Efeu von Ur (Schlicht und Immergrün) ================================================================================ Kapitel 7: Musik ---------------- Hallo ihr Lieben! Ich wollte nur schnell bescheid sagen, dass ich jetzt immer ungefähr 2 Wochen für jedes Kapitel einrechne, weil das Studium bald losgeht und ich dann nicht mehr so viel Zeit zum Schreiben haben werde! Danke für die lieben Kommentare und die Favoritennehmer. Die Liedzeilen am Ende sind für meine beiden Insider Aye und Arod, die hoffentlich wissen, wieso. Viel Spaß beim Lesen! Liebe Grüße, __________________ Die nächsten anderthalb Wochen vergingen ohne irgendwelche bemerkenswerte Zwischenfälle. Dominik und Markus reagierten nicht wirklich überrascht, als Elias ihnen bei nächster Gelegenheit verkündete, dass er und Christine irgendwie zusammen waren. Dominik schien halb verzweifelt, halb erleichtert darüber zu sein und Elias konnte sich in etwa vorstellen, woran das lag. Einerseits war er nun liiert, was für Eva bedeutete, dass Elias komplett aus ihrer Reichweite verschwunden war. Andererseits hatte Elias schon wieder eine Freundin – seine achte, um genau zu sein – und Dominik wartete immer noch darauf, seine zweite zu bekommen. Irgendwann. Markus kratzte das alles herzlich wenig, er war mit Nuri seit zwei Jahren zusammen und es sah ganz so aus, als würde sie seine erste und letzte Freundin sein. Irgendwie fand Elias das bemerkenswert. Er war zwar schon verknallt gewesen… so in etwa einmal… aber so richtig verliebt, wie das bei Markus und Nuri war, das hatte es bei ihm noch nie gegeben. Das Wort ‚Liebe’ im Zusammenhang mit Mädchen fand er gruselig. Er konnte sich nicht vorstellen, einem Mädchen so komplett verfallen zu sein, wie das bei Markus und Nuri war. Wie sich schnell herausgestellt hatte, kam Christine mit seinen Freunden und auch mit Nuri wunderbar zurecht. Elias mochte sie sehr, sie war eines dieser unkomplizierten Mädchen, genau wie Nuri. Und nur deswegen hingen die beiden ständig mit ihnen herum. Mädchen im Allgemeinen waren ziemlich anstrengend. Wenn man von seinen guten Freundinnen einmal absah zumindest. Und die waren alle eher weniger mädchenhaft. Er hoffte immer noch inständig, dass Nathalie später ebenfalls so ein unkompliziertes Mädchen werden würde. Denn mit Katharina konnte er herzlich wenig anfangen. Mädchen waren nun mal seltsam. Er dachte über die Mädchen nach, mit denen er befreundet war. Alex natürlich. Nuri und Christine. Seine lesbische Cousine Louisa. Dominiks kleine Schwester Caroline, mit der er auch schon zusammen gewesen war. Und Merle, seine zweite Exfreundin, mit der er sich immer noch blendend verstand und die zurzeit mit einem Mädchen zusammen war. Mädchen waren manchmal sogar besser zum Reden als Jungs. Aber nur, wenn sie nicht allzu sehr… Mädchen waren. Getrübt worden war die Woche nur von mehreren Anrufen seiner letzten Exfreundin Jasmin, die immer noch in Elias vernarrt war und keine Ruhe gab. Als er ihr schließlich erklärt hatte, dass er eine Freundin hatte, war sie in Tränen ausgebrochen. Elias hasste weinende Mädchen. Er konnte nicht damit umgehen und er mochte es nicht, andere zu verletzen. Aber wie sich herausstellte, hatte sich Jasmin von seiner neuen Freundin nicht abschrecken lassen und hatte noch dreimal angerufen, bis Elias schließlich – der Verzweiflung nahe – Christine gebeten hatte, ans Telefon zu gehen. Das Gespräch war ihm deutlich im Gedächtnis geblieben. »Wer ist da?«, hatte Jasmin mehr oder minder hysterisch gekreischt. Elias sah noch sehr genau, wie Christine das Handy von ihrem Ohr fortgenommen und das Gesicht verzogen hatte. »Elias’ Freundin. Christine. Und wer bist du?« Daraufhin hatte eine ziemlich lange Stille gefolgt, in der Elias sich ununterbrochen Erdnüsse in den Mund geschoben hatte. Das war fast besser als Kino gewesen. »Jasmin… seine Exfreundin«, war dann die Antwort gekommen, etwas weniger kreischend aber ziemlich angefressen klingend. »Ah. Ja, er hat von dir erzählt. Ich möchte dich bitten, ihn nicht mehr anzurufen. Wir sind sehr glücklich miteinander, haben herausragend guten Sex und werden spätestens in zwei Jahren heiraten und fünf Kinder haben. Auf Nimmerwiedersehen.« Elias hatte sich an seinen Erdnüssen verschluckt. »Wir werden heiraten?«, hatte er lachend geröchelt. Christine hatte nur mit den Schultern gezuckt. »Natürlich nicht. Aber du hast erzählt, dass sie immer von Heirat geredet hat und jetzt weiß sie, dass du dafür nicht mehr zu haben bist. Ich dachte, das wäre eine gute Idee«, hatte sie entgegnet und ihren hübschen Schmollmund zu einem Grinsen verzogen. Elias mochte sie wirklich. »Aha. Dann lass uns jetzt noch mal über den Teil mit dem herausragend guten Sex reden«, hatte er schelmisch erwidert und sie hatte ihn geboxt, gelacht und dann geküsst. Jasmin hatte danach nicht mehr angerufen. Außerdem hatte Elias bei Johanna angerufen und ihr mitgeteilt, dass sie ein Auge auf Anton und diese drei Vollidioten haben sollte und wenn irgendetwas passierte, dann sollte sie ihn anrufen. Allerdings passierte die anderthalb Wochen lang nichts Außergewöhnliches, denn es traf sich, dass Anton sich in den großen Pausen nun immer am oberen Ende der Wendeltreppe aufhielt und sein Pausenbrot aß oder irgendetwas las und dort hatte Elias ihn im Blick. Seine Mutter hatte ihm auch eingeschärft, Anton gern wieder zum Essen einzuladen, doch immer, wenn Elias bei Anton an die Tür klopfte, öffnete niemand. Anton hatte sich in seine Gedanken geschlichen. Vielleicht, weil Elias ein Mensch mit übermäßig stark ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn war und Anton scheinbar sehr anfällig für Ungerechtigkeit war. Er wusste es nicht. Aber er hatte in den letzten anderthalb Wochen verstärkt auf den traurigen Blick des Jungen geachtet, der offenbar niemals lächelte. Ob es nur an seiner Mutter lag, die beinahe jeden Abend die Wohnung verließ und erst sehr spät zurückkam? Am Freitag, drei Wochen nachdem Anton neben ihnen eingezogen war, brütete Elias über seinen Physikhausaufgaben, die diesmal relativ knifflig waren. Ausnahmsweise hatte er heute einmal nichts vor. Markus war mit Nuri auf einer Familienfeier, Dominik traf sich mit einem alten Schulfreund und Christine musste auf ihre beiden kleinen Brüder aufpassen und Elias hatte wenig Lust, dabei zu sein, wenn Daniel sie über ihr Sexleben ausquetschte. Alex hatte ihn angerufen und erzählt, dass sie erst Samstag kommen konnte und sie hatte ihm vorher partout nichts von diesem Ausflug aufs Konzert erzählen wollen. Und das war ungewöhnlich für Alex. Deswegen war er schon ziemlich versessen darauf, sie am Samstag endlich wieder zu sehen und sich ausgiebig vom Konzert berichten zu lassen. Er strich eine falsche Mengenangabe durch und runzelte leicht die Stirn. Er war allein zu Hause. Nathalie war heute nach der Schule bei ihrer besten Freundin Anni und würde dort übernachten, wo genau Katharina über Nacht war, wusste er nicht und seine Eltern waren bei Bekannten, die 200 Kilometer von ihnen entfernt wohnten, daher blieben sie bis morgen und hatten ihre beiden jüngsten Kinder ausquartiert. Sprich: Elias hatte sturmfrei. Gerade war er dabei der Lösung auf die Schliche zu kommen und hastig auf seinem Kollegblock herum zu kritzeln, als er verwundert den Kopf hob. Er hörte Musik. Aber nicht irgendwelche Musik. Klaviermusik. Verwirrt richtete er sich ganz auf und stand schließlich von seinem Schreibtischstuhl auf. Die Musik war leise, als würde sie von den Nachbarn unter ihnen kommen, aber Elias wusste sehr genau, dass Herr und Frau Kramer – beide weit über 70 Jahre alt – kein Klavier spielen konnten. Er schlich durch die Wohnung wie ein Einbrecher in einem gut bewachten Museum und fragte sich, wieso er sich überhaupt die Mühe machte, auf Zehenspitzen zu laufen, da ohnehin niemand von den Nachbarn hören konnte, wie seine Füße sich auf dem Teppichboden bewegten. Vielleicht lag es daran, dass er bei schöner Musik immer ein wenig andächtig wurde. Als er das Wohnzimmer betrat – und das immer noch auf Zehenspitzen – wusste er, woher die Musik kam. Aus der Wohnung nebenan, die genau spiegelverkehrt zu ihrer Wohnung und somit grenzte Antons Wohnzimmer an das ihre. Oder welches Zimmer auch immer dort drüber das Zimmer von hier sein mochte. Elias kannte das Lied und es kostete ihn einige Sekunden, um in seinem Gedankensalat herauszufischen, wie es hieß. Es war die Mondscheinsonate und es klang so traurig, dass Elias auf der Stelle Anton mit diesem Lied assoziierte. Anton schaute immer so traurig. Dieses Lied war traurig. Alles in allem fand er, dass Anton unbedingt irgendwann einmal lächeln sollte. Und er war sich ziemlich sicher, dass er dieses Lächeln sehen musste, um sein Seelenheil zu bewahren. Er blieb so nah an der Wohnzimmerwand stehen, wie es ging, ohne dass er eine der Vasen seiner Mutter umriss oder gegen den Fernsehschrank rannte. Er versuchte sich Anton am Klavier vorzustellen und musste zugeben, dass das ziemlich gut zu dem Schwarzhaarigen passte. Leise summend wiegte er den Kopf hin und her und beschloss, dass Anton ziemlich gut Klavier spielte. Als sie Musik stoppte, seufzte er etwas enttäuscht. Dann kam ihm eine Idee und er hastete in sein Zimmer – diesmal nicht auf Zehenspitzen – und griff sich seine Gitarre, huschte zurück ins Wohnzimmer und warf sich auf die Couch. Er überlegte nur einen Moment lang, was er spielen konnte. Dann entschied er sich für ‚Killing me softly’. Das sollte selbstredend nicht symbolischer Natur sein. Aber es war ein schönes Lied und Elias fand, dass es zu Anton passte. Vielleicht konnte Anton es ja auf dem Klavier spielen. Eine Weile lang herrschte Stille in der angrenzenden Wohnung und Elias hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass Anton wieder mit dem Klavierspiel anfing und er ging sogar soweit, das Lied zu singen. Und normalerweise sang er hauptsächlich für Nathalie und Alex… Er war schon kurz davor anzunehmen, dass Anton seine Einladung entweder nicht verstand, sie abblockte oder aber das Lied nicht kannte, als zögerliche Klavierklänge sich unter sein Gitarrenspiel und seinen Gesang mischten. Elias war es herzlich egal, ob sie beide zu laut waren und Herr Kramer vor Schreck vom Sofa fiel. Er hatte sonst nur seine Cousine zum Musik machen und Louisa spielte Schlagzeug. Das war nicht wirklich mit einem Klavier gleichzusetzen. »…he sang as if he knew me in all my dark despair…« Normalerweise spielte Elias am liebsten Lieder seiner Lieblingsbands oder aber selbstgeschriebene Stücke, aber im Moment fand er es einfach toll, mit Anton Musik durch die Wand zu machen. Es war einer dieser besonderen Momente, die man mit einem Menschen teilte und die man so schnell nicht vergaß. »…with his words killing me softly...« Anton spielte wirklich gut. Elias bedauerte es in diesem Moment zutiefst, dass er nicht auch Klavier spielen konnte, aber wenn es nach ihm ginge, dann könnte er jedes Instrument auf der spielen. Musik war eben toll. Sie spielten ‚Unchained Melody’ und Elias musste zwei oder dreimal während des Singens lachen, weil der Text so furchtbar schmalzig klang, dass es kaum auszuhalten war. Aber immerhin, das Lied hörte sich in der Gitarren- Klaviermischung ziemlich gut an. Sie spielten ‚Objects in the rearview mirror’ und Elias beschloss, dass er unbedingt öfter Musik mit Anton machen musste. Ob der Schwarzhaarige nun die Tür öffnete oder nicht. Elias kürte das Lied zu seinem persönlichen Klavier- Favoriten – gleich nach der Mondscheinsonate. »…I know I'll never learn why any boy should die so young...« Die Musik ließ seinen Körper begeistert kribbeln, als wäre er auf einer Bühne und hätte Lampenfieber. Es war ein gutes Gefühl. »…We were ready for adventures and we wanted them all, there was so much left to dream and so much time to make it real...« Als das Lied langsam ausklang, seufzte Elias zufrieden und legte die Gitarre beiseite. Einen Moment lang genoss er noch das Nachklingen der Klaviermusik in seinem Innern, dann erhob er sich und huschte zur Balkontür, öffnete sie und trat hinaus in die kühle Septemberluft. Der Wind blies bunte Herbstblätter durch die Luft. Der Efeu an der Hauswand war wie immer saftig grün und resistent gegen all die Kälte. Er wandte den Kopf nach rechts und sah hinüber auf den angrenzenden Balkon, der nur wenige Zentimeter von seinem Balkon entfernt war. Die Tür des Balkonzimmers bei Anton ging auf und sein schwarzer, glänzender Haarschopf erschien. Er sah Elias einen Moment lang schweigend an und trat dann ganz hinaus auf den Balkon. Elias grinste. »Du spielst gut«, sagte er und betrachtete die dunklen Augen seines Nachbarn, die ausnahmsweise nicht ganz so traurig funkelten wie sonst immer. Anton nickte kaum merklich. »Du spielst auch gut… und du singst… sehr gut«, gab er zögerlich zurück und Elias schmunzelte leicht verlegen, während er sich durch die blonden Haare fuhr. »Wir könnten das öfter machen«, sagte Elias und konnte ein Strahlen nicht verhindern. Anton blinzelte leicht verwirrt. Einen Augenblick lang war Elias sicher, dass er mit sich rang, als wolle er nein sagen und doch wieder nicht. Dann nickte Anton. »Ja… können wir«, sagte er, hob kurz die Hand und verschwand dann wieder in der Wohnung. Elias blieb noch ein wenig auf dem Balkon und sah hinunter in den Hinterhof des Mehrfamilienhauses. In der Nebenwohnung ertönte ‚Für Elise’ und Elias musste lachen, als er sich bei dem Gedanken an ‚Für Elias’ ertappte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)