Robin Hood von Kittykate (Das goldene Kreuz) ================================================================================ Kapitel 6: Sternschnuppe ------------------------ Winnifred war den ganzen Nachmittag über bei Marian gewesen und die Freundinnen hatten sich das viele erlebte aus den letzten zehn Jahren erzählt. Sie hatten zusammen gelacht, zusammen geweint und waren gemeinsam in Erinnerungen geschwelgt. Sie hatten sich gegenseitig an ihre schlimme aber dennoch fröhliche Kindheit erinnert. Sie sind gemeinsam ihre Abenteuer durchgegangen und waren sich zwischenzeitlich auch nur stumm und still in den Armen gelegen. Winnifred hatte Marian sehr vermisst und Marian hätte ihre Freundin in den teilweise nicht so erfreuten Schlosstagen mehr gebraucht denn je. Dennoch sie waren beide getrennt von einander erwachsen geworden, hatten vieles erlebt und freuten sich nun endlich wieder zusammen zu sein. Nur hatte jede von ihnen ein Problem auf ihrem Herzen, das sie der anderen nicht anvertrauen konnte. Marian wollte Winnifred nicht in Schwierigkeiten bringen und Winnifred wollte Marian nicht zur Last fallen. Längst war die Dunkelheit hereingebrochen und Betty wechselte soeben den Umschlag an Marians Fuß. Winnifred beobachtete die Tätigkeit aufmerksam, während sie auf dem Stuhl saß und sich lachend mit Marian unterhielt. „Und plötzlich stand Ritter Gilbert in der Tür. Du hättest Robins Gesicht sehen müssen als er ihn entdeckt hatte.“ Marian lächelte. Gilbert, ihn hatte sie zuletzt vor drei Jahren gesehen. König Richard war auf Schloss Lancaster zu Besuch gewesen. Ritter Gilbert hatte ihn begleitet. An diesem Tag war Marian so glücklich wie lange nicht mehr. Endlich war einer ihrer alten Freunde zu Besuch. Endlich konnte sie sich ungestört mit jemandem unterhalten, ohne Angst haben zu müssen belauscht oder beobachtet zu werden. Marian hatte sich mit Ritter Gilbert ein wenig Zeit gestohlen und war mit ihm durch die königlichen Schlossgärten spaziert. Lange hatten sie geredet. Die junge Prinzessin konnte sich endlich alle Gefühle, die sie so lange eingesperrt hatte, von der Seele reden. Gilbert hörte ihr zu und war einfach nur für sie da. Dafür war sie ihm so unendlich dankbar. Er war ein sehr guter Freund und sie wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Auch erkundigte sich Marian nach Robin, doch Gilbert erzählte nur wenig. Er hatte ihr erklärt, dass er sich nicht einmischen wollte. Er wollte nicht unnötig Sehnsüchte schüren und auch würde er keinen von ihnen mit Geschichten quälen. Er war die Verbindungsperson der beiden, doch er hatte sich geschworen weder bei Marian über Robin, noch bei Robin über Marian einen Ton zu sagen. Es war so schon schwer genug für die beiden. Schwerer wollte er es ihnen nicht machen. „Marian? Hörst du mir überhaupt zu?“ Winnifred wusste nicht, was ihrer Freundin in diesem Moment durch den Kopf gegangen war. Sie hätte es gerne gewusst, doch fragen und bedrängen wollte sie ihre Freundin auch nicht. Marian riss sich aus ihren Gedanken und schalt sich selbst nicht zugehört zu haben. „Entschuldige“, lächelte die Prinzessin, doch die fröhliche Stimmung war vorbei. Augenblicklich war Winnifreds Fröhlichkeit der Sorge gewichen. Es klopfte an der Tür und Will trat mit einem breiten Grinsen ein. „Ich wollte nur nach unserem Gast sehen.“ Er trat ans Bett und schloss Marian in eine feste Umarmung. Er hatte sich seit ihrer Ankunft nicht einmal bei ihr gezeigt. Das wollte er somit wieder gutmachen. Er setzte sich auf die Bettkante. Betty war fertig mit ihrer Arbeit und ließ ihre Schützlinge allein. „Schlaft gut“, waren ihre Worte ehe sie die Tür hinter sich schloss. Winnifred betrachtete Will aufmerksam. „Wo ist denn Robin? Ich habe ihn den ganzen Tag noch nicht gesehen!“ „Er ist in seinem Arbeitszimmer und geht die verschiedenen Anträge durch.“ Marian hatte den Geschwistern stumm zugehört, doch ihre Augen schienen mehr als fragend drein zublicken. „Robin ist König Richards Vertretung. Wenn die Bürger der Stadt Nottingham Wünsche haben, müssen sie diese an Robin schicken. Der entscheidet dann, welchen Wünschen stattgegeben wird. Immer wenn König Richard in Nottingham ist, besprechen sie alle wichtigen Ereignisse.“ Mit großen Augen lauschte sie dieser Erklärung und fragte sich, ob Robin wusste, welch wichtige Aufgabe er hatte. Er entschied über die Zukunft der Bürger von Nottingham. Sollten die das jemals herausbekommen, würden sie alle Bürger dieser Stadt gegen ihn aufhetzen. Lord Alwine hatte es schon mal geschafft, warum also sollten die es nicht auch schaffen? Besorgnis spiegelte sich in Marians Augen wieder. Nein, sie konnte ihn wirklich nicht bitten ihr zu helfen. Sie würde sein Leben zerstören. Niemals dürfen sie auch nur ahnen wie Marian zu Robin stand. Niemals, das schwor sie sich. „Marian?“ Will tauschte einen irritierten Blick mit seiner Schwester aus. „Es ist nichts“, antwortete diese auch schon. „Er hat also einen sehr wichtigen Auftrag und er muss gerecht handeln. Darf niemanden bevorzugen und muss alle Wünsche einander abwägen.“ „Ja, genau. Aber das macht er prima. Wenn er Wünsche abschlägt, erklärt er auch aus welchem Grund. Er ist sehr gerecht und versucht alle gleich zu behandeln“, stimmte Winnifred zu. „Aber er könnte trotzdem vorbei sehen und sich erkundigen wie es Marian geht, findest du nicht auch, Will?“ „Ich werde nach ihm sehen und ihn zu euch schicken. Schlaft gut ihr zwei!“ Mit diesen Worten stand der älteste Huntington auf und verließ das Zimmer. „Du auch!“ Marian sah ihm noch kurz nach, doch schon trafen ihre Augen die von Winnifred. „Es macht nichts wenn er nicht kommt. Es ist schon spät. Außerdem war er letzte Nacht hier.“ Überrascht blinzelte Winnifred. „Robin war hier? Die ganze Nacht?“ Errötend nickte Marian. „Ja, er hat auf dem Stuhl gesessen – die ganze Nacht über.“ „Davon hat er ja gar nichts erzählt. Deswegen war er heute morgen so müde und ich habe mich schon gefragt, mit was er sich die Nacht um die Ohren geschlagen hat“, lachte Winnifred plötzlich auf und auch Marian stimmte in das Lachen mit ein. Will ging die Treppenstufen hinunter, trat in den Eingangsbereich und bog links ab. Hinter einer Tür befand sich ein kleiner Gang. Diesen schritt er entlang bis er wieder in eine größere Halle trat. Von da an strebte er ein Zimmer rechts von sich an. Er klopfte leise an und öffnete die Tür. Überrascht Bruder Tuck noch hier vorzufinden trat er ganz ein und schloss die Türe hinter sich wieder. Beide blickten besorgt und ernst wie lange nicht mehr. Irgendwas musste passiert sein. Robin saß hinter seinem großen braunen rustikalen Tisch auf dem drei Stapel Papiere lagen. „Will“, rang Bruder Tuck sich ein Lächeln ab. „Was ist passiert? Ihr schaut beide so ernst?“ Der junge Huntington verschränkte seine Finger in einander und senkte seinen Kopf. Ernst schloss er seine Augen, während er langsam zu sprechen begann. „Seit Tagen sind diese Männer schon im Wald unterwegs und suchen nach Marian.“ „Wir müssen sie fragen, warum sie nach ihr suchen. Wieso diese Männer nicht einfach aufgeben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie etwas Schlimmes verbrochen hat, doch müssen wir davon ausgehen und dann bringt sie uns in Gefahr“, erklärte Will aufgebracht. Er wusste, dass die Spur im Wald früher oder später zu ihrem Anwesen führen würde. Und er hatte Angst sein zuhause ein weiteres Mal zu verlieren. Robin hatte soviel Arbeit in dieses Anwesen gesteckt, sie hatten Angestellte, die zurückkamen als die Nachricht über das Schloss Huntington ihre Dörfer erreicht hatte. Sie durften nicht alles verlieren, nicht noch einmal. „Beruhige dich, Will“, mischte sich Bruder Tuck milde lächelnd ein. Er konnte sich vorstellen was in diesem Jungen vor sich ging, dennoch sollten sie alle einen kühlen Kopf bewahren und nach einer Lösung des Problems suchen. „Bruder Tuck hat Recht“, mischte sich Robin ein. Er wusste um die Ängste seines Cousins, so hatte er dieselben Befürchtungen. Auch das mehr geschehen sein musste, als er zu hoffen wagte, war ihm mehr als bewusst. Dennoch konnte und wollte er Marian nicht bedrängen. Er hoffte, dass sie zu ihm kam, ihm Vertrauen schenkte und ihn um Hilfe bat. Er öffnete seine Augen und begutachtete seine Finger. „Lasst uns eine Nacht schlafen und morgen fällt uns bestimmt eine Lösung ein.“ Bruder Tuck nickte und stand auf. Robin sah dem älteren Mann ins Gesicht. „Bruder Tuck, Betty hat euer Gemach herrichten lassen. Es ist schon spät. Ihr könnt morgen früh aufbrechen.“ „Danke, Robin“, lächelte Bruder Tuck. Schnell war er in sein Zimmer verschwunden, dass Robert Huntington für den Mönch einrichten hat lassen. Eigentlich hatte der Junge anfangs angenommen, dass Bruder Tuck ebenfalls ins Schloss einzog, doch der Mönch lebte schon viel zu lange im Sherwood Forrest, um diesem Wald so plötzlich den Rücken zuzukehren. Auch Will und Robin gingen schlafen. Sie wussten, dass es keinen Sinn mehr an diesem Abend machte, sich über die Probleme den Kopf zu zerbrechen. Am nächsten Tag schlug Marian ihre Augen auf. Langsam richtete sie sich auf und blickte zum Fenster hinaus. Die Sonne stand weit oben am Himmel, also hatte sie den halben Tag verschlafen. Ihr Blick schweifte zur Bettdecke und ein sanftes Lächeln trat auf ihre Lippen. Bruder Tuck sagte, dass sie heute wieder gehen konnte. Nach einem kurzen Blick nach draußen schlug sie die Decke weg und schwang ihre Füße aus dem Bett. Zaghaft berührten ihre Fußzehen den kalten Holzboden. Über einem Stuhl hing Kleidung und Marians Schuhe standen geordnet neben dem Bett auf dem Boden. Überrascht blinzelte sie, denn dieses Kleid war nicht ihres. Neugierig stand sie auf und wagte langsam einen Schritt voran. Bruder Tuck behielt Recht denn die Schmerzen waren vorbei. Die Schwellung war noch leicht zu sehen aber Marian fühlte sich gut. Sie kleidete sich um. Denn die Sonne und der blaue Himmel zogen sie an die frische Luft und in die Natur. Barbara führte Much schon seit Sonnenaufgang über das Anwesen und zeigte ihm jeden Winkel. Sie war froh darüber den Jungen von damals wieder um sich zu haben. Er war der einzige der Sherwood Bande, der sich auch mit ihr beschäftigt hatte und sie nicht als Anhang sah. Er war ihr Freund und sie hatte ihn sehr vermisst. „Robin hat alles wieder genauso errichten lassen, wie es vor Lord Alwines Zerstörung war. Es war ihm wichtig, dass wir uns wieder wie zu Hause fühlen.“ Much brachte vor Staunen kein Wort heraus. „Ich vermisse den Sherwood Forrest, auch wenn das hier unser zuhause ist“, erzählte Barbara weiter und blickte traurig auf den Boden. Much sah zu seiner Begleiterin. Er hatte ihren Tonfall bemerkt. Verlegen, da er nicht wusste was er sagen sollte, schluckte er. „Es war schön im Wald. Damals haben wir uns alles sagen können, wir haben zusammen gelacht und tolle Dinge erlebt.“ Aufmerksam betrachtete Much das junge Mädchen. Er wollte sie wieder lachen sehen. „Hier ist es doch auch schön. Du musst hier doch auch tolle Dinge erleben, oder nicht?“ Ihm entging nicht, wie traurig Barbara bei seinen Worten wurde und sichtlich mit den Tränen rang. Er blieb stehen. Erschüttert wie traurig dieses kleine Mädchen war, fing er an sich zu fragen, was genau in den letzten Jahren alles passiert war. Die erste Träne kullerte Barbara über die Wange. Sie blieb ebenfalls stehen, da Much nicht mehr neben ihr war. Langsam drehte sie sich um. Sie suchte seinen Blick und lächelte verzweifelt. In diesem Moment brach es Much das Herz. Das einst so fröhliche Mädchen war erwachsen geworden und mit Sorgen und Traurigkeit geplagt. Hilflos stand er Barbara gegenüber. Er hatte mit Mädchen noch nie gut umgehen können und schon gar nicht hatte er jemals ein weinendes Mädchen gesehen. „Hier ist gar nichts schön“, klagte Barbara leise. Immer mehr Tränen lösten sich aus ihren Augen. „Seit wir wieder zurück sind schweigen wir. Keiner von uns redet mit dem anderen. Niemand teilt seine Geheimnisse, Sorgen und Ängste.“ Sie schluckte, da sie von ihren Gefühlen überrannt wurde. Ängstlich, hilflos und verloren überwand Barbara die wenigen Schritte Abstand zu Much und warf sich an seine Brust. Wie eine Ertrinkende krallte sie sich in sein Hemd ein und weinte. Much fühlte sich in diesem Moment maßlos überfordert. Da klammerte sich das kleine Mädchen an ihn und weinte bitterlich. Vorsichtig legte er eine Hand an ihren Rücken, während er die andere an ihrem Hinterkopf platzierte und ihr sanft über die Haare strich. Langsam und leise drangen Barbaras Worte an seine Ohren. „Im Wald waren wir eine Familie. Hier sind wir vier einzelne Lebewesen, die sich eine Unterkunft teilen. Ich weiß nicht was sie so verändert hat, aber es hat unser Leben zerstört – unsere Familie“, schniefte sie und erlag einem weiteren Weinkrampf. Unbeholfen drückte er das Mädchen noch ein wenig fester an sich. Unfähig etwas zu sagen verarbeitete er ihre Worte. Nicht mal annähernd hatte er etwas geahnt, doch es hätte ihm auffallen müssen. Beim Essen am Vorabend hatten sie schweigend zusammen gesessen, ebenso auch an diesem Morgen. Es musste schrecklich sein acht Jahre lang so zu leben. Unbemerkt trat jemand an das augenscheinliche Paar. Es war Ben, der Stallbursche, der mit einer Heugabel gewappnet auf dem Weg zum Stall war. Sein Gesicht verfinsterte sich und die Augen blitzten als er Barbara und den Fremden zusammen sah. Wut loderte in ihm auf. Die beiden wirkten so vertraut miteinander und das missfiel dem jungen Mann. Laut räusperte er sich während er sich näherte. Barbara löste sich erschrocken von Much. Ihre Tränen waren augenblicklich versiegt und überrascht erblickte sie Ben. Ihr Mund fühlte sich trocken an und ein beklemmendes Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie fühlte sich ertappt. Much drehte sich ebenfalls um. Er errötete leicht um die Nase und beobachtete den jungen Mann, den er am Vorabend nur kurz gesehen hatte. Der finstere Blick und die Heugabel erschreckten Much, doch war Barbara bei ihm. Sie würde ihn schon vor diesem seltsamen Kerl beschützen. „Ben“, ungewollt hüpfte Barbaras Herz bei seinem Namen kurz und sie fühlte eine ungewohnte Hitze in sich aufsteigen. Das unschöne Gefühl, etwas Falsches getan zu haben, wuchs. „Barbara“, nickte Ben zu und blieb bei ihnen stehen. Sein Blick glitt zu Much und wurde finster. Dieser lächelte schief und versteckte entschuldigend seine Hände hinter dem Rücken. „Ich zeige Much unser Anwesen“, erklärte Barbara ehrlich. Sie befürchtete, dass sich etwas in dieser Freundschaft ändern könnte, wenn sie nicht ehrlich zu Ben war. „Wir wollten soeben zum Stall. Dürfen wir dich begleiten?“ Ein Blick in ihr wunderschönes Gesicht besänftigte Ben, auch wenn es ihm nicht passte, dass dieser Kerl sie begleiten würde. Ein wenig freundlicher nickte Ben und zu dritt gingen sie zu den Stallungen. Neugierig inspizierte Marian die beiden Türen, die aus ihrem Zimmer hinausführten. Zuerst nahm sie die Tür zur linken Seite und erblickte ein angrenzendes Badezimmer. Waschschüsseln, Tücher und eine große Badewanne standen in diesem Raum. Die Einrichtung stand der im Schloss Lancaster in nichts nach. Im Gegenteil sogar; Marian fühlte sich heimisch. Von der Neugierde getrieben, trat sie nun an die gegenüberliegende Tür und platzierte vorsichtig ihre Hand an den Knauf. Unsicher ob jemand das, was sie hier tat, gutheißen würde, öffnete sie vorsichtig die Tür und erspähte einen Blick auf das geräumige und sehr große Gemach. Mit großen Augen öffnete sie die Tür weiter und trat bewundernd ein. Eine kleine Sitzgruppe erstreckte sich über die Ecke zu ihrer rechten Seite. Viele Fenster im Rundbogen erhellten das große Zimmer und ihr gegenüber an der langen Seite des Zimmers führte eine Glastüre hinaus auf einen Balkon. Marian konnte von ihrem jetzigen Standpunkt die Größe des Balkons nur erahnen. Auf der linken Seite füllte ein großes Himmelbett den Raum. Auch aus diesem Zimmer führten zwei weitere Türen hinaus. Eine befand sich neben dem Himmelbett und führte in einen dahinter liegenden, abgetrennten Raum, während die andere auf den Flur hinaus führte. Sie fragte sich, wem dieses Zimmer gehörte. Ob es Robins Gemach war? Dieser Gedanke ließ sie erröten. Ihr Puls begann zu rasen wenn sie nur daran dachte, dass Robin so nah war. Leise zog sie sich zurück und begab sich auf den Weg durch das Schloss. Sie wollte hinaus an die frische Luft und das so schnell es möglich war. Aufmerksam sah sie sich im Schloss um, erkannte die vielen kleinen Details, die an Robins Kindheit erinnerten. Gemälde zeigten verschiedene Szenerien, die Gäste als schöne Landschaftsbilder ansahen, doch Marian in ihnen ihre Abenteuer wieder erkannte. Mit großen Augen betrachtete sie eines der großen Bilder, in dem der Wald erstrahlte doch über ihm sich Flammen des Feuers bildeten. Wie sehr sie sich an die Zerstörung von Sherwood Forrest erinnern konnte. Es war schrecklich mit anzusehen, wie der Wald von dem roten Flammenmeer zerstört wurde. Marian griff sich an die Brust. Das Kreuz hatte sie immer um den Hals getragen, bis zu diesem schicksalhaftem Tag. Sie kniff ihre Augen zusammen und Bilder des Unheils traten ihr in Erinnerung. Schreckliche Bilder der Angst. *************** Marian hielt es nicht mehr aus. Prinz Jean verfolgte sie, fragte immer wieder nach dem goldenen Kreuz, doch den Grund erfuhr sie nie. Nachdem sie ihm immer wieder tagelang ausgewichen war, wusste sie dass es kein entkommen gab. Er würde es finden, früher oder später. Die Prinzessin wusste dass ihm jedes Mittel recht war und beschloss es zu suchen und an sich zu nehmen. Sie wollte es in Sicherheit wissen und im Wald war es nicht mehr lange sicher. Früher oder später würde ihn die Spur in den Sherwood Forrest führen. Seit Tagen hingen dunkle schwarze Wolken über dem Schloss Lancaster und auch über Sherwood Forrest als könne der Himmel die schlimmen, schweren Stunden für England spüren und wolle die Menschen auf die kommenden Ereignisse vorbereiten. In einer der regnerischen Nächte stahl sich Marian aus ihrem Zimmer, floh leisen Schrittes und unbemerkt in den Stall, sattelte ihre Stute und ritt in die Nacht hinaus. Der prasselnde Regen dämpfte das hallende Hufgeklapper. Leider war ihr Verschwinden nicht ganz unbemerkt geblieben und Prinz Jean bot sich an seine Ritter hinter her zu schicken, allerdings wusste niemand im Schloss von seinem Auftrag. Sie war seit langer Zeit unterwegs und der Weg anstrengend. Dennoch blieben ihre Verfolger hartnäckig. Marian wusste, dass sie mit Armbrust und Schwertern bewaffnet waren. Sie waren gefährliche Menschen. Krieger, die nur eines kannten – töten! Marian fühlte sich schwach, sie konnte nicht mehr. Auch wusste sie dass Sternschnuppe kämpfte. Wie oft hatte das Pferd gescheut, sich gesträubt weiter zu laufen, doch Marian wusste wie knapp nur der Vorsprung war. Immer wieder blickte sie gehetzt über die Schulter. Sie hatte es sich selbst zur Bestimmung gemacht das kommende Unheil abzuwenden. Auch wenn es hieß, dass sie dabei sterben könnte. Sie war sich im Klaren, dass sie alleine war und dieses Mal keine Freunde an ihrer Seite hatte. Dieses Mal war sie ganz auf sich allein gestellt. Um ihre Verfolger abzuhängen schlug Marian inzwischen Haken und versuchte die Fährte zu verwischen. Der Ritt wurde immer anstrengender für Reiter und Pferd, doch Marian wusste, dass sie nicht aufgeben durfte. Sie wusste, dass sie dem Wald näher kamen, auch wenn reißende Flüsse und eingestürzte Brücken ihr immer wieder den Weg erschwerten. Aber die blonde Prinzessin gab nicht auf. Niemals. Sie würde sich Prinz Jean entgegen stellen. Endlich stob Sternschnuppe in den Wald hinein. Sie hatte es geschafft. Sie hatte den Sherwood Forrest erreicht. Immer wieder warf sie gehetzte Blicke über ihre Schulter zurück. Marian wusste nicht wie nah ihre Verfolger letztendlich waren. Sie hatte sie seit längerem nicht mehr gehört oder gesehen. Der Regen peitschte ihr hart ins Gesicht. Es fühlte sich an als trafen die Prinzessin kleine Kieselsteine. Sie biss die Zähne zusammen und ignorierte den immer wieder aufkommenden Schmerz. Auch konnte sie bis jetzt den tief hängenden Ästen gut ausweichen, doch an Armen und Beinen trafen sie die Stöcke hart. Der Schmerz brannte, doch sie durfte ihn nicht Herr werden lassen. Marian hatte eine Aufgabe. Sie war die wichtigste überhaupt. Nur so konnte sie einen neuen Krieg verhindern. Nur sie alleine konnte verhindern, dass das mächtigste und wertvollste Stück in die falschen Hände fiel. Endlich traf sie auf eine kleine Lichtung. Sie hatte es geschafft und eine unendliche Erleichterung machte sich in ihrem Körper breit. Sie musste es in Sicherheit bringen. Niemand durfte je davon erfahren. Sollten sie die Wachen einholen, würde sie lügen. Sie würde behaupten, dass das Kreuz gestohlen wurde. Sie wollte es holen um es Prinz Jean zu überreichen, doch hatte es jemand gefunden und mitgenommen. Ihre Lüge erschien so glaubhaft. Angespannt hielt sie Sternschnuppe vor einem bestimmten Baum an. Gehetzt blickte sie sich um. Der große dunkle Umhang hing ihr schwer und nasskalt über die Schultern. Auch die große Kapuze, die ihr hübsches Gesicht komplett verhüllte, war völlig durchnässt. Marian sprang ab, hielt ihr Pferd an den Zügeln und trat ein paar Schritte näher an den Baum. Dort müsste es sein. Wenn es nicht mehr da war, war alles vorbei. Dann war die ganze Mühe vergebens. Nach einem kurzen stillen Gebet, griff sie in eine Baummulde und tastete nach dem gesuchten Gegenstand. Er war nicht da. Marian konnte ihn nicht fühlen. Nur wo war er? Er musste da sein. Ihr Herz raste vor Angst. Mit vor Schreck geweiteten Augen tastete sie tiefer in den Baum und plötzlich berührten ihre zarten Finger etwas Kaltes. Vorsichtig tastete sie den Gegenstand ab und atmete sichtlich erleichtert auf. Es war da! Die junge Lady Lancaster hatte es gefunden. Sie zog ihre Hand zurück und betrachtete es kurz. Das goldene Kreuz. Der Schatz der Sherwood Forrest soviel Unheil gebracht hatte. Mit ihrer rechten Hand hielt sie den Gegenstand fest umschlossen. Schnell stieg sie wieder in den Sattel und setzte zum Trab an. Gleich darauf zum Galopp. Sie durften es nicht bekommen. Niemals durfte es ihnen in die Hände fallen. Kalt fühlte sich das Kreuz an, doch sie ließ es nicht los. Sie hielt es so fest sie konnte. *************** Ihre an der Brust geballte Hand begann bereits zu zittern, so stark drückte die Blondine ihre zarten Finger zur Faust. Es war weg. Sie wusste nicht wo es war, sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Zuletzt fiel ihr der Sturz von ihrem Pferd ein. Sie flog durch die blitzende Nacht und schlug auf den Boden auf, danach erwachte sie in einem Holzhaus. Sie wusste nicht mehr, was alles zwischen dem Sturz und dem Erwachen passiert war. Winnifred trat lächelnd an die Blondine heran. „Wie schön dich zu sehen. Dir geht es schon besser“, stellte sie fröhlich fest. Aufmerksam betrachtete die Brünette ihre Freundin. Winnifred hatte Marians zerrissene Kleider gesehen und so beschlossen ihr eines von ihren zu schenken. Es war in hellem Blau gehalten und ein dunkelblaues Band zierte die schmale Taille und führte in eine gebundene Schleife. Die blonde wallende Mähne der Prinzessin passte zu dem Kleid und die Augen glichen der Farbe des Bandes. Sie selbst hatte dieses Kleid geschneidert bekommen, doch Blau war nicht Winnifreds Farbe. Zu ihrem Typ passte es nicht. Aber Marian konnte es tragen und somit beschloss sie ihrer Freundin dieses Kleid zu überlassen. Auch freute sie sich der Prinzessin helfen zu können, wobei sie überhaupt nicht wusste warum sie ihr helfen musste. Weder Robin, Will noch Marian hatten ein Wort über Marians Erscheinen verloren. Sie war plötzlich im Schloss Huntington gewesen ohne Erklärung. War etwas passiert? Sorge zeigte sich in dem fröhlichen Gesicht der Braunhaarigen und ließ das Lächeln verschwinden. Marian und sie hatten den vorigen Tag über geredet, doch über ihre Anwesenheit hatte die Lady kein Wort verloren. Winnifred spürte, dass etwas geschehen war, dass Marian etwas bedrückte, doch fragen traute sie sich nicht. Sie hatte Angst die alte Freundin gleich wieder zu verlieren wenn sie zu neugierig war. Aber an diesem Tag wollte sie die Wahrheit erfahren, egal wie schlimm sie war. „Du siehst wunderschön aus“, lächelte Winnifred wieder. Marian hingegen war es die die Freundin verwirrt beobachtete. Ihr war nicht entgangen, dass Winnifred über etwas grübelte. Doch sie wollte diesen Gedanken nicht weiter verfolgen, da sie das ungute Gefühl hatte, es ginge um sie. „Danke für das Kleid“, lächelte nun auch Marian. Winnifred nickte und griff nach der zarten Hand ihrer Freundin. „Wollen wir hinausgehen?“ Marian nickte und gemeinsam traten sie durch die große Empfangshalle hinaus in den warmen, sonnigen Tag. Much, Barbara und Ben traten an großen Koppeln vorbei in Richtung Stall. Plötzlich blieb der Räuber stehen und blickte überrascht auf eine der Koppeln. Seine braunen Augen hatten ein wunderschönes weißes Pferd erblickt. Ihm gefiel das strahlende Weiß und er trat an den Zaun der Koppel. Um es besser zu sehen, stellte er sich auf die unterste Zaunlatte. Barbara tauschte mit Ben einen überraschten Blick aus und folgte ihrem alten Freund, während Ben ihr nur widerwillig folgte. Das Mädchen kletterte auf den Holzzaun der Koppel und setzte sich oben auf. Während ihre Hände sie stützten, ließ sie ihre Füße baumeln. Ben folgte ihr, lehnte erst die Mistgabel neben sich an den Zaun, ehe er sich selbst lässig mit dem Rücken dagegen lehnte und setzte ein unbeteiligtes Gesicht auf, allerdings ließ er Barbara und Much keine Sekunde aus den Augen. „Wem gehört dieses Pferd?“ Much konnte seine Augen nicht von dem hoheitsvollen, schlanken, weißen Geschöpf abwenden. Ihm gefiel das Pferd. „Das wissen wir nicht“, antwortete Barbara. „Es stand plötzlich in unserem Hof. Wir wissen nicht woher es kommt oder wem es gehört. Es war ganz nass geschwitzt und sein Lauf war verletzt. Ben hat sich sofort um das Tier gekümmert, hat es versorgt und geputzt. Seitdem steht es hier auf der Koppel.“ Barbara blickte ununterbrochen auf das schöne Tier. „Wieso steht es nicht mit den anderen Pferden auf der Koppel dort hinten?“, hakte Much neugierig nach, während er mit seinem Daumen in eine Richtung hinter sich deutete. Er spielte auf die zweite noch größere Pferdekoppel an, bei der sie zuvor vorbeigegangen waren. Ben schloss genervt seine Augen, verschränkte seine Arme vor der Brust und beantwortete spöttisch: „Sie ist eine Stute, zudem nicht aus unserer Züchtung. Die Hengste müssen von ihr getrennt bleiben, wenn wir ein großes Unglück vermeiden wollen.“ Sprachlos betrachtete Much wieder das schöne Pferd. Unbemerkt traten die Huntington Männer heran. Der jüngere Huntington stellte sich neben Ben, während Will sich zu Much stellte. Beide blickten ebenfalls auf die weiße Stute. „Und gefällt es dir hier?“ Much drehte sich zu Robin und grinste verlegen. „Ob mir das hier gefällt? Machst du Scherze? Natürlich. Dieses Anwesen gleicht einem Königreich.“ Robin richtete seinen Blick auf Much. „Du kannst gerne bleiben.“ Ben rümpfte auf diese Worte seine Nase, verkniff sich allerdings jeglichen Kommentar. Er war nicht in der Position sich äußern zu dürfen. Much verharrte. „Robin, das ist wirklich nett von dir, doch ich muss zurück zu den anderen.“ Barbara hatte unentwegt in die Ferne geblickt, doch nun senkte sie ihren Kopf. „Du willst uns verlassen?“ Much hörte wieder diese traurige Stimme. Um jeden Preis wollte er die Tränen verhindern, die eben in dem Mädchen aufstiegen. „Ja, aber ich werde noch ein bisschen bleiben. Versprochen, Barbara! Nur irgendwann muss ich zu Little John und den anderen zurückkehren. Sie machen sich bestimmt schon Sorgen.“ Barbara verstand die Beweggründe ihres alten Freundes. Doch dass er sie wieder verlassen wollte, gefiel ihr nicht. Sie kämpfte allerdings die Tränen hinunter und lächelte schon wieder fröhlich. „Schön, dann können wir noch ein bisschen Zeit gemeinsam verbringen.“ Wütend schnaubte Ben. Er war nur froh, wenn dieser seltsame Typ endlich wieder dorthin zurückkehrte, wo er herkam. „Bruder Tuck ist heute vor Sonnenaufgang aufgebrochen. Er versprach, Little John aufzusuchen und ihm alles zu berichten“, erklärte Will. „Du kannst also unbesorgt noch ein paar Tage hier bleiben.“ Barbaras Augen fingen zu Strahlen an und sie warf sich Much um den Hals. Leider etwas zu stürmisch, denn dieser verlor den Halt auf der untersten Latte und fiel rücklings zu Boden. Barbara, die sich an ihn geklammert hatte und somit ihre stützenden Hände gelöst hatte, folgte ihm unweigerlich. Nach einem harten Aufprall lagen sie auf dem Boden und lachten. Will, Ben und Robin beobachteten den Absturz mit Entsetzen, doch das erheiternde Lachen nahm ihnen die Besorgnis. Winnifred und Marian konnten den Fall von weitem sehen und rannten besorgt auf die beiden zu. „Ist euch was geschehen?“ Winnifred kniete sich zu ihrer Schwester und half ihr wieder auf die Beine. Much stand ebenfalls auf. Beide lachten immer noch, doch er beruhigte sich langsam. „Alles in Ordnung. Hast du dich verletzt?“ Seine Aufmerksamkeit ruhte auf dem jungen Mädchen, das ebenfalls den Kopf schüttelte. „Alles noch dran“, lächelte sie. Marian hingegen verharrte als sie Robin am Gatter stehen sah. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Ihre blauen Augen ruhten auf dem jungen Mann, der in den letzten drei Jahren noch erwachsener geworden war. Auf ihrem Zimmer im Schein der Kerzen, war ihr das nicht aufgefallen, jedoch als sie ihm nun gegenüber stand, merkte sie den Unterschied. Unruhig pochte ihr Herz in ihrer Brust. Doch den Blick konnte sie nicht abwenden. Zu sehr fesselten sie seine Augen. Auch Robin betrachtete sie. Er stand reglos am Zaun und blickte sie einfach nur an. Ihm schossen viel zu viele Gedanken auf einmal durch den Kopf. Kein einziger von ihnen war klar. Er hielt sie in seinem Blick gefangen und betrachtete ihre Schönheit. Sein Herz begann zu rasen, als wäre er auf der Flucht und in seinem Magen kribbelte es ganz leicht. Wieder mal dachte er an den Kuss, den er ihr gestohlen hatte. Leichte Röte stieg ihm auf die Wange, aber von ihr abwenden konnte er sich nicht. Winnifred riss beide aus ihren Gedanken: „Was macht ihr eigentlich alle hier?“ „Wir haben uns das zugelaufene Pferd angesehen“, erklärte Barbara und deutete mit ihrem Finger auf die Koppel, wo die Stute friedlich graste. Marian riss ihren Blick von Robin los und suchte das eben angesprochene Pferd. Als sie es erblickte musste sie kein zweites Mal hinsehen. Sie wusste es auch so: „Sternschnuppe!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)