Efeu von Ur (Schlicht und Immergrün) ================================================================================ Kapitel 3: Familie Nickisch --------------------------- Daidai hat ein paar Sachen für die Uni gemacht und ich hab getippt. Das ist dabei rausgekommen ;) Viel Spaß damit ^-^ _____ »Elli, lass mir auch Nudeln übrig!«, plärrte seine kleinste Schwester und sah ihn schmollend an, nachdem er sich seine dritte Portion Nudelauflauf aufgetan hatte. Elias grinste unschuldig. Nudelauflauf war nun einmal sein Lieblingsgericht. Nathalie schnappte ihm den Schieber weg und tat sich die restlichen Nudeln mit Käse und Schinken auf. »Ich frag mich, wieso die Welt so ungerecht ist«, meinte Katharina und sah ihren Bruder mit hochgezogenen Augenbrauen an, »du isst und wirst nicht fett. Und ich muss ne Chipstüte nur ansehen und nehme zu.« »Red keinen Unsinn, Schatz. Du hast eine tolle Figur«, sagte ihre Mutter ungeduldig und nahm einen Schluck aus ihrem Wasserglas. Katharina schnitt eine Grimasse, als wäre sie da anderer Meinung. Katharina war nun einmal in der Pubertät. Elias hatte festgestellt, dass alle Mädchen in der Pubertät fanden, dass sie zu dick waren. Eigentlich kannte er nur ein Mädchen, das mit seiner Figur zufrieden war und das war seine lesbische Cousine Luisa. Katharina war in seinen Augen sehr zierlich. Sie trug hauptsächlich Röhrenhosen und Trägertops. Ihre Haare waren braun, genauso wie die von Nathalie. Elias hatte als einziges die blonden Haare seiner Mutter geerbt. Auch hatten seine beiden Schwestern die Locken ihres Vaters abbekommen, ebenso die braunen Rehaugen mit den ellenlangen Wimpern. Sein Vater scherzte immer und behauptete, Elias sei nicht sein Sohn. Nathalie schob sich fünf Nudeln auf einmal in den Mund und saß nun dicken Backen neben ihm. Es sah nicht so aus, als könnte sie gut kauen. »Nimm den Mund nicht immer so voll«, brummte sein Vater amüsiert. Nathalie sagte nichts. Elias vermutete, dass sie nicht sprechen konnte. Während seine Mutter den Tisch abräumte, schaffte Nathalie es, ihre Nudeln herunter zu schlucken und sah ihn einen Moment lang schweigend von der Seite an. »Schaust du Pokémon mit mir an?«, fragte sie dann. Elias warf ihr einen belustigten Blick zu. »Und wer macht meine Hausaufgaben?«, entgegnete er scheinheilig. Nathalie blies die Wangen auf und sah ihn schmollend an. »Du machst die doch eh nie«, gab sie zurück. Wo sie Recht hatte… »War ja auch nur ein Spaß, ich komm dann ins Wohnzimmer«, willigte er schließlich ein. Wenn er spät aus der Schule kam – wie jeden Donnerstag nach dem Sportunterricht – dann wartete seine Familie mit dem Mittagessen auf ihn und Nathalie zwang ihre Mutter dazu, Pokémon aufzunehmen, damit sie es später mit Elias ansehen konnte. Und ihm machte es nichts, er schaute sich gern mit seiner kleinen Schwester Zeichentrickserien an. »Wenn ihr mit diesem Nonsens fertig seit«, warf Katharina geringschätzig ein und hielt ihrer Mutter den Teller hin, »dann kannst du mir bei meinen Physikhausaufgaben helfen.« Elias sah seine Schwester an. Sie verdrehte die Augen. »Bitte«, fügte sie hinzu. Er grinste sie an. »Geht doch.« Er ging duschen und sang – wie immer - laut vor sich hin. Anschließend ging er in sein Zimmer, packte seine Sportsachen aus und warf sie auf einen Haufen mit dreckiger Wäsche. Ein Blick auf diesen Berg sagte ihm, dass er seine Dreckwäsche vielleicht langsam wieder in den Wäschekorb bringen sollte. Er öffnete das Fenster und ließ die kühle Herbstluft herein. »Elias?«, kam es aus dem Flur. »Was denn?«, rief er und riss die Tür auf, vorsorglich darauf bedacht, dass seine Mutter das Chaos hinter ihm nicht sah, damit sie sich an ihren Befehl vom Morgen nicht mehr erinnerte. »Ich hab einen Kuchen gebacken und dachte, wir können nachher mal rüber zu den neuen Nachbarn gehen, um ‚Hallo’ zu sagen.« Elias sah seine Mutter an und war schon versucht, ihr von seiner Begegnung mit dem Nachbarsjungen zu erzählen, doch sie sah so begeistert von ihrer Idee aus, dass er es bleiben ließ. »Sicher«, meinte er also. Katharina schob sich an ihrer Mutter vorbei. »Ich muss aber sicher nicht mit, oder? Es reicht doch, wenn ihr beide geht«, nölte sie. Elias verdrehte die Augen. Pubertierende Mädchen waren anstrengend. »Es wird dir keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn du mal für eine halbe Stunde mit zu den neuen Nachbarn rüber kommst«, sagte seine Mutter säuerlich. Katharina stöhnte entnervt auf und stapfte in ihr Zimmer, wo sie die Tür hinter sich zuschlug. »Noch zwei Jahre, dann haben wir es hinter uns«, seufzte seine Mutter, wuschelte ihrem Sohn durch die Haare und entschwand in die Küche. Elias dachte über ihren neuen Nachbarn nach. Er hatte ihm nicht einmal seinen Namen verraten. Das war unhöflich. Er fragte sich, was er dem Neuling getan hatte. Wahrscheinlich nichts. Vielleicht hatte er nur einen schlechten Tag gehabt? Aber er hätte ihm beim Händeschütteln wenigstens in die Augen sehen können. Elias grübelte noch ein wenig über das merkwürdige Verhalten des neuen Nachbarn nach, dann ging er ins Wohnzimmer, warf sich neben Nathalie, die schon sehnsüchtig auf ihn wartete, auf die Couch und schaltete den Videorekorder ein. Anderthalb Stunden später standen sie zu viert vor der Haustür ihrer neuen Nachbarn. Seine Mutter hielt ihren selbst gebackenen Schokoladenkuchen in der Hand, Katharina sah entnervt aus, Nathalie neugierig. Sein Vater hatte sich entschuldigt, weil er mit einem Freund zum Billardspielen verabredet war. Nathalie hatte gerade den Klingelknopf gedrückt und nun warteten sie darauf, dass Familie Nickisch öffnete. Elias hatte den Namen auf dem kleinen Klingelschild gelesen. Immerhin kannte er nun den Nachnamen des merkwürdigen Nachbarsjungen. Die Tür öffnete sich und die Frau, die Elias am vorigen Tag durch das Fenster gesehen hatte, stand vor ihnen. Wieder trug sie ein geschäftlich aussehendes, dunkelblaues Kostüm mit einer weißen Bluse darunter. Ihre dunkelbraunen Haare hatte sie zu einem strengen Knoten gebunden und ihre fast schwarzen Augen waren denen ihres Sohnes sehr ähnlich. »Hallo«, sagte seine Mutter freundlich, »wir wohnen direkt nebenan und wollten kurz vorbeischauen, um Sie herzlich willkommen zu heißen.« Frau Nickisch lächelte nicht. Zumindest nicht wirklich. Ihre Mundwinkel zuckten ein wenig gereizt. »Wie nett«, sagte sie und es klang, als hätte sie die Tür am liebsten wieder geschlossen, »aber ich fürchte, ich habe nicht lange Zeit.« Elias warf seiner Mutter einen Blick von der Seite zu. Sie sah einigermaßen geknickt aus. »Wir wollen natürlich nicht stören«, sagte sie eilig. Nathalie sah ziemlich eingeschüchtert aus. Elias konnte nicht behaupten, dass ihre neue Nachbarin ihm sonderlich sympathisch war. In diesem Moment huschte hinter ihnen ein Schatten an der Tür vorbei. »Hey«, rief Frau Nickisch in den Flur. Das blasse Gesicht vom Vormittag tauchte auf, die schwarzen Haare immer noch genauso glänzend und die beinahe schwarzen Augen prüfend auf die kleine Gruppe vor der Tür gerichtet. »Bring den Kuchen mal in die Küche«, sagte sie gereizt zu ihrem Sohn. Er schob sich an ihr vorbei und warf unserer Mutter einen merkwürdigen Blick zu, der beinahe etwas wehmütig wirkte. »Vielen Dank für die Mühe«, sagte er höflich und brachte beinahe ein Lächeln zustande. Elias sah deutlich, dass seiner Mutter bei dem Jungen das Herz aufging und sie ihn wegen seiner Mutter bemitleidete. »Gern geschehen mein Junge«, sagte sie freundlich und drückte ihm den Kuchen in die Hand. Der Fremde warf Elias einen kurzen Blick zu, dann schlüpfte er mit dem Kuchen an seiner Mutter vorbei zurück in die Wohnung und verschwand aus Elias’ Sichtfeld. »Nun ja, einen schönen Abend wünschen wir noch«, sagte seine Mutter. Frau Nickisch nickte und lächelte künstlich, im nächsten Moment war die Tür wieder geschlossen und Nathalie und Elias tauschten einen Blick. »Die war aber nicht nett«, sagte seine kleine Schwester. Elias hüstelte. »Der arme Junge«, brummte seine Mutter und sie wandte sich um, um zurück in ihre Wohnung zu gehen. Katharina schnaubte etwas von Zeitverschwendung. »Unfassbar«, sagte seine Mutter entrüstet und ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen, »sie hätte uns wenigstens kurz hereinbitten können. So was Unhöfliches ist mir noch nie untergekommen, der Junge traut sich sicher nie, Freunde mit nach Hause zu bringen.« Elias ging an den Kühlschrank und holte sich eine Milchschnitte heraus. »Ich hab ihn heute Morgen in der Schule getroffen. Ich hab ihm das Sekretariat gezeigt und er hat mir nicht mal seinen Namen verraten«, erzählte er nun doch und seine Mutter seufzte. »Irgendwie ist es mir jetzt schade um den Kuchen«, meinte sie und grummelte. »Elli! Ich hab eine Spinne im Zimmer! Mach die weg!«, schrie Nathalie aus ihrem Zimmer. Elias musste lachen, verließ die Küche und entfernte die Spinne im Zimmer seiner kleinen Schwester. »Du, Elli«, meinte sie und warf sich auf ihr Bett, nachdem Elias die Spinne aus dem Fenster geworfen hatte, »der Junge hat traurig ausgesehen.« Elias runzelte einen Moment lang die Stirn, nicht sicher, was Nathalie meinte. Bis ihm einfiel, dass sie wohl vom Nachbarsjungen redete. »Findest du? Ist mir nicht aufgefallen«, gab er zurück. Nathalie schüttelte den Kopf und sah ihn empört an. Unweigerlich musste er grinsen. »Du bist auch ein Junge«, belehrte sie ihn, »Jungs merken so was nicht. Hat Mama mir erzählt. Mädchen sind da sensibler.« Manchmal fand Elias seine kleine Schwester so niedlich, dass er das Bedürfnis hatte, sie zu knuddeln. »Na wenn du das sagst, wird es schon stimmen«, entgegnete er verschmitzt. Nathalie gähnte. »Spielst du mir was auf der Gitarre vor?«, bat sie dann. »Aber nicht so lange, ich muss wirklich noch Hausaufgaben machen«, sagte er lächelnd, verschwand in sein Zimmer und kam zu Nathalie zurück, die Akustikgitarre, die er sich vor drei Jahren selbst gekauft hatte, in der Hand. Ihre Augen waren schon ziemlich klein. »Zieh schon mal deinen Schlafanzug an«, meinte er. Sie murrte ungnädig, tat aber wie geheißen und schlüpfte in ihren hellblauen Schlafanzug, auf dem vorne ein großer Snoopy angebildet war. »Was willst du gern hören?«, erkundigte er sich. »Egal. Was Schönes«, gab sie zurück, rollte sich auf ihrem Bett ein wie eine Katze und sah ihn aus ihren großen braunen Rehaugen an. Elias dachte, – wie so oft, wenn er sie ansah – dass sie später sicher einmal vielen Jungs den Kopf verdrehen würde. So wie Katharina, die alle zwei Wochen einen neuen Interessenten an der Angel hatte. Elias dachte einen Moment lang nach und entschied sich dann für ‚Mach die Augen zu’ von den Ärzten. Nathalie seufzte zufrieden. »Sing«, meinte sie schließlich. Elias lachte und hörte kurz auf zu spielen. »Sind wir hier bei Arielle?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf und grinste ihn an. »Bitte«, machte sie lang gezogen. Vielleicht war es eine seiner schlechtesten Eigenschaften. Aber er konnte einfach nicht ‚Nein’ sagen, wenn man ihn um etwas bat. »Na schön«, willigte er ein, begann von Neuem zu spielen und zwei Minuten später war Nathalie eingeschlafen. Elias kehrte zurück in sein Zimmer und warf einen Blick in seinen Kalender, um zu sehen, was für Hausaufgaben er aufhatte. Englisch und Mathe hatte er erst am Montag wieder… Für Bio hatte er noch bis zum nächsten Donnerstag Zeit. Gerade als er beschlossen hatte, dass er heute keine Lust mehr auf Hausaufgaben hatte, klingelte sein Handy. ‚Smash’ von The Offspring dröhnte ihm entgegen. Er warf einen Blick auf das Display. Markus, verkündete es. »Ja?« »Hey Alter«, sagte der Rotschopf am anderen Ende, »wir wollen uns noch für zwei, drei Stündchen zu Dominik in den Keller chillen. Nuri kommt auch mit.« Nuri war Markus’ feste Freundin. Er war seit zwei Jahren mit ihr zusammen und Elias und Dominik scherzten immer, dass die beiden spätestens in zwei Jahren verlobt sein würden. »Cool. Soll ich was mitbringen?«, erkundigte er sich, klemmte sich das Handy zwischen Schulter und Wange und wühlte sich durch sein Zimmer, um seine Schuhe zu finden, die schon wieder irgendwo begraben lagen. »Was zu essen wär echt geil«, gab Markus zu bedenken. Elias schnaubte. »Lass ne Pizza bestellen. Du zahlst«, gab er grinsend zurück. Markus lachte dröhnend, dann verstummte er mit einem Schlag. »Ok«, gab er zurück. Markus’ Eltern waren Ärzte. Markus wohnte bereits allein. Eigentlich war Markus stinkreich. »Alles klar, ich bin in zwanzig Minuten da«, sagte er und legte auf. Dann zog er sich seine Schuhe an, die er unter seinem Eastpack- Rucksack gefunden hatte und stolperte aus seinem Zimmer in Richtung Wohnzimmer, wo seine Mutter im Sessel saß und sich irgendeine Tierdokumentation ansah. »Ich geh noch zu Dominik. Bin dann irgendwann zu Hause«, sagte er. Sie wandte sich zu ihm um und betrachtete ihn. »Zieh dir eine Jacke an, es ist kalt draußen.« Er grinste, nickte und schnappte sich seine blaue Jacke vom Garderobenhaken im Flur. »Viel Spaß«, rief seine Mutter ihm nach. »Danke«, antwortete er noch, dann schlug die Tür hinter ihm zu. »…ist noch Pizza in der Gefriertruhe«, sagte Frau Nickisch, die Türklinke in der Hand und das Gesicht in Richtung Flur gerichtet, wo ihr Sohn stand und sie ansah. »Ich weiß«, sagte er leise, »viel Spaß.« »Werd ich haben. Bis morgen«, sagte Frau Nickisch, der Nachbarsjunge warf Elias einen Blick über die Schulter seiner Mutter hinweg zu und dann schloss Frau Nickisch die Tür, wandte sich um und nickte ihm kurz zu, ehe sie die Treppen hinunter hastete, diesmal in einem roten, knielangen Kleid und offenen Haaren. Elias blieb einen Augenblick lang stehen und starrte die Tür der Nickischs an. Nathalie hatte Recht. Irgendwie hatte er traurig ausgesehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)