Efeu von Ur (Schlicht und Immergrün) ================================================================================ Kapitel 14: Fröhliche Weihnachten --------------------------------- So! Hier ist das Weihnachtskapitel :) Ich lade es heute schon hoch, weil es auch teilweise am 23. Dezember spielt. Das ist mein kleines Weihnachtsgeschenk für arod, Aye, Nasti, Lisa und alle anderen, denen die Geschichte gefällt und die immer fleißig kommentieren! Ich wünsche euch fröhliche Weihnachten! Liebe Grüße, ___________________ »Manchmal bin ich froh, dass ich nur einen Jungen bekommen habe«, schimpfte seine Mutter und tupfte ihm energisch die Augenbraue mit Desinfektionsmittel ab, »Mädchen schlagen sich wenigstens nicht sinnlos!« Elias sagte nichts. Er war zu sehr damit beschäftigt, nicht zusammen zu zucken, da das Desinfektionsmittel auf der offenen Wunde brannte und zwirbelte. »Weswegen hast du dich überhaupt geschlagen? Du siehst aus wie Rocky Balboa«, meckerte sie weiter. Elias schaffte ein halbes Grinsen, auch wenn seine Lippe dabei wehtat. »Das war kein Kompliment!«, fuhr seine Mutter sofort mit dem Geschimpfe fort. Elias wusste, dass sie ihm eigentlich nicht böse war, sondern dass sie sich lediglich Sorgen um ihn machte. Seine Mutter konnte nicht wirklich gut sauer auf ihre Kinder sein. »Da waren drei Typen, die Anton ständig mobben«, murmelte er an seiner angeschwollenen Lippe vorbei. Seine Mutter hielt einen Augenblick beim Tupfen inne und musterte ihn halb erstaunt, halb besorgt. »Der arme Junge«, sagte sie und all ihre Wut schien auf einmal verraucht. Sie kramte nach einer Kompresse und Tape und begann, fachmännisch daran herum zu schnippeln. »Sie haben ihm schon mal nach der Schule aufgelauert und ihm ein blaues Auge verpasst, nur weil er gut in Musik und Deutsch ist und keine Markenklamotten trägt… die hättest du doch auch verprügelt«, meinte Elias und konnte sich ein erneutes Schmunzeln nicht verkneifen, auch wenn er diesmal doch zusammen zuckte. Verflucht, wieso mussten Schlägereien so wehtun? Seine Mutter kicherte leise und patschte ihm die Kompresse mit Mullbinde über das Auge, dann begann sie konzentriert, alles mit dem weißen, dünnen Tape zu befestigen. »Ich hoffe, du spielst da nicht auf dieses eine Mal an, als ich deinem Vater eine geknallt habe?«, fragte sie gespielt streng. Elias verkniff sich ein Lachen. Als seine Mutter und sein Vater sich kennen gelernt hatten, hatte er ihr aus Versehen Kaffee über die Bluse geschüttet und sich vollkommen überstürzt daran gemacht, den Kaffee mit einem Taschentuch aufzuwischen… Elias konnte sich bildlich vorstellen, wie seine Mutter ordentlich zugelangt hatte. Die Geschichte erzählte sie immer wieder gern, wobei sie dabei nie müde wurde zu betonen, dass er es eigentlich gar nicht böse gemeint hatte. »Nie im Leben würd’ ich darauf anspielen«, sagte er scheinheilig und ließ es zu, dass sie auch seine Lippe abtupfte. »Das will ich hoffen… eine Dame verteilt keine Schläge«, meinte seine Mutter amüsiert. Elias schielte hinunter auf ihre Hand, die seine Lippe betupfte. »Dann ist Alex eindeutig keine Lady«, nuschelte er mit offenem Mund. Seine Mutter lachte leise. »Ja, Alexandra ist nicht gerade das, was man als ein typisches Mädchen bezeichnen würde. Hat sie Esther und Jan mittlerweile gebeichtet, dass sie nicht zum Ballett, sondern zum Karate geht?«, erkundigte sie sich, nahm den Tupfer weg und betrachtete ihr Werk. Dann klebte sie ein übergroßes Pflaster über den Rand seiner Unterlippe. Er schüttelte den Kopf, während er sich erhob und in den Spiegel schaute. Alles in allem sah er tatsächlich aus wie Rocky Balboa nach seinem Kampf gegen Drago. Und als Kompliment konnte man das wirklich nicht werten. »Ich glaube, das macht sie erst, nachdem sie ausgezogen ist. Würde ich vorher an ihrer Stelle auch nicht wagen. Am Ende stecken sie sie ins Kloster oder so was«, erklärte er und klang, als hätte er den Mund voll, da seine geschwollene Lippe ihn beim Sprechen behinderte. Seine Mutter packte ihren Erste Hilfe- Koffer zusammen und stellte ihn zurück in den Waschbecken- Unterschrank. »Was wünscht du dir eigentlich zu Weihnachten, Schatz?«, wollte sie wissen und erhob sich wieder. Elias zuckte mit den Schultern. »Irgendwas Cooles. Gitarrensaiten? Neue Notenhefte? Ein Tonstudio?«, sagte er. Seine Mutter schnaubte und winkte ihn aus dem Bad. »Du bist einfallslos wie immer. Dann muss ich mir wohl wieder selbst was ausdenken«, meinte sie und wuselte davon in die Küche. Elias schmunzelte leicht, hielt sich die Unterlippe und ging zurück in sein Zimmer. Weihnachten. Noch war das Wetter ganz und gar nicht weihnachtlich und auch wenn schon Anfang Dezember war, so hatte er bisher noch keinen Gedanken an Weihnachten verschwendet. Dabei musste er ebenfalls Geschenke kaufen… für Nathalie und Katharina, für Alex, für seine Eltern, Christine… seinen Freunden brauchte er nichts schenken, sie veranstalteten am Sechsundzwanzigsten ihre übliche Weihnachtsfeier und jeder brachte etwas mit. Am ersten Weihnachtsfeiertag gab es die große Familienfeier bei seinen Großeltern mütterlicherseits, wo alle noch so entfernten Verwandten sich blicken ließen, um sich die Mägen mit Truthahn und Apfelstrudel voll zu schlagen. Auch wenn Elias einige dieser Leute kaum je im Jahr zu Gesicht bekam, freute er sich immer auf die große Familienfeier. Es war meistens sehr lustig. Gutes Essen, fröhliche Gäste und eine Menge Glühwein. Wenn er an Alex dachte, die Familienfeiern hasste wie die Pest, dann konnte er sich wirklich glücklich mit seiner Familie schätzen. Bepflastert wie er war, ging er zurück in sein Zimmer, schloss die Tür hinter sich und lächelte leicht, als er hörte, dass Anton in der Wohnung nebenan Klavier spielte. Der Dezember zog rasch vorüber. Die Vorabi- Klausuren brachten sogar Elias dazu, sich an den Schreibtisch zu setzen und zu lernen. Wenn er einmal nicht lernte, dann suchte er in der Stadt nach Weihnachtsgeschenken, traf sich mit Christine, seinen Freunden oder Anton, spielte seiner kleinen Schwester auf der Gitarre vor und half Katharina bei den Hausaufgaben. Alles in allem war sein Leben wie immer und er merkte nur am Rande, dass sich Anton in seinen Alltag hinein geschlichen hatte. Der morgendliche Gang zur Schule war Routine geworden und manchmal, wenn er eigentlich erst zur zweiten oder dritten, Anton aber zur ersten Stunde Schule hatte, schaffte es Elias sogar, alle seine Hausaufgaben pünktlich und sauber zu erledigen. Sein Kleingeld verschwand ziemlich exzessiv im Kakaoautomaten, weil er in jeder Freistunde einen oder zwei davon trank. Bei jedem Gang durch die Innenstadt warf er – wie immer – jedem Obdachlosen auf seinem Weg Geld in den Pappbecher, den Hut oder was auch immer vor ihnen lag. Das war einer seiner Ticks und seine Freunde nannten es regelmäßig Geldverschwendung. »Wenn sie genug Geld zusammen haben, gehen sie los und kaufen sich ne Packung Kippen«, pflegte Markus ihm zu predigen. »Der ist gar nicht so arm, erst gestern hab ich ihn mit einer Bratwurst und einem MP3- Player gesehen!«, versuchte Dominik ihn regelmäßig zu überzeugen. Aber Elias konnte nicht aus seiner Haut. Bald war er sicher selbst arm. Dank Kakao- Automat und Obdachlosen. Es war der dreiundzwanzigste Dezember und draußen war von Schnee keine Spur. Elias saß auf seinem Fensterbrett, vom Zimmer seiner Schwester dröhnte Rihanna zu ihm herüber und er bemühte sich, sich in Weihnachtsstimmung zu versetzen. Aber ohne Schnee war das schwierig, auch wenn die ganze Wohnung nach Apfelstrudel roch und seine Mutter fleißig damit beschäftig war, den Weihnachtsbaum zu schmücken und ‚Ihr Kinderlein kommet’ zu schmettern. Sein Vater schlurfte durch die Wohnung und wirkte leicht fehl am Platze, da seine Frau ihn ständig ermahnte, ihr aus dem Weg zu gehen. Durch die lauten Klänge von ‚Russian Roulette’ dröhnte die Stimme seiner Mutter. »Stefan! Komm bitte mal her und halt mir die Lichterkette!« Elias musste schmunzeln, während er sich seinen Vater als persönlichen Haussklaven vorstellte. Als er den Blick aus dem Fenster richtete, stutzte er. Anton hatte gerade die Wohnung verlassen. Er war bepackt mit vielen prall gefüllten Plastiktüten und einem nicht minder vollen Rucksack. Elias sah ihm einen Moment lang nach, dann sprang er vom Fensterbrett und schlüpfte in seine Chucks, ohne sie zuzubinden. Mit einem Arm in der Jacke wandte er sich in Richtung Wohnzimmer um, wo er seinen Vater durch Rihanna hindurch fluchen hörte. »Bin mal eben weg!« Dann öffnete er die Tür, sprintete die Treppe hinunter und stolperte beinahe über seine offenen Schnürsenkel, als er nach draußen hechtete und Anton hinterher rannte. Nach wenigen Augenblicken hatte er Anton einholt und kam schlitternd neben ihm zum Halt. »Hey«, keuchte er angestrengt und Anton sah einigermaßen überrascht aus, als er Elias dabei zusah, wie er seine Hände auf die Knie stützte, um nach Luft zu schnappen. »Hab dich vom Fenster aus gesehen«, erklärte er immer noch stockend und streckte die Hände aus. Anton blinzelte. »Ich helf’ dir tragen. Wo willst du eigentlich mit dem Zeug hin?«, erkundigte er sich, richtete sich wieder auf und nahm Anton drei der Tüten ab. Anton musterte ihn einen Moment lang mit schief gelegtem Kopf und Elias war sich sicher, dass er die Narbe über seinem Auge musterte, die von der Schlägerei Anfang Dezember zurück geblieben war. Er grinste verlegen und warf einen Blick in die Tüten. Tiefkühl- Lasagne, Pizzen, Fischgerichte… Er hob die Augenbrauen und sah Anton fragend an. Der räusperte sich und wandte sich um, um seinen Weg fortzusetzen. »Ein paar Straßen weiter ist doch dieses Obdachlosenhaus«, meinte er und bewegte leicht seine Schultern vor und zurück, als würden sie ihm von all dem Geschleppe bereits wehtun. »Bringst du all das Zeug da hin?«, fragte Elias vollkommen perplex. Und er fühlte sich gut, wenn er einen Euro in einen Pappbecher warf… jetzt kam er sich richtig lächerlich vor. »Ja. Das ist all das Zeug, was meine Mutter immer für mich kauft und ich hasse Tiefkühlkost… Deswegen bringe ich das immer dahin, wenn die Truhe überläuft. Dann kann sie neue Sachen reinkaufen«, meinte Anton und er klang so sachlich, als wäre das ein vollkommen normaler Umstand. Elias hörte ihn selten über seine Mutter reden und wenn er es tat, dann sprach er über sie, als wäre sie eine entfernte Bekannte. Dafür leuchteten seine Augen immer richtig, wenn er mit Elias’ Mutter sprach. »Bist ja ein richtiger Samariter«, murmelte er beeindruckt und setzte den Weg mit Anton zusammen fort. Anton musterte kurz seine Füße. »Deine Schnürsenkel sind offen«, stellte er fest und sah Elias an. Der grinste und zuckte mit den Schultern. »Hab mich eben beeilt. Ich kann dich ja nicht unter dem Gewicht von Tiefkühl- Pizzen zusammen brechen lassen«, meinte er und kam sich fast ein bisschen heldenhaft vor. Anton kommentierte diese Auskunft mit einem Schweigen, während sie die Straßen entlang gingen und die Plastiktüten schleppten. Immer wieder kamen sie an weihnachtlich geschmückten Häusern und Gärten vorbei, aus einem Haus dröhnten laute Weihnachts- Punkcovers. Schließlich kam ein großes, etwas schäbiges Backsteinhaus in Sicht, dessen geflügelte Eingangstür mit roten Weihnachtssternen beklebt war. Anton schleifte seine Last die kurze Treppe zur Eingangstür hinauf, schob sich in den Eingangsbereich und Elias folgte ihm. »Da werden sie sich ja freuen. Immerhin ist Weihnachten«, meinte Elias schmunzelnd. Anton nickte kaum merklich. »Weihnachten… stimmt ja. Hatte ich ganz vergessen«, meinte er. Den ganzen Abend und den darauf folgenden Vormittag machte sich Elias darüber Gedanken, dass Anton wohlmöglich kein Weihnachten feierte. Was für eine schreckliche Vorstellung. Mittlerweile konnte er nicht mehr umhin, in Weihnachtsstimmung zu kommen, denn seine kleine Schwester tanzte mit einer Weihnachtsmütze durch die Wohnung, hörte laut Weihnachtslieder und in der ganzen Wohnung roch es nun nach selbst gebackenem Lebkuchen. Er war damit beschäftigt, all seine Weihnachtsgeschenke in eine Menge Geschenkpapier zu wickeln und sie dann mit Tonnen von Tesafilm zu bekleben. Er war eine Niete im Einpacken, aber immerhin konnte er behaupten, dass es von Herzen kam. Schließlich schrieb er mit Edding die Namen auf das jeweilige Päckchen und betrachtete sein Werk stolz. Der Abend kam schneller, als er gedacht hätte und er schmuggelte in letzter Sekunde seine Geschenke unter den Weihnachtsbaum. Es war wie jedes Jahr. Sie aßen in der Küche und Nathalie quengelte ununterbrochen, dass sie endlich Bescherung wollte. Elias hatte ihr ihre Weihnachtsmütze geklaut und vertilgte gerade seine dritte Portion Fisch mit Kartoffeln und Remouladensoße. Nathalie starrte ihn vorwurfsvoll von der Seite an und stieß ihm immer wieder den Ellbogen in die Seite, bis er schließlich das Essen aufgab und sein Besteck auf den Teller legte. »Bescherung!«, rief Nathalie glücklich, sprang auf und rannte ihnen allen voran ins Wohnzimmer, wo leise ‚Stille Nacht’ lief und die Lichterkette des Tannenbaums den Raum in warmes, weihnachtliches Licht tauchte. Die Christbaumkugeln waren rot und einige kleine Holzfigürchen zierten den Tannenbaum. »welches ist mein Haufen?«, fragte Nathalie begeistert und stürzte sich auf ihren Berg Geschenke, nachdem ihre Mutter darauf gedeutet hatte. Eine Stunde später saßen sie in einem Meer von Geschenkpapier und ihr Vater stopfte alles an Papier in eine überdimensionale Plastiktüte. »Bringst du den Müll runter, Schatz?«, bat seine Mutter ihn und er nickte ergeben, erhob sich und schnappte sich die riesige Tüte. Auf dem Weg durch den Flur summte er leise ‚Alle Jahre wieder’. Als er die Wohnungstür geöffnet hatte, stolperte er beinahe über etwas, das auf der Türmatte stand. Er blinzelte verwirrt, stellte die Plastiktüte ab und hockte sich auf den Boden. Aus dem Wohnzimmer dröhnte das laute Lachen seines Vaters. Auf der Fußmatte stand ein kleiner Terrakotta- Topf. Darin befand sich eine dunkelgrüne Pflanze, die Elias mühelos als Efeu erkannte. Er hob den Topf auf und entdeckte eine kleine Weihnachtskarte, die mit einer Spitze in der Erde steckte. Den Efeu in der einen Hand, klappte er das Kärtchen gespannt auf. »Fröhliche Weihnachten. Anton« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)