Efeu von Ur (Schlicht und Immergrün) ================================================================================ Kapitel 22: 16. Februar ----------------------- Das Kapitel eilt unserer Zeit jetzt ein wenig voraus. Ich habs nach dem Lernen getippt, während Steven Nintendo DS gespielt hat ;) Das ist für alle, die schon ganz wild spekuliert haben, was es mit den Spiegeln auf sich hat. Die ausführliche Erklärung folgt dann im nächsten Kapitel :) Viel Spaß beim Lesen und drückt mir die Daumen für Donnerstag >_<' Liebe Grüße, ___________________________ Seine Abiturprüfungen rückten langsam aber sicher näher. Der Februar brachte eine Menge Regen, zwischenzeitlich auch ungemütlichen Schneeregen. Kathi hatte sich noch zwei Mal mit Marcel verabredet, allerdings beichtete sie ihm, dass sie ihren Freundinnen noch nichts davon erzählt hatte. Elias kommentierte diese Beichte nicht. Er mochte Kathis Freundinnen nicht besonders. Alex schien es nicht über sich zu bringen, ihrem Freund zu gestehen, dass sie eine Mordsangst vor allem hatte, was übers Küssen hinaus ging und Dominik lief durch die Gegend wie ein dümmlich grinsender Drogenjunkie. Elias machte am Abend des zehnten Januar eine bahnbrechende Entdeckung. Und die nannte sich Antons Geburtsdatum. Es war mehr ein Zufall, dass er davon erfuhr, er selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, Anton zu fragen. Aber seine Mutter mit ihrem Sternzeichentrick hatte Anton bei einem seiner Besuche gefragt, welches Sternzeichen er denn eigentlich war. »Wassermann«, hatte Anton verwirrt geantwortet. »Tatsächlich? Wie schön«, hatte seine Mutter gesagt und Elias hatte keine Ahnung gehabt, was daran schön war, »und wann hast du Geburtstag?« »Am sechzehnten Februar«, war Antons Antwort gewesen und Elias’ Mutter hatte so strahlend gelächelt, dass Elias sich sicher gewesen war, dass sie einen Kuchen für Anton backen würde, wenn der Sechzehnte gekommen war. »Sie wird dir sicher einen Kuchen backen«, warnte Elias Anton, als sie an der Wohnungstür standen. Anton hatte ihm erneut beim Politiklernen geholfen, auch wenn er mit den Gedanken hauptsächlich weit weg von Politik gewesen zu sein schien. Wie schon seit mehreren Tagen sprach er weniger und spielte mehr Klavier. Elias hatte beschlossen, Anton nicht darauf anzusprechen. Stattdessen zerbrach er sich den Kopf darüber, was er seinem Nachbarn zum Geburtstag schenken könnte. Immerhin hatte Anton ihm etwas zu Weihnachten geschenkt. Allerdings geschah einen Tag vor Antons Geburtstag etwas, das diese Grübeleien über ein mögliches Geschenk völlig überflüssig machten. Anton tauchte Montagmorgen nicht auf. Elias wartete über eine Viertelstunde, doch Anton ließ sich nicht blicken. Elias sah ihn auch später nicht in der Schule, seine Gedanken kreisten automatisch um die drei Halbstarken, die Anton schon öfter aufgelauert hatten, doch wenn Anton gar nicht zur Schule gegangen war, dann hatte sich diese Erklärungsmöglichkeit erledigt. Er hörte kaum zu, während Markus in liebevollen Einzelheiten erklärte, wie der Himmel von Lea- Lekyshas zukünftigem Kinderbettchen aussah und noch weniger hörte er zu, als Dominik anfing mit nicht minder liebevoller Stimme davon zu erzählen, wie sehr sich Christine über einen Strauß Rosen gefreut hatte, den er ihr gestern geschenkt hatte. Wo war Anton? Und wieso hatte er Sonntagabend nicht Bescheid gesagt, wenn er krank war? War er vielleicht zu krank, um aufzustehen? Aber dann hätte er eine SMS schreiben können. War ihm am Sonntag irgendetwas passiert? Malte er nur den Teufel an die Wand und Anton hatte einfach nur das erste Mal in seinem Leben verschlafen? Die Frage ließ ihn nicht los, bis er nachmittags nach Hause kam. Er hatte nicht einmal große Lust auf das Mittagessen. Nudelauflauf. Und davon aß er normalerweise drei Teller. Schließlich schickte er Anton eine SMS, aber es kam keine Antwort. Auch am Abend nicht, als Elias schon längst im Bett lag und sich den Kopf darüber zerbrach, was passiert war. Anton würde nicht einfach nicht kommen, ohne ihm Bescheid zu sagen, das passte einfach nicht zu ihm. Um null Uhr schrieb Elias eine ‚Herzlichen Glückwunsch’ SMS. Doch auch darauf bekam er keine Antwort und so schlief er schließlich eine Stunde später ein. Auch am Dienstag tauchte Anton nicht auf. Elias war seit halb fünf Uhr wach, hatte als erstes auf sein Handy geschaut, ob Anton irgendwann in der Nacht eine Antwort geschickt hatte. Aber nichts dergleichen fand sich auf seinem Display. Um halb sieben war er fertig geduscht und stand im Treppenhaus vor Antons Wohnungstür. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum, sein Herz schlug aufgeregt und viel zu schnell gegen seinen Brustkorb, als er schließlich den Finger auf den Klingelknopf drückte. Eine Weile lang geschah gar nichts, dann öffnete sich die Tür. Aber es war nicht Anton, sondern seine Mutter. Sie war ungeschminkt und sah aus, als hätte sie sehr schlecht geschlafen. Ihre Augen waren von dunklen Schatten umrandet, ihre Haare hatte sie zu einem lockeren Knoten gebunden und sie trug einen flauschigen, dunkelblauen Bademantel. Elias dachte völlig zusammenhangslos daran, dass Dunkelblau Antons Lieblingsfarbe war. »Wo ist er?«, fragte er ungewollt forsch. Antons Mutter schien ihre forsche Art auf dem Weg zur Tür verloren zu haben. Sie sah einfach nur müde und unglücklich aus. »Er ist nicht hier«, sagte sie leise. Keine Frage, was ihn das anging. Kein Ärger, weil Elias so früh klingelte. Unweigerlich stieg Wut in ihm auf. »Was soll das heißen, er ist nicht hier? Wo ist er dann?«, bohrte er nach. Frau Nickisch sah ihn aus ihren dunklen Augen an, die Antons so ähnlich waren. Generell sah Anton seiner Mutter sehr ähnlich. »Heute ist der sechzehnte Februar«, sagte sie und ihre Stimme klang unglaublich gezwungen, als würde Frau Nickisch sich darum bemühen, sie nicht zittern zu lassen. »Ich weiß welches Datum wir haben. Er hat heute Geburtstag. Aber er war gestern schon nicht in der Schule, ich mach mir Sorgen, ok? Ist er krank?« Frau Nickisch öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Elias sah zu, wie sie sich scheinbar nervös durch die nassen Haare fuhr. Ihre Augen huschten unruhig über Elias’ Gesicht, als würde sie etwas Bestimmtes suchen. »Nein, er ist nicht krank«, murmelte sie kaum hörbar. Elias wusste nicht, was in ihn gefahren war, aber sein Geduldsfaden riss in diesem Augenblick. »Machen Sie sich eigentlich überhaupt Gedanken um ihren Sohn?«, schnauzte er sie an und sie zuckte zurück, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen. »Ich will wissen, wo er ist!« Sie wandte den Blick ab und schien mit sich zu ringen, dann verschwand sie von der Tür und Elias blieb brodelnd im Treppenhaus zurück. Dann erschien sie erneut mit einem Zettel und einem Stift in der Hand. Mit einer gestochen scharfen Handschrift, die Elias an Anton erinnerte, schrieb sie eine Adresse auf den Zettel und darunter zwei Zahlen. »Das ist nicht hier in der Stadt…«, meinte Elias verwirrt, als er den Zettel mit der Postleidzahl betrachtete. »Nein, ist es nicht…«, sagte sie und schob den Stift in eine ihrer Bademanteltaschen. Dann holte sie tief Luft. »Hol meinen Anton zurück«, flüsterte sie, wandte sich ab und im nächsten Augenblick hatte sie die Tür geschlossen und Elias stand da wie vom Donner gerührt, mit einer ihm unbekannten Adresse in der Hand und einem schrecklich flauen Gefühl im Magen. Was als nächstes folgte, war eine ziemlich unangenehme Unterhaltung. »Wie, du willst nicht in die Schule gehen?«, fragte seine Mutter, »Bist du krank?« »Nein, bin ich nicht. Ich muss was… erledigen«, nuschelte er und ballte seine Faust um das kleine Stück Papier. Seine Mutter hob die Augenbrauen. »Das kann sicher bis nach der Schule warten«, erwiderte sie unnachgiebig. »Nein, kann es nicht!«, sagte Elias und seine Mutter runzelte die Stirn angesichts seines Tonfalls. »Du kannst nicht einfach wegen irgendeiner Kleinigkeit die Schule schwänzen«, beharrte seine Mutter. Elias biss die Zähne fest zusammen, dann platzte es aus ihm heraus: »Anton ist weg, ok? Seine Ma hat mir eine Adresse gegeben und ich will ihn einfach nur… zurückholen. Und das kann nicht warten, er ist schon seit gestern weg!« Seine Mutter starrte ihn an, er starrte fest entschlossen zurück. »Ich ruf im Sekretariat an«, sagte seine Mutter schließlich in nüchternem Ton und wandte sich ab, um ins Wohnzimmer zum Telefontischchen zu wuseln. Elias blickte ihr erstaunt nach, dann hastete er in sein Zimmer, um ein paar Sachen in seinen alten Eastpack- Rucksack zu packen. Was machte Anton in einer Stadt, die 120 Kilometer von seinem Wohnort entfernt lag? Wieso hatte er ihm nicht Bescheid gesagt? Wieso sah Antons Mutter aus wie eine lebende Leiche und wo war ihre forsche Art hin verschwunden? Wieso holte sie ihren Sohn nicht selbst zurück? Er verließ das Haus um halb acht in Richtung Bahnhof, kaufte sich eine Fahrkarte und ließ sich die genaue Verbindung ausdrucken. Mit den Stöpseln seines MP3- Players in den Ohren saß er in einem Fensterplatz und starrte hinaus in die Landschaft, die langsam aber sicher hügelliger wurde. Es wurde nur allmählich hell, doch der Himmel war heute nicht bewölkt. Er war eisblau und hier und da hingen einige Nebelschwaden zwischen den Bergen. Wo genau fuhr er eigentlich hin? Wieso brach er Hals über Kopf auf, wenn Anton Urlaub von der Schule nahm? Wieso war er krank vor Sorge? Anton war alt genug, um selbst zu wissen, was er tat. Aber Elias wurde den Gedanken nicht los, dass Anton die letzten Wochen so still gewesen war, weil etwas mit seinem Geburtstag nicht stimmte. Was auch immer es sein mochte. Vielleicht würde er es herausfinden. Am wichtigsten war ihm ohnehin, dass er Anton wirklich fand. Er versuchte gar nicht erst, die Adresse auf einer Stadtkarte zu finden, er setzte sich kurzerhand in ein Taxi, als er an einem kleinen Bahnhof auf Gleis fünf ankam. Der Taxifahrer schien schlecht geschlafen zu haben. Elias nannte ihm die Adresse und bemühte sich, den durchdringenden Geruch nach Zigarrenqualm zu ignorieren. »Was willst du denn in aller Herrgottsfrühe beim Friedhof?«, brummte der Fahrer und lenkte sein Taxi hinaus auf eine mäßig befahrene Straße. Elias’ Herz blieb stehen. Na wunderbar. Ein Friedhof. »Ich suche da jemanden«, gab er knapp zur Auskunft und wandte den Blick aus dem Fenster. War das hier die Stadt, in der Anton gewohnt hatte, bevor er neben ihm eingezogen war? Elias war sich beinahe sicher. Aber was tat er auf einem Friedhof. Blöde Frage, sagte er sich im nächsten Augenblick, er besucht natürlich ein Grab. Aber was für ein Grab? Die Fahrt dauerte zehn Minuten. Elias zahlte dem nach Zigarre riechenden Fahrer acht Euro und sechzig Cent, dann stieg er aus und fand sich vor einem gusseisernen Tor wieder, neben dem sich eine kleine Gärtnerei befand. Es war sehr still hier. Mittlerweile war die Sonne vollkommen aufgegangen, es war frisch, aber sonnig. Die Luft war klar und eine leichte Brise ließ die Bäume rascheln, die hinter dem eisernen Tor standen wie stumme Wächter. Elias kramte den Zettel hervor und betrat den Friedhof. 34, 5. Das stand unter der Adresse. Aber was sollte er damit anfangen? Der Friedhof war zwar nicht sonderlich groß, aber es würde trotzdem ewig dauern, bis er ihn komplett durchstreift hatte. Nervös sah er sich um, bis er eine Art Schuppen entdeckte, aus dem ein gedämpftes Klappern kam. Zögerlich ging er darauf zu und steckte den Kopf hinein. Ein älterer Mann lud mit angestrengtem Ächzen Säcke mit Erde auf eine dreckige Schubkarre. »Entschuldigung«, sagte Elias unsicher und trat ganz in den Schuppen, »ich suche ein Grab, können Sie mir weiterhelfen?« Der Alte richtete sich auf und sah ihn über eine rote Nase und einen buschigen Schnurrbart hinweg prüfend an. In seinem Mundwinkel steckte ein Zahnstocher, auf dem er herum kaute. »Die meisten, die herkommen, suchen ein Grab«, sagte er brummig und hievte einen weiteren Sack Erde auf die Schubkarre. Elias verdrehte die Augen. »Das habe ich mir gedacht. Wenn ich ihnen die Zahlen 34 und 5 sage, bezeichnet das die Stelle für ein Grab?« Er sah zu, wie noch ein Sack Erde auf die Schubkarre gehievt wurde, dann schob der Alte seine Ladung an Elias vorbei ins Freie. »Ja, das ist die Stelle für’n Grab«, sagte er und kaute ununterbrochen auf dem Zahnstocher herum. Elias seufzte. »Sehen Sie«, meinte er und fuhr sich durch die Haare, »ich suche hier nicht nur Grab, sondern auch jemanden, der bei dem Grab sein muss, verstehen Sie? Können Sie mir einfach sagen, wo ich langgehen muss? Oder wofür die Zahlen 34 und 5 stehen?« Der Fremde balancierte die Schubkarre vor sich her, Elias folgte ihm ungeduldig. »Suchst du Anton?«, fragte er und Elias’ Herz stockte unwillkürlich. »Ja… woher wissen Sie…?« »Der kommt immer zu der Zeit her, seit vier Jahren jetzt«, erklärte der Alte und schob seine Schubkarre unbeirrt weiter. Elias folgte ihm. Nachdem sein Herz den Schock überwunden hatte, raste es nun doppelt so schnell wie vorher. »Der ist schon gestern hier gewesen. Und heute ist er auch hier. Seit ich morgens das Tor aufgeschlossen hab«, erklärte der Alte mit seiner knarzenden Stimme. Mit jedem seiner Worte wackelten sein Schnurrbart und der Zahnstocher. »Reihe 34, das fünfte Grab. Das sind die Zahlen. Ich kümmer’ mich um das Grab. Ist mein Job.« Elias antwortete nicht. An einer der Gräberreihen blieb der Alte stehen und deutete weiter nach vorne. »Noch vier Reihen weiter. Ich muss hier ein Grab bepflanzen«, sagte er, dann trottete er mit seiner Ladung davon und ließ Elias allein zurück. Elias atmete tief durch, dann schritt er den von Büschen und Gräbern gesäumten Weg entlang, auf den die morgendliche Sonne schien. Als er die Reihe erreicht hatte, sah er Anton sofort. Er saß kurz vorm Ende der Reihe im Schneidersitz auf den Betonplatten, die einen Weg zwischen mehreren Gräbern hindurch markierten. Er starrte auf einen weißen Marmorgrabstein direkt vor ihm und schien tief in Gedanken versunken. Elias ging langsam auf ihn zu, sein Herz klopfte heftig irgendwo in der Gegend seines Adamsapfels. Was sollte er sagen? Ob Anton sauer werden würde, weil Elias ihm bis hierher gefolgt war? Anton sah nicht auf, als Elias neben ihn trat. Sein Gesicht war ausdruckslos, nur die fast schwarzen Augen funkelten unergründlich und zeigten eine Mischung aus Emotionen, die Elias nicht deuten konnte. »Hey«, sagte er zögerlich. Anton antwortete nicht. Elias schluckte schwer, dann nahm er seinen Rucksack ab und ließ sich neben Anton auf den kalten Betonboden sinken. Er betrachtete Anton von der Seite, doch der schien nicht erpicht darauf, Elias anzusehen. Und so wanderte Elias’ Blick von Antons Gesicht zu dem weißen Grabstein. Das Grab war mit dunkelgrünem Efeu bedeckt. Keine Blumen lagen oder standen darauf. Nur oben, direkt neben dem Grabstein, stand ein Busch, der keine Blüten führte. »Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden, des Lebens Ruf an uns wird niemals enden... Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!« Elias kannte das Gedicht nicht, das oben rechts in der Ecke des Grabsteins stand. Und so glitten seine Augen tiefer und seine Welt kippte aus den Angeln. »Lukas Nickisch, geboren am 16.02.1991, gestorben am 16.02.2006« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)