Desteral Storys - Krieg auf Aira / Erzählungen von SunnyFlower (Zwischen den Zeilen....) ================================================================================ Kapitel 10: Abschied nehmen --------------------------- Von einer geliebten Person Abschied nehmen zu müssen, ist Teil des Lebens. Es ist immer wieder schmerzhaft - Ganz gleich, wie oft sich dieser Abschied wiederholt und wie gewiss es doch ist, sich wiederzusehen. Doch hinterlässt es abgrundtiefe Spuren, wenn dieser Abschied für immer ist; ein Wiedersehen ist in diesem Fall unmöglich. Seit Magrets Tod war ein Jahr vergangen. Die Großfamilie Lily kam ohne ihr Oberhaupt gut zurecht, auch wenn immernoch ein leichter Schleier der Trauer auf dem Haus lag. Das Leben ging nichtsdestotrotz für die zwölf Geschwister weiter und Sunnys 15. Geburtstag stand kurz bevor. Leise ein Lied singend war Tracy gerade dabei, ein Geschenk für ihre kleine Schwester zu verpacken. Ihre Schwester Chiga saß neben ihr und gab ihren Geschenk den letzten Schliff: „Ich hoffe, Sunny passt da wirklich rein! Ich habe Wochen an diesen Kleid gearbeitet!“ Demonstrativ hob sie das hellviolette Kleid hoch, welches mit hellblauen Blüten bestickt war. „Bestimmt, es sieht wundervoll aus.“, die älteste Schwester lächelte zufrieden, obwohl sie Chiga gerne getadelt hätte: Sie konnte es nicht leiden, wenn die „Modedesignerin in Spe“ so herabfallend redete. Doch selbst mit all’ ihrer Liebe, die Dinge, die Chiga vor Magrets Adoption erlebt hatte, hatten sie unwiderruflich geprägt. Die junge Frau war oft arrogant und versteckte gerne ihre wahren Gefühle hinter ihrem Können. Die Angst, wegen ihres Albinismus diskriminiert zu werden, war einfach zu tief. Mit einen scharfen Blick sah Chiga zu Alice, die neben ihr saß: „Anprobieren.“ „Was, schon wieder?!“, das Hasenmädchen wurde etwas laut, doch sah sie ihre Schwester bittend an: „Ich habe es doch vor 10 Minuten angehabt!“ „Ich muss schauen, wie es wirkt.“, so Chigas knappe Antwort. Tracy schmunzelte, doch tat ihre kleinste Schwester ihr auch etwas leid. Chiga war nun achtzehn Jahre alt und wurde sich immer mehr bewusst, dass sie nach den neuen Gesetzen Paloozas erwachsen war. Vor den Zeiten des Bürgerkrieges wäre sie es schon mit 13 Jahren gewesen, mit ihren ersten Nimmerstraum. Doch da Palooza immer mehr mit dem Festland in Kontakt kam, waren Veränderungen unvermeidbar. Innerhalb von 200 Jahren war die Lebenserwartung der Animo aufs Doppelte gestiegen und sie konnten nun bis zu 75 Jahre alt werden - Die „moderne“ Medizin und Magie machte es möglich. Dabei war Magie im Allgemeinen immernoch für die meisten Animo etwas Unfassbares, verstanden sie doch nicht, wie eine Handbewegung und wenige Worte solche Taten verbringen konnten. Der Bürgerkrieg hatte vieles verändert, dennoch war Palooza in vielen Dingen traditionell geblieben. Es machte Tracy gewissermaßen froh und stolz, eine Animo zu sein: Die umgangssprachlichen „Tiermenschen“ wussten, was sie wollten und nahmen sich nur das Beste von anderen Kulturen heraus. Kurz dachte sie scharf nach: Was für Völker gab es noch einmal auf dem Festland? Menschen, Engel, Dämonen? Mehr fiel ihr momentan nicht ein, obwohl sie im Völkerkunde-Unterricht viel mehr gelernt hatte. Bei eines war sie sich jedoch sicher: Sie würde Palooza niemals verlassen, schließlich war hier das, wofür ihr Herz schlug: Ihre Familie. Sie wandte sich wieder dem Geschenk für Sunny zu - Es war ein Stofftier, ein Chamäleon. Leicht stupste sie die weiche Stoffnase: Ihre Brüder Kiba und Anthony hatten die letzten Wochen in den Ställen der Nachbarn gearbeitet, um es kaufen zu können. Dies hatte noch dazu einen angenehmen Nebeneffekt: Sie hatten Spaß bei der Arbeit und verausgabten sich nicht mehr zuhause, sodass dieses relativ sauber blieb. Tracy musste kurz den Kopf schütteln: Sie waren schon siebzehn Jahre alt, benahmen sich aber dennoch immernoch wie kleine Kinder und demolierten vieles in ihren Raufereien. Sie würden wohl nie erwachsen werden. Der Ältesten lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie sich dann erinnerte, wie die jungen Männer eines Tages blutverschmiert nach Hause kamen. Sie hatten bei einer Schlachtung mitgeholfen, doch sahen sie aus, als wären sie durch ein Schlachtfeld gelaufen, mit den blutigen Beilen in ihren Händen. Es passte zu den Berufswunsch der beiden; sie wollten schon von Kindesbeinen an Soldaten werden und ihrem Land dienen. Ganz gleich, dass sie von ihren Königreichen verstoßen worden waren, sie wollten andere Animo beschützen, lag ihnen das Kämpfen doch gewissermaßen im Blut. Sie hatten sogar den Eignungstest mit Bravour abgeschlossen. Somit würden sie mit ihrer Volljährigkeit der paloozianischen Armee beitreten. Tracy fragte sich stets wozu, schließlich gab es keinen Krieg innerhalb Paloozas und die Konflikte außerhalb der Insel hatten die Animo noch nie besonders interessiert. Dennoch, es war besser, als wenn die beiden das Haus verwüsteten. Schließlich erfüllten die Jungs sich noch dazu ihren Lebenstraum. An Chigas Schreibtisch saß Rain, die ein Buch für Sunny einpackte. Wie sich Alice in den Kleid zum hundertsten Mal drehte, nickte sie zustimmend: „Es sieht gut aus, Sunny wird sich sicher freuen.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich hoffe, Ricci kann sie solange beschäftigen, bis wir hier fertig sind.“ „Bestimmt – Er quatscht sie einfach mit seinen Technikkrams voll, bis sie vollkommen vergessen hat, wie spät es ist!“, meinte Chiga daraufhin, ehe sie zu Alice hochsah: „Bleib so stehen! Die Blume sitzt falsch-“ Alice seufzte nur: „Mir steht lila so gar nicht.“ „Violett.“, Chiga korrigierte sie: „Es ist violett.“ „…Dann steht mir violett nicht.“, Alice hatte spürbar keine Lust, sich mit ihrer älteren Schwester über eine Farbe zu streiten. Als Jüngste hatte man es in einer so großen Familie oft nicht leicht. Manchmal kam es der heranwachsenden, schüchternen Hasendame sogar so vor, dass ihr kleiner Bruder Soa mehr Freiheiten hatte. Nur, weil er ein Junge war, und Tracys Zögling; sie liebte ihn über alles und das war deutlich zu spüren. Zwar war Alice nicht eifersüchtig, doch ihre große Schwester war zu sehr darauf versessen, sie stets im Auge zu haben und sie vor möglichen Schaden zu bewahren. Dabei wollte sie wie jede junge Jugendliche nur eines: Endlich herausfinden, wer sie wirklich war. Sie wollte dafür geliebt zu werden, wer sie war. Doch schien das unmöglich, wenn es solche Ungereimtheiten in der Familie gab. Es gab sogar Tage, wo Alice die Traditionen und Pflichten einer paloozianischen Dame verabscheute. Sie musste sie mit den anderen Mädchen in ihrer Familie von klein auf lernen, doch was hatte das überhaupt für einen Sinn? Schnell und doch liebevoll verpasste Tracy dem verpackten Plüschtier eine Schleife, sodass es auf dem ersten Blick wie eine deformierte Flasche aussah. Anschließend sah sie aus dem Fenster: Die Sonne ging langsam unter und tauchte das weiße Lehmhaus in einen zarten orangen Ton. Wenn Sunny und die anderen ins Bett gingen, würde sie sich mit Rain um Sunnys Geburtstagskuchen kümmern. Die Elfe, und somit einzige Nicht-Animo in der Familie, war nur ein Jahr jünger als Tracy und hatte sie eine Ausbildung als Bäckerin abgeschlossen. Sie war eine exzellente Bäckerin und ihr nächster Schritt war die Fortbildung zur Konditorin. Etwas betrübt senkte Tracy den Kopf: Sie wusste, ihre Mutter wäre stolz auf ihr besonderes Findelkind gewesen. Schließlich war sie gewissermaßen dabei, in ihre Fußstapfen getreten: Magret war gelernte Köchin und Konditorin gewesen. Vielleicht war das auch der Grund gewesen, warum Tracy Rain ihr dunkelstes Geheimnis anvertraut hatte. Ein Geheimnis, was sonst nur ihre Mutter kannte. Sunny stand indes neben Ricci in der kleinen Garage des Hauses und sah ihm zu, wie er eine alte Spieluhr reparierte. Sie liebte diese Spieluhr über alle Maße, war es doch das erste Geschenk von ihren Vater Ben gewesen. Von dem Mann, an den sie sich kaum noch erinnern konnte. Er verließ die Familie noch vor ihren dritten Geburtstag, um in der weiten Ferne zu arbeiten. Nie war er zurückgekehrt und obwohl Magret es nie angesprochen hatte, wussten seine leiblichen Kinder Sunny und Tracy wie von selbst, dass er wohl auf dem Meer gestorben war. Es war das Schicksal der meisten paloozianischen Fischer. Sunny kannte ihn aus seinen Briefen, er musste ein rationaler und wortkarger Mann gewesen sein, denn er schrieb oft das Gleiche. Dennoch hatte Magret stets mit einem warmen Lächeln die Briefe vorgelesen. Die jüngere Lily-Tochter hatte es immer deutlich gespürt, dass ihre Mutter ihren Vater vermisste. Die Spieluhr spielte ihr Wiegenlied. Als kleines Kind hatte Tracy die Melodie immer mit dem Text begleitet und es Sunny zum Einschlafen vorgesungen. Sie tat es immernoch, wenn die Heranwachsende sehr traurig oder krank war, obwohl sie eigentlich zu alt dafür war. Das Lied beruhigte sie doch auf eine ganz besondere Weise, mit einen solch gewaltigen Gefühl von Geborgenheit, als wäre sie nach einem langen Tag endlich zuhause angekommen. Dass die Feder herausgesprungen war, hatte Sunny das Herz gebrochen, dachte sie doch, sie wäre für immer kaputt. Doch glücklicherweise besaß Ricci ein Buch über Spieluhren. Der 15-Jährige kauerte vor Sunny auf dem Boden, um ihn waren die vielen kleinen Einzelteile der Spieluhr verstreut. Mit äußerster Präzision setzte er die Feder wieder ein und schlug dabei etwas mit seinen verkümmerten Fledermausflügeln. Leicht legte Sunny den Kopf dabei schief: Ricci war in der letzten Zeit ziemlich gewachsen und fast genauso groß wie Tracy. Sicherlich würde er noch weiter wachsen. Es war für die weibliche Katzen-Animo dennoch ein komisches Gefühl, dass ihr engster Bruder schon jetzt größer war als sie - Sie kannten sich immerhin seit dem 2. Lebensjahr und waren trotz mancher Komplikationen nahezu unzertrennlich. Stets waren sie gleich groß gewesen, doch seit dem letzten Sommer hatte sich dies geändert. Obwohl Ricci die meiste Zeit im Haus verbrachte und Bücher las, war seine Statur kräftiger geworden, er konnte Sunny nun mühelos hochheben und sich sogar gegen Kiba und Anthony in ihren Spielereien behaupten. Vielleicht lag es daran, dass er gerne den Handwerkern der Kleinstadt aushalf, doch tippte die junge Katzen-Animo eher auf einen Wachstumsschub. Ricci war mehr als wissbegierig – Sein Interesse für Technologien und Maschinen hatten schon des Öfteren dazu geführt, dass Tracy ihn aus Haus und Garage werfen musste, damit er überhaupt etwas frische Luft bekam. Dass er Praktika in den umliegenden Handwerksstätten machte, um sein praktischen Wissen zu erweitern, war der großen Schwester nur Recht. Doch störte es Sunny, sahen sie sich doch dadurch immer weniger - Wenn Ricci zuhause war, so las oder schlief er. Dinge, wobei sie ihn nicht stören wollte, außer, sie brachte ihn etwas zu essen. Umso glücklicher war sie gewesen, als er sich von selbst bereit erklärte, ihre Spieluhr zu reparieren. Vorsichtig klappte der männliche Fledermaus-Animo die Spieluhr zu und drehte die letzten Schrauben ein. Sunny kam nicht um die Frage, wie so große Hände doch solch präzise Arbeit verrichten konnten - Sie waren von Schrammen und Blasen übersät und mit Öl verschmiert. Dennoch waren sie zierlicher als die der anderen Männer der Familie. „Na bitte.“, Ricci hatte die Spieluhr aufgezogen und wieder spielte sie ihre beruhigende Melodie. Sunny schnurrte mehr als beruhigt: „Danke, Ricci!“, ehe sie vorsichtig ihrem Bruder ihren kostbarsten Besitz abnahm. „Kein Problem, Blume.“, er lächelte: „Das ist aber dein Geburtstagsgeschenk.“ „Was?!“, leicht entrüstet sah sie ihn an, auch wenn ihr Herz vor Freude einen Sprung machte: Er war der einzige in der Familie, der sie „Blume“ nannte. Sunny hatte es schon immer geliebt, Geschichten zu schreiben und seit kurzem war sie sicher: Sie wollte später Autorin werden. Sie hatte sich selbst das Pseudonym „The Flower“ gegeben und obwohl es Sunnys größter Wunsch war, hatten alle in ihrer Familie den Namen nur belächelt. Alle, bis auf Ricci. Dafür war sie ihm endlos dankbar und sie liebte diesen Kosenamen über alles. So wusste sie, dass er ihren Wunsch ernst nahm und nicht glaubte, sie könnte es nicht schaffen. Leicht schüttelte Ricci indes den Kopf: „Kleiner Scherz – Du bekommst morgen natürlich noch etwas von mir. Konnte ja niemand ahnen, dass die Spieluhr kaputt ging.“ Sunny nickte und wartete, dass Ricci aufstand und sich den Schmutz des Garagenbodens abgeklopft hatte. Dann umarmte sie ihn kurz: „Du bist ein toller Bruder! Gehen wir noch zum Stadtbrunnen?“ Doch schüttelte der junge Mann den Kopf und pustete sich sogleich die langen lila Haare aus dem Gesicht: „Ich muss noch etwas nachlesen.“ „Oh…“, in Sunnys Gesicht war deutlich die Traurigkeit abzulesen, doch lächelte sie leicht: „Na gut…Dann frage ich Soa, Vielen Dank noch mal!“ „Bitte…“, flüsterte Ricci, da war seine Schwester auch schon verschwunden. Leicht seufzte er und schlug die Hand vors Gesicht: Er hasste es, sie anzulügen. Er prüfte mit seinen empfindlichen Ohren, ob sie auch wirklich gegangen war, dann drehte er sich leicht um. Hinter alten Kartons hatte er Sunnys Geburtstagsgeschenk versteckt: Es war eine kaputte Schreibmaschine, die er vom Schmied der Kleinstadt geschenkt bekommen hatte. Sie war schon zu Beginn ziemlich ramponiert gewesen und immernoch klemmten einige Tasten. Die Tinte lief aus der Maschine aus, wenn er sie falsch anhob und überall waren kleine Dellen und Rostflecken. Ja, es gab noch viel zu tun bis morgen früh. Er stellte die Maschine auf dem Werktisch und seufzte: „Wie kann man mit so etwas Wunderbaren so schlampig umgehen?“ Zugegeben, auf dem Festland waren Schreibmaschinen sicher nichts Neues: Zwar waren sie dort ebenfalls sehr teuer, weil es sie noch nicht so lange gab, doch es gab dort auch Geschäfte, die sich ausschließlich auf den Schreib- und Kunst-Bedarf spezialisiert hatten. Auf Palooza hingegen gab es so etwas nicht – Wenn man Papier, Tinte oder Feder brauchte, kaufte man sie an der öffentlichen Schule. So wirkte die silberne Maschine etwas wie eine Bombe, die bei der falschen Tastenkombination zu explodieren drohte. Ricci wusste selbst zunächst nicht, wie sie funktionieren sollte und manche Dinge waren ihn immernoch nicht ganz klar - Warum lief immer wieder die Tinte aus? Leise murmelte er: „Manche haben echt kein Respekt vor der Technik.“, ehe er ein mit Benzin getränktes Tuch nahm und versuchte, die Rostflecken zu entfernen. Er wusste, er musste fertig werden. Schließlich war sie nicht nur sein Geburtstagsgeschenk an Sunny, sondern auch sein Abschiedsgeschenk. Während er immer kräftiger auf den Rostfleck einrieb, schob er seine Brille etwas höher auf die Nase: Wenn er an morgen dachte, brannten ihn die Augen und ein beklemmender Schmerz schnürte ihn die Brust zu. Doch er konnte nicht anders, es musste sein. Es wurde Abend. Wie die Sonne vollständig untergegangen war, machte sich der Großteil der Familie Lily daran, ins Bett zu gehen. Während Tracy mit Rain in der Küche stand, um schon einmal alles für den Kuchen vorzubereiten, konnte sie Kiba und Anthony bei ihrer allabendlichen Rauferei im Badezimmer hören: Anscheinend stritten sie sich um das Waschbecken. „Jungs, ruhe jetzt!“, rief sie durch das sonst recht stille Haus, doch half es nichts. Der Krach ging weiter. Rain kramte indes in einen der Küchenschränke: „Du weißt doch, sie werden erst aufhören, wenn einer eine Schramme hat oder-.“ Ein lautes Scheppern erfüllte das Haus, dicht gefolgt von einen gemeinsamen Fluchen. Die Elfin schmunzelte: „oder etwas zu Bruch geht.“ „Du hast ja Recht – Trotzdem kriegen die morgen eine Strafarbeit aufgebrummt.“ „Wenn ich so überlege, der Dachboden müsste mal wieder aufgeräumt werden…“, fing die Bäckerin an, ehe die Älteste zustimmte: „Gute Idee!“ Sogleich lächelten die jungen Frauen zufrieden. In diesem Moment kam Soa herein: Der junge Beagle-Animo war nun neun Jahre alt und schien mit jeden Tag nur noch mehr zu wachsen. Tracy musste sanft lächeln, wie sie ihn in seinen Schlafanzug sah: Wenn sie daran dachte, wie klein und hilflos er doch noch vor einiger Zeit gewesen war. Seine leiblichen Eltern hatten ihn wegen eines alten Aberglaubens vollkommen vernachlässigt, doch schien sich letztlich alles zum Guten gewendet zu haben: „Guten Abend Soa.“ „Guten Abend.“, schnell setzte sich der kleine Junge auf einen der Küchenstühle und ließ die Beine baumeln: „Backt ihr nun den Kuchen für Sunny?“ Tracy nickte, ehe sie ihn eine Tasse mit dampfenden Tee hinstellte und eine Decke über ihn fallen ließ: „Du erkältest dich noch, trink deinen Gute-Nacht-Tee und dann geht’s in die Federn.“ „Ach Tracy, das ist doch doof- Ich möchte euch viel lieber helfen, den Kuchen zu backen!“ Scharf sah die Katzen-Animo ihren jüngsten Bruder an, doch dieser parierte ihren Blick ganz gelassen: „Ihr braucht bestimmt jemanden, der die Zutaten abmisst und ich koste auch gerne vor.“ „Das hättest du gerne, du olle Naschkatze.“, glücklich wuschelte sie ihn durch die blonden Locken und brachte sie so ordentlich durcheinander: „Trink aus, dann singe ich dir noch etwas vor.“ Soa hatte seine kleine Tasse in den Händen und meinte: „Das brauchst du nicht.“ Daraufhin blinzelte sie ihn leicht erstaunt an: Sonst konnte er nie auf sein Abendlied verzichten. Versuchte er etwa, ein großer Junge zu sein? Da fügte er leise hinzu: „Bekomme ich einen Gute-Nacht-Kuss?“ „Sicher.“, zufrieden schnurrte sie und gab ihn einen Kuss auf die Wange. Ein allzu großer Junge war er anscheinend doch noch nicht. „Du, Tracy…Glaubst du, Sunny mag mein Geschenk?“, in der hellen Stimme des Jungen konnte man Sorge hören: „Die anderen haben so tolle Geschenke…“ „Keine Sorge Soa.“, Tracy wickelte die Decke fester um ihren kleinen Bruder und drückte ihn einen weiteren Kuss auf seine Löckchen: „Ich bin mir sicher, Sunny wird sich am meisten über dein Geschenk freuen, schließlich bekommt nicht jeder eine Blumenwiese zum Geburtstag.“ Leicht wurde der Beagle-Animo rot um die Nase, ehe er nickte: „Danke. Es war gar nicht so einfach, so viele Blumen zu malen.“ Dann rutschte er langsam vom Küchenstuhl herunter: „Gute Nacht Tracy, Gute Nacht Rain.“ Während seine Schwestern ihn eine Gute Nacht wünschten, ging er leise den schwach beleuchteten Flur entlang, zu dem Zimmer von sich und Tracy, was im Erdgeschoss lag. Ein paar Mal zuckte die große Schwester mit ihren Katzenohren, um sicherzugehen, dass er auch wirklich ins Bett gegangen war. Daraufhin sah sie seufzend zum Küchenschrank, indem die Geburtstagsgeschenke versteckt waren. „Du machst dir wohl immernoch Gedanken wegen Flüge, was?“, Rain goss zwei Milchtüten in eine große Schüssel: „Ist bei deiner Fürsorge auch nicht zu übersehen.“ „Er ist schon neun, natürlich mache ich mir Sorgen.“, sie fasste sich nervös an den Nacken: „Flüge“ war eine paloozianische Kinderkrankheit, die jeden Animo vor seinen 10. Lebensjahr befiel. Sie war an sich nicht gefährlich, doch konnte eine falsche Behandlung dennoch zum Tod führen. Tracy wusste, dass die Krankheit nach dem ersten Nimmerstraum jedoch noch lebensgefährlicher sein konnte: „Wobei es noch schlimmer wäre, wenn er es gar nicht bekommen würde- Ich möchte einfach, dass der Ausbruch nicht allzu schlimm wird.“ Sie ließ sich neben Rain auf einen der Küchenstühle fallen und griff nach den Äpfeln, um sie zu schälen und kleinzuschneiden: „Findest du nicht auch, er hat sich etwas verändert…?“ Rain konnte daraufhin nur lächeln: „Nun ja, er kommt eben ganz nach dir.“ „Was meinst du damit?“ „Ich meine, er ist genauso talentiert mit schwierigen Situationen umzugehen wie du.“, sie kippte eine ganze Packung Mehl in die Schüssel: „Mit drei Jahren konnte er kein Wort sprechen und heute ist er schon jetzt in manchen Situationen klüger als unsere beiden Chaoten.“ Sie zerknüllte die leere Packung, warf sie auf dem Tisch und griff sogleich nach der nächsten: „Das ist kein Wunder, schließlich hast du ihn zum Großteil erzogen.“ Das Oberhaupt der Familie nickte nur kurz, auch wenn sie etwas verlegen war: „Das stimmt schon…“ Sie musste schlucken, denn die folgenden Worte fielen ihr schwer, hatte sie doch zu große Angst, sie könnte mit ihrer Befürchtung Recht haben: „…doch ich meine im letzten Jahr, seit Mums Tod…Kommt es mir nur so vor, oder ist er erwachsener geworden?“ Rain sah ihre große Schwester verwundert an, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf: „Das stimmt schon, aber wir sind alle ein kleines bisschen erwachsener geworden – Vor allen du.“ „Was? So ein Unsinn, ich bin doch wie immer!“, wenn Tracy ehrlich war, war es auch das, was ihr Sorgen bereitete. Ihr schien, als würden ihre Geschwister immer selbstständiger werden - Mit jeder Sekunde, die sie nicht zuhause verbrachte, sondern als Sängerin unterwegs war, um den Großteil des Geldes zu verdienen. Zwar hatte dies etwas Gutes, denn sie brauchte sich keine Sorgen um sie zu machen. Sie wusste, sie würden aufeinander Acht geben. Dennoch war es ein unberuhigendes Gefühl, das sich durch ihren ganzen Körper zog. Schließlich hatte der Großteil ihres Lebens aus der Aufgabe bestanden, an der Seite ihrer Geschwister zu sein. Sie vor den Gefahren des Lebens zu beschützen. Höchstwahrscheinlich war es nur eine Art Heimweh. Das ungewohnte Gefühl, nicht mehr jeden Augenblick mit ihren Geschwistern verbringen zu können. Dennoch konnte sich Tracy keinen Reim darauf bilden. Besonders nicht bei Soa. „Findest du?“, eine andere Stimme erklang. Es war Oto, der von seinen Abendkurs zurückgekehrt war. Seiner Unhöflichkeit bewusst werdend, wurde seine Stimme etwas leiser: „Uhm…Abend.“ „Abend.“, so Rain, die dann anfing zu husten, weil ihr etwas Mehl in die Lunge geraten war: „Verdammt!“, doch fügte sie ein „I-Ist alles okay, Oto!“ hinzu, um den Panda-Animo zu beruhigen. „O-kay.“, sofort veränderte sich der besorgte Gesichtsausdruck des jungen Mannes, ehe er weitersprach: „Ich finde, du…du bist auch reifer geworden, Tracy.“ „Danke, ihr zwei.“, Tracy lächelte, ehe sie die geschnittenen Apfelstücke in eine Schüssel gab: „Doch ich bin wirklich immernoch die selbe.“ Oto legte zunächst die Ledertasche und seine Jacke ab, ehe er sich mit zurückhaltender Haltung hinsetzte und weitersprach: „Du…sorgst für uns und…du arbeitest so hart, damit wir es weiterhin so gut haben…“ Rain nickte, dabei wandelte sich ihr fröhlicher Gesichtsausdruck in Sorge: „Das stimmt. Wenn ich ehrlich bin, siehst du auch ziemlich müde aus.“ Tracy zuckte daraufhin nur mit ihren Schultern: „Mum war auch oft müde, das ist schon okay.“ „Trotzdem, du solltest mehr auf dich aufpassen.“, Rain sah zu Oto und stemmte die Hände in die Hüften: „Kannst du ihr nicht sagen, sie soll ins Bett gehen?! Du bist doch Arzt, verordne ihr Bettruhe!“ Der Panda-Animo lief daraufhin im Gesicht rot an, ehe er heftig den Kopf schüttelte: „Ich…Ich bin noch in Ausbildung!“ „Rain meinte das auch nur als Scherz.“, mit ihren Katzen-Schweif piekte Tracy ihrer Schwester so oft in die Seite, sodass diese nicht anders konnte, als zu lachen: „Ah! Ist ja gut! Es tut mir Leid! Hör auf!“ „A-Achso.“, Oto stand vorsichtig auf und holte sich eine Tasse Tee, um sich zu beruhigen: „Das war gemein….Rain…“ Oto wurde des Öfteren so zur Rede gestellt. Er wusste zwar, dass seine Geschwister dies taten, um ihn auch den Umgang mit seinen späteren Patienten zu erleichtern, nichtsdestotrotz fiel es den zurückhaltenden jungen Animo schwer, offen zu sein. Er wusste, irgendwann würde er es lernen müssen - Jedoch hatte er insgeheim gehofft, es würde wie von selbst passieren. Schließlich war er gerade mal im ersten Jahr seiner Ausbildung. Bis er ein vollständiger Arzt war, war noch lange Zeit. Manchmal beneidete er seine Brüder Phil und Ricci: Sie waren zwar auch sehr ruhig und zurückhaltend, doch schien es nicht wie ein Bann auf ihnen zu liegen und jedes Wort nicht ihnen die Kehle zu zuschnüren. Ihnen das Leben in jeder erdenklichen Weise zu erschweren. Phil redete einfach von sich aus wenig und Ricci war für einen Mann einfach nur überaus höflich. Trotz seiner Schwierigkeit, kontaktfreudig zu sein, wollte Oto dennoch Arzt werden, denn die Tatsache, seine Eltern und seine Adoptivmutter durch das medizinische Versagen verloren zu haben, konnte er nicht gutheißen. Nie wieder wollte er jemanden deswegen verlieren. Nie wieder sollte jemand diese tiefe Leere spüren müssen. Oto war sich sicher, im Grunde genommen konnte die Medizin alles heilen. Er war sich sicher, sie hätten gerettet werden können… „Es tut mir ja leid!“, wieder entschuldigte sich Rain mit einen Lächeln, ehe sie ihre Hüfte rieb: „Doch zurück zum Thema: Natürlich sind wir alle erwachsen geworden, schließlich ist der Großteil auch schon alt genug, um für sich selbst zu sorgen.“ Tracy schüttelte den Kopf: „Nur zum Teil – Phil und Jim wissen immernoch nicht, was sie machen wollen.“ „Tze, Jim!“, die Elfin wedelte mit einen Holzlöffel: „Er weiß doch generell nicht, was er will. Ständig treibt er sich herum, die Nachbarn denken schon seit Jahren, er versetzt sich irgendwo in Rausch.“ „Ich weiß.“, leise seufzte Tracy: „Doch das tut er nicht, also ist es in Ordnung...Irgendwie.“ Jim war stets das Sorgenkind der Familie gewesen. Stets rebellisch, hatte er nie auf Magret oder Tracy gehört und hatte den Hausunterricht die meiste Zeit geschwänzt. Er sprach auch eher selten mit seinen Geschwistern und schien wie ein Fremder in seiner eigenen Familie. Ohne zu wissen, wer er war und was er konnte, was sollte bloß aus ihm werden? „Alice und Sunny wissen es auch nicht…nicht ganz.“, meinte Oto, ehe er hinter der Tasse verschwand und einen tiefen Schluck nahm. Tracy und Rain nickten zustimmend, doch antwortete die Katzen-Animo: „Doch die beiden sind ja auch noch jung. Ein paar Jahre haben sie noch Zeit, genau wie Soa.“ Dann fügte sie mit einen tiefen Atemzug hinzu: „Ich werde für euch solange sorgen, wie es nötig ist.“ Leicht melancholisch senkte sie den Kopf und kippte die restlichen Äpfelstücke zu den anderen: Schließlich hatte sie es ihrer Mutter versprochen. Sie hatte Magret am Sterbebett versprochen, auf ihre Geschwister aufzupassen. Koste es, was es wolle. Der etwas wenige Schlaf würde sie schon nicht umbringen. Schließlich war es nahezu ihre Bestimmung, auf ihre Geschwister Acht zu geben. Darauf konnte Rain nur lächelnd den Kopf schütteln: „Groschen, wir sind doch keine kleinen Kinder mehr.“ „Für mich schon.“, die junge Katzen-Animo schnurrte schwach auf: „Ihr werdet für mich immer meine kleinen Geschwister bleiben.“ Als der nächste Tag hereinbrach und die ersten Sonnenstrahlen Tracy die Nase kitzelten, öffnete sie schwerfällig die Augen. Sie hatte zwar fünf Stunden geschlafen, doch kam es ihr wie eine einzige vor. Sie sah in das schwache Sonnenlicht und sofort kamen ihr die Dinge in den Sinn, die noch gemacht werden mussten: Der Esstisch musste noch gedeckt, die Geschenke aus den Schrank geholt werden. Der Kuchen musste aus dem Kühlfach im Keller und die fünfzehn Kerzen aufgesteckt werden. Sie musste dafür sorgen, dass alle rechtzeitig aus den Federn kamen, damit Sunny die letzte war, die im Esszimmer erschien. Glücklicherweise schlief ihre leibliche Schwester oft wie ein Stein und dementsprechend lange. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb sie nicht sogleich aufsprang, sondern ihren Arm fester um Soa legte: Der Kleine musste zu ihr ins Bett gekrochen sein. Oder war er dort schon die ganze Nacht und sie hatte es in ihrer Müdigkeit bloß nicht gemerkt? „Ist ja auch egal.“, dachte sie sich, ehe sie kurz mit der Nase zuckte, um seinen Geruch aufzunehmen. Zwar mochte Tracy ihre Arbeit als Sängerin sehr, denn sie erfreute ihre Kunden und sah viel von Palooza. Sie konnte ihre Familie auf eine Weise ernähren, die nicht allzu schlimm bzw. unangenehm für sie war. Dennoch, besonders die Trennung von Soa fiel ihr immer wieder schwer. Manchmal sah sie ihren kleinen Bruder über zwei Wochen nicht, was für sie wie eine Ewigkeit erschien. Für ihn sicherlich auch, weshalb sie ihn immer wieder verzieh, dass er zu ihr ins Bett kam - An sich hatte sie es ihm verboten, schließlich schliefen sie schon im selben Zimmer. Resignierend seufzte Tracy auf: Rain hatte Recht, sie wurden alle nach und nach erwachsen, und Soa wuchs mit jeder schwierigen Situation über sich hinaus. Doch die Tatsache, dass er in ihrer Abwesenheit immer größer wurde, tat ihr weh. Sie wusste es, vor einen Jahr war er noch viel naiver und unbekümmerter gewesen. Er konnte damals eine richtige Heulsuse und Nervensäge sein, doch war dieses kindliche Verhalten einer Vernunft gewichen, die sie manchmal vergeblich in ihren älteren Brüdern suchte. Was war, wenn er bei ihren nächsten Wiedersehen gar kein Gute-Nacht-Kuss mehr wollte? An sich kannte Tracy diese Phase von ihren anderen Geschwistern. Doch war sie früher um einiges langsamer, weil sie jeden Tag mit den jüngsten Geschwistern verbracht hatte. Nun kam sie nach zwei Wochen wieder nach Hause und Soa hatte plötzlich angefangen, Flöte zu spielen. Er hatte begonnen, sich sein Taschengeld bei den Nachbarn zu verdienen, indem er ihnen im Garten half. Ihr kleiner Bruder wurde so unheimlich schnell groß. So schnell, dass sie es kaum fassen konnte. „Tracy…?“, leicht verschlafen murmelte der kleine Beagle-Animo ihren Namen und drückte sich an sie: „Ist es schon morgen…?“ „Ja…“, vorsichtig strich sie ihn durchs Haar: „Es ist morgen.“ „Heute ist Sunnys Geburtstag!“, langsam wachte der Verstand unter den vielen Locken auf und Soa sah Tracy mit großen Augen an: „Wir müssen schauen, ob sie schon wach ist!“ Vorsichtig legte die Älteste ihren Zeigefinger auf seine Lippen und flüsterte: „Wir wecken erstmal die anderen und machen alles bereit. Wir müssen ganz leise sein.“ Verständnisvoll nickte Soa: „Okay.“ Wie Sunny mit einen kräftigen Atemzug alle ihre Kerzen auspustete, wünschte sie sich das, was sie sich jedes Jahr wünschte: Sie wünschte sich, dass dieses Jahr etwas Aufregendes passieren würde. Doch dass ihr Wunsch so bald in Erfüllung gehen würde, daran hätte sie nicht geglaubt. Selbst dann nicht, wenn man ihr es gesagt hätte, denn in ihren Augen war jeder Tag mit ihrer großen Familie aufregend. Wie die zwölf Geschwister am Esstisch saßen und ihre Stücke Kuchen aßen, merkte Sunny, dass Ricci sein Stück kaum anrührte: „Alles okay?“, in ihrer Stimme war die Sorge deutlich zu hören, denn um Riccis Augen zeichneten sich dicke Augenränder und er schien geistig etwas abwesend. Doch nickte der männliche Fledermaus-Animo mit einen Lächeln: „Ja, ich habe nur keinen großen Appetit auf Kuchen.“ „Du schläfst halb in Stehen!“, so Kibas frecher Kommentar: „Hast du dir wieder die Nacht um die Ohren geschlagen?“ Daraufhin warf Ricci seinen älteren Bruder einen genervten Blick zu: „Na und? Passt doch zu mir, nicht?“ „Ja, zu einen-.“, weiter konnte er nicht sprechen, denn Anthony nahm in diesen Moment sein Stück Kuchen: „Hey!“ „Du hast deine Deckung vernachlässigt. Wären wir im Krieg, wärst du nun tot.“ „Jungs, keine Kriegsgespräche am Tisch, ich habe es euch schon tausendmal gesagt.“, Tracy hob warnend den Zeigefinger: „Das verdirbt jeden den Appetit.“ „Zum Glück ist es keine rote Kirschtorte.“, witzelte Kiba, während er seinen Freund und Bruder wegdrückte und sein Kuchenstück mit einen gezielten Biss zurückeroberte. Sunny und Alice mussten daraufhin kichern, denn nun hatte ihr Wolfsbruder sein ganzes Stück im Mund und sah höchst deformiert aus. Ricci sah in diesem Moment zu seiner geliebten Schwester und seufzte. Leicht schob er seinen Stuhl vom Tisch weg und meinte: „Ich denke, ich gebe dir jetzt dein Geschenk.“ „Aber Ricci, es sind doch noch gar nicht alle mit essen fertig.“, so das Geburtstagskind. „Doch ich kann nicht mehr warten, Blume.“, er lächelte: „Ich möchte wissen, wie du es findest, ich habe die ganze Nacht daran gearbeitet.“ In seinen Inneren verfluchte Ricci sich für seine Worte, denn sie waren gelogen. Er konnte nur nicht mehr warten. Er musste es ihr sagen. Er musste es ihnen allen sagen. Sonst drohte die Ungewissheit in ihn zu zerspringen. „Du hast mir etwas gebaut?“, sie klang überrascht, obwohl Ricci ihr schon des Öfteren eine technische Eigenkreation geschenkt hatte. Mit einem bittenden Blick sah sie zu Tracy, die nur lächelnd meinte: „Es ist dein Tag, Sun. Tu’, was immer du willst.“ Die Älteste war insgeheim ebenfalls gespannt, warum Ricci die Nacht durchgemacht hatte. Als sie mit Soa vor wenigen Stunden in die Küche kam, saß ihr Fledermaus-Bruder über das fertige Geschenk gebeugt am Tisch – und schlief. Selbst wenn er ein nachtaktiver Animo war, es war nicht seine Art, solange aufzubleiben, bis er in einen komatösen Schlaf verfiel. Noch dazu war er äußerst gewissenhaft, für normal hatte er Sunnys Geschenk immer vor allen anderen fertig. Was war bloß los mit ihm? In kindlicher Manier lächelte Sunny auf Tracys Kommentar hin und warf die Hände in die Luft: „Juhu! Geschenke!“ Dann kicherte sie: „Entschuldigt, das wollte ich schon immer mal machen.“ Ricci lächelte ebenfalls und zog unter dem Tisch das verpackte Geschenk hervor. Vorsichtig setzte er es vor Sunny ab, ehe er ihr einen Kuss auf die Wange gab: „Alles Gute zum Geburtstag.“ „Danke.“, leicht wurde sie rot, denn der letzte Wangenkuss ihres Bruders war schon eine Ewigkeit her. Es war kein Wunder, denn an sich waren sie schon viel zu alt dafür und Außenstehende konnten ihr inniges Verhältnis leicht missverstehen: Waren sie nun Geschwister oder doch Liebsten? Mit äußerster Vorsicht riss sie das viele Papier von der Schreibmaschine, bis sie vollkommen zu sehen war. Sie sah die Maschine an, gab dann ein leichtes „Oh“ von sich und blickte nunmehr fragend zu ihren Bruder: „Das ist eine wirklich schöne…?“ „Eine Schreibmaschine.“, über ihre Unwissenheit konnte Ricci nur mehr schmunzeln. Er konnte es in seinem Nacken spüren, dass seine gesamte Familie mehr als verwundert über sein Geschenk war. So setzte er seine Erklärung fort: „Eine Maschine, mit der man um einiges schneller Dinge verfassen kann als per Hand, warte, ich zeige es dir.“ Schnell nahm er ein Stück Papier aus dem naheliegenden Sekretär und drehte es in die Spule ein: „So – Jetzt tippst du die Wörter, die du schreiben willst, mit jeden Buchstaben, ein.“ Schnell tippte er einen Satz. Einen entscheidenden Satz. Der Satz, der ihn schon seit Wochen in seinem Kopf kreiste, doch hatte er nie einen Moment gefunden, ihn auszusprechen. Die ganze Arbeit an dieser Maschine ermöglichte es ihn, es so schnell zu schreiben, dass Sunny es erst nicht realisierte. Freudestrahlend über das Geschenk, und der Tatsache, dass sie so ihren Traumberuf ein kleines Stück näher kommen konnte, umarmte sie Ricci: „Danke Ricci! Das ist eine wunderbare Erfindung von dir!“ Er senkte den Kopf und sagte mit äußerster Bitterkeit in seiner Stimme: „Ich habe sie nicht erfunden. Sunny…Bitte lies vor, was ich geschrieben habe.“ Verwundert sah Sunny auf, in Riccis Gesicht, dass eine Mischung aus Ernst und Traurigkeit widerspiegelte. Sie konnte nicht verstehen, warum er plötzlich so empfand - War ihr Geburtstag nicht ein Grund zur Freude? Hatte er so schwer an der Maschine gearbeitet, dass die Müdigkeit keine Freude mehr zuließ? Was hatte sie falsch gemacht, dass er nun so reagierte? Sie lenkte ihren Blick auf das weiße Stück Papier, auf den mit schwarzer Tinte vier Wörter standen: „Ich werde Palooza verlassen.“ Noch mehr verwirrt stand Sunny auf und flüsterte: „Ricci…? Stimmt das…?“ Er kniff die Augen zusammen: “Ganz Recht - Ich werde Palooza verlassen und nach Destercity gehen, um eine Ausbildung zu beginnen.“ Darauf folgte eine unangenehme Stille, hofften die Geschwister wohl doch, es wäre ein makaberer Scherz von ihm gewesen. Doch sie kannten Ricci – Er machte keine Scherze über solche Dinge. Dinge, die die kleine heile Welt der Familie durcheinander warf; die zwölf Geschwister, die durch ihre eigenen und gemeinsamen Schicksalsschläge bisher unzertrennlich waren, würden nicht mehr vereint sein. Leise fügte er hinzu: „Ich wusste nicht, wann ich es euch allen sagen sollte und einzeln wollte ich das nicht…“ Er sah zu Sunny und sah, wie sich ihre großen hellblauen Augen mit Tränen füllten. Behutsam nahm er sie in seinem Arm und flüsterte: „Es tut mir Leid, Blume. Schrecklich leid.“ „Aber Ricci…Destercity…“, noch etwas sprachlos begann Tracy, etwas zu sagen, war es doch gewissermaßen ihre Pflicht. Sie musste ihre Geschwister vor eventuellen Dummheiten beschützen: „Das ist die Hauptstadt von Desteral, richtig? Das ist ziemlich weit weg-.“ Noch weiter weg, als sie durch ihre Arbeit als Sängerin je war. Jenseits der Grenzen von Palooza, auf dem Festland. In ihren Ohren klang es nach glattem Wahnsinn und einer riesigen Dummheit, die Ricci vorhatte - Wie kam er nur darauf? „Ich weiß, aber ich habe festgestellt, dass es in Desteral so viele Techniken gibt, die uns noch vollkommen fremd sind.“, Ricci schlug kurz mit seinen Flügeln auf: „Zum Beispiel diese Schreibmaschine. Auf dem Festland ist so etwas schon lange Gang und Gebe.“ „Und wie kommst du nun ausgerechnet auf Destercity?“, nun begann auch Phil, nachzuhaken. „Nun ja – Es ist die fortschrittlichste Stadt auf dem Festland. Es gibt dort riesige Fabriken, zehnmal so groß wie unser Haus, mit Maschinen, die die ganze Arbeit eines Dorfes verrichten können. Es gibt auch ein Ärztezentrum, für die Forschung und Weiterentwicklung der Medizin.“ In diesem Moment wurde Oto kurz hellhörig, doch sagte er nichts. Ehe seine Geschwister nachfragen konnten, sprach der Fledermaus-Animo weiter: „Ich weiß, es kommt euch sicher unrealistisch vor, ich kann es selbst noch nicht ganz glauben.“ Er strich Sunny durch das lange weiße Haar. Seine geliebte Schwester war die ganze Zeit über still und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Er wusste, er musste Palooza verlassen. Er konnte nicht anders, doch hasste er sich auch zum Teil dafür. Schließlich ließ er sie alleine zurück: „Doch ich möchte mich weiterentwickeln – Das kann ich auf Palooza nicht. Ich kenne unsere Techniken in und auswendig.“ Leise fügte er hinzu: „Ich habe schließlich den Großteil meines Lebens damit verbracht.“ Nahezu sein ganzes Leben hatte Ricci mit den Techniken Paloozas verbracht. Dennoch reichte dieses Wissen nicht aus, um seinen Lebenstraum zu erfüllen: Eine Maschine, die ihn mit seinen verkümmerten Flügeln auf weite Distanz fliegen ließ. „Doch ist es nicht gefährlich auf den Festland?!“, Chiga schnaufte kurz auf: „Wir fallen dort auf wie bunte Hunde!“ „Ja, das stimmt – Doch das ist auch alles. Arcaner und Mondengel fallen dort genauso auf wie wir, weil sie recht selten sind, und sie leben dennoch dort. Außerdem ist in Desteral Frieden, genau wie hier. Ganz hilflos bin ich auch wieder nicht.“ „Gegen uns verlierst du aber immernoch.“, so Kiba mit einen leichten Grinsen. „Ihr schummelt ja auch – Zwei gegen einen ist unfair.“, entgegnete er. „Ricci…“, Tracy stand langsam auf: „Ich…“ In diesem Moment hätte sie ihn am liebsten Stubenarrest gegeben und auf sein Zimmer geschickt. Doch Ricci war mittlerweile fünfzehn, nach altem paloozianischen Gesetz mündig und frei, seinen Weg zu gehen. Was wäre sie für eine große Schwester, wenn sie nicht die Wünsche ihrer Geschwister akzeptierte? Sie wusste es: Keine besonders Gute. Sie konnte ihn nicht ewig festhalten, das war ihr schon seit Längerem bewusst. Dennoch, sie hätte nicht gedacht, dass der Moment so schnell kommen würde…Immer mehr kam in ihr die Frage auf, was ihre Mutter wohl getan hätte – Hätte sie ihr erstes Adoptivkind einfach so ziehen gelassen? Warum musste es ausgerechnet das Festland sein? Diese Entfernung machte es ihr besonders schwer, seinen Wunsch zu akzeptieren: „…Du wirst dann eine ganze Weile nicht mehr nach Hause kommen, oder?“ Zögerlich nickte er: „Höchstwahrscheinlich erst, wenn ich meine Ausbildung abgeschlossen habe – Das kann bis zu drei oder vier Jahre dauern.“ „Drei Jahre?!“, Soa sah Ricci mit großen Augen an: „Dann wirst du vielleicht meinen ersten Nimmerstraum verpassen!“ „Ich weiß…“, er senkte den Kopf: „Tut mir Leid, Soa.“ Tracys Herz schlug ihr bis zum Hals, denn in ihr kochten verschiedenste Gefühle hoch: Sie war wütend, dass Ricci Sunnys Geburtstag auf diese Weise ruiniert hatte. Sie war traurig, dass er wirklich vorhatte, die Familie zu verlassen. Sie war verwirrt, denn sie wusste nicht, ob sie das Recht hatte, ihn es zu verbieten. Ein kleiner Teil in ihr war sogar glücklich und stolz. Stolz darüber, dass Ricci den Mut hatte, eine schwerwiegende Entscheidung für sich allein zu fällen. Glücklich, dass er reif genug war, seinen eigenen Weg zu gehen. Doch hatte sie auch Angst - Angst, ihn könnte etwas zustoßen und sie als große Schwester versagen. Was sollte sie tun? Wenn sie ihn hier behielt, würde er ihr das womöglich nicht verzeihen. Er würde womöglich niemals so glücklich werden wie mit den Erfahrungen, die er in Destercity sammeln konnte. Langsam senkte sie ihren Blick: „Ich akzeptiere deinen Wunsch, Ricci. Doch bitte, pass auf dich auf und schreib uns, ja?“ Überglücklich über das Segen seiner ältesten Schwester nickte er: „Das werde ich tun, versprochen.“ Behutsam zog er Sunny von sich und sah in ihre verweinten Augen: „Sei nicht allzu traurig, ja? Es ist kein Abschied für immer.“ „Du bist blöd!“, sie schluchzte hell auf und schlug ihn mehrmals auf die Brust: „Wir waren noch nie getrennt und jetzt verschwindest du gleich für mehrere Jahre!“ Ihre Worte versetzten ihn einen Stich ins Herz. Es war für ihn auch nicht einfach, seine Familie zu verlassen. Dennoch, er wollte sich seinen Lebenstraum erfüllen. Dafür musste er gewisse Opfer bringen. Das größte Opfer war es, von Sunnys Seite zu weichen, doch war es ihm vollkommen bewusst, dass er sie nicht mitnehmen konnte. Es gefiel ihn genauso wenig wie ihr, doch war sein Wissensdurst und die Neugier stärker. Irgendwann würde er zurückkommen und solange würden sie den Kontakt nicht verlieren. Sie durften es nicht - Anderenfalls würde er es sich nie verzeihen. Leise meinte er: „Es tut mir Leid, doch ich möchte eines Tages fliegen können. Das ist schon immer mein Traum gewesen, erinnerst du dich?“ Stumm nickte Sunny, dann sah sie schmollend zur Seite. „Ich hab’ dich sehr lieb.“, Ricci strich mit seiner linken Hand einige ihrer Tränen weg: „Bitte Sunny, bitte hör auf zu weinen und lächele.“ Sunny sah zu Ricci auf: Sie wollte nicht, dass er geht. Die Vorstellung, ohne ihn in ihrer Nähe weiterzuleben, kam ihr skurril vor. Als würde jemand das Sonnenlicht aus ihren Leben nehmen, was sie so sehr liebte. In Riccis braunen Augen spiegelten sich die Traurigkeit des Abschieds und gleichzeitig der Wunsch fortzugehen deutlich wieder. Sunny spürte es deutlich, ohne ihre Zustimmung würde er nicht gehen. Er würde sich seinen Traum nicht erfüllen. So sehr liebte er sie. Obwohl sie kaum in der letzten Zeit zusammen waren…Konnte sie es übers Herz bringen, ihn seinen Lebenstraum zu verwehren? Obwohl er doch so hart dafür gearbeitet hatte? Ihr Blick fiel auf die Schreibmaschine, die in der Mittagssonne glänzte… Leise sagte sie mit weinerlicher Stimme: „Ich hab dich auch lieb.“ Sie senkte etwas ihren Kopf, dann formten langsam ihre Lippen ein trauriges und sogleich hoffnungsvolles Lächeln: „Pass auf dich auf, Ricci.“ Sie wusste, es war falsch, ihm seinen Wunsch zu verwehren. Schließlich wusste sie nicht, was ihre eigene Zukunft so brachte. Vielleicht würde sie ebenfalls irgendwann das Familienanwesen verlassen und weit in die Welt ziehen. So konnte sie nur hoffen, sie würden sich bald wiedersehen. Wie Ricci sie umarmte und vielmals sagte, wie glücklich und dankbar er sei, schnurrte sie schwach auf. Dennoch liefen ihr die Tränen über die Wangen: Sie vermisste ihn jetzt schon. Die Zeit ging ihren gewohnten Lauf. Wie Ricci nach Destercity gereist war und jede Woche einen Brief schrieb oder sogar zuhause anrief, hatte die Krankheit „Flüge“ Soa gnadenlos in ihren Bann. Glücklicherweise hatte Tracy in der letzten Zeit genug gearbeitet, sodass sie eine Pause machen konnte. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie mehr schlief, eher im Gegenteil: Tag und Nacht verbrachte sie damit, gegen die Symptome von Flüge zu kämpfen. Keinen Augenblick ließ sie von ihren kleinen Bruder ab, hatte sie doch zu große Angst, Soa könnte es nicht schaffen. Behutsam legte sie ein neues kaltes Tuch auf seine heiße Stirn: Der kleine Beagle-Animo schlief die meiste Zeit, doch konnte man ein leises Wimmern hören. In solchen Momenten kam es Tracy so vor, als wäre Soa wieder das Kleinkind, das vollkommen auf sie angewiesen war. Plötzlich schreckte Tracy auf: Jemand klopfte an ihrer Zimmertür. Sie war so in ihren Gedanken versunken, dass es ihr wie ein Blitz durch den Körper fuhr: „H-Herein!“ Es war Sunny. Sie hatte ein weißes Kleid an, mit einem weiten Rock, auf dem schwarze Akzente in Form von Musiknoten und Linien waren. Ihre Haare waren säuberlich gebürstet und einige Zöpfchen stachen aus der langen Haarpracht hervor. Flüsternd fragte sie: „Geht es euch gut?“ „Mir schon…Soa geht es auch langsam besser.“, die Älteste lächelte, doch sah man es ihren Gesichtsausdruck an, dass die meisten Symptome noch da waren. Zaghaft nickte Sunny: „Ich gehe etwas raus, in Ordnung?“ Sie legte die schwarzen Katzenohren an und fügte etwas leiser hinzu: „Ich treffe mich mit einer Freundin.“ „Wie heißt deine Freundin?“, die Frage kam eher routiniert als wirklich interessiert von Tracys Lippen. „Eh…Siri.“, leise sprach Sunny ihren Namen aus: Einerseits, um Soa nicht aufzuwecken, andererseits, weil sie insgeheim wusste, dass sie Tracy nichts vormachen konnte. Sie wussten beide, dass Sunny eine schlechte Lügnerin war. In Sunnys Brust begann ihr Herz heftig zu schlagen, denn sie wurde nervös - Was war, wenn ihre Schwester herausbekäme, dass ihre Freundin ein Mensch war? Würde sie ihr dann verbieten, sie wiederzusehen oder sie gar erstmal in Augenschein nehmen? Unter keinen Umständen wollte Sunny dies, kannten sie sich doch erst einen einzigen Tag. Sie wollte Siri besser kennenlernen und jeden Augenblick nutzen. Schließlich war der jungen weiblichen Katzen-Animo von Anfang an bewusst, dass ihre neue Freundin irgendwann nach Desteral zurückkehren würde. Siri war noch dazu ganz alleine unter Animos, sie fiel auf wie ein Engel unter Dämonen. Dann noch in Tracys fürsorgliches Kreuzverhör zu geraten, konnte eine wahre Tortur sein. Nein, das wollte Sunny ihr nicht antun- „Ist gut – Wenn Soa gesund ist, kannst du sie ja zu uns zum Essen einladen.“, sanft lächelte Tracy sie an, ehe sie begann, herzhaft zu gähnen: „Oh…Entschuldige.“ „Du solltest etwas schlafen…“, Sunny sah ihre große Schwester besorgt an: „Du musst nicht die ganze Zeit alleine auf ihn aufpassen. Er schläft sowieso die meiste Zeit.“ „Ich möchte es aber.“, Tracys Blick fiel auf den kleinen schlafenden Jungen: „Du kannst Chiga und Alice sagen, sie sollen bitte die Küche saubermachen, das würde mir schon als Hilfe reichen.“ „O-Okay…“, Sun senkte den Kopf: Sie wusste, Tracy liebte Soa über alles, doch machten die tiefen Augenringe und Tracys ungewaschenen Haare ihr ernsthaft Kummer. „Jetzt geh schon!“, leicht kichernd machte die Älteste eine Handbewegung, als wolle sie ein Tier verscheuchen: „Ich komme schon zu Recht! Wenn ich wirklich nicht mehr kann, frage ich Oto, ob er auf ihn aufpasst. Versprochen.“ Sunny nickte leicht zaghaft. „In Ordnung…“, es beruhigte sie etwas, denn ihre Schwester hielt ihre Versprechen: „Bis Später Groschen.“ „Bis Später Sun.“, Groschen lächelte und sah, wie sie im Flur verschwand. Noch einmal zuckte sie kurz mit ihren Katzenohren, um sicherzugehen, dass Sunny auch wirklich gegangen war. Dann nahm sie die Hand vorm Mund und gähnte noch einmal kräftig: Es stimmte schon, sie war wirklich hundemüde. Doch hatte dies einen bestimmten Grund - Sicher war es etwas gemein und selbstsüchtig, doch war Soas Krankheit für sie Anlass, wieder Zeit allein mit ihren kleinen Bruder zu verbringen. Selbst, wenn sie sich dabei fürchten musste, so konnte sie ihm wieder nahe sein. Zwar musste sie dafür auf Schlaf verzichten, doch wollte sie auch keinen dieser kostbar gewordenen Momente verpassen. Keinen einzigen. Tracy blinzelte und rieb sich die Augen, ehe sie sich vorsichtig zu dem Hundejungen legte und ihn an sich drückte. Wie von selbst begann er, schwach mit seinen Schweif zu wedeln, roch er wohl doch ihren Geruch und spürte ihre Wärme. Vorsichtig strich sie ihn über die Wange: Sie konnte seinen schweren Atem spüren und die Medizin und den Schweiß riechen. Tief seufzte sie, musste sie doch zugeben, dass er langsam erwachsen wurde. In gut zwei bis drei Jahren wäre er nach paloozianischen Gesetz mündig. Mit jeden weiteren Nimmerstraum würde er dann wie seine Geschwister nur noch bedingt auf sie hören müssen. Tracys Herz schlug in diesen Augenblick wie wild: Insgeheim hoffte sie, der Tag würde niemals kommen. Doch sie wusste, er würde kommen. Irgendwann würde er kommen. Die Tage vergingen und Monate zogen vorbei. Wie Sunny die Liebe ihres Lebens kennenlernte, sich verliebte und die beiden sich ein unvergessliches Versprechen gaben, kam der Tag, an dem das nächste Familienmitglied die Kleinstadt Passion verlassen wollte. Es handelte sich dabei um niemand anderes als Phil Lily: Der männliche, äußerst ruhige Mondfisch-Animo hatte beschlossen, den Ruf des Meeres zu folgen und wollte sich eine Arbeit in einen der Meereskönigreiche, oder zumindest an den Küsten Paloozas, suchen. Sein Wunsch, zu gehen, kam ebenso plötzlich wie bei Ricci. Dennoch akzeptierte Tracy es und wünschte ihren ältesten Bruder viel Glück. An dem Morgen, an dem Phil mit seinen wenigen Hab und Gut gegangen war, stand Tracy am Küchenfenster und sah hinaus in die Landschaft: Wieder hatte sie ein Geschwisterchen in die Obhut der großen weiten Welt gegeben. Sie wusste, Phil war gewissenhaft und nicht auf den Kopf gefallen. Er konnte sich artikulieren, wenn er denn mal sprach, war höflich und gut erzogen. Sie machte sich dennoch Sorgen, schließlich war er ihr kleiner Bruder. Um sich abzulenken, begann sie, leise ein Lied zu singen: „Du trocknest mein Herz…“ „…es zerfällt in Schutt und Asche.“, Soa vollendete den Vers. Schnell drehte sich Tracy um und sah in sein lächelnden Gesicht: „Sei nicht traurig, Tracy.“ „Ich kann nicht anders, es ist immer traurig, wenn jemand für längere Zeit geht.“, sie seufzte, versuchte sie ihn doch zu erklären, warum sie so traurig war. „Er kommt doch sicher wieder und besucht uns!“, optimistisch kam er zu ihr und hielt ihre Hand: „Er hat auch gesagt, er schreibt uns.“ „Ich weiß.“, sie lächelte, wie sie in seine leuchtenden, hellbraunen Augen sah. In gewisser Weise war sie stolz auf ihn, denn er nahm den Abschied mit mehr Fassung als sie. Dennoch, wieso machte es sie unglücklich, dass er keine Tränen vergoss, wie es für ein Kind gehörte? Nicht so wie sie… „Tracy…“, er legte die Ohren an, für einen Augenblick konnte man in seinen Gesichtsausdruck sehen, dass er sich die Schuld für ihren Kummer gab: „…Es tut mir Leid!“ Er umarmte sie und drückte sein Gesicht an ihren Bauch; mit seinen 9 ½ Jahren war er mittlerweile 1,33 groß. Wenn er so weiter wuchs, würde er schnell Sunny und Alice überholen. Etwas atemlos sagte er: „Ich…ich wollte dir doch etwas sagen…“ „Mmm…?“, sacht legte sie eine Hand auf seine Lockenpracht, während sie sich mit der anderen ein Küchentuch nahm. Schnell trocknete sie ihre Tränen ab, war ihr doch bewusst, dass Tränen ihren Bruder auch nicht nach Hause zurückbringen würden. Sie hoffte, der Abschiedschmerz würde bald verfliegen. Sie würde dann hoffentlich nur noch stolz auf Phil sein, dass er seinen eigenen Weg gegangen war. Etwas verlegen sah Soa zu ihr auf: „Ich…weiß, was ich werden will…“ Sie schmunzelte und beugte sich zu ihn herunter, sodass sie auf Augenhöhe waren: „Was denn?“ Für den Bruchteil des Augenblicks schlug ihr Herz schneller, sie war gespannt, welchen Beruf sich Soa ausgesucht hatte. Er hatte noch nie einen Berufswunsch geäußert, was kein Wunder war - Er hatte schließlich noch Zeit. Zeit, herauszufinden, was ihn interessierte und womit er später sein Geld verdienen wollte. Wofür sein Herz vor Begeisterung schlug und wovon er Teil sein wollte. Leicht pustete der Beagle-Junge sich eine Locken aus dem Gesicht: „Ich möchte Pianist werden.“ „Pianist…?“, Tracy wiederholte etwas ungläubig das Wort: „Das sind Musiker, die Klavier spielen, oder?“ In Palooza gab es nur sehr wenige Klaviere, die meisten standen in den Anwesen der Adligen und Fürsten. Sie waren in der Herstellung sehr aufwendig, sodass sich kaum ein „normaler“ Bürger eins leisten konnte, selbst bei den reichen Handelsleuten waren sie selten. Noch dazu waren sie unhandlich und die meisten Musiker waren Wanderleute: Sie zogen von Stadt von Stadt und boten ihre Künste und ihren Gesang an. Wie sollte man ein Klavier durchs Land transportieren? Mit der Kutsche ging das nur sehr schwer, zumal die unterschiedliche Witterung in den Königreichen das Instrument in seinen Klang beschädigt hätte. Tracy hatte als Sängerin bislang nur ein einziges Lied am Klavier begleitet: Sie konnte sich an den Klang genau erinnern, er war ruhig, kraftvoll und elegant. Ganz anders als jedes Streichinstrument. Soa nickte zufrieden: „Ja! Wenn ich groß bin, möchte ich Pianist werden und dich bei deinen Liedern begleiten!“ Freudig wedelte er mit seinen Schweif, sodass Tracy kichern musste: „Das ist echt süß von dir.“ Sie umarmte ihn und drückte ihn einen Kuss auf die Wangen auf: „Wenn du älter bist, dann reden wir noch einmal darüber, in Ordnung?“ Sie war sich sicher, sein Berufswunsch würde sich in den nächsten Jahren noch unzählige Male ändern. So waren Kinder nun mal eben, sie fanden mit der Zeit ihre Bestimmung im Leben. Davor waren sie wie Blätter im Wind, die sich von jeder Brise tragen ließen. „Das ist mein voller Ernst, ich werde Pianist!“, rot um die Wangen schnaufte er: „Dann spiele ich immer die vielen Lieder, die du singst, und passe auf dich auf!“ Er fügte halblaut hinzu: „Ich bin zu alt für Küsschen, lass’ das.“, obwohl er sich nicht vehement gewehrt hatte. „Ach Soa…“, glücklich schnurrte die große Schwester ihn an und gab ihn einen Eskimo-Kuss: „Das wirst du ganz bestimmt.“ „Du glaubst mir nicht, oder?“, enttäuscht sah er sie an: „Du glaubst, ich will morgen Feuerwehrmann werden.“ „Das ist richtig.“, sie war ehrlich zu ihn: „Ich wollte in deinen Alter immer Fischer oder Tierärztin werden, der Berufswunsch ändert sich noch viele Male, je älter man wird.“ „Ich will aber Pianist werden!“, er verfiel in ein kindliches Schema und begann, zu schmollen: „Nichts anderes!“ Tracy gab sich geschlagen, denn sie wollte diesen schweren Tag nicht mit einen Streit zwischen sich und ihren kleinsten Bruder fortsetzten: „In Ordnung, dann wirst du irgendwann Pianist.“ Sie fügte noch hinzu: „Doch dann werde ich dich begleiten, schließlich kannst du nur auf dem Festland wirklich Klavier spielen lernen.“ „Oh!“, darauf strahlten Soas Augen vor Glück, glaubte er ihr doch in kindlicher Naivität sofort: „Danke Tracy!“ Er umarmte sie nochmals, doch diesmal stürmisch. Sie lächelte und drückte ihn an sich, denn dieser Wunsch würde bedeuten, dass sie und Soa auf ewig zusammen bleiben würden. Nie würde sie bei ihn den Schmerz des Abschieds spüren. Dennoch blieb sie realistisch: Er würde bald einen neuen Berufswunsch haben, war dieser doch mit unzähligen Schwierigkeiten verbunden und nahezu unmöglich. Sie würde wie immer alleine auf der Bühne stehen. Es war ein kindlicher Wunsch. Ein kindlicher Wunsch ohne Bedeutung. So verschwanden in den nächsten Monaten immer mehr Geschwister aus Tracys Leben: Chiga beschloss, ihre modischen Kreationen auf dem Festland anzubieten und so ihr schneiderisches Können auf die Probe zu stellen. Insgeheim hoffte sie, nebenbei noch etwas Neues zu lernen, doch hätte sie es bei ihren Selbstbewusstsein niemals offen zugegeben. Was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, war nur schwer ihr auszureden, so ließ Tracy sie ohne große Widerworte gehen. Sie musste ihrer großen Schwester jedoch versprechen, sich notfalls eine Stelle als Schneidergesellin zu suchen, wenn ihr Modegeschmack auf nicht so großen Anklang bei den Menschen traf. Kiba und Anthony erreichten ihre Volljährigkeit und durften somit der paloozianischen Armee beitreten. Es waren nur drei Tage nach Anthonys Geburtstag vergangen, da hatten die beiden jungen Animo das Nötigste aus ihrem Zimmer zusammengetragen und verabschiedeten sich von ihren Geschwistern. Ganz gleich, dass es eine friedliche Zeit war, ermahnte Tracy sie, keinen Unsinn anzustellen und auf ihren Vorgesetzten stets zu hören. Kurz kamen ihr die Tränen, denn der Gedanke, ihren chaotischen Brüdern könnte als Soldaten im Konflikt oder gar nur ausversehen etwas zustoßen, ließ sie nicht los. Kiba versprach ihr, sie würden gut aufeinander Acht geben, während Anthony sie beruhigend an sich drückte. Wieder ließ Tracy sie gehen, denn sie wusste, es war ihr Lebenstraum. Jim war eines Tages nicht mehr da. Alles, was von ihm blieb, waren die Dinge in seinem Zimmer und ein Zettel, der auf seinen Bett lag. Mit leichter Rechtschreibschwäche stand dort geschrieben: „Ich bin wech, mich ma umschauen. Danke für alles – Jim“ Obwohl Tracy etwas Ähnliches von ihm erwartet hatte, war sie wütend und traurig. Sie hätte ihn zu gerne dabei erwischt, wie er sich aus dem Zimmer schlich, um für immer zu verschwinden. Sie hätte ihn dann eine Standpauke gehalten und zumindest versucht, ihn Stubenarrest zu geben, sodass er noch etwas länger bei seinen Geschwistern blieb. Doch er war weg. Er war fort und sie konnte nicht einmal Abschied von ihm nehmen. Sie wusste, er konnte auf sich aufpassen, schließlich verbrachte er den Großteil seiner Zeit auf der Straße. Er würde sich schon irgendwie durchschlagen. So blieb ihr nichts anderes, als es zu akzeptieren, wenn auch mit enttäuschten Herzen. Oto beschloss, es Ricci gleichzutun und auf dem Festland sein Wissen zu erweitern. Nachdem er seine Grundausbildung mit Bravour abgeschlossen hatte, verließ er Palooza. Zwar hatte der äußerst zurückhaltende Panda-Animo immense Angst, durch seine Art nicht in den fremden Ländern zurechtzukommen und in Schwierigkeiten zu geraten. Doch war der Wunsch, ein erfolgreicher Arzt zu werden, stärker. Ihm war bewusst, dass auch er Opfer bringen musste - Er wollte seinen Mitmenschen helfen und wenn es bedeutete, dass er über seinen langgezogenen Schatten springen musste. Dass er auf dieser Fortbildung insgeheim das Forschungszentrum in Destercity anstrebte, wovon Ricci erzählt hatte, verschwieg er jedoch seinen Geschwistern. Die Tatsache, dass er im Notfall nach Hause zurückkehren konnte, gab ihn Halt und ein beruhigendes Gefühl. Schließlich hatte ihn seine große Schwester versprochen, sie würde ihn erwarten. Sie akzeptierte seinen Wunsch. Tracy akzeptierte es jedoch nicht, dass Alice durchs Land reisen wollte. Zu groß war ihre Angst, dass ihre kleinste Schwester in der großen weiten Welt zu schaden kam, war sie doch in ihren Augen immernoch das kleine, naive und überaus schüchterne Hasenmädchen. Immernoch verliebte sie sich viel zu schnell. In ihren Augen war sie leichte Beute für grausame Männer, die ihre Gutmütigkeit gnadenlos ausnutzen würden. Zugegebenerweise war Tracys Abneigung gegenüber Männern durch ihre Arbeit geschürt worden - Es waren viele Männer oft nur an das eine interessiert, besonders wenn sie betrunken waren. Doch gab es noch einen Grund, der ihr das Gefühl gab, sie müsste ihre kleinen Schwestern noch mehr beschützen. Dieser Grund war Sunnys erste Liebe und trug den Namen Toony Worchestershire – In Tracys Augen ein arroganter und selbstverliebter Idiot, der Sunny das Herz brechen würde, so wie viele junge Männer es Alice angetan hatten. Mit diesen Gedanken wollte sie unter keinen Umständen Alice ziehen lassen. Zwar war Alice tatsächlich erst 15 Jahre alt, doch war Ricci ebenfalls in den Alter, als er Palooza verließ. So begann sie, ihre große Schwester solange mit Argumenten und Versprechen zu überschütten, bis sie letztlich nach drei Monaten der Reise doch zustimmte. Die Älteste hoffte inständig, sie würde durch die Reise das Selbstvertrauen gewinnen, das ihr durch ihre starke Schüchternheit bislang verwehrt geblieben war. Neue Erfahrungen sammeln, die sie stark machten. Dass Alice sie so sehr bedrängt hatte, zeigte ihr nur, dass sie es wirklich ernst meinte. Dennoch, in der Nacht des Tages, an dem Alice gegangen war, konnte sie ihre Tränen nicht zurückhalten. Jede Nacht betete sie, der Kleinen würde nichts zustoßen. Eine ganze Weile lang tat sie dies, bis es einen Gefühl des Vertrauens wich. Rain verließ ebenfalls ihre Familie, um Erfahrungen zu sammeln und ihre bäckerischen Fähigkeiten zu verfeinern. Ihr Abschied tat Tracy am wenigsten weh, wusste sie doch, ihre Schwester konnte auf sich Acht geben und war wie sie nahezu erwachsen. Mit einen Lächeln umarmte sie sie, bevor sie in die Kutsche stieg, die sie in das nächste Königreich bringen sollte. Sie wusste, Rain würde vielleicht sogar das Land verlassen. Doch langsam verstand die große Schwester, dass diese große Distanz manchmal sein musste: Schließlich lag auf dem Festland gewissermaßen die Zukunft von Palooza. Ihre Geschwister waren klug und sie konnte stolz darauf sein, dass sie sich weiterentwickeln wollten. Sie hatten die Zukunft im Blick, doch ihr Herzen würden stets in Palooza ihren Platz haben. So sagte sie Rain zum Abschied die Worte, die sie auch ihren anderen Geschwister gesagt hatte: „Ich habe dich lieb. Also pass auf dich auf und schreib’ uns, ja?“ So blieben nur noch Tracy, Sunny und Soa in dem großen Haus der Familie Lily zurück. Es waren mittlerweile zwei Jahre seit Riccis Abschied vergangen. An einen kalten Wintertag passierte es: Wie Soa morgens aufgestanden war und in den Spiegel sah, hatte er keine Hundeohren mehr - Sein erster Nimmerstraum. „Tra- Tracy!“, leicht erschrocken wich er vom Spiegel zurück, ehe er zu seiner großen Schwester lief: „Guck mal!“ Begeistert zeigte er auf die Stelle an seinen Kopf, an der sich eigentlich seine Tierohren befanden. „Ich kenne dich nicht.“, sie war gerade dabei, das Geschirr vom gestrigen Abend abzuwaschen: „Was machst du in meinen Haus, Menschenskind?“ „Aber Tracy- Ich bin es doch-! ...Oh.“, erst jetzt verstand er, dass seine Schwester ihn ärgerte: „Du bist doof.“ Zufrieden streckte sie ihn die Zunge heraus: „Findest du?“ Dann zog sie ihn zu sich und schnurrte überglücklich: „Dein erster Nimmerstraum! Herzlichen Glückwunsch, Soa.“ „Danke!“, auf seinen Lippen war ein Grinsen zu sehen und er strahlte selig: „Es ist echt komisch, aber ich höre dich kaum.“ „Ja, aber das ist normal, keine Sorge.“, Tracy vergrub ihr Gesicht in seine blonden Locken: „Morgen ist ohnehin alles vorbei.“ Leicht berührte Tracy seine Stirn: Anscheinend schien sein Körper die Veränderung gut zu verkraften, denn er hatte kein Fieber oder andere Symptome, die mit den Nimmerstraum eingingen. Jeder Animo verkraftete diese körperliche Veränderung unterschiedlich – So hatte sie selbst nur eine Erkältung, Sunny oft Fieber und Ricci lag sogar vollkommen flach und musste das Bett hüten. „Tracy~.“, leicht begann Soa, zu zappeln: „Lass’ mich los, ich muss es Sunny zeigen!“ „Tut mir Leid, mein Kleiner.“, schnell ging sie ihn durch die Haare, sodass diese vollkommen durcheinander gerieten: „Doch Sunny ist mit ihrer Freundin draußen.“ „Aww~ Wie doof.“, enttäuscht zog er eine Schnute: „Hoffentlich kommt sie heute noch wieder.“ „Ich bitte drum!“, sie lachte, doch der Gedanke, Sunny könnte sich mehr als einen Tag irgendwo herumtreiben, gefiel Tracy überhaupt nicht: „Sie darf doch nicht deinen ersten Nimmerstraum verpassen.“ „Nein, das wäre ganz doof…“, ihr kleiner Bruder sah sie mit seinen großen Augen an, die immernoch vor Glück leuchteten. Doch schien seine Stimme plötzlich etwas schwermütig zu klingen. Oder irrte sich Tracy etwa? Denn im nächsten Augenblick sagte er, wieder vollkommen fröhlich: „Darf ich raus gehen? Vielleicht ist Sunny ja in der Nähe!“ Mit einen leichten Stirnrunzeln sah Tracy ihn an: „Ich weiß nicht…“, doch fiel ihr ein, dass sie für diesen besonderen Tag etwas vorbereitet hatte. So nickte sie kurz: „Na gut. Doch verspreche mir, dass du nicht zu weit vom Haus entfernst, okay?“ „Ich verspreche es dir.“, kurz drückte er seiner großen Schwester einen Wangenkuss auf: „Danke.“ Dann lief er zur Tür hinaus, die in den Hof des Hauses führte: „Ich beeile mich auch!“ „In Ordnung.“, lächelnd sah Tracy ihren kleinen Bruder nach. Doch je mehr er aus ihren Blickfeld verschwand, desto mehr formte sich ihr Lächeln zu einem Gesichtsausdruck voller Kummer: Sie hatte so sehr gehofft, Soas Nimmerstraum würde noch etwas auf sich warten. Doch er war eingetroffen – Von dem heutigen Tage an war Soa mündig. Sie wusste, alle fünf Monate würde er einen weiteren Nimmerstraum erleben und innerhalb weniger Jahre würde er vollkommen erwachsen werden. Ihr kleiner Bruder, den sie vom hilflosen Kleinkind an großgezogen hatte, würde irgendwann erwachsen sein und seinen eigenen Weg gehen. Genauso wie seine Geschwister. Sie war sehr stolz und glücklich, dass Soa mittlerweile schon so groß und selbstständig war. Doch insgeheim hatte sie diesen Tag verflucht. So sehr verflucht. Sie wusste, wenn Soa eines Tages ebenfalls das Familiennest verlassen würde, blieb ihr nur noch Sunny. Doch war dies nicht so einfach: Schließlich war ihre leibliche Schwester über beide Ohren verliebt und der Mann, den sie liebte, war in Desteral auf einer Mission. Tracy wusste, wenn er zurückkehren würde, würde er sie heiraten wollen – Er hatte um Tracys Segen gebeten, doch hatte sie ihn diesen verwehrt. Obwohl sie wusste, dass es Sunny größter Wunsch war, für immer mit ihn zusammen sein zu können. Schließlich stand die Beziehung der beiden ohnehin unter keinen guten Stern und musste geheim gehalten werden. Für Tracy war Toony nicht weniger als der größte Idiot auf Aira und sie war sich sicher, er würde ihr das Herz brechen. Er würde sie verletzen und ins Unglück stürzen, so wie viele junge Männer es ihrer Schwester Alice angetan hatten. Bei Alice konnte sie nichts dagegen tun, schließlich gehörte es quasi zu ihrer Natur, sich oft zu verlieben. Doch bei Sunny wollte sie alles richtig machen. Sie wollte ihre einzig leibliche Schwester vor einem gebrochenen Herzen schützen. Selbst wenn sie dabei ihr einen Lebenstraum nahm, so dachte sie doch an das Versprechen, was sie vor langer Zeit jemanden gegeben hatte: Sie würde auf Sunny gut Acht geben. Sie würde auf alle ihre Geschwister gut Acht geben. Tracy wusste jedoch auch, dass Sunny diesen Idioten wirklich vom ganzen Herzen liebte. Eine starke Liebe konnte Berge versetzen – Mit hoher Wahrscheinlichkeit verlor sie ihre Schwester an diesen Mann, auch wenn sie stets um sie kämpfte und es nicht wahrhaben wollte. Es machte ihr Angst - Was würde passieren, wenn alle ihre Geschwister in die weite Welt hinaus zogen? Was konnte sie tun, wenn sie kaum noch eine große Schwester sein konnte? Die Frage nach dem danach, war in Tracy nach Magrets Tod immer wieder laut geworden. Doch konnte sie sie stets verdrängen: Schließlich waren ihre Geschwister ganz nah und gaben ihr jeden Tag einen Sinn. Mittlerweile wurde die Frage jedoch so unerträglich laut, dass sie nicht mehr ignoriert werden konnte. So stand das Oberhaupt der Familie am Küchenfenster und sah in die kalte Winterlandschaft hinaus, ehe sie aus den obersten Küchenschrank etwas hervorholte: Es war eine silberne Mundharmonika, auf dem Soas Namen eingraviert war. Es war ihr Geschenk zum Nimmerstraum und Tracy hoffte inständig, sie würde ihm gefallen. Schließlich gab es keinen Tag, an den er nicht mit ihr sang oder auf seiner Flöte spielte. Die Sonne ging an diesem kalten Tag rasch unter. Tracy und Soa saßen im Wohnzimmer und der Junge war gerade dabei, ein paar von Tracys Keksen zu verdrücken, die sie ihn extra zu diesem Anlass gebacken hatte. Von Sunny fehlte immernoch jede Spur – Höchstwahrscheinlich hatte sie mit ihrer Freundin einfach die Zeit vergessen oder schützte sich noch etwas vor der Kälte. „Tracy?“, etwas leise sprach Soa sie an und hielt dabei seinen Kakao in seinen beiden Händen. „Ja, Soa?“ „Vielen Dank für die Mundharmonika.“, etwas verlegen sah er zur Seite: „Sie ist wirklich sehr schön.“ „Keine Ursache.“, Tracy hörte kurz auf, zu nähen und lächelte ihn an: „Es freut mich, dass sie dir so gefällt.“ Es war das fünfte Mal, dass Soa sich für die Mundharmonika bedankte. Dennoch, irgendwie wurde Tracy das Gefühl nicht los, dass ihn etwas bedrückte: „Ist alles in Ordnung? Dir scheint etwas keine Ruhe zu lassen.“ Oder war er etwa doch krank? Vorsichtig beugte sie sich zu ihn nach vorne: „Fühlst du dich nicht gut?“ „Nein…“, Soa schüttelte den Kopf: „Es geht mir gut.“ Dann atmete er einmal tief ein und sah seiner großen Schwester ins Gesicht: „Tracy…Ich muss dir etwas sagen.“ Verwundert sah sie ihn an, sodass er weitersprach: „Ich…Ich werde Palooza verlassen.“ Da fing Tracy an, zu kichern: „Das ist ein guter Witz, Soa!“ Denn der Gedanke, Soa könnte Palooza in verlassen, kam ihr unsinnig vor. Zwar war heute sein erster Nimmerstraum, dennoch war er mit seinen elf Jahren nahezu ein Kind. Er selbst wusste es. „Das ist kein Witz!“, ernst sah er sie an: „Ich möchte Palooza verlassen, um Pianist zu werden!“ „Das erlaube ich dir nicht.“, sie schüttelte den Kopf: „Du bist noch viel zu jung dafür.“ „Aber-.“, begann er. „Kein Aber!“, sie funkte ihn dazwischen: „Soa, hör auf zu spinnen!“ „Ich spinne nicht!“, er stellte die Tasse ab: „Wenn ich Pianist werden möchte, dann muss ich sehr früh damit anfangen!“ Tracy wusste, er hatte Recht. Dennoch, sie konnte ihn unmöglich gehen lassen, schließlich war er noch ein Kind und ihre Angst viel zu groß. Wieder schüttelte sie den Kopf: „Trotzdem. Du bist gerade mal elf Jahre alt, ich lasse dich nicht alleine gehen.“ „Doch du kannst nicht gehen!“, Soa verschränkte die Arme vor der Brust und imitierte sie so unbewusst: „Du hast den anderen versprochen, hier zu sein, wenn sie zurückkommen.“ „Das stimmt schon.“, sie zuckte kurz mit den Katzenohren: „Dennoch werde ich den Teufel tun, dich alleine aufs Festland zu lassen – Du bleibst hier.“ „Aber es ist mein Traum!“, seine Stimme klang wie eine Mischung aus Bitten und Verlangen: „Wieso dürfen die anderen ihren Traum erfüllen, aber ich darf das nicht?!“ „Du bist zu jung.“, entgegnete seine große Schwester ihn knapp. Doch dann fügte sie hinzu: „Warum willst du überhaupt Pianist werden? Es gibt so viele wundervolle Berufe und du hast noch einige Zeit, dir einen auszusuchen.“ „Aber Tracy…“, so Soa mit ruhiger Stimme: „ich will nichts anderes werden.“ Seine große Schwester wollte ihn gerade antworten, da bekam Soa einen Gesichtsausdruck, den Tracy nur äußerst selten gesehen hatte: Man sah es ihn deutlich an, er wurde todunglücklich. Leicht schluckte sie, ehe sie halblaut fragte: „Warum ist es dein Traum, Pianist zu werden?“ Daraufhin wurde Soa rot im Gesicht. Er sah sie noch für einen weiteren Augenblick an, ehe er den Kopf senkte: „Ich möchte mit dir für immer zusammen sein.“ „Aber das kannst du doch auch so, Soa.“, sie legte das Nähzeug beiseite und ging zu ihn. Sanft strich sie ihn durchs Haar, um ihn zu beruhigen: „Dafür musst du nicht Pianist werden.“ „Aber ich…ich…“, er suchte nach den passenden Worten, fand sie aber nicht so schnell. Leise meinte er: „Ich möchte auch bei dir sein können, wenn du nicht mehr für uns sorgen musst.“ Für Sekunden blinzelte Tracy ihren kleinen Bruder an: Was meinte er damit? Er sprach weiter: „Die anderen haben oft davon geredet, dass du dich sehr um uns kümmerst und dich quasi nichts anderes beschäftigt.“ Sanft erwiderte sie daraufhin mit einen Lächeln: „Das ist doch nichts Schlimmes, Soa. Ich bin gerne für euch da.“ „Aber…Tracy, wir können doch nicht alle für immer zusammen sein.“, mit traurigen Augen sah er sie an: „Wir werden alle erwachsen und fangen an, eigene Leben zu leben – Deswegen sind die anderen auch weggegangen.“ „Nun…“, sie schmunzelte: „Das bedeutet jedoch nicht, dass man seine Familie komplett aufgeben muss.“ „Aber- Tracy!“, Soa ballte ungemerkt die Fäuste: „Ich will nicht der Grund sein, weshalb du niemals dein eigenes Leben führst!“ „Was…?!“, sie schüttelte den Kopf: „Wie kommst du auf so etwas? Natürlich habe ich mein eigenes Leben.“ Am liebsten hätte Soa dies verneint: Schließlich lebte seine Schwester nicht für sich, sondern für ihre Geschwister. Sie war stets für ihre Familie da gewesen und hatte sich selbst zurückgenommen. Er und auch seine Geschwister wussten, wenn sie nicht bald etwas taten, würde Tracy womöglich nie beginnen, ein eigenes Leben zu führen, oder mutterseelenallein todunglücklich werden. Sie war die Älteste von ihnen, doch war sie in vielen Dingen so unwissend: Nie hatte sie selbst Freunde gehabt. Nie war sie verliebt gewesen. Nahezu nie hatte sie die Dinge ausprobiert, die sie ausprobieren wollte, denn immer standen ihre Geschwister an erster Stelle. Soa wollte nicht, dass sie ihr Leben nicht lebte. Und doch wollte er teilhaben an diesen Leben, schließlich liebte er sie mehr als alles andere. So sah er zu ihr auf und umarmte sie: „Mama…“, leise flüsterte er: „Bitte lass’ mich gehen.“ „Nein Soa-.“, sie schüttelte den Kopf: „Du hast nur einiges durcheinander gebracht, was die anderen erzählt haben, das ist alles.“ In ihr kam ein ungutes Gefühl auf, denn Soa hatte sie sonst nur „Mama“ gerufen, wenn er sie ärgern wollte. Warum nannte er sie nur so? „Doch was wirst du tun, wenn ich älter bin? Du kannst mich nicht zwingen, hierzubleiben.“ „Das stimmt, doch jetzt bist du erst einmal hier sicherer.“ „Aber ich möchte, dass du so früh wie möglich dein eigenes Leben beginnst.“, er schluchzte auf, kamen ihn doch die Tränen. Warum, das wusste Soa selbst nicht so ganz: „Und ich möchte so schnell es geht ein guter Pianist werden, damit ich bei dir sein kann, als Partner, nicht als kleiner Bruder.“ Seine Worte rührten Tracy ebenfalls zu Tränen: Langsam wurde ihr klar, dass ihre Geschwister sich wirklich Sorgen um sie machten. Sie hatten Recht - Alles, wofür Tracy lebte, war ihre Familie, und sie konnte sich glücklich schätzen, solch herzensgute Geschwister zu haben. Anscheinend hatten sie und ihre Mutter in der Erziehung der vielen Findelkinder alles richtig gemacht; sie waren großartige Animo. Dennoch, ihre Geschwister wussten nicht, dass Tracy nicht einfach so beginnen konnte, ein eigenes Leben zu führen, unabhängig von ihren Geschwistern. Schließlich hatte sie jemand ein Versprechen gegeben, dass ihre volle Aufmerksamkeit brauchte. Jeder ihrer Atemzüge war dafür nötig. Sacht drückte sie ihre Stirn an die ihres kleinen Bruders: Mach’ dir keine Sorgen, Soa.“ „Ich möchte nur, dass du glücklich bist…“, leicht weinerlich klang seine Stimme: „Wenn ich und die anderen nicht mehr da bin, weil wir woanders leben, was wird dann aus dir?“ „Ich werde auf euch warten.“, sie schnurrte schwach, um ihn zu beruhigen: „Jeden Tag.“ „Du sollst aber nicht nur warten…“, leise fügte er hinzu: „…Du sollst auch mal verliebt sein. Sunny und Alice sehen so glücklich aus, wenn sie es sind.“ „Ach Soa. Ich liebe doch dich.“, sie schloss die Augen und hoffte, er würde den Unterschied zwischen ihrer und der Liebe zu jemand Nicht-familiäres nicht kennen. Doch Soa war nicht auf dem Kopf gefallen und schüttelte den Kopf: „Du liebst mich wie einen Bruder, das ist was anderes!“ Schwach nickte sie: Sie waren Geschwister und es war eine andere Form von Liebe. Egal, was ihr Gefühl ihr manchmal sagte: „Du hast Recht, aber ich hab’ dich trotzdem sehr lieb.“ „Ich dich auch.“, er senkte den Kopf: „Deswegen möchte ich Pianist werden und auf dich aufpassen.“ „Du bist echt süß.“, sie kicherte kurz auf: „Doch ich bin schon erwachsen, ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst.“ „Die anderen und ich doch auch, trotzdem passt du immernoch auf uns auf.“, erwiderte er leise: „Bitte, lass’ mich gehen.“, er fügte hinzu: „Ich möchte, dass du stolz auf mich sein kannst.“ „Ich bin stolz, jeden Tag.“ „Dann gib mir die Chance, zu zeigen, dass ich auch auf dich aufpassen kann!“, er umarmte sie: „Dass du die beste große Schwester auf der Welt bist und wir alle aufeinander aufpassen können!“ „Soa…“ „Ich möchte der Welt zeigen, wie großartig du doch bist…und du sollst es auch zeigen…“, er schluchzte auf. In diesen Augenblick konnte Tracy nicht mehr ihre Tränen zurückhalten: Sie wusste, es war Wahnsinn, Soa alleine ziehen zu lassen. Doch zu wissen, dass er und auch seine Geschwister immer erwachsener wurden, machte sie gleichermaßen stolz und unglücklich. Sie wusste, der Tag, an dem er fort ging, würde kommen – Warum sollte er dann nicht schon heute sein? Was sprach dagegen? Sein Alter war schließlich nur eine Zahl – Die Dinge, die Soa in seinen bisherigen Leben erlebt hatte, hatten ihn zu einen Jungen gemacht, der um einiges besonnener und klüger war als mancher Erwachsener. In ihm schlummerte das Wissen von Erfahrungen, für die manch anderer sein ganzes Leben brauchte – Soa hatte sie dank seiner kunterbunten Familie schon jetzt. Soa kam wirklich sehr nach seiner Ziehmutter: Er war sehr reif für sein Alter und kämpfte hart um die Dinge, die er liebte. Er hatte es als einziger fertiggebracht, die Worte auszusprechen, die alle in der Familie dachten. Tracys Drang, eine gute Schwester zu sein und auf alle aufzupassen, würde erst dann verblassen, wenn sie nicht mehr in ihrer Nähe waren. Erst dann würde sie beginnen, für sich selbst zu leben. Sie liebten Tracy und so wollten sie, dass sie so schnell wie möglich damit begann: Damit sie eine Form von Glück kennenlernen durfte, die sie sonst für immer missen würde. Eine Form, die noch stärker war, als die Liebe zur Familie - Das Glück, mit sich vollkommen in Reinen zu sein und sich selbst gefunden zu haben. Wenn Tracy nicht zumindest versuchte, ohne ihre Familie glücklich zu werden, woher sollte sie dann wissen, dass sie es denn wirklich war? Sie musste es zumindest probieren, auch wenn sie ihr Lebensziel dabei nicht aus den Augen verlieren würde. Nein, sie durfte ihr Lebensziel nicht aus den Augen verlieren. Viel eher würde sie sich umbringen, als das sie das Versprechen brach, dass ihr ganzes Leben bestimmte. Schließlich war ein Animo nur so gut wie seine Versprechen. Noch dazu kam die Tatsache, dass sie Soa die Möglichkeit gab, seinen Lebenstraum zu erfüllen – Wenn er sich diesen wegen ihr nicht erfüllen konnte, würde sie sich das dann verzeihen können? Schließlich wollte er schon vor zwei Jahren Pianist werden. Ihr kleiner Bruder meinte es ernst, sehr ernst. Genau wie seine älteren Geschwister. Nein, sie konnte ihm nicht die Chance nehmen, glücklich zu sein. Selbst dann nicht, wenn sie Angst hatte, ihn zu verlieren. Was wäre sie nur für eine große Schwester? Schließlich hatte sie letztlich auch Alice ziehen lassen und sie war noch in manchen Dingen naiver als Soa. Tracy sah ihren kleinen Bruder mit verschwommenen Blick an: Auch ihm liefen die Tränen über die Wangen. Selbst wenn es um seinen Lebenstraum ging, so spürte sie, dass es ihn auch nicht leicht fiel, Palooza zu verlassen. Alleine zu sein in der großen weiten Welt. Schnell nahm sie ein Tuch und tupfte sie ab: „Na Na…Du bist doch jetzt ein Erwachsener, die weinen nicht.“ Er lächelte: „Das sagst gerade du…“ „Soa, wenn ich dich gehen lasse, versprichst du mir, auf dich aufzupassen?“ Schnell nickte er: „Aber ja! Ich werde auch so schnell es geht zurückkommen!“ Leise meinte er: „Ich möchte doch an sich auch gar nicht gehen...“ Sie lächelte und gab ihn einen Kuss auf die Stirn: „Wenn es dein Traum ist, Pianist zu werden und bei mir zu sein, dann lasse ich dich gehen.“ Mit einen traurigen Schnurren fügte sie hinzu: „Pass auf dich auf und enttäusch’ mich nicht, ok?“ „Okay.“, er lächelte: „Danke.“ Dann fiel er ihr um den Hals und hielt sie noch für einige Zeit fest. So geschah es, dass Tracy ihren kleinsten Bruder ebenfalls ziehen ließ, im zarten Alter von elf Jahren. Sie hatte tiefstes Vertrauen zu ihm und wünschte sich nichts sehnlicher, als das sich sein Traum erfüllte. Denn dann würde ihr kleiner Bruder zurückkommen. Zurück in ihre Arme, unversehrt und glücklich. Ein weiteres, kurzes Jahr verging. Es war ein heißer Sommertag, als die Nachricht Tracy erreichte, in Desteral würde ein grausamer Krieg zwischen den Land und den Land Azamuth beginnen. Als die Regierung ihres geliebten Heimatlandes begann, in eine tiefe Krise zu fallen, wurde der großen Schwester die Lage erst wirklich bewusst: Dieser Krieg würde sich möglicherweise auf den ganzen Planeten ausbreiten. Ihre Geschwister würden ebenfalls in diesen Krieg involviert sein. Womöglich ohne Grund ihr Leben verlieren. Schnell fasste die junge Katzen-Animo einen kühnen Entschluss: Sie wollte ins unbekannte Desteral reisen und dort ihre Geschwister suchen, um sie wieder nach Hause zu bringen. Vor den Grausamkeiten des Krieges bewahren. Schließlich hatte sie ihrer Mutter versprochen, auf sie aufzupassen. Sie wusste, dass die Reise gefährlich werden würde, doch konnte sie nicht anders, schließlich war sie ihre große Schwester. Sie musste verhindern, dass sie für immer Abschied von ihren Geschwistern genommen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)