Efeu von Ur (Schlicht und Immergrün) ================================================================================ Kapitel 19: Gute Besserung -------------------------- Für Tanja, die olle Nölnudel, weil sie jeden Tag zwanzig Mal fragt, wann endlich das nächste Kapitel kommt. Viel Spaß beim Lesen! _______________________________ Wenn Dominik wüsste, wie selbstlos er war, dann würde er ihm sicherlich einen Orden verleihen. Elias hatte den Nachmittag über seine Stimme eingebüßt. Jetzt konnte er nur noch krächzen. Trotzdem hatte er – nachdem Anton wieder nach drüben gegangen war – bei Christine angerufen. »Hallo, ich bins.« »Wer ist ich? Ich kenne kein Reibeisen«, hatte sie trocken erwidert. Wenn er nicht so heiser gewesen wäre, dann hätte man sein Lachen sicherlich gehört. »Mach dich nur lustig! Ich muss dieses Telefonat schnell beenden, bevor ich nur noch Zeichensprache benutzen kann«, krächzte er. »Na dann komm am besten schnell auf den Punkt«, sagte sie und er hörte das Grinsen in ihrer Stimme. Wenn sie es punktgenau wollte, konnte sie es haben… »Bist du in Dominik verschossen?« Dröhnende Stille machte sich am anderen Ende breit. Elias fragte sich, ob Christine vielleicht auch plötzlich heiser geworden war, aber schließlich antwortete sie doch. »Wie kommst du darauf?« Elias musste grinsen. Sie klang eindeutig nervös. Wenn das kein gutes Zeichen war, dann wusste er auch nicht weiter. »Er hat mir nur erzählt, dass ihr im Kino wart und euch gut verstanden habt«, meinte er beiläufig. Erneutes Schweigen. Elias nutzte die Zeit, um ausgiebig zu husten. »Na ja… also…« Das war das erste Mal, dass er Christine Stottern hörte. Und immerhin kannte er sie seit September. »Es macht mir nichts aus, du weißt ja genauso gut wie ich, dass wir nicht verliebt ineinander sind«, meinte er und bemühte sich dabei so lässig zu klingen, wie es nur ging. Dumpf fragte er sich, wieso alle um ihn herum so verliebt waren. Nur er nicht. Alex war es, Dominik war es seit neustem, Markus war es seit über zwei Jahren… jetzt fing auch noch Christine an. Es war doch zum Verrücktwerden. Wieso klappte es bei allen, nur bei ihm nicht? »Er ist… ziemlich toll«, gestand sie schließlich leise. Elias lächelte. »Klar ist er das. Er ist ja auch mein bester Kumpel«, gab er zurück und beim letzten Teil brach seine Stimme und verflüchtigte sich in ein tonloses Hüsteln. »Ich nehme an, dass deine Stimme gerade aufgegeben hat… also sage ich dir jetzt noch was und dann lege ich auf, ok? Einmal husten reicht…« Er hustete. »Ich war echt gern mit dir zusammen. Es war toll und ich bin sicher, dass ich es vermissen werde. Aber ich bin froh, dass du es so locker siehst und dass keiner von uns in den anderen verliebt ist und dass wir das auch wissen. Ich möchte Danke für die schöne Zeit sagen und dafür, dass du jetzt keinen Aufstand machst, oder so. Und ich freu mich darauf, weiter mit dir befreundet zu sein, auch wenn der Sex dann wegfällt.« Bei den letzten Worten grinste sie wieder und er musste erneut husten. »Du bist toll… und ich bin sicher, dass du auch noch in die Situation kommst, in der es dich einfach umhaut… Ich hab dich lieb!« Und dann legte sie auf. Elias seufzte leise und nahm das Handy vom Ohr. Es war verrückt. Er war nicht verliebt, trotzdem fühlte er sich nun schrecklich wehmütig. Nicht unbedingt, weil es ihn und Christine als Paar nicht mehr gab, sondern weil sie das ausgesprochen hatte, was ihn nun schon seit längerer Zeit beschäftigte. Wann würde es ihn endlich umhauen? Mit dieser Frage beschäftigte er sich, während er bäuchlings im Bett lag und sich über seine Physikhausaufgaben beugte. Eigentlich war er nicht sonderlich erpicht auf Hausaufgaben. Ihm war nach Schlafen. Aber er war heute in der Doppelstunde so miserabel gewesen, dass er das Gefühl hatte, den Stoff wenigstens ein bisschen nachholen zu müssen. Gerade, als er über einer der kniffligeren Formeln brütete, piepte sein Handy. Er öffnete die Kurzmitteilung und schmunzelte. »Danke, Alter!« Christine war offensichtlich schnell damit gewesen, die Sache zwischen sich und Dominik zu regeln. »Kein Ding. Ich wünsch euch alles Gute!« Dann wandte er sich wieder der Formel zu, doch es schien ihm heute nicht vergönnt zu sein, sich auf seine Hausaufgaben zu konzentrieren. Es klopfte an der Tür und weil er nicht ‚Herein’ sagen konnte, öffnete sich die Tür und seine Mutter kam herein. In den Händen hielt sie eine Tasse mit dampfendem Inhalt. »Ich hab dir für morgen einen Termin bei Dr. Breuer gemacht. Um halb elf sollst du da sein. Dann kann er dich für den Rest der Woche krank schreiben. Das Elend kann ja keiner mit ansehen«, meinte sie und wuselte durch das Chaos auf seinem Boden hinüber zu seinem Nachtschrank, wo sie den heißen Tee abstellte und ihm anschließend die Stirn fühlte. »Fieber hast du noch nicht. Du bist doch sonst nie krank, woher kommt das denn plötzlich?« Elias sagte lieber nichts dazu. Er konnte ja ohnehin nicht mehr sprechen. Also deutete er auf seinen Hals, um seiner Mutter zu bedeuten, dass er nicht antworten konnte. »Na ja, eigentlich ist es bei dem Wetter auch kein Wunder. Dein Vater jammert mir schon seit Tagen die Ohren über sein Halskratzen voll. Ich bin froh, dass mein Sohn nicht so wehleidig ist, wie manch anderer Mann«, sagte sie, verdrehte die Augen und wuselte durch sein Chaos zurück zur Tür, hinter der sie verschwand. Elias schob am Abend eine Nachricht unter Antons Tür durch, dass er morgen nicht mit ihm zur Schule gehen konnte, weil er einen Arzttermin hatte. Um halb zehn am nächsten Morgen fühlte sich sein Kopf noch schlimmer an, als am Tag zuvor und seine Nase war vollkommen verstopft. Er konnte vor lauter Halsschmerzen kaum ein Toast herunterbringen und schließlich schleppte er sich um viertel nach zehn zum Arzt, der ein paar Straßen weiter im Keller eines hübschen Einfamilienhauses seine Praxis hatte. »Erhöhte Temperatur… und vermutlich eine ordentliche Stirnhöhlenvereiterung. Immerhin ist der Husten nicht festgesetzt. Ich schreib dir ein paar Sachen auf…« Elias latschte zur Apotheke und schleppte drei verschiedene Medikamente und Nasentropfen nach Hause, dann warf er sich wieder aufs Bett und schlief fast auf der Stelle ein. »Du hast Fieber«, stellte seine Mutter fest, als er am frühen Abend wieder aus dem Bett kroch. »Kann sein«, krächzte er. Einen Bruchteil seiner Stimme hatte er durch den Schlaf offenbar wieder erlangt. »Wir wollten heute Abend eigentlich zu Maike und Tom rüber gehen, aber wenn du so krank bist, können wir auch zu Hause bleiben«, meinte sie besorgt. Elias griff nach seinen neu erworbenen Nasentropfen. »Quatsch. Geht ruhig und grüßt schön«, sagte er, kippte den Kopf in den Nacken und träufelte sich einige von den eklig schmeckenden Tropfen in beide Nasenlöcher. Maike und Tom waren seine Tante und sein Onkel. Er hätte nichts dagegen, Louisa und Fabian – lesbische Cousine und absolut heterosexuellen Cousin – mal wieder zu sehen, aber so würde er sie lediglich vollhusten und am Ende anstecken. »Ok. Ich hab noch Käsemakkaroni im Kühlschrank, wenn du Hunger hast«, meinte seine Mutter immer noch besorgt, während er sich einen Löffel Hustensaft genehmigte. »Kann nicht richtig schlucken«, informierte er seine Mutter, stellte den Hustensaft zurück neben das kleine Radio hinten auf der Arbeitsfläche und schlurfte aus der Küche zurück in sein Zimmer. Mittlerweile war es dunkel. Ein Blick auf seinen Wecker sagte ihm, dass es kurz nach sechs war. Er legte sich wieder aufs Bett und überlegte, ob er sich einen Film anschauen sollte. Seine Kopfschmerzen protestierten lautstark dagegen. Er fand es schrecklich, einfach nur herum zu liegen und nichts zu tun. Grummelnd und hustend angelte er sich eine Packung Taschentücher vom Nachtschrank und hörte, wie sich seine Familie draußen im Flur aufbruchbereit machte. »Tschüss Elli!«, tönte Nathalie. Er konnte nicht laut rufen, aber das schien seine kleine Schwester nicht zu stören. »Wir sind irgendwann gegen halb zehn wieder da! Mach keine Dummheiten!«, rief seine Mutter und dann fiel die Wohnungstür ins Schloss und Elias war allein in der Wohnung. Er hasste es krank zu sein und er war immer sehr froh darüber gewesen, dass er fast nie krank wurde. Das letzte Mal, dass er sich so dreckig gefühlt hatte, war vor mehr als fünf Jahren gewesen. Und das nur, weil er es nicht mehr für nötig gehalten hatte, sich eine Hose und eine Jacke anzuziehen, bevor er hinüber zu Antons Balkon kletterte. Elias starrte an seine dunkle Decke, sein Kopf puckerte unangenehm und er schnaubte sich zum gefühlt hundertsten Mal die Nase. Jetzt, da er nichts anderes tun konnte, als herum zu liegen, machte er sich über eine Tatsache Gedanken, die ihm im Hinterkopf herum spukte, seit er Antons Wohnung verlassen hatte. Es gab in der Wohnung der Nickischs keinen Spiegel. Bevor er gegangen war, hatte er die Toilette benutzt. Das Bad sah genauso katalogfertig aus wie Antons Zimmer, aber weder über dem Waschbecken, noch irgendwo sonst an der Wand hatte ein Spiegel gehangen. Auch nicht im Flur oder in Antons Zimmer. Nicht einmal ein kleiner Spiegel, wie seine Mutter einen hatte, den sie drehen konnte, um ihr Gesicht ums Dreifache zu vergrößern. Warum sollte jemand keine Spiegel in der Wohnung haben? Die einzige Erklärung, die Elias dazu einfiel, war, dass jemand sich selbst nicht sehen wollte. Und weder Frau Nickisch noch Anton waren so mitternachtshässlich, dass sie sich selbst verabscheuen würden, wenn sie sich ansahen. Wenn er bedachte, dass er in jeden Spiegel starrte, an dem er vorbei ging, nur um zu sehen, ob seine Haare noch halbwegs in Ordnung aussahen… Er zermaterte sich das Hirn über diesen merkwürdigen Umstand, der fast noch merkwürdiger war als alles, was er bisher über Anton wusste. Und gerade, als er sich darüber ärgerte, dass sein Kopf von all dem Nachdenken noch mehr puckerte, da hörte er ein leises Klopfen an der Wohnungstür. Ächzend quälte er sich aus dem Bett, schlurfte zur Tür und fragte sich, was wer auch immer darüber denken würde, wenn Elias in einem uralten Pyjama und ungekämmten Haaren die Tür öffnete. Er starrte in Antons blasses Gesicht, das wie immer von schwarzen, glänzenden Haaren umrahmt wurde. Elias blinzelte ein wenig verwirrt und sein Blick huschte hinunter zu Antons Händen, die einen kleinen Topf hielten. Als Elias den Topf fragend musterte, wurde Antons Kopf hochrot und Elias hob erstaunt die Brauen, als sein Nachbar – ganz ungewohnt und anders als sonst – anfing zu stammeln. »Du bist krank und ich wollte… geht’s dir besser? Ich hab Suppe gekocht, nur… also, wenn du Hunger hast…« Er verstummte und starrte auf den Topf in seinen Händen. Elias stellte für sich fest, dass Anton in letzter Zeit ziemlich oft rot wurde. Er war nicht mehr der gleichgültige Junge vom Anfang. Vielleicht kam dieser schüchterne Kern erst mit der Zeit, wenn man sich ein wenig an ihn heran getastet hatte. Elias trat zur Seite, um Anton einzulassen. Als er die Tür schloss, nieste er erneut und seufzte leise. »Du hast gekocht?«, erkundigte er sich dann heiser und Anton nickte ohne ihn anzusehen. Es sah aus, als würde er sich an dem Suppentopf festklammern. »Extra für mich?« Antons dunkle Augen flackerten zu ihm hinauf und er öffnete den Mund, doch ihm fiel scheinbar nichts ein, was er sagen konnte und so klappte er ihn wieder zu und nickte nur, immer noch mit hochrotem Kopf. Elias musste lächeln, schob Anton in die Küche und schaltete das Licht an. »Ich hab einen Mordshunger, aber ich kann nichts Richtiges Essen, weil mein Hals so wehtut«, erklärte er und hustete schwächlich. Anton hielt ihm den Topf hin und Elias nahm ihn umsichtig, stellte ihn auf den Herd und hob den Deckel. Es war eine Nudelsuppe. Obenauf schwamm ein wenig Petersilie. »Ich glaub’s echt nicht«, nuschelte er und schüttelte leicht den Kopf, dann musste er lachen und drehte den Herd an. »Du bist echt… mir fällt kein passendes Wort ein«, sagte er grinsend und setzte sich Anton gegenüber an den Küchentisch. Anton fuhr sich durch die schwarzen Haare. »Ich hatte nichts zu tun. Und außerdem bist du indirekt wegen mir krank, also dachte ich…« Er brach ab und sah ziemlich unsicher zu Elias hinüber. Der grinste immer noch und so schlecht es ihm den ganzen Tag über gegangen war, so gut war seine Laune nun. »Ich fass es echt nicht, dass du kochen kannst. Ich lass manchmal sogar Tiefkühlpizzen im Ofen verbrutzeln«, sagte er amüsiert. Anton zuckte mit den Schultern. »Wenn man immer allein zu Hause ist und Tiefkühlkost nicht mag, dann bleibt einem nichts anderes übrig, als kochen zu lernen«, meinte er leise, nun wieder mit seiner üblichen, bedächtigen Sprechweise. Elias erinnerte sich an die Sache mit den Spiegeln, aber er wagte es nicht, jetzt danach zu fragen. Stattdessen sah er erstaunt zu, wie Anton aufstand und in den Topf spähte. »Hast du eine Kelle? Wenn du alles anbrennen lässt, dann hab ich wohl besser ein Auge auf die Suppe«, sagte er und seine Mundwinkel zuckten leicht. Elias fand dieses Mundwinkelzucken mittlerweile genauso aufmunternd wie ein ganzes Lächeln. Es hatte sich zunehmend gehäuft, seit sie sich kennen gelernt hatten. Und das war vor vier Monaten gewesen. Es war ihm gar nicht so lange vorgekommen. »Ach ja, und du hast doch gesagt, dass ich dir mal ein paar… Klassiksachen zeigen sollte. Ich hab dir ne CD gebrannt, falls du was anhören möchtest«, erklärte Anton, während er mit der Kelle, die Elias ihm gerade gereicht hatte, umsichtig in der Suppe herumrührte. »Oh, klasse! Ich bin ganz gespannt«, gab er zurück. Anton warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter zu, dann starrte er wieder in die Suppe. Es dauerte nicht lange, bis die Suppe warm war. Elias kramte zwei Suppenteller aus den Schränken hervor und legte zwei Löffel auf den Tisch, dann schöpfte er Suppe in ihre beiden Teller. »Wie lange bist du krank geschrieben?«, erkundigte sich Anton, während er bedächtig in seiner Suppe rührte, etwas davon auf den Löffel nahm und vorsichtig pustete. »Bis nächste Woche Dienstag«, sagte Elias grinsend und probierte einen Löffel Suppe. »Man… ich bin neidisch«, sagte er. Die Suppe schmeckte ausgezeichnet und auch wenn sein Hals immer noch wehtat, fiel es ihm sehr viel leichter, die Suppe zu schlucken, als eine BiFi oder Käsemakkaroni. »Worauf?«, erwiderte Anton irritiert. Elias lachte leise, dann verwandelte sich sein Lachen in einen kleinen Hustenanfall. »Na darauf, dass du so gut kochen kannst. Schmeckt echt klasse«, versicherte er Anton, der sich darüber zu freuen schien. Sie aßen ihre Suppe – Elias genehmigte sich noch einen zweiten Teller – und dann huschte Anton hinüber in seine Wohnung, um die CD zu holen. Er zeigte Elias seine Lieblingsstücke und einige Sachen, die er gerade auf dem Klavier übte. Elias stellte fest, dass Klassikmusik seine Kopfschmerzen nicht schlimmer machten. Das fand er ausgesprochen beruhigend. »Ach ja… was ich dich noch fragen wollte«, meinte er dann und wusste haargenau, dass er schon wieder Glatteis betrat, »meinst du, ich darf irgendwann mal eins von deinen Gedichten lesen?« Anton sah ihn an einen Moment lang schweigend an. Während er scheinbar nachdachte, hörte Elias nur das Stück von Mozart, das Anton ihm gerade gezeigt hatte. »Ich schau mal, ob ich was Geeignetes habe», sagte er dann leise und senkte den Kopf ein wenig. Elias jedoch strahlte. Das war besser als nichts, fand er. »Das wäre toll. Ich bin ganz gespannt, ob du genauso gut dichtest, wie du kochst!« Anton lächelte kaum merklich, auch wenn es ein wenig traurig aussah, als wäre der Gedanke an seine Gedichte ein sehr bedrückender. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)