Efeu von Ur (Schlicht und Immergrün) ================================================================================ Kapitel 13: Unter Freunden -------------------------- Für Lisa und arod und Aye und Nasti und Tanja. Meinen persönlichen, engsten, kleinen Fanclub. Viel Spaß beim Lesen! __________________________________ Elias war einen Moment lang irritiert, dann breitete sich auf seinem Gesicht ein Grinsen aus. Antons leichtes Lächeln machte ihm gute Laune. Es war das erste Lächeln, das er überhaupt von Anton sah und er bemühte sich, es im Gedächtnis zu behalten. Denn er war sich ziemlich sicher, dass er es wohlmöglich nicht so schnell noch einmal sehen würde. Als Elias ihn dermaßen anstrahlte, blinzelte Anton leicht verwirrt und das Lächeln verschwand in einem Ausdruck von Verwunderung. »Was ist los?«, wollte er wissen und legte den Kopf schief, wobei ihm einige der schwarz- glänzenden Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Elias räusperte sich, konnte sein Grinsen jedoch nicht abschalten. »Ach nichts. Du hast nur eben gelächelt«, meinte er und zuckte mit den Schultern, ehe er sich beschwingt auf sein Bett fallen ließ und Anton auffordernd ansah. Sein Nachbar starrte ihn einen Augenblick an, als hätte er wieder das altbekannte Mondschaf vor Augen, dann huschte ein leichter Schimmer von Rot über seine blassen Wangen und er setzte sich neben Elias aufs Bett. »Du lächelst fast den ganzen Tag«, informierte ihn Anton bedächtig. Elias lachte. »Ja, deswegen ist es bei mir auch nichts Besonderes. Bei dir schon«, versicherte er Anton. Das blasse Gesicht wandte sich ihm zu und Elias spürte, wie er unter dem prüfenden Blick dieser fast schwarzen Augen ein wenig verlegen wurde. »Ich finde es besonders«, meinte Anton langsam, »es ist… ein nettes Lächeln.« Elias stutzte und er hatte das Gefühl, dass er Anton einen Moment lang wie ein Auto anglotzte. Der blickte zurück. Die Situation war vollkommen bescheuert, aber Elias wusste nicht einmal, wieso es so merkwürdig war. Vielleicht deswegen, weil sie – beide Jungs – sich gerade gesagt hatten, dass sie das Lächeln des jeweils anderes besonders fanden? Machte man so was in seinem Alter? Für gewöhnlich nicht. Elias war irritiert und fuhr sich verlegen durch die Haare, dann schaute er rasch weg. Ich kramte nach einem Gesprächsthema und als er auf seine Gitarre schaute, fiel ihm etwas ein. »Weißt du eigentlich schon, was du nach der Schule machen willst?« Anton pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und betrachtete nachdenklich seine Finger, die für einen Jungen ungewöhnlich schlank waren. Perfekt zum Klavierspielen, dachte Elias unwillkürlich. »Ich denke, erstmal werde ich meinen Zivildienst machen. Auf die Bundeswehr bin ich nicht besonders… erpicht. Und dann möchte ich eigentlich gern Studieren. Es gibt da einen Studiengang, mit dem man später in der Musiktherapie arbeiten kann. Das wäre schon toll«, sagte er, rutschte auf Elias’ Bett nach hinten und lehnte sich gegen die Wand. »Obwohl… irgendwas mit Schreiben auch nett wäre. Aber ich denke, Musik liegt mir noch mehr«, fügte er nachdenklich hinzu und wiegte leicht den Kopf hin und her. Elias seufzte resigniert. Anton blickte ihn fragend von der Seite an. »Ich bin neidisch«, erklärte Elias und lehnte sich ebenfalls an die Wand, streckte die Beine aus und betrachtete seine Socken. In der linken war ein Loch am kleinen Zeh. »Ich hab überhaupt keine Ahnung, was ich nach der Schule machen will. Bund ist auch nicht so mein Ding, und Zivi… Ich weiß nicht. Und irgendwas mit Musik wäre schon toll, aber als Berufswunsch ‚Sänger und Gitarrist in einer Band’ anzugeben ist wohl eher utopisch…« Dieses Mal war es nicht so deutlich, aber Elias sah erneut Antons Mundwinkel zucken. »Das ist halt ein Traum. Hat nicht jeder so etwas? Schriftsteller, Musiker, Maler, Sportler…?«, meinte er. Beinahe sofort kam Elias sich nicht mehr ganz so bescheuert vor. Antons vernünftige und bedächtige Art zu sprechen, brachte ihn auf seltsame Weise dazu, von sich selbst nicht mehr unbedingt als ein zielloses Stück Treibholz im Meer der Wirklichkeit zu denken. Anton hatte Recht. Träumen war erlaubt. Und er kannte tatsächlich niemanden, der nicht von irgendetwas träumte. »Träumst du auch von so was?«, erkundigte er sich. Anton zuckte leicht die Schulter. »Pianist wäre toll. Und wie gesagt… Schreiben auch. Aber das wird wohl eher nichts werden. Ich finde es allerdings auch nicht so schlecht, wenn das nur ein Hobby bleibt. Unter Zwang seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen ist vielleicht nicht unbedingt das Idealste«, sagte er. Elias rutschte auf seinem Bett herum, sodass er Anton direkt ansehen konnte. »Was schreibst du denn so?«, wollte er neugierig wissen. Er selbst war froh darüber, dass er mit seinen Deutschaufsätzen halbwegs über die Runden kam. Dieses Mal war es überdeutlich. Anton lief rot an. »Unterschiedliches…«, sagte er zögerlich. Elias war sich ziemlich sicher, dass das wieder eine dieser Sachen war, von denen Anton nicht unbedingt wollte, dass jeder sie wusste. Er erwartete er ja ohnehin, für alles ständig ausgelacht zu werden. Elias fand das traurig. »Komm schon, ich lache nicht«, meinte er, streckte die Hand aus und knuffte Anton leicht gegen den Oberarm. Der rieb sich die Stelle und sah Elias immer noch peinlich berührt an. »Kurzgeschichten… und manchmal auch… na ja… Gedichte.« Elias war beeindruckt. »Echt? So richtig, mit Reimen und solchen Sachen? So wie die Dinger, die man in Deutsch immer analysieren und auseinander rupfen muss?«, wollte er gespannt wissen und beugte sich leicht vor. Anton sah schon wieder dermaßen irritiert aus, dass man meinen konnte, Elias hätte ihm so eben erklärt, dass er sich vor zwei Jahren einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hätte. »Manchmal schreib ich auch in Reimen, ja«, sagte Anton. Sein Kopf glich nun einer roten Ampel. »Und darf ich fragen, worüber du so dichtest?«, erkundigte sich Elias. Er hatte wirklich noch nie einen Jungen wie Anton kennen gelernt. Es war spannend, Stück für Stück etwas aus ihm heraus zu kitzeln und mehr zu erfahren. Gleichwohl hatte Elias das Gefühl, dass er nur ganz leicht an der Oberfläche kratzte. Aber vielleicht würden er und Anton sich ja noch richtig anfreunden und dann würde Anton ihm eventuell auch etwas mehr von sich erzählen. »Frag lieber nicht«, murmelte Anton abweisend und wandte den Blick ab, hin zum Fenster, wo er den Schneeregen betrachtete, der eingesetzt hatte. Elias hätte sich gern für seine Neugier auf die Zunge gebissen, aber nun hatte er die winzig kleine Öffnung in Antons Oberfläche wieder mit Panzertape beklebt, das merkte er deutlich. Er notierte insgeheim in seinem Kopf, dass man Anton besser nicht nach den Themen seiner Gedichte fragte. Fast hatte ihm die Frage auf der Zunge gelegen, ob er vielleicht mal eins von diesen Gedicht lesen dürfte, aber die Antwort kannte er nach dieser Reaktion bereits. Anton blieb fast den ganzen Samstag. Auch wenn Elias es nicht mehr schaffte, ihn aus seinem Schneckenhaus herauszulocken, so fand er doch, dass Antons Gesellschaft angenehm war. Zwischendurch musste er mehrere Telefonate führen. Eins mit Alex, die ihm hysterisch berichtete, dass Alex ihr gesagt hatte, dass er mit ihr zusammen sein wollte, eines mit Christine, die sich über ihre Cousins bei ihm beklagt, über ihren kleinen Bruder und darüber, dass ihr Wochenende entsetzlich langweilig war, zwei mit Markus, der ihn einmal versehentlich anstatt von Dominik anrief, weil er über den Namen seines Kindes philosophieren wollte und schließlich eines mit Dominik, der ihn fragte, welchen Namen er Markus empfohlen hatte und wann sie sich das nächste Mal zu einem lauschigen Besäufnis in seinem Keller treffen wollten. Anton störte sich nicht daran, dass Elias ständig von anderen Leuten in Beschlag genommen wurde. Er sah sich interessiert in Elias’ Zimmer um, musterte jedes noch so kleine Detail, als wollte er alles in diesem Raum interpretieren, oder er beobachtete Elias beim Telefonieren, was Elias wiederum in ständige Verlegenheit stürzte. Das wunderte ihn. Normalerweise war ihm schließlich nichts peinlich. Als Anton abends schließlich das Treppenhaus betrat, wirkte er beinahe ein wenig wehmütig. Elias grinste ihn an. »Bis Montag! Ich warte wieder auf dich«, meinte er. Antons Mundwinkel zuckten erneut. »Ich warte wohl eher auf dich«, entgegnete er und kramte seinen Schlüssel heraus. Elias schnaubte, musste aber trotzdem lachen. »Na ok. Du wartest auf mich. Aber ich schaff das schon pünktlich!« Sie winkten sich kurz von Haustür zu Haustür zu, dann verschwand Anton und auch Elias ließ die Tür ins Schloss fallen, ehe er zurück in sein Zimmer ging, um Dominik anzurufen und ihn zu fragen, ob er heute Abend noch Lust auf ein Bier und eine Tiefkühlpizza hatte. Der Montag verging in einem Schleier aus Müdigkeit. Er hatte sich Sonntag noch mit Christine getroffen und er war erst um halb eins nach Hause gekommen. Das kam davon, wenn man um halb zwölf noch Lust auf Sex bekam. In Politik döste er ein, Englisch verschlief er beinahe komplett, die Arme auf den Tisch gelegt und den Kopf auf die Arme gebettet. Die letzte Stunde Erdkunde machte ihn auch nicht sehr viel wacher und schließlich schlurfte er in Richtung Pausenhalle. Markus hatte die ganze Englischstunde damit verbracht, wie wild Namen auf einen Din A4 Zettel zu kritzeln und diesen dann abwechselnd Dominik und Elias hinzuhalten. Dominik hatte hinter jeden Namen einen Smily – wahlweise traurig, lächelnd oder mit horizontalem Mund, was ‚durchschnittlich’ bedeuten sollte – gemalt. Elias hatte nichts kommentiert. Er hatte immerhin geschlafen. »Du siehst aus wie ein Zombie«, erklärte Anton, als Elias auf ihn zugeschlurft kam. Er gab nur ein undeutliches Murmeln von sich. Dann machten sie sich auf den Weg hinaus in den nassen, grauen November, der sich in ein paar Tagen in den Dezember verwandeln würde. Markus und Dominik standen noch beim Vertretungsplan und unterhielten sich mit zwei Jungs aus ihrem Sportkurs. Elias gähnte herzhaft und Anton beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er schien sich zu amüsieren, doch Elias war zu müde, um sich darüber bei ihm zu beschweren. Seine Müdigkeit verringerte sich allerdings, als sie um eine Ecke bogen und er drei Jungen an einer Backsteinmauer lehnen sah. Er erkannte sie sofort, obwohl er normalerweise ein miserables Gesichtsgedächtnis hatte. Es waren die drei Kerle, die Antons Etui damals in den Restmüllcontainer geschmissen hatten. Einer von ihnen hatte seine Hose in die Nike- Turnschuhe gesteckt. Elias registrierte ein rosa Poloshirt und fein säuberlich gegelte Haare. Er runzelte die Stirn und fühlte sich plötzlich sehr viel wacher. Er kam sich vor wie in einem billigen Western Film. Nur ohne Hintergrundmusik und ohne Sand und Gott sei Dank ohne Revolver. »Na, wenn das nicht Anton ist«, meinte einer mit blonden Haaren und einer ziemlich großen Nase. »Und seinen Wachhund hat er auch dabei«, spöttelte der Kerl mit dem rosa Poloshirt. Anton nahm Elias am Arm und wollte ihn offenbar auf die andere Straßenseite ziehen, aber die Jungs schienen davon nicht sonderlich begeistert zu sein. Elias zog sein Handy aus der Hosentasche. »Das war nicht nett, uns als Kindergarten zu bezeichnen, letztes Mal«, sagte der mit den Nike- Turnschuhen. Elias antwortete nicht, sondern hielt sich unbeeindruckt das Handy ans Ohr. Anton musterte ihn angespannt. »Hey, ich bin grad am Richard- Strauß- Weg, und…«, sagte er noch, weiter kam er nicht. Sein Handy flog in hohem Bogen mitten auf die Straße, als einer der Jungs es ihm aus der Hand schlug. Elias atmete tief durch. Na wunderbar. Er war nie jemand gewesen, der es auf Schlägereien anlegte, aber diese drei hatten ohnehin noch etwas gut bei ihm und mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, schlug er dem Nike- Turnschuhträger, der ihm sein Handy aus der Hand befördert hatte, in die Magenkuhle. Es war, als hätte er eine Bombe gezündet. Mit lauten Flüchen stürzten sich die beiden Freunde des Getroffenen auf ihn. Es war eine ziemlich dumme Idee gewesen, eine Schlägerei mit drei Kerlen auf einmal anzuzetteln. Aber jetzt war es zu spät. Mit einem schmerzerfüllten Keuchen quittierte er einen Faustschlag direkt ins Gesicht. Er taumelte rückwärts, schüttelte den Kopf und konnte gerade noch den Arm heben, um einen zweiten Schlag abzuwehren. Im nächsten Augenblick wurden ihm die Arme auf den Rücken gerissen und er biss sich heftig auf die Lippe, um nicht zu schreien. Der Nike- Turnschuhträger hatte sich offenbar wieder von dem Schlag in die Magenkuhle erholt, denn nun baute er sich gemeinsam mit seinem Kumpel vor Elias auf, der spürte, wie ihm warme Flüssigkeit über die Wange sickerte. »Hört auf damit!«, drang Antons Stimme von irgendwoher an sein Ohr. Die Jungs lachten. Elias kam sich vor wie ein Mädchen, aber was machte das schon. Mit einem kräftigen Tritt rammte er seinen Fuß zwischen die Beine des Einen. Er hatte es kommen sehen, aber das machte den zweiten Schlag ins Gesicht nicht angenehmer. Ihm wurde einen Moment schwarz vor Augen, aber durch das laute Rauschen seines Blutes in den Ohren hörte er deutlich das Wimmern und Jammern des Kerls, den er zwischen die Beine getreten hatte. Was er als nächstes spürte, war, dass er losgelassen wurde. Er taumelte rückwärts, verlor den Halt und wurde von hinten festgehalten. »Ich glaub es nicht«, hörte er Antons Murmeln in seinem Ohr. Er spuckte auf den Boden und sah undeutlich die dunkelrote Flüssigkeit auf dem nassen Asphalt. Er blinzelte, wischte sich über die Augen und achtete nicht darauf, dass er nun auch Blut an seiner Jacke kleben hatte. Mit Feuereifer hatten sich seine beste Freunde auf die beiden übrigen Kerle geworfen. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass noch jemand durch diese winzige Seitenstraße kam. Elias nahm verschwommen durch einen Schleier von Kopfschmerzen und Ohrensausen wahr, wie Anton immer wieder leise fluchte – etwas, das er bei seinem Nachbarn bisher noch nicht gehört hatte – und wie Markus den Kerl im rosa Poloshirt lauthals beschimpfte, während er auf ihn eindrosch. »Muss mich mal kurz setzen«, murmelte er undeutlich und ließ sich einfach auf den nassen Bordstein sinken. Anton kniete sich neben ihn und starrte ihn an. »Was sollte denn das? Wieso schlägst du dich für mich? Tut das doll weh?«, kam es in rascher Folge zwischen seinen schmalen Lippen hervorgepurzelt und Elias versuchte zu lächeln, aber es tat lediglich weh, als ließ er bleiben. »Was war denn los? Haben die euch aufgelauert? Worum ging es eigentlich?«, hörte er Markus’ schnaufende Stimme über ihm. »Alles ok, Alter?«, fragte Dominik und kniete sich vor ihn. »Hmhm«, nuschelte er und spuckte erneut eine Ladung Blut auf den Boden. Seine Zunge puckerte unangenehm. Vermutlich hatte er sich bei einem der Schläge ziemlich heftig darauf gebissen. Nach weiteren zehn Minuten am Straßenrand fühlte er sich immer noch ziemlich benommen, aber es ging ihm schon etwas besser. Anton hatte eine Packung Taschentücher aus seinem Rucksack gekramt. Elias bestand darauf, dass Markus und Dominik nach Hause gingen, nachdem er sich bei ihnen bedankt hatte. Schließlich hievte er sich selbst auf die Beine und wischte sich die Haare aus der Stirn. Ihm tat so ziemlich alles weh. »Ich glaub es nicht… dass sie sich für dich schlagen, ohne zu wissen, was eigentlich los ist«, murmelte Anton verstört und hielt Elias die restlichen Taschentücher hin. Elias lachte und keuchte schmerzerfüllt auf. »So macht man das unter Freunden«, stöhnte er und betastete vorsichtig seine Lippe. »Und du… schlägst dich einfach so für mich«, entrüstete sich Anton. So aufgewühlt hatte Elias ihn bisher noch nicht erlebt. Er zuckte die Schultern. »Ich sag doch… so macht man das unter Freunden!« Anton öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch offenbar fiel ihm nichts ein. Er sah Elias schweigend von der Seite an und reichte ihm stumm ein weiteres Taschentuch. Wie man das nun einmal so machte, unter Freunden, dachte Elias. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)