Efeu von Ur (Schlicht und Immergrün) ================================================================================ Kapitel 32: Mutter und Sohn, Vater und Sohn ------------------------------------------- Das Kapitel ist ein bisschen kürzer, aber ich denke mal, dass ihr mir das nicht übel nehmen werdet :) Wir nähern uns dem Ende und ich möchte mich zum gefühlten hundertsten Mal für all die lieben Kommentare und auch die zahlreichen Favoriteneinträge bedanken. Ihr motiviert mich damit jedes Mal aufs Neue ungemein! Liebe Grüße, _________________________ Der Kugelschreiber in seiner Hand tippte nachdenklich auf dem karierten Papier herum. Um ihn herum konnte man förmlich die Köpfe rauchen sehen und die absolute Stille, die den Raum beherrschte, wurde nur ab und an von einem Papierrascheln oder einem Hüsteln unterbrochen. Elias runzelte ein wenig die Stirn und las sich Aufgabe 3a noch einmal durch. Er war sich nicht sicher, ob seine Lösungsidee die war, die hier gewollt wurde. Aber es war wohl besser, die Aufgabe zu lösen, als überhaupt nichts zu schreiben. Mathe war seine letzte schriftliche Abiturprüfung und alles, was danach noch kam, war die mündliche Prüfung in Politik, vor der er sich am meisten gruselte. Physik war reibungslos verlaufen, Erdkunde hatte ihm streckenweise einige Schwierigkeiten gemacht und die Englischklausur war für seine Maßstäbe gut gelaufen. Er war froh, dass er das Abitur nun bald hinter sich hatte, allerdings hatte er auch Bammel vor dem, was danach kam. Zivildienst, Studium? Ausbildung? Er würde irgendwann ausziehen, er würde sich entscheiden müssen, was er eigentlich machen wollte. Aber dies war eindeutig nicht der richtige Moment, um über seine Zukunft nachzudenken. Immerhin lag hier vor ihm sein schriftliches Mathematikabitur. Er machte sich also daran, Aufgabe 3a zu lösen, 3b ließ er vorerst aus und fing mit Aufgabe 4 an. Draußen klingelte es zur großen Pause, doch natürlich blieben alle sitzen und beugten sich noch etwas tiefer über ihre Papiere. Einige Stunden später hatte Elias alles gerechnet, bis auf Aufgabe 3b, auf deren Lösung er einfach nicht kommen wollte und er beschloss, dass es nichts brachte, sich wegen einer Teilaufgabe vollkommen verrückt zu machen. Und so sah er alles noch einmal durch, packte seine Sachen ein und legte alles an beschriebenen Papieren zusammen, ehe er aufstand, nach vorne ging und die Klausur abgab. Elias war der Erste, der fertig war und er verließ den Raum mit einem Winken zu seinen Klassenkameraden. Kaum hatte er den Raum verlassen, schweiften seine Gedanken hin zu Anton. Er erinnerte sich an die ‚Tanzstunden’, an die Zeit mit Alex und Fenja und daran, dass er das eindeutige Gefühl hatte, sich mit jedem verstreichenden Tag mehr in seinen Nachbarn zu verlieben, wenn das überhaupt noch möglich war. Draußen schien die Sonne und Elias hielt sein Gesicht der Sonne entgegen, während er den schmalen Betonweg entlang ging, der vom Hautpeingang der Schule hin zur Straße führte. Er hatte die schriftlichen Prüfungen hinter sich. Und er hatte das Gefühl, sich für Politik gut vorbereitet zu haben, aber immerhin waren es immer noch anderthalb Wochen bis zur mündlichen Prüfung. Er schlenderte in Richtung Efeuweg, summte leise vor sich hin und genoss das gute Wetter. Kurz bevor er sein Haus erreichte, schrieb er eine kurze SMS an Alex, Dominik und Markus, um ihnen zu sagen, dass Mathe gut gelaufen war. »Und, wie ist es gelaufen?«, wurde er sofort begrüßt und seine Mutter, Nathalie und Kathi kamen in den Flur gerannt, als sie hörten, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Sein Vater war noch bei der Arbeit. Elias grinste und ließ sich von Nathalie und seiner Mutter umarmen. »Gut. Nur eine Teilaufgabe hab ich nicht gerafft. Aber ich denke, ansonsten war’s schon ok«, meinte er. Seine Mutter strahlte und Nathalie sah unglaublich stolz aus. Kathi schmunzelte. »Streber«, sagte sie und boxte ihn leicht. Elias schnaubte grinsend und zerwuschelte ihr zur Strafe die säuberlich gescheitelten Haare, worauf sie sofort zu zetern begann. »Ich hab doch gesagt, du sollst nicht an meine Haare gehen!«, motzte sie lachend und Elias rannte durch den Flur vor ihr weg, hinein in sein Zimmer, um sich dort zu verbarrikadieren. »Anton war übrigens vorhin hier«, rief Kathi amüsiert durch die Tür. Elias’ Herz machte beim Klang dieses Namens augenblicklich einen Sprung. »Was wollte er denn?«, fragte er, riss die Tür auf und Kathe stolperte ihm beinahe entgegen. Sie lachte. »Was krieg ich dafür, wenn ich es dir sage?«, neckte sie ihn und streckte ihm die Zunge raus. Er trat nach ihr, doch sie wich ihm kichernd aus und tänzelte in Richtung ihres Zimmers. »Ich hab keine Ahnung, er hat nur gefragt, ob du schon wieder von Mathe zurück bist«, sagte sie dann gnädigerweise und verschwand in ihrem Zimmer. Elias atmete tief durch, dann ging er zur Wohnungstür und huschte ins Treppenhaus zu Antons Tür hinüber. Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde. Anton sah ihm entgegen und sein Gesicht hellte sich auf, als er Elias erblickte. Luke, der kleine schwarze Kater, strich um Antons Beine und maunzte leise, während Elias eintrat. Dann verlangte er eine Streicheleinheit von ihm und Elias bückte sich grinsend, um den schwarzen Kater am Kopf zu kraulen. »Kathi hat mir eben gesagt, dass du drüben warst«, sagte er mit hämmerndem Herzen, als wären seine Worte ein Heiratantrag. »Ja… ich dachte, du bist vielleicht schnell mit Mathe fertig. Wie ist es gelaufen?«, wollte Anton wissen, nahm Luke auf den Arm und trug ihn mit sich in sein Zimmer. Elias folgte ihm. »War ganz gut. Ich hab nur eine Teilaufgabe nicht. Aber das wird wohl nicht allzu schlimm sein«, entgegnete Elias grinsend und warf sich neben Antons aufs Sofa, wo sein Nachbar nun mit Luke auf dem Schoß saß. Luke hatte sich zufrieden eingerollt und schnurrte lautstark. »Was ich eigentlich wollte, als ich rüber kam«, sagte Anton zögerlich und betrachtete den schwarzen Kater in seinem Schoß. Elias hob den Kopf und sah ihn fragend an. »Also… du musst jetzt nichts sagen, oder so. Ich wollte dir nur erzählen, dass… na ja…« Er brach ab und wiegte den Kopf hin und her. Offensichtlich wusste er nicht, wie er es – was auch immer es sein mochte – formulieren sollte. »Meine Ma hat vorhin einen Anruf bekommen«, sagte er schließlich nach einigem Nachdenken. Elias runzelte leicht die Stirn. »Der Vermieter hat Dad gefunden, in seiner Wohnung. Er… na ja…«, Anton brach wieder ab. Elias’ Augen weiteten sich. Anton meinte doch wohl nicht das, was Elias dachte, das er meinte…? »Alkoholvergiftung«, erklärte Anton und irgendwie sah er verlegen aus, als wüsste er nicht, ob Elias das wirklich hören wollte. »Das heißt also…?«, erwiderte Elias zögerlich, nur um sicher zu gehen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. »Die Beerdigung ist nächste Woche Mittwoch«, sagte Anton. Elias starrte ihn an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Vor allem nicht, weil Anton nicht traurig aussah. Er sah aus, als würde es sich einfach komisch anfühlen, dass sein Vater gestorben war. »Und wie… wie geht’s dir jetzt?«, fragte er behutsam. Anton verzog den Mund zu einer nachdenklichen Schnute. »Es fühlt sich merkwürdig an. Es ist eher so etwas wie Schwermut. Aber das liegt wohl eher an den Erinnerungen an ganz früher, als alles noch in Ordnung war. Ich hab nicht das Gefühl, dass mein Leben über mir einbricht. Ich hatte einfach schon lange mit ihm abgeschlossen und er war für mich ohnehin schon… irgendwie tot. Seit damals, als Lukas gestorben ist«, erklärte er und gestikulierte leicht in der Luft herum, als würde er mit den Händen nach den richtigen Worten fischen. Elias glaubte, Anton zu verstehen. Auch wenn er sich selbst natürlich nicht vorstellen konnte, wie es wäre, wenn sein Vater starb. Aber Gott sei Dank lag das in hoffentlich weiter Ferne. Anton erhob sich und setzte Luke behutsam auf dem Sofa ab. Dann ging er hinüber zur Balkontür, öffnete sie und ließ die warme Luft ins Zimmer hinein. Sein Gesicht der Sonne zugewandt, schloss er kurz die Augen. »Es ist ein bisschen so, als wäre es jetzt wieder richtig. Ich und Ma. Lukas und Dad. So war es früher immer schon. Ich stell mir einfach vor, dass… dass die beiden jetzt wieder zusammen sind und die Daumen drücken, dass Ma und ich uns wieder komplett zusammen reißen«, sagte Anton leise. Elias schwieg. Er wusste nicht, was er dazu sagen konnte. Aber Anton hatte ja schon am Anfang gesagt, dass Elias nichts zu sagen brauchte. Anton konnte so herrlichen unkompliziert sein. Unweigerlich überfiel ihn ein schmachtendes Gefühl für seinen Nachbarn, dessen schwarzes Haar in der Sonne glänzte. »Soll ich mitgehen…auf die Beerdigung?«, wollte er leise wissen. Anton wandte sich zu ihm um und legte den Kopf schief. Dann lächelte er. »Du bist zu lieb für diese Welt«, stellte er fest und Elias spürte zum hundertsten Mal, wie er rot anlief. »Quatsch, ich bin ein beinharter Kerl«, scherzte er ein wenig unbeholfen. Anton lachte leise, kam zum Sofa hinüber und setzte sich wieder. »Willst du dir das wirklich antun?«, fragte er nachdenklich. »Wenn’s dir hilft?«, gab Elias zurück. Anton wandte ihm das Gesicht zu und musterte ihn durchdringend. »Wahrscheinlich schon. Du hast mir bisher immer geholfen«, sagte er sehr leise. Elias hatte das deutliche Gefühl, dass sein Herz gleich zerspringen würde. Wieso musste all das so anstrengend sein? Elias war noch nie auf einer Beerdigung gewesen. Es waren kaum Leute da und die, die da waren, schienen alte Schulfreunde von Antons Vater zu sein, denn Anton kannte keinen davon. Der Pfarrer sprach hauptsächlich vom Paradies und von Gott, doch Anton schien sich nicht daran zu stören. Die ganze Zeit über war er sehr nachdenklich, so als würde er an Lukas und seinen Vater denken, so wie er sie sich nun vorstellte. In irgendeinem anderem Leben, an einem besseren Ort, wo alles wieder in Ordnung war. Am Ende schippten sie etwas Erde auf den Sarg und anschließend schwiegen sie. Nach und nach kamen die alten Schulfreunde und bezeugten ihr Beileid, ehe sie alle verschwanden und Frau Nickisch, Anton und Elias die einzigen waren, die noch am offenen Grab standen. Er wagte einen Blick zur Seite. Frau Nickisch sah sehr verweint aus. Sie schien diese Sache nicht so leicht zu verwinden wie Anton. Elias beobachtete die beiden einen Moment lang, dann griff Anton nach der Hand seiner Mutter und sie drückte die Finger ihres Sohnes leicht. Elias hatte das Gefühl, dass auch Frau Nickisch – auch, wenn sie sehr niedergeschlagen wirkte – der Ansicht war, dass die Dinge nun wieder ‚gerecht verteilt’ waren. Und irgendwie war er sich sicher, dass – nachdem es zwischen den beiden ja schon seit einiger Zeit wieder bergauf ging – nun alles wieder gut werden konnte. So gut, wie es eben sein konnte, nach allem, was früher geschehen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)