Efeu von Ur (Schlicht und Immergrün) ================================================================================ Kapitel 28: Sehnsucht und Erkenntnis ------------------------------------ Für alle meine regelmäßigen Kommentarschreiber! Vielen lieben Dank! Einen schönen Restsonntag und liebe Grüße, PS: Übrigens haben Fenja und Ben auch Steckbriefe bekommen ;) _________________________ Sein Gehirn war gelähmt. Er öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu und starrte Anton an, der nun dunkelrot anlief, als er Elias dermaßen sprachlos vor sich sitzen sah. Anton stand auf Männer. Nicht auf Frauen. Er wusste, dass er nun etwas sagen musste, aber ihm fiel nichts ein. Seine Gedanken waren wirr und chaotisch und es war wenig hilfreich, dass Antons Mund aussah, als würde er sich hervorragend zum Küssen eignen. »Ach übrigens, was ich dich fragen wollte, stehst du eigentlich irgendwie auf ihn?« Alex' Stimme hallte durch seinen Kopf, ihre blauen Augen sahen ihn fragend und wissend an. Elias öffnete den Mund erneut, räusperte sich heiser und hatte das Gefühl, sein Magen bestünde plötzlich nur noch aus mehreren aufgelösten Brausekugeln. Dann tat er etwas sehr Dummes: Er stand ruckartig auf und griff fahrig nach seiner Politikmappe. »Das bedeutet dann wohl ‚Ja’. Na ja, ich hab es mir schon gedacht und er schaut dich immer so an… ich hab ja gesagt, dass du vielleicht auf Männer stehst, ist doch nichts dabei, ihr wärt sicherlich ein niedliches Pärchen.« »Ich muss wieder rüber«, sagte er heiser und stolperte beinahe über seine eigenen Füße, während er in Richtung Zimmertür hechtete, als hinge sein Leben davon ab. Er wagte es nicht, sich zu Anton umzudrehen, sein Herz hämmerte wie eine rasende Dampflok. »Bis morgen!« Und mit diesen völlig verkehrten Worten war er aus Antons Zimmer und seiner Wohnung verschwunden, schloss hastig und mit leicht zittrigen Fingern seine Wohnungstür auf und stürmte in sein Zimmer. »Ich stehe nicht auf ihn, wir sind nur gut befreundet, ok? Und ich will die Freundschaft nicht ruinieren, indem ich auf irgendwelche dummen Gedanken komme…« Freundschaft. Was hatte er dabei gedacht? Wieso war er einfach gegangen, so als hätte er ein Problem damit, dass Anton schwul war. Er hatte überhaupt kein Problem damit, also wieso brachte ihn diese Eröffnung so sehr aus dem Konzept, dass er seinen gesunden Menschenverstand verlor und einfach davonlief. »Außerdem hat er nie erwähnt, dass er nicht hetero ist. Wir reden über so was nicht, ok?« Anton hatte ihm das anvertraut. Das letzte wichtige Puzzlestück. Er hatte sich ihm vollständig geöffnet und Elias etwas erzählt, was sonst nur Antons beste Freundin gewusst hatte. Und was tat er? Dachte daran, ihn zu küssen und verlor völlig den Kopf? Was war das für eine Antwort? Anton musste nun denken, dass er es abstoßend fand, dass Anton schwul war. Er würde nun sicher denken, dass Elias dieses Detail nicht akzeptierte. »Ok, letztens wollte ich ihn küssen, es war ein komisches Gefühl, aber ich will das abstellen. Er hat schon genug Stress in seinem Leben, da braucht er nicht noch einen knutschwütigen Nachbarn!« Jetzt hatte Anton nicht nur einen knutschwütigen, sondern auch noch einen idiotischen Nachbarn, der sich benommen hatte wie ein homophobes Arschloch. Er stand mit dem Rücken zur Tür in seinem Zimmer, seine Politikmappe baumelte in seiner Hand und er starrte auf das gekippte Fenster, ohne es wirklich zu sehen. Sollte er wieder zurück gehen und das klar stellen? Das wäre sicherlich die beste Idee. Aber sein Herz hämmerte immer noch wie verrückt und er war sich hundertprozentig sicher, dass er keinen vollständigen Satz hervorbringen könnte, wenn er jetzt vor Anton stand. Schließlich warf er seine Politikmappe lieblos zu Boden, ging hinüber zum Fenster und riss es weit auf, um tief einzuatmen und sich zu beruhigen. Anton war schwul. Na und? Er stand auf Männer. Er war früher in Ben verliebt gewesen. Aber die beiden hatten sich seit vier Jahren nicht mehr gesehen, also war Anton jetzt wohl nicht mehr in seinen besten Freund verliebt. Oder? »Scheißdreck«, grummelte er leise, setzte sich aufs Fensterbrett und starrte hinunter auf den kleinen Topf mit Efeu, der ihn unschuldig anzusehen schien. Als er seinen Blick hinunter auf den Efeuweg gleiten ließ, fiel ihm ein, dass er hier auf diesem Platz das erste Mal Anton gesehen hatte. Es war ein bewölkter Tag im September letzten Jahres gewesen. Der teuer aussehende Audi hatte dort unten gehalten, Antons Mutter war ausgestiegen… der Möbeltransporter hatte ewig gebraucht, um sich durch die enge Straße zu manövrieren… Und Anton war ausgestiegen, war langsam auf das Haus zugegangen, so als könnte es gar nicht lange genug dauern, bis er es betreten musste. Elias erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. Damals, vor sieben Monaten, wäre er niemals auf die Idee gekommen, dass er später einmal in seinem Zimmer sitzen und darüber nachgrübeln könnte, wieso um alles in der Welt er ständig daran denken musste, Anton zu küssen. Den blassen Jungen, der wundervoll Klavier spielte und nie lächelte und der nun doch wieder lachte. Und der ihm gerade vor fünf Minuten gesagt hatte, dass er auf Jungs stand. Er angelte sein Handy aus der Hosentasche, drückte auf die Zwei und sah zu, wie sein Handy Alex’ Nummer wählte. »Hallo mein Bester«, flötete Alex’ gut gelaunte Stimme am anderen Ende. »Er hat mir grad gesagt, dass er schwul ist«, gab Elias zurück, ohne seine Zeit mit einem einleitenden Hallo zu verschwenden. Alex schien sich nicht an diesem verbalen Überfall zu stören, ihr Gehirn schaltete wie immer mit Lichtgeschwindigkeit. »Wie wunderbar! Heißt das, du hast dich endlich getraut, ihn zu küssen?« Elias seufzte. »Nein. Ich bin abgehauen«, sagte er und machte sich auf eine Explosion gefasst. Alex schwieg eine ganze Weile lang, was eindeutig kein gutes Zeichen war. »Er hat dir so ein intimes Detail anvertraut und du bist einfach gegangen?«, erkundigte sich Alex mit sehr leiser Stimme, als würde sie zu einem Sterbenden sprechen. Elias räusperte sich. Wenn sie es so sagte, klang es noch zehn Mal schlimmer. »Ähm… ja. Genau…« Erneut schwieg sie. Elias konnte sich nicht daran erinnern, wann Alex das letzte Mal so lang geschwiegen hatte. Normalerweise schnatterte sie wie ein Wasserfall und- »Elli, entschuldige bitte, dass ich dir das jetzt so sagen muss, aber… WAS HAST DU DIR DABEI GEDACHT?« Elias zuckte zusammen und hielt den Hörer ein Stück von seinem Ohr weg, um seine Trommelfelle vorm Platzen zu bewahren. »Ich hab nicht nachgedacht, es hat mich einfach eiskalt erwischt, weil ich grad selber nicht weiß, was mit mir los ist und dann sagt er mir plötzlich, dass er in seinen besten Freund verliebt war und jetzt sitz ich hier und will mich eigentlich entschuldigen, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll und ich will keine Dummheit machen und ihn dann doch knutschen, wo er mir grad gesagt hat, dass er Männern eindeutig nicht… abgeneigt ist…« »Aber du bist Männern doch selber nicht abgeneigt«, sagte Alex vorwurfsvoll. Elias raufte sich innerlich die Haare. »Ja, von mir aus! Aber das weiß ich auch erst seit… nicht lange! Und es verwirrt mich und Anton und ich sind gute Freunde und selbst wenn ich mich in einen Kerl vergucke, dann will ich mich nicht in Anton vergucken!« Alex schwieg schon wieder. Elias stellte fest, dass er ihre Wasserfall- Redereien sehr viel angenehmer fand, als ihr Schweigen. »Aber du hast dich schon längst in ihn verguckt, du Dumpfbeutel!« Elias hatte das Gefühl zu Stein erstarrt zu sein. Sein Kopf war einen Moment lang wie leergefegt, dann begannen seine Gedanken zu rasen. War er ver…knallt in Anton, weil er ihn küssen wollte? Weil sein Herz hämmerte, wenn ihre Schultern sich berührten? Sollte das ein schlechter Witz sein, dass er sich immer gewünscht hatte zu wissen, wie es war, verliebt zu sein und dass er nun Gefühle für seinen Nachbarn entwickelte, der weiß Gott genug andere Probleme hatte? »Meinst du?«, fragte er ungewöhnlich kleinlaut und sein Herz durchbrach sicherlich jeden Moment seinen Brustkorb. »Ja, meine ich. Wie steht’s, hast du Herzklopfen?« Elias fand es gruselig, dass Alex hellsehen konnte. »Vielleicht ein wenig…« Sie schnaubte. »Na gut, ein wenig mehr als ein wenig!«, gab er resignierend zu. »Kribbeln im Bauch?« »Hmpf.« »Den Wunsch denjenigen zu küssen haben wir ja auch schon…« »Ja, danke. Erinnere mich noch mal dran«, seufzte er leise und rutschte von seinem Fensterbrett, schloss das Fenster und warf sich in der aufkommenden Dämmerung auf sein zerwühltes Bett. »Also erst beklagst du dich, dass alle um dich herum verliebt sind, nur du nicht und dass du auch mal verliebt sein willst. Dann verknallst du dich endlich mal und es ist auch wieder nicht recht. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, auf jeden Fall solltest du das schnell wieder klar stellen, nicht dass Anton noch denkt, du hast ein Problem mit ihm. Schließlich hast du nur ein Problem mit dir!« Elias seufzte erneut, fuhr sich mit der freien Hand übers Gesicht und starrte hoch zur Decke. »Ja… ich werd mich morgen bei ihm entschuldigen, wenn wir zur Schule gehen«, versprach er und beschloss, sich heute Abend noch genau zu überlegen, was er sagen konnte, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Aber Anton war nicht da. Wie schon kurz vorm 16. Februar und damals, als Elias angetrunken bei ihm aufgetaucht war, wartete Anton morgens nicht im Treppenhaus. Elias sah ihn nirgends in der Schule. Je länger er darüber nachdachte, desto schlimmer schien ihm seine Reaktion am Vorabend gewesen zu sein. Er war einfach gegangen, wie hatte er das tun können? Er zerfaserte sich das Gehirn, wie er das wieder gutmachen konnte, aber ihm fiel nichts ein. Seine Gedanken waren nicht beim Unterricht, der sich auch in den letzten Tagen vor den Ferien nur noch um die Wiederholung des Abiturstoffs drehte. Eine dumpfe Erkenntnis sagte ihm, dass er in Politik aufpassen müsste, wenn Anton nicht so hartnäckig mit ihm gelernt hätte und er nun fast alles konnte, was in der Prüfung verlangt wurde. Er hatte bereits die Themen mit seinem Politiklehrer festgelegt und hatte das Gefühl, dass die mündliche Prüfung nicht mehr so bedrohlich war, wie noch vor seiner Lernerei mit Anton. Elias hatte Dominik und Markus immer noch nichts von seinen aufkeimenden Gefühlen für Anton erzählt. Er hatte das Gefühl, solange er selbst nicht sicher war, wollte er es mit ins Grab nehmen. Aber als sie am Mittwoch in der Pause standen – Elias hatte Anton seit Sonntagnachmittag nicht mehr gesehen – und Markus gerade davon schmachtete, dass er Lea- Lekyshas Tritte spüren konnte, wenn er die Hand auf Nuris Bauch legte, platzte es aus ihm heraus. »Es kann sein, dass ich vielleicht bi bin.« Markus verstummte, eine Hand in der Luft, so als würde er einen imaginären Bauch streicheln. Dominik, der gerade an einem Tetrapack Apfelsaft schlürfte, hustete leicht und starrte Elias an, als hätte er ihnen den Wunsch offenbart, sich Brüste wachsen zu lassen. »Wie… wie kommst du denn darauf?«, fragte Markus betont lässig und ließ seine Bauch streichelnde Hand sinken. Elias spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht kroch und er zuckte die Schultern. Dann versuchte er sich an einem lässigen Grinsen. Fast war er sich sicher, dass er bei diesem Versuch vollkommen versagte. »Also… es ist… eventuell… wegen Anton«, gestand er dann zögerlich. Seine beiden besten Freunde schwiegen, wie schon Alex geschwiegen hatte, dann hoben sie fast gleichzeitig eine Hand und klopften ihm auf die Schultern. »Na dann viel Erfolg damit«, sagte Dominik grinsend und Markus grinste zustimmend. Elias fragte sich, wieso er sich eigentlich solche Gedanken darum gemacht hatte, was die beiden dazu sagen würden… »Er geht dir aus dem Weg?«, fragte Alex, als er sie am Freitag anrief, nachdem Anton sich immer noch nicht hatte blicken lassen. Es war der letzte Schultag gewesen und Elias freute sich eigentlich auf die Ferien… aber die Sache mit Anton trübte seine Freude ziemlich und er fühlte sich merkwürdig, so als würde etwas Wichtiges fehlen. Er hatte nicht wirklich eine Ahnung, wo er dieses Gefühl einordnen sollte, aber es war auf jeden Fall nicht sonderlich angenehm. »Ja, tut er«, sagte Elias seufzend und fand, dass er sich ziemlich kläglich anhörte. »Kann ich verstehen«, erwiderte Alex trocken. »Vielen Dank für dein Mitgefühl«, sagte er matt. Elias hörte deutlich, dass Alex sich ein Glucksen verkniff. »Vermisst du ihn?«, erkundigte sie sich dann und plötzlich war in ihrer Stimme unglaublich viel Mitgefühl. Elias schluckte, blinzelte irritiert und dachte einen Augenblick darüber danach. Aber dann wurde ihm klar, dass dieses ziehende Gefühl der Leere nichts anderes war als… Sehnsucht. »Ja. Ziemlich«, gestand er peinlich berührt. Als Alex wieder sprach, hörte er sie lächeln. »Das ist ziemlich niedlich, weißt du. Du musst dir nicht tagelang zurecht legen, was du sagen willst. Du wirst schon das Richtige sagen, es ist einfach nur wichtig, dass du ihm überhaupt zeigst, dass es dir Leid tut«, erklärte sie. Wieso waren Mädchen meistens so viel weiser als Jungs? Elias fühlte sich richtiggehend minderwertig. »Jetzt wo du es sagst und ich es zuordnen kann«, gestand er – und er war unendlich dankbar für das Wissen, dass Alex nicht lachen würde, wenn er es sagte – »vermiss ich ihn…wie verrückt.« »Na dann geh rüber und bring das wieder in Ordnung! Und dann kannst du dir immer noch darüber Gedanken machen, wie das mit euch beiden ausgehen kann«, sagte sie und klang ziemlich gut gelaunt. Elias musste lächeln. »Du bist die Beste«, sagte er. »Ich weiß. Du bist auch der Beste! Ich hab dich lieb!« »Ich dich auch.« Dann legten sie auf und Elias atmete einmal tief durch, stopfte sich das Handy in die Hosentasche und ging zur Wohnungstür, um das Treppenhaus zu durchqueren und bei Anton zu klingeln. Er wusste, dass Anton zu Hause war, weil er vor nicht mehr als einer Viertelstunde noch Klavier gespielt hatte. Trotzdem öffnete niemand die Tür. Elias grummelte leise und klingelte noch zwei Mal, doch Anton schien nicht gewogen zu sein, ihm aufzumachen. Also kramte er sein Handy erneut hervor, öffnete eine neue SMS und begann zu tippen: »Wenn du mir nicht aufmachst, dann klettere ich wieder über den Balkon. Oder ich campe so lange vor eurer Wohnungstür, bis du raus kommst!« Diesmal überlegte er nicht, bevor er die SMS abschickte. Er schob das Handy zurück und wartete. Zu seiner Erleichterung dauerte es nicht lange, bis die Tür schließlich doch geöffnet wurde. Und da stand Anton nur in T-Shirt und Boxershorts und Elias hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Die Erleichterung durchflutete ihn, ebenso wie ein deutliches Glücksgefühl, begleitet von Herzklopfen und einem Gefühl, als hätte sich seine Magengegend in einen riesigen Ameisenhaufen verwandelt. »Was wi-«, begann Anton, aber weiter kam er nicht. Elias stieß die Tür etwas weiter auf und umarmte Anton so heftig, dass sie beide rückwärts in den Flur taumelten. Sein Herz schrie förmlich auf vor Freude, als er Antons Körperwärme spürte, den Duft seiner seidig glänzenden Haare in sich aufsog und als er feststellte, dass Anton ihn nicht von sich schob. »Tut mir Leid, dass ich mich so scheiße verhalten hab… tut mir wirklich Leid«, nuschelte er gegen Antons Halsbeuge und er spürte, wie Anton leicht in seinen Armen erschauderte. Elias wollte ihn nicht loslassen. Es fühlte sich viel zu gut und zu richtig an, ihn zu umarmen. »Schon…ok…«, krächzte Anton und dann, ganz behutsam erwiderte er die Umarmung und irgendwo in Elias’ Innerem explodierte etwas. Ihm war klar und deutlich bewusst, dass es passiert war. Er hatte sich verliebt. Zum allerersten Mal in seinem Leben. In Anton. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)