr sie sich von Robin entfernte. Sie wollte nicht. Sie wollte nicht weg von ihm. Er war immer für sie da, hatte ihr geholfen und ihr Mut zugesprochen, wenn sie traurig war. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Robin“, schrie sie verzweifelter denn je, aber ihre Worte prallten an ihm ab. Sie sah ihn an, doch er rührte sich nicht. Die ersten Tränen liefen ihr über die Wange. Schließlich gab sie es auf. Mit einem Mal war all der Mut verschwunden. Traurig ließ sie ihren Kopf hängen und folgte ihrer Mutter, ohne Widerstand, zur Kutsche. „Ich rate dir niemals auch nur in die Nähe meines Schlosses zu kommen!“ Mit diesen Worten drehte sich Lord Lancaster um und kehrte zu seiner Kutsche zurück. Er gab noch seinem Kutscher eine kurze Anweisung, ehe er einstieg und die Tür hinter sich schloss. Alle verfolgten mit blassem Gesicht wie der Kutscher die Kutsche wendete und Marian in ihr eingeschlossen langsam in die Ferne verschwand. Winnifred und Barbara schafften es sich aus ihrer Erstarrung zu lösen. Beide rannten so schnell sie konnten der Kutsche. „Marian, bleib hier!“ Will und Much eilten ihnen nach und hielten sie zurück. „Es ist zu spät“, bemerkte Will. Barbara und Winnifred traten Tränen in die Augen und sie klammerten sich an ihren Bruder. Little John trat auf Robin zu. „Das lässt du dir gefallen? Wenn du dich nicht beeilst siehst du sie nie wieder, ist dir das klar?“ Enttäuscht darüber, dass Robin anscheinend aufgab verschränkte er die Arme vor der Brust. „Du bist dabei sie zu verlieren, für immer!“ Immer noch rührte sich der Junge nicht. „Ich hab ja nicht erwartet, dass du so schnell aufgibst. Ich dachte du liebst sie, wie kannst du sie so einfach gehen lassen?“ Robins Faust begann zu zittern. „Ich liebe sie nicht, Little John! Ich habe sie nie geliebt!“ Mit diesen Worten drehte sich Robin um und rannte weg. Alle sahen ihm irritiert nach. *************** Während seine Hände durch die Haare fuhren, starrten seine blauen Augen auf die Tischplatte. Immer wieder fragte er sich, ob er den Gang der Dinge verändern hätte können, wenn er ihr damals gesagt hätte: Ich tue das für dich, weil ich dich liebe. Er wusste es nicht und zu ändern war es auch nicht. Aber nun, nie hatte er geglaubt ihr im Wald zu begegnen und sie in seinem Haus zu beherbergen. Ich verabscheue dich, Robert Huntington! Ich rate dir, niemals auch nur in die Nähe meines Schlosses zu kommen! Diese Worte waren tief in seinem Bewusstsein eingebrannt. Er ahnte die Bedeutung dieser Worte, dennoch brach er eines Nachts auf um sie wieder zu sehen. *************** Robin und Will brachten Claire und Marisa nach Nottingham Castle und kehrten anschließend zu ihrem Versteck zurück. Die ganze Zeit über bemerkte Will, wie schweigsam sein Cousin war. „Was bedrückt dich?“ Robin schreckte aus seinen Gedanken und winkte ab. „Nichts!“ Der größere Huntington schüttelte seinen Kopf und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Das stimmt nicht. Also sag mir die Wahrheit“, drängte Will ungeduldig. Der Bogenschütze blieb stehen. Er zögerte seine Gedanken auszusprechen, aber er wusste Will würde nicht eher Ruhe geben. „Ich werde zum Schloss Lancaster reiten“, verkündete er schließlich. „Aber…“, brachte Will besorgt hervor, doch Robin blickte ihn entschlossen an. „Ich werde sie besuchen und wenn sie mich nicht zu ihr lassen, dann werde ich einen Weg finden um zu ihr zu kommen.“ „Lord Lancaster wird dich nicht zu ihr lassen“, räumte Will ein, dem die Drohung wieder einfiel. „Trotzdem muss ich es versuchen“, erwiderte Robin. „Ich breche noch diese Nacht auf.“ „Winnifred und Barbara werden nicht begeistert sein“, mutmaßte Will erneut, doch Robin wehrte auch diesen Gedanken ab. „Sie müssen davon nichts wissen.“ „Lass mich mitkommen, Robin“, bat der schlanke Junge und fügte hinzu: „Falls du Schwierigkeiten bekommst.“ Robin schüttelte vehement den Kopf. „Du musst auf die Mädchen aufpassen.“ Der größere Huntington gab auf. Sein Cousin blieb stur. Er wusste, dass er nicht gegen Robins Dickkopf ankam. So beugte er sich dem Vorhaben und überlegte sich eine Ausrede für seine Schwestern. Kurz vor ihrem Versteck, hoch oben hinter dem Wasserfall, schlug der Bogenschütze einen anderen Weg ein und pfiff nach Weißer Donner. Dieser trabte wenig später. Robin schwang sich auf den Rücken seines Hengsts und ritt in die Nacht hinein. Das Schloss Lancaster war prächtig und eindrucksvoll. Seine Mauern beherbergten den Charakter und die lange Familientradition. Die sehr breite Brücke führte auf den Schlosshof zum Haupttor zu. Zu beiden Seiten ragte je ein runder Turm empor. Die sonst gräuliche Farbe der Steine wirkte im Mondlicht des Vollmonds silbern. Als er das Schloss erblickte hielt Robin Weißer Donner an. Es war ein wunderschönes Schloss und irgendwo darin befand sich Marian. Sein Magen fühlte sich etwas flau an, dennoch biss er die Zähne zusammen. Er lenkte seinen Hengst seitlich an die Brücke heran und sprang ab. Ernst suchte er Weißer Donners Augen. „Hör zu, mein Freund! Warte hier. Ich bin bald wieder da“, flüsterte er. Als hätte er es verstanden, schnaubte der Hengst und warf seinen Kopf in die Höhe. Robin lächelte, drehte sich um und rutschte den Hang hinab, immer darauf bedacht im Schatten zu bleiben. Er befand sich am Außengemäuer der Kellerräume. Durch die großen Fenster drang Licht heraus. Vorsichtig trat er auf eines der Fenster zu und sah hinein. Die Köche arbeiteten emsig am Abendessen für die Lordschaft. Ein Koch trat auf das Fenster hinzu. Robin duckte sich hinweg und wartete ab. Verdutzt blickte der Koch hinaus, ehe er sich abwandte und seiner Arbeit nachging. Der Bogenschütze schlich sich weiter, immer darauf bedacht im Schatten und unentdeckt zu bleiben. Er kam zu einer Hintertür in einem Innenhof, verharrte aber abwartend in der Dunkelheit. Die blauen Augen suchten den Hof ab und entdeckten zwei Soldaten. Krampfhaft überlegte Robin, wie er in das Schloss eindringen konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Das Schicksal eilte ihm zu Hilfe. Die Hintertür öffnete sich und eine junge Magd trat auf den Hof und eilte zu den Soldaten. Die beiden richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Magd und hörten zu, was sie ihnen auszurichten hatte. Der junge Huntington nutzte diese Möglichkeit, schlich zur Tür und schlüpfte hinein. Er fühlte sich wie ein Räuber. Aufmerksam schlich er den dämmrigen Gang entlang. Er bog um eine Ecke und ging weiter. Noch nie zuvor war er in diesem Schloss, aber instinktiv folgte er den Gängen. Damals, bevor Lord Alwine, sein zu Hause zerstört hatten, war er die geheimsten Gänge gegangen. Als Kind fand er schon heraus, dass es verschiedenen solcher Gänge gab und nachdem seine Eltern verstorben waren und seine Tante mit ihrem Mann und ihren drei Kindern zu ihm zogen und sich seiner Erziehung annahmen, fanden er und seine Cousins mehr und mehr Geheimgänge. Im Schloss Nottingham, als er Marian rettete, fand er heraus, dass alle Schlösser im Grundbau die gleichen Wege hatten. Für ihn stellte es nicht die geringste Schwierigkeit dar. Er trat auf eine Tür zu. Es war die einzige in den letzten Gängen. Zögernd und vorsichtig griff er nach der Klinke und öffnete sie. Dahinter zeigte sich eine alte Treppe, die hinauf führte. Er tastete sich voran, da es stockdunkel war. Hin und wieder erhellte eine Fackel die Treppe, aber diese Fackeln brannten soweit von einander entfernt, dass er den Rest im Dunkeln ertappen musste. Die Treppen endeten bei einer Tür. Er musste sich nun dem Hauptteil des Schlosses genähert haben. Jetzt ermahnte er sich zur Vorsicht. Er öffnete die Tür einen Spalt und erforschte den Gang. Niemand war zu sehen. Schnell schlüpfte er auf den Gang, schloss die Türe leise und schlich sich den Gang entlang. Überall hingen Kerzenständer und Fackeln. Dieser Gang war hell erleuchtet. Sein Blick huschte zur Wand. Ein großer Wandteppich mit dem Familiensymbol der Lancaster hing herunter. Auf der gegenüberliegenden Wand hingen Gemälde von Marians Urahnen. Neugierig blieb er vor dem Portrait von Lord Lancaster stehen. Er verlor sich in Gedanken bis plötzlich Schritte wieder hallten. Robin blickte sich nervös um. Er konnte nicht sagen, von wo sie kamen und wie schnell sie kamen, aber sie näherten sich rasch. Der braunhaarige Junge sah sich mit klopfendem Herzen und rasendem Puls um. Er fand kein Versteck. Doch dann fiel sein Blick auf den Wandteppich. Schnell stand er davor, hob ihn an und blickte dahinter. Tatsächlich fand er dort eine Nische. Schnell schlüpfte er hinein und wartete ab. Gerade noch rechtzeitig, denn sechs Soldaten gingen im Gleichschritt den Gang entlang und an dem Wandteppich vorbei, ohne ihm Beachtung zu schenken. Hätten sie ihm Beachtung geschenkt, wäre ihnen aufgefallen, dass er sich noch leicht bewegte. Es wurde wieder ruhig im Schloss. Erleichtert atmete er aus. Schon schob er sich wieder aus seinem Versteck hervor. Er blickte sich um. Wo befand sich Marians Gemach? Er würde den Soldaten folgen. So ging er los und bog um die nächste Ecke. Schritt für Schritt schlich er den Gang entlang. Er entdeckte eine Tür den Gang entlang. In diesem Moment öffnete sich diese Tür und Lady Lancaster trat heraus. Ihr weißes Kleid mit blauer Schärpe umspielte ihre schlanke Figur. Ihre blonden Haare fielen ihr offen über ihre Schulter. Ein Diadem zierte die blonde Haarpracht. Sie schloss die Türe hinter sich und drehte sich zum Gehen, als sie eine Gestalt neben sich wahrnahm und sich dieser zuwandte. Robin war so überrascht, dass er nach seinen Bemühungen nun doch erwischt wurde, und erstarrte zur Säule. Sie blickte ihn ebenso überrascht wie auch erstarrt an, bis ihr bewusst wurde, wer vor ihr stand und in welcher Gefahr er sich befand. In einem geistesgegenwärtigen Moment, eilte sie zu ihm und redete leise auf ihn ein. „Was machst du hier, Robert?“ Aufgeregt, wie auch ängstlich, suchte sie den Gang nach Wachen ab, ehe sie besorgt Robin ansah. „Du darfst nicht hier sein!“ „Ich möchte Marian sehen. Erfahren ob es ihr gut geht!“ Robin blickte sie stur an. Natürlich ging es ihr gut, sie war zu Hause. Dennoch sorgte er sich um seine beste Freundin und er vermisste sie. Ohne sie war es nicht dasselbe durch die Wälder zu streifen. Alles erinnerte ihn an sie. Sie hatten so lange zusammen im Wald gelebt, hatten so viel zusammen erlebt. „Natürlich geht es ihr gut“, riss sie ihn aus seinen Gedanken. „Sie ist wieder zu Hause. Du musst gehen, bevor dich der Lord hier findet. Du hast ihn sehr enttäuscht und er ist unberechenbar“, warnte sie ihn. Schon wieder sah sie sich ängstlich um, still hoffend, dass sie niemand sehen würde. Schritte näherten sich. Robin schüttelte seinen Kopf. „Ich möchte zu Marian. Ich will sie sehen, sehen dass es ihr gut geht!“ „Das geht nicht.“ beharrte Lady Lancaster lauter. Sie nahm die Schritte wahr und wenig später fand sie sich mit Robert Huntington eingekreist von Soldaten. Lord Lancaster trat zu ihnen. Missmutig blickte er seine Frau an, ehe er sich an Robin wandte: „Ich habe dich gewarnt, Robert Huntington.“ „Bitte, Geliebter. Er ist doch nur ein Junge und vermisst seine beste Freundin.“ Robin betrachtete irritiert Lady Lancaster, die sich gegen ihren Mann stellte. Lord Lancaster, durch ihr störrisches Benehmen sichtlich verstimmt, ignorierte seine Frau, ballte seine Hand zur Faust und ließ seine Augen nicht von seinem erklärten Feind weichen. „Du hast mein Vertrauen missbraucht, du hast dich gegen meine Familie gestellt und Marian in Gefahr gebracht.“ Robin rechtfertigte sich. „Lord Alwine hat uns gejagt. Ich habe mich niemals gegen Eure Familie gestellt“, erwiderte er selbstbewusst. Doch nun wurde er selbst traurig. „Und Marian… Ich hätte sie beschützen müssen, ich hätte auf sie aufpassen müssen… Ich habe versagt, da muss ich Euch zustimmen, aber ich…“ „Schweig!“, unterbrach Lord Lancaster. …liebe sie und würde alles dafür tun, dass so etwas nicht mehr vorkommt, fügte Robin in seinen Gedanken hinzu. „Geliebter!“, mischte sich Lady Lancaster ein, doch Lord Lancaster fuhr sie auch an. „Du schweigst auch!“ Schon wandte er sich mit einem Blick der so viel Hass zeigte, wieder an Robin. So einen verachtenden Blick kannte Robin nur von Lord Alwine. „Du wirst bei Sonnenaufgang hängen. Ich habe dich gewarnt!“ Zwei Wachen ergriffen Robin und packten ihn fest an seinen Oberarmen. Robin hielt dem verachtenden Blick stand. „Ich möchte Marian sehen!“, verlangte er. „Niemals, du Verräter!“, erwiderte Lord Lancaster. „Bitte, Geliebter, lass ihn gehen. Er wollte doch nur seine alte Freundin sehen. Er ist doch noch ein Kind.“ „Schweig!“, schrie Lord Lancaster endgültig. Dass seine Frau sich so für diesen Jungen einsetzte, konnte er nicht verstehen. Nicht nach allem was Marian passierte. Durch den Lärm auf dem Gang angelockt, trat die Prinzessin auf den Gang und suchte nach den Lärmenden. Überrascht verharrte sie. Lord Lancaster nahm als einziger das Erscheinen seiner Tochter war. Als sie Robin sah, trat ein Lächeln auf ihre Lippen und Tränen füllten ihre Augen. Eine Welle der Erleichterung suchte ihren Körper heim und dies bemerkte auch Lord Lancaster. Er ahnte, dass dieser Junge Marian mehr bedeutete, als er es gutheißen würde. Für seine Tochter und sonst für niemanden, brummte er: „Solltest du dich jemals noch ein einziges mal in diesem Schloss einschleichen, wirst du hängen! Und nun werft ihn hinaus. Er soll mir aus den Augen verschwinden.“ Die Wachen führten Robin ab. Niemand sonst hatte Marian bemerkt. Sie sah ihn nur von hinten. Mit Tränen in den Augen zog sie sich in ihr Gemach zurück. *************** Robin spürte, dass seine Konzentration sich nicht auf die Arbeit lenken ließ. Zu sehr beschäftigten ihn alte Erinnerungen, die er in den letzten Jahren so gut verdrängen konnte. Seit sie hier war, brachte sie ihn und seine Gedanken vollkommen durcheinander. Seit ihrer erneuten Begegnung im Wald, fühlte er das Chaos seiner Gefühle umso deutlicher. Wie sehr hatte er sie in den letzten Jahren vermisst. Und nun war sie endlich bei ihm. Nichts sehnlicher wünschte er sich seit sieben Jahren. Sieben lange Jahre, in denen er sich von seiner Familie und seinen Freunden zurückzog. Er sah es ihnen an, wie sehr sie litten. Will bedrückte seit langer Zeit etwas, aber er ließ es sich nicht anmerken. Robin wusste es, Winnifred sah es und Barbara ahnte es. Winnifred kam nicht über die Erinnerungen an die Vergangenheit hinweg. Robin und Will wussten es, Barbara ahnte es. Barbara hatte es am schwersten in dieser Familie. Vieles in den letzten Jahren, bekam sie einfach nicht mit, weil sie zu klein war. Mit den Folgen musste sie nun leben, ohne zu wissen was vorgefallen war. Jeder von ihnen schloss sie aus. Robin bemerkte wie erwachsen die Kleinste schon war, aber niemand vertraute sich ihr an. Jeder sah in ihr das unbeschwerte, unbekümmerte Kind. Keiner von ihnen wollte in ihr die erwachsene junge Frau sehen, keiner wollte ihr ihre Kindheit nehmen. Jeder einzelne kämpfte für sich. Keiner wollte die anderen mit Gedanken oder Worten belästigen. Barbara spürte es und je länger sie ihr die Vergangenheit verbargen, desto eher würde die Jüngste daran zerbrechen. Robin stand auf. Er schloss die Augen, versuchte alle schlechten Erinnerungen und Gedanken an die Vergangenheit zur Seite zu schieben und richtete seine blauen Augen auf den großen Aktenstapel. Es hatte keinen Sinn sich mit den Anfragen zu quälen. Er würde sich in sein Gemach zurückziehen und überlegen wie er Marian helfen konnte. Wenn sie nicht bald mit ihm redete… Er wusste es nicht. Er fühlte nur ein ungutes Gefühl im Magen. Diese Männer in Schwarz durchsuchten nach wie vor den Sherwood Forrest. Bald würden sie auf dieses Schloss stoßen. Nicht auszudenken was passieren könnte. Er löschte die Kerzen und verließ sein Arbeitszimmer. Langsam schlich er durch die Gänge bis er an der Treppe ankam. Er blickte hinauf. Sehnsuchtsvoll starrten seine Augen ins Leere. Er hoffte so sehr, dass sie sich ihm anvertraute. Sollte sie es nicht von sich aus tun, würde er sie dazu zwingen müssen, auch wenn er es nicht gerne tat. Langsam stieg er die Treppen hinauf. Es war so still in diesem Haus. Den Gang zu seiner rechten Seite bewohnten Will, Barbara und Winnifred. Much schlief im Gästezimmer vor dessen Tür er soeben stand. Er ging links und trat an Marians Zimmertür vorbei. Kurz blieb er stehen. Vielleicht sollte er noch kurz nach ihr sehen? Schnell schüttelte er den Kopf und ging weiter. Sie schlief bereits. Es war schon spät in der Nacht. Er trat auf seine Tür zu, öffnete sie und betrat sein, in Dunkelheit gehülltes, Zimmer. Das Mondlicht schien durch die vielen Fenster herein und zeichnete die Umrisse der Möbel ab. Langsam schloss er die Türe und lehnte sich noch mit dem Rücken dagegen. Diese Nacht würde kurz werden. Er spürte etwas. Jemand war hier. Aufmerksam richtete er seine Augen auf und suchte mit ihnen langsam den Raum ab. Vor ihm stand das große Bett. Seine Augen wichen nach rechts zu der großen Sitzgruppe, aber auch dort war niemand. Seine Augen glitten zu den Rundbogenfenstern und nun sah er es: Die Glastüre zu seinem Balkon stand offen und eine leichte Brise wehte in das Gemach. Mit der Hand an seinem Dolch trat er leise zu seinem Balkon und spähte hinaus. Ihm gegenüber am Geländer stand sie. Eine engelsgleiche Gestalt mit langen, blonden Haaren und dieser schmalen Figur. Der leicht aufkommende Wind spielte mit ihren Haaren, die ihr offen über den Rücken fielen. Er spielte mit ihrem Kleid, welches sich leicht hob und senkte. Robin stand wie angewurzelt in der Tür und war unfähig zu denken. Sie stand hier auf seinem Balkon und nahm ihm den Atem. Sein Herz klopfte so rasend schnell in seiner Brust, das ihm der Puls sogar im Ohr pochte. Er löste die Hand von seinem Dolch und schritt langsam auf sie zu. Er fühlte sich zu ihr hingezogen und er erinnerte sich an den einzigen Augenblick in den letzten sieben Jahren, in dem er mit ihr alleine war. Auf dem Maskenball ihrer Eltern standen sie nah beieinander, fühlten sich zu dem anderen hingezogen und spürten die knisternde Spannung zwischen ihnen. Er stand neben ihr und betrachtete ihr Antlitz. Der Mond schmeichelte ihrer Haut, ihrem Haar. Immer noch spielte der Wind mit ihrem Haar. Sie spürte, dass er neben ihr stand, riss ihren Blick aus der Ferne und sah ihn an. Stumm und mit großen blauen Augen. Er verfing sich in ihren blauen Augen. „Marian.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)